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Nr. 8, IV-2010 magazine Schwerpunkt-Thema: Fahrzeugsicherheit am Standort Graz Von der Grundlagenforschung über die Simulation bis zur Vorentwicklung Graz hat‘s: Know-How und Tools Strukturentwicklung Testing und Validierung Integrale Sicherheit

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Nr. 8, IV-2010magazine

Schwerpunkt-Thema:

Fahrzeugsicherheit am Standort GrazVon der Grundlagenforschung über die Simulation bis zur Vorentwicklung

Graz hat‘s: Know-How und ToolsStrukturentwicklungTesting und ValidierungIntegrale Sicherheit

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Inhalt Nr.8, 4. Quartal 2010

Das NetzwerkDie TU Graz, das VIRTUAL VEHICLE und Industriepart-ner von internationalem Rang sind die Player zum Thema Fahrzeugsicherheit in Graz.

Strukturentwicklung

Occupant Safety Integrale Sicherheit

Graz ist Drehscheibe

Die BausteineUmfassende Test- und Simu-lationsmöglichkeiten, Evalu-ierungsmethodiken, ZEDATU Verkehrsunfalldatenbank - nur einige der Bausteine im Gra-zer Forschungsnetzwerk.

Graz hat‘s...Nahezu alle Forschungsbe-reiche zur Fahrzeugsicherheit sind in Graz versammelt - Eine Überblick...

3-11

B-Säule geknicktEin neu entwickelter B-Säu-len-Prüfstand ermöglicht ein früheres und somit ökono-misches Testen im Fahrzeug-entwicklungsprozess.

Karosserie in CAEEinen zentralen Baustein bei der Bewältigung der Heraus-forderungen in der Karosse-rieentwicklung stellt die nu-merische Simulation dar.

Werkstoffe abgeklopftZiel der Forschung: Hohe Prognosequalität des Crash-Verhaltens schon zu einem frühen Zeitpunkt im Entwick-lungsprozess.

12-17

Seitencrash im FokusEine neue Methode zur Analyse von Seitenaufprall-Crashtests ermöglicht eine nahezu prototypenfreie Nach-stellung eines Gesamtfahr-zeuges am Schlitten.

Gender für DummiesWeil das Risiko einer Hals-wirbelsäulenverletzung bei Fahrzeuglenkerinnen deutlich höher ist, halten bei Heckan-prall-Crashtests jetzt auch weibliche Dummys Einzug.

Weil der Mensch zähltDas primäre Ziel der Fahr-zeugsicherheit ist der Schutz der Menschen im Straßenver-kehr.

18-21

Aktuelle TestmethodenRealitätsnahe und repro-duzierbare Gesamtfahr-zeugtests sind die Vorausset-zung für die Entwicklung von komplexen integralen Fahr-zeugsicherheitsstrategien.

Co-Simulation ICOSDie Co-Simulationsplattform ICOS ermöglicht domänen-übergreifende Modellierung, Simulation und Optimierung zum Thema Integrale Sicher-heit.

Gut kombiniert!Die integrale Sicherheit kom-biniert aktive und passive Sicherheitssysteme, um alle Aspekte mit einzubeziehen.

22-31

Graz Tourismus

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International tätige Industriepartner am Stand-ort Graz wie MAGNA STEYR Fahrzeugtechnik oder CW Concept Consulting bilden schließlich den anwendungsorientieren Eckpfeiler des Netzwerkes. Der Innovationsgrad durch das Zusammenspiel dieser drei Säulen spiegelt sich mittlerweile auch in mehreren nationalen und internationalen Patentanmeldungen wider. Eine Vielzahl von Publikationen belegt die führende Position, die der Forschungsbereich „Fahr-zeugsicherheit“ am Standort Graz einnimmt.

Unser Dank für das Zustandekommen dieser VVM-Ausgabe gilt der großen Zahl von Auto-ren, sowie im Speziellen unseren Industriepart-nern Audi und Daimler für ihre Mitwirkung an diesem Heft.

Die Fahrzeugsicherheit ist eine der zentralen Fragstellungen in der Fahrzeugentwicklung und benötigt neue Ideen und Entwicklungsansätze. Der Forschungsstandort Graz trägt durch die Kompetenz und die gute Zusammenarbeit der lokalen Partner zu neuen Lösungen bei.

Anlässlich des „Grazer Safety Update“ 2010, das seit 2006 vom Automotive Safety-Experten cahrs in Kooperation mit der TU Graz, dem VIRTUAL VEHICLE, CW Concept Consulting, DSD, MAGNA STEYR und AVL in Graz ver-anstaltet wird, widmet sich diese Ausgabe des VIRTUAL VEHICLE Magazins (VVM) erstmals ausschließlich einem besonderen Schwer-punktthema:

„Fahrzeugsicherheit am Standort Graz“Das VVM präsentiert Beiträge führender Ex-perten unserer Industriepartner, der TU Graz sowie des VIRTUAL VEHICLE zu diesem span-nenden Forschungsbereich und stellt neue Ansätze zum Thema Fahrzeugsicherheit am Standort Graz dar. Im Speziellen wird in die-sem Heft auf die Themenstellungen Unfallfor-schung, Aktive Sicherheit, Integrale Sicherheit, Testing, Rückhaltesysteme sowie Biomechanik eingegangen.

TU Graz liefert die Basis

Am Standort Graz ist ein dichtes Netzwerk von Industrie- und Forschungspartnern entstanden, das in besonderer Weise Forschung und Ent-wicklung für die Umsetzung neuer Technolo-gien verbindet. Gemeinsam wird hier in Graz Grundlagenforschung und angewandte For-schung auf bemerkenswert hohem Niveau und internationaler Sichtbarkeit vorangetrieben.

Die Grundlagen zur Fahrzeugsicherheit werden an der TU Graz in enger Abstimmung mit den aktuellen Anforderungen des Marktes und den gesetzlichen Rahmenbedingungen erarbeitet. Federführend sind hier das Vehicle Safety Insti-tut (VSI) sowie das Institut für Fahrzeugtechnik (FTG) zu nennen. Beide sind Teil des 2003 von der TU Graz gemeinsam mit dem MAGNA Kon-zern ins Leben gerufenen „Frank Stronach In-stitutes“. Die umfangreichen Prüfeinrichtungen wie z.B. die Crashhalle mit modernster Mess- und Prüftechnik decken die wesentlichen Anfor-derungen der experimentellen Untersuchungen ab.

Simulation, Test und Umsetzung

Das bereits 2002 gegründete Forschungszen-trum VIRTUAL VEHICLE sieht seine Haupt-aufgabe in der Weiterentwicklung von Simula-tionstechnologien sowie deren Verbindung mit Testverfahren im Bereich Fahrzeugsicherheit. In der Abteilung „Vehicle Safety“ der Area „Me-chanics“ werden alle Aktivitäten zur Fahrzeug-sicherheit gebündelt und mit den Abteilungen Elektronik, Regelungstechnik, NVH, Thermody-namik sowie Fahrdynamik verbunden. Darüber hinaus verfügt das VIRTUAL VEHICLE über ein Netzwerk von rund 55 Industriepartnern und 20 wissenschaftlichen Partnern. Ambitionierte Multi-Firm-Projekte profitieren zudem von dem hochdotierten K2-Förderprogramm, das dem VIRTUAL VEHICLE und seinen Forschungs-partnern zur Verfügung steht.

Graz ist FahrzeugsicherheitIm Raum Graz formen die TU Graz mit ihren Instituten und das Forschungszentrum VIRTUAL VEHICLE in enger Zusammenarbeit mit global operierenden Industriepartnern eine besondere Expertise im Bereich „Vehicle Safety“. Nahezu alle Bereiche der Fahrzeugsicherheit sind gut repräsentiert. Antworten auf aktuelle Fragestellungen der Fahrzeugsicherheit, neueste Technologie sowie Innovationen und neue Entwicklungsansätze werden in Graz angeboten.

Fahrzeugsicherheit

Prof. Hermann SteffanWissenschaftlicher Leiter, ViFVorstand Vehicle Safety Institute, TU Graz

Dr. Jost BernaschGeschäftsführer, VIRTUAL VEHICLE

COMET K2 Forschungsförderungsprogramm - Gefördert durch das Österreichische Bundesministerium für Verkehr und Tech-nologie (BMVIT), das Österreichische Bundesministerium für Wirtschaft, Familie und Jugend (BMWFJ), die Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft mbH (FFG), das Land Steiermark sowie die Steirische Wirtschaftsförderung (SFG).

Medieninhaber, Herausgeber, Verleger:Kompetenzzentrum Das Virtuelle Fahrzeug Forschungsgesellschaft mbH (ViF)A-8010 Graz, Inffeldgasse 21/ATel.: +43 (0)316-873-9001 Fax: ext 9002E-Mail: [email protected] Web: www.v2c2.at

Redaktion: Dr. Anton FuchsGestaltung: Wolfgang Wachmann

Fotos: ViF, Industriepartner, TU Graz FB: LG f. ZRS Graz, FN: 224755 YUID: ATU54713500

Impressum:

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Schutz von Mensch und FahrzeugDie Anforderungen an moderne Fahrzeuge sind in den letzten Jahren enorm gestiegen. Das Thema Fahrzeugsicherheit hat vor allem durch das zunehmende Verkehrsaufkommen stark an Bedeutung gewonnen.

Das primäre Ziel der Fahrzeugsicherheit ist der Schutz der Menschen. Dabei gilt es, das Risiko von Verletzungen sowie die Folgekosten der Unfälle zu reduzieren. Dies gilt sowohl für die Fahrzeuginsassen als auch für alle anderen Verkehrsteilnehmer. Der Schutz der Fahrzeuge selbst ist ebenfalls Ziel der Fahrzeugsicherheit. Hierbei wird beispielsweise die Verringerung der Reparaturkosten bei Unfällen betrachtet.

Durch gezielte Maßnahmen konnte die Sicher-heit der Fahrzeuge in der Vergangenheit enorm gesteigert werden. Zwar hat sich die Zahl der Verletzten nur geringfügig verringert, aber die Anzahl der Getöteten und auch die Verlet-zungsschwere konnte stark reduziert werden. Möglich wurde dies durch eine Verbesserung der Sicherheit an den Fahrzeugen, durch eine Verbesserung der Infrastruktur aber auch durch eine gezielte Schulung und Überwachung des Fahrverhaltens der Fahrzeuglenker.

Durch die Einführung neuer, gesetzlicher Vor-schriften, sowie durch eine Beeinflussung des Kaufverhaltens („5-Sterne“) und gezieltes Mar-keting wurde eine rasche Umsetzung der Maß-nahmen erreicht.

Fahrzeugsicherheit am Standort GrazBasis für die technische Entwicklung und Um-setzung ist die Grundlagenforschung in der Fahrzeugsicherheit. In diesem Bereich wurden in den letzten Jahren eine Vielzahl an For-schungsaktivitäten mit Beteiligung Grazer For-schungseinrichtungen durchgeführt.

Am Institut für Mechanik starteten Mitte der 90iger des letzten Jahrhunderts die For-schungsaktivitäten im Bereich der Biomechanik sowie im Bereich der Fahrzeugsicherheit.

Im Jahr 2003 wurde zwischen der TU Graz und dem Industriekonzern MAGNA eine Kooperati-

Fahrzeugsicherheit am Standort GrazDie Fahrzeugsicherheit stellt eines der wichtigsten Themen in der Fahrzeugentwicklung dar und ist einer der Eckpfeiler am Automotive-Standort Graz. Aktuelle Fragestellungen und neue Technologien in der Fahrzeugsicherheit werden sowohl in der Forschung als auch in der industriellen Entwicklung betrachtet. Damit wird ein wesentlicher Beitrag zur Reduktion der Verletzungen und Vermeidung von Unfällen geleistet.Dr. Jost Bernasch, Prof. Hermann Steffan, Dr. Harald Schluder

Einer der Schwerpunkte am VIRTUAL VEHICLE ist die Entwicklung von Methoden zur Verbesserung der

aktiven und passiven Sicherheit von Fahrzeugen.Quelle: ViF

Fahrzeugsicherheit

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on im Bereich der Fahrzeugtechnik errichtet – das „Frank Stronach Institute“ (FSI, siehe Info-Box Seite 7). Hier sind insgesamt vier Institute mit jeweils eigenständigen Schwerpunkten in Forschung und Lehre platziert:

• Fahrzeugtechnik (FTG)

• Fahrzeugsicherheit (VSI)

• Werkzeugtechnik und Spanlose Produk-tion (T&F)

• Production Science and Management (PSM)

Die Forschungsaktivitäten bei der aktiven und der passiven Sicherheit werden an der TU Graz schwerpunktmäßig an den Instituten für Fahr-zeugsicherheit und Fahrzeugtechnik durchge-führt.

Parallel zu den Grundlagenforschungen an der TU Graz begannen im Jahr 2002 Aktivitäten im Bereich der angewandten Forschung am Kom-petenzzentrum – Das virtuelle Fahrzeug For-schungsgesellschaft mbH (ViF). Schwerpunkte des VIRTUAL VEHICLE sind hier vor allem neue Simulations- und Entwicklungsmethoden für die Automobilindustrie. Die Area „Mecha-nics“ beschäftigt sich hier mit unterschiedlichen Themen der aktiven und passiven Fahrzeugsi-cherheit.

Die Industrieunternehmen MAGNA STEYR Fahrzeugtechnik AG & Co KG sowie CW Con-cept Consulting GmbH beschäftigen sich im Grazer Raum mit Entwicklungen im Bereich der Fahrzeugsicherheit. Im Fokus stehen hier einerseits einzelne Systeme und Lösungen für

die Fahrzeugsicherheit, aber auch die Gesamt-fahrzeugentwicklung.

Aktuelle AufgabenHeutzutage strebt jeder Fahrzeughersteller eine 5-Sterne-Bewertung bei den EURO-NCAP Tests an. Neben dem Insassenschutz für Erwachsene spielen hier vor allem die Kin-dersicherheit und der Fußgängerschutz eine entscheidende Rolle. Um eine herausragende Bewertung zu erlangen, müssen die einzelnen passiven sowie aktiven und unterstützenden Sicherheitssysteme einen wesentlichen Beitrag für die Gesamtsicherheit leisten.

