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Geschichte der Mathematik Manfred Kronfellner 2017/18

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Inhalt 0 Geschichte der Mathematik im Überblick 1 Vorgriechische Mathematik 1.1 Ägypter 1.2 Babylonier 2 Mathematik der griechischen Antike 3 Geschichte der Algebra 4 Geschichte der Infinitesimalrechnung 5 Geschichte des Funktionsbegriffs 6 Geschichte der Wahrscheinlichkeitsrechnung 7 Zeitgeschichte der Mathematik 8 Geschichte der Mathematik in Österreich

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0 Geschichte der Mathematik im Überblick Anfänge der Mathematik in der Steinzeit Ägypter Babylonier Inder Chinesen Mayas, … 3000 – 2500 – 1000 v.Chr. 1000 v.Chr. 300 v.Chr. 100 v.Chr. 1000 n.Chr. 1300 n.Chr. Griechen 600 v.Chr. – 400 n.Chr. Araber 800 – 1400 Europäisches Mittelalter 900 – 1400 Europäische Japaner Renaissance 1400 – 1850 1400 – 1600 Barock 1600 – 1700 Aufklärung 1700 – 1800 Weltmathematik ab 1800

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Die Mathematik entwickelte sich zu Beginn in verschiedenen Kulturkreisen, welche kaum miteinander in Verbindung standen und nach einer mehr oder weniger langen Blütezeit wieder verfielen. Die Entstehung der Mathematik in diesen Kulturkreisen ergab sich meist aus praktischen Erfordernissen, entfaltete aber dann manchmal eine Eigendynamik und entwickelte sich unabhängig zu den Anwendungen weiter. Dies wurde dann auch in irgendeiner Form aufgezeichnet und konnte so innerhalb des Kulturkreises oder aber zwischen den verschiedenen Kulturkreisen weitergegeben werden. Dadurch beeinflusste manchmal die Mathematik eines Kulturkreises die Mathematik eines anderen Kulturkreises.

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1 Vorgriechische Mathematik 1.1 Ägypter Zusammenfassung Quellen: Papyrus Rhind (um 1700) Papyrus Moskau Lederrolle Inhalt: Aufgabensammlungen, Tafel zum Bruchrechnen Mathematische Kenntnisse (Begründungen?): „Dezimalsystem“ 4 Grundrechnungsarten Lösen von linearen und reinquadratischen (Text-)Gleichungen („Hau-Rechnungen“) Methoden zur Berechnung von Flächeninhalten und Volumina (Dreieck, Rechteck, Trapez, … quadratischer Pyramidenstumpf, und andere - nicht alle richtig) π ≈ 2169

3-4-5-Dreieck (Landvermessung nach Nilüberschwemmungen)

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1.1.1 Allgemeine Geschichte und kulturhistorischer Hintergrund Anfang des 3. Jahrtausends v.Chr. begann in Ägypten die Zeit der Dynastien1 und damit die politische Einigung des Landes. Am Beginn dieser Zeit stand die Erfindung der Schrift. Ägypten war damit bis zur Antike Träger einer blühenden Kultur. Die wesentlichen Vorbedingungen und Grundlagen für den Aufbau einer staatlichen Organisation entwickelten sich jedoch in den Jahrhunderten vor der Einigung Ägyptens zu einem einheitlichen Reich. So entwickelten sich in Ägypten im Laufe der Jahrhunderte aus Dorfgemeinschaften Gaustaaten und schließlich zwei Reiche: Oberägypten im südlichen Niltal und Unterägypten im Nildelta am Mittelmeer. Die Historiker teilen die Geschichte Ägyptens in fünf große Bereiche, nämlich das Alte Reich (ca. 3000–2155 v.Chr.), die Erste Zwischenzeit (ca. 2155–2050 v.Chr.), das Mittlere Reich (ca. 2050–1700 v.Chr.), die Zweite Zwischenzeit (ca. 1700–1550 v.Chr.) und das Neue Reich (ca. 1550–1000 v.Chr.). Danach folgten die Spätzeit (1000–25 v.Chr.) und die Ptolemäerherrschaft In diesen beiden Epochen war das einst mächtige Reich nur mehr Spielball ausländischer Mächte (äthiopische, assyrische, persische Fremdherrschaft; Eroberung durch Alexander den Großen). Ab 3100 v.Chr. gelang es den Herrschern Oberägyptens die beiden Reiche, Oberägypten und Unterägypten, zu vereinigen. Gemeinsames Machtzentrum des vereinigten Reiches war die Stadt Memphis. Es folgte eine Zeit der Macht und des Wohlstandes, das so genannte Alte Reich. Das besondere Merkmal dieser Periode ist der Bau der großen Pyramiden als Grabstätten für die Könige. Diese Bauten zeugen in ihrer Monumentalität einerseits von der enormen Machtfülle der Pharaonen und andererseits von einer ungeheuren organisatorischen Leistung. Bis heute weiß man aber noch nicht recht, wie die Ägypter derartige Massen von Steinen mit einer derartigen Genauigkeit zusammenbauen konnten. Weiters fällt in diese Zeit die Entwicklung des ägyptischen Schriftsystems, die Hieroglyphen, und die Zahlendarstellung (bis zu 1 000 000). Es entwickelte sich, infolge der großen Besitzungen des Staates, ein umfangreicher Verwaltungsapparat, der zur Entwicklung der Mathematik in Ägypten wesentlich beitrug, da die Verwaltung durch die Mathematik leichter bewältigt werden konnte. Die regelmäßigen Nilüberschwemmungen veranlassten die Ägypter außerdem zu Landvermessungen, da die Größe der Ackerfläche für die Berechnung der Steuer entscheidend war. Die Griechen führten deshalb den Ursprung der Mathematik auf Ägypten zurück. Nach dem Zusammenbruch des zentralen Verwaltungssystems, welches das Land in das Chaos der Ersten Zwischenzeit (ca. 2155 – 2050 v.Chr.) stürzte, folgte die Wiedervereinigung Ägyptens und es entstand das Mittlere Reich (2050 – 1700). In dieser Zeit machte sich zum ersten Mal ein Expansionsdrang bemerkbar und der Handel mit Vorderasien begann aufzublühen. Die größte Leistung der Herrscher dieser Zeit war jedoch die landwirtschaftliche Erschließung durch ein System von Damm- und Kanalanlagen. 1 Dynastie (v. griech.: dynástes = Herrscher) bezeichnet eine Geschlechterabfolge von Herrschern und ihrer Familien, welche durch Erbfolge über mehrer Generationen den Landesherrn stellen. Bis zur Eingliederung des Landes in das Römische Reich im Jahre 30 v. Chr. lösten einander 31 Herrscherfamilien (Dynastien) ab.

