MAGAZIN FÜR GESUNDHEITSFÖRDERUNG UND...

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gesundes 17. JAHRGANG NR. 1 | MAI 2015 MAGAZIN FÜR GESUNDHEITSFÖRDERUNG UND PRÄVENTION P.b.b. 03Z034913 M – Verlagspostamt 1020 österreich Praxis Projekte für gesündere Arbeit in Kleinbetrieben und in der Pflege Im Interview Jörg Flecker, Reinhard Haller, Hartmut Schulze Thema Wie Betriebliche Gesundheitsförderung den Stress verringert IM GESPRÄCH Jeder Mensch will produktiv sein. RUDOLF KARAZMAN, EXPERTE FÜR GESUNDE BETRIEBE

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PraxisProjekte für gesündereArbeit in Kleinbetrieben und in der Pflege

Im InterviewJörg Flecker, Reinhard Haller, Hartmut Schulze

ThemaWie Betriebliche Gesundheitsförderung den Stress verringert

IM GESPRÄCH

Jeder Mensch will produktiv

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EXPERTE FÜR GESUNDE BETRIEBE

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IMPRESSUM

Offenlegung gemäß § 25 MedG

Medieninhaber: Gesundheit ÖsterreichGmbH (GÖG), Stubenring 6, 1010 Wien, FN 281909y, Handelsgericht Wien

Herausgeber:Mag. Georg Ziniel, MSc, Geschäftsführer GÖG,und Dr. Klaus Ropin, GeschäftsbereichsleiterFonds Gesundes Österreich, einGeschäftsbereich der GÖG

Redaktionsadresse und Abonnement-Verwaltung:Fonds Gesundes Österreich,Aspernbrückengasse 2, 1020 Wien, Tel. 01/895 04 00-0, [email protected]

Redaktionsbüro: Mag. Dietmar Schobel,Meidlinger Hauptstr. 3/5-7, 1120 Wien,www.teamword.at, [email protected], Tel. 01/909 33 46

Redaktion:Mag. Gudrun Braunegger-Kallinger, Dr. Rainer Christ,Ing. Petra Gajar, Mag. Rita Kichler, Anna Krappinger, MA,Mag. Hermine Mandl,Gabriele Ordo, Mag. Gerlinde Rohrauer-Näf, MPH,Mag. Dietmar Schobel (Leitung),Mag. Jürgen Tomanek-Unfried, Mag. Gabriele Vasak,Mag. Petra Winkler

Graphik: Mag. Gottfried Halmschlager

Fotos: DI Johannes Hloch, DI Klaus Pichler,Fotolia, privat

Foto Titelseite: DI Johannes Hloch

Druck: Ferdinand Berger & Söhne Ges.m.b.H.Erscheinungsweise: 3 x jährlichVerlags- und Herstellungsort: WienVerlagspostamt: 1020 Wien

Blattlinie: Das Magazin „Gesundes Österreich" ist Österreichs Plattform zumThema Gesundheitsförderung. Es präsentiertMenschen und vermittelt Inhalte aus denHandlungsfeldern Politik, Wissenschaft undPraxis.

INHALT01/15

MENSCHEN & MEINUNGEN

Drei Porträts: GregorBreucker, Chantale MerzWagenaar und ChristophHeigl4 Kurz & bündig 5-7

COVERSTORY Der Arbeitsmediziner Rudolf Karazman erklärt,weshalb die meisten Manager/innen wenig von menschengerechterFührung wissen.8

Drei Fachleute antwortenauf die Frage: Erreicht Betriebliche Gesundheits-förderung die Richtigen?14

WISSEN

Kurz & bündig 15-17

Thema:Neue Heraus-forderungen für die Betriebliche Gesund-heitsförderung18-36

Ist Betriebliche Gesundheits-förderung eine wirksame„Medizin“ gegen den stetigwachsenden Arbeitsstress?18

Österreich hat tragfähigeStrukturen für BetrieblicheGesundheitsförderung.Jetzt geht es darum, das Konzept möglichstflächendeckendumzusetzen.20

Der Soziologe Jörg Fleckerim Interview über die Ursa-chen für den wachsendenDruck in der Arbeitswelt23

Der Weg zu gesünderenBetrieben in Deutschland24

Arbeitsschutz und Be-triebliche Gesundheits-förderung haben dassel-be Ziel.28

Schweizer Unternehmenbetrachten Gesundheitnicht als Luxus.30

Wie gesund ist mobilesArbeiten? – Der Koope-rationsforscher HartmutSchulze im Interview33

INTERVIEWNarzisst/innen in der Chefetage: Der Arzt und Bestsellerautor Reinhard Haller über unsere Zeit des Narzissmus.

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Wer kleine und mittlereBetriebe durch Gesund-heitsförderung erreichenwill, muss Angebote mitwenig Aufwand machenund die Firmenchef/innendafür gewinnen.34

SELBSTHILFE

Gudrun Braunegger-Kallin-ger über die Angebote zurWeiterbildung für Selbsthil-fegruppenleiter/innen37

Die Adressen der Selbsthilfe-Dachverbände38

Die Gründerin JosefineMülleder über die Selbst-hilfegruppe „TrauerndeEltern und Geschwister“ 39

„Net lugg lo“ heißt eineSelbsthilfegruppe furMenschen nach Schlag-anfall in Vorarlberg40

PRAXIS

Kurz & bündig 41-42

So funktioniert Gesund-heitsförderung in kleinenund mittleren Unterneh-men in der Praxis.43

Ein Projekt hat gleich beifünf Pflegeeinrichtungenfür gesündere Arbeitsbe-dingungen gesorgt.44

Bei einem Pilotprojektwurde erprobt, wie Ein-Personen-Unternehmen

von Betrieblicher Gesundheitsförderungprofitieren können.46

Die Mitarbeitenden sinddas wichtigste Kapital vonBetrieben. Ein Hotel inLoipersdorf hat gezielt de-ren Belastungen reduziert.48

Serviceartikel: Der Wegvom Projekt zum nachhaltigen Betrieblichen Gesund-heitsmanagement50

Ein Hauptziel des Projekts„PALplus“ in einem großen Industriebetriebwar es, die Wertschätzungfür ältere Mitarbeiter/in-nen zu fördern. 52

ie Arbeitswelt er-lebt heute einentiefgreifenden

Wandel. Zu dessen Kenn-zeichen zählen die Ver-dichtung von Arbeit, dieZunahme flexibler Ar-beitsformen und die wei-terhin wachsende Bedeu-tung digitaler Technolo-gien. Diese Veränderun-gen haben dazu geführt,dass Druck und Stress bei der Arbeit schon seit eini-gen Jahren kontinuierlich gestiegen sind. Das bele-gen zahlreiche Studien. Gleichzeitig wissen wir,dass Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) vorallem auch diese psychosozialen Belastungen wirk-sam verringert. Denn BGF bedeutet, die gesamteOrganisation unter Beteiligung aller Mitarbeitendensystematisch gesünder zu gestalten. So kann einwesentlicher Beitrag dazu geleistet werden, die ak-tuellen Veränderungen der Arbeitswelt positiv zugestalten. Wie das am besten umgesetzt werdenkann, haben Fachleute aus Deutschland, Österreichund der Schweiz Ende März bei einer vom FondsGesundes Österrreich veranstalteten BGF-Dreiländ-ertagung in Bregenz am Bodensee diskutiert und er-arbeitet.Die aktuelle Ausgabe unseres Magazins „GesundesÖsterreich“ ist ebenfalls diesem Thema gewidmetund beschäftigt sich im Artikel auf Seite 18 und derCoverstory unter anderem damit, weshalb die Qua-lität der Führung für mehr psychosoziale Gesund-heit der Beschäftigten zentral ist. Im Interview aufSeite 12 erklärt der Arzt und Bestsellerautor Rein-hard Haller, weshalb man in den Chefetagen heuteimmer öfter auf Narzisst/innen trifft. Der SoziologeJörg Flecker benennt auf Seite 23 die Ursachen fürden wachsenden Druck, und der Kooperationsfor-scher Hartmut Schulze erklärt auf Seite 33, weshalbmobile und flexible Arbeit gesundheitsförderlichsein kann, wenn sie entsprechend gestaltet wird.In unseren Artikeln über Praxisprojekte ab Seite 43ist beschrieben, wie BGF für Selbständige, in Klein-betrieben, bei einem Produktionsunternehmen undim Pflegebereich erfolgreich realisiert und nachhal-tig verankert wurde. Nicht zuletzt geben wir ab Sei-te 20 einen Überblick über den aktuellen Stand derBetrieblichen Gesundheitsförderung in Österreich,Deutschland und der Schweiz.

Ich wünsche Ihnen eine interessante Lektüre, mitvielen Anregungen für Ihre praktische Arbeit,

Klaus Ropin,Geschäftsbereichsleiter des

Fonds Gesundes Österreich

EDITORIALLiebe Leserin, lieber Leser!

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lass’ nach.Wie Betriebliche Gesundheitsförderung die psychosozialen Belastungen

bei der Arbeit verringert.

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„Eine Organisation, die erfolgreichsein will, sollte ihre Strukturenund Prozesse so gestalten, dassMenschen darin optimal funktio-nieren können“, beschreibt Chan-tale Merz Wagenaar (44) die ZieleBetrieblicher Gesundheitsförde-rung (BGF). Sie ist bei der StiftungGesundheitsförderung Schweizfür die Zusammenarbeit mit Ko-operationspartnern auf kantonaler,nationaler und internationalerEbene zuständig. Die Expertin fürBetriebliche Gesundheitsförderungstammt aus Bösingen im KantonFreiburg und hat im Laufe ihrerBerufskarriere unter anderem inden Bereichen Asylwesen, Arbeits-vermittlung sowie Aus- und Wei-terbildung gearbeitet. Ab 1999hat Merz Wagenaar in Groningen

in den Niederlanden Informati-onswissenschaften studiert undwar dort auch für eine Beratungs-firma tätig – unter anderem alsCoach für Langzeitarbeitslose. Ab2003 hat sie für den Bereich Per-sonenverkehr der Schweizer Bun-desbahnen mit rund 11.700 Mit-arbeitenden ein umfassendes Ge-sundheitsmanagement aufgebaut.Seit 2008 arbeitet sie für die Stif-tung Gesundheitsförderung. 2012hat sie zudem ein Studium fürManagement im Gesundheitswe-sen an der Universität Bern be-gonnen. „Im Sommer werde ichabschließen“, freut sich Merz Wa-genaar. Ihre Masterarbeit wird dieErfolgsfaktoren und Hemmnissefür Betriebliches Gesundheitsma-nagement in kantonalen Verwal-

tungen beschreiben. Was machtdie BGF-Expertin für ihre eigeneGesundheit? „Ich versuche, mirregelmäßig aktive Pausen zu gön-nen, bin gerne in der Natur odertreffe Freunde und Bekannte“,sagt Merz Wagenaar: „Und ichliebe es in aller Ruhe einen richtigguten Cappuccino zu trinken.“

Wie bleibt man bei der Arbeitgesund? „Am wichtigsten ist,die Freude daran zu erhalten.Dazu gehört auf persönlicherEbene eine gute Mischung ausEinsatz, Motivation und manch-mal auch etwas Distanz“, meintChristoph Heigl (30), der Koor-dinator des ÖsterreichischenNetzwerkes für Betriebliche Ge-sundheitsförderung (ÖNBGF).Beim Arbeitgeber des Sozial-wissenschafters, der Oberöster-reichischen Gebietskrankenkas-se mit insgesamt rund 2.180Beschäftigten, soll durch Maß-

nahmen für umfassende undsystematische Betriebliche Ge-sundheitsförderung (BGF) dafürgesorgt werden, dass gute Rah-menbedingungen dafür vorhan-den sind, am Arbeitsplatz ge-sund zu bleiben. „Bei uns wirdBGF gelebt und durch verhält-nisorientierte und verhaltens-orientierte Angebote umge-setzt“, sagt Heigl. So gebe esetwa ansprechend eingerichteteSozialräume, aber auch Mög-lichkeiten, sich gemeinsam ge-sund zu bewegen, wie etwaLauftreffs oder Walking-Grup-pen. Der Experte für BGF hatSoziologie studiert und zweiJahre als Betreuer in einemÜbergangswohnhaus von pro

mente Oberösterreich für Ju-gendliche und junge Erwach-sene mit einer psychischen Er-krankung gearbeitet. Danachwar er Geschäftsfeldleiter desJugendbereiches von pro menteOberösterreich. Seit 2012 istChristoph Heigl als Gesund-heitssoziologe bei der OÖGKKangestellt und in dieser Funktionauch als ÖNBGF-Koordinatortätig. Was macht Heigl in derFreizeit für seine Gesundheit?„Da ich nicht sehr sportlich bin,versuche ich, mich im Alltag öf-ter zu bewegen und Wege zuFuß zu erledigen. Und am Wo-chenende gehe ich mit meinerFreundin und der Familie gernespazieren“, sagt Heigl.

„Organisationen sollten so ge-staltet sein, dass Menschen darinoptimal funktionieren können.“

MENSCHEN & MEINUNGEN

Betriebliche Gesundheitsförderung ist der Markenkernder betrieblichen Krankenkassen in Deutschland.Wir unterstützen den fachlichen Austausch der Mit-

gliedskassen sowie deren Kommunikation mit ihren Versi-cherten und Unternehmen zu diesem Thema. Das Ziel ist,für gesunde Beschäftigte in gesunden Unternehmen zusorgen“, erklärt Gregor Breucker (58), der Leiter der Ab-teilung Gesundheitsförderung beim Dachverband der deut-schen Betriebskrankenkassen (BKK) in Berlin. Breucker istauch mit der Leitung nationaler und internationaler Netz-werke befasst, konkret der deutschen Initiative Arbeit undGesundheit, dem Deutschen und dem europäischen Netz-werk für Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) sowieUnternehmensnetzwerken zur betrieblichen Gesundheits-politik. Was erlebt der Experte selbst als gesundheitsförderlichbei der Arbeit? „Im Team der zehn Kolleginnen und Kollegenin meiner Abteilung gibt es einen sehr guten Zusammenhalt,das ist sicher ein besonders wichtiger gesundheitsförderlicherFaktor“, meint Breucker: „Außerdem ist bei uns die Kon-tinuität in den Arbeitsaufgaben und Projekten sehr hoch.“Anfang 2013 wurde in Berlin der neue BKK Dachverbandgestartet. Für Breucker wie für andere Kolleg/innen heißtdas, zumindest zweimal pro Woche pendeln zu müssen.Für die Zugfahrt nach Hause in Münster benötigt der BGF-Experte dreieinhalb Stunden. Breucker hat Psychologie stu-diert und ist mit der Psychotherapeutin Bettina Breuckerverheiratet. Das Ehepaar hat eine Tochter im Alter von 25und einen Sohn im Alter von 21 Jahren. Der Gesundheits-fachmann ist Hobbysportler aus Leidenschaft. Früher hater gerne Fußball gespielt und mit seinem Team Tennis inder Westfalenliga. Aktuell geht Gregor Breucker zwei- bisdreimal pro Woche ins Fitnessstudio und Schwimmen.

„Das Ziel ist, für gesundeBeschäftigte in gesunden

Betrieben zu sorgen.“GREGOR BREUCKER VOM DACHVERBANDDER DEUTSCHEN BETRIEBSKRANKENKASSEN

CHRISTOPH HEIGL, KOORDINATOR DES ÖSTERREICHISCHEN NETZWERKES FÜR

BETRIEBLICHE GESUNDHEITSFÖRDERUNG

CHANTALE MERZ WAGENAAR, GESUNDHEITS-FÖRDERUNG SCHWEIZ

„Am wichtigsten ist, die Freudean der Arbeit zu erhalten.“

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MENSCHEN & MEINUNGEN

WIENER GESUNDHEITS-FÖRDERUNG

„Zugreifen, bitte!“, heißt esfür alle Schülerinnen und Schü-ler an rund 300 offen undhalbtägig geführten Pflicht-schulen der Stadt Wien. Unterdem Motto „Frucht machtSchule“ werden schon seit denSemesterferien wöchentlich imRahmen des Bio-Schulfrucht-programms der Stadt Wien

Obst und Gemüse direkt in dieSchulen geliefert. Ziel ist es,bei den Kindern möglichst frühdie Freude am Genuss vonObst und Gemüse zu wecken.Und das in einem Alter, in demdie Essgewohnheiten nach-haltig geprägt werden. Beson-derer Wert wird darauf gelegt,dass die Früchte möglichst aus der Region stammen, zurjeweiligen Saison passen und erstklassige Bio-Qualitäthaben.

Mehr als eine Verteil-AktionVerteilen und gemeinsam es-sen ist gut. Noch besser ist esaber, wenn sich die Kinder undJugendlichen darüber hinausgemeinsam mit dem ThemaEssen beschäftigen. Die WienerGesundheitsförderung hat des-halb ein begleitendes Paketan pädagogischen Maßnah-men erarbeitet. Neben eigensentwickelten Unterrichtsma-terialien werden auch Work-

shops für Pädagog/innen so-wie Verkostungen oder Aus-flüge zu regionalen Bio-Bau-ernhöfen für Schüler/innen an-geboten. Die Gesamtkostendes Projekts für ein Schuljahrbetragen 1,7 Millionen Euro.Die Europäische Union wirdes im Rahmen ihres Pro-gramms „Schlaue Früchtchen“mit rund 300.000 Euro för-dern.

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Frucht macht Schule

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Die Wiener Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely,Bildungsstadtrat Christian Oxonitsch und die Gemeinderätin Birgit Hebein haben in der NeuenMittelschule in der Oberen Augartenstraße das Projekt „Frucht macht Schule“ präsentiert.

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ARBEITSPROGRAMM 2015 DES FONDSGESUNDES ÖSTERREICH

Gesundheitsförderung in der Praxis sowie derAufbau von Kapazitäten und die Entwicklungvon Wissen sind die grundlegenden Aufgabendes Fonds Gesundes Österreich (FGÖ). „Ab 2015 setzen wir bei unserer Tätigkeitauch einige neue Schwerpunkte und zwar für Tabakprävention, im Monitoring der Gesundheitsförderungsstrategie sowie zumThemenfeld Gesundheitskompetenz“, betont Klaus Ropin, der Leiter des FGÖ.Um die Gesundheitskompetenz der Men-schen in Österreich gezielt zu verbessern, sindeinerseits Organisationen gefordert, ihre Ange-bote leicht lesbar und verständlich zu gestal-ten. Andererseits soll die Fähigkeit von Perso-nen gestärkt werden, sich Wissen anzueignen,um im Alltag gesunde Entscheidungen treffenzu können. „Dafür wird derzeit eine Plattformeingerichtet, an der sich österreichweit Orga-nisationen beteiligen werden, die in diesemZusammenhang eine wichtige Rolle spielen.Das sind zum Beispiel Institutionen aus demBildungs-, Sozial- und Gesundheitswesen“, er-klärt die FGÖ-Gesundheitsreferentin GudrunBraunegger-Kallinger. Die ÖsterreichischePlattform Gesundheitskompetenz schließt da-mit an die Ergebnisse der Arbeitsgruppe desRahmen-Gesundheitszieles 3 an. Der FondsGesundes Österreich ist mit dem Aufbau einer

Koordinationsstelle für die Plattform beauf-tragt. „Das Ziel ist letztlich, dass die beteilig-ten Institutionen Know-how austauschen undExpertise sammeln, um wirksame Maßnahmenumzusetzen, welche die Gesundheitskompe-tenz der österreichischen Bevölkerung stär-ken“, betont Braunegger-Kallinger.Die Tabakpräventionsinitiative des Fonds Gesundes Österreich wird am 31. Mai starten,dem Welt-Nichtrauchertag. „Ziel ist, dass Kin-

der und Jugendliche erst gar nicht zu rauchen beginnen und somit zu verhindern, dass sie nikotinabhängig werden“, sagt Petra Gajar,die als Gesundheitsreferentin beim Fonds Ge-sundes Österreich für die Initiative zuständigist. Dafür werden bundesweit partizipativeMaßnahmen zur Tabakprävention erarbeitet,die sowohl Kinder und Jugendliche von zehnbis 14 Jahren als auch deren Eltern und Groß-eltern erreichen. Die Aktivitäten werden voneiner Medienkampagne begleitet, die ihrenSchwerpunkt in den Neuen Medien hat.Nicht zuletzt übernimmt der Fonds GesundesÖsterreich wesentliche Aktivitäten im Rahmendes Monitorings der ÖsterreichischenGesundheitsförderungsstrategie. Dieselegt fest, mit welchen Schwerpunkten in denkommenden zehn Jahren im Rahmen der Lan-desgesundheitsfonds insgesamt 150 MillionenEuro für Gesundheitsförderung und Präventionaufgewendet werden. „Wir werden in einerwebbasierten Form systematisch die Daten da-zu sammeln und auswerten, wofür diese Mit-tel, die Vorsorgemittel sowie weitere Aufwen-dungen im Bereich der Gesundheitsförderungund Prävention investiert werden“, sagt Rainer Christ, ebenfalls Gesundheitsreferentbeim FGÖ und dort unter anderem mit demMonitoring befasst.Weitere Informationen über die aktuellen Arbeitsschwerpunkte des FGÖ sind demArbeitsprogramm 2015 zu entnehmen, das unter www.fgoe.org zur Verfügung steht.

MENSCHEN & MEINUNGEN

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VEREIN FÜR PROPHYLAKTISCHE GESUNDHEITSARBEIT

Der PGA – Verein für prophylaktische Ge-sundheitsarbeit mit Hauptsitz in Linz hat seitJänner eine neue Geschäftsführerin. Die aus-gebildete Betriebswirtin und Organisations-beraterin Doris Formann (45) ist von der Ar-beiterkammer Oberösterreich zu dem Gesund-heitsverein gewechselt. Der PGA hat über300 Mitarbeiter/innen und zu den zahlreichen

Angeboten des Vereins gehören unter anderemStudien und Seminare an der „PGA Akade-mie“, kommunale Gesundheitsförderung undZahngesundheitsförderung. Im Frauengesund-heitszentrum in Wels und im Zentrum für Frau-engesundheit in Ried (fRIEDa) gibt es kos-tenlose Beratung und Weiterbildung speziellfür Frauen. Laut seiner Website will der PGA„Menschen dabei helfen, ihr Leben gesund,aktiv und selbstbestimmt zu gestalten“ undhat insgesamt das Ziel „Chancengleichheitauf Lebensqualität herzustellen“.

Der PGA hat eine neue Geschäftsführerin

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Der FGÖ setzt neue Schwerpunkte

FGÖ-Leiter Klaus Ropin: „Tabak-Prävention sowieGesundheitskompetenz sind neue Schwerpunkte unserer Tätigkeit.“

Doris Formann, die neue Geschäftsführerin des PGA

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Susanne Kaserist neue Projekt-leiterin der Ernährungs-programme desavomed Tirol.

Gesundheit beginnt in den Familien

Bereits 110 Gemeinden beteiligen sich an derInitiative „Gesunde Gemeinde“ des Vereins Ge-sundheitsland Kärnten. In diesem Rahmen wirdseit dem Vorjahr in Zusammenarbeit mit demKärtner Gesundheitsreferat ein Schwerpunktauf Angebote für die „Gesunde Familie“ gelegt,

an denen sich nunmehr bereits 36 Gemeindenbeteiligen. „Mit diesem Programm wollen wirdas Bewusstsein dafür steigern, dass die Familienmit ihren Ressourcen aus Sicht der Gesund-heitsförderung eine zentrale Rolle spielen unddas Gesundheitsverhalten von Kindern starkprägen können“, betont die Kärntner Gesund-heitsreferentin Beate Prettner den Hintergrund.Die Gemeindebetreuer/innen des Vereins Ge-sundheitsland Kärnten haben deshalb gemein-sam mit den beteiligten Ortschaften spezifischeMaßnahmen ausgearbeitet, die dann in die Pra-xis umgesetzt werden. „Das sind zum BeispielFamilienwandertage, Bewegungsangebote wie,Gesundes Laufen für berufstätige Mütter oderVäter’, Radtouren für die ganze Familie oderSchwerpunktvorträge für Patchwork-Familien“,erklärt Franz Wutte, der Geschäftsführer desVereins Gesundheitsland Kärnten.

VEREIN GESUNDHEITSLAND KÄRNTEN

Die Kärntner Gesundheitsreferentin Beate Prettner(2. von links im Bild): „Familien können das Gesund-heitsverhalten von Kindern stark prägen.“

Der niederösterreichischeLandeshauptmann-Stellvertreter WolfgangSobotka mit Bürger-meisterin Gudrun Berger und der „VORSORGEaktiv“-Gruppe in Furth bei Göttweig.

Seit Jänner 2015 bietet die Initiative „Tutgut!“ das Programm „VORSORGEaktiv“ inganz Niederösterreich an. Es richtet sich analle Niederösterreicher/innen über 18 Jahren,die bei der Vorsorgeuntersuchung mindestenseinen Risikofaktor wie Übergewicht, Blut-hochdruck oder Herz-Kreislaufprobleme aufweisen. Der behandelnde Arzt hat dieMöglichkeit, den Patient/innen das Programmvorzuschlagen. Acht Regionalkoordinator/innen sind dabei die direkten Ansprechpart-ner/innen für Ärzt/innen, Gemeinden und in-teressierte Personen. Sie sollen vor Ort Kursemit jeweils etwa zehn bis 15 Teilnehmer/innenorganisieren, die sechs bis neun Monate langvon Ärzt/innen, Sportwissenschafter/innen,Diätolog/innen und klinischen Psycholog/in-nen begleitet werden. In den drei Bereichen

Ernährung, Bewegung und mentale Gesund-heit werden den betreuten Personen dannjeweils 24 Einheiten angeboten. Die Teilneh-mer/innen sollen einen Kostenbeitrag von 99Euro leisten sowie 100 Euro Kaution hinter-legen – die rückerstattet werden, sobald 60

Prozent der geplanten Einheiten auch absol-viert wurden. „Unser Ziel ist, aktive Gesund-heitsförderung noch mehr im Bewusstseinder Menschen zu verankern“, betont Wolf-gang Sobotka, der Landeshauptmann-Stell-vertreter von Niederösterreich.

NIEDERÖSTERREICH „TUT GUT!“

Ernährung, Bewegungund mentale Gesundheit

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AVOMED TIROL

Neue Projektleiterin fürErnährungsprogramme

Die Internistin Susanne Kaser von der Medi-zinischen Universität Innsbruck ist neue Pro-jektleiterin der Ernährungsprogramme sowieVorstandsmitglied des avomed – Arbeitskreisfür Vorsorgemedizin und Gesundheitsförde-rung in Tirol. Sie folgt der Allgemeinmedizi-nerin Adelheid Nöbl nach, welche die beidenFunktionen zwölf Jahre lang innehatte. Kaserhat im avomed während der vergangenen dreiJahre bereits das Projekt „Richtig essen vonAnfang an – Tirol“ geleitet, das aus den Vor-sorgemitteln gefördert wird und in Workshopsin ganz Österreich der Zielgruppe der Schwan-geren, Eltern von Kleinkindern und deren An-gehörigen aktuelles Wissen zu gesunder Säug-lings- und Kleinkindernährung vermittelt.

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IM GESPRÄCH

GESUNDES ÖSTERREICH Herr Karazman, Sie beschäftigen sichseit rund 25 Jahren damit, wie Arbeitmenschlicher gestaltet werden kann.Ist die Arbeitswelt denn grundsätz-lich inhuman?Rudolf Karazman: Ja und nein. Die Arbeits-welt ist inhuman, wenn nur auf die Bilanz-zahlen geachtet wird. Dann werden die Be-schäftigten ausschließlich als Kostenfaktor be-trachtet, und es wird versucht, immer nochmehr aus den Mitarbeiter/innen herauszuholen,damit sie dem Unternehmen möglichst vielProfit bringen. Die Kostbarkeit der Beschäftigtenund der Wert von deren Know-how werdendabei übersehen. Doch diese Sichtweise bringt

auf die Dauer nicht die erhofften Resultate.Andererseits ist die Arbeit an sich schon etwaszutiefst Menschliches. Liebe und Arbeit öffnenunserem Leben Sinn, wie schon Sigmund Freuderkannt hat. Leben heißt persönliches Wachs-tum und Arbeit kann dafür ein Katalysatorsein. Daher wollen Menschen arbeiten, weilsie dabei ihre Potentiale entwickeln können.Jeder Mensch will produktiv sein.

GESUNDES ÖSTERREICH Wie können die Gegensätze zwischen Gewinnorientierung undmenschengerechter Gestaltung derArbeitswelt aufgehoben werden?Das sind nur vermeintlich Gegensätze. Wenn

Arbeit menschengerecht und damit auch ge-sundheitsförderlich gestaltet wird, dann istdas gleichzeitig auch wirtschaftlich optimal.Im Institut für Innovatives Betriebliches Ge-sundheitsmanagement (IBG) beschäftigen wiruns schon seit rund 20 Jahren damit, wasdafür im Einzelnen notwendig ist. Drei Fak-toren sind entscheidend:• die Arbeit muss quantitativ und qualita-tiv zu bewältigen sein• wir müssen Interesse daran haben undin der Arbeit Sinn, Bestätigung und Aner-kennung finden• und auf sozialer Ebene sollte das Unter-nehmen so organisiert sein, dass Menschenzusammengeführt werden und die Arbeitim Team gut funktioniert.