Da eine weitere Reduktion der Verletzten und Getöteten praktisch nur dann möglich ist, wenn man versucht Unfälle überhaupt zu verhindern, kommt der aktiven Sicherheit in Zukunft eine besondere Bedeutung zu.

Eine wichtige Zielrichtung der Fahrzeugsicher-heit am Standort Graz stellt deshalb auch die Kombination der aktiven und der passiven Si-cherheit – die sogenannte integrale Sicherheit – dar.

Neben den simulationstechnischen Fragestel-lungen gilt es hier auch neue Test- und Vali-dierungsmethoden für alle Sicherheitssysteme zu entwickeln und in den Entwicklungsprozess zu integrieren. Nur so ist es möglich, neue Sy-steme effizient, kostengünstig und sicher zu entwickeln.

Bei der numerischen Simulation liegen die Schwerpunkte auf der Prognosefähigkeit der eingesetzten Modelle. Weiters aber auch bei der Entwicklung neuer Methoden und Vorge-

hensweisen speziell für die frühen Entwick-lungs- und Konzeptphasen. Hier gewinnen neue Entwicklungsmethoden, die eine rasche und sichere Abschätzung neuer Ideen und Kon-zepte zulassen, zunehmend an Bedeutung.

Die umfassenden Versuchsanlagen an der TU Graz, die innovativen Simulationsmethoden am VIRTUAL VEHICLE sowie die in Graz ansäs-sigen Industriepartner bieten die Vorausset-zung, alle Aspekte der modernen Fahrzeugsi-cherheit vollständig vor Ort abzudecken. Alle Anforderungen sind also erfüllt, um ein kompe-tenter Partner für die Automobilindustrie sein zu können. ■

Seitencrash mit einer IIHS BarriereQuelle: ViF

Fahrzeugsicherheit

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Übersicht der Forschungsaktivitäten

Dr. Harald Schluder, Dr. Jost Bernasch, Prof. Hermann Steffan

Am Standort Graz gibt es sehr unterschiedliche und vielfältige Aktivitäten zum Thema Fahrzeugsicherheit. Dabei werden sowohl Aspekte des Fahrzeuges, des Fahrers als auch des Verkehrs bzw. der Umwelt betrachtet. Vor allem die Interaktionen und Kombinationen der Teilbereiche sind interessante Gebiete für die Forschungsaktivitäten.

Herausforderungen Heutzutage muss die Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen Unternehmen und Automobilher-steller ständig unter Beweis gestellt werden. Durch die zunehmende Globalisierung, durch verkürzte Produktlebenszyklen und vor allem durch die steigende Komplexität der Produkte und der einzuhaltenden Vorschriften ändern sich die Anforderungen. Diese müssen in der Entwicklung berücksichtigt werden. Das erfor-dert ein permanentes Forschen nach neuen Methoden, welche im weiteren Verlauf auch laufend aktualisiert und gepflegt werden müs-sen.

Aktivitäten in GrazSpeziell um den zukünftigen Anforderungen an die Fahrzeuge gerecht zu werden und auch um das Potential der technischen Lösungen voll-ständig auszuschöpfen, müssen einzelne Teil-systeme gemeinsam betrachtet werden. Erst dadurch wird schließlich das Gesamtsystem optimiert. Die systemübergreifende Betrach-tungsweise bekommt noch mehr an Bedeutung, wenn man den ständig steigenden Anteil von elektrischen und elektronischen Systeme im Fahrzeug berücksichtigt. Sensoren und Aktua-toren leisten gemeinsam mit Regelalgorithmen einen entscheidenden Beitrag zur Erfüllung der Kunden- und Sicherheitsfunktionen in moder-nen Fahrzeugen.

Bei der Entwicklung derartig komplexer und hochentwickelter Systeme der Fahrzeugsicher-heit spielt die realitätsnahe, computerunter-stützte Modellierung eine entscheidende Rolle, um die Wirtschaftlichkeit (Kosten, Zeit) und Realisierbarkeit wesentlich zu verbessern und Wettbewerbsvorteile zu generieren.

Neben dem durchgängigen Einsatz nume-rischer Methoden wird auf die gezielte Unter-stützung von experimentellen Entwicklungs-methoden geachtet. Des Weiteren sind gezielt

Schwerpunkte bei der Integration der einzelnen Methoden in den gesamten Entwicklungspro-zess und der disziplinübergreifenden Betrach-tung der Themenstellung gesetzt.

Am VIRTUAL VEHICLE werden diese Fra-gestellungen in mehreren Arbeitsbereichen betrachtet. Vor allem in der Area „Mechanics“ beschäftigen sich die Arbeitsgruppen

• Vehicle Safety

• Materials & Forming Technologies

• Vehicle Dynamics Automotive Applica-tions

mit unterschiedlichen Problemstellungen zur Fahrzeugsicherheit.

Gemeinsam mit der Area E – „Electrics/Electro-nics & Software“ wird die aktive und integrale Sicherheit, sowie die Methoden zur gekop-pelten Simulation und Integration innovativer Systeme der Fahrzeugsicherheit bearbeitet.

Ergänzend zum VIRTUAL VEHICLE sind am Standort Graz vor allem die einzelnen Institute des „Frank-Stronach-Institute“ (FSI, siehe Info-Box rechts) als relevante Player im Bereich der Fahrzeugsicherheit zu nennen.

Gemeinsam werden alle wesentlichen Teilge-biete der Fahrzeugsicherheit, beginnend von der Unfallforschung bis hin zur Entwicklung und Absicherung innovativer Komfort- und Sicher-heitssysteme moderner Fahrzeuge, besetzt.

UnfallforschungDie Analyse von Unfällen stellt die Basis für Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten im Bereich der Fahrzeugsicherheit dar. Basierend auf rekonstruierten Unfällen können Funktions-weisen neuer Sicherheitssysteme erkannt und vor allem auch das Potential der Systeme ab-

geschätzt werden. Zu diesem Zweck wird bei-spielsweise am Vehicle Safety Institute (VSI) eine detaillierte Verkehrsunfalldatenbank ge-führt.

Aktive SicherheitIn den letzten Jahren haben Assistenzsysteme – beispielsweise ABS (Antiblockiersystem) oder ESP (Elektronisches Stabilitätsprogramm) – auch in die günstigeren Fahrzeugklassen Einzug gehalten. Durch diese Systeme können potenzielle Unfallsituationen deutlich entschärft werden und tragen somit zur Unfallreduktion bei.

Integrale SicherheitNeueste Fahrzeugtechnologien, wie beispiels-weise neuartige Sensoren, Informations- und Kommunikationstechnologien sowie innovative Komfort- und Assistenzsysteme bieten neue Möglichkeiten zur Unfallvermeidung oder zur Reduktion der Unfallschwere. Durch die Kombi-nation der aktiven und passiven Sicherheit kön-nen somit zusätzliche Potentiale zur Senkung der Verletzungsschwere und Reduktion der Getöteten im Straßenverkehr genutzt werden.

Passive Sicherheit, Struktur-EntwicklungIn den letzten Jahrzehnten hat sich die Sicher-heit der Fahrzeuge zunehmend verbessert. Durch den Einsatz neuester Werkstoffe, wie beispielsweise höchstfeste und warmumge-formte ultrahochfeste Werkstoffe, konnten die Struktureigenschaften moderner Fahrzeugka-rosserien deutlich verbessert werden.

Zukünftig gilt es den optimalen Materialmix für die Karosserien zu finden und anzuwenden - vor allem um die geforderten Struktureigen-schaften sicher zu stellen, aber auch um Ziele hinsichtlich des Leichtbaus zu erfüllen.

Fahrzeugsicherheit

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RückhaltesystemeDurch Gurt und Airbag konnte die Sicherheit der Fahrzeuginsassen in den letzten Jahren massiv erhöht werden. Zu den aktuellen Aufga-ben zählt die Entwicklung adaptiver Rückhalte-systeme. Dies bedeutet, dass sich die Rückhal-tesysteme hinsichtlich der Unfallschwere oder der Insassen anpassen und somit eine optimale Wirkung für die jeweilige Situation zur Verfü-gung stellen.

Biomechanik Der Schutz des Menschen ist die zentrale Aufgabenstellung der Fahrzeugsicherheit. Die Berücksichtigung der biomechanischen Eigen-schaften des Menschen sowie die Analyse der Vorgänge bei der Entstehung der Verletzungen spielen dabei eine wesentliche Rolle bei den Forschungsaktivitäten. Mithilfe der Ergebnisse können Wirkweisen neuer Sicherheitssysteme definiert und somit auch neue Produktideen entwickelt werden.

AusblickDie durchgängige Betrachtung der Wirkket-te der Sicherheitssysteme bildet die Basis für die gezielte Entwicklung von neuen nume-rischen und experimentellen Methoden. Die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten am Standort Graz bilden somit die idealen Werk-zeuge für die Entwicklung von Produktinnova-tionen im Bereich der Fahrzeugsicherheit. ■

Übersicht über Forschungsaktivitäten am ViF und an der TU Graz zur Fahrzeugsicherheit

Quelle: ViF

Fahrzeugsicherheit

[FSI Frank Stronach Institute]

Das Frank Stronach Institute [ FSI ] ist eine in Österreich bislang einzigartige Kooperati-on, die als Private-Public-Partnerschaft eine Brücke spannt zwischen Wissenschaft, Aus-bildung und Wirtschaft. Die Basis für diese Zusammenarbeit bildet die im Jahr 2003 zwi-

schen der TU Graz und dem Magna-Konzern unterzeichnete Kooperationsvereinbarung.

Die Erwartungen an das FSI sind klar formu-liert: Die TU Graz will ihre hervorragenden Kompetenzen in der Fahrzeugtechnologie wei-ter ausbauen und neue Impulse für langfristige Forschungszusammenarbeit generieren. Ma-gna verspricht sich bestens ausgebildete Mit-arbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Forschung auf höchstem internationalen Niveau. Die mo-derne technische Ausstattung des FSI begeg-net diesen Ansprüchen bestens, denn sie eröff-net die Möglichkeit, Forschung und Entwicklung in völlig neuen Gebieten zu betreiben.

Organisatorisch eingegliedert ist das Frank Stronach Institute in die Fakultät Maschinenbau und Wirtschaftswissenschaften an der TU Graz. Dieses neue Exzellenzzentrum FSI umfasst fol-gende vier Institute mit jeweils eigenständigen Schwerpunkten in Forschung und Lehre:

Fahrzeugtechnik (FTG)

Fahrzeugsicherheit (VSI)

Werkzeugtechnik u. Spanlose Produktion (T&F)

Production Science and Management (PSM)

www.fsi.tugraz.at

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Das Institut für Fahrzeugsicherheit (VSI) der TU Graz revolutioniert mit der „Zentralen Da-tenbank tödlicher Unfälle“ (ZEDATU) die stati-stische Erfassung von Verkehrsunfällen.

Der wesentliche Unterschied der ZEDATU zur nationalen Statistik besteht darin, dass jeder Verkehrsunfall in seiner Gesamtheit erfasst wird (Mensch - Fahrzeug - Infrastruktur). Die Einbindung von Risiko- und Auslösefaktoren bietet eine für Österreich völlig neue stati-stische Betrachtungsweise von Verkehrsunfäl-len. Durch eine vollständige Rekonstruktion der drei Phasen Vorkollision, Kollision und Nach-kollision jedes Verkehrsunfalls, kann das Fahr- und Reaktionsverhalten der Fahrzeuglenker aus dem Realunfallgeschehen dargestellt und aufbereitet werden. Hieraus lassen sich Aus-gangs- und Kollisionsgeschwindigkeiten der beteiligten Fahrzeuge ermitteln und Aussagen zum Verhalten junger oder erfahrener Fahr-zeuglenker ableiten.

Die Ausgangslage Spannend ist diese neue Datenbank vor dem Hintergrund des ehrgeizigen Ziels der Europä-ischen Union, bis 2010 die tödlichen Verkehrs-unfälle um die Hälfte zu reduzieren. Schließlich wird im Laufe eines Lebens jeder Dritte bei einem Unfall zumindest leicht verletzt. Die Um-setzung dieser anspruchsvollen EU-Vorgabe liegt jedoch nach wie vor auf nationaler Ebene.

Die österreichische Bundesregierung hat im Jänner 2002 ein Verkehrssicherheitsprogramm (VSP) vorgestellt, welches die Reduktion der getöteten Verkehrsteilnehmer bis 2010 fest-legt (analog zum Weißbuch). Das VSP befindet sich nun in der Endphase. Im Zwischenbericht (Stand 2009) werden dem Anfang und den Zwi-schenetappen gute Erfolge zugestanden. Doch das Ziel wird aller Voraussicht nicht erreicht werden. Obwohl es seit Einführung des VSP zu einer kontinuierlichen Reduktion der Verkehrs-toten gekommen ist, sterben auf Österreichs

Die Verkehrsunfalldatenbank ZEDATU erfasst systematisch Verkehrsunfälle in ihrer Gesamtheit und eröffnet eine völlig neue Betrachtungsweise durch die Berücksichtigung von Risiko- und Auslösefaktoren. Dadurch bildet sie eine wertvolle Basis zur Evaluierung von Unfallursachen und die Entwicklung sinnvoller Maßnahmen und Strategien. Dr. Ernst Tomasch (TU Graz)

Verkehrsunfälle unter der Lupe

Straßen nach wie vor jeden Tag durchschnitt-lich zwei Menschen.

Die bisherigen Verkehrssicherheitsmaß-nahmen basierten auf Analysen der von der Statistik Austria auf makroskopischer Basis gesammelten Unfalldaten oder in der Durch-führung von spezifischen Projekten. Bei be-sonders schweren Verkehrsunfällen werden die Unfallstellen auch vor Ort besichtigt und gegebenenfalls durch bauliche Maßnahmen

entschärft. Allerdings werden derartige Unfälle nicht systematisch erfasst. Vorliegende Unfall-signifikanzen und Systematiken sind auf diese Art und Weise nicht festzustellen.

Entwicklung In-Depth DatenbankHier setzt die ZEDATU an, die als sogenann-te „in-depth“ Datenbank bezeichnet wird. Bei derartigen Datenbanken spricht man im Gegen-satz zu vorweg geschilderten makroskopischen

Fahrzeugsicherheit

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Aufzeichnungsverfahren von mikroskopischen Datenbanken. In diesen werden für einen Unfall sehr detaillierte Informationen erhoben. Mehre-re hundert Schlüsselfelder können ausgewertet werden. Bei makroskopischen Datenbanken sind hingegen nur wenige Schlüsselfelder vorhanden. Durch die „in-depth“-Erkenntnisse kann das Zusammenspiel von Mensch, Fahr-zeug und Infrastruktur im Realunfallgeschehen statistisch aufbereitet und analysiert werden.