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Während der Zweiten Zwischenzeit (1700 – 1550) kam es zu einem raschen Wechsel der Könige, was politische Instabilität und militärische Unsicherheit an den Grenzen bewirkte. Um 1700 gelang es den Hyksos2 zuerst das Nildelta unter Kontrolle zu bringen und dann ein System von Vasallenstaaten im gesamten Land aufzubauen. Diese erste Fremdherrschaft in Ägypten dauerte etwa 100 Jahre. Ihre Überlegenheit verdankten die Hyksos den von Pferden gezogenen Streitwagen. Die Herrschaft der Hyksos brachte aber nicht nur militärische Neuerungen, sondern bereitete auch der geistigen Isolation Ägyptens ein Ende und öffnete das Land neuen Einflüssen, welche dann zur Blütezeit des Neuen Reiches beitrugen. Das Neue Reich entstand um 1550, als es den Fürsten von Theben gelang, das Land zum dritten Mal unter ägyptischer Führung zu einigen und die Fremdherrscher zu vertreiben. Es stellte den Höhepunkt des Alten Ägyptens dar, da das Königreich am Nil zur führenden Großmacht des Vorderen Orients wurde. Kunst, Literatur und Wissenschaft blühten auf und Theben wurde zur Weltstadt. Das Ende des Neuen Reiches wurde durch den großartigen Abwehrerfolg Ramses III. gegen die Seevölker aus der Ägäis eingeleitet. Die Abwehr erforderte die Aufbietung der gesamten Kraft des Pharaonenstaates, mit der dieser letztlich überfordert war. Die Bevölkerung verarmte und das Königtum konnte seine Macht nicht aufrechterhalten. Ägypten hatte seine Rolle als Großmacht verspielt, blieb aber weiterhin lange Zeit als Kulturzentrum unbestritten. In der Spätzeit wurde Ägypten nach einer kurz andauernden äthiopischen Fremdherrschaft (die auch das Thema von Guiseppe Verdis Oper „Aida“ ist) zunächst assyrische und dann persische Provinz. 332. v. Chr. eroberte dann Alexander der Große Ägypten. Nach seinem Tod gelang es den Ptolemäern3 ihre Herrschaft am Nil zu errichten. Im Jahre 30 v.Chr. wurde Ägypten dann durch Oktavian dem Römischen Reich als Provinz einverleibt. 1.1.2 Mathematik im Alten Ägypten Aus Überlieferungen des Geschichts-schreibers Herodot (~490 – 425 v.Chr.) und des Philosophen Aristoteles (384 – 322 v.Chr.) wissen wir, dass die Griechen den Ursprung der Mathematik den Ägyptern zuschrieben. Die wichtigsten erhaltenen Quellen, die uns Auskunft über die mathematischen Fähigkeiten der Ägypter geben, sind der Papyrus Rhind (ca. 1700 v.Chr.), der Papyrus Moskau und die so genannte Lederrolle. Der Papyrus Rhind hat eine Länge von 5,5 Meter und ist 32 cm breit. Er enthält 87 Textaufgaben in lehrbuchartiger Anordnung und eine (2:n)-Tabelle. (Vgl. später: ägyptische Bruchrechnung!) In den Aufgaben geht es vor allem um praktische Probleme, mit denen es die Beamten des großen Reiches zu tun hatten, wie die Verteilung von Lohnsummen an mehrere Arbeiter, die Berechnung des Getreidebedarfs für die Zubereitung einer bestimmten Menge Brot oder Bier, die 2 Die Hyksos (bedeutete ursprünglich „Fürsten der Fremdländer“) waren Könige asiatischer Herkunft. Der Mittelpunkt ihrer Herrschaft war Auaris. 3 Die Ptolemäer (nach dem Herrschernamen Ptolemaios) waren die makedonische Dynastie, die seit dem Tod Alexanders des Großen Ägypten beherrschte.

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Abb.3 : Londoner Lederrolle

Berechnung von Flächen und Rauminhalten oder die Umrechnung von Getreidemaßen. Man vermutet, dass die Aufgaben für die Schulung der Beamten geschrieben wurden. Der Papyrus Moskau ist 5,44 m lang und 8 cm breit und enthält 25 Aufgaben, welche ebenfalls vor allem praktischer Natur sind. Die Lederrolle enthält einfache Relationen zwischen Brüchen. Sie hat sich vor allem zum Verständnis der ersten Stadien der Bruchrechnung als sehr wertvoll erwiesen. Daneben sind noch einige weniger bedeutende Papyri erhalten. Die Zahlbezeichnung der Ägypter war dezimal aufgebaut. Sie kannten die vier Grundrechnungsarten durch Rückführung auf die Addition. In der Geometrie konnten die Ägypter den Flächeninhalt von Dreiecken, Rechtecken und Trapezen nach den richtigen Formeln berechnen. Für π verwendeten sie den guten Näherungswert ( 916 )2. Die bedeutendste geometrische Leistung der Ägypter, die uns bekannt ist, ist die Volumsberechnung eines quadratischen Pyramidenstumpfes nach der Formel V = (a2+ab+b2) · 3h , welche aber natürlich nicht als Formel geschrieben, sondern nur als Rechenvorschrift richtig angewendet wurde. Die Ägypter (genauer gesagt die Seilspanner, von den Griechen Harpendonapten genannt) verwendeten schon einen Spezialfall des Satzes von Pythagoras: Nach den Nilüberschwemmungen mussten die Felder neu vermessen werden. Die Seilspanner hatten die Aufgabe, rechte Winkel zu erzeugen. Dazu machten sie sich wahrscheinlich die Gleichung 3² + 4² = 5² zunutze.

