Mammut-Projekt für Hersteller und Händler · und valider artikeldaten, die Etablierung eines...

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40 SUPPLY CHAIN EHI-WORKSHOP PRODUKTINFORMATIONSMANAGEMENT rt 04/17 Vollständig, valide und in digitaler Form – so sollten Produktdaten bereitstehen. So kann der Handel seine Kunden schnell und umfassend informieren, die logistischen Prozesse optimieren und den bürokratischen Aufwand in Grenzen halten. Produkt- informationsmanagement (PIM) – ein Mammut-Projekt für Hersteller und Händler. Klaus Manz Der US-Marktforscher Gartner hat die produktbezogenen Prozesse in international agierenden Großunternehmen aus Industrie und Handel analysiert. Das Ergebnis: Schlechte Qualität der Artikelstammdaten kostet im Schnitt 8,2 Mio. US- Dollar pro Jahr und pro Unternehmen. Auf diese Summe addieren sich Zeitverluste und Mehrarbeit im Vertrieb und bei der Listung von Produkten, bürokratische Mehraufwände und manuelles Datenhandling, insbesondere aber fehlerhaf- te und ineffiziente Logistikprozesse. Hinzu kommen Kosten, die durch falsche oder unvoll- ständige Verbraucherinformationen auf den Produkten bzw. in Gebrauchs- und Bedienungsanleitungen entstehen kön- nen. Denn in solchen Fällen müssen Nachfragen bearbei- tet, Reklamationen abgewickelt, Auseinandersetzungen oder Bild: iStockphoto/alengo Mammut-Projekt für Hersteller und Händler

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Vollständig, valide und in digitaler Form – so sollten Produktdaten bereitstehen. So kann der Handel seine Kunden schnell und umfassend informieren, die logistischen Prozesse optimieren und den bürokratischen Aufwand in Grenzen halten. Produkt­informationsmanagement (PIM) – ein Mammut­Projekt für Hersteller und Händler.

Klaus Manz

der us-marktforscher gartner hat die produktbezogenen prozesse in international agierenden großunternehmen aus Industrie und Handel analysiert. das Ergebnis: schlechte Qualität der artikelstammdaten kostet im schnitt 8,2 mio. us- dollar pro Jahr und pro unternehmen. auf diese summe addieren sich Zeitverluste und mehrarbeit im Vertrieb und bei der Listung von produkten, bürokratische mehraufwände

und manuelles datenhandling, insbesondere aber fehlerhaf-te und ineffiziente Logistikprozesse.

Hinzu kommen kosten, die durch falsche oder unvoll-ständige Verbraucherinformationen auf den produkten bzw. in gebrauchs- und Bedienungsanleitungen entstehen kön-nen. denn in solchen fällen müssen nachfragen bearbei-tet, reklamationen abgewickelt, auseinandersetzungen oder

Bild: istockphoto/alengo

Mammut-Projekt für Hersteller und Händler

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sogar gerichtsprozesse mit kunden und Verbraucherver-bänden geführt werden.

sind falsche produktinformationen darüber hinaus mit gesundheits- oder sicherheitsrisiken für den konsumen-ten verbunden, kann es zusätzlich teuer werden. „Ein pro-duktrückruf kostet im schnitt rund sechs millionen Euro“, hat stefan steinhardt ausgerechnet. Er ist managing director der sgs-gruppe deutschland, ein führendes unternehmen in den Bereichen prüfen, testen, Verifizieren und Zertifizie-ren. Langfristig kann sich der damit verbundene reputati-onsverlust auswirken. Verbraucher können ihr Vertrauen in artikel, Hersteller und Händler verlieren.