Durch die Bestrebungen der EU, die Unfall-datenaufnahme zu harmonisieren und nach Vorstellungen des „Directorate-General for Energy and Transport“ in-depth-Unfalluntersu-chungen in jedem europäischen Land routine-mäßig durchzuführen, wurden in EU-Projekten STAIRS, PENDANT, RISER und ROLLOVER bereits Basisfelder definiert, die in der ZEDATU vollständig integriert sind.

Aktuelle StudienergebnisseDie bisherigen Ergebnisse sind beeindruckend: Der höchste Anteil an Verkehrstoten wird den Unfällen mit einem Beteiligten (Abkommensun-fälle) zugeordnet. Wesentliche Faktoren sind hierbei Unaufmerksamkeit, Ablenkung oder Mü-digkeit. Nachdem das Fahrzeug die Fahrbahn verlassen hat, kommt es schließlich zu Kollisi-onen mit Objekten der Infrastruktur. Besonders Anfangselemente von Leiteinrichtungen stellen eine kritische Stelle dar – speziell im hochran-gigen Straßennetz. Dort herrschen hohe Ge-schwindigkeiten vor und das Anfangselement wird zu einer gefährlichen „Rampe“. Auffahren-de Fahrzeuge können sich überschlagen oder mit weiteren Gefahrenobjekten kollidieren. Aus Auswertungen der ZEDATU hat sich heraus-gestellt, dass Leiteinrichtungen und deren An-fangselemente mit einer Regelabsenkung von 1:12 nur an jenen Straßenabschnitten errichtet werden sollten, wo eine Kollisionsgeschwindig-keit von maximal 80 km/h zu erwarten ist, damit ein Abheben von PKWs verhindert wird. Analy-sen zeigen, dass sich mehr als ein Drittel der abkommenden PKW im kritischen Bereich be-finden, obwohl die vorgeschriebene Geschwin-digkeitsbeschränkung eingehalten wurde.

Allerdings können auch andere Maßnahmen wie Rumpelmarkierungen oder Fahrassistenzsy-steme (z.B. Lane-Departure-Warning-Systeme) helfen, Abkommensunfälle zu reduzieren.

Voraussetzung für VerbesserungEin wesentlicher Bereich der Unfallforschung ist die Überwachung und Effektivitätsanaly-

se von getroffenen Maßnahmen. Durch die zunehmende Ausstattung von Fahrzeugen mit Fahrassistenzsystemen müssen auch die Auswirkungen auf den Unfallausgang evalu-iert werden. Besonderes Augenmerk wird auf die Vermeidung von Unfällen gelegt, wodurch die aktive Fahrzeugsicherheit immer mehr das Unfallgeschehen beeinflusst. Welchen Einfluss haben Fahrassistenzsysteme auf den möglichen Unfall? Effektivität, Optimierungen, Neuentwicklungen aber auch Testszenarien derartiger Systeme bedürfen einer fundieren Unfallforschung um Erkenntnisse der Real-

unfallsituation mitberücksichtigen zu können. Derartige Informationen können nur aus Tiefen-analysen von „in-depth“-Datenbanken wie der ZEDATU entnommen werden.

Durch Tiefenanalysen basierend auf der ZEDATU können die Unfallursachen im Detail verstanden und entsprechende Lösungsvor-schläge zur Reduktion der Verkehrstoten er-arbeitet werden. Das bedeutet einen weiteren Schritt um das ehrgeizige Ziel des VSP zu er-reichen. ■

Überschlagsunfall bei Auffahren auf einen

LeitschienenabsenkerQuelle: VSI / TU Graz

Fahrzeugsicherheit

Quelle: VSI / TU Graz

Quelle: VSI / TU Graz

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Zur experimentellen Untersuchung und Evalu-ierung von Systemen in der Fahrzeugsicher-heit stehen am Institut für Fahrzeugsicherheit der TU Graz unterschiedliche Prüfstände zur Verfügung. Ein wesentlicher Aspekt bei der Evaluierung von Systemen sind neue Ansätze für Prüfmethoden und -aufbauten, die unter anderem in kooperativen Forschungsprojekten mit dem VIRTUAL VEHICLE entwickelt und am Institut für Fahrzeugsicherheit erprobt werden.

Full-Scale-Crashanlage am VSI Zentraler Prüfstand ist die Full-Scale-Crash-anlage mit einer Anlaufspur von ca. 55 m. Die Anlage ist mit einer Filmgrube sowie einem Crashblock ausgestattet.

Für Schlittenversuche steht eine Biegeblech-bremse zur Verfügung. Zur Messsignalerfas-sung werden crashfeste Messverstärker für bis zu 96 Kanäle verwendet. Zur Aufnahme von Crashereignissen werden Stand-Kameras sowie mitfahrende Minikameras mit bis zu meh-reren tausend Bildern pro Sekunde eingesetzt.

Neben der Full-Scale-Crashanlage sind noch folgende Prüfanlagen im Einsatz:

• ECE R21 Pendelanlage

• Robotergesteuerte FMH / FGS Anlage

DummylaborDas Dummylabor, das als Prüflabor nach EN 17015 akkreditiert ist, verfügt über einen Pool folgender Crashtest-Dummies:

• Hybrid-III 50%, 5%, 3 Jahre, 6 Jahre

• EuroSID

• BioRID

• TNO-Balastdummy

• Free-Motion-Headform

• Fußgängerschutz Kopf-Impaktoren (Europa, Japan)

• Fußgängerschutz Hüft- und Bein-Impaktoren

Die Dummies werden für hauseigene Versu-chen verwendet und vermietet.

PrüfmethodenIm Fahrzeugsicherheitslabor werden sowohl Full-Scale-Crashtests als auch Komponenten-untersuchungen durchgeführt. Dabei liegt der Schwerpunkt auf Forschungsversuchen sowie Methodenversuchen für neue Prüfverfahren. So sind unter anderem in Zusammenarbeit mit dem VIRTUAL VEHICLE Evaluierungsmethoden für Barrieren und Fahrzeugseitenteile erprobt wor-den.

Neben Fahrzeugversuchen werden auch ex-perimentelle Tests an Straßeninfrastruktur durchgeführt. Das betrifft insbesondere die Anfahrversuche für Straßenrückhaltesysteme nach EN 1317 (z.b. Leitschienen) sowie für Tragkonstruktionen nach EN 12767 (z.B. Be-leuchtungsmaste).

Weitere Evaluierungsversuche in Forschungs-projekten sind z.B. für einen modifizierten Seitenunterfahrschutz für Sattelanhänger oder energieabsorbierende Aufbauten für LKW zum Fußgängerschutz durchgeführt worden.

In der Fahrzeugsicherheit ist es notwendig, begleitend zu numerischen Simulationsmethoden experimentelle Evaluierungen durchzuführen. Ein Schwerpunkt der umfassenden Testmethoden in Graz besteht in der Erprobung neuer Evaluierungsmethodiken und in der Entwicklung von Prüftools für die integrale Fahrzeugsicherheit - im Speziellen für die Elektrofahrzeugsicherheit. Dr. Jürgen Gugler (TU Graz)

Neue Ansätze bei Prüfmethoden

Full-Scale-CrashanlageQuelle: TU Graz / VSI

ECE R21 PendelanlageQuelle: TU Graz / VSI

Dummy-FamilieQuelle: TU Graz / VSI

Anfahrprüfung bei einem LichtmastQuelle: Fa. DSD, Linz

Fahrzeugsicherheit

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11magazine 4-2010

Biomechanische VersucheZur Verbesserung der Straßensicherheit ist es notwendig, das menschliche Verhalten in Crashsituationen genauer zu kennen. Dazu werden biomechanische Untersuchungen durchgeführt. Diese Ergebnisse fließen in die Verbesserung von Vorhersagemodellen sowie die Weiterentwicklung von anthropometrischen Testdummies ein. Besonderes Augenmerk wird hierbei auf die ethischen Grundsätze gelegt, die in Abstimmung mit der Ethikkommission festgelegt werden.

Aktuelle Neuentwicklung von TestequipmentIn zahlreichen Forschungsprojekten tre-ten Fragestellungen nach neuen Prüfan-lagen oder -konfigurationen auf. Hierfür konnten unter Einbeziehung von Studieren-den folgende Prüftools entwickelt werden:

Robotergestützte Markierung von Prüffeldern

Dazu wurde eine Signieranlage auf einen Ro-boter implementiert. Dieser ermöglicht ein automatisiertes Aufbringen der Prüffelder für Fußgängerschutztests auf einer Fahrzeugmo-torhaube.

Ultraflacher Objekteträger (UFO) zur Evaluierung von aktiven Systemen

Am Institut für Fahrzeugsicherheit liegt ein Schwerpunkt bei den Testmethoden im Be-reich der aktiven Fahrzeugsicherheitssysteme. Dazu wurde ein Prüfgerät in einer Studie ent-worfen, welches ermöglicht, unterschiedliche Zielobjekte (Attrappen für Fußgänger, Fahr-radfahrer,…) um ein Versuchsträgerfahrzeug zu bewegen. Für den Fall eines Anfahrens des Objekts sollte ein Überfahren des Objekt-trägers möglich sein, um dadurch ungewollte Schäden am Versuchsträgerfahrzeug zu ver-meiden.

Ergebnis war eine vierrädrige, rechteckige Plattform mit einer Höhe im Bereich der Bo-denfreiheit von PKWs und seitlichen Auf-fahrrampen, welches fernbedienbar und batteriebetrieben ist. In weiterer Folge soll die Plattform auch automatisiert Vorgabetra-jektorien räumlich wie zeitlich folgen. Dieses Konzept wurde vom Partnerunternehmen DSD als Prototyp gebaut und befindet sich in der Erprobungsphase.

Geregelte Gurtaktuatorik

Während der Entwicklung von neuen Rückhal-temethoden ist es oftmals erforderlich, dass die Charakteristik der Gurtaktuatorik verändert

wird. Dafür wurde für Entwicklungsversuche eine Gurtaktuatorik entwickelt, die es aufgrund des Konzeptes erlaubt, beliebige vorgegebene Charakteristiken für Straffung und Kraftbegren-zung geregelt zu realisieren.

Aktive Sicherheitstestumgebung Eine zeit- und ortsynchrone Bewegung von At-trappenträgern und dem Erprobungsfahrzeug ist für die Evaluierung von aktiven Sicherheits-systemen erforderlich. Zu diesem Zweck wird am VSI eine umfassende Gesamtmethodik entwickelt und dafür die entsprechende Hard-ware (Positionssensorik, Echtzeitrechner, Si-gnalübertragung,…) erprobt. Ebenso wird die Software (Planungstool, Pfaderstellung, Kom-munikation, Sicherheitskonzept,…) erstellt. Die Erprobung der Methodik erfolgt auf Modellfahr-zeugebene und soll anschließend auf Realfahr-zeuge appliziert werden.

Batterietesting

Die Evaluierung von Elektrofahrzeugen mit elektrochemischen Energiespeichern benö-tigt eine besondere Prüfumgebung, da es bei Crashuntersuchungen von Batterien zu Aus-gasungen, Bränden und Explosionen kommen kann.

Für die Crashsicherheit sind insbesondere mechanische Missbrauchstests von Interesse (Schock-, Penetrations-, Quetschtests). Dafür wurde ein Prüfanlagenkonzept erarbeitet, das diese Prüfungen in gesicherter Umgebung er-lauben. Dieses Konzept wird vom Partnerunter-nehmen DSD als Prüfstand gebaut. ■

Evaluierungstest Fußgängerschutz beim LKWQuelle: TU Graz / VSI

Bewegungsstudie im ViF-Projekt OM4ISQuelle: ViF, TU Graz / VSI

Erstentwurf UFO (Ansicht von unten)Quelle: TU Graz / VSI

Prototyp UFOQuelle: Fa. DSD, Linz

Li-Po Zellenbrand nach PenetrationsversuchQuelle: TU Graz / VSI

Fahrzeugsicherheit

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12 magazine 4-2010

Werkstoffen auf den Zahn gefühlt

Die Voraussetzung zur prototypenfreien Ent-wicklung von sicheren und ressourcenscho-nenden Fahrzeugen ist eine hohe Prognose-Qualität des Crash-Verhaltens schon zu einem frühen Zeitpunkt im Entwicklungsprozess. Daher hat die Entwicklung neuer Simulati-ons- und Versuchsmethoden in der Mechanik höchste Priorität. Ziel ist es, die notwendigen Werkzeuge für einen durchgängigen Entwick-lungsprozess zur Verfügung zu stellen. Dabei werden die Anforderungen des jeweiligen Ent-wicklungsstandes berücksichtigt und auf den Einsatz der optimalen Methoden geachtet. In den Forschungsprojekten am VIRTUAL VEHI-CLE werden die einzelnen Werkzeuge zu ver-netzten Entwicklungsmethoden kombiniert.

Fokus auf FahrzeugsicherheitDie Simulation eines Bauteils beginnt beim Herstellungsprozess und reicht bis zum endgül-tigen Einsatz im Gesamtfahrzeug. Ein wesent-licher Fokus liegt auf den Anforderungen der Fahrzeugsicherheit, vor allem in punkto Stei-figkeit und Verformbarkeit der Materialien. Er-kenntnisse, die wiederum in die werkstoff- und formgebungstechnische Umsetzung einfließen. Das Ziel der Entwicklungen ist immer eine in der Crashrechnung anwendbare Simulations-methode. Kosten und Rechenzeit sind dabei natürlich wesentliche Faktoren in der Entwick-lung. Der bewährte Weg zur Entwicklung führt von experimentellen Materialversuchen zur Er-mittlung von Modellparametern über die Evalu-ierung der Modelle an einfachen Prinzipversu-chen zur Anwendung und Validierung an realen Versuchen bzw. Crashversuchen.