Der Arbeitsmediziner Rudolf Karazman erklärt im Interview weshalb jeder Mensch produktiv sein will und die meisten Manager/innen

wenig von menschengerechter Führung wissen. Text: Dietmar Schobel

Liebe und Arbeit öffnenunserem Leben Sinn

Geboren am 22. April 1955 in Nikitsch/Filezim BurgenlandSternzeichen: StierIch lebe mit meiner Frau, der Soziologin IngeKarazman-Morawetz, und unserem Sohn Niklas(19), derzeit Zivildiener, in unserer Wohnung inWien-Mariahilf.Meine Hobbys sind Golf, Schi oder Tennis,romantische Liebesfilme anzusehen, Vernissa-gen zu besuchen und Saxophon zu spielen –früher bei der Politrockband „Drahdiwaberl“und heute beim Quartett „Bolschoi Beat“: Wir haben nach langer Pause die CD

„Kosmonauten der Liebe“ aufgenommen.Ich urlaube gerne in Italien, Frankreich,Griechenland und Kuba.Im Wirtshaus bestelle ich was Gutes unddazu ein Bier.Meine Musik reicht vom Soul der 60er-Jah-re über New Wave und HipHop bis zu aktuel-lem Pop aus Österreich, zum Beispiel von„Bilderbuch“ oder „Wanda“.Auf meinem Nachtkästchen liegtder feministische Historien-Krimi „Die dunkle Wahrheit des Mondes“ von Andrea Camilleri.

Was mich gesund erhält ist,die Liebe zu meiner Frau und meinem Sohn, und meine guten Freunde, auf dieich mich verlassen kann, mit denen ich eine Hetz habe und mit denen ich michmanchmal auch streite, dass die Fetzenfliegen.Was krank machen kann ist, überfordert zu sein und keine Freude an der Arbeit und am Leben mehr zu haben.Diese drei Eigenschaften beschreibenmich am besten: Ich bin neugierig, uneitelund ungenau.

ZUR PERSON RUDOLF KARAZMAN

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Um zu messen, wie diese drei Faktoren aus-geprägt sind, haben wir seit 1995 den HumanWork Index (HWI) entwickelt, der aus 25 Fra-gen und einem wiederholt validierten Aus-wertungsalgorithmus besteht. Inzwischenwissen wir anhand von Daten aus der Befra-gung von rund 100.000 Beschäftigten, dasshohe HWI-Werte zu einem gesunden, längerenVerbleib führen, aber auch zu mehr Produk-tivität und höheren Umsätzen pro Person.

GESUNDES ÖSTERREICH Welche Rolle haben die Führungskräfte für die Gesundheitder Mitarbeiter/innen? Durch ihre Führungsqualität habenManager/innen einen großen Einfluss auf dieGesundheit der Beschäftigten. Viele habenwährend ihrer Ausbildung an der Universität

jedoch wenig über Mensch und Arbeit gelerntund meinen, wenn sie mehr Druck auf dieMitarbeiter/innen ausüben, dann werdenauch die Ergebnisse besser. Heute wissenwir aber längst, dass das nicht stimmt, unddeshalb ist es umso wichtiger im Rahmender Betrieblichen Gesundheitsförderung einenSchwerpunkt auf Maßnahmen für gesundesFühren zu legen. Das bedeutet, dieManager/innen darin zu schulen, kooperativzu führen: mit klaren Zielen und genau ab-gegrenzten Kompetenzbereichen, aber auchmit Entscheidungsspielräumen für die Be-schäftigten, wo dies möglich ist, und nichtzuletzt mit guten Strukturen für die Kom-munikation innerhalb des Unternehmens.Denn die Beschäftigten gut zu informieren,weshalb sie bestimmte Aufgaben ausführensollen, ist von wesentlicher Bedeutung.

GESUNDES ÖSTERREICH Der Anteil an älteren Menschenwächst – in Österreich ebenso wie in anderen Ländern mit hohem Wohlstand. Welche Herausforderun-gen ergeben sich daraus für die Be-triebliche Gesundheitsförderung?Ebenso wie in der gesamten Gesellschaftwird sich auch unter den Erwerbstätigen derAnteil an jüngeren Menschen weiterhin ver-ringern. Es wird also immer wichtiger, Arbeitso zu gestalten, dass sie möglichst lange undbei guter Gesundheit ausgeübt werden kann.Derzeit sind aber die meisten Unternehmen„Prime Age Companies“, deren Strukturenauf 20- bis 45-jährige Männer als Belegschaftausgerichtet sind. Das spiegelt sich auch in den Krankenständen wider, die bei den Über-45-Jährigen und Unter-20-Jährigen am Fo

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„Leben heißt persönliches Wachstumund Arbeit kann dafürein Katalysator sein.“

RUDOLF KARAZMAN, EXPERTE FÜR GESUNDE BETRIEBE

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IM GESPRÄCH

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höchsten sind. Künftig müssen die Prime AgeCompanies zu Mehrgenerationen-Unter-nehmen werden, welche die Bedürfnisse allerAltersgruppen berücksichtigen und speziellauch jene von Frauen.

GESUNDES ÖSTERREICH Was kann konkret getan werden, um Arbeit alters- und alternsgerechtzu gestalten?Mit zunehmendem Alter nehmen nur diekörperlichen Fähigkeiten ab. Die psychischenLeistungen wie Intelligenz, Aufmerksamkeitund Konzentration bleiben gleich und diesozialen Kompetenzen nehmen sogar zu.Deshalb sollten die körperlichen Belastungenfür ältere Arbeitende reduziert werden. Ab40 oder 45 Jahren wird es auch immerschwerer, Schichtarbeit zu leisten. Ältere Be-schäftigte sind aber zum Beispiel besondersgut dafür geeignet, zunehmend komplexereArbeitsaufgaben zu lösen sowie Kontaktezu Kunden zu pflegen. Ältere können auchgut als Mentor/innen für junge Berufsein-steiger/innen eingesetzt werden. Davon pro-

fitieren beide Seiten. Die älteren Beschäf-tigten, weil ihr Know-how wertgeschätztwird, und die Jungen, weil ihnen ihre erstenSchritte im Arbeitsleben erleichtert werden.Zudem brauchen wir mehr und flexiblereModelle, wie die Arbeitszeit mit steigendemAlter nach und nach verringert werden kann.Inzwischen gibt es auch schon viele Firmen,die sich erfolgreich mit dem Thema Genera-tionenmanagement befasst haben. Von Ban-ken, Industrie- und Handelsbetrieben bis zusozialen Dienstleistern.

GESUNDES ÖSTERREICH Psychische Beschwerden sind immerhäufiger ein Grund für Krankenstän-de. Sehen Sie einen Zusammenhangzur Digitalisierung der Arbeitsweltund speziell zu den Neuen Medien,weil diese vielleicht mehr Tempo undStress bei der Arbeit verursachen?Für die Neuen Medien besteht wie für alleneuen Technologien die Gefahr, dass sie aus-schließlich dafür genutzt werden, den Profitzu maximieren. Die Digitalisierung macht es

möglich, die Arbeitenden immer noch stärkerzu kontrollieren und den Druck auf diese zuerhöhen. Dadurch wird die Arbeit zunehmendunmenschlicher. Wenn die Technik an die Be-dürfnisse der Menschen angepasst wird, undnicht umgekehrt, dann können die NeuenMedien jedoch ein Segen sein. Sie werdenuns in Zukunft vernetztes Denken ermögli-chen. Das kann eine Grundlage dafür sein,die Arbeitswelt weiter zu verbessern, aberauch die Gesellschaft insgesamt.

EIN KURZER LEBENSLAUF VON RUDOLF KARAZMAN

Rudolf Karazman wurde imBurgenland in der kroatischsprechenden Gemeinde Nikitsch/Filez geboren und hatin Wien Mathematik, Physik,Psychologie und Medizin stu-diert und Ausbildungen zumFacharzt für Psychiatrie undNeurologie und zum Psychothe-rapeuten für Existenzanalyseabsolviert. Zudem ist er ausge-bildeter Arzt für Arbeitsmedizin.

„Mein besonderes Interesse fürdieses Fachgebiet hat sicherauch persönliche Gründe“,erinnert sich Karazman: „VieleMänner aus meinem burgen-ländischen Heimatdorf sind alsBauarbeiter nach Wien gepen-delt. Viele von ihnen, darunterauch mein Vater, sind letztlichan den beruflichen Belastungenrelativ früh verstorben, mit 40 Jahren oder wenig älter.“1990 hat Karazman eine Forschungsgruppe für

„Arbeitspsychiatrie“ gegründet.„Vom Konzept der Salutogene-se des Medizinsoziologen Aaron Antonovsky beeinflusst,haben wir damit begonnen,das Gesundheitspotenzialvon Arbeit zu erforschen“, er-zählt der Wissenschafter. Im sel-ben Jahr hat er in Zusammenar-beit mit dem Betriebswirt KlausNiedl auch die „Mobbing-Am-bulanz“ an der Wiener Universi-tätsklinik für Psychiatrie initiiert.1993 hat der engagierte Medi-ziner die Initiative „Der Menschzuerst – Spitalspersonal gegenAusländerfeindlichkeit“ ins Le-ben gerufen, die heute noch ak-tiv ist.

1995 hat Karazman das Institutfür Innovatives BetrieblichesGesundheitsmanagement (IBG)gegründet. „Wir sind rasch ge-wachsen und mussten selbsterst lernen, was Unternehmer-tum und Führung heißt. Dabei

habe ich viele Fehler gemachtund der Aufbau des Instituteswar deshalb gewissermaßenmeine eigene Ausbildung alsFührungskraft“, erinnert ersich. Die Grundlage der Arbeitdes IBG ist das „humanökolo-gische Modell“, das im Prinzipdie drei Bereiche „regenerier-bare Anstrengung“, „Sinnfin-dung“ und „soziale Inklusion“umfasst. Im Einzelnen bedeutetdas, dass

•die körperlichen und psychischen Belastungen durch die Arbeit zu bewälti- gen sein sollen, sodass man sich danach auch wieder ausreichend erholen kann•die Arbeit als sinnvoll erlebt wird•und dass es sozialen Zusammenhalt mit den Kolleg/innen und Vorge- setzten gibt.„Wenn diese drei Faktoren

berücksichtigt werden, kanndie Arbeit selbst gesund-heitsförderlich sein“, erklärtKarazman.

Heute ist IBG die größte Unter-nehmensberatung im BereichBetriebliches Gesundheitsmana-gement in Österreich. Das Teamvon 165 Beschäftigten umfasstunter anderem Arbeitsmedizi-ner/innen, Sicherheitsfachkräfteund Arbeitspsycholog/innen.315 Firmen und Organisationenmit rund 50.000 Mitarbeiten-den werden vom Institut für Innovatives Betriebliches Gesundheitsmanagementbetreut.

Der Institutsgründer Rudolf Ka-razman ist auch Autor mehrererFachbücher. Sein aktuellesWerk beschäftigt sich mit demThema „Human Quality Ma-nagement – MenschengerechteUnternehmensführung“.

„Derzeit sind die meis-ten Unternehmen als

,Prime Age Companies’auf 20- bis 45-jährige

Männer als Belegschaftausgerichtet.“

RUDOLF KARAZMAN

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12 gesundesösterreich

INTERVIEW

GESUNDES ÖSTERREICH Herr Haller, leben wir in einem Zeit-alter des Narzissmus?Reinhard Haller: Zunächst ist darauf hin-zuweisen, dass Narzissmus nicht von sichaus schlecht ist. Ein bestimmtes Maß anSelbstbezogenheit und Durchsetzungsver-mögen brauchen wir. Doch es gibt heuteviele Zeichen, die für eine ungesunde indivi-

duelle und gesellschaftliche Entwicklung spre-chen. Der Selbstwert hat sich in den vergan-genen Jahren aus der rechten Bahn bewegt.Menschen, die im ausgewogenen Maß da-rüber verfügen werden seltener. Eigennutz,Überschätzung der eigenen Person und kri-tiklose Überzeugung von der eigenen Groß-artigkeit sind immer öfter zu beobachten. Dasbelegen die Ergebnisse vieler wissenschaftli-

cher Untersuchungen, und das entsprichtauch unser aller Empfinden. Denken wir nurdaran, dass die meistfotografierten Sehens-würdigkeiten nicht mehr der Eiffelturm, dieGroße Mauer oder die Freiheitsstatue sind.„Selfies“ sind heute das begehrteste Foto-motiv.

GESUNDES ÖSTERREICH Was ist Narzissmus?Im griechischen Mythos erblickt sich der wun-derschöne Jüngling Narziss im spiegelndenWasser einer Quelle. Er versucht, sich mit sei-nem Ebenbild zu vereinen und ertrinkt dabei.Im Alltag wird unter Narzissmus Eigenliebeverstanden. Tatsächlich sind Narzisstinnenund Narzissten jedoch zu echter Liebe garnicht in der Lage, weder zu anderen noch zusich selbst. Der Narzissmus hat zahlreicheGesichter und ist das wahrscheinlich inte-ressanteste, vielseitigste und schillerndstepsychische Phänomen. Narzisstisches Ver-halten reicht vom Gefühl eigener Grandiositätbis zum brüchigen Selbstwert und von derFantasie grenzenloser Macht bis zur kalther-zigen Entwertung von Mitmenschen. In seinerpositiven Form ist Narzissmus Motor unsererLeistungsfähigkeit und des Fortschrittes. Wenner krankhaft wird, gehört er zu den amschwersten zu behandelnden Störungen. Nar-zissmus lässt sich nicht auf einzelne Ursachenzurückführen oder einfach erklären. Hypo-thesen gehen davon aus, dass er aus zuwenig emotionaler Zuwendung in der Kind-heit entstehen kann oder aber aus zu vielAufmerksamkeit durch „Verwöhnen“. Dennauch dabei wird meist nicht auf die echtenGefühle des Kindes eingegangen.

GESUNDES ÖSTERREICH Wodurch ist Narzissmus im Einzelnen charakterisiert?Das Lebensprinzip des Narzissten lautet: Ich, Fo

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Der Arzt, Psychotherapeut und Bestsellerautor Reinhard Haller im Interview über unsere Zeit des Narzissmus und weshalb selbstsüchtige Menschen als

Manager/innen kaum für ein gutes Betriebsklima sorgen. Text: Dietmar Schobel

Narzissten in der Chefetage

Reinhard Haller (63) ist ein österreichischerPsychiater, Psychotherapeut und Neurologe.Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Suchtfor-schung. Er ist seit 1983 Chefarzt in der Sonder-anstalt Stiftung Maria Ebene in Frastanz undLeiter des zugehörigen Krankenhauses MariaEbene, dem Vorarlberger Behandlungszentrumfür Suchtkranke. 1990 gründete Haller mit derWerkstatt für Suchtprophylaxe „Supro“ in Vor-arlberg die erste Suchtpräventionsstelle Öster-

reichs. Kampagnen wie „Kinder stark machen“oder „Mehr Spaß mit Maß“ gehen auf Hallerzurück. Von 1990 bis 2007 leitete Haller dasUniversitätsinstitut für Suchtforschung der Psy-chiatrischen Universitätsklinik Innsbruck. Dortlehrt er bis heute. Er ist außerdem als psychi-atrischer Gerichtsgutachter bekannt und ver-fasste unter anderem Gutachten zu den FällenJack Unterweger, Franz Fuchs und HeinrichGross sowie dem Amoklauf von Winnenden.

ZUR PERSON REINHARD HALLER

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13gesundesösterreich

Icher am Ichsten. Im Einzelnen ist Narzissmusdurch fünf Komponenten gekennzeichnet,die fünf großen „E“. Das sind Eigensucht,Egozentrik, Empfindlichkeit, Empathiemangelund Entwertung. Eigensucht oder Egois-mus ist durch rücksichtsloses Verhalten cha-rakterisiert, das ausschließlich persönlicheInteressen verfolgt. Egozentrik ist umfas-sender und beinhaltet auch die Unfähigkeit,einmal die Perspektive der Mitmenschen ein-nehmen zu können. Die Empfindlichkeitder meisten Narzissten ist extrem ausgeprägt.Sie sind sehr leicht kränkbar und leben inständiger Furcht vor Zurechtweisung und Ta-del. Jede Kritik, und mag sie noch so sachlichsein, erschüttert ihr innerstes Ich. Empathiemangel bedeutet, sich nicht inandere hineinfühlen zu können. Dem Nar-zissten ist Mitleid jedoch nicht völlig fremd.Aber es ist kein echtes Mitleid, sondern erbetrachtet es als „Sache“, die man einsetztund gebraucht, als eine Art Gnadenakt ge-genüber den anderen. Schließlich ist auchdie Entwertung der Mitmenschen ein we-sentliches Kennzeichen. Narzisst/innen stellenandere möglichst negativ dar oder machendiese nieder, weil das für sie notwendig ist,um sich selbst aufzuwerten.

GESUNDES ÖSTERREICH Wie gut „funktionieren“ Narzisst/innen im Beruf?Egoismus und Überzeugungsfähigkeit sindEigenschaften, die man in Führungspositionenbraucht und die häufig auch Narzisst/innenhaben. Außerdem sind sie von Lob abhängig.Das treibt sie oft zu Spitzenleistungen, da sie

große Angst vor Kritik haben und jeden An-satzpunkt dafür vermeiden wollen. Sie zeigenoft hohen Einsatz, sind durchsetzungsfähigund machen die Konkurrenz am Markt he-runter. Das ist auch aus Sicht des Unterneh-mens von Vorteil. Narzissmus ist deshalbsogar karriereförderlich, das ist durch empi-rische Untersuchungen belegt. Wenn Nar-zisst/innen einmal in höhere Positionen auf-gestiegen sind, verkehrt sich das jedoch oftins Gegenteil. Dann machen sie ihre ganzeigenen Gesetze und ihre gesamte Umge-bung leidet unter ihnen. Sie behandeln ihreMitarbeiter/innen entwertend und entwür-digend, hören nicht auf berechtigte Einwän-de anderer und entlassen grundlos verdienteBeschäftigte. Narzisst/innen haben nur einetolle Fassade, sind jedoch innerlich schwach.Das ist von Charismatiker/innen zu unter-scheiden, die über eine Art gesunden Nar-zissmus verfügen und innerlich stark sind.

GESUNDES ÖSTERREICH Trifft man heute in den Chefetagenhäufig auf Narzisst/innen?Bei einem Arbeitsessen habe ich einmal ge-hört, wie hoffnungsvolle Jungmanager/innenihren Chef als „Pseudonarzissten“ kritisierthaben. Die Betonung lag dabei auf dem„Pseudo“. Der Narzissmus ist also offenbarin den Chefetagen schon so verbreitet, dasses als Nachteil gilt, diese begehrte Haltungnur vermeintlich zu pflegen. Narzisst/innenkommt auch entgegen, dass aktuell für eineFührungspersönlichkeit soziale Kompetenzscheinbar nicht mehr gefragt ist. Wer vieleMitarbeiter/innen entlassen musste, galt frü-

her als Sozialbankrotteur. Heute kann er sichdamit als guter Sanierer profilieren.

GESUNDES ÖSTERREICH Wie sollte man Narzisst/innen ambesten begegnen?Die beste Strategie ist, den Narzissten zuspiegeln und ihm mit Lob zu begegnen.Gleichzeitig sollte man darauf achten, seineAutonomie zu bewahren, also sich nicht ver-einnahmen zu lassen. Auf das gesamte Un-ternehmen bezogen kann Betriebliche Ge-sundheitsförderung durchaus eine Art Medizingegen den aktuellen Trend zum Narzissmussein, da sie geeignet ist, die Teamkultur zuverbessern. Vielen Verantwortlichen in derWirtschaft ist heute bewusst, dass sich etwasändern muss. Narzisst/innen begegnen unsheute immer häufiger, manchmal sogar imeigenen Spiegelbild. Deshalb sollten wir nichtzuletzt auch bei uns selbst beginnen.

„Das Lebensprinzip des Narzissten lautet:Ich, Icher am Ichsten.“

REINHARD HALLERARZT, PSYCHOTHERAPEUT UND BESTSELLERAUTOR

Im rechten Maß ist Narzissmus unerlässlich,um einen gesunden Selbstwert zu entwi-ckeln, leistungsfähig und kreativ zu sein. ImÜbermaß bildet er die Basis von Kränkun-gen, Neurosen, Gier und Konflikten. Narzisstist nicht nur der, der Erfolge feiert und Lobwie die Luft zum Atmen braucht, sondernauch der anstrengende Energiesauger, derstille Leider und im schlimmsten Fall derPsychopath. In „Die Narzissmusfalle“ skiz-ziert der Psychiater und PsychotherapeutReinhard Haller auf 208 Seiten anhand vonvielen Beispielen mögliche Ursachen unddie vielfältigen Erscheinungsformen diesespsychischen Phänomens. Das Buch ist eben-so kenntnis- und inhaltsreich, wie amüsantund leicht lesbar geschrieben. Einzelne Kapitel befassen sich zum Beispiel mit der„der narzisstischen Gesellschaft“ sowie mitder Frage: „Narzissmus als Chance oderHindernis im Beruf?“.

Reinhard Haller: „Die Narzissmusfalle“. Salzburg, 2013, Ecowin Verlag. 208 Seiten, 21,90 !.

BUCHTIPP:DIE NARZISSMUSFALLE

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14 gesundesösterreich

UMFRAGE

Stefan Spitzbartzuständig für Gesundheitsförderung und Prävention beim Hauptverband der österreichischen SozialversicherungsträgerGesundheit ist kein Luxus, deshalb ist grundsätzlich jeder, der durch Betriebliche Gesundheitsförderung erreicht wird,auch der Richtige. Gleichzeitig ist unser Ziel, möglichst viele Menschen aus allen Gruppen der Bevölkerung miteinzube-ziehen. Die Expert/innen, die Gesundheitsförderung in die Betriebe bringen, sollten aber genau hinsehen, welche Unter-nehmen und welche Mitarbeiter/innen sie erreichen. Sie sollten etwa speziell darauf achten, ob in einem Betrieb bei-spielsweise Zeitarbeiter/innen, Menschen mit Migrationshintergrund oder alleinerziehende Frauen beschäftigt sind. DerProzess der Betrieblichen Gesundheitsförderung ist insgesamt komplex, und man muss das Thema Chancengerechtig-keit in allen Phasen mit berücksichtigen. Bereits zu Beginn, also bei der Analyse des Ist-Zustandes, sollten deshalb ent-sprechende Erhebungsinstrumente ausgewählt werden. In der Folge sollten Angebote zur Beteiligung geschaffen wer-den, die für alle zugänglich sind. Eine Möglichkeit ist die „Photo-Voice-Methode“. Dabei werden die Beschäftigten ge-beten, Aufnahmen zum Thema „Gesundheit“ in ihrem Betrieb zu machen. Das fällt manchen leichter, als sich in derWorkshop-Situation eines Gesundheitszirkels zu artikulieren. Nachholbedarf besteht speziell auch bei den kleinen undmittleren Unternehmen mit bis zu 250 Beschäftigten. Von der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse wurde des-halb ein Konzept speziell für diese Unternehmen als Pilotprojekt erprobt. Es wird nun standardisiert von allen Kranken-versicherungsträgern angeboten.

Ingrid ReifingerFachexpertin für Arbeitnehmer/innenschutz des Referats für Gesundheitspolitik des Österreichischen GewerkschaftsbundesBetriebliche Gesundheitsförderung ist tatsächlich nicht in allen Betrieben in ähnlicher Weise verbreitet und erreicht auchnicht alle Zielgruppen in ähnlichem Ausmaß. Besonders in gut organisierten, größeren Betrieben ist Betriebliche Gesund-heitsförderung bereits etabliert. Diese haben dadurch eine Vorreiterfunktion und können als Beispiele guter Praxis dienen. Inkleineren Unternehmen, bei bestimmten Zielgruppen und in einigen Branchen gibt es jedoch bestimmt noch großen Nach-holbedarf. Wir müssen deshalb versuchen, diese Betriebe und Zielgruppen verstärkt zu erreichen. Das umfasst zum BeispielTeilzeit arbeitende Männer und Frauen mit Betreuungspflichten, Zeitarbeiter/innen oder auch Leiharbeiter/innen, Nacht-schichtarbeiter/innen und Außendienstmitarbeiter/innen. Nach Branchen betrachtet gibt es etwa im Reinigungs- und Gast-gewerbe sowie im Einzelhandel zwar erste gute Pilotprojekte, aber insgesamt noch viel zu wenig Betriebliche Gesundheits-förderung. Wir müssen uns auch neue Wege überlegen, wie wir Gesundheitsförderung zu denjenigen bringen können, de-nen sie bislang kaum zugute kommt. Betriebsrät/innen und Sicherheitsvertrauenspersonen können dabei eine wichtigeFunktion haben. Sie geben oft die ersten Impulse dafür, Betriebliche Gesundheitsförderung in einem Unternehmen umzuset-zen. Außerdem gilt es natürlich auch, die Arbeitgeber/innen zu überzeugen. Bessere Gesundheit der Arbeitnehmer/innenmacht Firmen auch wirtschaftlich erfolgreicher. Wir wissen heute aus zahlreichen Studien, dass jeder Euro der in BetrieblicheGesundheitsförderung investiert wird, einen Ertrag von vier bis sechs Euro zurückbringt.

Ulrike KleinGesundheitspolitische Referentin der Abteilung für Sozialpolitik und Gesundheit der Wirtschaftskammer ÖsterreichBetriebliche Gesundheitsförderung ist keinesfalls ein Luxusangebot, sondern richtet sich immer an alle Beschäftigten, die sich be-teiligen wollen. Und bei den Expert/innen, die Betriebliche Gesundheitsförderung umsetzen, ist jedenfalls schon ein hohes Be-wusstsein für unterschiedliche Zielgruppen vorhanden. Gesundheitsthemen sollten deshalb so kommuniziert werden, dass sich al-le gut angesprochen fühlen. Zwingen können und wollen wir aber niemanden. Gesundheit ist ein Thema, das alle Lebensbereichebetrifft und manche Mitarbeiter möchten vielleicht einfach zum Beispiel das Sportangebot im Betrieb nicht nützen. Auch gut, wirleben in einer freien Gesellschaft. Nachholbedarf besteht generell eher in Kleinbetrieben. Eine aktuelle Umfrage des Beratungsun-ternehmens Mercer zeigt, dass nur knapp 23 Prozent der Betriebe mit bis zu 25 Mitarbeiter/innen Maßnahmen der Gesundheits-förderung anbieten. Bei den Großbetrieben mit über 250 Mitarbeiter/innen hat sich hingegen in den vergangenen Jahrzehntenenorm viel getan und dieser Anteil beträgt dort schon etwa 92 Prozent. Mit „proFITNESS“ hat die Wirtschaftskammer Österreichdeshalb eine Initiative ins Leben gerufen, die speziell kleine und mittlere Unternehmen auf ihrem Weg zu mehr Gesundheitsförde-rung nachhaltig unterstützen soll. Auf der Website www.profitnessaustria.at ist Näheres dazu nachzulesen. Betriebliche Ge-sundheitsförderung ist für die Unternehmen natürlich auch eine Kostenfrage. Deshalb wäre es wichtig, steuerliche Anreize zuschaffen, wie es sie etwa in Deutschland gibt. Dort sind Gesundheitsmaßnahmen im Wert von 500 Euro pro Mitarbeiter und Jahrsteuerfrei und auch von Sozialversicherungsbeiträgen befreit.

Ist Gesundheitsfo!rderung ein Luxusangebot für jene, die ohnehin schon gute Jobs haben?Oder unterstu!tzt sie auch Beschäftigte mit besonders hohen Belastungen? Drei Fachleute antworten.

Erreicht Betriebliche Gesundheitsförderung die Richtigen?

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WISSEN

15gesundesösterreich

plätze, hohe Schülerzahlen inKlassen, Lärm oder ein schwie-riger Umgang mit Eltern ge-nannt.AVOS Salzburg bringt deshalbBetriebliche Gesundheitsförde-rung zu den Pädagog/innen. Dasgeschieht im Rahmen zweier Pro-jekte, die Bildungsstätten für Kin-der, Eltern, Lehrkräfte und Kin-dergärtner/innen insgesamt ge-sünder gestalten sollen. Das sinddas vom Fonds Gesundes Öster-reich und vom Land Salzburg ge-förderte Projekt „Gesunder Kin-dergarten Salzburg“, durch dasbislang 21 Kindergärten mit rund230 Pädagog/innen erreicht wer-den konnten, sowie das Projekt„Gesunde Volksschule Salzburg“mit bislang 24 zertifizierten Volks-

AVOS SALZBURG

Der Arbeit von Pädagog/innenkann eine der schönsten sein.Laut einer Dokumentation vonGIVE – der Servicestelle für Ge-sundheitsbildung geben diese„Inspiration im Beruf“ und diesoziale Unterstützung durch pri-vate Kontakte und Kolleg/innenauch als wichtigste Quellen vonGesundheit am Arbeitsplatz an.Dem stehen spezifische Belas-tungen gegenüber. An erster Stel-le ist das laut einer Erhebungdas falsche Bild vom Lehrberufin der Öffentlichkeit. An zweiterStelle folgen Zeitstress und quan-titative Überforderung. Weiterswerden unzureichende Arbeits-

schulen mit 226 Lehrpersonen.Letzteres wird durch das LandSalzburg und die Versicherungs-anstalt öffentlich Bediensteter(BVA) unterstützt.„Gesundheitszirkel für die Päda-gog/innen sind einer unserer Pro-jektinhalte und dafür werden zuBeginn unter Anleitung einer Ar-beitspsychologin oder eines Ar-beitspsychologen die Belastun-gen, aber vor allem auch die Res-sourcen bei der Arbeit bespro-chen“, erklärt Christine Winkler-Ebner von AVOS. Gemeinsamwird dann erarbeitet, welche ver-hältnis- und verhaltensorientier-ten Interventionen notwendigsind, um das Arbeitsumfeld zuoptimieren. Die Palette der Maßnahmen umfasst die ergo-Fo

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Pädagog/innen bei der Arbeit entlastennomische Gestaltung von Ar-beitsplätzen, Teamentwicklungoder die Verbesserung von Ar-beitsabläufen ebenso wie Kursefür Rückenfitness, Zeit- undStressmanagement.