Daten unvollständig oder fehlerhaft

„knapp die Hälfte aller artikelstammdaten sind bis heute unvollständig und/oder fehlerhaft“, so die rechnung von Christian przybilla, Leiter gdsn/EdI bei gs1 germany. die häufigsten fehler auf artikelebene und bei kundenbezoge-nen Informationen: Es fehlen rechtlich vorgeschriebene Be-zeichnungen (43,2 %), kontaktdaten des Inverkehrbringers (42,3 %), der aufbewahrungshinweis für Verbraucher (11,3 %) oder die kennzeichnung der genusstauglichkeit (8,6 %).

gs1 germany ist sozusagen der fixstern, um den sich hierzulande beim thema digitale produktinformation alles dreht. das von Handel und Industrie getragene not-for-pro-fit-unternehmen entwickelt standards für die digitale Iden-tifikation von produkten und logistischen Einheiten (gtIn, global trade Item number) und für den digitalen datenaus-tausch (gdsn, global data synchronisation network). auf Basis dieser standards werden unter der regie von gs1 germany in zahlreichen arbeitskreisen mit Branchenver-tretern sowie produkt- und It-Experten die Empfehlungen für produktbeschreibungen und produktspezifikationen er-arbeitet und festgelegt.

„Im fokus stehen dabei der food- und der Healthcare-sektor, dies in erster Linie aufgrund der zahlreichen und spezifizierten gesetzlichen Vorschriften zur kennzeichnung von Lebensmitteln und von medizinprodukten“, so Chris-tian przybilla. Inzwischen wurden bei gs1 germany auch arbeitskreise etabliert, um entsprechende standards für die artikel der Bau- und Heimwerkerbranche zu erarbeiten.

In naher umlaufbahn um den „fixstern“ kreist das toch-terunternehmen 1Worldsync, das als gewinnorientiertes un-ternehmen einen pool für global standardisierte produktdaten

aufgebaut hat. Weltweit gibt es rd. 40 solcher datenpools, die von gs1 lizenziert wurden und die nach den vorgegebe-nen standards arbeiten. Hinter diesen pools stehen gs1-Ländergesellschaften, aber auch privatwirtschaftliche dienst-leister. 1Worldsync ist der größte dieser datensammler. „aktuell sind rund 23.000 führende Herstellermarken ver-treten, zu den Handelskunden gehören unter anderem Wal-mart, Edeka und die rewe group“, berichtet klaus schmid, Executive Vice president von 1Worldsync.

Verbundgruppen mit eigenen Datenspeicher

gegen gebühren können sich die Handelsfilialisten aus den datenspeichern bedienen. Einige Händler bzw. Verbundgrup-pen etablieren darüber hinaus individuelle Lösungen. Zum

Christian PrzybillaLeiter gdsn/EdI

gs1 germany

„Knapp die Hälfte aller Artikelstammdaten sind bis heute unvollständig und/oder fehlerhaft.”

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Beispiel baut das EdE, Einkaufsbüro deutscher Eisenwaren-händler in Wuppertal, ein hausinternes elektronisches daten-Center (edC) auf. „die daten der Hersteller, die elektronisch zur Verfügung gestellt werden, haben sehr unterschiedliche umfänge und Qualitäten“, erklärt daniel spitzer, der als ge-samtprojektleiter den aufbau des edC verantwortet. damit stehen fachhändler, die diese daten in ihren technischen systemen verwenden möchten, vor großen Herausforderun-gen: daten müssen dezentral angefordert, gesichtet, überar-beitet und normiert werden, bevor sie erstmalig verwendet werden können. „Ein hoher Zeit- und kostenfaktor, den wir durch unseren datenservice minimieren wollen“, so spitzer.

auch markant betreibt mit dem Zas, dem Zentralen ar-tikelstamm, einen eigenen, von gs1 lizenzierten datenpool. Er steht den markant-Handelspartnern direkt und exklusiv zur Verfügung. sie können dort auf geprüfte artikeldaten für B2B- und B2C-anwendungen zugreifen. „für unsere In-dustrie- und Handelspartner entfällt somit der gesamte pro-zess der stammdaten- und medienverwaltung bei gleichblei-bender Vollständigkeit, aktualität und Qualität der daten“, so stefan dunkel, geschäftsbereichsleiter produktinforma-tionsmanagement bei der markant.

aktuell verfügt der Zas der markant über rd. 2,9 mio. datensätze von rd. 7.500 Lieferanten aus 12 Ländern. Eine stolze Zahl, doch: ausreichend gefüllt ist der Zas wie auch die anderen datenpools bislang nicht. „Wir haben noch potenzial – in relation zur gesamtzahl der markant-Indus-triepartner als auch bezüglich Vollständigkeit, Validität und aktualität der übermittelten artikelstammdaten“, berichtet dunkel. das gilt in erster Linie für B2C-daten und für den „rich Content", also beispielsweise für marketingrelevante Inhalte wie produktbilder und produktvideos.