Plastisches Beispiel für ein solches For-schungsprojekt ist die Modellentwicklung für eine Barriere in der Gesamtfahrzeugentwick-lung (Abbildung 1). Basierend auf einfachen Materialversuchen an Aluminiumwaben-Struk-turen werden numerische Modelle des Alumi-niumhoneycomps mit wabenförmiger Struktur aufgebaut. Diese Modelle wurden an Kompo-

nentenversuchen evaluiert und in Gesamtbar-rieremodellen eingesetzt. Mithilfe von Realver-suchen erfolgte die erfolgreiche Validierung. Damit stehen diese Modelle in der Gesamtfahr-zeugentwicklung zur Verfügung.

Folgende Materialien und Verbindungen wer-den am VIRTUAL VEHICLE unter die Lupe ge-nommen (siehe Abbildung 2):

• Blechwerkstoffe: Stahl (hochfest, press-gehärtet, Standardstähle), Aluminiumle-gierungen

• Massivmetallbauteile: z.B. Stahl oder Alu-miniumguss, Schmiedewerkstücke

• Strangpressprofile: Aluminium

• Spritzgussteile: Kunststoffe

• Faserverstärkte Kunststoffe

• zelluläre Materialien: Schäume, Bienen-waben-Strukturen

• Nietverbindungen

• Schweißverbindungen: Schwerpunkt auf Schweißpunktverbindungen.

Hohe Prognosequalität des Crash-Verhaltens ist die Grundvoraussetzung in der prototypenfreien Fahrzeugentwicklung. Die an Werkstoffen und Bauteilen auftretenden Effekte müssen detailliert untersucht werden. Am VIRTUAL VEHICLE werden Methoden entwickelt, um die Ergebnisse in der Crashsimulation zu berücksichtigen.Dr. Gernot Trattnig

Abbildung 1: Modellentwicklungsprozess für die IIHS Crash Barriere Quelle: ViF

Abbildung 2: Untersuchte Materialien für die Crashsimulation (Faserverstärkte Kunststoffe, Bleche, Gussteile, Schaumstoffe, Kunststoffe)

Quelle: ViF

Fahrzeugsicherheit Strukturentwicklung

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13magazine 4-2010

Für eine gesamtheitliche Betrachtung müssen unterschiedliche physikalische Effekte berück-sichtigt werden.

Die wesentlichen abzubildenden Effekte sind:

• Dehnratenabhängige plastische Verfor-mung

• Versagen/Rissinitiierung

• Rissfortschritt

• Berücksichtigung von Fertigungseinflüs-sen

• Verformung von Verbindungselementen

• Versagen von Verbindungselementen

Zum einen geht es um die Abbildung von Ferti-gungseffekten in der Crashsimulation (Forming to Crash). Dies kann beispielsweise durch das Abbilden der Fertigungssimulationsergebnisse (Abbildung 3) oder durch Anpassung der Ma-terialeigenschaften in der Crashsimulation er-folgen.

Wichtig ist außerdem die Abbildung der dehn-ratenabhängigen plastischen Verformung bei crashrelevanten Umformgeschwindigkeiten. Dazu notwendig ist die einfache experimen-telle Ermittlung der dehnratenabhängigen Ver-formung. Diese Abhängigkeit der plastischen Verformung ist stark werkstoffspezifisch und vor allem bei Stahl und Kunststoff wichtig. Bei faser-verstärkten Kunststoffen ist auch die Ver-formungsrichtung maßgeblich.

Die Verformungsabbildung von zellulären Ma-terialien, wie bei den zuvor geschilderten Ho-neycombs, stellt eine große Herausforderung in

der Finite-Elemente-Simulation (FE) dar. Sie ist in hohem Maße inhomogen und ihre Abbil-dung speziell im Bereich der Crashbarrieren relevant.

Ebenso wird in der FE-Simulation ein durch plastische Verformung hervorgerufenes Ver-sagen beschrieben. Speziell hochfeste Werk-stoffe zeigen ein geringeres Verformungsver-mögen als klassische Werkstoffgüten. Für die Prognosesicherheit ist es daher notwendig, auch das Bauteilversagen in der Simulation abzubilden. Kommerzielle FE-Solver bieten immer mehr Lösungen dafür an. Für den spe-zifischen Werkstoff muss die richtige Methode bzw. ein passendes Kriterium gefunden wer-den um die werkstoffspezifischen Parameter experimentell bestimmen zu können.

In modernen hochfesten Strukturbauteilen wird inzwischen bewusst auch Versagen in Kauf genommen. Um die Auswirkung des Versagens auf die Gesamtstruktur und damit der Fahrzeugsicherheit prognostizieren zu können, muss auch der Rissfortschritt mo-delliert werden. Dafür werden am VIRTUAL VEHICLE neue Elementmodelle zur Abbildung der lokalisierten Verformungskonzentrationen an der Rissspitze entwickelt (Abbildung 4). Kombiniert mit bruchmechanischen Rissfort-schrittskriterien soll der Rissfortschritt in der angewandten Crashsimulation vorhergesagt und die Fahrzeugsicherheit durch konstruktive Änderungen in der Entwicklungsphase erhöht werden.

Auch die Verformung und das Versagen von Verbindungselementen im Crash ist ein wichtiges Forschungsgebiet am VIRTUAL VEHICLE. Mehrere tausend Schweißpunkte verbinden die unterschiedlichsten Bauteile zur Gesamtkarosserie. Die Grundlegende Pro-

blematik bei der Beschreibung der Verformung und des Versagens von Schweißpunkten liegt in der Abbildung der lokalen Verformungs- und Spannungsfelder in der Crashsimulation. Da di-ese Verbindungselemente nicht hochaufgelöst modelliert werden können, wurde am VIRTU-AL VEHICLE die Trefftz-Methode bis zur Ein-satzreife in der angewandten Crashsimulation weiterentwickelt. Damit lassen sich die lokalen Verhältnisse am Verbindungspunkt abbilden und dadurch Aussagen über das Versagen tref-fen (Abbildung 5), ohne die Rechenzeit wesent-lich zu erhöhen.

Die Forschungsstruktur am VIRTUAL VEHI-CLE ermöglicht die abgesicherte Entwicklung von neuen Simulationsmethoden in mittel- und langfristigen Projekten mit kompetenten Part-ner aus Industrie und Wissenschaft: Audi AG, MAGNA Steyr Fahrzeugtechnik AG & Co KG, Europoles GmbH & Co. KG, Erich Schmid Insti-tut (ESI), ÖAW, VSI (TU Graz)

Dadurch kann das VIRTUAL VEHICLE seiner Aufgabe nachkommen, die Zusammenarbeit von Industrie und Universität zu unterstützen um neue Methoden zu entwickeln und ange-wandte Forschung erfolgreich zu betreiben. ■

Abbildung 3: Abbildung des Fertigungs-einflusses auf die Verformbarkeit Quelle: ViF

Abbildung 4: Modellierung der lokalen Verformungskonzentration an der Riss-

spitze mit hybriden Trefftz-ElementenQuelle: ViF

Abbildung 5: Abbildung des Schweiß-punktversagens in der CrashsimulationQuelle: ViF

FahrzeugsicherheitStrukturentwicklung

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Der Seitenanprall stellt in der Fahrzeugent-wicklung aufgrund der geringen verfügbaren Deformationszone eine besondere Herausfor-derung dar. Nachdem der Druck zum Leichtbau in der Karosseriestruktur nicht zuletzt durch die CO2-Diskussion stark gestiegen ist, halten hoch- und höchstfeste Stahlwerkstoffe in vielen Bereichen der Fahrzeugstruktur Einzug. Dies gilt damit auch für die B-Säule.

Mit der hohen Festigkeit geht jedoch eine ge-ringe Duktilität einher, wodurch eine gewisse Rissgefahr gegeben ist. Mit Duktilität wird die Eigenschaft eines Werkstoffes beschrieben, sich bei Überbelastung stark plastisch zu ver-formen, bevor er versagt. Das lässt sich mittels der Methoden der numerischen Simulation nur bedingt prognostizieren. Eine Absicherung durch reale Versuche ist daher notwendig.

Ein weiterer Trend aus Kosten- und Zeitgrün-den ist die Reduktion von Prototypen-Hardware

– insbesondere von Gesamtfahrzeug-Proto-typen. Wird eine möglichst kleine Komponente geprüft, so ist dies bereits früher im Entwick-lungsprozess möglich und daher günstiger als ein Gesamtfahrzeugversuch.

Am VIRTUAL VEHICLE wurde daher in einer intensiven Zusammenarbeit mit der Audi AG ein B-Säulen-Prüfstand entwickelt, der die Säulen möglichst ähnlich dem Gesamtfahrzeugtest be-lastet. Besonders im Fokus standen die Bela-stung, die Belastungsgeschwindigkeit und das Deformationsverhalten.

Die Ergebnisse dieses Projektes, dessen Basis eine FEM-Gesamtfahrzeugsimulation des Audi A4 ist (Lastfall Seitenanprall nach IIHS), waren mehr als überzeugend. Die in den Versuchen auftretende Kinematik sowie die Belastungsge-schwindigkeiten stimmten gut mit dem Gesamt-fahrzeugversuch überein. Der B-Säulenprüf-stand ermöglicht es obendrein die Tests mit der

realen Testgeschwindigkeit durchzuführen. Im Gegensatz zu früheren herkömmlichen Testum-gebungen ist es mit der variablen Auslegung möglich, unterschiedlich ausgeführte B-Säulen zu überprüfen. Diese wird im Vorfeld mittels numerischer Simulation ausgelegt. Dadurch kann der Prüfstand beliebig an unterschiedliche Fahrzeugprojekte ausgelegt werden. Auch eine Adaption an andere Versuchskonfigurationen (z. B. EuroNCAP, SINCAP) ist damit möglich.

Obwohl der Versuchsaufbau flexibel gestaltet ist, ist durch dessen steifen Aufbau die Repro-duzierbarkeit für den Versuch gegeben und wird selbst nicht plastisch deformiert. Außerdem wurde ein geringer zu testender Bauteilumfang angestrebt. Die Adaption des Prüfstandes auf verschiedene Fahrzeugprojekte wurde in einer Vorauslegungsphase mittels numerischer Si-mulation durchgeführt.

So wurde der Prüfstand ausgelegtUm eine gute Übereinstimmung zwischen Ge-samtfahrzeugverhalten und dem Verhalten im Prüfstand zu erzielen, wurde eine Kinematik-analyse der B-Säulenanbindung am Dachrah-men und am Schweller durchgeführt.

Die in Abbildung 1 dargestellten translato-rischen und rotatorischen Verschiebungen bei den Anbindungsstellen am Dachrahmen und am Schweller zeigen, dass für die Größe der Intrusionen nicht nur die Biegesteifigkeit, son-dern auch die Torsionssteifigkeit an beiden Komponenten ausschlaggebend ist.

Aufbauend auf diesen Erkenntnissen können folgende Einflussfaktoren auf die Prognosegüte identifiziert werden:

• Die Länge des berücksichtigten Schwel-ler- und Dachrahmenbereichs vor und hin-ter der B-Säulenanbindung

Ein neu entwickelter B-Säulen-Prüfstand ermöglicht ein früheres und somit ökonomisches Testen im Fahrzeugentwicklungsprozess. Die Prüfumgebung kann dadurch auf unterschiedliche Fahrzeugprojekte ausgelegt werden und liefert nahezu identische Ergebnisse wie in der Gesamtfahrzeugsimulation. DI Andreas Teibinger

Flexiblere Methode zur Seitenaufprall-Analyse

Abbildung 1: Kinematikanalyse IIHSQuelle: ViF

Fahrzeugsicherheit Strukturentwicklung

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15magazine 4-2010

• Die Drehsteifigkeit der Schweller- und Dachrahmenanbindung

Definition der StoßkörperUm die Kraftverteilungswirkung der Türen auf die B-Säule zu analysieren, wird der Kontakt zwischen der B-Säule und den mit dieser in Kontakt befindlichen Bauteilen in mehrere Ein-zelkontaktbereiche aufgeteilt.

Die Auswertung auf Basis der Kontaktkraftver-teilung über der Höhe der B-Säule ermöglicht die Ableitung der erforderlichen Steifigkeits-verteilung und Form eines adaptierten Stoß-körpers. Wie die Auswertung in Abbildung 2 zeigt, ist der Einsatz einer handelsüblichen IIHS-Barriere nicht zielführend, da diese nicht die notwendige Steifigkeitsverteilung und Form aufweist. Somit wird auf Basis der Kontaktkraft-auswertung durch eine Parameteranalyse ein eigens ausgelegter, kostengünstiger Stoßkör-per entwickelt.

Umsetzung der HardwareEin Schwerpunkt bei der Auslegung ist die Übereinstimmung der Intrusionsgeschwindig-keiten und der globalen und lokalen Deforma-tion. Zum Unterschied von sonst ausgeführten Komponentenprüfständen wird dieser Prüf-stand auf eine Stoßgeschwindigkeit, wie sie im IIHS-Crashlastfall definiert ist, ausgelegt. Dies erfordert die Auslegung eines „Leichtbaubarri-erewagens“. Dadurch ist die Abbildung des zeit-lichen Deformationsverlaufs, welche gerade bei innovativen Werkstoffkombinationen entschei-dend ist, möglich.

Des Weiteren ist die Barrierewagenfront so ge-staltet, dass einerseits der Stoßkörper variabel befestigt wird und andererseits unterschied-lichste Stoßkörper aufgebaut werden können (Abbildung 3). Im Crashlastfall nach IIHS wird ein Teil der Stoßenergie durch das Verschieben des Fahrzeuges in Stoßrichtung, in kinetische und Reibungsenergie umgewandelt. Da der Komponentenprüfstand mit derselben Stoßge-schwindigkeit ausgelegt ist, wird dieser Effekt durch Stauchrohre nachgestellt.