Christine Winkler-Ebner von AVOS: „Gemeinsam gesündere Arbeitsbedingungenfür die Pädagog/innen zu schaffen, ist einerder Inhalte unserer Projekte.“

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Mehr Lebensqualität im Alter

16 gesundesösterreich

NEUER FH-STUDIENGANG

Der steigende Anteil ältererMenschen in der Bevölkerungstellt das Gesundheits- und So-zialwesen, aber auch Gemein-den und Städte sowie viele Wirt-schaftsbranchen vor neue He-rausforderungen. Ein neuerFachhochschul (FH)-Studien-gang zum Thema „Aging Ser-vices Management“ soll des-halb Kompetenzen für alter(n)s-gerechtes und kosteneffizientesManagement im Gesundheits-und Sozialwesen vermitteln so-wie zur Implementierung inno-vativer Konzepte zur Förderungder Lebensqualität im Alter. Be-rufsbegleitend und im Fernstu-dium werden fächerübergrei-fend relevante Kenntnisse in Be-reichen wie Public Health, Ge-rontologie und Wirtschaft sowie

zu neuen Technologien wie E-Health und Ambient AssistedLiving vermittelt. Dies wird durchSchlüsselqualifikationen wie Pro-jektmanagement ergänzt. DerStudiengang richtet sich an Per-sonen aus dem Gesundheits-und Sozialwesen, aber auch anjene aus anderen Branchen, diesich auf Produkte und Dienst-leistungen für eine älter wer-

dende Bevölkerung spezialisierenmöchten, speziell auch auf ak-tuelle Informations- und Kom-munikationstechnologien. Stu-diengangsleiterin ist die Psycho-login und Public Health-ExpertinKarin Waldherr.Weitere Informationen sind unterwww.fernfh.ac.at nachzule-sen, der Website der FerdinandPorsche FernFH-Studiengänge.

WISSEN

STUDIE DER GESUNDHEIT ÖSTERREICH GMBH

Migration undGesundheit

„Menschen mit Migrationshintergrundhaben im Wesentlichen die gleichenGesundheitsprobleme wie die Gesamtbe-völkerung, nehmen das Gesundheitswe-sen im niedergelassenen Bereich aber sel-tener in Anspruch. Die zentrale Herausfor-derung ist somit, bestehende Barrierenabzubauen“, erklärte Gesundheitsministe-rin Sabine Oberhauser im Jänner anlässlichder Präsentation einer Literaturanalysezum Thema „Migration und Gesundheit“.Diese fasst die Ergebnisse mehrerer Studi-en zusammen und ist von der GesundheitÖsterreich GmbH im Auftrag des Gesund-heitsministeriums und der Arbeiterkam-mer Wien durchgeführt worden.Laut der Studie nehmen Personen mitMigrationshintergrund speziell auchAngebote der Gesundheitsfo !rderung undPra!vention seltener wahr. „Wer wenigerverdient, hat auch weniger Zeit und Geld,um etwas für seine Gesundheit zu tunund ist häufig im Beruf durch harteArbeit besonders belastet. Das gilt geradeauch für Migrantinnen und Migranten,von denen viele eher zu den unteren Ein-kommensgruppen gehören“, stellte des-halb Rudolf Kaske, der Präsident derArbeiterkammer, bei der Vorstellung derStudie fest und ergänzte: „WirksameGesundheitsvorsorge fängt deshalb vorallem bei der Beseitigung von sozialerUngleichheit an.“

Fehlzeitenreport 2014 fürDeutschland

BUCHTIPP

Zahlen, Daten und Analysenaus allen Branchen der Wirt-schaft liefert jedes Jahr derFehlzeitenreport für Deutsch-land. In der aktuellen Aus-gabe sind ausführliche Be-schreibungen der krankheits-bedingten Fehlzeiten der elfMillionen AOK-versichertenBeschäftigten in rund 1,2Millionen Betrieben im Jahr2013 enthalten. Darüber hi-

naus wird aufgezeigt, was ei-ne betriebliche Personal- undGesundheitspolitik kenn-zeichnet, durch die Arbeits-plätze möglichst gesund ge-staltet werden. Einzelne Ab-schnitte widmen sich zumBeispiel den Themen „Zu-künftige Führungserforder-nisse“ und „Zukünftige Be-legschaften“ oder enthaltenpraktische Beispiele für Ge-sundheitsförderung und Ge-sundheitsmanagement ausverschiedenen Branchen.

Fehlzeiten-Report 2014herausgegeben von Bernhard Badura, Antje Ducki, Helmut Schröder, Joachim Klose und Markus Meyer. Springer Verlag2014, 575 Seiten, 54,99 !.

Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser: „Die zen-trale Herausforderung ist, bestehende Barrieren abzubauen.“

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17gesundesösterreich

WISSEN

FACHLITERATUR

FundiertesHandbuch für

die Arbeitswelt

Betriebliche Gesundheitsförderung undBetriebliches Gesundheitsmanagementwerden in Zukunft noch an Bedeutunggewinnen. Im Handbuch „Gesundheits-förderung und Gesundheitsmanagementin der Arbeitswelt“, das von Eva Bamberg,Antje Ducki und Anna-Marie Metz heraus-gegeben wurde, ist auf 850 Seiten eine Fül-le von fundierten Informationen zu diesenThemen enthalten. Das Werk soll sowohldie praktische als auch die wissenschaftli-che Arbeit in den genannten Handlungs-feldern unterstützen und stellt unteranderem grundlegende Modelle undMethoden vor. Weitere Beiträge beschäfti-gen sich mit spezifischen Themen wieetwa Sucht und Mobbing und bestimmtenZielgruppen, Branchen und Berufsgrup-pen oder befassen sich mit aktuellen Ent-wicklungen wie der Flexibilisierung vonArbeit, Leiharbeit, Arbeit auf Abruf oderin Call-Centern.

Gesundheit beginnt im Kindesalter

UNI-LEHRGANG „HEALTH & FITNESS“

Weltweit gibt es immer mehrübergewichtige Kinder. Bishe-rige Präventionsmaßnahmengreifen nur bedingt. Umsowichtiger ist es dieser Entwick-lung entgegenzuwirken. JeneKompetenzen, die dafür not-wendig sind, aber auch jenefür „Health & Fitness“ im All-gemeinen soll ein Masterlehr-gang der Universität Salzburgvermitteln. Die praxisorientierteAusbildung umfasst unter an-derem Einheiten aus den Be-reichen Psychologie und Be-wegungswissenschaft, Trai-ningswissenschaft, Gesund-

heitswesen und Prävention. DerLehrgang richtet sich an Men-schen, die im Gesundheitsbe-reich Führungspositionen inne-haben oder anstreben. Er wirdmit dem Titel „Master of Science“abgeschlossen und beginnt

wieder im Februar 2016. DerLehrgang dauert vier Semesterund die Gesamtgebühr beträgt6.600 Euro. Weitere Informa-tionen enthält die Websitewww.uni-salzburg.at/spo/healthandfitness

Neue Arbeitsgruppe fürpsychosoziale Gesundheit

ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR

PUBLIC HEALTH

Die Österreichische Gesellschaftfür Public Health (ÖGPH) setztsich für nachhaltige gesund-heitsorientierte Strukturen inGesellschaft und Politik ein. Alszentrale Plattform für PublicHealth in Österreich will dieFachgesellschaft verschiedeneAkteur/innen aus ganz unter-schiedlichen gesellschaftlichenLebensbereichen miteinandervernetzen. Die Mitglieder sindHealth Professionals, Sozial-,Wirtschafts- und Politikwissen-schafter/innen, Expert/innen

aus dem Krankenhausbereich,dem öffentlichen und privatenGesundheitswesen sowie derVerwaltung und dem Versiche-rungsbereich. Sie sind in Praxis,Lehre und Forschung tätig. Eineneu gegründete Arbeitsgruppeder ÖGPH beschäftigt sich nun-mehr speziell mit „Mental Health“ oder auch „psychoso-zialer Gesundheit“. „Trotz dersteigenden Zahl psychischer Er-krankungen und der insgesamtsehr großen Bedeutung diesesThemas ist die fundierte nach-haltige Auseinandersetzung mitden psychosozialen Dimensio-nen von Gesundheit und Krank-heit in Forschung, Praxis undPolitik auch in Österreich noch

keine Selbstverständlichkeit“,meint Thomas Niederkroten-thaler von der MedUni Wien,der die Gruppe mit initiiert hatund ergänzt: „Wir wollen dazubeitragen, das zu verbessern.“

Thomas Niederkrotenthalervon der MedUni Wien

Gesundheitsförderung und Gesund-heitsmanagement in der Arbeitsweltherausgegeben von Eva Bamberg, AntjeDucki und Anna-Marie Metz. Hogrefe Verlag, 2011, 847 Seiten, 59,95 !.

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18 gesundesösterreich

WISSEN

Durch Betriebliche Gesundheits-förderung werden Organisatio-nen insgesamt systematisch ge-

sünder gestaltet. Dem Thema psycho-soziale Gesundheit müssen wir dabeiin Zukunft besondere Aufmerksamkeitwidmen. Denn in den vergangenen Jah-ren und Jahrzehnten haben die psycho-sozialen Belastungen der Erwerbstäti-gen stetig zugenommen und gleichzei-tig waren auch zunehmend mehr Be-schäftigte von psychischen Erkrankun-gen betroffen“, sagt Klaus Ropin, derLeiter des Fonds Gesundes Österreich.Das bestätigt unter anderem ein 2012veröffentlichter Bericht des österrei-chischen Wirtschaftsforschungsinstitu-tes. Ein Drittel der unselbsta!ndig be-scha!ftigten Ma!nner und ein Viertel derFrauen geben an, dass sie durch Zeit-druck und Überbeanspruchung sub-jektiv in ihrem psychischen Wohlbefin-den beeintra!chtigt sind. Gleichzeitighat sich die Zahl der Fehltage aufgrundvon psychischen Erkrankungen zwi-schen 1996 und 2013 in Österreich fastverdreifacht, während bei den „restli-chen Krankheiten“ sogar ein leichterRückgang zu verzeichnen war.„In allen westlichen Ländern haben diepsychosozialen Belastungen bei der Ar-beit deutlich zugenommen, und dasbetrifft die Privatwirtschaft, aber auchden Öffentlichen Dienst“, sagt auchThomas Mattig, der Geschäftsführer vonGesundheitsförderung Schweiz. NachBranchen und Hierarchien betrachtet,sei der negative Stress in den sozialenund Gesundheitsberufen sowie bei Füh-rungskräften besonders stark ange-wachsen, so Mattig: „Die Megatrends,die das ausgelöst haben, heißen Flexi-bilität, Mobilität und Beschleunigung.“

Wie Betriebliche Gesundheitsförderungdiesen neuen Herausforderungen ambesten gerecht werden kann, war auchThema einer vom Fonds GesundesÖsterreich veranstalteten Dreiländer-tagung, zu der sich Fachleute aus Öster-reich, Deutschland und der SchweizEnde März in Bregenz getroffen haben.

Tiefgreifende VeränderungenTatsächlich hat sich die Arbeitswelt seitden 1980er-Jahren rasant und grund-legend gewandelt. Der Wettbewerbzwischen Unternehmen, aber auch zwi-schen Beschäftigten hat zugenommen,Arbeit und Einkommen sind für vieleunsicher geworden und Arbeit wird inwachsendem Ausmaß mobil und fle-xibel geleistet, also ohne feste räumlicheund zeitliche Strukturen. Gleichzeitighaben neue Technologien wie voll-automatische Systeme in der Produk-tion oder die digitalen Medien großeBedeutung bekommen. „Wir steckenmitten in einer tiefgreifenden Verände-rung, aus der neue Gefahren aber auchneue Möglichkeiten entstehen“, meint

Antje Ducki, Professorin für Arbeits-und Organisationspsychologie an derBeuth Hochschule für Technik Berlin.„Wir müssen diese Veränderungen des-halb im Interesse der arbeitenden Men-schen positiv gestalten – und das wirdletztlich auch gelingen.“Aus Sicht der Fachleute, die BetrieblicheGesundheitsförderung umsetzen, solltedas vor allem umfassen, jene stetigwachsenden Gruppen von Arbeitendenmit einzubeziehen, bei denen dies bis-lang noch nicht in ausreichendem Maßgelungen ist. „Die Anzahl der Zielgrup-pen, die das betrifft, weil sie mental,räumlich, zeitlich, kulturell oder sprach-lich schwer erreichbar sind, ist großund reicht von Kleinstunternehmenüber hochmobile Beschäftigte, Freelan-cer und Migranten bis zu Geringqua-lifizierten. Gerade deswegen müssenwir unsere Konzepte jedoch an die spe-zifische Ausgangssituation der jewei-ligen Gruppe anpassen“, sagt Ducki.Eine Möglichkeit dafür seien so ge-nannte „Huckepackverfahren“, erklärtdie deutsche Wissenschafterin: „Das

Stress, lass’ nachDer Druck bei der Arbeit ist in den vergangenen Jahrzehnten gestiegen undgleichzeitig auch die Zahl der Fehltage aufgrund von psychischen Beschwerden.Ist Betriebliche Gesundheitsförderung eine „Medizin“ dagegen? Text: Dietmar Schobel

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kann zum Beispiel bedeuten, das The-ma ,Innovationsfähigkeit’ mit dem The-ma Gesundheit zu verbinden, um Klein-betriebe dadurch besser zu erreichen.“

Gesundes Führen ist zentralFür die Reduktion der psychosozialenBelastungen insgesamt wird in Deutsch-land aktuell auch das Projekt PsychischeGesundheit in der Arbeitswelt oderkurz „psyGA“ durchgeführt. „Wir ha-ben das vorhandene Know-how ge-bündelt und für die verschiedenen Be-reiche der Arbeitswelt aufbereitet undmachen es nun mit Hilfe von 20 erfah-renen institutionellen Kooperations-partnern bekannt“, erklärt der Projekt-

leiter Reinhold Sochert vom Dachverbandder deutschen Betriebskrankenkassen(BKK) und ergänzt: „Der Evaluations-bericht für die ersten drei Jahre unsererInitiative hat gezeigt, dass unsere In-strumente praxistauglich sind.“ Näheresdazu ist unter psyga.info nachzulesen.Klaus Ropin betont, dass zur Reduktionder psychosozialen Belastungen derSchwerpunkt vor allem auch auf Maß-nahmen für „gesundes Führen“ gelegtwerden sollte. „Wir wissen, dass dieQualität der Führung, die psychosozialeGesundheit der Mitarbeiter/innen ganzwesentlich beeinflusst“, sagt der Leiterdes Fonds Gesundes Österreich underklärt, dass „gesund zu führen“ be-deute, „kooperativ und mitarbeiterori-entiert“ zu führen und gleichzeitig klare

Ziele für die Organisation vorzugeben.„Die seit 2013 gesetzlich vorgeschrie-bene Evaluierung der psychosozialenBelastungen am Arbeitsplatz kann inÖsterreich für die Betriebe ein guterAnstoß sein, diesem Thema mehr Auf-merksamkeit zu geben“, meint Ropin.Auch Thomas Mattig betont, dass Au-tonomie und Wertschätzung der Mit-arbeitenden offenbar für deren psy-chosoziale Gesundheit sehr wichtigseien. „Letztlich gilt das aber auch fürdie Gesundheitsförderung insgesamt,sofern sie im gesamten Betrieb syste-matisch durchgeführt und zu einemTeil der Unternehmenskultur wird“,sagt der Geschäftsführer von Gesund-heitsförderung Schweiz zusammen-fassend.

19gesundesösterreich

WAS UNS BEI DER ARBEIT PSYCHISCH BELASTEN KANN

Dem deutschen „Stressreport“2012 können die „Top 4“ der psy-chosozialen Belastungen entnom-men werden. An erster Stelle steht„starker Termin- und Leistungs-druck“, der bei 52 Prozent der Be-fragten häufig ist und von demsich 34 Prozent auch belastet füh-len. Arbeitsunterbrechungen sindfür 26 Prozent eine Belastung undsehr schnelles Arbeiten und Mul-titasking jeweils für knapp 20 Pro-zent. Für Österreich dokumentiertder Bericht „Psychische Belastun-gen am Arbeitsplatz und ihre Fol-gen“ des Wirtschaftsforschungs-institutes, dass 34 Prozent der

unselbständig beschäftigten Män-ner und 26 Prozent der unselb-ständig beschäftigten Frauen unterZeitdruck und Überbeanspruchungbei der Arbeit leiden. Wer sich durch die Arbeitsanfor-derungen belastet fühlt, erkranktim Durchschnitt betrachtet auchhäufiger als andere an psychischenund körperlichen Leiden. „Eine ak-tuelle Überblicksarbeit der MartinLuther Universität Halle-Wittenbergstellt zum Beispiel fest, dass zuhohe Arbeitsintensität sowie zugeringer Handlungsspielraum dasRisiko für Depressionen und Angst-störungen deutlich erhöhen“,

erklärt Reinhold Sochert, vomDachverband der deutschen Be-triebskrankenkassen.Die Arbeitsorganisation ist freilichnur ein Bereich, in dem negativerStress entstehen kann. EmotionaleAnforderungen, wie etwa Furchtoder Ärger unterdrücken zu müs-sen, geringe Autonomie bei derArbeit, keinen Sinn oder Nutzenin der eigenen Tätigkeit zu sehensowie keine soziale Unterstützungzu erhalten sind laut dem EuropeanWorking Conditions Survey derEuropäischen Union die weiterenwichtigsten Risikofaktoren für diepsychosoziale Gesundheit.

Allgemein anerkannt ist auch dasModell der „Gratifikationskrise“des Medizinsoziologen JohannesSiegrist. Laut diesem ist es für dieGesundheit wesentlich, dass dieAnstrengungen bei der Arbeit unddie Anerkennung dafür in einemausgewogenen Verhältnis zueinan-der stehen. Wer subjektiv den Ein-druck hat, dass seine Leistungennicht entsprechend gewürdigt wer-den, leidet nicht nur psychisch da-runter. Auch die Wahrscheinlichkeitfür körperliche stressbedingte Lei-den, wie etwa koronare Herzerkran-kungen, steigt in hohem Maß unddie Lebenserwartung wird verkürzt.

Klaus Ropin: „Wir müssen derpsychosozialen Gesundheit be-sondere Aufmerksamkeit widmen.“

Thomas Mattig: „Die Belastun-gen haben in allen westlichenLändern deutlich zugenommen.“

Reinhold Sochert: „Im Projekt,psyGA’ haben wir praxistauglicheInstrumente für mehr psychoso-ziale Gesundheit entwickelt.“

„Wir stecken mitten in einer tiefgreifenden

Veränderung der Arbeitswelt und müssendiese im Interesse der arbeitenden Menschen

positiv gestalten.“ANTJE DUCKI,

PROFESSORIN FÜR ARBEITS- UND ORGANISATIONSPSYCHOLOGIE

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20 gesundesösterreich

WISSEN

Es begann in Oberösterreich. 1993wurde im Landesverlag in Linzmit rund 200 Beschäftigten das

erste Pilotprojekt für systematische undumfassende Betriebliche Gesundheits-förderung (BGF) in Österreich gestartet.Ein wesentliches Kriterium stand da-mals wie heute im Mittelpunkt: Parti-zipation, also der Grundsatz, dass sichmöglichst zahlreiche Mitarbeiterinnenund Mitarbeiter aktiv daran beteiligensollen, gesundheitsförderliche Maßnah-men für ihren Betrieb zu erarbeiten undumzusetzen.Was heißt das in der Praxis? Im Lan-desverlag etwa hatten durch das Pilot-projekt viele Mitarbeitende erstmals dieGelegenheit, in so genannten „Gesund-heitszirkeln“ ihre Meinung zu Gesund-heitsthemen und damit auch zu ihrerArbeitssituation insgesamt zu äußern.Allein das hat schon zu einer besserenArbeitsmotivation beigetragen, was sichwiederum positiv auf die Gesundheitauswirkt. Von den Beschäftigten wur-den aber auch viele konkrete Maßnah-men für bessere Gesundheit vorgeschla-gen und in der Folge umgesetzt.So erhielten etwa die Mitarbeiter/innenan den Leuchttischen, die Möglichkeit,zwischendurch Ausgleichsübungen zumachen. Denn bei dieser Arbeit mussteeine „Zwangshaltung“ eingenommenwerden. Beim Sortieren schwerer Pa-pierstöße wurden Paletten untergelegt,damit diese Tätigkeit Rücken schonen-der ausgeführt werden konnte. Unddie Staubbelastung an den Arbeitsplät-zen in der Druckerei wurde durch ei-nige einfache Maßnahmen verringert,um nur drei Beispiele zu nennen. 1995wurde das Projekt nach eineinhalb Jah-

ren Laufzeit ausgewertet. Die Resultate:Die Krankenstandsrate wurde geringer,die Arbeitszufriedenheit erhöht unddie Beziehungen der Beschäftigten zuKolleg/innen und Vorgesetzten konn-ten verbessert werden.

Strukturaufbau in Österreich1994 wurde in der Steiermark an allenStandorten der Naintscher Mineral-werke das zweite Pilotprojekt in Öster-reich durchgeführt. „Auch hier erhiel-ten viele Beschäftigte durch die Maß-nahmen zur Betrieblichen Gesundheits-förderung erstmals die Gelegenheit,im Unternehmen mitzureden und mit-zugestalten“, erinnert sich Beate Atzler,die das Projekt damals betreut hat und

heute Geschäftsführerin des Institutesfür Gesundheitsförderung und Prä-vention (IfGP) ist. Schon im folgendenJahr wurde in der Steiermark undOberösterreich damit angefangen, sys-tematische und umfassende BGF lan-desweit anzubieten. Dafür wurden standardisierte Abläufeentwickelt, die sich inzwischen längstbewährt haben. Projekte zur Betriebli-chen Gesundheitsförderung beginnendamit, dass eine Steuerungsgruppeetabliert und eine Analyse des IST-Zu-stands mit Bezug auf Gesundheitsthe-men durchgeführt wird. In der Folgekönnen alle Mitarbeiter/innen zu denbereits erwähnten moderierten Gesund-heitszirkeln eingeladen werden. Im

1993 wurde mit Pilotprojekten für Betriebliche Gesundheitsförderung in Öster-reich begonnen. In der Folge wurden bundesweit gute Strukturen etabliert. Jetztgeht es darum, das Konzept möglichst flächendeckend umzusetzen. Text: Dietmar Schobel

Tragfähige Strukturen fürgesunde Betriebe in Österreich

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21gesundesösterreich

DAS DREISTUFIGE BGF-QUALITÄTSSICHERUNGS-SYSTEM IN ÖSTERREICH

Stufe 1 ist die BGF-Charta:Unternehmen, die diese unterzeichnen, do-kumentieren damit unverbindlich ihre Ab-sicht, sich den Grundsätzen der BGF zu ver-pflichten. Dazu zählt ein ganzheitliches Ver-ständnis von Gesundheit. Das heißt, diesewird als umfassendes körperliches, seelischesund soziales Wohlbefinden definiert. Weiterssollen• die Beschäftigten sich in größtmöglichem Maß daran beteiligen, gesundheitsför- derliche Maßnahmen für den Betrieb zu erarbeiten• es soll für BGF-Projekte ein kompetentes Management geben• BGF soll in die Unternehmenskultur integriert werden• und sie soll eine Führungsaufgabe sein.Werden im jeweiligen Unternehmen inner-halb von zwei Jahren keine gesundheitsför-dernden Maßnahmen realisiert, wird es wieder von der Liste der „Charta-Betriebe“genommen.

Stufe 2 ist das BGF-Gütesiegel:Es ist das zentrale Element des Qualitätssi-cherungssystems des Österreichischen Netz-werkes für Betriebliche Gesundheitsförde-rung. Das Gütesiegel wird für jeweils drei

Jahre an Unternehmen verliehen, die vor Kur-zem ein Projekt der Betrieblichen Gesund-heitsförderung abgeschlossen haben oder ansolche Firmen, die BGF bereits in ihren regu-lären Betrieb integriert haben und sie im Ar-beitsalltag umsetzen. Das Gütesiegel wirdnach genauen Kriterien vergeben. Zunächstprüft ein Fachinstitut die Qualität der BGF imjeweiligen Unternehmen und die Ergebnissedieser Prüfung werden dann noch von einerFachjury begutachtet. Seit der Einführung desQualitätssicherungssystems 2004 gab es be-reits 960 Verleihungen des BGF-Gütesiegels.Ende 2014 waren 667 österreichische Betrie-be mit rund 334.000 Beschäftigten damitausgezeichnet. Außerdem fanden bislang293 Wiederverleihungen statt.

Stufe 3 ist der Österreichische Preis fürBetriebliche Gesundheitsförderung: Er wird alle drei Jahre für besonders heraus-ragende Projekte in vier Kategorien unterden Gütesiegelträgern vergeben. Es gibt Prei-se für „Betriebe unter 100 Mitarbeiter/in-nen“ und „Betriebe über 100 Mitarbeiter/in-nen“ sowie einen „BGF-Sonderpreis derBundesarbeitskammer“ und einen „BGF-Sonderpreis der Wirtschaft“. Die nächste Verleihung wird 2017 stattfinden.

Das dreistufige System zur Sicherung der Qualität der Betrieblichen Gesundheits-förderung (BGF) in Österreich findet auch international Anerkennung.

Gruppengespräch wird dann diskutiert,was die Gesundheit im Betrieb bereitsfördert und wodurch sie belastet wird.Dann werden gemeinsam Maßnahmenfür mehr Gesundheit vorgeschlagen,diskutiert und ausgearbeitet. Diese wer-den dann so weit als möglich umgesetztund schließlich soll auch der Erfolg desProjektes gemessen werden. Im Sinneder Nachhaltigkeit sind die Maßnah-men zur Gesundheitsförderung damitkeineswegs beendet. Der Betrieb oderdie Organisation soll vielmehr insge-samt gesünder gestaltet werden. Ge-sundheit soll ein zentrales Element derUnternehmenskultur werden.

Internationale und nationale Netzwerke1996 wurde das von der EuropäischenKommission initiierte EuropäischeNetzwerk für Betriebliche Gesundheits-förderung (European Network ForWorkplace Health Promotion –ENWHP) gegründet, dem aktuell In-stitutionen aus den 28 EU-Staaten sowieIsland, Norwegen und der Schweiz an-gehören. Der Großteil der Mitgliedsor-ganisationen kommt aus den Bereichendes traditionellen Arbeitsschutzes sowieder öffentlichen Gesundheitsvorsorge.Mit der „Luxemburger Deklaration zurBetrieblichen Gesundheitsförderung“,die Ende 1997 verabschiedet wurde, ei-nigten sich die ENWHP-Mitglieder aufein gemeinsames Verständnis Betrieb-licher Gesundheitsförderung. Diesewird als ganzheitlicher Ansatz betrach-tet, der ein konzertiertes Vorgehen allerbetrieblichen Akteur/innen voraussetzt.Unter www.enwhp.org/publicationssteht das Dokument zur Verfügung.Die österreichische Kontaktstelle desENWHP wurde und wird von derOberösterreichischen Gebietskranken-kasse (OÖGKK) betreut. Im ersten Jahrdes Bestehens gab es 24 österreichischeProjekte zur Gesundheitsförderung inder Arbeitswelt. Im folgenden Jahrkonnten bereits rund 100 Projekte in ei-ner Datenbank dokumentiert werden.Im März 2000 entstand dann das Öster-reichische Netzwerk für BetrieblicheGesundheitsförderung (ÖNBGF), des-sen wichtigster externer strategischer

Partner der Fonds Gesundes Österreichist. Weitere Partner sind die Wirtschafts-kammer Österreich, die Bundesarbeits-kammer, die Industriellenvereinigungund der Österreichische Gewerkschafts-

bund sowie die Allgemeine Unfallver-sicherungsanstalt, der Hauptverbandder österreichischen Sozialversiche-rungsträger und die SVA der gewerb-lichen Wirtschaft.

Pamela Rendi-Wagner: „Wir müssen künftig eine inter-kulturelle Betriebliche Gesund-heitsförderung entwickeln.“

Beate Atzler: „Durch BetrieblicheGesundheitsförderung konntenviele Beschäftigte erstmals imUnternehmen mitreden und mitgestalten.“

Herbert Friesenbichler:„Nach Bundesländern betrachtetgibt es noch beträchtliche Unterschiede.“

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22 gesundesösterreich

Seit 2002 gibt es in allen BundesländernRegionalstellen des ÖNBGF. In Vorarl-berg wird diese vom Fonds GesundesVorarlberg betreut, in den anderen Bun-desländern von den jeweiligen Gebiets-krankenkassen. Ergänzend dazu gibtes auch Servicestellen für Unternehmenderen Beschäftigte bei den bundesweitagierenden SozialversicherungsträgernBVA und VAEB versichert sind. DieseRegional- und Servicestellen, die im In-ternet unter www.netzwerk-bgf.at auf-gelistet sind, beraten und unterstützenUnternehmen. Das Spektrum an An-geboten ist je nach Bundesland und So-zialversicherungsträger unterschiedlich.Es reicht von professioneller Hilfe beimSteuern von Projekten über das kosten-lose Erstellen von Gesundheitsberichtenfür das Unternehmen bis zu Möglich-keiten für finanzielle Förderungen auchauf Landesebene speziell beim FondsGesundes Vorarlberg.