Seilspanner (Kinderuni 2006)

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1.1.4 Ägyptische Zahlen Bereits in der Frühzeit der ägyptischen Hochkultur um 3000v.Chr. wurden folgende Zahlzeichen verwendet:

Die einzelnen natürlichen Zahlen wurden durch Aneinanderreihen dieser Zahlen dargestellt: 3 40 256 Man begann links mit den Vielfachen von 1, schrieb dann rechts davon die Vielfachen von 10 u.s.w. In einigen Büchern wird auch - unserer Gewohnheit entsprechend - nach absteigenden Größenordnungen angeordnet. Aufgabe: Welche Zahlen werden durch a) b) dargestellt? Aufgabe: Schreib folgende Zahlen mit ägyptischen Zahlzeichen: 273; 8002; 192478; 200000 Nenne Vor- und Nachteile der ägyptischen bzw. unserer Schreibweise! Addieren und Subtrahieren mit ägyptischen Zahlen Bei Addition und Subtraktion von Zahlen in ägyptischer Darstellung kann insbesondere der Übertrag bewusst gemacht werden.

Aufgabe: Addiere: a) +

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b) + c) + Aufgabe: Subtrahiere: a) - b) - 1.1.5 Bruchrechnung auf ägyptisch Zur Darstellung von Brüchen verwendeten die Ägypter nur Kehrwerte natürlicher Zahlen („Stammbrüche“). Diese Bruchzahlen wurden durch Angabe des Nenners, versehen mit einem „Bruchzeichen“ ( ), geschrieben. Z.B.: 31 = 121 = Nur für 12 und 14 gab es ein eigenes Symbol: 12 = 14 = Eine Ausnahmestellung hatte 23 , der einzige Nicht-Stammbruch, für den die Ägypter ein eigenes Zeichen verwendeten: 23 = (also: 2111 ) Traten im Zuge einer Addition von Brüchen zwei gleiche Summanden auf, so ersetzten die Ägypter diese durch eine Summe aus einem möglichst4 großen Bruch und einem „Korrekturbruch“, z.B.:

151315151 +=+ oder 281417171 +=+ Manchmal haben die Ägypter nur Darstellungen mit mehr als zwei Brüchen gefunden:

104152181131131 ++=+ 4 Es gibt manchmal auch „bessere“ Darstellungen, aber diese haben die Ägypter offenbar nicht gesehen.

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Für solche Umrechnungen verwendete man Tabellen. Eine solche Tabelle findet sich (neben einer Sammlung von Aufgaben) im Papyrus Rhind (auch „Rechenbuch des Ahmes“ genannt), das vom Engländer A.H.Rhind 1850 in einer Ruine in Theben gefunden wurde und heute im Britischen Museum in London aufbewahrt wird. Ein Teil dieser Tabelle ist im Folgenden wiedergegeben.

Beispiel: 131132132135 ++= Aus der Tabelle entnimmt man: 104152181132 ++= Somit ist:

13152126141131104252282131104152181104152181135 +++=+++=++++++= Aufgabe: Stelle mit Hilfe der obigen Tabelle folgende Brüche als Summe von Stammbrüchen dar: a) 215)d54)c353)b113 Aufgabe: Stelle 219 , ohne vorher zu kürzen, als Summe von Stammbrüchen dar und vergleiche mit der Darstellung, die sich für 73 ergibt!

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1.1.6 Ägyptisches Multiplizieren Wie berechneten die Ägypter etwa 1713 ⋅ ? Sie stelllten einen der Faktoren als Summe von Potenzen von 2 dar: 13=8+4+1 Weiters verdoppelten sie den anderen Faktor mehrmals und addierten jene Vielfachen von 17, die den in der Zerlegung von 13 auftretenden Zweierpotenzen entsprechen. Aufgabe: Versuche, diese Methode allgemein zu begründen! Berechne auf diese Weise: a) 2386 ⋅ b) 51138 ⋅ 1.1.7 Ägyptische Division Beim Dividieren gingen die Ägypter analog zur Multiplikation vor: Aufgabe: Versuche, diese Methode durch Zurückführen auf die Multiplikation zu erklären! Berechne auf diese Weise: a) 224 : 14 b) 61 : 16 Versuche eine Aufgabe anzugeben, wo diese Methode nicht funktioniert!

1 17 (2) (34) 4 68 8 136 13 221

153 : 17 = ? 1 17 (2) (34) (4) (68) 8 136 9 153

19 : 8 = ? (1) (8) 2 16 (1/2) (4) 1/4 2 1/8 1 2+1/4+1/8 19

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1.1.8 Textaufgaben im alten Ägypten In den ägyptischen Quellen findet man überwiegend Textaufgaben, sogenannte „Hau-Rechnungen“, wobei „Hau“ so viel heißt wie „Haufen“, „Menge“, „(unbekannte) Anzahl“. Die Ägypter verwendeten häufig die Methode des falschen Ansatzes, z.B.: Ein Haufen und sein vierter Teil ergeben zusammen 15. Lösung: Nimm an, 4 ist die gesuchte Zahl; dann ist 4 + 441 ⋅ = 5. Da die gewünschte Zahl 15 ist und 5315 ⋅= , ist auch die gesuchte Zahl das Dreifache der ursprünglich angesetzten Zahl 4, also 1243 =⋅ . Aufgabe: a) Gib ein ähnliches Beispiel an, wo diese Methode zum richtigen Ergebnis führt, und eines, bei dem diese Methode nicht zielführend ist! b) Für welche Art von Aufgaben ist diese Methode verwendbar?