Enorme Herausforderungen

der zweite „trabant“ des fixsterns gs1 germany ist die tochtergesellschaft smart data one. als servicedienstleis-ter hilft smart data one den unternehmen aus Industrie und Handel dabei, erforderliche produktdaten zu generieren – von der Erfassung, Vervollständigung und prüfung der da-ten bis zur Erstellung von produktbildern. unternehmen kön-nen ihr produktdatenmanagement auch komplett an smart data one outsourcen.

In diesem Bereich bewegen sich weitere dienstleister, etwa die Hamburger pIm Consult oder die kölner Bayard Con-

sulting group. „die elektronische Bereitstellung vollständiger und valider artikeldaten, die Etablierung eines pIm-systems stellt Hersteller wie Händler oft vor enorme Herausforde-rungen“, sagt geschäftsführer Björn Bayard. typischerwei-se liegen daten-fragmente irgendwo in den abteilungen, in verschiedenen It-systemen. sie müssen zusammengeführt, ergänzt, qualifiziert und in für den digitalen datenaustausch verwertbare form gebracht werden.

Schritt für Schritt

solche projekte geht Bayard zusammen mit seinen Bera-tungskunden systematisch an. die Zielsetzung wird formuliert (wofür werden welche daten benötigt?), die Einzelschritte zur Zielerreichung festgelegt, die personellen Verantwort-lichkeiten geklärt, bestehende prozesse analysiert und ggf. optimiert. und die It als Herzstück des pIm wird unter die Lupe genommen. Wie findet man die für die individuellen Erfordernisse geeignete pIm-software? Wie lässt sich das system mit überschaubarem aufwand in bestehende struk-turen und prozesse, etwa in eine sap-anwendung integ-rieren? Wie lässt sich die datenhoheit zwischen den sys-temen exakt abgrenzen?

Vor allem aber: „pIm-projekte benötigen professionelles Change management“, sagt Björn Bayard. denn sie haben Berührungspunkte mit den meisten Bereichen des unter-nehmens, nicht mit nur der It, auch mit Einkauf, marketing, Vertrieb und produktmanagement. „Jeder Bereich ist in un-terschiedlicher Weise und Intensität von der Einführung ei-nes pIm-systems und der nachfolgenden nutzung betrof-fen“, so Bayard.

klar wird damit, dass perfektes produktdaten-manage-ment mit erheblichem personellem und finanziellem auf-wand verbunden ist. so erklärt sich, warum sich einige Her-steller noch zurückhalten und warum die stammdaten-pools noch nicht ausreichend gefüllt sind. Wobei dies nicht zwin-gend eine frage der unternehmensgröße ist. „per se sind kleinere Hersteller unserer Erfahrung nach nicht schlech-ter in der elektronischen artikeldatenbereitstellung als die großen“, beobachtet stefan dunkel von markant. Vielmehr hängt es aus seiner sicht davon ab, wie das thema im Haus erkannt und platziert ist. „In diesem punkt sind die glo-bal players vielleicht eine nasenlänge voraus“, so dunkel.

[email protected]

Daniel Spitzergesamtprojektleiter edC

Einkaufsbüro deutscher Eisenwarenhändler

„Die Daten der Hersteller haben sehr unter-schiedliche Umfänge und Qualitäten.”

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Hersteller und Händler profitieren

Welchen Stellenwert hat elektronisches Artikeldaten-Hand-ling in den Handelsbranchen?Einen sehr hohen stellenwert bei Lebensmitteln, kosmetik und medizinischen produkten. In diesen Warengruppen befinden wir uns in einem dynamischen prozess, in einem deutlich fortgeschrit-tenen Entwicklungsstadium. das hat natürlich auch mit den um-fassenden und spezifizierten gesetzlichen Vorschriften für diese artikel zu tun. sie zwingen die marktteilnehmer dazu, ihre pro-dukte ausführlich zu definieren und zu beschreiben. Entsprechen-de datenmengen fallen an, entsprechend hoch ist der druck zur rationalisierung durch digitalisierung. doch auch in anderen Branchen, etwa im Bereich Bauen und Heimwerken, verändert sich die Einstellung zum thema. treiber hierbei ist in erster Linie der Internet-Handel. onlineshops brauchen nicht nur vollständi-ge stammdaten und ausführliche produktbeschreibungen, son-dern auch „rich Content“ bis hin zu professionellen produktvi-deos mit 3d-darstellung.