Die VersuchsdurchführungDie B-Säule wird mit Beschleunigungssensoren an denselben Stellen bestückt, wie sie im Simu-lationsmodell positioniert sind. Zusätzlich sind im Bereich der Stauchrohre Kraftmessdosen vorgesehen. Abbildung 4 zeigt einen Vergleich der Intrusionsgeschwindigkeiten des Kompo-

Abbildung 2: Aufteilung der Kontaktbereiche entlang der B-Säule für die Kontaktkraftauswertung (links); Gegenüberstellung Kontaktkraftauswertung Gesamtfahrzeug (rechts)Quelle: ViF

Abbildung 3: Barriere-wagen mit StoßkörperQuelle: ViF

Abbildung 4: Vergleich der Geschwindigkeiten zwischen Simulation und Versuch auf Höhe des unteren TürscharniersQuelle: ViF

Abbildung 5: Gegenüberstellung der Enddeformation zwischen Simulation (links) und Versuch (rechts)Quelle: ViF

nentenversuchs, der Komponentensimulation und der validierten Gesamtfahrzeugsimulation im Bereich der unteren B-Säule. Bereits die ersten Versuche zeigen eine sehr gute Über-einstimmung im ersten Anstieg und beim Ma-

ximalwert. Das Enddeformationsbild zwischen Komponentenprüfstandsimulation und -versuch zeigt eine gute Übereinstimmung. Dies ist in der Abbildung 5 exemplarisch für den unteren Be-reich der B-Säule samt Schweller dargestellt. ■

FahrzeugsicherheitStrukturentwicklung

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16 magazine 4-2010

Karosserieentwicklung aus der Sicht CAE

HerausforderungenDer Trend zur Individualisierung trifft die Karos-serieentwicklung in vollem Umfang. Der Markt entwickelt sich in Richtung einer Zunahme an Derivaten mit kleineren Stückzahlen, welche sich – entgegen aller Plattform-Strategien – in ihren Karosserieformen unterscheiden. Eine Verdopplung der Projekte von einem Modellzy-klus zum nächsten ist keine Seltenheit, weitere Varianten innerhalb eines Modells entstehen durch das Thema Elektrifizierung (Hybridisie-rung). Nachdem die Ressourcen (Mitarbeiter, Prototypenhardware etc.) nicht im selben Maße mit wachsen, entsteht ein gewaltiger Druck zur Rationalisierung der Entwicklungsprozesse.

Die Themen Effizienz/Verbrauchsreduzierung und alternative Antriebe sind aktuell extrem im gesellschaftlichen Fokus. Beides erfordert erhöhte Anstrengungen im Thema Leichtbau. Dass jede nachfolgende Modellgeneration automatisch schwerer als der Vorgänger wird, ist - trotz der Zunahme an Ausstattung - nicht

mehr akzeptabel. Die Umkehr der Gewichtsspi-rale ist das Ziel. Lösungswege bilden der stoff-liche und geometrische Leichtbau (Beispiel die Karosseriestruktur des neuen AUDI-A8, Abbil-dung 1). Stofflicher Leichtbau betrifft sowohl die Weiterentwicklung innerhalb der Werkstoffklas-sen (z.B. den Einsatz von warmumgeformten höchstfesten Stählen mit Festigkeiten bis 1800 MPa) als auch die Werkstoff Substitution hin in Richtung Aluminium und – in ersten Ansät-zen – Faserverbundwerkstoffe. Geometrischer Leichtbau stellt den eleganteren Weg dar, wobei hier der Kampf in Richtung Package zu führen ist. Speziell neue Konzepte werden durch eine Vielzahl von CAE-Schleifen abgesichert und optimiert.

Die Reduktion oder im Extremfall der Verzicht auf Gesamtfahrzeugprototypen ist ein weiterer Ausdruck der Rationalisierung. Audi baut pro Jahr rund 2000 Prototypen, die nie an Kun-

den ausgeliefert werden. Die Vermeidung von Hardware ist damit, neben der Kostenerspar-nis, auch aufgrund von Fertigungskapazitäten bei einer Vergrößerung der Modellpalette erfor-derlich.

Trotz der zunehmenden Bedeutung der ak-tiven Fahrsicherheitssysteme halten nach wie vor neue Anforderungen aus dem Bereich der passiven Sicherheit in die Auslegung Einzug. So wurde z.B. im vergangenen Jahr die Kraft beim Dacheindrücktest deutlich erhöht. Zudem wird der Test nicht nur auf einer Seite, sondern sequentiell zuerst auf der einen und dann noch-mals auf der anderen Seite durchgeführt.

PrognosegüteAll die genannten Trends stellen Anforde-rungen an die CAE-Auslegung, welche sich schwerpunktmäßig in die Bereiche Prognose-

Einen zentralen Baustein bei der Bewältigung der Herausforderungen in der Karosserieentwicklung stellt die numerische Simulation dar. Was nicht im Rechner funktioniert und freigegeben wird, wird nicht gebaut. Der Druck, die Prognosegüte weiter zu erhöhen, steigt durch die Forderung nach prototypenfreien Entwicklungen. Dr. Bernd Mlekusch (AUDI AG)

Abbildung 1: Karosseriestruktur des neuen Audi A8 in Aluminium-Space-Frame (ASF®) Bauweise mit B-Säule aus warmumgeformten Stahl (Gewicht: 234 kg): rot -

Aluminium Druckguss; blau – Aluminium Stangprofil; grün – Aluminium Blech.Quelle: Audi

Fahrzeugsicherheit Strukturentwicklung

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17magazine 4-2010

güte und Datenmanagement unterteilen lassen (zum ersten Thema führt Audi gemeinsam mit MAGNA STEYR Fahrzeugtechnik ein Projekt am VIRTUAL VEHICLE durch: Methoden und Prozesse zur Erhöhung der Prognosefähigkeit in der numerischen Crash-Simulation).

In der Crashsimulation dominiert bezüglich der Prognosegüte nach wie vor das Thema Versagen, wobei sowohl das Materialversagen als auch das Versagen der Verbindungstech-nik Gegenstand der Untersuchungen ist (für Schweißpunkte können hier die am VIRTUAL VEHICLE entwickelten Trefftz-Elemente ein-gesetzt werden). Die Anforderung Leichtbau zeigt hier folgende Auswirkungen: Zum einen kommen höherfeste und damit weniger duktile (sprödere) Werkstoffe zum Einsatz. Zum an-deren werden Kombinationen von Werkstoffen eingesetzt, deren Verbindungstechnik vom „In-dustriestandard“ Punktschweißverbindung ab-weicht. Als Beispiel sei hier das Verbinden von Aluminium mit Stahl genannt, welches durch verschiedenste Techniken erfolgen kann (z.B. Klebe-Nieten Verbindungen). Dieser gesamte Themenkomplex ist durch entsprechende Ver-sagensmodelle abzubilden.

Wird auf Gesamtfahrzeugprototypen verzichtet, so kommt der Komponentenerprobung beson-dere Bedeutung zu. Mit Hilfe der Simulation werden Versuche so konzipiert, dass die Bela-stung der Bauteile oder Bauteilgruppen wie im realen Fahrzeug erfolgt. Nachfolgend werden

in einer Validierungsphase die Simulations-modelle mit den Versuchen abgeglichen. Bei-spielhaft ist hier der Komponentenprüfaufbau für eine B-Säule zu nennen (siehe Beitrag auf Seite 14).

Sowohl die Prognosegüte (hohe Vernetzungs-dichten in Bereichen, in denen Versagen erwartet wird) als auch zusätzliche Frage-stellungen zwingen zu immer feineren und besser aufgelösten Modellen. Dies gilt für die Fahrzeuge selbst, aber auch für die Barrieren, durch welche die Fahrzeuge im Crash belastet werden. Um z.B. die Fragestellung, ob eine Tür im Seitencrash öffnet, beantworten zu können, müssen alle Schlossbauteile mit ihrer Kinema-tik und der Bowdenzug mit modelliert werden (Abbildung 2).

DatenmanagementDem Datenmanagement in der Struktursimula-tion kommen im wesentlichen zwei Aufgaben zu: Unterstützung bei der Vernetzung der ein-zelnen Berechnungsteams und das Gewährlei-sten der Nachvollziehbarkeit der Datenstände, insbesondere in Hinblick auf die sich teilweise parallel entwickelnden CAD-Stände. Die ein-zelnen Anforderungen und Lastfälle werden in verschiedenen Teams ausgelegt. Zudem werden externe Ingenieurbüros mit in den Workflow eingebunden. Das Datenmanage-ment muss demnach sicherstellen, dass der aktuelle Karosseriestand sowohl im Front-,

Seiten- als auch Heckcrash aber auch in der Insassensimulation verwendet wird. Eine nicht triviale Aufgabe, wenn man die Anzahl der Ent-wicklungsstände bedenkt. Abbildung 3 zeigt dazu den Strukturbau verschiedener Karosse-rievarianten.

ZieleDie Ziele der Struktursimulation (Crash und Steifigkeit) sind einfach beschrieben: Dem olympischen Motto folgend sollen immer aus-sagekräftigere Simulationen immer schneller erzeugt werden, um damit belastungsoptimale Karosseriestrukturen ohne Prototypen zu ent-wickeln. Wie in diesem Beitrag aufgezeigt, wird diese Aufgabenstellung in ihren mannigfaltigen Facetten noch Generationen von Ingenieuren beschäftigen. ■

Abbildung 3: Variantenbau der Karosserie-modelle im Datenmanagementsystem

Quelle: Audi

Abbildung 2: Detailmodell des Schlosses im Audi A1Quelle: Audi

FahrzeugsicherheitStrukturentwicklung

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18 magazine 4-2010

Three Steps Approachp pp

1 Gesamtfahrzeugsimulation1. GesamtfahrzeugsimulationIntrusionspulsep

2 Simulation des2. Simulation desASIS Ersatzsystems

ASIS Setup

3 ASIS Real Test3. ASIS Real Testvalidierte Optimierungsergebnisse

Der Seitenaufprall stellt in der Fahrzeug-auslegung eine besondere Herausforderung dar, da hier der Bauraum für lebenserhaltende Maßnahmen im Vergleich zu anderen Last-fällen sehr gering ausfällt. Daher müssen die zur Verfügung stehenden Schutzeinrichtungen – wie etwa Seitenairbags – sehr präzise auf das jeweilige Fahrzeug abgestimmt sein. Das wird zum einen mit Simulationen, zum anderen aber auch stationär und mit Schlittenversuchen durchgeführt.

Das Problem bisher war, dass es bei Schlitten-versuchen noch keine Methode gegeben hat, um die Belastungen auf den Dummy zu simu-lieren. Schlittenversuche werden bei der Aus-legung von Rückhaltesystemen angewandt, um überwiegend zerstörungsfrei ein und dieselbe Belastung reproduzierbar auf ein Ersatzsystem

aufzuprägen. Diese Methode wird für die Aus-legung des Frontalaufpralls, welche im We-sentlichen ohne die Verformung der relevanten Umgebung um den Insassen auskommt, bereits standardmäßig eingesetzt. Die großen und in-sassennahen Intrusionen in den Innenraum, die beim Seitenaufprall auftreten, stellen aber derzeit noch eine große Herausforderung dar.

Präzisere ErgebnisseDie Forscher am VIRTUAL VEHICLE haben deshalb dafür gemeinsam mit dem Institut für Fahrzeugsicherheit der TU Graz und der Firma DSD GmbH in Linz ein neues Konzept entwi-ckelt. Dieses soll es ermöglichen, den Lastfall Seitenaufprall am Schlitten präziser darzustel-len als mit den derzeit bekannten Methoden. Das „Advanced Side Impact System“ (ASIS)

der Firma DSD bot die Basis dazu. Ziel war es, dieselben Belastungen am Schlitten darzustel-len, wie sie am Gesamtfahrzeug auftreten. Der Weg war also klar vorgegeben: Von der Simu-lation auf den Schlitten, ohne dass dabei das Gesamtfahrzeug als Versuchsumgebung zur Verfügung stehen muss.

Die Vorgangsweise im Detail: Im FE Solver LS-Dyna wurde ein Ersatzsimulationsmodell aufgebaut. Auf modulare Adapterplatten wur-den Intrusionspulse aufgebracht, diese stellten die Intrusion der Fahrzeug-Türstruktur dar und erlaubten die Montage der Innenverkleidung. Dadurch ist es möglich, Rückhaltesysteme und Innenverkleidung schon während der Design-phase zu entwickeln, zu untersuchen und in weiterer Folge zu optimieren. Zur Validierung des Konzepts wurde eine Testserie inklusive

Eine neue Methode zur Nachstellung von Seitencrashs ermöglicht es, identische Belastungen am Schlitten aufzubringen, wie sie im Gesamtfahrzeug auftreten. Rückhaltesysteme können dadurch bei den Tests leichter optimiert werden. Diese nahezu prototypenfreie Vorgangsweise hilft Kosten sparen.DI Werner Leitgeb

Präzisere Analysen von Seitencrashs

Three Steps ApproachQuelle: ViF

Three Steps Approachp pp

1 Gesamtfahrzeugsimulation1. GesamtfahrzeugsimulationIntrusionspulsep

2 Simulation des2. Simulation desASIS Ersatzsystems

ASIS Setup

3 ASIS Real Test3. ASIS Real Testvalidierte Optimierungsergebnisse

Fahrzeugsicherheit Occupant Safety

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19magazine 4-2010

Parameterveränderung am realen ASIS Schlit-ten durchgeführt. Dadurch wurden die Simu-lationsergebnisse und das Konzept prinzipiell bestätigt.

Der „Three Steps“-AnsatzIm ersten Schritt des sogenannten “Three Steps

Approach“ wird die Intrusionsvorgabe für das ASIS Ersatzsystem aus der Gesamtfahrzeug-simulation abgeleitet. Diese wird dann auf das im zweiten Schritt erstellte Ersatzsystem auf-gebracht. Mit Hilfe dieses Simulationsmodells können ohne großen Aufwand Variantenstu-dien durchgeführt werden. Zu deren Validie-rung geht man im dritten Schritt auf das ASIS

Seitencrashnachstellung am ASIS-Schlitten (FE-Simulation oben, Validierungsversuch unten) FE Simulation: Gelber Dummy = Simulation in Fahrzeugumgebung,

Bunter Dummy = Simulation mit ASIS ErsatzsystemQuelle: DSD, ViF 2009

Schlittensystem und erhält daraus bereits mit Hardware validierte Optimierungsergebnisse.

Das Potenzial des ASIS sowie des ausgewähl-ten Konzeptes konnte eindrucksvoll demons-triert werden. Ebenso wurde die Anwendung im Fahrzeugentwicklungsprozess definiert. ■

FahrzeugsicherheitOccupant Safety

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20 magazine 4-2010

„Gleichberechtigung“ bei den Dummymodellen

In Europa werden jährlich insgesamt etwa 300.000 Personen bei einer PKW-Heckkollision verletzt. Davon leiden 15.000 unter den Lang-zeitfolgen einer Verletzung der Halswirbelsäule (HWS). Die jährlichen volkswirtschaftlichen Ko-sten von HWS-Verletzungen belaufen sich auf mehr als vier Milliarden Euro. Die Beurteilung der Insassensicherheit zur Vermeidung von HWS-Verletzungen (Whiplash Assiciated Dis-order - WAD) erfolgt nach wie vor mit einem männlichen Crashtest-Dummy. Obwohl Studien seit Ende der 60-iger Jahre bereits aufgezeigt haben, dass Frauen einem bis zu dreifach höheren Risiko einer derartigen Verletzung ausgesetzt sind als Männer, ist ein weiblicher Heckanpralldummy nicht vorhanden.