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1.2 Babylonier Zusammenfassung Quellen: Keilschrifttafeln Mathematische Kenntnisse (Begründungen?): Sexagesimalsystem (~Stellenwert), incl. (positive) rationale Zahlen (über Hipparchos und Ptolemaios’ Astronomie in die Renaissance-Mathematik; bis heute in der Zeit und Winkelmessung erhalten!) 4 Grundrechnungsarten Gleichungen 1. und 2. (teilweise auch 3.) Grades Pythagoreische Zahlentripel Tabellen für x2, x3, 3,x x , für Potenzen einer bestimmten Basis („Logarithmentafeln“) π ≈ 13 8 (manchmal auch nur 3) Satz von Thales 1.2.1 Allgemeine Geschichte und kulturhistorischer Hintergrund Babylonien bezeichnete das ehemalige Königreich in Mesopotamien in der Zeit von 1900 v. Chr. bis 539 v. Chr., welches am Unterlauf der Flüsse Euphrat und Tigris (Zwischenstromland) eine blühende Kultur entwickelte. Das kulturelle Zentrum des Gebietes war die Stadt Babylon. Als schriftliche Quellen stehen in erster Linie Keilschrifttexte zur Verfügung. Diese stammen aus den verschiedenen Perioden der babylonischen Geschichte und sind aus diesem Grund in verschiedenen Sprachen abgefasst. Viele Keilschrifttäfelchen sind auch mathematischen Inhalts. Um 3000 v.Chr. bestand in dem Gebiet zwischen Euphrat und Tigris eine kulturelle Hochblüte, die dann Basis für jede weitere Entwicklung der Kultur des Zwischenstromlandes bildete. In dieser Zeit entstand das Zahlensystem der Babylonier.

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Im 18.Jahrhundert v.Chr. errichtete König Hammurabi ein Großreich („Altbabylonisches Reich“), dessen Mittelpunkt Babylon war. Hammurabi war nicht nur Eroberer und Diplomat, sondern auch ein fähiger Organisator. Er errichtete Bewässerungsanlagen und großartige Bauten, organisierte das Land durch eine straffe Verwaltung und verfasste eine einheitliche Rechtsordnung, den Codex Hammurabi. Unter seiner Herrschaft wurden auch neue Wissenschaften wie Astronomie und Mathematik gefördert. Aus dieser Zeit stammen die wichtigsten mathematischen Texte der Babylonier. Nach seinem Tod erwies sich keiner seiner Nachfolger so geschickt wie er, und so verlor das Reich nach und nach an Einfluss und Herrschaftsbereich. Durch zahlreiche innere Unruhen und durch Angriffe von außen geschwächt, gelang es den Hethitern5 1595 v.Chr. die Stadt einzunehmen. Die Ära des Altbabylonischen Reiches war damit zu Ende. Die nachfolgende Zeit wird als dunkle Periode der babylonischen Geschichte bezeichnet. Die Kassiten6 regierten etwa 400 Jahre lang das Reich, erweiterten es und machten das Land so nochmals zur Großmacht. 1155 wurde die Stadt von den Elamitern7 erobert. Sie plünderten und brandschatzten die Reichtümer. Erst Nebukadnezar I. gelang es 1137, die Kassiten und Elamiter zu vertreiben. Er versuchte das Reich wieder auszudehnen, was von den Assyrern8 immer wieder verhindert wurde. Durch ihre Politik wurde Babylonien immer mehr in ihr Reich integriert und so zum Zentrum des assyrischen Reiches. Durch dieses Bündnis von Babylon mit Assyrien sicherten die beiden ihre Südgrenze. Die Babylonier versuchten aber auch immer wieder die Macht der Assyrer zu brechen, was ihnen jedoch nicht gelang. Im 7. Jahrhundert v.Chr. brach das Assyrische Reich durch die Folgen der vielen Kriege auseinander. In Babylonien begann damit das Zeitalter des Neubabylonischen Reiches. Der chaldäische General Nabopolassar vereinigte die lokalen Volksstämme und verbündete sich mit den Medern. Sein Nachfolger Nebukadnezar II entwickelte dann außerordentliche Fähigkeiten als Staatsmann, Heerführer, Friedensstifter und Bauherr. Er ließ Tempel in allen Städten des Landes 5 Die Hethiter waren ein Volk mit indogermanischer Sprache, das im 2. Jahrtausend v.Chr. im östlichen Kleinasien das Reich Hatti gründete (siehe Karten am Ende des Kapitels). Hauptstadt war Hattusa. 6 Die Kassiten waren ein altorientalisches Volk, das im 2. bis 1. Jahrtausend v.Chr. im Südwesten des Zagrosgebirges (siehe Karte am Ende des Kapitels) lebte und in Babylonien eine Dynastie errichtete. Sie bildeten eine kleine militäraristokratische Oberschicht. . 7 Elam war ein altorientalisches Reich östlich vom unteren Tigris (siehe Karten am Ende des Kapitels). Die Hauptstadt war Susa. Die Bewohner hießen Elamiter. Elam wurde als eine Art Bundesstaat von einem Oberkönig in Susa regiert. Die Geschichte von Elan ist eng mit der von Babylonien verknüpft. 8 Assyrien war im Altertum das Gebiet am mittleren Tigris um die Stadt Assur (siehe Karten am Ende des Kapitels). Die Assyrer waren die Bewohner von Assyrien.