Der Prozess zur Qualitätssicherung„Heute können wir auf eine sehr zu-friedenstellende Entwicklung zurück-

blicken. Es ist gelungen, in Österreichtragfähige Strukturen für BetrieblicheGesundheitsförderung aufzubauen undunsere Aktivitäten in diesem Bereichfinden auch international Anerken-nung“, sagt Pamela Rendi-Wagner, dieLeiterin der Sektion Öffentliche Ge-sundheit und medizinische Angelegen-heiten im Gesundheitsministerium. Da-zu hat der dreistufige Prozess zur Si-cherung der Qualität der BGF in Öster-reich wesentlich beigetragen, der 2004eingeführt wurde (siehe auch Kasten:„Das dreistufige BGF-Qualitätssiche-rungssystem in Österreich“). ZentralerBestandteil ist das BGF-Gütesiegel, dasfür jeweils drei Jahre an Unternehmenverliehen wird, die vor Kurzem einBGF-Projekt erfolgreich abgeschlossenhaben, oder die BGF bereits in ihrenregulären Betrieb integriert haben.Seit 2004 fanden 960 Verleihungen desBGF-Gütesiegels statt, das nach genau-en Kriterien von einem Fachinstitut ver-geben wird. Mit Stand von Ende 2014sind 667 österreichische Betriebe mitrund 334.000 Beschäftigten damit aus-gezeichnet. Sehr erfreulich ist auch, dasses bereits 293 Wiederverleihungen gab.„Das kann als Anzeichen dafür gewertetwerden, dass das BGF-Gütesiegel aucheinen guten Anreiz darstellt, BetrieblicheGesundheitsförderung nachhaltig in ei-nem Unternehmen zu etablieren“, meintChristoph Heigl von der OÖGKK, derKoordinator des ÖNBGF (siehe auchKasten: „5 Faktoren für mehr Nachhal-tigkeit“). „In Österreich sind heute guteStrukturen für Betriebliche Gesund-heitsförderung vorhanden. Doch es wä-re natürlich wünschenswert, dass nochwesentlich mehr Unternehmen gesund-heitsförderlich gestaltet werden“, be-merkt auch Herbert Friesenbichler von

der Fachgruppe Arbeitspsychologieder Allgemeinen Unfallversicherungs-anstalt (AUVA), der sich schon seit über25 Jahren mit dem Thema BGF befasst.„Allerdings gibt es nach Bundesländernbetrachtet noch beträchtliche Unter-schiede in Bezug auf die Umsetzungvon Betrieblicher Gesundheitsförde-rung“, ergänzt der Arbeitspsychologe.

Herausforderungen für die ZukunftDie IfGP-Geschäftsführerin Beate Atzlerwünscht sich für die Zukunft nochmehr Nachfrage nach Betrieblicher Ge-sundheitsförderung durch die Unter-nehmen, wofür die Wirtschaftskammerals Partner gefragt sei und stellt fest,dass für die Abstimmung zwischenden Akteur/innen in den BereichenBGF, Wiedereingliederungsmanage-ment und Arbeitsschutz noch großesVerbesserungspotenzial vorhanden sei.„Betriebliche Gesundheitsförderungsollte in den kommenden Jahren innoch größerem Ausmaß und möglichstflächendeckend verbreitet werden“,sagt auch Sektionsleiterin Pamela Ren-di-Wagner. Das sei auch ganz im Sinnedes aktuellen Regierungsprogramms,der österreichischen Rahmen-Gesund-heitsziele und der bundesweiten Ge-sundheitsförderungsstrategie.Ein Schwerpunkt, so Rendi-Wagner,solle dabei auf Kleinst-, Klein- und Mit-telbetriebe gelegt werden, die bislangim Vergleich zu Großbetrieben mitmehr als 250 Mitarbeiter/innen nochrelativ wenig von Maßnahmen zur Be-trieblichen Gesundheitsförderung er-reicht würden. Außerdem sollten auchdie Zielgruppen der niedrig qualifi-zierten und gering entlohnten Perso-nen, der Teilzeitarbeitenden sowie derBeschäftigten in Betrieben mit hohenpsychischen und physischen Belastun-gen besondere Aufmerksamkeit erhal-ten. „Nicht zuletzt sollte aber auch dasDiversity Management mehr Bedeu-tung erhalten“, meint die Sektionslei-terin im Gesundheitsministerium: „Wirmüssen künftig eine Art interkulturelleBetriebliche Gesundheitsförderung ent-wickeln, da für die nächsten 20 Jahreein weiterer Zuzug an Migrant/innenprognostiziert ist.“

FÜNF FAKTOREN FÜR MEHRNACHHALTIGKEIT

Das Österreichische Netzwerk für Betriebliche Gesund-heitsförderung hat in einer Erhebung fünf Faktorenidentifiziert, die wahrscheinlich dazu beitragen, dassGesundheitsförderung in einem Unternehmen nicht nurfür die Dauer eines Projektes umgesetzt wird, sondernnachhaltig. Diese Einflussgrößen sind:

• Gesundheit wird im Unternehmen als Querschnittsmaterie betrachtet

• Es gibt Personen oder Teams, die klar für das Thema Gesundheit zuständig sind

• Die Führungskräfte aller Ebenen sind sich ihrer Rolle und Bedeutung für die Gesundheit der Belegschaft bewusst sowie speziell auch ihrer Vorbildfunktion

• Der Nutzen der BGF-Projekte wird anhand harter und weicher Kennzahlen sichtbar gemacht und kommuniziert, also zum Beispiel indem belegt wird, ob sich die Mitarbeiter/innenzufriedenheit erhöht oder die Fehlzeiten verringert haben

• Externes Know-How und außerbetriebliche Expertise stellen in den allermeisten Fällen eine Bereicherung für BGF-Projekte dar.

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23gesundesösterreich

Jörg Flecker: „Derzeit erleben wir die paradoxe Situation, dass Menschen krank werden, weil sie den Belastungen in der Arbeit zu lange ausgesetzt sind. Und gleichzeitig werden andere Menschen aufgrund von Arbeitslosigkeit krank.“

WISSEN

damit zusammenhängt, dass heute wenigerMenschen in der industriellen Produktion tätigsind. Manche körperlichen Belastungen sinddennoch gestiegen. So haben sich etwa jenedurch das Heben und Tragen schwerer Lastenerhöht. Das trifft nicht nur auf die Bauwirt-schaft zu, sondern auch auf die Pflege unddas Gastgewerbe. Und die psychischen Belas-tungen bei der Arbeit sind größer gewordenund gleichzeitig ist auch die Zahl der psy-chischen Erkrankungen gestiegen. Diese sindmittlerweile die häufigste Ursache für Invalidi-tätspensionen. Es gibt wenig Rezepte gegendiese negative Entwicklung.

GESUNDES ÖSTERREICHHaben Sie eines?Neben der Milderung des Zeitdrucks gilt: Ar-beit wird vor allem dann nicht als psychischbelastend erlebt, wenn die Balance zwischender Anstrengung der Arbeitenden und der

Anerkennung, die sie dafür erhalten, stimmt.Da geht es nicht nur um Wertschätzungdurch die Vorgesetzten oder Kollegen, son-dern auch um Aufstiegsmöglichkeiten, sichereBeschäftigung und angemessene Entloh-nung. Außerdem ist natürlich Betriebliche Ge-sundheitsförderung eine Möglichkeit, Belas-tungen zu reduzieren, wenn sie umfassendverstanden und ein Unternehmen insgesamtgesünder gestaltet wird. Im Bezug auf dieRahmenbedingungen spielen die Arbeitszei-ten eine zentrale Rolle. Nach etwa sechs bissieben Stunden erhöhen sich die Gefährdun-gen durch Belastungen überproportional. EinRezept dagegen wäre, die Wochenarbeitszeitauf 30 Stunden zu reduzieren.

GESUNDES ÖSTERREICHWie soll das finanziert werden?Die Produktivitätssteigerungen machen esprinzipiell möglich, dass bei gleichem Einkom-men kürzer gearbeitet und die Arbeit aufmehr Menschen aufgeteilt wird. Derzeit erle-ben wir die paradoxe Situation, dass Men-schen krank werden, weil sie den Belastun-gen in der Arbeit zu lange ausgesetzt sind.Und gleichzeitig werden andere Menschenaufgrund von Arbeitslosigkeit krank. Die Wo-chenarbeitszeit zu verkürzen ist keineswegsutopisch. Immerhin ist das seit dem 19. Jahr-hundert kontinuierlich geschehen. Erst vor et-wa 30 Jahren gab es eine Trendwende, nach-dem der Neoliberalismus zur global vorherr-schenden politischen Strömung geworden ist.

Der Soziologe und Arbeitsforscher Jörg Flecker erklärt im Interview, weshalb sich die psychosozialen Belastungen bei der Arbeit erhöht haben und

welche Rezepte sie verringern können.

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Der Druck ist größer geworden

GESUNDES ÖSTERREICHWelche Trends gibt es aktuell in der Arbeitswelt?Jörg Flecker: Die Arbeitswelt ist vielfältigund der Lagerarbeiter bei Amazon gehörtebenso dazu wie die Floristin ums Eck, derMitarbeiter der Müllabfuhr, die Beamtin imMinisterium oder der Wissenschafter an derUniversität. Dennoch lassen sich zwei generel-le Trends feststellen: Zunächst gibt es eineTendenz zur „Verdichtung“. Der Druck auf dieBeschäftigten ist größer geworden, weil im-mer mehr in immer kürzerer Zeit von zuneh-mend weniger Menschen erledigt werden soll.Außerdem ist unsichere oder auch prekäreBeschäftigung häufiger geworden. Da geht esum die so genannten „McJobs“, die soschlecht bezahlt sind, dass zwei oder drei not-wendig sind, um davon leben zu können. Dageht es auch um Zeit- oder Leiharbeit, die zu-nimmt, während die Unternehmen, aber auchöffentliche Organisationen ihr Stammpersonalreduzieren.

GESUNDES ÖSTERREICHWas sind die Ursachen?Der Hauptgrund in der Wirtschaft ist der gro-ße Druck von zwei Seiten. Einerseits ist dieKonkurrenz zwischen den Unternehmen unteranderem durch die Globalisierung der Märkteintensiver geworden. Andererseits haben dieFinanzmärkte immer mehr Einfluss auf die so-genannte Realwirtschaft bekommen und dieRenditeerwartungen der Kapitaleigner sindgestiegen. Die Betriebe sollen immer noch ef-fizienter und gewinnorientierter arbeiten. Imöffentlichen Bereich haben Auslagerungenund die Sparpolitik ähnliche Wirkungen.

GESUNDES ÖSTERREICHArbeit kann die Gesundheit fördern. Siekann aber auch krank machen. Tut siedas heute öfter als noch vor zwei oderdrei Jahrzehnten?Die Zahl der Unfälle bei der Arbeit ist in die-sem Zeitraum zurückgegangen, was auch

Der Soziologe Jörg Flecker (56) stammtaus Graz und hat in Wien Handelswissen-schaften und Soziologie studiert. Fleckerhat die Forschungs- und BeratungsstelleArbeitswelt (FORBA) in Wien gegründetund zwei Jahrzehnte lang geleitet. SeitMärz 2013 ist er Professor am Institut fürSoziologie der Universität Wien.

ZUR PERSON

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WISSEN

24 gesundesösterreich

Erste Ansätze und Aktivitäten gabes schon in den 1970er- und1980er-Jahren. Doch 1989 hat

dann die Verbreitung systematischerund umfassender Betrieblicher Ge-sundheitsförderung in Deutschlandin größerem Ausmaß begonnen“, er-klärt Gregor Breucker, der Leiter derAbteilung Gesundheitsförderungbeim Dachverband der deutschen Be-triebskrankenkassen (BKK) in Berlin.Und Fritz Bindzius, der Leiter der Un-terabteilung Gesundheit der Deut-schen Gesetzlichen Unfallversiche-rung (DGUV) ergänzt: „Seither wareine stetige Zunahme zu beobachtensowie ein Trend von Einzelaktivitätenhin zu einem integrierten Ansatz, derMaßnahmen für insgesamt gesündereArbeitsverhältnisse mit solchen fürein individuell besseres Gesundheits-verhalten kombiniert.“

1989 wurde im Paragraphen 20 desdeutschen Sozialgesetzbuchs V fest-gelegt, dass die Krankenkassen auchLeistungen der Primärprävention er-bringen sollen, um den allgemeinenGesundheitszustand der Versichertenzu verbessern. Dabei sollen sie speziell

dazu beitragen, sozial bedingte Un-gleichheit von Gesundheitschancenzu vermindern. Außerdem wurde einRichtwert festgelegt, wie viel Geld da-für zumindest investiert werden soll.Aktuell sind das pro Versichertemund Jahr rund drei Euro. 2013 habendie Gesamtausgaben der 134 deut-schen Krankenkassen für die Primär-prävention 267 Millionen Euro betra-gen.Dieser Betrag soll sich künftig nochdeutlich erhöhen, denn mit aktuellemStand sind im geplanten deutschenPräventionsgesetz Ausgaben von zu-mindest sieben Euro pro Versichertemund Jahr vorgesehen. Das heißt, derRichtwert wird mehr als doppelt sohoch sein wie bislang. Für das Prä-ventionsgesetz gab es zwar seit 2005bereits vier vergebliche Anläufe. Ex-pert/innen rechnen jedoch damit, dasses heuer noch vor der Sommerpausedes Parlamentes auch verabschiedetwerden wird.

Kooperation von Krankenkassen und UnfallversicherungenFritz Bindzius beschreibt das Jahr 1996als weiteren Meilenstein für die Be-

triebliche Gesundheitsförderung. „Da-mals wurde im Paragraphen 14 TeilVII des Sozialgesetzbuchs festgelegt,dass sich die Unfallversicherungennicht nur der Prävention von Unfällenund Berufskrankheiten, sondern auchder Prävention von arbeitsbedingtenGesundheitsgefahren widmen sollen“,erklärt der Experte von der DGUVund ergänzt, dass dieser Ansatz er-fordere, Maßnahmen im Bereich Si-cherheit und Gesundheit bei der Ar-beit und solche der Betrieblichen Ge-sundheitsförderung stärker miteinan-der zu verknüpfen.

Die Unfallversicherungen und dieKrankenkassen in Deutschland wur-den 1996 auch gesetzlich dazu ver-pflichtet, bei der Prävention und derBetrieblichen Gesundheitsförderungverstärkt zusammenzuarbeiten. Da-raus sind, neben vielen bilateralenFormen der Zusammenarbeit von Un-fall- und Krankenversicherung auchdas Kooperationsprogramm „Arbeitund Gesundheit“, in der Folge eingleichnamiges Integrationsprogrammund schließlich die gemeinsame Ini-tiative Gesundheit und Arbeit (iga)

In Deutschland gibt es schon seit mehr als 25 Jahren in größerem Ausmaß Betriebliche

Gesundheitsförderung. 2013 haben die Krankenkassen54 Millionen Euro in gesundheitsförderliche

Maßnahmen in Betrieben investiert. Text: Dietmar Schobel

Der Weg zu gesünderenBetrieben in Deutschland

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WIE GUT IST BETRIEBLICHE GESUNDHEITSFÖRDERUNGIN DEUTSCHLAND VERBREITET?

25gesundesösterreich

Wie hoch ist der Anteil an Betrieben inDeutschland, die Gesundheitsförde-rung durchführen? Und welches Niveau haben diese gesundheitsförder-lichen Maßnahmen?

Eine Analyse der deutschen Bundesanstaltfür Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin(BAUA), die auf der 50. wissenschaftlichenJahrestagung der Deutschen Gesellschaftfür Sozialmedizin und Prävention im Sep-tember 2014 in Erlangen präsentiert wur-de, gibt Antworten auf diese Fragen.Der Studie liegen Daten aus der 2011 durch-geführten Erhebung zur Dachevaluation derGemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstra-tegie zugrunde, für die 6.500 Personen be-fragt wurden, die im Betrieb fur die Koordi-nation des Arbeitsschutzes verantwortlichsind. Das Gesamtergebnis lautet, dass unterden rund zwei Millionen deutschen Betriebenmit mindestens einem abhängig Beschäftig-ten nur in 44 Prozent der Unternehmen garkeine Maßnahmen zur Betrieblichen Gesund-heitsförderung (BGF) durchgeführt werden.

Die Niveaus der BGFFür die 56 Prozent, die in der BGF aktiv sind,wurde unterschieden auf welchem Niveaudies geschieht:Auf dem niedrigsten, dem Level C gibt es13 Prozent der Betriebe, die nur Kranken-standsanalysen oder Mitarbeiterbefragungenzum Arbeitsschutz durchführen. 14 Prozentsetzen nur Individualprävention um, wie et-wa Pausengymnastik, Betriebssport, Angebo-te zur Suchtprävention oder Gesundheits-Checks. In zwei Prozent finden nur Gesund-heitszirkel oder andere Gesprächskreise zuGesundheitsthemen im Betrieb statt.18 Prozent der Betriebe erreichen Level B,das dadurch definiert wird, dass sowohl

Analysen von Gesundheitsdaten als auchMaßnahmen zur Individualprävention ver-wirklicht werden. Auf Level A der BGF befin-den sich neun Prozent der deutschen Betrie-be. Es ist dadurch gekennzeichnet, dass Ana-lysen von Gesundheitsdaten oder Individual-prävention oder beides in Kombination mitGesundheitszirkeln umgesetzt werden.

Die von den Sozial- und Gesundheitswissen-schafter/innen David Beck, Uwe Lenhardt,Britta Schmitt und Sabine Sommer durchge-führte Analyse zeigt insgesamt auch, dassder Anteil der Betriebe, die gar keine gesund-heitsförderlichen Maßnahmen verwirklichen,umso größer ist, je kleiner die Betriebe sind.Weiters konnte festgestellt werden, dass BGFin Einrichtungen des öffentlichen Dienstesdeutlich stärker verbreitet ist als in Betriebender Privatwirtschaft. Außerdem wird BGF in Produktionsbetrieben mehr umge-setzt als in Dienstleistungsunternehmen.

Wodurch sich das Niveau erhöhtDie Autor/innen der Studie haben nicht zu-letzt auch beschrieben, welche Faktoren dazubeitragen, dass gesundheitsförderliche Maß-nahmen auf hohem Niveau durchgeführt wer-den. Die Wahrscheinlichkeit dafür erhöht sich:

• mit steigender Betriebsgröße

• wenn die wirtschaftliche Lage des Betriebs gut ist

• bei einer geregelten sicherheitstechnischen Betreuung

• bei einer geregelten betriebsärztlichenBetreuung

• und wenn ein Betriebs- oder Personalrat existiert.

Quelle: David Beck, Uwe Lenhardt, Britta Schmitt, Sabine Sommer:Betriebliche Gesundheitsförderung in Deutschland; Jahrestagungder DGSMP, 26. September 2014, Erlangen.

entstanden. Dieser gehören der Dach-verband der Betriebskrankenkassen,der AOK-Bundesverband, der Ver-band der Ersatzkassen und die Deut-sche Gesetzliche Unfallversicherungan. Über Themen, Projekte und Hand-lungsfelder der iga sind unterwww.iga-info.de weitere Informatio-nen nachzulesen.

Das deutsche Netzwerk für BGFIm Rahmen der iga wurde 2002 dasDeutsche Netzwerk für BetrieblicheGesundheitsförderung (DNBGF) ge-gründet, dem mehr als eintausendPersonen und Institutionen angehö-ren. Die Geschäftsstelle des DNBGFbefindet sich in Berlin. Anders als inÖsterreich gibt es keine BGF-Service-stellen des Netzwerkes in den einzel-nen Bundesländern. Es wurden jedochfünf bundesweite „Foren“ zu zentra-len Themen eingerichtet. Diese be-schäftigen sich mit „Großunterneh-men“, „Klein- und Mittelunterneh-men“, dem „Öffentlichen Dienst“,„Gesundheitswesen und Wohlfahrts-pflege“ sowie „Arbeitsmarktintegra-tion und Gesundheitsförderung“. Aufwww.dnbgf.de sind weitere Informa-tionen dazu nachzulesen.

Für die Mittel, die von den Kranken-kassen für Primärprävention aufge-wendet werden, ist in einem Leitfadenfestgelegt, wofür das geschehen soll.

Das sind einerseits individuelle An-gebote in Form von Gesundheitskur-sen und -beratungen in Gruppen. An-dererseits sollen in verschiedenen Set-tings „gesundheitsgerechtere Lebens-verhältnisse“ geschaffen werden. ImBesonderen sind das Kindergärtenund Kindertagesstätten, Schulen,Kommunen und Stadtteile sowie Hei-me. Nicht zuletzt wird in dem Leitfa-

den auch die Betriebliche Gesund-heitsförderung erwähnt. Für diesewerden für den Zeitraum 2013 bis2018 ein Oberziel sowie konkrete Teil-ziele beschrieben: Ersteres lautet, „die gesundheitsför-dernden Potenziale der Arbeitsweltmit bedarfsgerechter, nachhaltiger undpartizipativer Betrieblicher Gesund-heitsförderung“ zu stärken.

Gregor Breucker: „Trotz all der Diskussionen darüber, lässt sich der gesundheitliche Nutzen der individuellenPrävention letztlich nicht bestreiten.“

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unterstützen. Pro Jahr und Versicher-tem können in Deutschland bis zuzwei Kurse mit bis zu 90 Prozent derKosten gefördert werden und insge-samt wurden dafür 183 MillionenEuro ausgegeben. Neben Bewegungstand dabei vor allem das ThemaStressbewältigung im Vordergrund.Außerdem wurden auch Angeboteaus den Bereichen Ernährung undSuchtprävention von den Versichertengenutzt. „Für die Kursangebote ist dieNachfrage einfach am größten undtrotz all der Diskussionen darüber, obdas Geld nicht besser in verhältnis-orientierte Maßnahmen investiert wer-den sollte, lässt sich der gesundheit-liche Nutzen der individuellen Prä-vention letztlich nicht bestreiten“,meint Gregor Breucker. Insgesamtwurden 2013 rund eineinhalb Millio-nen Kursteilnahmen verzeichnet. Zurund vier Fünfteln waren die Teilneh-mer/innen Frauen.

Bislang steht den Kassen gesetzlichfrei, zu welchen Anteilen die Ausga-ben für individuelle Prävention undzu welchen sie für solche in Settingserfolgen. Das soll sich durch das fürheuer geplante Präventionsgesetz än-dern. Künftig soll nicht nur festge-schrieben sein, dass die Krankenkas-sen zumindest sieben Euro pro Ver-sichertem für Primärprävention auf-wenden sollen. Es soll auch festgelegtwerden, wie dieses Geld anteilsmäßigauf die verschiedenen Bereiche derGesundheitsförderung aufgeteilt wer-den soll. Zwei Euro sollen künftig fürMaßnahmen in Betrieben, weiterezwei für Maßnahmen in anderen Le-benswelten und drei Euro für indivi-duelle Maßnahmen bestimmt sein.

Kombinierte Angebote sind am wirksamstenDer Präventionsbericht hält auch fest,dass Betriebliche Gesundheitsförde-rung dann besonders wirksam ist,wenn „verhältnis- und verhaltensori-entierte Angebote“ kombiniert wer-den. Das heißt also zum Beispiel, dasseinerseits die Arbeitsorganisation oderauch das Führungsverhalten optimiert

und andererseits auch Angebote fürein individuell besseres Gesundheits-verhalten gemacht werden sollen. Daskann etwa ein Rücken- oder Entspan-nungstraining sein oder auch ein Se-minar zur Rauchentwöhnung.

Laut dem Präventionsbericht habenderartige Kombinationsangebote mit56 Prozent deutlich mehr als die Hälf-te der kassenunterstützten Angebotein Betrieben ausgemacht. Für das Do-kument wurde auch eine Ranglisteder verhältnisbezogenen Aktivitätenzur Gesundheitsförderung in deut-schen Betrieben erstellt: In 54 Prozentder Unternehmen wurde versucht,die Informations- und Kommunika-tionsstrukturen zu optimieren. In 52Prozent gab es Maßnahmen für bes-sere Umgebungsbedingungen undan dritter Stelle liegen mit 44 ProzentInitiativen für eine gesundheitsför-derliche Arbeits- und Betriebsorga-nisation. Maßnahmen für eine bessereVereinbarkeit von Familien- und Er-werbsleben gab es hingegen nur in15 Prozent der Unternehmen, die sichmit Kassenunterstützung für Betrieb-liche Gesundheitsförderung engagierthatten.

BGF ist in Deutschland gut etabliert„Insgesamt ist die Betriebliche Ge-sundheitsförderung in Deutschlandauch im Vergleich zu anderen euro-päischen Ländern bereits gut etab-liert“, meint Fritz Bindzius zusam-menfassend. Das stehe auch in Zu-sammenhang dazu, dass die Sozial-partnerschaft zwischen Arbeitgeber/innen und Arbeitnehmer/innen ähn-lich wie in Österreich gut funktioniere,und dass die Zusammenarbeit zwi-schen den Bereichen Arbeitsschutzund Betriebliche Gesundheitsförde-rung in den vergangenen Jahren ver-stärkt worden sei. „In der Zukunftsollte diese Kooperation noch weiterintensiviert werden. Das Ziel ist letzt-lich, der Betrieblichen Gesundheits-förderung in Deutschland zu einernoch größeren Verbreitung zu ver-helfen“, sagt der Experte von derDGUV.

Die Teilziele sind:• mehr Betriebe mit bis zu 99 Beschäftigten fu !r Gesund- heitsförderung zu gewinnen• mehr betriebsinterne Steuerungsgremien fu !r die Gesundheitsförderung zu etablieren, in welche die fu !r den Arbeitsschutz zuständigen Akteur/innen einbezogen sind• Zahl und Anteil der Betriebe, zu erhöhen, in denen Gesund- heitszirkel durchgefu !hrt werden• sowie mehr Maßnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsleben umzusetzen.

54 Millionen Euro für die BetriebeIm Präventionsbericht der Gesetzli-chen Krankenversicherung ist doku-mentiert, wofür die Gesamtausgabender Krankenkassen für Primärprä-vention von 267 Millionen Euro imJahr 2013 tatsächlich aufgewendetwurden. In gesundheitsförderlicheMaßnahmen in Betrieben wurden 54Millionen Euro investiert. Weitere 30Millionen Euro wurden für Aktivitä-ten in anderen Settings ausgelegt, undzwar vor allem in Kindertagesstättenund Grundschulen.

Der Großteil des Geldes wurde jedoch2013 ebenso wie in den Vorjahren da-für verwendet, die Teilnahme von Ver-sicherten an Gesundheitskursen zu Fo

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Fritz Bindzius: „Betriebliche Gesund-heitsförderung ist in Deutschland auchim Vergleich zu anderen europäischenLändern bereits gut etabliert.“

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WISSEN

Urs Näpflin ist sich sicher: „Unfall-prävention und Betriebliche Ge-sundheitsförderung wirken zu-

sammen.“ Das sei allein schon an derTatsache erkennbar, dass laut wissen-schaftlichen Studien in Unternehmenmit hohem Stresspegel Verletzungenund Unfälle, aber auch andere Gesund-heitsbeschwerden mehr als doppelt sohäufig seien wie in jenen, in denen die Mitarbeiter/innen selten bis nie über Stress klagen, ergänzt der Leiterder Fachgruppe Beratung für Betrieb-liches Gesundheitsmanagement bei derSchweizer Unfallversicherungsanstalt(Suva). Wer durch umfassende Betrieb-liche Gesundheitsförderung (BGF) fürbessere Arbeitsorganisation und weni-ger psychosoziale Belastungen sorge,unterstütze dadurch also auch die Ar-beitssicherheit, so Näpflin.

Näpflin gehört mit seinem Team zurAbteilung Präventionsangebote der Su-va. 13 Mitarbeiter/innen der Abteilungberaten Unternehmen in der ganzenSchweiz zu Themen der BetrieblichenGesundheitsförderung und zur Sicher-heit in der Freizeit. Schwerpunkte sindzum Beispiel sicheres und gesundes Be-wegen, Stressprävention, Gesundheitund Führung sowie der Aufbau einesGesamtsystems für Betriebliches Ge-sundheitsmanagement. Jährlich werdenmehrere hundert Präventionsprojektein Unternehmen umgesetzt und damitüber 70.000 Mitarbeitende erreicht.

In der Schweiz sind die Arbeitssicherheitund der Gesundheitsschutz durch dasUnfallversicherungs- und das Arbeits-gesetz geregelt. Die Suva sowie Inspek-tor/innen der 26 Kantone sorgen dafür,dass die entsprechenden Bestimmungeneingehalten werden. Im Prinzip funk-tioniert dieses System ebenso wie jenein Deutschland und Österreich: Betriebewerden kontrolliert und wenn Mängelfestgestellt werden aufgefordert, diesezu beheben. „In Extremfällen müssen

Unternehmen vorübergehend oder zurGänze geschlossen werden“, erklärt Näpflin. Beratung zum BetrieblichenGesundheitsmanagement wird in derSchweiz nicht nur von der Suva ange-boten, sondern auch von einigen der 67Krankenversicherungen. Diese stehenebenso wie in Deutschland zueinanderin Wettbewerb und versprechen sichdurch die BGF-Angebote einerseits Vor-teile dabei, Kunden zu gewinnen undzu binden sowie mittelfristig Kosten-ersparnisse.

Arbeitsinspektor/innen in ÖsterreichIn Österreich ist die Arbeitsinspektiondie wichtigste gesetzlich beauftragteKontrollbehörde für den Sicherheits-und Gesundheitsschutz bei der Arbeit.309 Arbeitsinspektor/innen sind in ganzÖsterreich unterwegs, führen Schwer-punktkontrollen durch und beraten Un-ternehmen. Die Palette der Themen

reicht von den allgemeinen Schutzbe-stimmungen bei der Arbeit über die Ge-staltung von Arbeitsstätten und denEinsatz von Arbeitsmitteln bis zu Ar-beitszeitregelungen und dem Schutzbestimmter Personengruppen, wie zumBeispiel Jugendliche und Schwangere.„Arbeitsschutz und Betriebliche Ge-sundheitsförderung haben dieselbenZiele, nämlich für möglichst sichere undgesunde, das heißt menschengerechteArbeitsbedingungen zu sorgen. Nur dieWege sind unterschiedlich“, betont auchElsbeth Huber, die Leiterin der Abteilungfür Arbeitsmedizin und Arbeitshygienedes Zentralen Arbeitsinspektorates(ZAI) im österreichischen Bundesmi-nisterium für Arbeit, Soziales und Kon-sumentenschutz.