Obwohl das bekannt ist, sind nur wenige In-formationen hinsichtlich der Unterschiede im dynamischen Bewegungsablauf und -verhalten zwischen weiblichen und männlichen Fahr-zeuginsassen bekannt. Die häufigsten Studien zum Bewegungsverhalten der Wirbelsäule wäh-rend einer Heckkollision wurden mit männlichen

Probanden durchgeführt. Die Bewegungscha-rakteristiken zwischen Frauen und Männern sind noch nicht schlüssig unterschieden. Aller-dings sind diese notwendig, um die Biomecha-nik und die Mechanismen für Whiplash-Verlet-zungen zu verstehen. Kinematische Analysen der Wirbelsäulenbewegung während einer Heckkollision von weiblichen und männlichen Freiwilligen im niedrigen Geschwindigkeitsni-veau liefern wichtige Basisdaten zur Entwick-lung und Optimierung von Crashtest- Dummies oder Computermodellen.

Die momentan am Markt erhältlichen Anti-Whiplash-Systeme zeigen auf jeden Fall eine Reduzierung des Verletzungsrisikos. Jedoch haben aktuelle Evaluierungen gezeigt, dass da-von vor allem männliche Insassen profitieren.

EU-Projekt schafft neue PerspektivenIm aktuellen EU-Projekt ADSEAT (Adaptive seat to reduce neck injuries for female and

male occupants) am Institut für Fahrzeugsi-cherheit (VSI) wird diesem Umstand Rechnung getragen.

Darin werden die physiologischen Einflüsse und Unterschiede zwischen Frauen und Männern, sowie zusätzliche Risikofaktoren für Whiplash-Verletzungen evaluiert. Sie dienen als Basis für die Entwicklung eines weiblichen Computermo-dells, das angelehnt an das männliche Pendant EvaRID bezeichnet wird.

Die Ausgangssituation beim männlichen ModellDer dem derzeitigen Stand der Technik ent-sprechende und im Einsatz befindliche Crash-test-Dummy und das äquivalente Computermo-dell entspricht einem männlichen Insassen und wird als BioRID II (Biofidelic Rear Impact Dum-my) bezeichnet. Damit die aus dem BioRID-II-Dummy zu gewinnenden Verletzungskriterien auch in der FE-Simulation nachgestellt werden können, wurde am VIRTUAL VEHICLE in Zu-sammenarbeit mit dem VSI ein numerisches FE-Modell dieses Dummys entwickelt. Das BioRID II Modell wurde auf Basis von 3D-Ver-messungsdaten und Komponentenversuchen aufgebaut und durch verschiedenste Versuche validiert.

Der speziell für den Heckaufprall entwickelte Dummy verfügt über eine Wirbelsäule, die alle 24 beweglichen Wirbel der menschlichen Wir-belsäule (sieben Hals-, zwölf Brust- und fünf Lendenwirbel) darstellt und die in der Lage ist, die für den Heckaufprall charakteristische Kopf-bewegung zu simulieren.

Obwohl das Risiko einer Halswirbelsäulenverletzung bei weiblichen Fahrzeuglenkern deutlich höher ist, steht bei Heckanprall-Crashtests nur der männliche Dummy zur Verfügung. Mit dem EU-Projekt ADSEAT wird diese Lücke mit einem weiblichen Computermodell geschlossen.Dr. Ernst Tomasch (TU Graz), Dr. Andreas Rieser

Risiko einer Whiplash-Verletzung für Frauen im Vergleich zu MännernQuelle: ADSEAT

Fahrzeugsicherheit Occupant Safety

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Die Projektziele von ADSEAT im Detail

Folgende Projektziele werden in ADSEAT ver-folgt:

Analyse von Realunfällen zur Bewertung des Verletzungsrisikos für Frauen und Evaluierung des Einflusses unterschied-licher KörpergeometrienAus der Analyse von Realunfalldaten sollen Belastungsmuster evaluiert werden, welche als verletzungs- und nicht verletzungskausal gelten. Die daraus generierten Puls-Charak-teristiken mit und ohne Verletzungsrisiko sind die Eingangsdaten für dynamische Schlitten-versuche und Probandenuntersuchungen. Unterschiedliche Körpergeometrien werden ebenfalls untersucht und das Risiko einer Whi-plash-Verletzung beschrieben.

Biomechanische Untersuchung der Verletzungsmechanismen auf Basis von dynamischen Schlittentests Für die Generierung eines Computermodells sind neben der Kenntnis von Körpergeome-trien auch Informationen zum Bewegungsver-halten notwendig. Daher werden kinematische Analysen der Wirbelkörperbewegung sowie Beschleunigungssignale von Probandenversu-chen detailliert nach Unterschieden zwischen weiblichen und männlichen aufbereitet.

Entwicklung eines weiblichen Computer-modells – EvaRIDEin zentrales Ziel des Projektes ist die Entwick-lung eines weiblichen Computermodells zur Bewertung von Sicherheitssystemen bei einem Heckanprall. Ausgehend vom existierenden männlichen Modell liefern die Literaturdaten von Realunfällen und biomechanischen Versu-chen wesentliche Eingabeparameter.

Definition von Verletzungskriterien und GrenzwertenAufgrund des unterschiedlichen Verletzungs-risikos von Frauen und Männern werden die

zurzeit vorliegenden Kriterien und Grenzwerte auf ihre Anwendbarkeit hin überprüft und gege-benenfalls adaptiert.

Entwicklung eines Demonstrators zur Darstellung von SchutzmechanismenAbschließend sollen Evaluierungsrichtlinien zur Beurteilung von optimalen Schutzeinrichtungen zur Vermeidung von Whiplash Verletzungen for-muliert werden. Im Prinzip sollen sich mit einem Design-Illustrator eine einfache Darstellung von Whiplash-Mechanismen, Einflüsse unter-schiedlicher Sitzparameter oder geschlechts-spezifische Merkmale darstellen lassen. ■

Schematische Beschreibung und Zusammenhang der einzelnen ADSEAT ArbeitspaketeQuelle: ADSEAT

Gewichtsverteilung der EvaRID im Vergleich zum BioRID

Quelle: ADSEAT

FahrzeugsicherheitOccupant Safety

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22 magazine 4-2010

Unfallvermeidung ganzheitlich betrachtet

Virtual Testlab for Safety

i l i i lEinleitung: Nutzungspotential

≈ 2s ≈ 100ms

Unfallvermeidung Verringerung der Unfallschwere

Aktive Sicherheit !! P t i l U f ll id d V i d U f ll h !!

Passive Si h h it!! Potenzial zur Unfallvermeidung oder Verringerung der Unfallschwere !! Sicherheit

Integrierte Sicherheitg

Harald Schluder / Area Mechanics13. August 2010 1

Historisch gesehen wurden in der Vergangen-heit unfallvermeidende Maßnahmen (aktive Si-cherheit) und unfallfolgenmindernde Maßnah-men (passive Sicherheit) weitgehend getrennt voneinander betrachtet. Damit die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer in der Gesamtbetrach-tung des Verkehrssystems weiter verbessert werden kann, ist eine gesamtheitliche Betrach-tung aller Sicherheitsaspekte notwendig. Diese Sichtweise wird auch integrale oder integrierte Fahrzeugsicherheit bezeichnet. Integrierte Fahrzeugsicherheit beschränkt sich nicht nur auf das Fahrzeug selbst, sondern schließt auch den Menschen in seinem Fahrverhalten, sowie die Umgebung in der Gestaltung des Verkehrs-raumes mit ein.

Damit das erreicht werden kann, ist eine Kopp-lung bzw. Verbindung unterschiedlichster Dis-ziplinen notwendig. Voraussetzung dafür sind neue Ansätze für eine Entwicklungsumgebung, die eine disziplinübergreifende Betrachtung und Entwicklung des Themas Fahrzeugsicher-heit ermöglichen.

Bisherige Betrachtungsweise

Abbildung 1 zeigt beispielhaft die verschie-denen Phasen in einem Frontalaufprall. Zu Beginn wirken Systeme der aktiven Sicherheit, die zur Unfallvermeidung bzw. Verringerung der Unfallschwere beitragen. Anfangs greift der Fahrzeuglenker aktiv in die Fahrzeugführung

ein, später setzen reaktiv ausgelegte autonome System ein. Systeme der passiven Sicherheit vermindern während der Kollisionsphase das Verletzungsrisiko.

Vor allem bei unfallvermeidenden und voraus-schauenden Sicherheitssystemen sind noch weitere Forschungsaktivitäten notwendig. Hier werden an die Fahrzeugentwickler ständig neue Herausforderungen herangetragen, die neue Entwicklungsstrategien und -werkzeuge notwendig machen.

Heutzutage werden zum Insassenschutz vor allem Maßnahmen der passiven Fahrzeugsi-cherheit wie Sicherheitsgurte, Gurtstraffer,

Bei der integrierten Fahrzeugsicherheit werden die Systeme der aktiven und der passiven Sicherheit kombiniert, um alle Aspekte in der Prävention von Unfällen sowie die Reduktion der Schwere der Unfälle mit einzubeziehen. Am VIRTUAL VEHICLE werden Methoden entwickelt, die die einzelnen Disziplinen verknüpfen.Dr. Arno Eichberger (TU Graz), Dr. Harald Schluder

Fahrzeugsicherheit Integrale Sicherheit

Abbildung 1: Die verschiedenen Phasen in einem FrontalaufprallQuelle: ViF

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Gurtkraftbegrenzer, Airbags aber auch verbes-serte Energieaufnahme durch das Fahrzeug und sicherere Fahrgastzellen in die Fahrzeuge implementiert. Diese Systeme haben im Laufe der letzten beiden Jahrzehnte für mehr Sicher-heit für die Fahrzeuginsassen gesorgt.

Ein weiterer großer Sprung zur Verbesserung der Verkehrssicherheit wurde in der aktiven Si-cherheit erzielt. Durch Verbesserung des Fahr-verhaltens, den Einsatz von Regelsystemen wie ABS und ESP sowie den zunehmenden Einsatz von Fahrerassistenzsystemen wurden und wer-den Möglichkeiten gefunden, Unfälle zu vermei-den oder die Kollisionsschwere zu senken.

In Abbildung 2 sind Potenziale zur Vermei-dung von tödlichen Unfällen aufgetragen. Die Grundlage bei dieser Untersuchung ist die Ge-samtheit der tödlichen Unfälle im Jahr 2003 in Österreich.

Klar erkennbar sind die hohen Potentiale von Ausweichassistenten (EMA), Spurhalteassi-stenten (LKA), automatisiertem Fahren auf Autobahnen (AuHi) sowie Notbremsassistenten (PBA) und Elektronischem Stabilitätsprogramm (ESC).

Die vielen unterschiedlichen Systeme sowie die verschiedenen kritischen Verkehrssituationen bereiten der Systemauslegung und deren Er-probung einen erheblichen Aufwand.

Ausweg: Systemauslegung in der Simulation

Ein möglicher Ausweg ist die Systemauslegung in der Simulation. Folgende Systeme sind dabei zu berücksichtigen:

• die Fahrdynamik des Fahrzeugs

• das Sensorverhalten für die Fahrumge-bungserkennung

• das Eingriffsverhalten der betrachteten Systeme

• der Mensch mit seinem Fahrverhalten

• das Verhalten des Fahrzeugs in der Kolli-sion

• die Bewertung des Verletzungsrisikos.

Für die Umsetzung dieser Sicherheitssysteme ist die Kopplung der Systeme in der Simulation eine Möglichkeit. Dabei müssen alle relevanten

Einflüsse berücksichtigt werden:

• Fahrzeug (Sicherheitssysteme, Fahrdyna-mik, Fahrzeugzustand, …)

• Fahrer (Alter und Fähigkeiten, Reaktions-muster,…)

• Umwelt (Straße, Witterungsverhältnisse, Verkehrssituation, Unfallgegner…)

Gekoppelte Simulation als Integrati-onswerkzeug

Ziel am VIRTUAL VEHICLE ist es, eine Metho-dik zu entwickeln, die das bereits bestehende Know-how in den Disziplinen passive und aktive Sicherheit, Fahrdynamik sowie Fahr-ermodellierung kombiniert. Dabei wird der für eine integrierte Sicherheitslösung notwendige Datenaustausch zwischen den einzelnen Diszi-plinen betrachtet. Es entsteht dabei eine neue Entwicklungsumgebung, welche eine übergrei-fende Betrachtung der Fahrzeugsicherheit er-möglicht.

Die unterschiedlichen Disziplinen in einer ge-meinsamen Entwicklungsumgebung werden so miteinander verknüpft, dass eine kritische Verkehrssituation durch Berücksichtigung aller Einflussgrößen – beginnend vom auslösenden Event bis zum Ende der Crash-Phase – durch-gängig am Rechner dargestellt werden kann.

Mithilfe einer übergreifenden Entwicklungs-

methode können die Potentiale der einzelnen Disziplinen, aber vor allem ihre gegenseitigen Abhängigkeiten und Beeinflussungen, sehr gut dargestellt werden. ■

FahrzeugsicherheitIntegrale Sicherheit

Abbildung 2: Potentiale von Systemen zur Kollisionsvermeidung

Quelle: Eichberger / EVU 2010

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Aktuelle Testmethoden der integralen Fahrzeugsicherheit

Alle Gesamtfahrzeugtests verfolgen ein Ziel: Komplexe Situationen müssen realitätsnah und reproduzierbar nachgestellt werden, um effektive integrale Fahrzeugsicherheitssysteme entwickeln zu können. Unter integraler Fahr-zeugsicherheit versteht man das Verschmelzen der klassischen Teilbereiche der aktiven und passiven Fahrzeugsicherheit.