Die Industrie beklagt hohe Aufwände. Hersteller investieren, Händler profitieren: Stimmt diese Formel? nein. der Hersteller braucht eine strategie, muss in die nötige manpower und in die erforderlichen It-systeme investieren, um die artikelwirtschaft zu digitalisieren. gleiches gilt für den Händ-ler. auch er muss sich eine Infrastruktur schaffen, die digitale ar-tikeldaten annehmen und intern verarbeiten kann. Beide seiten müssen investieren, beide seiten profitieren.

Der Druck aber kommt vom Handel.auch manche großen Händler akzeptieren bis heute einfache Ex-cel-dateien per E-mail oder artikelpässe per fax. das wird sich auch nicht ändern, soweit es beispielsweise um regionale Liefe-ranten geht, die rewe- oder Edeka-supermärkte mit heimischen frischeprodukten beliefern. Im massengeschäft aber werden voll-

ständige artikeldaten, digital in das Lieferantenportal des Händ-lers eingespeist oder über einen datenpool zur Verfügung ge-stellt, künftig zum k.-o.-kriterium für eine Listung.

Welche Vorteile bringt die digitale Artikelwirtschaft dem Her-steller?studien haben gezeigt, dass strukturiertes artikel-stammdaten-management und die standardisierte elektronische Bereitstellung von artikel-stammdaten unter dem strich auch für den Lieferan-ten prozesskosteneinsparungen bringen. Zum Beispiel, weil kei-ne fehlerhaften Bestellungen mehr durch den Handel eingehen, weil keine rechnungsabweichungen mehr vorkommen, weil feh-lerhafte logistische prozesse minimiert werden.

Bis heute kommen rund die Hälfte der Artikeldaten unvoll-ständig und/oder fehlerhaft beim Handel an. digitales produktinformationsmanagement ist eine noch recht junge disziplin. manche unternehmen brauchen mehr, manche weniger Zeit, um sie zu etablieren. und sicherlich gibt es auch noch Betriebe, in denen der stellenwert und die relevanz dieses themas noch nicht richtig eingeordnet werden.

Wie lässt sich das ändern, wie lassen sich Fehler minimieren?dazu startete gs1 germany im vergangenen Jahr eine datenqua-litätsoffensive. Beteiligt sind unter anderem amazon, Beiersdorf, dm, dr. oetker, Edeka, Henkel, markant, mars, metro, mondelez, nestlé, rewe und unilever. Ein wesentliches Element der offen-sive sind klare und einheitliche regeln für die prüfung der pro-duktdaten. so wurden Berechnungsmethoden auch auf Basis der künstlichen Intelligenz entwickelt, mit denen sich die Vollständig-keit, konsistenz und richtigkeit von daten feststellen lässt. mög-lich macht dies ein softwaresystem, das die produktdaten auto-matisiert auf Basis der Validierungsregeln prüft.

Fabian Dimski, COO der GS1­Tochter Smart Data One und Leiter des Daten­qualitätsprogramms der GS1 Germany, über Status und Perspektiven des elek­tronischen Austauschs von Artikeldaten.

das Interview führte klaus manz

IntErVIEW

Fabian DimskiCoo, smart data one und

Leiter daten qualitätsprogramm, gs1 germany

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mehr als 90 prozent der digital affinen kunden geben an, dass produktinformationen im Internet von hoher relevanz für ihre kaufentscheidung sind -- so eine Verbraucherstu-die der kpmg. also übt vor allem der onlinehandel druck auf die Hersteller aus. Er erwartet die Bereitstellung digita-ler stammdaten und ausführlicher, verständlicher und sach-licher produktinformationen. darüber hinaus reklamiert er

digitale Vermarktungsunterstützung – zum Beispiel in form guter produktbilder und den produktnutzen demonstrieren-der Videoclips.