Evaluierung psychischer BelastungenDurch die Novelle zum Arbeitnehmer/innenschutzgesetz 2013 seien die beiden Fo

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Kooperation statt KonkurrenzSind Arbeitsschutz und Betriebliche Gesundheits-förderung unterschiedliche Wege zum selben Ziel?

Oder gibt es mehr Konkurrenz als Kooperation? Wir haben Fachleute aus der Schweiz, Österreich

und Deutschland befragt. Text: Dietmar Schobel

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Bereiche noch näher zusammengerückt,so Huber. Durch die Gesetzesänderungwurde klargestellt, dass der Gesund-heitsschutz der Beschäftigten nicht nurjenen vor physischen, sondern auch je-nen vor psychischen Gefahren umfasst.Einige konkrete Beispiele dafür sind et-wa Mängel in der Arbeitsorganisation,fehlende soziale Unterstützung sowieüber- oder unterfordernde Aufgaben.Die Betriebe sind laut Gesetz verpflich-tet, umfassend zu ermitteln und zu be-urteilen, welche physischen oder psy-chischen Belastungen im Unternehmenvorliegen. Dafür gibt es verschiedeneMessmethoden, auch solche, die fürKleinst- und Kleinbetriebe geeignet sind,wie etwa das „Screening Gesundes Ar-beiten“ oder die „Arbeits-Bewertungs-Skala“. Die Websites www.arbeitsin-spektion.gv.at sowie www.eval.at ent-halten nähere Informationen dazu.

Wenn bei der ArbeitsplatzevaluierungBeeinträchtigungen festgestellt werden,müssen die Betriebe die Arbeitsbedin-gungen verbessern. „Dieser Prozessmuss dokumentiert werden: von derErmittlung der Belastungen über dasFestlegen von Maßnahmen bis zur Kon-trolle der Wirkungen“, erläutert Huber.Wie weit sind die österreichischen Be-triebe bereits mit der Umsetzung? „Seitder Gesetzesnovelle ist viel passiert undzahlreiche Betriebe, speziell auch grö-ßere, haben bereits damit begonnen, dieArbeitsplatzevaluierung der psy-chischen Belastungen zu planen undzu realisieren“, sagt Huber und ergänzt:„Das kann und soll in vielen Unterneh-men auch ein Impuls dafür sein, im An-schluss ein Projekt zur Betrieblichen Ge-sundheitsförderung umzusetzen.“

Verpflichtung zur Kooperation in Deutschland„In Deutschland wird der Arbeitsschutzin einem dualen System durch Auf-sichtsbehörden der Länder und die Trä-ger der gesetzlichen Unfallversicherungunterstützt und überwacht, die im Rah-men der Nationalen Arbeitsschutzstra-tegie eng zusammenarbeiten“, erklärtAngela Knoll von der Abteilung Sicher-heit und Gesundheit der Deutschen Ge-

setzlichen Unfallversicherung (DGUV).Die DGUV ist der Spitzenverband der38 Unfallversicherungsträger inDeutschland. 1996 wurde gesetzlichfestgeschrieben, dass diese nicht nurfür die Prävention gegen Unfälle undBerufskrankheiten, sondern auch fürjene gegen arbeitsbedingte Gesundheits-gefahren zuständig sind. Zudem wurdebestimmt, dass die Unfallversicherungs-träger und die Krankenkassen zusam-menarbeiten sollen, mit dem Ziel Arbeitgesund zu gestalten.

Wie gut funktioniert das in der Praxis? In einer Erhebung des „ArbeitskreisesPrävention in der Arbeitswelt“ aus demJahr 2011 haben rund ein Drittel der In-stitutionen aus beiden Systemen ange-geben zusammenzuarbeiten. Die Ko-operationen zwischen den Trägern vonUnfall- und Krankenversicherung sindalso noch ausbaufähig. Bei der Befra-gung stellte sich zudem heraus, dassdiejenigen, die schon seit Längerem ko-operieren, ihre Zusammenarbeit auchkontinuierlich erweitern. „Die Koope-rationspartner zu kennen ist also wich-tige Voraussetzung“, meint Knoll. Daswird oft durch die Tatsache erschwert,dass die Beschäftigten bei unterschied-lichen Krankenkassen versichert sind.Bei größeren Betrieben können das biszu 50 oder mehr sein. In Deutschlandgibt es aktuell 124 Krankenkassen mitzum Teil unterschiedlichen Leistungenund Services, die zueinander in Wett-bewerb stehen. Umgekehrt gibt es fürdie meisten Betriebe nur einen Unfall-versicherungsträger. „Für uns ist esdann oft schwer, den richtigen An-sprechpartner auf Seiten der Kranken-kassen zu finden“, erklärt Knoll.

Beide haben dasselbe ZielMag sein, dass die Vertreter/innen derbeiden Zweige der Sozialversicherun-gen auf regionaler Ebene auch deswe-gen manchmal noch nicht intensiverzusammenarbeiten, weil sie sich eherals Konkurrent/innen, denn als Koope-rationspartner/innen betrachten. „Dochdafür gibt es keinen Grund, auch wennes Schnittstellen gibt, wie zum Beispielbei der Beratung für ein Betriebliches

Urs Näpflin von der Suva:„Unfallprävention undBetriebliche Gesund-heitsförderung wirkenzusammen.“

Elsbeth Huber vom Zentralen Arbeitsinspektoratin Österreich:„Das gemeinsame Ziel ist, für möglichstsichere und gesundeArbeitsbedingungen zu sorgen.“

Gesundheitsmanagement“, meint Knoll:„Denn beide Seiten können von ergän-zenden Maßnahmen oder branchen-spezifischen Kenntnissen des anderenzum Wohle des Betriebes profitierenund beide haben letztlich dasselbe Ziel:Die Gesundheit der Beschäftigten zustärken und zu erhalten.“

Bei der Zusammenarbeit auf Bundes-ebene sei auch schon längst Überein-stimmung erzielt worden, wie betrieb-liche Prävention umfassend gestaltetwerden soll, betont die Mitarbeiterinder DGUV: „Zu Beginn der gesetzlichgeforderten Kooperation haben wir vieldiskutiert. Doch inzwischen gibt es eingemeinsames Denken und gemeinsameStrategien, wie Arbeitsschutz und Be-triebliche Gesundheitsförderung in derPraxis zum Nutzen der Unternehmenbestmöglich verzahnt werden können.Das muss aber noch in die Fläche ge-bracht werden. Das geplante Präventi-onsgesetz in Deutschland ist ein weitererwichtiger Ansatz, der dazu beitragenkann.“

Angela Knoll von der DGUV:„Zu Beginn haben wir viel diskutiert.Doch inzwischen gibtes ein gemeinsamesDenken.“

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F rüher wurde man belächelt, wennman von Betrieblicher Gesund-heitsförderung gesprochen hat.

Das wurde als Luxus für besonders gutgestellte Firmen betrachtet“, erinnertsich Heidi Hanselmann, die Präsidentinder Stiftung GesundheitsförderungSchweiz sowie Regierungspräsidentinund Vorsteherin des Gesundheitsde-partements des Kantons St. Gallen. Dassei heute anders, denn inzwischen seizahlreichen Schweizer Betrieben schonbewusst, dass Betriebliche Gesundheits-förderung eine Form der Organisati-onsentwicklung ist, die mehr Produk-tivität für das Unternehmen und einbesseres Arbeitsklima bringen kann.„Betriebe, die sich für die Gesundheitihrer Beschäftigten engagieren, könnendamit zudem bei der Suche nach gutenund talentierten Mitarbeiter/innenpunkten“, betont Hanselmann.

1993 gilt unter Fachleuten als „Geburts-jahr“ für die Auseinandersetzung mitsystematischer Betrieblicher Gesund-heitsförderung in der Schweiz. Damalshat die vier Jahre zuvor von den 26 Kan-tonen gegründete Stiftung Gesundheits-förderung Schweiz „Gesundheit undArbeit“ zu einem ihrer Schwerpunkt-themen gemacht. Bereits 1994 hat dieSchweizer UnfallversicherungsanstaltSuva ebenfalls ein nationales Programmfür Gesundheitsförderung und Arbeiteingerichtet und bietet seither Unter-nehmen Beratung zu diesem Thema an.Seit 1999 wird auch jährlich eine natio-nale Tagung zur Betrieblichen Gesund-heitsförderung abgehalten, die von

zahlreichen Vertreter/innen großer Fir-men sowie öffentlicher Organisationenbesucht wird.

Mitbestimmung hat TraditionDie Schweiz ist durch die Stiftung Ge-sundheitsförderung auch in dem 1996gegründeten European Network forWorkplace Health Promotion (ENWHP)vertreten. In der „Luxemburger Dekla-ration“ des ENWHP ist beschrieben,was aus Sicht der Netzwerkmitgliederunter dem Begriff „Betriebliche Gesund-heitsförderung“ zu verstehen ist. Dem-nach soll diese sowohl verha !ltnis- alsauch verhaltensorientierte Maßnahmenbeinhalten. Außerdem sollen möglichstalle Beschäftigten daran beteiligt wer-den, die gesamte Organisation gesünderzu gestalten. Für diesen Ansatz gibt esin der Schweiz besonders gute Voraus-setzungen, meint Heidi Hanselmann:„Mitbestimmung hat bei uns Tradition.Man ist es gewohnt, dass man sich äu-

ßern darf und sich am Arbeitsplatz auchwohl fühlen soll.“

Welche sind aktuell die wichtigsten In-stitutionen, die sich in der Schweiz mitBetrieblicher Gesundheitsförderung be-schäftigten? Neben der Suva und derStiftung Gesundheitsförderung Schweizist hier unter anderem das Staatssekre-tariat für Wirtschaft zu nennen. Weitersbieten etliche der 67 Schweizer Kran-kenkassen, die zueinander in Wettbe-werb stehen, Unternehmen kostenloseBeratung zu Betrieblicher Gesundheits-förderung an. Das Forum BetrieblichesGesundheitsmanagement (BGM) Ost-schweiz wird von den Kantonen St. Gal-len und Appenzell-Ausserrhoden sowiedem Fürstentum Liechtenstein getragenund will BGM in einer praxisorientiertenForm in die Betriebe der Region bringen.Im Kanton Aargau gibt es ebenfalls einBGM Forum. Nicht zuletzt engagierensich auch verschiedene der kantonalen Fo

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Schweizer Betriebe betrachtenGesundheit nicht als Luxus

In der Schweiz gibt es seit rund 20 Jahren systematische Betriebliche Gesundheitsförderung. Zunehmend mehr Firmen erkennen, dass diese für

das Unternehmen und die Beschäftigten Vorteile bringt.Text: Dietmar Schobel

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Gesundheitsämter sowie Nichtregie-rungs-Organisationen wie die Schwei-zerische Gesellschaft für Ernährung undFachstellen für Suchtprävention für Be-triebliche Gesundheitsförderung.„Seit Kurzem haben in einigen der 26Kantone auch die Stellen der Invaliden-versicherung Betriebliche Gesundheits-förderung zu ihrem Thema gemacht“,weiß Andreas Krause, Leiter des Studi-enganges Betriebliches Gesundheitsma-nagement an der Fachhochschule Nord-westschweiz (FHNW) in Olten. Einensystematischen Überblick über die Be-triebliche Gesundheitsförderung in derSchweiz gebe es jedoch bislang nicht,sagt der Wissenschafter zusammenfas-send: „Insgesamt lässt sich aber festhal-ten, dass sich zunehmend mehr Insti-tutionen und private Berater/innen mitdiesem Thema beschäftigen, und dasses vor allem auch auf Ebene der Firmenschon sehr vielfältige und dynamischeAktivitäten gibt.“

Maßnahmen wie etwa das „Absenzen-management“ sind in der Schweiz weitverbreitet. Wenn ein Mitarbeiter wäh-rend eines bestimmten Zeitraums öfterfehlt, dann sind strukturierte Gesprächemit dem Betroffenen vorgesehen. In ei-ner aktuellen Studie der FHNW gebenauch stolze 82 Prozent der befragten174 Unternehmen an, sie hätten in denvergangenen zwei Jahren die Arbeits-plätze ergonomischer gestaltet. Immer-hin zehn Prozent sagten, dass sie in die-sem Zeitraum einen Gesundheitszirkeldurchgeführt hätten.

Das Label „Friendly Work Space“Schweizer Betriebe, die Gesundheits-förderung sehr systematisch und um-fassend umsetzen, können sich um dasLabel „Friendly Work Space“ bewerben.Es wird seit 2009 nach sechs grundle-genden Qualitätskriterien für Betrieb-

liches Gesundheitsmanagement (BGM)von der Stiftung GesundheitsförderungSchweiz vergeben (siehe auch Kasten:„Die sechs Kriterien für das Label,Friendly Work Space’“). Ob die Vorga-ben erfüllt werden, beurteilen unabhän-gige Prüfer/innen nach 26 Subkriterien.Um das Label zu behalten, ist alle dreiJahre ein neuerliches Assessment er-folgreich zu bestehen.

Aktuell sind 55 Organisationen mit rund179.000 Angestellten als „Friendly WorkSpace“ ausgezeichnet, darunter vor al-lem Großbetriebe, wie die SBB AG mitrund 31.000 Mitarbeitenden, die SwissAir mit 6.800 Beschäftigten oder ver-schiedene Unternehmen der Migros Ge-nossenschaft. Doch das Gütesiegel wur-de auch schon an Kleinbetriebe verlie-hen, wie zum Beispiel das Institut fürArbeitsmedizin ifa mit 100 oder das

Termindruck und Arbeitstempo sind in derSchweiz höher als in jedem anderen euro-päischen Land. 84 Prozent der Erwerbstä-tigen geben an, zumindest ein Viertel derZeit mit hoher Geschwindigkeit arbei-ten zu müssen. 80 Prozent sagen, dass siezumindest zu einem Viertel der ArbeitszeitTermindruck haben. Das ist einem Be-richt des Schweizer Staatssekretariats fürWirtschaft SECO zu „Ausgewählten Ergeb-nissen der 5. Europäischen Erhebung überdie Arbeitsbedingungen aus SchweizerPerspektive“ aus dem Jahr 2012 zu ent-nehmen. Zum Vergleich: Für die 27 Staa-ten der Europäischen Union mit Stand vomJahr 2010 beträgt der Durchschnittswertfür hohes Arbeitstempo 59 Prozent und fürTermindruck 62 Prozent. In Deutschlandgeben jeweils 72 Prozent der Erwerbstäti-gen an, mit hohem Tempo und Termin-druck arbeiten zu müssen. In Österreichsagen 72 Prozent, dass sie mit hohemTempo und 69 Prozent, dass sie mit Ter-mindruck werken müssen.Sehr häufige Arbeitsunterbrechungengibt es in der Schweiz ebenfalls besondersoft. 47 Prozent der Beschäftigten berich-

ten davon, gegenüber 30 Prozent im EU-Durchschnitt, 26 Prozent in Österreich und22 Prozent in Deutschland. Bemerkens-wert ist auch, dass Arbeitstempo, Arbeits-druck und Arbeitsunterbrechungen im EU-Durchschnitt zwischen 2005 und 2010gleich geblieben oder sogar gesunkensind. In der Schweiz sind diese möglichenpsychosozialen Belastungen am Arbeits-platz im selben Zeitraum hingegen starkgestiegen. Dem stehen jedoch auch über-durchschnittliche Ressourcen gegen-über: In keinem Land der Europäischen Uni-on sind die Arbeitszeiten so flexibel wie inder Schweiz. Außerdem haben die Erwerbs-tätigen einen größeren Handlungsspielraumsowie mehr soziale Unterstutzung als diemeisten Beschäftigten in der EU, und siewerden häufiger in Entscheidungen mitein-bezogen und arbeiten selbstbestimmter. Alles in allem sind denn auch rund 91 Pro-zent der Schweizerinnen und Schweizer mitden Arbeitsbedingungen in ihrem Haupt-beruf „sehr zufrieden“ oder „zufrieden“.Im EU-Durchschnitt sagen das nur 84 Prozent, in Deutschland 88 Prozent und inÖsterreich ebenfalls rund 91 Prozent.

DATEN & FAKTEN: DIE SCHWEIZER/INNEN ARBEITENINTENSIV UND SIND DABEI ZUFRIEDEN

Heidi Hanselmann: „In der Schweizhat Mitbestimmung Tradition.“

Andreas Krause: „Auf Ebene der Firmen gibt es schon sehr vielfältigeund dynamische Aktivitäten.“

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operationen auf kantonaler,nationaler und internatio-naler Ebene zuständig ist.

Sehr praxisorientiert sindauch die weiteren BGF-In-strumente von Gesund-heitsförderung Schweiz,wie etwa das „S-Tool“, mitdem Betriebe in Form einerOnline-Befragung selbstüberprüfen können, wiehoch der Stresspegel im Unternehmenist. Durch den „BGM-Check“ könnenUnternehmen mit bis zu 100 Beschäf-tigten beurteilen, wo sie in Bezug aufdie Förderung der Gesundheit ihrerMitarbeitenden stehen. „KMU-vital“ist schließlich ein kostenloses Pro-gramm von GesundheitsförderungSchweiz für kleine und mittlere Un-ternehmen, das diese selbst durchfüh-ren können.

Herausforderungen für die ZukunftWas sind die größten Herausforderun-gen für die Zukunft? „In der Schweizgibt es bereits sehr vielfältige Aktivi-täten für Betriebliche Gesundheitsför-derung. Doch diese könnten noch bes-ser koordiniert werden“, meint SabineDeringer, die als selbständige Unter-nehmensberaterin in Zürich auf Orga-nisationsentwicklung mit dem Ziel Ge-sundheit spezialisiert ist und denNewsletter „getNews“ zum ThemaGesundheitsförderung und Präventionherausgibt. Die BGF-Expertin weistauch darauf hin, dass in der Schweiz– ebenso wie in anderen Ländern – im-mer noch zu wenige verhältnisorien-tierte Maßnahmen für Betriebliche Ge-sundheitsförderung durchgeführt wür-den. „Verhaltensorientierte Maßnah-men wie etwa ein Yogakurs, Seminarefür Stressmanagement oder kostenloseMassagen während der Mittagszeitsind eben weniger aufwändig undbringen vermeintlich rascher Ergeb-nisse“, sagt Deringer und betont:„Nachhaltige Erfolge sind jedoch nurdann zu erwarten, wenn vor allemauch bei den Verhältnissen angesetzt

WISSEN

wird, also wenn zum Beispiel die Füh-rungskultur, die Zusammenarbeit imTeam oder die Arbeitsprozesse ver-bessert werden. Zudem müssen dieMaßnahmen strategisch und struktu-rell im Betrieb verankert werden.“

Durch den demographischen Wandelbedingt, hat auch in der Schweiz dasThema „alter(n)sgerechtes Arbeiten“zunehmende Bedeutung. Heuer wer-den erstmals mehr Schweizer/innenden 65. als den 20. Geburtstag feiern.„Generationenmanagement“ wird des-halb für die Betriebe immer wichtigerund bedeutet, die Bedürfnisse undMöglichkeiten der älteren Mitarbei-tenden besonders zu berücksichtigenund ebenso jene der mittleren und derjüngeren Generation. Wie das am bes-ten verwirklicht werden kann, warauch Thema der nationalen Tagungfür Betriebliches Gesundheitsmanage-ment im September 2014 mit rund 330Teilnehmenden. „Eine Herausforde-rung stellt auch der stetige Wandeldurch Reorganisationen, Restrukturie-rungen oder Change Management-Prozesse dar, die heute in vielen Be-trieben zum Alltag gehören“, meintChantale Merz Wagenaar. Und HeidiHanselmann hebt einen weiteren As-pekt hervor: „Das Thema ,Familien-balance’ sollte künftig mehr Aufmerk-samkeit erhalten. Wir müssen uns ver-stärkt damit auseinandersetzen, waswir tun können, damit Arbeit und Fa-milienleben möglichst gut miteinandervereinbar sind“, sagt die Präsidentinder Stiftung GesundheitsförderungSchweiz. Fo

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1. Betriebliches Gesundheitsmanagement(BGM) soll in bestehende Management-systeme integriert sowie als Führungsauf-gabe wahrgenommen werden.

2. Es sollen Arbeitsstrukturen geschaffenwerden, die persönlichkeits- und gesund-heitsförderlich sind.

3. Das Betriebliche Gesundheitsmanage-ment soll planvoll umgesetzt werden. Es sollen eine BGM-Fachstelle und eineSteuergruppe gebildet werden. Die Zieleund Zielgruppen sollen festgelegt und alle Mitarbeitenden über das geplanteBGM-Vorhaben informiert werden.

4. Der Betrieb verpflichtet sich zu Corpo-rate Social Responsibility. Das heißt, erübernimmt auch soziale Verantwortunggegenüber Anspruchsgruppen im Umfelddes Unternehmens sowie im Bezug aufden Umgang mit natürlichen Ressourcen.

5. Die Maßnahmen zur gesundheitsge-rechten Arbeitsgestaltung und zur Unterstützung gesundheitsgerechten Verhaltens werden dauerhaft miteinanderverknüpft, systematisch geplant, durchgeführt, evaluiert und verbessert.

6. Interne und externe Kenngrößen fürdas Betriebliche Gesundheitsmanagementwerden kurz-, mittel- und langfristig eva-luiert, also systematisch erhoben und aus-gewertet.Quelle: Zitiert nach: www.gesundheitsfoerderung.ch – „BGM-Qualitätskriterien für einen Friendly Work Space“

DIE SECHS KRITERIEN FÜR DAS LABEL

„FRIENDLY WORK SPACE”

Pharmaunternehmen Lundbeck mitrund 50 Mitarbeitenden. „Das Labelwurde von Beginn an gemeinsam mitWirtschaftsunternehmen entwickelt undentspricht dadurch sehr gut den Anfor-derungen in der Praxis“, betont ChantaleMerz Wagenaar, die bei der Stiftung Ge-sundheitsförderung Schweiz für Ko-

Sabine Deringer: „Die Aktivitäten für BetrieblicheGesundheitsförderung in derSchweiz könnten noch besserkoordiniert werden.“

Chantale Merz Wagenaar:„Wir haben unsere Instrumente von Beginn an gemeinsam mit Firmen entwickelt.“

Page 33: MAGAZIN FÜR GESUNDHEITSFÖRDERUNG UND PRÄVENTIONdlt-2015.dreilaendertagung.net/Magazin_GOE_1_2015.pdf · Wagenaar und Christoph Heigl 4 Kurz & bündig 5-7 COVERSTORY Der Arbeitsmediziner

Hartmut Schulze: „Räumlich und zeitlich unabhängiges Arbeiten ist eine Ressource für die Gesundheit der Mitarbeitenden,wenn es bewusst gestaltet wird.“

WISSEN

GESUNDES ÖSTERREICHWäre das aus gesundheitlicher Sicht ein Vorteil?Auf Basis unserer Studien vertrete ich dieThese, dass räumlich und zeitlich unab-hängiges Arbeiten zu einer besseren Leis-tung führt und eine Ressource für dasWohlergehen und die Gesundheit der Mit-arbeitenden ist, wenn es bewusst gestaltetwird. Deshalb sollten mehr Möglichkeitendafür geschaffen werden. Aus einer Erhe-bung auf Unternehmensebene in den Be-reichen Dienstleistungen und Verwaltungwissen wir, dass für zehn Prozent dieserbefragten Schweizer Organisationen mobi-les Arbeiten kein Thema ist. Bei knapp 25Prozent ist Arbeitsflexibilität eine Ausnah-meerscheinung. 35 Prozent befinden sichin der Umbruchphase, das heißt sie experi-mentieren mit verschiedenen Arbeitsfor-men. Bei 16 Prozent der Unternehmen istflexibles Arbeiten weitgehend etabliert undzwei Prozent zählen zu den so genanntenNetzwerkunternehmen, bei denen mobilesArbeiten die Norm ist.

GESUNDES ÖSTERREICHWas müssen Unternehmen und Beschäftige beim mobilen Arbeitenim Home Office beachten?Es sollte zuhause einen eigenen Arbeits-raum oder zumindest eine eigene Arbeits-ecke geben. Außerdem sollte der Mitarbei-ter mit der Firma digital gut verbundensein und den Kontakt mit den Team-Kol-leg/innen aufrecht erhalten können. Auchspricht einiges für eine zeitliche Grenze.Ein halber bis maximal zweieinhalb HomeOffice-Tage können als Richtschnur gelten.Sonst besteht die Gefahr der sozialen Iso-lation. Wir haben in Studien auch heraus-gefunden, dass Menschen sehr unter-schiedlich mit der Möglichkeit zuhause zuarbeiten umgehen. „Segmentierer“ tren-nen ganz klar zwischen Privatem und Be-ruflichem. „Integrierer“ haben kein Pro-blem damit, auch einmal mit dem Laptopauf den Knien auf dem Sofa zu arbeiten.Beide Gruppen können bei entsprechenderVorbereitung gut im Home Office arbeiten.Diejenigen, die zwischen diesen beiden Po-len schwanken, haben mehr Schwierigkei-ten, die Vorteile des Home Office umzuset-zen. In jedem Fall empfiehlt sich eine guteVorbereitung auf das Arbeiten im HomeOffice inklusive einer gezielten Schulung.

Der Psychologe und Kooperationsforscher Hartmut Schulze erklärt im Interview, weshalb mobiles Arbeiten gesundheits-förderlich sein kann und wie es dafür gestaltet werden muss.

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Wie gesund ist mobiles Arbeiten?

GESUNDES ÖSTERREICHHerr Schulze, gibt es aktuell einen Trend zu mobilem und flexiblem Arbeiten?Hartmut Schulze: Es gibt ei-nen Trend zum Arbeiten imHome Office, auch wenn diesernicht so stark ist, wie man viel-leicht erwarten könnte. Allge-mein betrachtet verstehen wirunter mobilem und flexiblem Ar-beiten jede Tätigkeit, bei derman fix angestellt ist, über einenArbeitsplatz im Stammhaus verfügt undzumindest teilweise örtlich und zeitlich un-abhängig ist. Das hat zum Beispiel auf je-den Außendienstmitarbeiter oder auch aufLehrkräfte immer schon zugetroffen.

GESUNDES ÖSTERREICHWie stark ist das Arbeiten im Home Office in den deutschsprachigen Ländern verbreitet?In Deutschland haben laut einer Untersu-chung von 2013 nur acht Prozent der Be-fragten angegeben, dass sie manchmaloder überwiegend zu Hause arbeiten. Dasist weniger als im Durchschnitt der Länderder Europäischen Union, der bei rund zehnProzent liegt. In der Schweiz beträgt dieserAnteil 16 Prozent und in Österreich sogar17 Prozent. In einer Studie haben wir fest-gestellt, dass der Anteil derjenigen, diegerne zumindest fallweise im Home Officearbeiten würden, in der Schweiz nochdeutlich höher ist. Das wünschen sich rundzwei Drittel aller Beschäftigten und bei derHälfte der Arbeitsplätze, vor allem imDienstleistungsbereich, wäre es rein vonden Aufgaben her auch möglich.

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Hartmut Schulze ist Leiter des Institutsfür Kooperationsforschung und -entwick-lung an der Hochschule für AngewandtePsychologie FHNW in Olten in der Schweiz.

ZUR PERSON

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WISSEN

Kleine und mittlere Unternehmensind das Rückgrat der Wirtschaftin den Ländern Europas“, heißt

es im aktuellen Bericht der Europäi-schen Kommission zur Situation derUnternehmen mit bis zu 250 Beschäf-tigten. Diesem ist auch zu entnehmen,dass die kleinen und mittleren Unter-nehmen (KMU) ein „Bollwerk“ gegendie Finanzkrise des Jahres 2009 ge-wesen seien, sich in der Folge aberauch langsamer von deren Auswir-kungen erholt hätten als die Großbe-triebe.

Jeweils 99,8 Prozent der 20,4 MillionenUnternehmen der Europäischen Uni-on sowie der 500.000 in der Schweizsind laut Angaben des Schweizer In-stituts fu!r Klein- und Mittelunterneh-men an der Universität St. Gallen klei-ne und mittlere Unternehmen. InDeutschland arbeiten 62,2 Prozent, inÖsterreich 67,7 Prozent und in derSchweiz sogar 69,8 Prozent der Er-werbstätigen in KMU. Von systema-tischen Maßnahmen zur BetrieblichenGesundheitsförderung (BGF) profi-tieren sie seltener als ihre Kolleg/in-

nen in Großbetrieben. Denn mit sin-kender Betriebsgröße verringert sichauch die Wahrscheinlichkeit für BGF-Aktivitäten auf hohem Niveau. Dashat unter anderem eine Analyse derdeutschen Bundesanstalt für Arbeits-schutz und Arbeitsmedizin 2014 fest-gestellt.

Jeder Mitarbeiter wird gebraucht„Je größer ein Betrieb ist, desto leich-ter ist es möglich, dass sich Mitar-beiter/innen großteils oder aus-schließlich mit betrieblichen Gesund-

In kleinen und mittleren Unternehmen fehlt vermeintlich oft die Zeit für Gesundheitsförderung. Wer diese Betriebe erreichen will, muss Angebote mit

wenig Aufwand machen und die Firmenchef/innen dafür gewinnen.Text: Dietmar Schobel

Klein, aber gesund

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heitsfragen beschäftigen. KleinereUnternehmen sind hingegen viel stär-ker im Alltagsgeschäft verhaftet undjede Mitarbeiterin und jeder Mitar-beiter wird gebraucht, damit der Be-trieb nicht stillsteht. Da ist es ver-meintlich nicht möglich, Kapazitätenfür Gesundheitsförderung zur Ver-fügung zu stellen“, sagt Martin Degen,der bei der Stiftung Gesundheitsför-derung Schweiz mit der Projektent-wicklung zum Thema BetrieblichesGesundheitsmanagement befasst ist.

