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Märkte Länderreport Türkei 28 results Deutsche Bank Zwischen Asien und Europa liegen nur ein paar Meter: Die Atatürk-Brücke in Istanbul steht für die Stärke der Türkei als Verbindungsglied zu den Märkten in asiatischen Nachbarländern Bewegung am Bosporus Mit seinen hohen Wachstumsraten gilt die Türkei als das „China Europas“. Doch der Vergleich stimmt nur zum Teil: Die Rahmendaten für Investitionen sind in Europas Südosten oft besser als im Reich der Mitte. Auch deutsche Mittelständler freuen sich über den Boom

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MärkteLänderreport Türkei

28 results Deutsche Bank

Zwischen Asien und Europa liegen nur ein paar Meter: Die Atatürk-Brücke in Istanbul steht für die Stärke der Türkei als Verbindungsglied zu den Märkten in asiatischen Nachbarländern

Bewegung am BosporusMit seinen hohen Wachstumsraten gilt die Türkei als das „China Europas“. Doch der Vergleich stimmt nur zum Teil: Die Rahmendaten für Investitionen sind in Europas Südosten oft besser als im Reich der Mitte. Auch deutsche Mittelständler freuen sich über den Boom

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Die Konjunktur in Europa und den USA

kühlt sich wieder ab? Hilmi Uytun bleibt

gelassen. Der Geschäftsführer des Mö-

bel- und Baubeschlägeherstellers Häfele steht

nicht der Zentrale im baden-württembergi-

schen Nagold vor, die sich jetzt auf ein er-

neutes Abfl auen des Aufschwungs einstellen

muss. Er leitet die türkische Niederlassung in

Istanbul. Und deren Auftragsbücher dürften

auch weiterhin prall gefüllt bleiben.

Denn die Türkei erlebt ein mittlerweile

bereits zehn Jahre andauerndes Wirtschafts-

wunder: Seit 2002 hat sich der Umsatz der

türkischen Volkswirtschaft mehr als verdrei-

facht, das Bruttoinlandsprodukt liegt jetzt bei

554 Milliarden Euro. Allein im vergangenen

Jahr ist die türkische Wirtschaft um 8,9 Pro-

zent gewachsen. Inzwischen ist das Land die

achtgrößte Volkswirtschaft Europas. Und mit

dem Boom ist noch lange nicht Schluss, da

sind die Experten sich einig. „Im kommen-

den Jahr wird das Potenzial des Marktes

noch viel klarer zu erkennen sein“, glaubt

Häfeles Türkei-Chef Uytun.

Die Türkei, erklärt Marc Landau, Geschäfts-

führer der Deutsch-Türkischen Industrie- und

Handelskammer, ist beliebt als günstiger Pro-

duktionsstandort: Neben der 13-Millionen-

Metropole Istanbul, wo auch die Handels-

kammer ihren Sitz hat, und der Hauptstadt

Ankara haben sich etwa Izmir und frühere

Thesen3 Wachstum: Die Türkei hat gute Aussichten.

BIP und Pro-Kopf-Einkommen steigen, die Rahmenbedingungen haben sich nach Ansicht von Experten deutlich verbessert.

3 Krisenbewältigung: Der harte Reformkurs nach der türkischen Krise 2001 zahlt sich aus: 2008 erwies sich die Türkei krisenfester als der Rest Europas.

3 Starker Partner: Dank eines stabilen Investitions umfeldes ist das Land attraktiv. Etwa jedes fünfte ausländische Unternehmen in der Türkei kommt aus Deutschland.

Provinzstädte wie Kayseri, Konya oder Adana

als Industriezentren etabliert.

Aber die Türken werden auch als Konsu-

menten immer interessanter: Das Pro-Kopf-

Einkommen hat sich in den vergangenen zehn

Jahren auf inzwischen 10 000 Euro vervier-

facht, die Hälfte der rund 72 Millionen Türken

ist jünger als 30 Jahre, kauft gern und viel ein.