aus verschiedenen gründen tun sich Hersteller teilwei-se schwer damit. manche wollen – zum Beispiel mit Blick auf ihre mitbewerber – zu viel transparenz vermeiden, zum Beispiel was ihre produktionsprozesse oder die Bezugsquel-

Wie lassen sich Artikeldaten komplettieren und qualifizieren? Wie wird Artikelwirt­schaft intern etabliert und organisiert? Wie relevant sind detaillierte Produktinforma­tionen für die Kunden? Diese Fragen standen im Fokus eines Workshops, den das EHI zu diesem Thema veranstaltete.

Gute Daten, zufriedene Kunden

Klaus Manz

Produktinformationsmanagement

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die Workshop-referenten (v.l.): Jeremy parsons (softserve Ltd.), manfred Jürgens (migros genossenschaftsbund),klaus schmid (1Worldsync), michael friebel (systrion), dr. stefan Hesse (alkemics), peter makovitzky (Censhare), torben rueß (otto office), kersten Wirth (pIm-Consult), Jörn Bayard (Bayard Consulting group)

len von rohstoffen angeht. aber es kann auch interne grün-de geben. dabei spielen die über viele Jahre gewachsenen und entsprechend fragmentierten It-strukturen eine große rolle. Von der produktentwicklung über die Beschaffung, die produktion, das marketing bis hin zum Vertrieb entste-hen daten an verschiedenen stellen. diese liegen jedoch oftmals in unterschiedlichen It-systemen mit teils inkompa-tiblen datenmodellen.

der aufbau eines einheitlichen, zentralen stammdaten- bzw. produktinformationsmanagement-systems kann daher schnell kostenintensiv, außerdem „politisch“ konfliktbehaftet sein. Ein solches projekt wird häufig nicht als wertschöp-fend angesehen.

Wie kommt der Handel dennoch an qualifizierte produkt-informationen, und wie stellt er seine eigene organisation, seine eigenen It-strukturen auf die digitale artikelwirtschaft ein? Braucht er vielleicht sogar ein geändertes geschäfts-modell? mit diesen und weiteren fragen beschäftigte sich ein Workshop, den das EHI anfang oktober in köln veran-staltete mit verschiedenen fachvorträgen und mit rd. 100 teilnehmern aus Industrie und Handel.

Das Öl der digitalen ÄraQualifizierte Produktprofile werden zum unverzichtbaren „Schmierstoff“ der Verkaufsförderung. Denn sie bilden die Grundlage für viele digitale Kundenservices.

der autokäufer hatte früher drei touchpoints zum produkt: familie und freunde, den kfz-Händler, die testfahrt. Heute kann er auf mehr als 20 touchpoints zugreifen, die meisten davon online – vom Internet-showroom über spezialforen in den sozialen medien bis hin zu den konfigurationstools der Hersteller. Wer früher artikel nach Hause bestellte, be-diente sich eines print-katalogs. den hat er vielleicht auch morgen noch – dann allerdings mit integrierten augmented-reality-Buttons, über die er visuell und akustisch Informatio-nen über ein abgebildetes produkt abrufen kann.

Welche Lehren vermitteln diese Beispiele? Erstens: „der Hersteller kann sich bei seinen produktinformationen heu-te weder unvollständigkeiten noch fehler, weder Halbwahr-heiten noch tricksereien leisten – denn diese werden durch die schwarm-Intelligenz der Communitys früher oder später

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aufgedeckt und breit kommuniziert“, erklärt klaus schmid, managing director Europe bei der gs1-tochter 1Worldsync. für einen produzenten von Babynahrung zum Beispiel ist es kritisch, wenn er auf der Verpackung andere angaben über Inhaltsstoffe ausweist als in der produktbeschreibung auf seiner Website.