Für den Betrieb einer solchen Testumgebung ist ein umfassendes Sicherheitskonzept unerläss-lich. In einem gemeinsamen Projekt zwischen der Firma Daimler AG und dem Institut für Fahr-zeugsicherheit der TU Graz wurde eine Trajek-torien-Planungssoftware sowie ein fünfstufiges hierarchisch gegliedertes Gesamtsicherheits-konzept entwickelt.

Früherkennung kritischer Situationen

In modernen Fahrzeugen ist eine Vielzahl von Fahrerassistenzsystemen integriert. Neben der Komforterhöhung dienen diese auch für

das frühzeitige Erkennen von kritischen Situ-ationen. Damit können gezielte Maßnahmen gesetzt werden, die die beteiligten Personen bestmöglich vor Verletzungen schützen sollen.

Für das Erbringen eines Effektivitätsnach-weises der teilweise sehr komplexen integralen Fahrzeugsicherheitsstrategien sind realitäts-nahe aber auch reproduzierbare Gesamtfahr-zeugtests unerlässlich. Daher sind Erpro-bungsszenarien erforderlich, bei denen die exakte relative Position und Geschwindigkeit von zwei oder mehreren Fahrzeugen Voraus-setzung ist. Das ist allerdings selbst mit erfah-renen Testfahrern nur sehr schwer reprodu-zierbar. Beim Einsatz von Testfahrern werden daher die Einflüsse aus Modifikationen an den zu testenden integralen Sicherheitssystemen lediglich statistisch ermittelt.

Damit das ausgeschlossen wird, werden im-mer häufiger andere Testmethoden eingesetzt. Nämlich solche, die Fahrzeugen und beweg-

lichen Objekten reproduzierbare, präzise, räumliche wie zeitliche Bewegungen vorgeben.

Anforderungen an die Fahrzeug- testumgebung

Im Zuge des Entwicklungsprozesses für inte-grale Fahrzeugsicherheitssysteme kommt eine Vielzahl von Entwicklungswerkzeugen (Simu-lationen, HIL-Methoden, Fahrsimulator…) zum Einsatz. Für die Funktionsabsicherung des Ge-samtsystems in realen Verkehrssituationen sind aber nur Gesamtfahrzeugversuche sinnvoll.

Bei diesen Versuchen sollte idealerweise die Position aller an dem Szenario beteiligter Ob-jekte zu jedem Zeitpunkt mit einer Genauigkeit von plus/minus fünf Zentimeter bestimmbar sein. Die Abweichungen zwischen den Vorga-betrajektorien und den tatsächlichen Bewe-gungstrajektorie dürfen nicht mehr als plus/minus zehn Zentimeter betragen.

Realitätsnahe und reproduzierbare Gesamtfahrzeugtests sind die Voraussetzung für die Entwicklung von komplexen integralen Fahrzeugsicherheitsstrategien. Das bedeutet eine Herausforderung für die Testmethoden, sowie deren Durchführung und Planung. Durchdachte Sicherheitskonzepte sorgen für die gefahrlose Testdurchführung. Dr. Wolfgang Sinz (TU Graz), DI Nikolai Schretter (TU Graz)

Abbildung 1: Aufblasbares Balooncar Quelle: Thatcham

Fahrzeugsicherheit Integrale Sicherheit

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Je nach Testszenario ergeben sich weitere An-forderungen an die Testmethode, wie etwa die Simulation von Witterungseinflüssen.

Testmöglichkeiten im Überblick

Die derzeit existierenden Testmethoden für den Effektivitätsnachweis von integralen Test-methoden erfüllen je nach gewünschten Anfor-derungen der Teststreckenbetreiber meist nur in gewissen Teilbereichen die eingangs ange-führten Anforderungen.

So sind beispielsweise stehende oder gezo-gene Crash-Hindernisse eine sehr einfache und sichere Art integrale Sicherheitssysteme zu testen. Nachteilig ist, dass sich die Hinder-nisse nur beschränkt bewegen können bzw. dass die Radareigenschaften von Realfahrzeu-gen nur begrenzt nachgebildet werden können.

Eine weitere Möglichkeit sind Ausleger mit ent-sprechenden Attrappen. Diese Testmethode bietet den Vorteil, dass realitätsnah bis zur Kol-lision getestet werden kann. Auch können die Attrappe und der Ausleger so gestaltet werden, dass diese die geforderten Radar- und Video-eigenschaften aufweisen. Nachteilig ist, dass die Hauptanwendungen im Begegnungs- oder Folgeverkehr beschränkt sind. So können enge Kurvenfahrten sowie querende Verkehrssituati-onen nicht nachgestellt werden.

Weit verbreitet sind auch sogenannte Traver-senanlagen mit Attrappen bei denen die At-trappen mittels Seilzug bzw. dem Verfahren eines Auslegers oder einer Laufkatze realisiert werden. Vorteilhaft bei dieser Methode ist die einfache Nachstellung von querendem Verkehr – insbesondere von Fußgängerunfällen. Wich-tig ist, dass die Attrappenbewegung zeitlich mit der Fahrzeugbewegung synchronisiert wird.

Diese Anlagen können auch um eine zweite Achse erweitert werden. Dadurch werden aber die benötigten Anlagen schnell recht groß und aufwändig.

Der TNO-Prüfstand „VeHIL“ beruht auf einem völlig anderen Prinzip. Das Testfahrzeug wird auf einem Rollenprüfstand in einer Halle fixiert. Die Targetfahrzeuge hingegen werden – basie-rend auf den Rollenprüfstandsdaten – relativ zum stehenden Testfahrzeug entsprechend längs und quer bewegt. Vorteilhaft ist der re-lativ sichere Testbetrieb. Nachteilig ist, dass die Fahrdynamik und die Hintergrundbewegung nicht abgebildet werden können.

Eine sehr interessante Möglichkeit zur Funkti-onsüberprüfung von integralen Sicherheitssy-

stemen sind automatisiert fahrende Fahrzeuge. Prinzipiell wird von jedem Fahrzeug die aktu-elle Position über eine Inertialplattform, welche mit einem Differential-GPS-System gekoppelt ist, bestimmt. Eine Software ermittelt die auf-tretende räumliche wie zeitliche Abweichung zwischen der Soll- und Ist-Trajektorie. Danach werden die errechneten Korrekturmaßnahmen über Pedal- und Lenkroboter auf das Fahrzeug aufgebracht. Die zeitliche Synchronisation der am Erprobungsszenario beteiligten Fahrzeuge erfolgt über die GPS-Zeit.

Notwendiges Sicherheitskonzept und Szenarienplanung

In dem entwickelten Sicherheitskonzept über-wachen die Fahrzeuge automatisch ihre zeit-

Abbildung 2: Ausleger mit Attrappe Quelle: Daimler AG

Abbildung 3: Fünfstufiges GesamtsicherheitskonzeptQuelle: VSI

FahrzeugsicherheitIntegrale Sicherheit

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abhängige Position sowie ihre technischen Systeme. Ein Zentralrechner überwacht alle Fahrzeugbewegungen und leitet bei automati-siert erkennbaren Fehlsituationen einen Test-abbruch für alle Fahrzeuge ein. In der nächst höheren hierarchischen Ebene wird die Testum-gebung von einer dafür ausgebildeten Person überwacht, die ebenfalls zu jedem Zeitpunkt einen Testabbruch einleiten kann. Bei einem Fehler, der von beiden Überwachungsszena-rien nicht erkannt wird, muss sichergestellt werden, dass die Fahrzeuge die Testumge-bung nicht verlassen können. Zu diesem Zweck müssen physikalische Barrieren an den Gelän-degrenzen entsprechend den zulässigen be-trieblichen Grenzen ausgelegt werden. In der äußersten Ebene des Konzeptes ist als orga-nisatorische Absicherung der Betrieb in einem dafür ausgelegten und zugangsgesicherten Gelände mit den dazugehörigen Betriebsanwei-sungen geregelt.

Definierte Abbruchmaßnahmen

Das vom Institut für Fahrzeugsicherheit der TU Graz entwickelte Trajektorien-Planungstool bie-tet unter anderem die Möglichkeit, die Sicher-heitsabbruchmaßnahmen zu definieren. Die dahinter stehende Grundidee ist, ein Fahrzeug bei einem Testabbruch nicht einfach durch eine Vollbremsung still zu setzen. Stattdessen müs-sen kritische Situationen durch gezielte Maß-nahmen in unkritische Situationen übergeführt werden. Damit kann gezielt eine nicht gewollte Fahrzeugbeschädigung vermieden werden.

In der Praxis funktioniert dies durch genau defi-nierte Auslaufräume für jedes Fahrzeug. In der Abbildung 4 sind die Auslaufräume farblich den Fahrzeugen zugeordnet. Das Fahrzeug ver-sucht nun im Falle eines Testabbruches durch einfache Maßnahmen (Lenken, Beschleunigen, Bremsen) diese Auslaufräume zu erreichen und

Abbildung 4: Beispiel für definierte Abbruchmaßnahmen für ein ÜberholmanöverQuelle: VSI

in weiterer Folge in den Auslaufräumen bis zum Stillstand zu bremsen.

Durch diese Maßnahmen kann der Relativab-stand der Fahrzeuge im Testabbruchsfall ver-größert werden. Diese Maßnahmen können in der Planungssoftware nicht nur definiert wer-den, sondern es ist auch eine automatisierte Effektivitätsüberprüfung mittels eines 3D-Simulationsprogramm möglich. Auch können unter anderem der minimale Platzbedarf des nachzustellenden Szenarios sowie „sichere“ Zonen – beispielsweise für Mess-Equipment – bestimmt werden.

Ausblick

Die bestehenden Testmethoden für die inte-grale Fahrzeugsicherheit bieten eine Vielzahl von Möglichkeiten für die Effektivitätsanalyse von integralen Sicherheitsstrategien. Es ist aber sinnvoll, diese Testmethoden weiterzu-entwickeln. So werden beispielsweise derzeit spezielle Konzepte von automatisiert fahren-den crashbaren Hindernissen (Fahrzeuge, Fuß-gänger,…) entwickelt. All diese Entwicklungen in den neuen Testmethoden verfolgen das Ziel für die Entwicklung von integralen Sicherheits-strategien sehr komplexe Situationen realitäts-näher und reproduzierbarer nachzustellen. ■

Abbildung 5: Darstellung des minimalen Raumbedarfs und sicheren Bereichen für ein KreuzungsszenarioQuelle: Daimler AG

Fahrzeugsicherheit Integrale Sicherheit

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Neuartige vollvariable Komponenten für Entwicklungsversuche

Trotz der laufend besser werdenden Qualität der numerischen Berechnungsverfahren in der Fahrzeugsicherheit ist eine Sicherheitsentwick-lung ohne versuchstechnische Validierung der-zeit noch nicht denkbar. Aufgrund des Drucks die Entwicklung schneller, sicherer und preis-günstiger durchzuführen, gilt es auch neue Va-lidierungsverfahren für Entwicklungsversuche und für den Nachweis der Konzepttauglichkeit zu entwickeln.

Diese sollten neben der gewünschten Variabi-lität möglichst allgemein aufgebaut sein, aber trotzdem eine rasche Adaption an das jeweilige Fahrzeug erlauben. Somit ist man in der Lage, mittels einer Prüfstandskomponente eine Ent-wicklungsversuchsumgebung für eine Vielzahl von Fahrzeugtypen zur Verfügung zu stellen.

Diese Herausforderung wird derzeit vielfach durch Prinzipversuche mit einer adaptiven Karosserie gelöst. Diese adaptive Karosserie erlaubt es, schnell die geometrischen Verhält-nisse eines neuen Fahrzeugkonzepts umzu-setzen und so zu erkennen, bei welchen Ver-suchsszenarien später Probleme zu erwarten sind. Zusätzlich zur variablen Karosserie ist es

auch ideal, alle am Insassenschutz beteiligten Komponenten voll variabel abzubilden. Dazu gehört beispielsweise das Gurtsystem, aber auch die laufende Lenkung.

Beschreibung der Prüfstandskonzepte

Bei dem entwickelten Prüfstandskonzept der Lenksäulen war die Anforderung beliebige Kraft-Weg-Charakteristiken nachzustellen. Da-durch können neben der Abbildung von schon entwickelten Serienkomponenten auch Zuliefe-rervorgaben für zukünftige Produktkomponen-ten ermittelt werden.

Ein entsprechendes Prüfaufbauprinzip wurde am VIRTUAL VEHICLE Kompetenzzentrum entwickelt und erfolgreich in einer Entwick-lungsumgebung getestet.

Bei dem Prüfstand wurde eine speziell adap-tierte Lenksäule konstruiert, deren Einschie-beverhalten über eine elektronisch geregelte Bremse in Echtzeit geregelt werden kann. So kann entweder eine Kraft-Weg-Regelung oder eine Weg-Zeit-Regelung dargestellt werden. Dadurch können mithilfe dieses Funktionsprin-zips beliebige Vorgabefunktionen in der gefor-derten Genauigkeit abgebildet werden.

Neben der vollvariablen Lenksäule wurde auch ein voll variables Gurtsystem für Entwicklungs-versuche am Institut für Fahrzeugsicherheit in Zusammenarbeit der Firma DSD entwickelt. Dieses System ermöglicht es beliebige Rück-haltecharakteristiken sowohl für den Straffvor-gang, als auch für die Kraftbegrenzung sehr einfach in Entwicklungsversuchen in einer Schlittenkarosserie darzustellen.