Die Infl ationsrate ist mit 6,4 Prozent pro Jahr

zwar immer noch relativ hoch. Doch das ist der

niedrigste Stand seit 41 Jahren. Die Rahmenbe-

dingungen für Geschäfte in der Türkei haben

sich eben zuletzt deutlich verbessert, sagt IHK-

Experte Landau. „Sie verlaufen mittlerweile

ebenso problemlos wie in Deutschland.“

PA S SENDE MITARBEITER FINDEN internatio-

nale Investoren in der ganzen Türkei mit Leich-

tigkeit. Ganz anders noch vor zehn Jahren, wie

Selkut Engin zu berichten weiß, Finanzchef der

türkischen Niederlassung des Maschinenbau-

ers Heidelberger Druckmaschinen. Die Baden-

Württemberger sind seit zehn Jahren auf dem

türkischen Markt aktiv. „Zu Beginn konnten

Bewerber häufi g nicht einmal Englisch spre-

chen“, sagt Engin. Heute ist das kein Problem

mehr. „Unsere Angestellten sind gut ausgebil-

det und qualifi ziert.“ Und Englisch gilt ebenso

als Business-Sprache wie in Deutschland. Die

Wurzeln des türkischen Wirtschaftswunders

reichen zurück ins Jahr 2001 – und damit in

eine der schlimmsten Krisen des Landes. Da-

mals hatte die Türkei mit einer hausgemachten

Wirtschafts- und Finanzmisere zu kämpfen,

die das Bankensystem beinahe zum Einsturz

gebracht hätte. Enorme öffentliche Schulden

und eine Infl ationsrate von fast 60 Prozent pro

Jahr zwangen die Regierung zu einem radika-

len Reformkurs.

Es wurde ein Befreiungsschlag: „Diese Re-

formen haben das Finanzsystem grundlegend

neu strukturiert und für mehr Sicherheit für

Investoren gesorgt“, sagt Zeynep Kudatgobilik,

Türkei-Expertin bei Deutsche Bank Research.

Mit einem Mal begannen deutsche Industrie-

konzerne, die jahrzehntelang nur mit Vertriebs-

gesellschaften in der Türkei aktiv gewesen

waren, im Land eigene Produktions standorte

aufzubauen. Ausländische Investoren stiegen

mit immer größeren Summen ein, die auslän-

dischen Direktinvestitionen legten Jahr für

Jahr zu, auf dem bisherigen Höhepunkt im

Jahr 2007 lagen sie bei mehr als 15 Milliarden

Euro. Auch 2010 investierten ausländische Fir-

men immer noch fast neun Milliarden Euro.

Insgesamt 22 250 ausländische Unternehmen

sind heute in der Türkei tätig. Etwa 4300 davon

aus Deutschland.

Und so prägen schon lange nicht mehr der

Agrarsektor und die Textilindustrie die Wirt-

schaft des Landes. Der größte Anteil des BIP

stammt heute aus der Elektro- und Automobil-FOTO

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Türkei-Chef Hilmi Uytun von Häfele: 2005 eröffnete der Beschläge-hersteller seine erste Niederlassung. Inzwi-schen besteht das Team aus 180 Mitarbeitern

industrie. Über eine Million Autos und Lkws

werden jährlich in der Türkei produziert, auch

deutsche Hersteller von Nutzfahrzeugen wie

MAN und Mercedes-Benz lassen hier ferti-

gen. „Das Bild der türkischen Wirtschaft hat

sich grundlegend verändert“, bestätigt Lars

Handrich, Geschäftsführer von DIW econ,

Beratungsgesellschaft des Deutschen Instituts

für Wirtschaftsforschung (DIW). Der Umbau

des türkischen Finanzsystems, die Reformen

des Wirtschaftsrechts, all das habe das Land

derart gestärkt, dass sogar die weltweite Fi-

nanzkrise im Jahr 2008 verhältnismäßig we-

nig Schaden anrichten konnte, sagt Analystin

Kudatgobilik von Deutsche Bank Research.