und zweitens: die Zeiten, in denen ein suppenwürfel mit ein paar stammdaten und einigen beschreibenden stich-worten auskam, die auch noch über Jahre hinweg unver-ändert bleiben konnten, sind vorbei. „digitale stammdaten und produktprofile, ständig gepflegt und immer aktuell ge-halten, sind die pflicht. die visuelle, akustische, interaktive unterstützung des abverkaufs sowohl über Webshops wie über digitale anwendungen in stationären geschäften ist heute die kür und morgen schon pflicht“, meint schmid. der kunde von morgen will sich eine Couch zunächst vir-tuell in sein Wohnzimmer stellen und so die zum ambien-te passenden farbtöne aussuchen, bevor er sich zum kauf entscheidet. auch für die Verantwortlichen des produktin-formationsmanagements gilt daher laut schmid: „Vom Ende her denken, nämlich von den neuen, überraschenden, digi-tal getriebenen service- und kauferlebnissen her, die den kunden künftig geboten werden müssen.“

Datenqualität im FokusMithilfe einer Lösung der Systrion AG hat der Herstel-ler Unilever innerhalb von fünf Jahren seine Artikelda-ten qualifiziert und auf einen hohen Stand gebracht.

packstoffe mit falschen auszeichnungen führen zu Zeitverzö-gerungen oder sogar zu rücksendungen. falsche palettenda-ten bewirken, dass die produkte in falschen Hochregal-plätzen abgelegt werden – nur zwei von vielen Beispielen, wie ge-schwindigkeitsverluste und mehrkosten in der Logistik entste-hen können, die auch auf den umsatz durchschlagen. „gute daten gleich volle (virtuelle) regale, schlechte daten gleich leere (virtuelle) regale“, bringt michael friebel, senior projekt-manager bei der Hamburger systrion ag, dies auf eine for-mel. Ein discounter führt 2.000 artikel, ein Vollsortimenter rd. 15.000, amazon deutschland hat rd. 37.000, alibaba rd. eine milliarde artikel im angebot. Entsprechend unterschiedlich sind die schadenspotenziale, entsprechender druck auf die Hersteller kommt insbesondere von großen onlinehändlern.

um die datenqualitäten generell zu verbessern, hat gs1 bzw. smart data one seinen datenpool mit einem „data Quality gate“ versehen. diese anwendung läuft auf der platt-form von systrion. der auf die Bereiche stammdaten- und data-Quality-management spezialisierte service provider hat mit „synfoxx“ eine Cloudlösung entwickelt, die eingehende artikeldaten eines Herstellers anhand von rd. 200 regeln überprüft und auf dieser Basis automatisch fehlerberich-te generiert. damit erhält der Hersteller konkrete Hinweise und kann schnelle korrekturen initiieren.

die Lösung wird u.a. von unilever genutzt. Laut michael friebel konnte der Lebensmittelkonzern die Qualität sei-ner artikeldaten innerhalb von fünf Jahren von 5,8 auf 99,2 prozent steigern. um solche Werte zu erreichen, muss der Hersteller aber auch die internen organisatorischen Voraus-setzungen schaffen. „klare Verantwortlichkeiten definieren,

Klaus Schmidmanaging director Europe

1Worldsync

„Die visuelle, akustische, interaktive Unterstüt-zung des Abverkaufs ist heute die Kür und morgen schon Pflicht.“

Michael Friebelsenior projektmanager

systrion ag

„Gute Daten gleich volle (virtuelle) Regale, schlechte Daten gleich leere (virtuelle) Regale.“

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regeln und prozesse sauber definieren, die spezifischen Er-wartungen der jeweiligen kunden aus dem Handel integrie-ren“, nennt friebel als wesentliche kriterien eines professi-onellen stammdaten-managements.

Kommunikation über die CloudDer IT-Dienstleister Alkemics hat eine kollaborative Platt-form aufgebaut, die es Herstellern und Händler ermög-licht, Produktinformationen direkt auszutauschen.

Immer mehr artikel überfluten die märkte. sie müssen auf-grund gesetzlicher Bestimmungen und aufgrund der kun-

denerwartungen mit immer mehr beschreibenden attribu-ten versehen werden. und sie werden über verschiedene offline- und online-kanäle vermarket. dies alles erhöht die datenmengen und die anforderungen an das datenmanage-ment in den unternehmen. „nicht nur muss die komplexi-tät bewältigt werden, sondern unter dem strich muss auch ein besserer kundenservice stehen“, sagt dr. stefan Hes-se, managing director bei alkemics.