Der zeitliche Aufwand dafür, sichsystematisch mit Gesundheitsfragenzu beschäftigen, lohnt sich jedoch ge-rade auch für KMU. „Klein- undKleinstbetriebe sind meist sehr starkauf die Arbeit ihrer Fachkräfte ange-wiesen. Wenn zum Beispiel ein Kochoder ein Elektriker aus Gesundheits-gründen einmal ausfällt, kann sichdas sofort sehr negativ auswirken“,erklärt Isabel Dienstbühl, die Leiterindes Geschäftsbereichs Prävention derdeutschen Berufsgenossenschaft fürNahrungsmittel und Gastgewerbemit Sitz in Mannheim.

Ein Modellprojekt in ÖsterreichIn Österreich hat das vom Fonds Ge-sundes Österreich geförderte Mo-dellprojekt „WEG – WirtschaftlicherErfolgsfaktor Gesundheit“ gezeigt,wie BGF am besten zu kleinen undmittleren Unternehmen gebrachtwerden kann. Es wurde von Februar2003 bis Juni 2006 in den Bundes-ländern Oberösterreich, Salzburg

und der Steiermarkdurchgeführt. Zwölf Be-triebe aus den BranchenHotellerie und Gastge-werbe sowie Baugewerbe,Baunebengewerbe undBergbau mit 18 bis 88 Mit-arbeiter/innen haben sichbeteiligt. Verhältnisorien-tierte Maßnahmen wieräumliche Verbesserun-gen, regelmäßige Teambe-sprechungen oder dieNeugestaltung der Dienst-pläne durch die Beschäf-

tigten wurden ebenso umgesetzt wieverhaltensorientierte. Zu Letzterenzählten etwa Laufgruppen, Kursefür Stressmanagement oder „Wel-come-Meetings“ für neue Mitarbei-ter/innen. Die Evaluierung des Mo-dellprojekts belegt, dass die Fehl-zeiten im Baugewerbe um zehn und

in der Gastronomie um zwanzig Pro-zent reduziert werden konnten.In der Schweiz hat die Stiftung Ge-sundheitsförderung das Pilotprojekt„VitaLab“ für Kleinbetriebe mit biszu 50 Mitarbeiter/innen zwischenOktober 2009 und Dezember 2012im Luzerner Seetal durchgeführt.Seit 2013 wird VitaLab in den dreiWestschweizer Kantonen Waadt,Wallis und Bern umgesetzt, wo esnoch bis Ende des heurigen Jahresangeboten werden soll. Es umfasstunter anderem Kurzworkshops fürStressmanagement, gesunde Füh-rung, Motivation der Mitarbeiten-den oder zum Thema Ausgleich vonArbeit und Familie.

Auf Angebote mit geringem zeitli-chem Aufwand setzt auch das „Ge-sundheitscoaching“ für Klein- undKleinstunternehmen in Österreich,

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„Je kleiner der Betrieb, desto seltener wer-den gesundheitsförderliche Maßnahmenumgesetzt. Das gilt für alle Branchen“,heißt es in einem Arbeitspapier der Stif-tung Gesundheitsförderung Schweiz.Wenn jedoch gesundheitsförderliche Maß-nahmen in einem Kleinunternehmen ersteinmal angeboten würden, dann würdensie von den Beschäftigten auch „deutlichhäufiger in Anspruch genommen als ingrößeren Betrieben“. Wir haben aus zweiFachdokumenten, die wichtigsten Fakto-ren zusammengefasst, die Betriebliche Ge-sundheitsförderung speziell in kleinen undmittleren Unternehmen erschweren:

• Die Unternehmerin oder der Unterneh-mer erfullt in kleinen und mittleren Be-trieben zahlreiche Managementfunk-tionen, für die es in einem Großbetriebunterschiedliche Funktionsträger gibt

• Das Zeitmanagement ist schwierig. Zi-tat eines Unternehmers: „Selbständigsein heißt, selbst ständig arbeiten!“.Das gilt in Klein- und Kleinstunterneh-

men oft auch für die Mitarbeiter/in-nen: Damit der Betrieb nicht stillstehtwird jede und jeder täglich an seinemArbeitsplatz gebraucht

• Kleinbetriebe werden zum Teil mit ei-ner Flut von gesetzlichen Vorschriftenüberschwemmt und dadurch zusätz-lich belastet.

Doch es gibt auch spezifische Ressourcenoder Quellen von Gesundheit:

• Die Mitarbeiterstruktur ist in Klein-und Kleinstbetrieben uberschaubar.Das kann den sozialen Zusammenhaltfördern sowie die Umsetzung von Pro-jekten zur Gesundheitsförderung un-terstützen

• Kleinunternehmer sind sehr stark in In-nungen oder anderen Verbänden ver-netzt, die oft nicht nur fachlichen, son-dern auch privaten Rückhalt geben.

Quellen: Auszugsweise aus: DNBGF – „Relevante Faktoren derGesundheitsförderung in Kleinbetrieben“ sowie: Arbeitspapier 7 von Gesundheitsförderung Schweiz zum Thema „VitaLab – Gesundheitsförderung in Kleinunternehmen“

WAS GESUNDHEITSFÖRDERUNG IN KLEINBETRIEBEN ERSCHWERT

Martin Degen: „Inzwischengibt es zunehmend mehr guteBeispiele für Gesundheitsförde-rung in Kleinbetrieben.“

Isabel Dienstbühl: „Der zeitli-che Aufwand für Gesundheitsför-derung lohnt sich gerade auch fürKleinbetriebe, die sehr stark aufdie Arbeit ihrer Fachkräfte ange-wiesen sind.“

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Die BGN ist eine von neun Genossen-schaften, die in Deutschland für ver-schiedene Branchen von der Chemie-und Rohstoffindustrie bis zu Gesund-heitsdienst und Wohlfahrtspflege Trä-ger der Unfallversicherung sind. DieDGUV, der Dachverband aller 38deutschen gesetzlichen Unfallversi-cherungen, hat das Konzept der „Ide-entreffen“ entwickelt. Dieses wendetsich speziell an Kleinbetriebe und sollin Form einer Broschüre eine Hand-lungsanleitung geben, wie im Grup-pengespräch mit wenig Zeitaufwandpsychosoziale Belastungen erkanntund in der Folge durch entsprechendeMaßnahmen verringert werden kön-nen. Näheres dazu ist auf der Websitewww.dguv.de nachzulesen.

Gesundheit zur Chefsache machenInsgesamt gibt es in Deutschland,Österreich und der Schweiz nebenden erwähnten gesundheitsförderli-chen Angeboten für KMU noch zahl-reiche weitere von verschiedenstenInstitutionen. Diese tatsächlich inKlein- und Kleinstunternehmen anden Mann und an die Frau zu brin-gen, bleibt weiterhin eine große He-rausforderung. Das zeigen auch diePilotprojekte. „Der Aufwand ist sehrhoch, da zum Beispiel in der erstenPhase von VitaLab 2.000 Einladungen

WISSEN

für kostenlose Veranstaltungen ver-schickt werden mussten, damit letzt-lich in acht Kleinbetrieben Gesund-heitsförderung durchgeführt wur-de“, berichtet Martin Degen aus derPraxis und ergänzt: „Doch unsereAnstrengungen haben sich gelohnt.Denn inzwischen gibt es im Rahmendieses Pilotprojektes zunehmendmehr gute Beispiele für die prakti-sche Umsetzung gesundheitsförder-licher Maßnahmen.“

In Klein- und Kleinstunternehmenist es noch wichtiger als in Großbe-trieben, die Geschäftsführerin oderden Geschäftsführer für Gesundheits-förderung zu gewinnen. Das ist einezentrale Erkenntnis aus den bisheri-gen Erfahrungen. „Das Thema Ge-sundheit muss zur Chefsache wer-den“, erklärt deshalb Jürgen Tomanek-Unfried, Referent für Betriebliche Ge-sundheitsförderung beim Fonds Ge-sundes Österreich. Dafür muss denFirmenleiter/innen nicht nur derwirtschaftliche Nutzen von BGF ver-ständlich und einfach erklärt werden.„Es muss auch klargestellt werden,dass gesundheitsförderliche Maßnah-men nicht Schwächen des Unterneh-mens bloßstellen, sondern dieses stär-ken und Belastungen reduzieren sol-len“, betont Tomanek-Unfried. Fo

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das ab 2006 von den BGF-Expert/in-nen Gernot Loitzl und Judith Cechotaim Auftrag der NiederösterreichischenGebietskrankenkasse (NÖGKK) ent-wickelt und in der Praxis getestet wur-de. Es wird seit 2011 nicht nur bei derNÖGKK, sondern auch bei den an-deren österreichischen Krankenver-sicherungsträgern für kleine undmittlere Unternehmen angebotenund umfasst drei Module: ein zwei-bis dreistündiges Einzelcoaching fürdie Geschäftsführung, einen halbtä-gigen Gesundheitsworkshop für dieMitarbeiter/innen sowie schließlicheinen „Zusammenführungswork-shop“, an dem Chef/innen und Be-schäftigte beteiligt sind. Weiters hatder Fonds Gesundes Österreich eineinhaltsreiche Broschüre für „GesundeKlein- und Mittelbetriebe” erstellt,die unter www.fgoe.org zur Verfü-gung steht.

„Ideentreffen“ für weniger ArbeitsstressIn Deutschland bietet unter anderemdie Berufsgenossenschaft für Nah-rungsmittel und Gastgewerbe (BGN)verschiedenste Kurzseminare zu The-men der Gesundheitsförderung fürdie bei ihr versicherten Unternehmenan. Zu diesen zählen viele Klein- undKleinstbetriebe wie Fleischhauereienund Gasthäuser und diese könnenaus einer großen Palette an Kursthe-men wählen. Das Spektrum reicht vonStressmanagement, Dienstplangestal-tung und Ernährungsberatung bis zuKommunikationskursen für Köcheoder Seminaren zur „Emotionsarbeit“für diejenigen, die im Job „Immer nurlächeln“ müssen.

Jürgen Tomanek-Unfried: „Esmuss klargestelltwerden, dassnicht Schwächendes Unterneh-mens bloßgestellt,sondern diesesgestärkt werdensoll.“

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SELBSTHILFE

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tungen erfolgt vor Ort in den Selbsthilfe-Dachverbänden und -Kontaktstellen in denBundesländern, die den Selbsthilfegruppenmit ihrem vielfältigen Unterstützungsange-bot zur Seite stehen. 2014 wurden insge-samt 61 Seminare mit Förderungen durchden Fonds Gesundes Österreich durchge-führt. Durchschnittlich nahmen zehn Perso-nen daran teil, und zu den meist besuchtenVeranstaltungen zählten Seminare zu The-men wie „Das Feuer in der Gruppe entfa-chen“, „Wirksam Gruppen leiten“ oder„Kommunikation führt“.

Kommunikation in der Gruppe„In einer Evaluation des Weiterbildungsange-botes haben wir festgestellt, dass die The-menbereiche Kommunikation in der Gruppesowie die persönliche Ebene der Leiter/innen,konkrete Arbeitstechniken in Selbsthilfegrup-pen, aber auch der Bereich der Öffentlich-keitsarbeit jene Inhalte sind, mit denen sichdie Leiter/innen von Selbsthilfegruppen heute

Selbsthilfegruppen ins Leben rufen,Gruppentreffen leiten, die Gruppe undihre Interessen nach außen vertreten

und die vielen damit verbundenen Aufga-ben zu managen, ist eine große Herausfor-derung und erfordert viele Kompetenzen.Diese Fähigkeiten müssen teilweise gelerntund trainiert werden, und das unterstützenwir gerne mit unserem Angebot der Weiter-bildung für Selbsthilfegruppenleiter/innen“,sagt die Referentin für gesundheitlicheChancengerechtigkeit und Rahmen-Gesund-heitsziele beim Fonds Gesundes ÖsterreichGudrun Braunegger-Kallinger.

Kompetenzen für Gruppenleiter/innenTatsächlich stellt der Fonds Gesundes Öster-reich jährlich 100.000 Euro für die Weiter-bildung von Menschen zur Verfügung, diesich in der Selbsthilfe engagieren. Die be-darfsorientierte Auswahl von Seminaren, dieAbwicklung der Förderung und die Organi-sation der jeweiligen Fortbildungsveranstal-

vor allem auseinandersetzen wollen und auchmüssen“, erklärt Braunegger-Kallinger und er-gänzt, dass aktuell von Selbsthilfevertreter/in-nen auch vermehrt der Bedarf nach Austauschund gegenseitiger Unterstützung von Selbst-hilfegruppenleiter/innen geäußert worden sei.In einigen Bundesländern hätten auch schonderartige Seminare stattgefunden und dieserBereich könnte künftig noch mehr Aufmerk-samkeit erhalten.

Das Angebot orientiert sich am BedarfInsgesamt betrachtet solle das Weiterbil-dungsangebot ebenfalls vor allem jene Be-reiche und Themen abdecken, für die beiden ehrenamtlich in der Selbsthilfe enga-gierten Menschen der größte Bedarf beste-he, sagt die Gesundheitsreferentin desFonds Gesundes Österreich und betont:„Wir wissen, dass die Arbeit von Selbsthilfe-gruppenleiter/innen eine hoch anspruchsvol-le, nicht immer ausreichend wertgeschätzteund sehr vielfältige Tätigkeit ist. Wir sehendiese als eine wichtige Säule zur Unterstüt-zung des öffentlichen Gesundheitswesens,freuen uns über das große Interesse an denAngeboten zur Weiterbildung und ermuti-gen dazu, diese weiterhin rege in Anspruchzu nehmen.“

Der Fonds Gesundes Österreich stellt 100.000 Euro pro Jahr für Weiterbildung in der

Selbsthilfe zur Verfügung. Dadurch wird die Entwicklung dieser wichtigen Säule des öffentlichen

Gesundheitswesens unterstützt. Text: Gabriele Vasak

Weiterbildung in der Selbsthilfe

Gudrun Braunegger-Kallinger:„Wir wissen, dass die Arbeit von Selbsthilfegruppenleiter/innen hoch anspruchsvoll und sehr vielfältig ist.“

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Gudrun Braunegger-KallingerTel. 01/895 04 [email protected]

INFO & KONTAKT

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ALLE ADRESSEN AUF EINEN BLICK

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SELBSTHILFE

ÖSTERREICHARGE Selbsthilfe ÖsterreichSimmeringer Hauptstr. 24, 1110Wien, Tel: 01/740 40-2855arge@selbsthilfe-oesterreich.atwww.selbsthilfe-oesterreich.at

BURGENLANDBurgenländischer Landesver-band der Selbsthilfegruppenc/o Technologiezentrum Eisenstadt Haus TechLabThomas A. Edison Straße 27000 EisenstadtTel. 0664/783 64 70 (Arnold Fass,Obmann des Landesverbandes)office@selbsthilfe-landesver-band-burgenland.atwww.selbsthilfe-landesverband-burgenland.at

KÄRNTENSelbsthilfe Kärnten – Dachver-band für Selbsthilfeorganisa-tionen im Sozial- und Gesund-heitsbereich, Behindertenver-bände bzw. -organisationenKempfstraße 23/3, PF 1089021 KlagenfurtTel: 0463/50 48 71Fax: 0463/50 48 [email protected]

NIEDERÖSTERREICHSelbsthilfe Niederösterreich– Dachverband der NÖSelbsthilfegruppenTor zum LandhausWiener Straße 54 / Stiege A / 2. Stock3109 St. Pölten, Postfach 26

Tel: 02742/226 44Fax: 02742/226 [email protected]

OBERÖSTERREICHSelbsthilfe OÖ – Dachverband der SelbsthilfegruppenGarnisonstraße 1a/2. StockPF 61, 4021 LinzTel: 0732/797 666Fax: 0732/797 [email protected]

Kontaktstelle für Selbsthilfegruppen Magistrat der Stadt WelsQuergasse 1, 4600 WelsTel: 07242/235-7490Fax: 07242/[email protected]

SALZBURGSelbsthilfe Salzburg – Dachverband der SalzburgerSelbsthilfegruppenIm Hause der SGKK / Ebene 01 / Zimmer 128Engelbert-Weiß-Weg 105021 SalzburgTel: 0662/88 89-1800Fax: 0662/88 [email protected]

STEIERMARKSelbsthilfeplattform Steiermark –Dachverband der Selbsthilfein der SteiermarkGeschäftsstelle: Selbsthilfekon-taktstelle Steiermark/SBZLeechgasse 30, 8010 GrazTel: 0316/23 23 00Fax: 0316/23 23 [email protected]

TIROLSelbsthilfe Tirol – Dachverband der TirolerSelbsthilfevereine und -gruppen im Gesundheits-und SozialbereichInnrain 43/Parterre6020 InnsbruckTel: 0512/57 71 98-0Fax: 0512/56 43 [email protected]

Selbsthilfe Tirol – Zweigverein Osttirol Selbsthilfevereine und -gruppen im Gesundheits-und Sozialbereich c/o Bezirkskrankenhaus Lienz – 4. Stock Süd Emanuel von Hibler-Straße 5, 9900 LienzTel./Fax: 04852/606-290Mobil: 0664/38 56 [email protected]/osttirol

VORARLBERGService- und KontaktstelleSelbsthilfe VorarlbergHöchster Straße 30 6850 Dornbirn Tel./Fax: 05572/26 374 [email protected]

Lebensraum BregenzDrehscheibe im Sozial- undGesundheitsbereichClemens-Holzmeister-Gasse 26900 BregenzTel: 05574/527 00Fax: 05574/ 527 [email protected]

WIENSelbsthilfe-Unterstützungs-stelle SUS Wien c/o Wiener Gesundheits-förderung – WiGTreustraße 35-43Stg. 6, 1. Stock1200 WienTel: 01/4000-76 [email protected]

Medizinisches Selbsthilfezentrum Wien„Martha Frühwirth“Obere Augartenstraße 26-281020 WienTel./Fax: 01/330 22 [email protected]

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SELBSTHILFE

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rin, Raum und Platz anzubieten, wo trau-ernde Eltern die Möglichkeit haben, ihreGefühle zuzulassen, sich mitzuteilen undandere Betroffene kennenzulernen. Dasgeschieht regelmäßig in der Gruppe, undbei Bedarf bieten wir auch Erst- und Ein-zelgespräche an. Zudem vermitteln wirEinzelkontakte zu Gleichbetroffenen – inletzter Zeit vermehrt auch per E-Mail. Wirgeben vierteljährlich die Zeitschrift „Ge-da/enken, Zeit zu leben“ mit Beiträgenbetroffener Eltern und Geschwister, Fach-themen und Literaturhinweisen heraus. Esgibt Fortbildungsveranstaltungen und ge-meinsame Aktivitäten, und wir leisten Öf-fentlichkeitsarbeit im Kleinen.

GESUNDES ÖSTERREICHWie sieht diese Öffentlichkeits-arbeit konkret aus?Wir haben von Beginn an den Kontakt zuInstitutionen gesucht, in denen unsererMeinung nach etwas falsch läuft, und ha-ben versucht, in unserem Sinne aufzuklä-ren. Es mag auch daran liegen, dass heutebetroffenen Müttern das tote Baby nichtmehr sofort nach der Geburt weggenom-men wird.

GESUNDES ÖSTERREICHWas sind die wichtigsten Ziele IhrerSelbsthilfegruppe? Einerseits möchten wir dazu ermutigen,sich auf die Trauer einzulassen, denn wirwissen aus Erfahrung und Studium derFachliteratur, dass dies gesundheitsförder-lich ist. Andererseits wollen wir auch dazuanregen, kritisch zu sein, wenn es etwa

GESUNDES ÖSTERREICHSigmund Freud war noch der Ansicht,dass Trauerarbeit ein „intimer Vorgang ist, der keine Einmengungerlaubt“. Wie sehen Sie das?Josefine Mülleder: Als ich 1989 nachdem Tod meines Kindes begann, meinem in-neren Wunsch, Gleichbetroffene kennen zulernen, zu folgen und gemeinsam mit Han-na Koch die Selbsthilfegruppe „TrauerndeEltern und Geschwister Linz“ gründete, wardiese Anschauung weit verbreitet. Oft, hießes, das gemeinsame „Jammern“ sei nichtgut, könne möglicherweise alles weiter ver-schlechtern, und wir wurden sogar dessenbezichtigt, uns im eigenen Leid zu suhlen.

GESUNDES ÖSTERREICHWas hat sich seither geändert?Zum Glück viel. Der Respekt für Betroffeneist gewachsen, die Erkenntnis, dass Trauer-arbeit wichtig ist, hat sich weitgehenddurchgesetzt, und es gibt vielerorts Selbst-hilfegruppen und eine Hospizbewegung.Das ist zum einen einer anderen Berichter-stattung in den Medien, zum anderen aberauch der Selbsthilfebewegung zu verdan-ken. Wir haben viel dazu beigetragen, dieErkenntnis zu verbreiten, dass das Leidnach dem Tod eines Kindes gelindert wird,wenn Betroffene einander verstehen, diejeweils individuelle Trauer des anderen ach-ten, akzeptieren und unterstützen.

GESUNDES ÖSTERREICHWelches Angebot macht Ihre Selbsthilfegruppe Betroffenen? Unsere wichtigste Aufgabe sehen wir da-

um die medikamentöse Behandlung vonTrauer geht, denn allzu viele Betroffenewerden sehr rasch mit einem Antidepres-sivum „versorgt“, obwohl sie keine Depression haben, sondern trauern. Und natürlich möchten wir die Trauerndendurch die Kontakte und Aktivitäten, die wir anbieten, wieder zu neuem Lebensmut bringen.

GESUNDES ÖSTERREICHWas wünschen Sie sich für die Zukunft?Eine noch bessere Sensibilisierung bei denan diesen Prozessen mitbeteiligten Ver-antwortlichen. Ärzte und Polizisten solltenweiter geschult werden, denn noch immerkommt es vor, dass Eltern beispielsweisenach dem Unfalltod oder Suizid ihres Kindes dieses nicht mehr sehen dürfen.Doch das Abschiednehmen ist, unabhän-gig von der Art des Todes, eine unbeding-te Notwendigkeit für die Hinterbliebenen.

In der Selbsthilfegruppe „Trauernde Eltern und Geschwister“ kommen Menschen zusammen, um

in ihrer Trauer nach dem Tod eines Kindes Verständnis zu finden. Wir sprachen mit der

Gründerin, Josefine Mülleder. Text: Gabriele Vasak

Josefine Mülleder: „Das Leid nach demTod eines Kindes kann gelindert werden,wenn Betroffene einander verstehen.“

Dem Schmerz Worte geben

Trauernde Eltern und Geschwister LinzHaus der Frau LinzVolksgartenstraße 184020 LinzTel. 0732/66 70 [email protected]

INFO & KONTAKT

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SELBSTHILFE

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Der Name ist Programm“, versichert KurtGerszi, der im Jahr 2013 die erste undbislang einzige Selbsthilfegruppe für

Menschen nach Schlaganfall in Vorarlberggründete, und als Selbstbetroffener weiß er,wovon er spricht. Die Gruppe heißt „Net lugglo“, also „nicht locker lassen“. „Ein Schlagan-fall geht in der Regel mit körperlichen odergeistigen Schädigungen einher, und für unsBetroffene geht es darum, täglich, stündlich,ja minütlich wieder zu lernen, was wir durchdie Erkrankung verloren haben“, erklärt Gers-zi. Ob Bewegungen, Sprechen, Gedächtnisoder Alltagsfertigkeiten – all das könne mansich nicht erkämpfen, sondern nur durch stän-diges Trainieren wieder zu „holen“ versuchen.

Rückschläge und EnttäuschungenNaturgemäß gibt es dabei auch immer wiederRückschläge und Enttäuschungen, und einerder wichtigsten Aspekte der Tätigkeit von„Net lugg lo“ ist daher das Erarbeiten vonneuer Lebensqualität. „Ein Drittel der Schlag-anfallpatient/innen wird depressiv – manche

nur ein bisschen, andere bis zum Punkt derVerzweiflung: ,Alles geht so langsam’, sagendie einen. ,Was bin ich als Behinderter über-haupt noch wert?’ fragen sich die anderen“,erzählt Kurt Gerszi, und er will Betroffenenwie auch ihren Angehörigen Mut machen, dasLeben nach dem Schlaganfall wieder lebens-wert zu finden.

Neuer Lebensmut Sehr wichtig dafür sei das Bewusstsein, nichtallein zu sein, sagt der Selbsthilfevereinsgrün-der, und so bilden monatliche Gruppentreffenzum Erfahrungsaustausch, gemeinsame Aus-flüge und Besuche kultureller Veranstaltungenein Kernstück der Selbsthilfearbeit. Doch derVerein fungiert auch als Interessensvertretungund geht als solche aktiv auf die gesundheits-politisch Verantwortlichen zu, um eine mög-lichst adäquate Therapie und eine lückenloseVersorgungskette zu fordern und zu sichern.Außerdem betreibt die Interessensvertretunggezielt Öffentlichkeitsarbeit in Lokalradio und-fernsehen und organisiert Vorträge im Mon-tafon und in Koblach, bei denen 500 Besu-cher/innen keine Seltenheit sind. Natürlichwerden auch Betroffene persönlich beraten,zum Beispiel zu Fragen der Rehabilitationoder im Bezug auf Behördengänge und För-derungsmöglichkeiten.

Gesucht: Selbstbestimmung Schlagwort Unterstützung: „Wir brauchen im-mer wieder Hilfe, aber wir suchen auch unsereverlorene Autonomie, und darum wollen wirselbst bestimmen, wann und von wem wirUnterstützung annehmen“, sagt Kurt Gerszi.Der Gruppengründer ergänzt, dass Schlagan-fall-Betroffene gesellschaftlich grundsätzlich

akzeptiert würden, was ihm und Seinesglei-chen aber fehle, sei echte Integration: „Okay,wir sitzen im Rollstuhl, wir haben Problemebeim Sprechen oder ganz alltäglichen Verrich-tungen, aber wir können und wollen auch amRad der Gesellschaft mitdrehen.“

Net lugg lo im ganzen Land?Dass „Net lugg lo“ Zulauf aus ganz Vorarl-berg hat, nimmt angesichts der Einzelstellungdes Vereins nicht wunder, doch soll es lautKurt Gerszi schon sehr bald eine weitere „Netlugg lo“-Selbsthilfegruppe in Dornbirn geben,und der engagierte Vereinsgründer wünschtsich für jeden Bezirk Vorarlbergs solche„Zweigstellen“, deren Name und Logo für al-le untrennbar mit dem Thema Schlaganfallund Hilfe danach assoziiert werden soll. Bisdahin engagiert er sich im Sinne der Vereins-ziele unter anderem auch für barrierefreiesWandern im Montafon und verweist stolz aufdie Website des Vereins, die unter www.net-lugg-lo.at zahlreiche wertvolle Informatio-nen, interessante Links und seit kurzem aucheine Gratis Schlaganfall-App zum Downloadbietet.

„Net lugg lo“ heißt „nicht locker lassen“, und hinterdiesem Vorarlberger Volksmotto verbirgt sich auch der

einzige Selbsthilfeverein des Bundeslandes für Menschen nach Schlaganfall. Text: Gabriele Vasak

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Net lugg lo! – InteressensvertretungVorarlberg und Selbsthilfeverein imMontafon für Betroffene nach Schlag-anfall, Gehirnblutung und Schädel-hirntrauma und deren Angehörige.

Pfiferweg 66774 Tschagguns Tel. 0650/433 19 60 [email protected]

INFO & KONTAKT

Klaus Feldkircher: „Riss im Leben –Geschichte eines Gehirnschlagpatienten“beschreibt einfühlsam, klar und emotio-nal „Leben, Fall und Comeback“ des KurtGerszi. 200 Seiten, mit Illustrationen vonGerhard Mangold, 19,90 ! (80 Prozentdavon gehen als Spenden an MontafonerReha-Einrichtungen); Bestellmöglichkei-ten siehe www.net-lugg-lo.at

BUCHTIPP

Kurt Gerszi: „Wir brauchen immerwieder Hilfe, aber wir suchen auch unsere verlorene Autonomie.“

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AKS GESUNDHEIT VORARLBERG

Zahlreiche Studien belegen, dassdie ersten Jahre eines Kindes vonprägender Bedeutung für das ge-samte weitere Leben sind. In Vor-arlberg gibt es deshalb mit „Netz-werk Familie“ ein Angebot „Frü-her Hilfen“, das Familien in be-lastenden Lebenssituationen ent-lasten und deren Babys und Klein-kinder in ihrer sozialen und ge-sundheitlichen Entwicklung för-dern soll. „Der Kern unserer Arbeitist, die psychosoziale Situationder Familien abzuklären, nachpassenden regionalen Unterstüt-zungsangeboten zu recherchierenund diese weiterzuvermitteln“,erklärt die Psychologin AlexandraWucher, die gemeinsam mit der

Sozialarbeiterin Christine Rinner„Netzwerk Familie“ leitet.Das Spektrum an sozialen undgesundheitlichen Dienstleistun-gen, die so gezielt zugänglich ge-macht werden ist groß. Es reichtvon Unterstützung bei der Ver-sorgung des Babys und mode-rierten Eltern-Kind-Gruppen überFamilienhilfe, Betreuung zuhausedurch Hebammen, Frühförderungund psychologische Unterstüt-zung bis zur Schuldnerberatungund Maßnahmen zur Aus- undWeiterbildung oder für den be-ruflichen Wiedereinstieg. Netz-werk Familie hat bislang 638 Fa-milien mit insgesamt 975 Kindernunterstützt.Vor Kurzem hat das Angebot fürbessere Gesundheits- und Le-benschancen im Vorarlberg Mu-seum in Bregenz seinen 5. Ge-

burtstag gefeiert. Zu den Refe-rent/innen bei der Veranstaltungmit zahlreichen Teilnehmer/innenaus Politik, Gesundheits- und So-zialwesen zählten der KinderarztKlaus Vavrik, der Präsident derÖsterreichischen Liga für Kinder-und Jugendgesundheit undMechthild Paul, die Leiterin des

Nationalen Zentrums Frühe HilfenDeutschland. Die Evaluierung derVorarlberger Frühe Hilfen-Pilot-projekte wurde 2010 vom FondsGesundes Österreich gefördert.Netzwerk Familie wurde auch alsModellprojekt für die Verwendungder Vorsorgemittel ab 2015/2016ausgewählt.