Auch der schwäbische Beschlägeherstel-

ler Häfele startete erst im Windschatten des

Booms richtig durch. Im Mai 2005, 25 Jahre

nachdem die Schwaben angefangen hatten,

ihre Produkte über Händler vor Ort zu vertrei-

ben, eröffnete das Unternehmen eine Nieder-

lassung in Istanbul. „Wir haben das Potenzial

des Marktes gesehen, die junge Bevölkerung,

das dynamische und schnelle Wirtschafts-

wachstum“, sagt Türkei-Chef Uytun. Das

Team von anfangs sieben Mitarbeitern wuchs

schnell, inzwischen beschäftigt Häfele schon

180 Mann. „Die Niederlassung in Istanbul ist

in Sachen Umsatz die fünftstärkste des Kon-

zerns“, sagt Uytun stolz. „Begonnen haben wir

auf Platz 31.“

Die Türkei ist als Wirtschaftsstandort auch we-

gen ihrer geografi schen Lage interessant. Von

Deutschland aus in wenigen Flugstunden zu er-

reichen, liegt sie inmitten der Wachstumsmärkte

Balkan, Kaukasus, Vorderasien und der Arabi-

schen Halbinsel. „Die Türkei ist in dieser Regi-

on das zentrale Beschaffungsland“, sagt IHK-

Experte Landau. Dort kaufen Unternehmen

aus dem Irak, aus Iran und Syrien ebenso ein

wie aus Dubai oder Kasachstan. „Die Türkei

hat sich überregional als Markt etabliert.“

DAVON PROFITIER T ZUM BEISPIEL die Firma

Putzmeister aus Aichtal, rund zwanzig Kilome-

ter südöstlich von Stuttgart. Putzmeister stellt

Beton- und Mörtelpumpen her und ist schon

seit 20 Jahren in der Türkei aktiv – in einem

Joint Venture mit einem türkischen Maschi-

nenbauer. 2007 dann machten die Stuttgarter

Nägel mit Köpfen und errichteten eine 23 000

Quadratmeter große Fabrik für 30 Millionen

Euro. Insgesamt 225 Mitarbeiter stellen hier

nun im Schnitt pro Jahr 200 Betonpumpen

für türkische Bauunternehmen her, Umsatz:

70 Millionen Euro – Tendenz steigend.

„Die Türkei ist der drittgrößte Markt der

Welt für Spezialbaumaschinen“, sagt Norbert

Scheuch, Vorsitzender der Geschäftsführung

von Putzmeister. Der Grund: Türkische Bauun-

ternehmen bauen den Irak wieder auf, gewin-

nen Ausschreibungen in Iran und in Russland,

Der lange Weg in die Europäische UnionSeit fast fünf Jahrzehnten sucht die Türkei den Anschluss an die EU. Die Meilensteine des Pro-Europa-Kurses im Überblick.

1963: Die Türkei unterzeichnet das Asso-ziierungsabkommen mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). Darin verpfl ichten sich beide Seiten, ihre wirtschaft-lichen Beziehungen zu intensivieren.

1980er Jahre: Ministerpräsident Turgut Özal schafft Importverbote und -beschränkungen sowie Bürokratie ab und fördert Exporte.

1996: Die Türkei tritt in die Europäische Zollunion ein.

1999: Auf dem EU-Gipfel im Dezember wird der Türkei der Status als Beitrittskandi-dat zuerkannt.

2001: Der türkische Finanzsektor steht vor dem Zusammenbruch, 21 Banken melden Insolvenz an. Der Internationale Wäh-rungsfonds (IWF) kommt dem Land zu Hilfe, setzt radikale Reformen durch.

2003: Die Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan leitet weitere Refor-men ein. Das Zivilrecht wird überarbeitet, die Stellung der Frau sowie Menschen- und Freiheitsrechte werden verbessert.

2004: Ein Investitionsförderungsgesetz stellt in- und ausländische Investoren gleich. Um ausländische Investoren ins Land zu holen, übernimmt der Staat bis zu sieben Jahre lang den Arbeitgeberanteil der Sozialversicherungsbeiträge.

2005: Die EU nimmt Beitrittsverhand-lungen mit der Türkei auf. Als Hindernisse gelten weiterhin Einschränkungen von Meinungsfreiheit und Menschenrechten, außerdem die politischen Positionen der regierenden islamischen Partei AKP.

2008: Ministerpräsident Erdogan stellt das dritte „Nationale Programm“ für Wirtschaftsreformen vor.