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wieder aufbauen, errichtete Kanäle, förderte den Ackerbau, den Gartenbau und den Handel. Zur Absicherung seines Reiches führte er mit Syrien und Israel Krieg. Die unterworfenen Länder mussten hohe Abgaben an Babylon abliefern. Als er starb, hinterließ er seinem Sohn ein geordnetes und konsolidiertes Reich. Aber dieses Neubabylonische Reich hatte nur eine kurze Lebenszeit. Schon 539 v.Chr. wurde Babylonien vom Perserkönig Kyros II. erobert und zu einer persischen Provinz gemacht. Dieses Weltreich der Perser fiel schließlich am Ende des 4. Jh. v. Chr. den Eroberungen Alexander des Großen zum Opfer. 1.2.2 Wissenschaften in Mesopotamien Die Leistungen der Völker Mesopotamiens auf dem Gebiet der Wissenschaften erwiesen sich weitaus beständiger als ihre Reichsgründungen. Vieles, was uns heute selbstverständlich ist, brachten sie in die Geschichte ein. Ihre Priester beschrieben den Lauf der Planeten, konnten Sonnen- und Mondfinsternisse vorherbestimmen und unterteilten das Jahr in 12 Monate. Die Damm- und Kanalbauten, die ausgedehnten Handelsbeziehungen und die Astronomie erforderten mathematische Kenntnisse. Wie die ägyptische Mathematik war die babylonische Mathematik primär von den gesellschaftlichen und technischen Anforderungen geprägt. 1.2.3 Das Sexagesimalsystem Die Babylonier verwendeten zur Darstellung von Zahlen zwei Symbole: für 1 und für 10. (Diese Zeichen wurden durch Eindrücken eines Stabes mit dreieckigem Querschnitt in weiche Tontafeln erzeugt.) Außerdem verwendeten sie ein Stellenwertsystem mit der Basis 60, das später vor allem durch das astronomische Werk des Ptolemaios Verbreitung fand und auch uns noch in der Winkelmessung und im Zeitmaß erhalten ist: ⋅1 60 + 11 = 71 Diese Darstellung kann aber auch ⋅1 60² + ⋅11 60, oder auch 1 + 60111⋅ , o.Ä. bedeuten. Für ⋅1 60² + 11 schrieb man , d.h. die freibleibende Stelle wurde

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in früheren Zeiten durch einen größeren Abstand angedeutet, später durch ein „Lückenzeichen“ markiert. Aufgabe: Welche Zahlen werden durch folgende Zeichen dargestellt? (Jeweils mehrere Antworten möglich!) Wir wollen uns im Folgenden mehr mit dem mathematischen Kern des Sexage-simalsystems beschäftigen, ohne uns mit den mühsamen Zeichen aufzuhalten, d.h. wir verwenden statt der Keilschriftsymbole unsere vertraute Schreibweise, z.B.:

3, 17, 34 soll bedeuten: also 346017²603 +⋅+⋅ . Aufgabe: a) Übertrage ins Dezimalsystem: 43, 8, 27 2, 0, 49 b) Übertrage ins Sexagesimalsystem: 3731 223258 c) Übertrage ins Dezimalsystem (ein Strichpunkt soll unserem Komma entsprechen): 21;13 1,3;52 2;0,1 d) Übertrage ins Sexagesimalsystem: 31,76 4,007

e) Stelle a) 31 , b) 65 , c) 71 , d) 85 als Sexagesimalzahlen dar! Für 1/2, 1/3 und 2/3 hatten sie eigene Symbole. Über die griechischen Astronomen und Mathematiker Hipparchos und Ptolemaios und über die Renaissancemathematik kam das Sexagesimalsystem nach Europa, wo es heute noch in der Winkelmessung und Zeitmessung weiterlebt. Ihre Rechentechnik war sehr gut entwickelt. Sie führten die Addition und Subtraktion ähnlich wie wir im Dezimalsystem, im Sexagesimalsystem aus. Der Unterschied bestand darin, dass sie bei der Addition erst dann um 1 weiterzählten mussten, wenn sie über 60 und nicht wie bei uns über 10 kamen. Bei der Subtraktion mussten sie manchmal 60 „ausborgen“, um die einzelnen Stellen von einander subtrahieren zu

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können. Die Multiplikation funktionierte im Prinzip ähnlich wie bei uns heute. Allerdings genügte den Babyloniern nicht das Einmaleins, das wir heute lernen. Sie mussten alle Werte von 1 mal 1 bis 59 mal 59 kennen, um multiplizieren zu können. Dafür verwendeten sie ausführliche Zahlentafeln als Rechenhilfe (Multiplikationstabellen). Die Division führten sie durch Multiplikation mit dem Kehrwert des Divisors durch. Den Kehrwert eruierten sie, wie bei der Multiplikation, aus Tabellen. Den Hauptbestandteil der bereits erwähnten Tontafeln machten Tabellen der Quadrate, der Kuben, der Quadrat- und Kubikwurzel, der Reziproken und der Potenzen einer bestimmten Basis aus. Die Babylonier konnten algebraische Gleichungen in einer Unbekannten vom ersten und zweiten Grad lösen, kubische Gleichungen der Form ax3 + bx2 = c lösten sie mit Hilfe von Tafeln für n3 + n2. Ebenso konnten sie lineare Gleichungssysteme und Systeme aus einer linearen und einer quadratischen Gleichung lösen. Sie summierten endliche arithmetische Reihen, die Reihe ∑=

n

i11 ² und die Reihe ∑=

n

i 1 2 i. Die Babylonier kannten einige Formeln für Flächen- und Rauminhalte, wobei manche davon nur grobe Näherungen waren. Für π verwendeten sie den Wert 3 oder 3 1/8, was eine schlechtere Näherung als die der Ägypter war. Sie konnten viele Winkel konstruieren und kannten den Satz von Thales sowie den Pythagoreischen Lehrsatz. Vermutlich wussten sie auch bereits, wie man alle pythagoreischen Tripel bestimmt, denn auf Keilschrifttäfelchen sind umfangreiche Listen von pythagoreischen Tripeln enthalten.

Darüber hinaus findet man in den erhaltenen Texten auch Aufgabensammlungen und rezepthafte Rechenvorschriften. Die Babylonier geben keinerlei Begründungen oder Beweise für die verwendeten Formeln und Sätze. Für gewisse Aufgaben (z.B.