PRAXIS

Fünf Jahre Netzwerk Familie

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Klaus Vavrik, der Präsident ÖsterreichischenLiga für Kinder- und Jugendgesundheit, referierte bei der Fünf-Jahres-Feier von Netzwerk Familie in Vorarlberg.

Alexandra Wucher: „Kern der Arbeitvon Netzwerk Familie ist es, passenderegionale Unterstützungsangebote weiterzuvermitteln.“

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Preis für gesunde Projekte

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verpflegung

STYRIA VITALIS

WIENER GESUNDHEITS-FÖRDERUNG

Für den Wiener Gesundheits-preis wird auch heuer wiedernach besonders innovativenoder außergewöhnlichenProjekten gesucht. Die Aus-zeichnung wird in den fol-genden drei Kategorien ver-geben: „Gesund in Grätzelund Bezirk“, „Gesund in Ein-richtungen/Organisationen“sowie zum diesjährigenSchwerpunkt „Bewegung“.Es können Projekte und Ini-tiativen eingereicht werden,die im Jahr 2014 in der Bun-deshauptstadt begonnenoder abgeschlossen wurden.In jeder Kategorie wird zu-sätzlich ein Medienpreis für

herausragende journalisti-sche Arbeiten vergeben.„Wir suchen Beiträge, diesich mit einem umfassendenGesundheitsbegriff – alsomit dem körperlichen, see-lischen und sozialen Wohl-befinden – auseinanderset-

zen“, so Dennis Beck, derGeschäftsführer der WienerGesundheitsförderung.

Die Unterlagen sind onlineunter www.wig.or.at ab-rufbar. Die Einreichfrist läuftbis 29. Mai 2015.

EUROHEALTHNET

„Wir müssen für Rahmenbedingungen sor-gen, die es möglich machen, gesund alt zuwerden, weiterhin aktiv an der Gesellschaftteilzuhaben, unabhängig zu bleiben und einehohe Lebensqualität zu erhalten“, sagt Caro-line Costongs, die Geschäftsführerin von EuroHealthNet, der Dachorganisation von 29Institutionen für Gesundheitsförderung ausganz Europa. EuroHealthNet hat deshalb dasPortal www.healthyageing.eu eingerich-tet, das unter anderem Praxisbeispiele zu die-sem Thema vorstellt.Anfang Jänner fand auch eine Debatte im Europäischen Parlament statt, die von EuroHealthNet initiiert wurde und für die derösterreichische EU-Parlamentarier Heinz K.Becker Gastgeber war. Thema war, wie dieGesundheitskompetenz älterer Menschenverbessert werden kann. Bei der Veranstal-tung wurde das Projekt „Intervention Research On Health Literacy among Ageing

population“ (IROHLA) der Europäischen Uni-on vorgestellt, das zum Ziel hat, die bestenStrategien dafür systematisch festzustellenund öffentlich zu machen. Gesundheitskom-petenz ist die Fähigkeit, sich Gesundheitswis-sen anzueignen und auf dessen Basis im All-tag die bestmöglichen Entscheidungen fürdie eigene Gesundheit zu treffen. Zudem sindGesundheitsorganisationen gefordert, Infor-mationen leicht lesbar und verständlich zugestalten. Mehr dazu enthält die Websitewww.irohla.eu

Die besten Strategien für gesundes Altern

Dennis Beck, der Geschäftsführer der Wiener Gesundheitsförderung.

Caroline Costongs, die Geschäftsführerin von EuroHealthNet mit Sitz in Brüssel: „Wir müssen für Rahmenbedingungen sorgen, die es möglich machen,gesund alt zu werden.“ Fo

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Großküchen bekochen täglich sehr vieleMenschen. Wer dafür sorgt, dass ihre An-gebote gesundheitsförderlich und ausge-wogen gestaltet werden, kann somit vieleEsser/innen erreichen. Im Fall der Zen-tralküche Graz sind es vor allem Kinder,denn diese liefert täglich nicht weniger als7.000 Portionen an insgesamt 146 Einrich-tungen, darunter speziell Kindergärten,Volksschulen, Neue Mittelschulen, Krippenund Horte. Die steirische Institution fürGesundheitsförderung Styria vitalis möchtedeshalb gemeinsam mit dem Küchenteamrund um Küchenmeister Franz Gerngroßerproben, wie die Mittagsverpflegung die-ser Institutionen weiter optimiert werdenkann. Das geschieht im Rahmen des vomFonds Gesundes Österreich, dem Sozialamtder Stadt Graz sowie dem Gesundheits-ressort des Landes Steiermark finanziertenzweieinhalb Jahre dauernden Projektes„Herausforderung Gemeinschaftsverpfle-gung“. Dabei wird der Blick nicht nur aufdie Gestaltung der Speisepläne gelenkt. Eswerden auch Prozesse wie der Bestellvor-gang sowie die Kommunikation zwischender Zentralküche und den Einrichtungennäher beleuchtet. Da das Endgaren derSpeisen nach dem „Cook & Chill“-Verfah-ren vor Ort erfolgt, soll auch noch besserdafür gesorgt werden, dass es dabei zukeinen Qualitätseinbußen kommt.

PRAXIS

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PRAXIS

Projektumsetzung zuständig war, ergänzt: „Dadie einzelnen Betriebe sehr unterschiedliche Bran-chen repräsentieren, wurden für alle individuali-sierte Maßnahmenpläne erstellt.“ Da ging esetwa einmal darum, die Strukturen, Zuständig-keiten und Arbeitsplatzbeschreibungen in einemBetrieb zu konkretisieren, und dies im Laufe desProjekts in einem Organisationshandbuch zu-sammenzufassen, das nun über das Intranet allenzugänglich ist. Ein andermal war die Ausgangslageso, dass sich die Mitarbeiter/innen in einem Betriebmit vielen Filialen untereinander nicht oder kaumkannten. „Dort wurde eine einmal jährlich statt-findende Betriebsfeier strukturell verankert, wassehr gut ankam“, freut sich Weilhartner. Die Eva-luierung des Projektes zeigt, dass sich die zahl-reichen Maßnahmen bewährt haben, die dabeiinsgesamt gesetzt wurden. 34 Prozent aller Mit-arbeiter/innen beteiligten sich aktiv daran. ElfProzent geben an, dass das Projekt das Betriebs-klima verbessert hat und acht Prozent, dass ihreLebensqualität gestiegen ist.

„Das gesunde Band“Besonders interessant und erfolgreich waren auchdie Aktivitäten, die bei DAS BAND – einem Vereinfür unterstütztes Arbeiten und Wohnen in Wien– unter dem Titel „Das gesunde Band“ umgesetztwurden. „Wir haben nicht nur Maßnahmen fürunsere etwa 90 Mitarbeiter/innen durchgeführt,sondern auch für die rund 130 Personen mit Be-hinderungen und psychischen Erkrankungen inunseren Werkstätten und Tagesstrukturen“, erklärtdie interne Projektleiterin Veronika Richter. Eswurden unter anderem regelmäßig Gesundheits-zirkel und Workshops veranstaltet und strukturelleÄnderungen durchgeführt. Besonders großer

Kleine und mittlere Unternehmen (KMU)finden oft nicht so leicht wie Großbetriebemit mehr als 250 Beschäftigten Zugang

zur Betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF).Das liegt zum Großteil an deren knapperen fi-nanziellen wie auch personellen Ressourcen (sieheauch Artikel auf den Seiten 34 bis 36). Deshalbhaben die Niederösterreichische Gebietskranken-kasse, die Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK)und die Allgemeine Unfallversicherungsanstaltgemeinsam mit dem Fonds Gesundes Österreichein Angebot für Unternehmen dieser Größe ent-wickelt. „KMU fördern Gesundheit“ lief vom Oktober2011 bis zum September 2014 bei der ForstingerÖsterreich GmbH, der R&M Tüchler GmbH, derTerolabsurface GmbH und dem Verein DAS BANDin Wien sowie in Niederösterreich in der ArgeChance und bei den Firmen Drott MedizintechnikGmbH und Wolfgang Strehle GmbH. 380 Personenkonnten erreicht werden. In jedem Unternehmenwurde zunächst eine IST-Standsanalyse zur Ge-sundheit der Mitarbeiter/innen durchgeführt, aufderen Basis dann verschiedene Maßnahmen ent-wickelt wurden. In jedem Betrieb gab es aucheine interne Projektleiterin oder einen internenProjektleiter und je nach Größe des Unternehmensauch eine Steuerungsgruppe.

Unterschiede berücksichtigen „In manchen Unternehmen war viel Begleitungnotwendig, in anderen nur sehr wenig. Außerdemmussten wir lernen, damit umzugehen, dass jederBetrieb sein eigenes Tempo hat“, berichtet dieGesamtprojektleiterin Andrea Schober von derWGKK. Und Alexandra Weilhartner von ÖSB Con-sulting, die als externe Betriebsberaterin für die

Nachfrage erfreuen sich in der SozialorganisationYoga-Workshops und Outdoor-Bewegung in Ko-operation mit dem Verein login. Diese Aktivitätenwurden in den ersten Gesundheitszirkeln seitensder Teilnehmer/innen angeregt und werden seit-dem regelmäßig angeboten. Nicht nur bei denMitarbeiter/innen von DAS BAND, sondern auchbei den betreuten Menschen konnten so letztlichwesentliche Verbesserungen erzielt werden. „NachProjektende haben 93 Prozent unserer Klient/innenihren Gesundheitszustand als ,sehr gut’ oder ,gut’eingeschätzt, während das davor nur 76 Prozentgewesen sind und 16 Prozent mehr Personenbetreiben nun Sport“, sagt Veronika Richter.

Die Gesamtpro-jektleiterin Andrea Schobervon der WGKK:„In manchen Unternehmen warviel Begleitung notwendig, in anderen nur sehrwenig.“

Veronika Richtervon DAS BAND:„Elf Prozent der Be-schäftigten gebenan, dass das Projektdas Betriebsklimaverbessert hat.“

Gesamtprojektleiterin:Andrea SchoberTel. 01/601 22 – 2052 [email protected]

Externe Betriebsberaterin:Alexandra Weilhartner Tel. 01/331 68 [email protected]

Projektleiterin „Das gesunde Band“:Veronika RichterTel. 0699/148 626 [email protected]

Zuständiger Gesundheitsreferent beim FGÖ:Jürgen Tomanek-UnfriedTel. 01/895 04 [email protected]

INFO & KONTAKT

Betriebliche Gesundheitsförderung ist in kleinen und mittleren Unternehmen oft nicht leicht umzusetzen.

Ein Projekt zeigt, wie es doch gehen kann.Text: Gabriele Vasak

So fördern Kleinbetriebe Gesundheit

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Die Arbeit in der Pflege kann sehr bereichernd sein.Doch sie ist auch mit besonderen körperlichen und

psychischen Belastungen verbunden. Ein Projekt hatdeshalb gleich bei fünf Wiener Pflegeeinrichtungen für gesündere Arbeitsbedingungen gesorgt. Text: Dietmar Schobel

PRAXIS

Unser größter Erfolg war wohl,dass fünf Betriebe gemeinsamGesundheitsförderung umge-

setzt haben“, sagt Martin Glashüttner.Er hat ein Projekt für Betriebliche Ge-sundheitsförderung (BGF) geleitet,das in einem Bereich stattfand, in demdie Arbeit sowohl besonders berei-chernd als auch körperlich und psy-chisch besonders belastend sein kann.„In der Pflege gibt es spezielle Res-sourcen“, weiß der BGF-Experte: „Soist der Zusammenhalt im Team oftsehr gut und die Arbeit wird als sinn-voll wahrgenommen. Denn die Pfle-genden erleben, dass sie für die vonihnen betreuten Menschen wichtigund wertvoll sind.“

Dem stünden jedoch spezielle He-rausforderungen gegenüber. „DerZeitdruck ist heute gerade auch inder Pflege oft sehr groß. Dazu könnenkörperliche Belastungen durch Hebenund Tragen kommen, rasch wech-selnde Dienstpläne sowie emotionaleÜberforderungen durch den Umgangmit Leid und Trauer“, sagt Glashütt-ner. Bei der Ausgangserhebung desvon ihm geleiteten Projekts habenviele Pflegende auch angegeben, dasssie zu gering entlohnt werden undvon ihren Vorgesetzten zu wenig An-erkennung erhalten. Doch auch dieFührungskräfte seien oft stark belas-tet, so der Projektleiter: „Viele fühlen

sich für ihre Mitarbeiter/innen unddie betreuten Personen in hohem Maßverantwortlich und sind auch in derFreizeit am Diensthandy ständig er-reichbar.“

Fünf soziale Dienstleister haben sich beteiligtDas vom Fonds Gesundes Österreichgeförderte BGF-Projekt „Pflege-Kraft“sollte deshalb für alle in diesem Be-reich Tätigen gesundheitsförderliche-

re Arbeitsbedingungen schaffen: fürHeimhelfer/innen und Pflegehelfer/innen ebenso wie für das diplomiertePersonal und die Mitarbeitenden inder Verwaltung. Es baute auf den Er-fahrungen aus einem Projekt für Pfle-gende bei der Volkshilfe auf und wur-de zwischen September 2011 und Au-gust 2014 umgesetzt. „Wir haben dasProjekt beim Dachverband der Wiener Sozialeinrichtungen präsen-tiert und konnten fünf soziale Dienst-

Workshops für schnelle und gesunde Küche und Sporttage waren ein Bestandteil des Aktivprogrammes imProjekt „Pflege-Kraft“ in fünf Sozialbetrieben in Wien.

Frische Kraftfür die Pflege

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AndreaReisenberger, dieGeschäftsführerinvon SMIR: „Wirhaben das Projektzum Anlassgenommen, einigeProzesse zuhinterfragen undneu zu ordnen.“

Der ProjektleiterMartinGlashüttner: „Verhaltens-orientierte Angebotesind vielfach einMittel, um mit denBeschäftigteneinmal ins Gesprächzu kommen.“

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leister dafür gewinnen, sich zu betei-ligen“, erinnert sich Glashüttner.Das sind die Caritas Wien Betreuenund Pflegen mit rund 1.700 Mitar-beitenden, das Wiener Hilfswerk mitrund 740 und Care Systems mit rund100 Beschäftigten sowie das psycho-soziale Zentrum ESRA für trauma-tisierte Menschen mit 65 Mitarbei-tenden und SMIR, die sozialmedizi-nische Initiative Rodaun, mit einemTeam von 14 Personen. Die beteilig-ten Organisationen haben für dieProjektumsetzung eine Arbeitsge-meinschaft gegründet. Diese wurdegemeinsam mit den Beratungsun-ternehmen FIT-VITAL und IBG ent-wickelt und von Martin Glashüttnergeleitet: „Das Ziel war, die Ressour-cen effizient zu nutzen und möglichstviel voneinander zu lernen.“

Impulse zur PersonalentwicklungDie ersten Gesundheitszirkel, in de-nen Ideen für gesundheitsförderlicheMaßnahmen entwickelt wurden,starteten bereits Ende Februar 2012.Insgesamt arbeiteten dann 108 Men-schen in den Gesundheitszirkeln mit,83 Mitarbeiter/innen und 25Fu !hrungskra!fte. 113 Maßnahmenwurden in den fu !nf teilnehmendenBetrieben umgesetzt oder schon inden Regelbetrieb integriert. „DieseMaßnahmen waren je nach Betriebsehr unterschiedlich. Insgesamt kannjedoch festgestellt werden, dassdurch das Projekt wichtige Impulsezur Personal- und Organisationsent-wicklung gegeben und zahlreicheweitere verhältnisorientierte Maß-nahmen umgesetzt wurden“, sagtGlashüttner.

Einzelne Beispiele sind etwa, dassbei ESRA die Pausenra!ume adaptiertund ein zusa!tzlicher Sozialraum er-richtet wurde. Beim Wiener Hilfs-werk konnten die Mitarbeiter/innenu!ber die Ausstattung ihrer Bu!ros ab-stimmen. Bei Care Systems wurdeninterne Kommunikationsstandardseingeführt, welche die Zusammen-arbeit erleichtern. Bei ESRA findetseit dem Projekt ein regelmäßiges

Chorsingen des Großteams statt undbei SMIR werden Arbeiten außerhalbder Dienstzeiten nun zusätzlich ab-gegolten, wie etwa Apothekenbesu-che oder Telefonate mit Ärzt/innenfür die Klient/innen. Bei einem be-triebsu !bergreifenden Seminarpro-gramm wurden unter anderem Stra-tegien für den Umgang mit schwie-rigen Klient/innen vermittelt undWorkshops für mobile Mitarbeitendeabgehalten, in denen diese das Wich-tigste über schnelle und gesunde Kü-che lernen konnten. Über 100 Wei-terbildungstermine fanden an 17 ver-schiedenen Standorten in ganz Wienstatt.

Die Führungsqualität hat sich verbessertDie Ergebnisse des BGF-Projekteskönnen sich sehen lassen. So habenetwa alle Führungskräfte an Semi-naren für „Gesundes Führen“ teil-genommen. Die von Franz Kollandvom Institut für Soziologie der Uni-versität Wien geleitete Evaluationbelegt, dass von den Pflegehilfen dieQualität der Führung nunmehr umfünf Prozent besser beurteilt wirdals vor dem Projekt. Die wichtigeKennzahl der Mehr- und U !berstun-den konnte ebenfalls positivvera!ndert werden. So hat sich bei-spielsweise die Anzahl der Mehr-stunden beim Wiener Hilfswerk umbis zu 45 Prozent verringert. Außer-dem konnte in den drei Jahren derProjektlaufzeit in jedem Betrieb eineStruktur geschaffen werden, dankder die Betriebliche Gesundheitsför-derung nachhaltig weitergeführtwerden kann. Zudem wurden 35 Ge-sundheitskoordinator/innen ausge-bildet und sorgen nun dafür, dassGesundheitsförderung in den betei-ligten Betrieben weiterhin ein Themableibt.

„Zum Projekt gehörte auch ein um-fangreiches Aktivprogramm, mitZumba- und Pilates-Kursen, Sport-tagen, Kochworkshops und vielenweiteren Maßnahmen”, sagt Glas-hüttner und betont: „Solche verhal-

INFO & KONTAKTProjektleiter:Martin GlashüttnerTel. 0676/626 48 [email protected]

Zuständiger Gesundheitsreferentbeim FGÖ:Jürgen Tomanek-Unfried Tel. 01/895 04 [email protected]

Kooperationen mit: IBG und FIT-VITAL

tensorientierten Angebote sind viel-fach ein Mittel, um mit den Beschäf-tigten einmal ins Gespräch zu kom-men und in der Folge auch Verhält-nisverbesserungen gezielter umset-zen zu können.” Am Aktivpro-gramm von Pflege-Kraft haben 29Prozent der Mitarbeitenden der fünfBetriebe teilgenommen. Alle Betrie-be haben Mitte März auch das Gü-tesiegel für BGF des Österrei-chischen BGF-Netzwerkes erhalten.Mit diesem werden Organisationengewürdigt, die BGF nachhaltig underfolgreich verwirklichen.

Was im Tagesgeschäft zu kurz kommtDas Schlusswort, das so auch in ei-ner Broschüre zum Projekt doku-mentiert ist, gehört einer Beteilig-ten: „Wir haben das Projekt zumAnlass genommen, einige Prozessezu hinterfragen und neu zu ordnen.Themen wie Kommunikation, Ge-staltung des Dienstplanes, Kran-kensta!nde, Supervision und vielemehr, die zwar wichtig waren, aberim Tagesgescha!ft zu kurz gekom-men sind, konnten im Rahmen di-verser Teamsitzungen ausfu !hrlichdiskutiert werden“, fasst AndreaReisenberger, die Geschäftsführerinvon SMIR einige Erfahrungen ausder Praxis zusammen und betont:„Insgesamt hat das Projekt vieleAnsto !ße gegeben und durch dieMaßnahmen, die dabei umgesetztwurden, ist auch schon vieles po-sitiv vera!ndert worden.“

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Die Zahl der Einpersonen-Unternehmen wächst. Viele dieser Selbständigen arbeiten sehr intensiv und haben für ihre Gesundheit vermeintlich keine Zeit. Bei

einem Pilotprojekt wurde festgestellt, wie das verbessert werden kann. Text: Dietmar Schobel

fähigkeit abnehmen könnte und es im Falleeiner Erkrankung keine finanzielle Absiche-rung gibt. „Eine Umfrage unter rund 500Selbständigen in Wien im Rahmen von GAVAhat gezeigt, dass sich nur zehn Prozent davonnicht oder nur gering belastet fühlen“, be-richtet die Expertin für Betriebliche Gesund-heitsförderung Alexandra Weilhartner vonder ÖSB Consulting GmbH.

Mehr Gesundheit für „Soloselbständige“Die ÖSB Consulting GmbH hat das Pilotpro-jekt GAVA durchgeführt, das vom Fonds Ge-sundes Österreich gefördert wurde und er-proben sollte, wie Maßnahmen zur Betrieb-

PRAXIS

Arbeitszeiten von 60 Stunden undmehr pro Woche waren bei mir nochvor wenigen Jahren keine Seltenheit.

Mit zunehmendem Alter konnte ich diesesPensum jedoch nicht mehr so gut bewältigenwie früher, und es haben sich schon ersteAnzeichen von Burn-out bemerkbar ge-macht“, erzählt der Fotograf Franz Pfluegl.Durch das Projekt „Gesund arbeiten von An-fang an“ (GAVA) habe sich das positiv ver-ändert. „Dort habe ich den Anstoß erhalten,mich mehr mit meiner Gesundheit zu be-schäftigen. Das war zuvor für mich überhauptkein Thema“, berichtet der 57-Jährige ausWien. Vor allem ein GAVA-Kurzseminar fürSelbstmanagement habe ihm den Anstoß

dafür gegeben, besser auf sich zu achten,ergänzt Pfluegl: „Heute teile ich mir meineArbeitszeit so ein, dass ich mit 40 Stundenpro Woche auskomme.“So wie dem Wiener geht es vielen, die alsEinpersonen-Unternehmen, Neue Selbstän-dige oder freie Dienstnehmer/innen tätigsind. Sie arbeiten länger als der Durchschnittder Erwerbstätigen und werden zusätzlichdadurch belastet, sich um alles selbst küm-mern zu müssen – von der Akquise vonKund/innen über die Pflege des beruflichenNetzwerkes bis zur Abrechnung und Buch-haltung. Dazu kommen meist eine hohe Ar-beitsdichte und großer Zeitdruck. Am größtensind jedoch die Sorgen, dass die Leistungs-

Müssen Selbständigeständig arbeiten?

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Ein „herbstlicher Fotowalk mit Achtsamkeitsübungen” war eines der vielen unterschiedlichen Angebote beim Pilotprojekt GAVA für Soloselbständige in Wien.

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lichen Gesundheitsförderung am besten zuden „Soloselbständigen“ gebracht werdenkönnen. Das wird dadurch erschwert, dassdiese Zielgruppe sehr heterogen ist. Sie um-fasst alle Branchen von Unternehmensbera-ter/innen über Therapeut/innen bis zu EDV-Dienstleister/innen, Einzelhändler/innen undHandwerker/innen und reicht von prekär Be-schäftigten bis zu erfolgreichen Start-up-Un-ternehmer/innen mit hohen Gewinnen. Die Motive für die Selbständigkeit sind eben-falls unterschiedlich. „Laut Studien geht esaber sehr häufig um Selbstverwirklichung,zum Beispiel darum, eine eigene Produkt-oder Dienstleistungsidee umzusetzen, Familieund Beruf besser zu vereinbaren oder sein

eigener Chef sein zu wollen. Nur etwa einViertel gründet aus Notwendigkeit“, sagtWeilhartner.

In der Projektpraxis gab es bei GAVA einebunte Mischung von kostenlosen Gesund-heits- und Wirtschaftsberatungsangeboten,die in aller Regel in ein bis zwei Stundenoder auch maximal einem halben Tag genutztwerden konnten. Das Spektrum reichte dabeivon „Cranio-Sacraler Körperarbeit“ und gesunder Bewegung mit „Smoveys“ übereinen „kulinarischen Spaziergang am WienerNaschmarkt“ bis zu Kurzseminaren für bessere Work-Life-Balance oder einem„herbstlichen Fotowalk mit Achtsamkeits-übungen“ im Wiener Prater. „Dass die An-gebote inhaltlich so vielfältig waren, wurdeanfangs kritisiert und hat sich letztlich sehrbewährt. Dadurch ist es gelungen, Menschenmit sehr unterschiedlichen Interessen anzu-sprechen und miteinzubeziehen“, sagtKatharina Ebner von der ÖSB ConsultingGmbH, die Leiterin des zwischen November2011 und Februar 2014 durchgeführten Pro-jektes, bei dem über 1.000 Teilnahmen anGesundheitsworkshops erzielt werden konn-ten. Dazu hat auch beigetragen, dass dieSoloselbständigen eingeladen waren, „Family& Friends“ mitzubringen. Stark nachgefragtwaren speziell Angebote für den persönlichenAustausch und zur besseren Vernetzung zwi-schen den Einzelunternehmer/innen, wie das„Gesundheitsbusinessfrühstück“.

Immer mehr Ein-Personen-Unternehmen„Viele Teilnehmer/innen haben Gesundheits-förderung nunmehr in ihren Alltag integriert,

und das ist einer der Gründe, warum GAVAnachhaltige Wirkungen erzielt hat“, meintKatharina Ebner: „Wir freuen uns aber auchsehr, dass es gelungen ist, für das Projekt soviele institutionelle Partner zu gewinnen, diedieses sehr aktiv unterstützt und Gesund-heitsförderung für Soloselbständige seitherauch verstärkt zu ihrem Thema gemacht ha-ben.“ Der Bedarf dafür ist vorhanden, dennes gibt in Österreich zunehmend mehr Ein-Personen-Unternehmen (EPU). „In den ver-gangenen Jahren waren jährliche Zuwachs-raten zwischen vier und sechs Prozent zubeobachten“, weiß Alexandra Weilhartner.Aktuell beträgt die Zahl der EPU laut Angabender Wirtschaftskammer 267.000. Das ent-spricht einem Anteil von 57 Prozent an deninsgesamt rund 466.000 österreichischenUnternehmen.

Franz Pfluegl: „Gesundheitwar vor dem Projekt für michüberhaupt kein Thema.“

Katharina Ebner: „Durch dievielfältigen Angebote ist esgelungen, Menschen mit sehrunterschiedlichen Interessenanzusprechen undmiteinzubeziehen.“

INFO & KONTAKTÖSB Consulting GmbHAlexandra WeilhartnerTel. 0664/60 [email protected]

Zuständiger Gesundheitsreferentbeim FGÖ:Jürgen Tomanek-UnfriedTel. 01/895 04 [email protected]

Kooperationen mit: Bundesministerium für Arbeit, Soziales undKonsumentenschutz, Wirtschaftsagentur Wien,SVA der gewerblichen Wirtschaft,AUVA, proFITNESS/WKO, Focus1, Forum EPU und Mingo

HOCH MOTIVIERT, BELASTET UND GESUND-

HEITSINTERESSIERT

Eine Online-Befragung mit rund 500 Teil-nehmer/innen hat sich 2013 im Rahmendes vom Fonds Gesundes Österreich geför-derten Projektes „Gesund und arbeitsfähigvon Anfang an“ mit dem Gesundheitsver-halten und der Arbeitssituation von Solo-selbständigen beschäftigt. 28 Prozent ar-beiten mehr als 40 und weitere 20 Prozentmehr als 50 Stunden pro Woche. Gleich-zeitig sind 35 Prozent mit ihrer Arbeit„sehr zufrieden“ und 48 Prozent, alsoknapp die Hälfte „ziemlich zufrieden“.21 Prozent haben Betreuungspflichten fürKinder und zwölf Prozent solche für pfle-gebedürftige Angehörige. Bei betreuendenFrauen nehmen diese Pflichten im Durch-schnitt 37,5 Stunden pro Woche in An-spruch, bei betreuenden Männern 19Stunden pro Woche. Rund neun Zehntelder Soloselbständigen fühlen sich deutlichoder teilweise belastet, weil sie bei einerErkrankung nicht finanziell abgesichertsind, oder weil sie fürchten, dass ihre Leis-tungsfähigkeit abnehmen könnte. Für rund29 Prozent der Soloselbständigen wurde inder Umfrage Überlastungsgefahr festge-stellt, da bei ihnen überdurchschnittlicheBelastungen unterdurchschnittlichen Res-sourcen gegenüberstehen. 86 Prozent derSolo-Selbstständigen betrachten „die Pfle-ge und den Erhalt der Gesundheit undLeistungsfähigkeit“ als besonders wichti-gen Faktor für den Geschäftserfolg.