Selkut Engin, Finanz-chef der türkischen Niederlassung von Heidelberger Druck-maschinen, gibt beson-ders zweisprachigen Mitarbeitern beste Chancen

Putzmeister-Geschäfts-führer Norbert Scheuch: Die 2007 errichtete Fabrik meldet Umsatz-steigerungen, Putz-meister profi tiert vom Wachstum türkischer Bauunternehmen

„Das Bild der türkischen

Wirtschaft hat sich verändert“ FO

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werden an Bauprojekten in Kasachstan oder

auf der Arabischen Halbinsel beteiligt. „Ihre

Baumaschinen kaufen sie aber in der Türkei

und nehmen sie dann mit über die Grenze“,

sagt Scheuch. „Mit den Nachbarländern erwei-

tert sich der Absatzmarkt, den Unternehmen

in der Türkei erschließen können, um ein Viel-

faches“, bestätigt IHK-Experte Marc Landau.

Für Putzmeister ist die Türkei inzwischen

beinahe so wichtig wie China, Indien und

Brasilien. „Wie diese Schwellenländer ist

auch die Türkei eine Volkswirtschaft, in der

jetzt noch Industrien aufgebaut werden“, sagt

Vorstandschef Scheuch. Ein Unternehmen

wie Putzmeister, das von Investitionen in

Infrastrukturen abhängt, braucht Staaten

mit wachsender Bevölkerung, einer prospe-

rierenden Wirtschaft und einer Regierung,

die in der Lage ist, in Straßen und Brücken

zu investieren. „All das gilt für die EU und

Nordamerika nicht mehr – aber eben für die

Türkei“, sagt Scheuch. Dass eine Facharbei-

terstunde in der Türkei nur knapp fünf Euro

kostet – statt 30 wie in Deutschland –, ist nicht

mehr als ein positiver Nebeneffekt. Immerhin

ist das schon doppelt so viel wie in China oder

Indien, betont Scheuch.

Putzmeister hat sich für den westlichsten

Zipfel der Türkei entschieden, um sein Werk

zu bauen. „Putzmeister Makine“ liegt auf der

europäischen Seite des Bosporus, noch westlich

Lange Zeit war die Türkei für die Helm AG nur einer von vielen internationalen Märkten. Und lange nicht der spannendste. Zwar arbeitete der weltweit größte unab hängige Vermarkter von Chemierohstoffen schon seit 1986 in Istanbul. Damals belieferte das Unternehmen vor allem türkische Industrie-kunden mit Chemikalien, Pfl anzenschutz-mitteln und Kunststoffen. Aber das geschah eher der Vollständigkeit halber.

„Vor 25 Jahren hatte die Türkei noch nicht eine so wichtige strategische Bedeutung“, erinnert sich Matthias Diewald, heute Geschäfts-führer der Filiale „Helm Kimya“. Er residiert in einem modernen Bürogebäude im europäi-schen Teil von Istanbul. Inzwischen arbeiten hier 20 Angestellte. Denn mit dem Wachstum der türkischen Wirtschaft stieg der Bedarf an Rohstoffen. Helm stockte das Vertriebs team in Istanbul kontinuierlich auf, immer mehr Mit-arbeiter arbeiteten für das deutsche Unterneh-men. 2002 entschloss sich der Mittelständler, chemische Rohstoffe fortan in Istanbul im eige-nen Namen zu importieren und zu fakturieren.

„Heute ist die Türkei der Markt mit dem größten Wachstum in Europa“, sagt Diewald. Helm schätzt das Land wegen seines enormen Potenzials an jungen Menschen, deren Konsum täglich steigt. „Darüber hinaus hat das Land eine einzigartige logistische Lage.“ Deshalb können Unternehmen Umsatz in den Nachbarländern erwirtschaften. Die Helm-Niederlassung in Istanbul erzielte im vergangenen Jahr einen Umsatz von rund 200 Millionen Euro.