Zusammenfassung

Mit diesen Methoden ist es einfach möglich für beliebige geometrische Verhältnisse bereits in der Konzeptphase durch einfache Versuche ne-ben dem eigentlichen Funktionsnachweis auch Daten für die Validierung von numerischen Be-rechnungsmodellen zur Verfügung zu stellen. Durch dieses Konzept sollte eine raschere Ent-wicklung garantiert werden, wobei eine deutlich erhöhte Sicherheit für die Funktionalität des Konzeptes gegeben ist. Dadurch sollten mög-liche Konzeptschwierigkeiten bereits in einem frühen Stadium erkannt und die Einleitung von Gegenmaßnahmen erleichtert werden, um die gewünschten Projektziele zu erreichen. ■

In den heute üblichen Fahrzeugentwicklungsprozessen sind ein Nachweis der Konzepttauglichkeit sowie diverse prinzipielle Entwicklungsversuche schon in einer sehr frühen Projektphase notwendig. Da in dieser Phase meist noch keine Hardwareteile zur Verfügung stehen, ist es sinnvoll Teilkomponenten mittels vollvariabler Prüfstandskomponenten darzustellen. Aus diesem Grund wurden zwei neuartige vollvariable Teilkomponenten für den Einsatz in Schlittenkarosserien entwickelt. Diese werden hier vorgestellt.Prof. Norbert Schaub (Daimler AG), Prof. Hermann Steffan (TU Graz)

Abbildung 1: Adaptive Karosserie mit einer eingebauten variablen LenksäuleQuelle: Daimler

Abbildung 2: Variable Lenk-säule - Prüfstandsaufbau für InbetriebnahmeversucheQuelle: Daimler

FahrzeugsicherheitIntegrale Sicherheit

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28 magazine 4-2010

In den letzten Jahrzehnten haben sich viele spe-zifische Simulationswerkzeuge auf dem Markt etabliert. Allerdings sind diese Werkzeuge oft nur begrenzt auf einzelne physikalische Fach-gebiete spezialisiert. Eine heterogene Simu-lationsumgebung wird nur in geringem Maße unterstützt.

Gängige Co-Simulationsplattformen be-schränken sich auf ein Fachgebiet wie etwa die Auslegung des Thermomanagement-Systems mit einer heterogenen Tool-Landschaft. Damit können Subsysteme, die mit verschiedenen Software-Werkzeugen modelliert werden, ge-meinsam zeitsynchron simuliert werden, al-lerdings mit der Einschränkung auf eine bzw. maximal zwei Domänen.

Typischerweise behandeln solche Plattformen Problemstellungen mit einem eingeschränkten Dynamikbereich. Die verschiedenen Modelle besitzen ein ähnliches zeitliches und meist nie-derfrequentes Verhalten.

In der heutigen Entwicklung von neuen, me-chatronischen Systemen ist jedoch eine über-

greifende Betrachtung unumgänglich, die viele Teilsysteme zusammenführt und deren Wech-selwirkungen mit berücksichtigt. Die Kopplung unterschiedlicher spezifischer und bereits eta-blierter Simulationsprogramme (bzw. die darin implementierten Modelle) aus verschiedenen Fachbereichen stellt einen vielversprechenden Weg dar, das resultierende Gesamtsystem zu simulieren.

ICOS ermöglicht Co-Simulation verschiedenster Domänen

Diese Interaktionen adäquat zu berücksichti-gen, ist die Aufgabe von ICOS. Die Plattform

ermöglicht ein exaktes Zusammenspiel der diversen Einzelmodelle bis hin zu Hardware-in-the-Loop-Komponenten über eine flexible Co-Simulationsumgebung (vgl. Abbildung 1). Erst das komplexe aber kontrollierte Zusam-menspiel vieler Modelle (und damit simulierter Komponenten) ermöglicht die Auslegung oder virtuelle Validierung des gesamten Konzeptes bzw. Systems bestehend aus Fahrzeug, Fahrer und Umwelt.

Sollen nun Modelle mit stark unterschiedlichen Zeitkonstanten gekoppelt werden, müssen ex-trem kleine Zeitschritte für den Datenaustausch vorgegeben werden. Andernfalls entsteht ein

Die am VIRTUAL VEHICLE entwickelte Co-Simulationsplattform “Independent CO-Simulation” (ICOS) schafft durch neuartige Kopplungs-Algorithmen bessere Ergebnisse hinsichtlich Genauigkeit, Konvergenzverhalten und Rechenzeit - ein ideales Werkzeug zu domänenübergreifender Modellierung, Simulation und Optimierung von Innovationen im Fahrzeug.DI Peter Wimmer, Dr. Hannes Stippel

Vernetzte Entwicklung durch Co-Simulation

Abbildung 1: Beispiele für Domänen und Modelle, die über moderne Co-Simulations-

plattformen verbunden werden können. Quelle: ViF

Abbildung 2: Entwicklungsprozess und Datenverfügbar-keit: Die domänenübergreifende Betrachtung ermöglicht

Einflüsse von Modellgüte, Modelltiefe und Nichtlineari-täten auf das Gesamtergebnis (z.B. Kraftstoffverbrauch) transparent zu verschiedenen Zeitpunkten zu ermitteln.

Quelle: ViF

Fahrzeugsicherheit Integrale Sicherheit

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29magazine 4-2010

zusätzlicher Fehler, der im Extremfall dazu füh-ren kann, dass die Co-Simulation divergiert und damit – eventuell unbemerkt – falsche Ergeb-nisse liefert.

ICOS verhindert dies. Die Plattform setzt neu-artige Kopplungsalgorithmen (Waveform Rela-xation, Multi-Rate Ansatz, Adaptive Schrittwei-tensteuerung) ein, mit denen unterschiedliche Zeitkonstanten in einem System behandelt wer-den können. Im Gegensatz zum traditionellen Ansatz erreicht ICOS ein sehr gutes Verhältnis zwischen Genauigkeit, Konvergenzverhalten und Rechenzeit.

ICOS bietet daher die Basis, mechatronische Aufgabenstellungen effizient zu lösen – etwa für integrale Sicherheit mit Einbindung von FE-Codes, alternative Antriebe und elektrifizierte Systeme sowie auch Schwingungskompensati-onen im Antriebsstrang. Darüber hinaus steht nicht nur das Fahrzeug alleine im Mittelpunkt der Betrachtungen. Vielmehr können Wechsel-wirkungen mit der Fahrzeugumgebung sowie der Einfluss des realen Fahrers mit integriert werden.

ICOS unterstützt auch den virtuellen Entwick-lungsprozess durchgängig. Dies ermöglicht die frühzeitige Analyse von Interaktionen der Sub-Systeme, was eine vorzeitige Systemverifikati-

on erlaubt. Abhängig von verfügbaren Daten kann die Gesamtfahrzeugsimulation mit der Co-Simulationsplattform modular aufgesetzt werden (Abbildung 2). Die domänenübergrei-fende Betrachtung ermöglicht Einflüsse von Modellgüte, Modelltiefe und Nichtlinearitäten auf das Gesamtergebnis (z.B. Kraftstoffver-brauch) entlang des Entwicklungsprozesses zu bestimmen.

ICOS in der integralen Sicherheit

Gerade in der integralen Sicherheit, wo sehr viele verschiedene Systeme zusammenspie-len müssen, eröffnet sich ein weites Spielfeld für die Co-Simulation. Zur Darstellung des Ge-samtsystems vom normalen Fahrzustand bis zum Crashende werden folgende Teilmodelle benötigt (Abbildung 3):

• Umweltmodelle, die allen anderen betei-ligten Teilmodellen die relevanten Um-weltinformationen zur Verfügung stellen (Fahrbahnverlauf, Fahrbahnzustand, Po-sitionen anderer Verkehrsteilnehmer etc.)

• Fahrdynamikmodelle zur Abbildung des Fahrzeugverhaltens im normalen Fahrzu-stand

• Sensormodelle zur Umfelderfassung • Fahrerassistenzsystemmodelle, die die

Umfeldinformationen der Sensormodelle

verarbeiten und auf Fahrer und Fahrzeug einwirken

• Crashmodelle für die Simulation der im Crash auftretenden Strukturverformungen und Beschleunigungen

• Safetycontroller-Modelle zur Ansteuerung der passiven Sicherheitsfunktionen des si-mulierten Fahrzeugs (Airbag, Gurtstraffer etc.)

• Insassenmodelle für die Ermittlung der auftretenden Insassenbelastungen

Im Zusammenspiel dieser Teilmodelle stellen sich zwei Herausforderungen:

• Die Kopplung mehrerer parallel arbeiten-der Modelle, z.B. Fahrzeug- Sensor- und Fahrerassistenzsystemmodelle

• Die Umschaltung von Modellen unter-schiedlicher Modellierungstiefe für die verschiedenen Simulationsphasen, z.B. die Abbildung des Fahrzeugs zuerst durch ein Fahrdynamik- und anschließend durch ein Crashmodell.

Über ICOS bietet sich die Möglichkeit, diese Teilmodelle für die verschiedenen Simulations-phasen zu einem System zusammenzuführen und damit eine gesamtheitliche Betrachtung des Themas integrale Sicherheit zu erreichen. ■

Abbildung 3: Systematik zur Modellbildung und Co-Simulation in der integralen SicherheitQuelle: ViF

FahrzeugsicherheitIntegrale Sicherheit

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Näher am Menschen

Die Implementierung von Fahrerassistenz-systemen zur Unterstützung in kritischen Si-tuationen ist in der Automobilindustrie längst zum Standard geworden. Der Insasse des Fahrzeugs wird während des Eingriffs des As-sistenzsystems Beschleunigungen ausgesetzt, worauf er naturgemäß reagiert. Dies hat eine Änderung seiner Bewegung und der Endpo-sition zur Folge. Sollte der Unfall nicht mehr vermieden werden können, sind genau diese kinematischen Größen entscheidend für einen effizienten Einsatz der passiven Sicherheitssy-steme (Airbag, Gurtstraffer usw.).

Anforderungen an die Simulation

Das ist eine große Aufgabe für die Simulation derartiger Ereignisse, denn einerseits muss der Mensch in Bezug auf Geometrie und Materialen ausreichend genau abgebildet werden können. Das erfordert den Einsatz numerischer Men-schmodelle, denn numerische Dummymodelle können aufgrund der in den Dummies getrof-fenen Vereinfachungen diese Anforderung nicht erfüllen. Andererseits muss im numerischen Menschmodell das kinematische Verhalten des Fahrzeuginsassen während der Pre-Crash-

Phase beschrieben werden. Möglich ist das durch den Einsatz geregelter, muskelähnlicher Elemente. Diese sind in der Lage, die mensch-lichen kinematischen Größen zu beeinflussen.

Die Vorteile von numerischen Menschmodellen im Detail:

• Verbesserte Biofidelität (Maßstab, wie gut ein Dummymodell die menschähnlichen Belastungsabläufe wiedergibt)

• Untersuchungsmöglichkeiten für Verlet-zungsvorgänge beim Insassen

• Schnellere Implementierbarkeit bio-mechanischer Forschungsergebnisse in das Modell

• Der Einfluss der Maße des menschli-chen Körpers kann ebenfalls untersucht werden (Anthropometrie)

Menschmodell am Virtual Vehicle

Das seit März 2009 am VIRTUAL VEHICLE in der AREA D laufende Projekt OM4IS (Occupant Model for Integrated Safety), setzt genau hier an. Das Projekt hat folgende Projektziele:

• Neu- und Weiterentwicklung von Model-len und Methoden zur Abbildung von re-aktivem Verhalten in numerischen Men-schmodellen

• Identifikation von reaktiven Bewegungs-mustern in der Vorkollisionsphase bzw. bei niedriger äußerer Belastung in defi-nierten Lastfällen mit Hilfe bestehender und neuer experimenteller Methoden

• Integration in ein numerisches Mensch-modell

Die Insassensicherheit wird neben Komfort, Design und Leistungsdaten immer mehr zu einem entscheiden Verkaufsargument der Automobilhersteller. In der Untersuchung der Vorkollisionsphase sind numerische Menschmodelle den Dummymodellen eindeutig überlegen. Sie sollen helfen, die Verletzungsmechanismen am Menschen besser vorherzusagen.DI(FH) Adrian Prüggler

Vision hinter dem Projekt OM4ISQuelle: ViF

Bewegungsstudie im ViF-Projekt OM4ISQuelle: ViF, TU Graz / VSI

Fahrzeugsicherheit Integrale Sicherheit

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31magazine 4-2010

Der zeitliche Fokus liegt dabei auf der Pre-Crashphase (rund 1 Sekunde vor dem Crash), die Projektlaufzeit beträgt 36 Monate.

Das Verhaltensmuster wird mit Hilfe von Schlit-ten- und Gesamtfahrzeugversuchen identifi-ziert. Die Implementierung der Bewegungs- und Verhaltensmuster in ein numerisches Menschmodell erfolgt im ersten Schritt mit Hilfe der expliziten Finite-Elemente-Methode (FEM) und MATLAB/SIMULINK.

LängspulsQuelle: ViF

QuerpulsQuelle: ViF

Overlay-Auslenkung des FE Models durch einen Beschleunigungspuls (blau) und Rückführung des Modells durch den Regler Quelle: ViF

Der Nutzen und die Aktualität des Themas wird außerdem unterstrichen durch die große An-zahl an teilnehmenden Partnern in der Industrie (TRW, Bosch, Dynamore, Partnership for Dum-my Technology and Biomechanics, Toyoda Go-sei Europe) und Wissenschaft (TU Graz, FTG, VSI). ■

FahrzeugsicherheitIntegrale Sicherheit

In der Area D - Mechanics werden zwei grundlegende Themengebiete betrach-tet: die nichtlineare Strukturmechanik und die Fahrzeugdynamik. Im Cluster nichtlineare Strukturmechanik werden vorwiegend Fragestellungen zur Fahr-zeugsicherheit und zu Material- und Umformtechnologien betrachtet. Dabei werden sowohl numerische als auch ex-perimentelle Methoden eingesetzt, um neue Entwicklungsstrategien und -ansät-ze zu erarbeiten.

Bei den Forschungsaktivitäten auf dem Gebiet der Materialmodellierung liegt der Fokus auf der Abbildung der nicht-linearen Materialeigenschaften für die unterschiedlichen Simulationsdisziplinen wie Crash und Blechumformung. Dazu zählen beispielsweise die Abbildung des Herstellprozesses von Bauteilen und die Auswirkungen verschiedenartigster Belastungen auf das Material bzw. das Bauteil. Die anwendungsgerechte Materi-alcharakterisierung für hochdynamische Prozesse stellt einen weiteren Fokus die-ser Forschungsgruppe dar.

Mechanics

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Nr. 8, IV-2010magazine

Schwerpunkt-Thema:

Fahrzeugsicherheit am Standort GrazVon der Grundlagenforschung über die Simulation bis zur Vorentwicklung

Graz hat‘s: Know-How und ToolsStrukturentwicklungTesting und ValidierungIntegrale Sicherheit

Nr. 8, IV-2010magazine

Schwerpunkt-Thema:

Fahrzeugsicherheit am Standort GrazVon der Grundlagenforschung über die Simulation bis zur Vorentwicklung

Graz hat‘s: Know-How und ToolsStrukturentwicklungTesting und ValidierungIntegrale Sicherheit

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