Alexandra Weilhartner: „Für rund 29 Prozent derSoloselbständigen wurde in einerUmfrage Überlastungsgefahrfestgestellt."

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Menschen, die in der Tourismusbranche arbeiten, sind gesundheitlich oft besondersstark belastet. Was sich dagegen tun lässt, zeigt ein Projekt zur Betrieblichen Gesundheitsförderung des Thermenhotels Stoiser in Loipersdorf. Text: Gabriele Vasak

PRAXIS

Das Thermenhotel Stoiser in Loi-persdorf hat 100 Mitarbeiter/innen, deren wichtigste Auf-

gabe es ist, das Wohl der Hotelgästezu sichern. Das ist nicht immer leicht,wie auch eine Gesundheitsbefragungim Jahr 2010 ergab. Demnach littenzu diesem Zeitpunkt 49 Prozent derim Hotel Beschäftigten unter Stressund Überlastung, 42 Prozent unterZeitdruck und 44 Prozent unter Be-lastungen, die durch eine ungünstige

Arbeitshaltung verursacht waren. Um dem entgegenzuwirken, wurdeauf Initiative des Hotelleiters, GeraldStoiser von Februar 2010 bis Dezem-ber 2011 das vom Fonds GesundesÖsterreich (FGÖ) geförderte Projektzur Betrieblichen Gesundheitsfo !rde-rung „Weil ich wichtig bin“ durch-geführt. „Der Grundgedanke dahin-ter war, das wichtigste Kapital unseres Hotels, die Mitarbeiter/in-nen, weiter zu stärken und in deren

Gesundheit zu investieren. Wir haben mit diesem Projekt versucht,Arbeit gesund zu gestalten, indemwir die betrieblichen Rahmenbedin-gungen optimiert haben“, erklärtStoiser.

Wertschätzung fördernDie Mitarbeiter/innen wurden ein-geladen, in Gesundheitszirkeln Maß-nahmen für mehr Gesundheit im Un-ternehmen vorzuschlagen. 42 Be-

Das wichtigste Kapital eines Hotels

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schäftigte haben diese Möglichkeitgenutzt, und 90 Prozent der vorge-schlagenen Veränderungen konntenletztlich auch umgesetzt werden. Da-bei wurde auf ein ausgewogenes Ver-hältnis zwischen organisationsbezo-genen und verhaltensorientiertenMaßnahmen geachtet.

Wertschätzung fördernAngebote zur Verbesserung der so-zialen Beziehungen erhielten diegrößte Aufmerksamkeit, weil dieserBereich besonders wichtig ist, wennes gilt, zu mehr Gesundheit in einemBetrieb beizutragen. Deshalb ging esin dem Projekt vor allem auch da-rum, klare Führungsstrukturen undregelmäßige Mitarbeiter/innenge-spräche einzuführen und die Wert-schätzung der Arbeit des jeweils an-deren zu fördern. „Letzteres ist vorallem durch die Maßnahme ,Mitar-beiter besuchen Mitarbeiter’ gelun-gen. Dabei hatten die Beschäftigtendie Möglichkeit, andere Arbeitsbe-reiche und die dort Tätigen besserkennenzulernen. Insbesondere derkollegiale Zusammenhalt und diegegenseitige Unterstützung konntendadurch gestärkt werden“, berichtetHelga Pesserer, die „Weil ich wichtigbin“ als externe Projektleiterin be-treute.Sie sorgte auch mit dafür, dass dieFührungskräfte geschult wurden.„Gesundheit ist heute im Leitbilddes Unternehmens und als Füh-rungsaufgabe verankert. Entspre-chende Coachings und Schulungenwerden weiterhin angeboten, undein interner Projektleiter und Ge-sundheitszirkelmoderator wurdequalifiziert. Aber auch die Kommu-nikationsabläufe und Management-strukturen im Unternehmen wurdenverbessert“, berichtet Pesserer überdie positiven Veränderungen.

Angebote an die Bedürfnisse anpassenSie führt den Erfolg der Initiativeauch darauf zurück, dass genau da-rauf geachtet wurde, die gesundheits-

förderlichen Maßnahmen den Be-dürfnissen der Mitarbeiter/innen ent-sprechend zu gestalten. Die verschie-denen Angebote wurden zu Zeitengemacht, zu denen sie von möglichstvielen Beschäftigten genutzt werdenkonnten. Das galt für Gesundheits-und Fitnesschecks oder Ergonomie-beratung ebenso wie für Vorträge zuThemen wie Raucherentwo !hnungund Positives Denken oder das „Chitraining – Fitness für Faule“. „ImHotel gab es zum Beispiel auch schonvor dem Projekt ein Mitarbeiter/in-nen-Turnen. Doch dieses Angebotwurde aus Termingründen kaum ge-nutzt“, erläutert Pesserer. Im Rahmendes Projektes sei deshalb ein „Kurz-turnen“ von 15 Minuten Dauer ent-wickelt und dreimal pro Woche zuden Dienstschlusszeiten angebotenworden. „Das wurde sehr gut ange-nommen – vor allem auch von denEtagenmitarbeiterinnen, die bis dahinkaum erreicht worden waren“, freutsich die Expertin für Betriebliche Ge-sundheitsförderung.

Hohe Beteiligung Die Evaluation zeigte, dass 59 Pro-zent der Mitarbeiter/innen öftersverschiedene Projektangebote wahr-genommen haben. An den Maßnah-men für Führungskräfte haben sogaralle 14 Mitarbeiter/innen mit Füh-rungsverantwortung teilgenommen.„Die zweite GesundheitsbefragungEnde 2011 hat ergeben, dass Belas-tungen durch die Arbeitshaltung,Stress und Zeitdruck moderat redu-ziert und die sozialen Ressourcenteilweise gestärkt werden konnten“,fasst die externe Projektleiterin dieErgebnisse zusammen. Als wichtigenErfolgsfaktor betrachtet sie auch dashohe persönliche Engagement desHotelleiters. Dieser sieht die Sacheso: „Das Wichtigste ist jetzt, die Gesundheitsprogramme dauerhaftumzusetzen. Mit Thomas Fischer alsinternem Projektleiter haben wir einen Garanten dafür gefunden, derdieses Ziel sicher weiterhin mit vielEnergie verfolgen wird.“

INFO & KONTAKTExterne Projektleiterin:Helga PessererTel. 0664/52 00 [email protected]

Zuständiger Gesundheitsreferent beim FGÖ:Jürgen Tomanek-UnfriedTel. 01/895 04 [email protected]

Hotelleiter Gerald Stoiser: „Wir haben mit diesemProjekt versucht, Arbeit gesund zu gestalten, indem wirdie betrieblichen Rahmenbedingungen optimiert haben.“

Die externe ProjektleiterinHelga Pesserer: „Stress undZeitdruck konnten reduziert und die sozialen Ressourcen teilweisegestärkt werden.“

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SERVICEARTIKEL

In der Arbeitswelt findet aktuellein tiefgreifender Wandel statt.Zu dessen Charakteristika zählt:

der Wettbewerbsdruck steigt, dieneuen Technologien haben wach-sende Relevanz, und die Belegschaf-ten werden zunehmend älter. Dasstellt viele Unternehmen vor neueHerausforderungen und hat zu-gleich auch der zentralen Bedeu-tung der Gesundheit und Arbeits-fähigkeit der Beschäftigten nochmehr Aufmerksamkeit verschafft.Wer diese gezielt fördert und erhält,kann auch die aktuellen Verände-rungen besser bewältigen und si-chert die eigene Wettbewerbsfähig-keit.In der Praxis wird die systematische

Beschäftigung mit Gesundheit invielen Unternehmen meist in Formeines Projekts zur Betrieblichen Ge-sundheitsförderung (BGF) realisiert.Das beginnt damit, die nötigenStrukturen zu schaffen, wie etwa ei-ne Projektorganisation aufzubauen,die Verantwortlichen zu qualifizierenund zu befähigen sowie die notwen-digen personellen und finanziellenRessourcen bereitzustellen. Daraufaufbauend wird Gesundheit in ihrerMehrdimensionalität gemessen.Dann werden unter Beteiligung derMitarbeiter/innen sowohl verhält-nis- als auch verhaltensorientierteMaßnahmen geplant und umgesetztsowie abschließend die Ergebnisseevaluiert.

BGF ist keine einmalige InterventionDabei muss auch manchmal mit Wi-derständen gerechnet und viel Zeitinvestiert werden, um sowohl dieFührungskräfte als auch die Beleg-schaft zu sensibilisieren und zu in-formieren und Commitment für dieBGF zu erzeugen. Doch diese ist be-kanntlich auch nicht als einmaligeIntervention zu betrachten, die aufdie Projektlaufzeit befristet ist, son-dern als Einstieg in einen längerfristigangelegten Lern- und Entwicklungs-prozess hin zur gesunden Organisa-tion. Die Erfahrungen aus der Be-gleitung zahlreicher Projekte zeigenjedoch, dass in vielen Unternehmennach dem Projektabschluss BGF nichtals Managementthema dauerhaft indie Unternehmensroutinen integriertwird. Im Folgenden soll deshalb be-schrieben werden, was zu beachtenist, damit das gelingt und aus einemBGF-Projekt letztlich ein nachhaltigesBetriebliches Gesundheitsmanage-ment (BGM) entsteht.

BGM basiert auf drei SäulenZunächst muss auch BGM diegrundlegenden Kriterien der Luxem-burger Deklaration für BGF berück-sichtigen, nämlich Partizipation, Pro-jektmanagement, Ganzheitlichkeitund Integration. Bei BGM handeltes sich jedoch auch um ein inhaltlichdeutlich umfangreicheres Konzept.Es beinhaltet die Gesundheit zu för-dern, zu erhalten und wiederherzu-stellen, und Betriebliches Gesund-heitsmanagement verbindet somitdie Ziele und Maßnahmen der Be- Fo

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Der Weg zu einem nachhaltigenBetrieblichen Gesundheitsmanagement

„Betriebliche Gesundheitsförderung“ ist nicht auf die Dauer eines Projektes begrenzt, sondern soll nachhaltig verankert werden. Als „Betriebliches

Gesundheitsmanagement“ umfasst das dann auch den Arbeitsschutz und dasWiedereingliederungsmanagement. Text: Martin Mayer

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Vernetzung der betrieblichen Akteur/innenDie oben angesprochene Erweiterungder inhaltlichen Perspektive beinhal-tet auch, dass sich Mitarbeiter/innenaus Fachbereichen, die bislang schonfür Sicherheit und Gesundheit im Be-trieb zuständig sind, konzertiert unddauerhaft untereinander vernetzenund auf gemeinsame übergeordneteBGM-Ziele ausrichten sollten. Dasumfasst zum Beispiel Präventivfach-kräfte, Arbeitspsycholog/innen sowieFachleute für Gesundheitsförderungund Personalentwicklung. Jetzt müs-sen aber auch neue Rollen und Auf-gaben beschrieben und verhandeltwerden. Das sind zunächst jene desBGM-Verantwortlichen, der ein genaudefiniertes Zeitbudget und regelmä-ßigen Kontakt zur Leitung haben soll-te. Außerdem sind für diese Funktionregelmäßige Fortbildungen notwen-dig. Weiters können auch Gesund-heitsvertrauenspersonen ausgebildetwerden, die speziell dafür verant-wortlich sein sollten, die Belegschaftüber die Aktivitäten im Rahmen vonBGM zu informieren und deren Be-teiligung bestmöglich zu gestalten.

BGM ist FührungsaufgabeBetriebliches Gesundheitsmanage-ment macht einen weiteren wichtigenqualitativen Sprung, wenn es nichtausschließlich von den zuständigenBGM-Verantwortlichen umgesetzt,sondern als Führungsaufgabe gelebtwird, und wenn für alle Unterneh-mensbereiche gemeinsam mit den je-weiligen Führungskräften betriebli-che Gesundheitsziele festgelegt wer-den. Ein so verstandenes „GesundesManagement“ verliert den Projekt-charakter. Voraussetzung ist, dass dieFührungskräfte dafür auch ausrei-chend qualifiziert und befähigt wer-den, Gesundheit in bestehende In-strumente zu integrieren, wie zumBeispiel Mitarbeiter/innengesprächeund Zielevereinbarungen.

BGM als Teil der UnternehmensstrategieWer BGM in ein großes Unternehmen

bringen möchte, muss nicht zuletztauch nachweisen können, dass es ei-nen substanziellen Beitrag leistenkann, um die Unternehmensziele zuerreichen. Dies setzt voraus, eine be-triebliche Gesundheitsstrategie zuentwickeln, die sich als Teilstrategiein die übergeordnete Personal- undUnternehmensstrategie einfügt. InZusammenarbeit mit der Leitungwerden strategische Grobziele undHandlungsfelder festgelegt, die inForm von Zielwerten und Kennzah-len konkretisiert werden können. DieBGM-Kennzahlen können dabei ent-weder in vorhandene Systeme wieeine Balanced Scorecard integriertwerden, oder es können eigenstän-dige Systeme etabliert werden. Dabeigibt es nicht die „richtigen“ oder „fal-schen“ BGM-Kennzahlen im Sinn ei-nes „One Size Fits All“. BGM-Kenn-zahlen können ausschließlich be-triebsspezifisch auf Basis einer aufdie jeweiligen Bedarfe abgestimmtenBGM-Strategie entwickelt werden.

trieblichen Gesundheitsförderung,des klassischen Arbeitnehmer/in-nenschutzes und der Wiedereinglie-derung langzeiterkrankter Beschäf-tigter zu einem integrativen Gesamt-konzept. Die „Säule“ BGF wird umdie „Säulen“ der Prävention und desFallmanagements ergänzt und erwei-tert. Ein Betriebliches Gesundheitsmana-gement aufzubauen und dauerhaftzu erhalten erfordert also, alle betrieb-lichen Strukturen und Prozesse gezieltzu steuern und koordiniert zu inte-grieren. Das Gesamtziel dabei ist, dieSicherheit und Gesundheit sowie dieLeistungsfähigkeit und Leistungsbe-reitschaft der Beschäftigten zu ge-währleisten, zu erhalten und zu för-dern. Betriebliches Gesundheitsma-nagement sollte folglich aus den be-trieblichen Routinen nicht mehr weg-zudenken sein und sich nahtlos inBestehendes einfügen. Dies bedeutet,dass bei der Erstellung eines BGM-Konzepts auch unbedingt erhobenwerden sollte, wo Gesundheit im Un-ternehmen überall sinnvollerweiseals Querschnittsaufgabe dauerhaftverankert werden kann.Das kann beim Unternehmens- undFührungskräfteleitbild sowie bei denUnternehmenszielen beginnen undsoll im Weiteren zu einem Bestandteilvon Managementsystemen und In-strumenten der Personal- und Orga-nisationsentwicklung werden. Be-trachtet man nur den Aspekt der In-tegration in Managementsysteme sozeigt sich, dass ein BGM von Betriebzu Betrieb ein völlig unterschiedlichesErscheinungsbild haben kann. In vie-len Industrie- und Produktionsun-ternehmen kann es sich anbieten, Ge-sundheitsförderung in ein vorhan-denes Sicherheits- und Gesundheits-managementsystem zu integrieren,wie etwa AUVA-SGM oder OHSAS.In öffentlichen Einrichtungen odervielen Dienstleistungsorganisationenist es aufgrund von deren internerBedeutung erfahrungsgemäß ehersinnvoll, Gesundheit in bestehendeQualitätsmanagementsysteme wieetwa EFQM einzubauen.

ZUR PERSONMartin Mayer ist Senior Consultant für Be-triebliche Gesundheitsförderung (BGF) und Be-triebliches Gesundheitsmanagement (BGM)beim Institut für Gesundheitsförderung undPrävention (IfGP). Er ist seit acht Jahren im Be-reich BGF und BGM tätig, begleitet Praxispro-jekte in Unternehmen und ist für die Aus- undWeiterbildung von Projektleiter/innen und -mitarbeiter/innen verantwortlich. Das IfGP istein Tochterunternehmen der Versicherungsan-stalt für Eisenbahnen und Bergbau. Weitere In-formationen dazu sind auf www.ifgp.atnachzulesen.

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PRAXIS

Daraus resultierten zahlreiche Verbesserungenfür die Arbeiter/innen. So wurden etwa hö-henverstellbare Arbeitsplätze neu eingerichtet,zusätzliche Hebehilfen wurden installiertund Zugluft reduziert. Das Ernährungsangebotim Betrieb wurde gesünder gestaltet, undes wurden auch etliche verhaltensorientierteMaßnahmen durchgeführt, wie etwa Semi-nare zur Burn-out-Prävention und individu-elles Rücken- und Entspannungstraining.

Belastungen durch Job Rotation reduzierenAußerdem wurde die Job Rotation intensiviertund Arbeitsplatzwechsel innerhalb des Un-ternehmens wurden erleichtert. „28,6 Prozentder Mitarbeiter/innen wurden jeweils auf ei-nen oder zwei neue Arbeitsplätze eingeschult.4,8 Prozent der Beschäftigten sind sogar fürdrei oder mehr Aufgabenbereiche trainiertworden“, sagt Huber, die durch das Projektzur Betrieblichen Gesundheitsförderung je-denfalls einen positiven Prozess in Gang ge-setzt sieht: „Vieles bleibt aber auch noch zutun, und wir haben gesehen, dass es sehrwichtig ist, die konkrete Ausgangssituationeines Betriebes genau zu berücksichtigen.Eine weitere wichtige Erkenntnis war, dassdas Gelingen eines solchen Projekts auchstark davon abhängt, ob es von oben – dasheißt von der Geschäftsführung und denFührungskräften – befürwortet und getragenwird.“

Ältere Arbeiter/innen in Produktions-betrieben haben oft nicht nur mitkörperlich belastenden Arbeitsbedin-

gungen, sondern mitunter auch mit man-gelnder Wertschätzung zu kämpfen. Beidementgegenzutreten hat sich das vom FondsGesundes Österreich (FGÖ) geförderte Projektfür Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF)„PALplus“ der Fertigungs- und MontagefirmaPalfinger zum Ziel gesetzt, das von Juni 2010bis Dezember 2012 lief.„Es ging uns darum, das Bewusstsein fürGesundheitsvorsorge zu stärken, die Arbeits-bedingungen möglichst ergonomisch zu ge-stalten und die Leitungskultur zu optimieren“,beschreibt die Projektleiterin Kristina Huberaus der Abteilung Personalentwicklung des international tätigen Großbetriebs die

Gesamtziele des Projekts. Auf Grundlage desKonzepts der „Lebensorientierten Arbeitsor-ganisation“ wurden bei diesem eine Vielzahlvon Aktivitäten auf unterschiedlichen Ebenensystematisch geplant und umgesetzt.

Arbeitsplatzanalyse und die FolgenSo wurden etwa im Zuge des Projekts die inanderen Tätigkeitsbereichen bereits üblichenMitarbeiter/innengespräche auch für alle Ar-beiter/innen eingeführt. „Insgesamt wurdenin den Betriebsbereichen Stahlbau und Mon-tage, wo 386 Mitarbeiter/innen beschäftigtwaren, 316 solcher Gespräche geführt, undfür die kommenden Jahre 163 individuelleTrainingsmaßnahmen vereinbart“, berichtetKristina Huber. Die Expertin für Personalent-wicklung betont zudem, dass zahlreiche derbei dem BGF-Projekt durchgeführten Maß-nahmen das Ziel gehabt hätten, die Füh-rungskräfte für die besondere Situation unddie Ressourcen älterer Arbeitnehmer/innenzu sensibilisieren. „Mit Tools zur Persönlich-keitsentwicklung ist es auch gelungen, die Führungskultur in dieser Hinsicht zu verbessern. Konkret werden Teams jetzt bei-spielsweise so organisiert, dass ältere Mit-arbeiter/innen gut und ausgewogen integriertsind“, so Huber.

Im Rahmen von „PALplus“ wurden außerdemsystematische Arbeitsplatzanalysen sowie„Arbeitsplatz-Quickchecks“ durchgeführt.

Die Wertschätzung für ältere Mitarbeiter/innen zu fördern und deren Gesundheit und Eigenverantwortlichkeit zu stärken, war ein Hauptziel des

Projekts „PALplus“ in einem großen Fertigungs- und Montageunternehmen. Text: Gabriele Vasak

Generationen-loyalität zählt

Projektleiterin Kristina Huber: „Teams werden jetzt so organisiert, dass ältere Mitarbeiter/innen gut und ausgewogen integriert sind.“

Foto

: priv

at

Projektleiterin:Kristina Huber Tel. 0049/86 54 477 – [email protected]

Zuständiger Gesundheitsreferent beim FGÖ:Jürgen Tomanek-UnfriedTel. 01/895 04 [email protected]

INFO & KONTAKT

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DER FGÖ IM ÜBERBLICK

KURATORIUM

Bundesministerin für Gesundheit Dr. Sabine Oberhauser,

Vorsitzende des Kuratoriums Präsident Helmut Mödlhammer,erster Stellvertretender Vorsitzender des

Kuratoriums, Österreichischer GemeindebundSL Priv.-Doz. Dr. Pamela Rendi-Wagner,

MSc, DTM&Hzweite Stellvertretende Vorsitzende des

Kuratoriums, Bundesministerium für GesundheitLandesrat Dr. Christian Bernhard,

LandeshauptleutekonferenzDr. Ulrike Braumüller, Verband der

Versicherungsunternehmen Österreichs Vizebürgermeister Christian Forsterleitner,

Österreichischer Städtebund MR. Dr. Silvia Janik

Bundesministerium für Finanzen Abg. z. Wr. Landtag

Ingrid Korosec, Österreichischer SeniorenratManfred Lackner,

Österreichischer Seniorenrat Vizepräsident Dr. Harald Mayer,

Österreichische Ärztekammer SC Kurt Nekula, M.A.,

Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur

Dr. Ilse Elisabeth Oberleitner, MPH, Bundesministerium für Gesundheit Mag. Stefan Spitzbart, MPH,

Hauptverband der Österreichischen Sozialversicherungsträger

Stadträtin Mag. Sonja Wehsely, Konferenz der Gesundheitsreferentinnen und Gesundheitsreferenten der Länder

Präsident Mag. Max Wellan, Österreichische Apothekerkammer

WISSENSCHAFTLICHER BEIRAT

Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Freidl,Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie

der Med. Universität Graz Mag. Verena Kapferer,

Mitarbeiterin am Zentrum für Ethik und Armutsforschung der Universität Salzburg

FH-Prof. Mag. Dr. Holger Penz, Stellvertretender Studienbereichsleiter

Fachhochschule KärntenUniv.-Prof. Dr. Anita Rieder,

Curriculum Direktorin der Med. Universität Wien, Leiterin des Instituts für

Sozialmedizin der Med. Universität WienAss.-Prof. Dr. Petra Rust,

Institut für Ernährungswissenschaften der Universität Wien

Mag. Günter Schagerl,ASKÖ – Leiter des Referats für Fitness

und Gesundheitsförderunga.o. Univ.-Prof. Dr. phil. Beate

Wimmer-Puchinger,Frauengesundheitsbeauftragte der Stadt Wien und

Professorin am Institut für Psychologie der Universität Salzburg

GESCHÄFTSSTELLE

Dr. Klaus Ropin,Leiter des Geschäftsbereichs FGÖ

Mag. Gudrun Braunegger-Kallinger Mag. Dr. Rainer Christ

Ing. Petra GajarBettina GranditsMag. Rita KichlerDoris Kirchmeier

Anna Krappinger, MASusanne Krychl

Ismihana KupinicHeidrun Lachner

Dr. Gert LangMag. Andreas Nemeth

Gabriele OrdoAbdüsselam Özkan

Mag. (FH) Sandra RamhappKatharina Rettenegger

Andrea Riegler, MAMag. Gerlinde Rohrauer-Näf, MPH

Ina Rossmann-Freisling, BA Sandra Schneider

Mag. (FH) Elisabeth StohlMag. Jürgen Tomanek-Unfried

Alexander WallnerMag. Petra Winkler

Als bundesweite Kompetenz-und Förderstelle für Gesund-heitsförderung und Präventionwurde der Fonds GesundesÖsterreich 1998 aus der Taufegehoben. Und das auf der Basiseines eigenen Gesetzes – wasauch international als vorbildlichgilt.

Wir unterstützen in der Gesundheitsförderung• praxisorientierte und betriebli-

che sowie kommunale Projekte• Fort- und Weiterbildung

und Vernetzung sowie internationale Projekte.

Dazu kommen andere wichtigeAufgaben: Durch Information,Aufklärung und Öffentlichkeitsar-

beit wollen wir das Bewusstseinund Wissen möglichst vielerMenschen für Gesundheitsförde-rung und Prävention erhöhen.Außerdem unterstützen wir be-stimmte Aktivitäten im Bereichder Selbsthilfe. Für all das stehtuns ein jährliches Budget von7,25 Millionen Euro aus öffentli-chen Mitteln zur Verfügung.

KONTAKTINFORMATIONEN

Fonds Gesundes Österreich, ein Geschäftsbereich der Gesundheit Österreich GmbHAspernbrückengasse 21020 WienT 01/895 04 [email protected]

GESUNDHEIT FÜR ALLE

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Medien des FondsGesundes Österreich

Magazin Gesundes ÖsterreichUnser Magazin bietet Ihnen unabhängige, qualitätsge-sicherte und serviceorientierte Informationen rund umdas Thema Gesundheitsförderung.

Das Magazin Gesundes Österreich und alle anderen Publikationen erhalten Sie kostenlos beim Fonds GesundesÖsterreich, einem Geschäftsbereich der Gesundheit Österreich GmbH.Jetzt bestellen! Einfach per Post an: Fonds Gesundes Österreich, Aspernbrückengasse 2, 1020 Wien, direkt am Telefon unter: 01/895 04 00, flott per Fax an: 01/895 04 00-20, bequem per E-Mail an: [email protected] oder gleich online unter www.fgoe.org im Bereich „Presse, Publikationen“

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Alles zu den ThemenBewegung, Ernährung,Psychosoziale Gesundheit, Älter werden, aktiv bleibensowie Gesunde Klein- undMittelbetriebe mit wertvollenTipps und Adressen.

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TERMINPLANER 2015

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MAI JUN, SEPT, OKT,,25.06.3. Fachtagung zur Gesundheitsfolgen-abschätzung auf kommunaler EbeneGrazInformation: [email protected]: www.vaeb.at

ALLES WICHTIGE IM SEPTEMBER

,14.09.Wiener Gesundheitsförderungskonferenz zumThemenschwerpunkt BewegungWiener RathausInformation: www.wig.or.at

,23.-25.09Tagung Deutsche Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention: „Daten gewinnen, Wissen nutzen für diePraxis von Prävention und VersorgungRegensburgInformation: www.regensburg2015.de

ALLES WICHTIGE IM OKTOBER

,07.-09.10.Annual Meeting and 6th Conference of HEPA EuropeIstanbul, TürkeiInformation: hepaeurope2015.org

,13.-14.10.3. Wirtschaftskonferenz zum Generationen-Management – Führung wirkt.Festspielhaus, BregenzInformation: www.generationen-management.com

,14.-17.10.8th European Public Health Conference: „Health in Europe – from global to local policies, methods and practices“MiCo Milano Congressi, Mailand, ItalienInformation: www.eupha.org

gesundheitliche UngleichheitUniversität RostockInformation: www.uni-rostock.de

,28.-29.05.8. Österreichischer RadgipfelAlpen-Adria-Universität KlagenfurtInformation:www.klimaaktiv.at/mobilitaet/radfahren/radgipfel_2015

,28.-29.05.18. wissenschaftliche Tagung der Österreichischen Gesellschaft für Public HealthCityhotel Design & Classic, St. PöltenInformation: www.oeph.at

ALLES WICHTIGE IM JUNI

,04.- 06.06.ICPHR Jahreskonferenz der internationalen Kollaboration für partizipative GesundheitsforschungBerlinInformation: www.icphr.org

,10.-12.6.Internationale HPH Konferenz: „Person-orientedhealth promotion in a rapidly changing world“OsloInformation: www.hphconferences.org/oslo2015

,18.-19.06.ASH Scotland’s 2015 Conference „Towards a generation free from tobacco“John McIntyre Conference Centre, Edinburgh, Scotland, UKInformation: www.ashscotland.org.uk

,22.-23.06.17. Österreichische Gesundheitsförderungs-konferenz des FGÖ „Health in All Policies in der Praxis der Gesundheitsförderung“ und Satellitenveranstaltung „Jugendhilfe trifft Gesundheitsförderung“SalzburgInformation: www.fgoe.org

ALLES WICHTIGE IM MAI

,05.05.8. Industriekongress 2015MAK WienInformation: www.industriekongress.com

,06.05.10. Steirische GesundheitskonferenzMesse Congress, GrazInformation: www.gesundheit. steier-mark.at/cms/beitrag/11862504/70240131

,18.-19.05.IX. Fachkonferenz für Fußgänger/innen 2015Vorarlberg Museum, BregenzInformation: www.walk-space.at

,21.05.DeGEval Tagung „Evidenzbasierung in der Gesundheitsförderung“C3 – Centrum für Internationale Entwicklung,Sensengasse 3, 1090 WienInformation: [email protected]: www.frauengesundheit-wien.at/downloads/dokumente/Tagung_Gesund-heitsfoerderung_Evaluation.pdf

,21.-22.05.3. BundesKongress Gender-Gesundheit, Herausforderungen und Potentiale geschlechts-spezifischer GesundheitBerlinInformation: www.bundeskongress-gender-gesundheit.de

,22.-26.05.22nd IUHPE World Conference on Public HealthPromotion „Promoting Health and Equitiy“Curitiba, BrasilienInformation: www.iuhpe.org in der Rubrik „Conferences“

,28.-29.05.Lebenslauf, soziale Netzwerke und

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