Diewald selbst ist seit zwei Jahren in Istanbul. Zuvor hat er 16 Jahre lang in der Hamburger Zentrale gearbeitet – sehr viel anders sieht sein Job heute am Bosporus nicht aus. Administrativ sei die Türkei anspruchsvoll. „Und wie in ande-ren Ländern der Welt ist in der Türkei Leistung und Zuverlässigkeit entscheidend für den Unternehmenserfolg“, sagt Diewald. Die Umwelt-auflagen für Gefahrengüter und Richtlinien zum Transport chemischer Rohstoffe seien ähnlich streng wie in der Europäischen Union. Die Türkei, sagt Diewald, nähere sich systematisch EU-Standards an, habe jüngst etwa eine Art REACh aufgebaut, eine EU-Chemikalienver-ordnung für die Herstellung, den Transport und die Verwendung chemischer Rohstoffe.

Seit Beginn des Unternehmensengage-ments in der Türkei setzen die Hamburger auf lokale Mitarbeiter. „Um unsere Produkte zu vermarkten, müssen unsere Beschäftigten die Sprache kennen, außerdem die Kultur und den Markt“, sagt Diewald. „Deshalb benö-tigen wir regionale Experten.“ Die Auswahl an jungen, qualifi zierten Fachkräften sei riesig, sagt Diewald. „Und wer sich bei Helm bewirbt, wendet sich bewusst an ein internationales Unternehmen.“ Deshalb gelten ebenso wie in Deutschland die weltweit gängigen Ansprüche an Bewerber. Er ist sicher, dass die Nieder lassung in der Türkei auch weiter-hin stark wachsen wird. „Der Markt wächst kontinuierlich“, sagt Diewald. Schließlich steigt die lokale Produktion stetig. „Und wir wollen an diesem Wachstum teilhaben.“

Fallstudie Helm AG

Rohstoffe für den WachstumsmarktDer Chemikalienhändler Helm ist bereits seit 25 Jahren in der Türkei aktiv und nutzt das Land heute als Dreh- und Angelpunkt für den Vertrieb von Chemierohstoffen

Helm-Team in der Türkei, Geschäftsführer Matthias Diewald (stehend, Sechster von links): Der Chemikalienhändler setzt auf lokale Mitarbeiter – und fi ndet leicht qualifi zierte Kräfte

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R von Istanbul. Scheuch ist sich im Klaren dar-

über, dass der Rest des Landes aufholt. Aber:

„Hier sitzen unsere Kunden, und hier fi nde

ich immer genügend gute Facharbeiter und

Ingenieure.“

Deutsche Unternehmen, die in der Türkei Ge-

schäfte machen wollen, haben es inzwischen

leicht, sagt Türkei-Expertin Kudatgobilik von

Deutsche Bank Research. „Die Rahmenbedin-

gungen ähneln denen der EU.“ Die Türkei wolle

schließlich Mitglied der Gemeinschaft werden

und bereite sich seit Jahren darauf vor. Für

den Geschäftsalltag bedeutet das: Die Ge-

setzgebung entspricht in weiten Teilen der

in Westeuropa. Außerdem herrscht für türki-

sche und ausländische Unternehmen Waffen-

gleichheit, Handelshemmnisse oder Markt-

eintrittsbarrieren gibt es praktisch keine.

Im Gegenteil: Ausländische Investoren wer-

den sogar hofi ert. Vom Foreign Economic Rela-

tion Board (DEIK) etwa oder von der Interna-

tional Investors Association of Turkey (YASED).

Im kommenden Jahr tritt ein neues, laut Exper-

ten äußerst fortschrittliches Handelsgesetz in

Kraft. „Das Rechtssystem, die Zahlungsmoral

und das allgemeine Geschäftsgebaren – das

ist alles genauso wie innerhalb der EU“, sagt

Putzmeister-Chef Scheuch.

Einzig das Schwanken der Türkischen Lira

bereitet ihm noch Schwierigkeiten. Zwar ex-

portiert das Unternehmen nicht in die Tür-

kei, kauft auch fast alle Maschinenteile bei

Zulieferern vor Ort ein. Aber die Kredite für

die Investition ins eigene Werk laufen eben

auf Euro – und werden mit fortschreitender

Lira-Infl ation relativ gesehen immer teurer.