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Lösung quadratischer Gleichungen) hat man jedoch dutzende Beispiele gefunden, ähnlich wie in heutigen Schulbüchern. Daher waren Standardverfahren zur Lösung dieser Aufgaben offenbar schon bekannt. Ein großer Teil der erhaltenen Texte handelt von Problemen, welche sich mit der Landwirtschaft beschäftigten. Die Babylonier verfügten auch schon über bemerkenswerte theoretische Kenntnisse. Sie hatten jedoch noch keine begrifflich aufgebaute Mathematik in unserem Sinn, eine solche wurde erst von den Griechen entwickelt. Die Griechen übernahmen von den Babyloniern (ebenso wie von den Ägyptern) verschiedene Kenntnisse. So gibt es sowohl in der Geometrie wie auch in der Algebra (Lösen von Gleichungen), hier sogar noch stärker, Anhaltspunkte dafür, dass ganz enge Beziehungen zwischen der babylonischen und griechischen Mathematik bestanden und dass die griechische Mathematik sehr stark auf babylonische Traditionen zurückgegriffen hat. Thales und Pythagoras sollen sich eine Zeit lang bei den Babyloniern aufgehalten haben. Wie viel und was die Griechen genau von ihnen übernommen haben, weiß man aber bis heute nicht genau.

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2 Mathematik der griechischen Antike 2.1 Überblick Mathematik 1 Ionische Periode (~600 – ~400 v. Chr): Thales, Pythagoras, Demokritos, Hippokrates, Theodoros 2 Athenische Periode (~400 -- ~300 v. Chr.): Sophisten, Platon, Aristoteles, Eudoxos, Menaichmos 3 Alexandrinische Periode (~300 -- ~200 v. Chr.): Euklid, Archimedes, Eratosthenes, Apollonios 4 Spätzeit (~200 v.Chr – ~300 n. Chr.): Heron, Ptolemaios, Diophantos, Pappos

Geschichte allgemein Aufschwung der ionischen Städte Athen wird kulturelles Zentrum Übergang von Stadtstaaten zum Großreich Alexanders; Alexandria wird Zentrum Griechenland wird Teil des Römischen Reiches 415 Heidenverfolgung; Erlöschen der Alexandrinischen Mathematikerschule 529 Justinian schließt die Platonische Akademie; Byzanz wird Bewahrer der griechischen Tradition Ab ca. 1400 Abwanderung der Gelehrten nach Italien (� Renaissance!) 2.2 Allgemeine Geschichte und kulturhistorischer Hintergrund Die Griechen sind um etwa 2000 v. Chr. aus dem Norden in den Mittelmeerraum eingewandert, wo sie im Laufe der Zeit eine hochstehende Kultur entwickelten. Die griechische Kultur ist Grundlage für die abendländische Politik und Kunst. Die Griechen brachten den abendländischen Wissenschaftsbegriff hervor, welcher im Streben nach Erkenntnis um ihrer selbst willen besteht, ohne Rücksicht auf etwaige

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praktische Anwendbarkeit der Erkenntnisse. Das Streben nach Erkenntnis ist dabei hauptsächlich auf das Gedankliche und Abstrakte gerichtet und weniger auf die reale Welt. Sie entwickelten daher vor allem die Philosophie und die Mathematik zur Vollkommenheit. In den eigentlichen Naturwissenschaften erbrachten sie zwar vereinzelt bemerkenswerte Leistungen, ihre physikalischen Kenntnisse gingen über die Mechanik kaum hinaus. Das elementare Rechnen (die vier Grundrechnungsarten und elementare praktische Aufgaben) wurde von den griechischen Gelehrten weitgehend vernachlässigt und gehörte für sie überhaupt nicht zur Mathematik, sondern war für sie ein eigenes Wissensgebiet, die so genannte „Logistik“. Sie hatten auf diesem Gebiet zwar einige Fähigkeiten, die sie als Handelsvolk teilweise von den Ägyptern und Babyloniern übernommen hatten, und manchmal wendeten die griechischen Mathematiker diese auch an, doch im Großen und Ganzen war die griechische Mathematik eine „reine“ Mathematik. Davon zeugt auch die folgende Anekdote: Als ein Schüler nach relativ kurzem Studium geometrischer Sätze fragte, was er mit diesem Wissen verdienen kann, befahl Euklid einem Sklaven: „Gib ihm drei Obolen, denn der arme Mensch muss Geld verdienen mit dem, was er lernt.“ (van der Waerden 1966, S. 322) Quellen Originale der griechischen Mathematiker sind, von einigen wenigen Ausnahmen aus der Zeit um 200 n. Chr. abgesehen, nicht erhalten. Vollständige Abschriften von Werken gibt es in der Philosophie erst ab Platon und in der Mathematik erst ab Euklid. Die Elemente des Euklid sind im 4. Jahrhundert n. Chr. von Theon von Alexandria bearbeitet worden, so dass manchmal nicht klar ist, was von Euklid selbst und was von Theon stammt. Die Werke von Archimedes, Apollonios, Heron, Nikomachos, Diophant und Pappos sind in Abschriften nur unvollständig erhalten. Arabische Übersetzungen bieten wesentliche Ergänzungen. Über die Mathematik vor Euklid erfahren wir beispielsweise von Platon und Aristoteles, die oft mathematische Definitionen und Sätze zitieren und manchmal auch Beweismethoden andeuten. Spätere Kommentatoren erklärten solche Andeutungen dann oft näher. Daraus können wir Schlüsse über den Stand der Mathematik zu ihrer Zeit ziehen. Kommentare zu mathematischen Schriften enthielten auch historische Angaben. Insgesamt gesehen ist es ähnlich wie bei den Babyloniern und Ägyptern. Was wir gut kennen, ist die fertige griechische Mathematik, die Entwicklung dorthin muss aus späteren Mitteilungen und kurzen Zitaten erschlossen werden. Dies gelingt aber bei den Griechen viel besser als bei den früheren Völkern.