Vor diesem Hintergrund hat der service provider mit Hauptsitz in paris eine cloudbasierte plattform zum aus-tausch und zur gemeinsamen nutzung von produktinfor-mationen für Handel und Industrie entwickelt. auf diesen datenspeicher können nicht nur Händler und Lieferan-ten, sondern beispielsweise auch marketingagenturen und

dr. stefan Hessemanaging director

alkemics

„Die Komplexität muss bewältigt werden, und unter dem Strich muss ein besserer Kunden-service stehen.“

• Digital Asset Management• Product Information Management• Brand Management• Web Content Management• Omnichannel Content Management• Marketing Resource Management

Was können wir für Sie tun?

no silo content management

www.censhare.com

cenhare entwickelt eine Universal Smart Content Management-Software und bietet Brands

wie REWE, Kohl’s, Migros, Dyson und Vitra eine Content-und Marketing-Plattform, um ihre digitale

Transformation zu ermöglichen und personalisierten Content über verschiedene Kanäle, Geräte und Sprachen auszuspielen.

Mehr Datenqualität für Produktstammdaten:

✓ Über 99% Datenqualität(z.B. Unilever: von 50% auf 99,2%)

✓ Monitoring aller Produktdaten (z.B. von 1WorldSync Deutschland)

✓ Fertige DQ-Pakete(z.B. für das Data Quality Gate der GS1 auf Microsoft Azure)

www.systrion.de

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fotostudios zugreifen. so lassen sich die daten in stän-digen austauschprozessen aktualisieren und qualifizieren.

Bislang sind Informationen über rd. 4.200 markenpro-dukte verschiedener Hersteller auf der plattform eingespeist, darunter unilever, mars, nestlé und Henkel. genutzt wird sie momentan vorwiegend in frankreich. nach angaben von dr. Hesse greifen rd. 90 prozent der großen französischen onlinehändler auf die plattform zu, zum Beispiel die on-line-Vertriebsschienen von auchan, système u und Casino. alkemics befindet sich in gesprächen mit weiteren poten-ziellen Handelskunden in Europa und in den usa.

Beim Handling der Lösung helfen vollautomatisierte pro-zesse, eine einfach zu bedienende Benutzeroberfläche sowie verschiedene funktionen zur Verfolgbarkeit von datenände-rungen und für automatisierte daten-Qualitätschecks. In der

startphase initiiert das system die kommunikation, indem es automatische Einladungen an die relevanten Lieferanten verschickt. auf Basis vorgegebener daten-Qualitätsregeln hinterlegt der Hersteller daraufhin seine produktinformati-onen, die vom Händler geprüft und schließlich in seine in-ternen systeme exportiert werden können.

Entlang der Customer JourneyDas Management der Produktinformationen muss ei-nem Ansatz folgen, der die Customer Journey in den Fokus stellt. Unter dem Strich steht ein neues, daten-getriebenes Geschäftsmodell.

In der pre-purchase-phase betrachtet der Verbraucher in der regel mehrere produkte verschiedener marken. Er zieht Ver-gleiche und bedient sich dabei verschiedener digitaler und realer touchpoints. Jede diskrepanz bei den produktdaten kann dazu führen, dass er einen artikel aus seiner Liste streicht. In phase zwei, beim kaufprozess, entscheidet sich der kunde und wählt seine Einkaufsstätte – stationär, digital oder eine kombination von beidem. In phase drei schließ-lich beginnt das physische produkterlebnis. Er bewertet und kommuniziert seine Bewertung – gegenüber dem Händler oder Hersteller, in familie und Bekanntenkreis, in den so-zialen medien.