Und dann ist da noch das „Pulverfass Isla-

mismus“, wie Scheuch es nennt. „Ich hoffe,

dass die Türkei ihren Erfolgskurs beibehält“,

sagt er. „Und dass sie politisch stabil bleibt.“

Sonst könnte das Wirtschaftswunder schnell

zu seinem Ende kommen. Noch ist das nicht

abzusehen. Und ein weiterer Umstand macht

die Türkei gerade für deutsche Unternehmen

zum spannenden Markt: Die inzwischen fünf

Jahrzehnte Einwanderung aus der Türkei nach

Deutschland. 2,5 Millionen Menschen mit tür-

kischen Wurzeln leben in der Bundesre publik,

und viele Türken sprechen Deutsch. Der Ma-

schinenbauer Heidelberger Druckmaschinen

nutzt diesen Vorteil aus. Und besetzt Schlüs-

selpositionen in seiner 2001 gegründeten Toch-

terfi rma in Istanbul gern mit Angestellten, die

sowohl Deutsch als auch Türkisch sprechen.

Gerade erst hat Heidelberg eine leitende

Stelle im Ersatzteilvertrieb mit einem türkisch-

stämmigen Deutschen besetzt, der für den Job

extra in die Türkei umgezogen ist. „Seitdem“,

sagt Finanzchef Selkut Engin, „hat sich die

Kommunikation zwischen uns und der Zen-

trale deutlich verbessert.“ O

DAV ID S E LB A C H U N D SIBY LLE S C HIKOR A

Weitere InformationenKontakt Mustafa Bagrıaçık, Leiter Corporate Finance, Deutsche Bank Türkei E-Mail [email protected]

Links 3 Deutsch-Türkische Industrie- und

Handelskammer www.dtr-ihk.de

3 Türkei-Studie des DIW econ: „Türkei: Wachstum durch Bildung und Infrastruktur langfristig stützen“www.diw-econ.de/de/downloads/

WB_24_2011_Tuerkei.pdf

Literatur3 „Deutsch-Türkisches Wirtschafts-

jahrbuch 2012“, OWC 2011, 80 Seiten, 25 Euro

Herr Bagrıaçık, spüren Sie ein steigendes Interesse deutscher Unternehmen an Ihrem Land?Auf jeden Fall. Interessant dabei ist für mich, dass es nicht die Groß-konzerne sind, die in den vergangenen Jahren in eigene Niederlassungen oder Produktionsanlagen in der Türkei investiert haben. Sie nutzen eher die Zollunion mit der EU für Exporte. Es sind eher familiengeführte, mittel-ständische Unternehmen, die vor Ort investieren. Deutsche Mittelständler leisten inzwischen einen wichti gen

Beitrag für das dynamische Wachs-tum der türkischen Volkswirtschaft.Die türkischen Zinsen sind höher als die deutschen. Wirkt sich das auf die Finanzierung aus, müssen deutsche Mittelständler ausschließlich im Heimatland Kapital beschaffen? Nicht unbedingt. Auf den ersten Blick sind die Zinsen bei uns wirklich sehr hoch – aber zieht man die Infl ations-rate ab, liegen die Realzinsen nur bei rund zwei Prozent. Weil das türki-sche Finanzsystem inzwischen

wieder sehr gut kapitalisiert ist, ist Fremdkapital einfach zu bekommen. Das laufende Geschäft lässt sich also sehr gut vor Ort fi nanzieren – das bietet Unternehmen Vorteile. Langfristige Kredite allerdings, die in Dollar oder Euro vergeben werden, sind wirklich teurer als etwa in Deutschland, deshalb fi nanzieren viele deutsche Firmen ihre Investitio-nen zu Hause.Und was den grenzüberschreiten-den Zahlungsverkehr angeht – gibt es da keinerlei Restriktionen?

Nein. Deutschland und die Türkei haben ein Doppelbesteuerungs-abkommen geschlossen, Crossborder-Finanzierungen oder Cash-Pooling sind also überhaupt kein Problem. Da die türkische Lira voll konvertierbar ist – anders als zum Beispiel die Währungen in Indien oder China –, sind auch Verrechnungen zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft ohne weiteres möglich. Bei solchen Fragen ist es unsere Aufgabe, die Un-ternehmen bei der Wahl der besten Konstruktion zu unterstützen.

Interview

„Crossborder-Finanzierungen sind überhaupt kein Problem“

Mustafa Bagrıaçık ist Leiter Corporate Finance Türkei bei

der Deutschen Bank in Istanbul

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