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Zahlzeichen Die frühesten Nachweise von Zahlensymbolen im griechischen Kulturkreis finden sich aus dem 11. Jahrhundert vor Christus in Kreta. Es waren in der folgenden Zeit dann zwei Zahlensysteme in Gebrauch. Einerseits die attische Zahlenschrift mit den so genannten „Herodianischen“ Zeichen und andererseits die ionische Zahlenschrift. Die Zahlen des Herodianischen Systems wurden, abgesehen von der Zahl 1, durch den Anfangsbuchstaben der entsprechenden griechischen Zahlwörter repräsentiert. | = 1 Γ = ältere Schreibweise von 5 = Π (ΠΕΝΤΕ - pente) ∆ = 10 (∆ΕΚΑ - deka) Η = 100 (ΕΚΑΤΟΝ - hekaton) Χ = 1000 (ΧΙΛΙΟΙ - chilioi) Μ = 10 000 (ΜΥΡΙΟΙ - myrioi) Alle anderen Zahlen wurden als Kombination (wie beim bekannten römischen Zahlsystem) von diesen Symbolen ausgedrückt. Zahlen wie 50, 500 und 5000 wurden durch eine Kombination von Γ für 5 und den Symbolen für 10, 100 und 1000 dargestellt. Die ionische Zahlschrift bestand aus den Buchstaben des griechischen Alphabets und wurde ergänzt durch drei Buchstaben eines älteren (semitischen) Alphabets (digamma oder vau für 6, koppa für 90 und sampi für 900).

Zur Unterscheidung von gewöhnlichen Buchstaben wurden die Symbole oben mit kleinen Strichen versehen. Der früheste Gebrauch der ionischen Zahlschrift wurde auf einer Inschrift von Halikarnassos gefunden, die auf ca. 450 v. Chr. datiert wird. Es dauerte aber sehr lange bis sich die Zahlschrift durchsetzte. Der erste offizielle

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Gebrauch scheint, wie ein Inschriftfund in einem Tempel bezeugt, im Jahre 200 v.Chr. gewesen zu sein. Vor dieser Zeit verwendete Athen noch das alte Herodianische System. Dieses wurde den Funden nach 95 v.Chr. das letzte Mal verwendet. Brüche wurden bei den Griechen auf verschieden Weise geschrieben. Meistens schrieben sie den Nenner, indem sie der Zahl an sich einen oder zwei Striche hinzufügten (z.B. δ´´ für 41 ). Bei Archimedes, Diophant und Eutocius findet man für 21 das Zeichen L´´, bei Heron C oder ein Zeichen ähnlich dem S. War der Zähler verschieden von Eins, so schrieb man dies folgendermaßen: γ´δ´´ = 43 oder η´ξα´´ = 618 . Eine weitere Methode, Brüche mit Zählern größer als Eins darzustellen, war die Zerlegung in Partialbrüche mit Zähler Eins. Diese wurden dann nebeneinander geschrieben (z.B. β´´δ´´ für 43 = 21 + 41 ). Die vier Grundrechnungsarten Die Addition und Subtraktion führten die Griechen im Prinzip durch wie wir heute. Dazu schrieben sie die zu addierenden bzw. zu subtrahierenden Zahlen übersichtlich untereinander und addierten bzw. subtrahierten dann die einzelnen Stellen. Die Multiplikation und Division war ebenfalls unserer Rechenweise ähnlich. Der Abakus Die Griechen hatten also ein Dezimalsystem bei dem die Zifferschreibweise jedoch sehr kompliziert und umständlich war. Aus diesem Grund übernahmen die antiken Astronomen teilweise das babylonische Sexagesimalsystem. Als Hilfe beim Multiplizieren besaßen die Griechen eine Multiplikationstafel, die das kleine Einmaleins umfasste und somit das Rechnen vereinfachte. Dennoch war das griechische Zahlensystem zu schwerfällig, um einfaches schriftliches Rechnen zuzulassen (wie aus obigen Beispiel ersichtlich ist). Deshalb rechneten sie in der Praxis meistens mit dem Rechenbrett, dem „Abakus“. Das Wort „Abakus“ leitet sich vom griechischen Wort „Abakion“ ab, was soviel wie „runde Platte“ bedeutet. So ein Rechenbrett ist uns aus dem 4. Jahrhundert v. Chr. in Form einer Marmortafel erhalten geblieben (Abb.13). Auf dieser Marmortafel sieht man zueinander parallel gezogene Kolonnen, auf die Rechensteinchen gelegt wurden. Je nach ihrer Stellung auf dem Rechenbrett wurde

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den Steinchen ein anderer Wert zugeschrieben. Auf den waagrechten Kolonnen wurden die Rechensteinchen hin- und hergeschoben. Der Abakus war im Altertum sehr weit verbreitet. Archimedes soll seine Rechnungen auf einem sandbestreuten Brett durchgeführt haben. Die Römer entwickelten ihn zu einem tragbaren Handabakus weiter. Der Abakus wurde um die Wende vom Mittelalter zur Neuzeit in Westeuropa fast vollkommen verdrängt, als die modernen Algorithmen für die vier Grundrechnungsarten erfunden und verbreitet wurden. Denn diese ermöglichten die systematische Berechnung komplizierter numerischer Probleme und bildeten damit die Grundlage für die heutige Wissenschaft und Technik. Diese chinesische Form des Abakus, der so genannte Suan Pan bzw. der japanische Soroban wurde bis vor kurzem in Asien verwendet (bzw. angeblich sogar heute noch).