In allen diesen phasen nutzt er daten und touchpoints, in allen phasen generiert er aber auch selbst daten, die für den Händler von hohem Interesse sind. „Wenn wir die-se daten richtig nutzen, können wir die Einkaufsreise des kunden in eine kontinuierliche schleife verwandeln. und wenn wir die Customer Journey aus der perspektive von produktinformationen betrachten, können wir verstehen, wie wir unsere produktdaten über die gesamte digitale Lieferkette hinweg gestalten und verwalten müssen“, sagt peter makovitzky, Vice president Business solutions bei der Censhare ag.

nach dieser Logik muss auch das management der pro-duktinformation als Journey betrachtet werden – eine reise mit vielfältigen touchpoints, von Herstellern über distribu-toren, filialen, Vertriebskanäle, service-stationen, kunden, anwender, Bewerter bis zu kommunikatoren. „Es braucht Zeit und mühe, aber diese Journey der produktinformation

Peter MakovitzkyVice president Business solutions

Censhare ag

„Es braucht Zeit und Mühe, aber die Journey der Produktinformation kann abgebildet und standardisiert werden.“

aufmerksame Zuhörer beim EHI Workshop „pIm-produktinformations-management“ in köln

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kann digital abgebildet und standardisiert werden, um das potenzial dieses rich-data-pools zu nutzen“, so makovitzky.

Einzelhandelsunternehmen sollten das produktinforma-tionsmanagement somit in den mittelpunkt ihrer Customer-Experience-aktivitäten stellen und ein agiles, kreatives, kol-laboratives netzwerk schaffen. Was aber auch bedeutet: „sie müssen sich mit einem neuen, datengetriebenen ge-schäftsmodell befassen“, so makovitzky. der It-dienstleis-ter Censhare betreibt u.a. eine semantische datenbank als intelligente Echtzeit-Content-Engine, die marketingtechniken wie personalisierung und produktempfehlungen über meh-rere digitale kanäle hinweg ermöglicht.

Den Rich Content managenDie Nutzung digitaler Medien beim Einkauf steigt. Pro-duktion und Distribution von Rich Content kann daher nicht mehr nebenbei erledigt, sondern muss professio-nell organisiert werden.

die Verbraucher verbringen im schnitt 50 minuten pro tag auf facebook. 95 prozent der kunden kommunizieren dort oder über andere kanäle ihre schlechten Erfahrungen mit Händlern und produkten. 90 prozent der Einkäufe werden online vorbereitet. 40 prozent der kunden erhoffen sich beim Einkaufen die option, online zu bestellen und im store ab-zuholen. 60 prozent wünschen sich Echtzeit-Informationen über aktuelle produktverfügbarkeiten. 75 prozent sagen, dass detaillierte und transparente produktbeschreibungen zu ih-ren top-kaufentscheidungskriterien gehören.

die Zahlen stammen aus Verbraucherstudien für den uk-bzw. den us-markt, erstellt im auftrag der Consulting-gruppen kpmg bzw. priceWaterhouseCoopers. „sie werfen schlaglichter darauf, wie rasant sich die nutzung digitaler medien entwickelt und welchen Einfluss sie auf kaufprozes-se und kaufentscheidungen nehmen“, sagt Jeremy parsons, director digital solutions beim international agierenden soft-ware-Entwickler softserve Ltd. mit Hauptsitz in austin/texas.

naturgemäß schlagen diese Entwicklungen massiv auf das management der produktinformation und der marken-kommunikation durch. „der Content rund um die marke muss alle relevanten digitalen technologien bedienen, er muss in-ternational ausgerichtet und kanalübergreifend konsistent

Çetin Acarprojektleiter forschungsbereich It

EHI retail Institute

„Qualifizierte, konsistente und aktuelle Produktdaten sind elementar für den Handel.“

sein“, formuliert parsons die anforderungen. Hinzu kommt der trend zur Zielgruppensegmentierung bzw. personalisie-rung. aus den genannten studien geht hervor, dass rd. 70 prozent der Verbraucher individuelle, auf sie zugeschnitte-ne markenangebote erwarten.

auf den Hersteller kommen damit neue Herausforderun-gen zu, denn „die Erstellung digitaler medien ist kostspielig und eine echte Herausforderung im Hinblick auf kontrolle und Verteilung“, so parsons. also empfiehlt er den marken-produzenten, ein professionelles digital asset management (dam) aufzubauen, über das die produktion von rich Content organisiert und gesteuert werden kann. die softserve Ltd. hat entsprechende pIm- bzw. dam-anwendungen entwickelt.

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