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2.2.1. Die Ionische Periode (von etwa 600 v.Chr. bis 400 v.Chr.) Allgemeine Geschichte und kulturhistorischer Hintergrund Während des 7. und 6. Jahrhunderts v.Chr. wurden die griechischen Stadtstaaten an der ionischen Küste Kleinasiens und auf den vorgelagerten Inseln zu bedeutenden wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Zentren. Zu Mesopotamien, zu Ägypten und zum eigentlichen Griechenland (insbesondere zu Athen und Korinth) bestanden enge kulturelle, wirtschaftliche und wissenschaftliche Beziehungen. Die Stadt Milet war eine der bedeutendsten Handelsstädte und entwickelte sich zum Zentrum der ionischen Naturphilosophie. Die gesellschaftliche Stellung jener, die sich mit Philosophie, Naturwissenschaften und Mathematik befassten, hatte sich verändert. So standen diese nicht mehr im Dienste eines Herrschers oder Tempel, sondern gehörten nun in der Regel dem Stand der reichen Kaufleute oder Besitzer größerer Werkstätten an. Mathematik und wichtige Vertreter in der Ionischen Periode Thales von Milet lebte um 600 v.Chr. und war der erste ionische Naturphilosoph. Mit ihm beginnt die griechische Mathematik, sich von der ägyptischen und babylonischen Mathematik abzusetzen und ihren eigenen Weg zu gehen. Neben der Mathematik beschäftigte er sich auch mit Philosophie und Astronomie. Er strebte nach einer rationalen Erklärung der Welt und ihrer Entwicklung und hielt nicht die Götter oder übernatürliche Mächte, sondern das Wasser für den Ursprung aller Dinge. Wie er das genau meinte, wissen wir nicht. Vielleicht meinte er, dass alles Leben im Wasser entsteht und dass alles Leben wieder zu Wasser wird, wenn es in Auflösung übergeht. Als er in Ägypten war, hatte er sicher gesehen, wie fruchtbar die Felder waren, wenn der Nil sich nach Überschwemmungen im Nildelta zurückzog. Im Jahre 585 v.Chr. soll er eine Sonnenfinsternis vorausgesagt haben. Platon erzählt, dass Thales, während er zu den Sternen hinaufschaute, in einen Brunnen fiel und ihn daraufhin eine Sklavin auslachte: „Er wollte wissen, was im Himmel geschah, aber er sah nicht, was vor seinen eigenen Füßen war.“ Er war aber sicher kein zerstreuter Gelehrter, wie diese Anekdote vielleicht vermuten lässt, sondern im Gegenteil sehr geschickt. Nach Aristoteles soll er nämlich demonstriert haben, dass man durch Wissenschaft auch reich werden könne. Er habe auf Grund seiner astronomischen Kenntnisse nach mehreren schlechten Oliven-Erntejahren eine gute Ölernte vorausgesehen und soll schon im Winter alle Ölpressen rund um Milet und Chios angemietet haben, um daraus einen großen Profit zu erzielen.

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Seine größten Leistungen erzielte er auf dem Gebiet der Mathematik. Er gilt als Begründer der wissenschaftlichen Mathematik, da er sich nicht mit dem Akzeptieren funktionierender Verfahren begnügte, sondern nach allgemeingültigen Begründungen suchte. Er war der erste Mathematiker, der Beweise für seine Sätze gab. Seine mathematischen Kenntnisse hatte er angeblich zum Teil von den Babyloniern. Es heißt auch, dass er einmal die Höhe einer Pyramide in Ägypten dadurch gemessen habe, dass er den Schatten der Pyramide in dem Moment maß, als sein eigener Schatten genauso lang war wie er selber. Eudemos von Rhodos (um 300 v.Chr.) schrieb in seiner Geschichte der Mathematik über Thales: „1. Er war der Erste, der bewies, dass der Kreis von seinem Durchmesser halbiert wird. 2. Er hat als Erster erkannt und ausgesprochen, dass in einem gleichschenkeligen Dreieck die Basiswinkel gleich sind. 3. Er entdeckte zuerst, dass, wenn zwei Geraden einander schneiden, ihre Scheitelwinkel gleich sind. 4. Er bewies den Satz von der Kongruenz zweier Dreiecke, die in einer Seite und zwei Winkeln übereinstimmen.“ 5. Der Satz von Thales: Alle Winkel im Halbkreis sind rechte Winkel. Diese vier Erkenntnisse und der „Satz von Thales“ können in einer einzigen Zeichnung, der so genannten „Thaletischen Grundfigur“ visualisiert werden. Pythagoras von Samos9 war ein vielseitiger Gelehrter. Er wurde ungefähr 580 v.Chr. auf der Insel Samos geboren. Er verließ Samos aus Furcht vor der drohenden Eroberung durch die Perser (andere Quellen berichten auch von Querelen mit dem dortigen Tyrannen) und reiste als erstes nach Milet, wo er Thales kennen gelernt haben soll. Dieser erkannte seine mathematische Begabung und wies ihn auf die Wissensschätze der Phönizier und Ägypter hin, woraufhin sich Pythagoras dorthin begab. Dort lernte er vermutlich die Mysterien verschiedenster religiöser Kulturen und die überlieferte hochentwickelte babylonische und ägyptische Mathematik und Astronomie kennen. Danach hielt er sich für ungefähr zwölf Jahre in Babylon auf und 9 Näheres über Pythagoras und die Pythagoreer siehe vor allem das Buch von Van der Waerden: „Die Pythagoreer. Religiöse Bruderschaft und Schule der Wissenschaft“

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erreichte schließlich nach verschiedenen Zwischenstationen die von Griechen bewohnte Stadt Kroton in Süditalien, wo er eine religiöse Sekte gründete. Diese hat in der Politik der Griechenstädte in Süditalien eine große Rolle gespielt. In der ersten Hälfte des 5.Jahrhunderts v.Chr. hatten die Pythagoreer10 eine Zeitlang die Führung in Kroton und in anderen Städten, aber es gab auch Rebellionen gegen ihre Hegemonie. Eine dieser Rebellionen fand zu Lebzeiten Pythagoras statt und führte zur vorübergehenden Vertreibung der Pythagoreer aus Kroton. Zu dieser Zeit ging Pythagoras nach Metapontion, wo er seine letzten Lebensjahre verbrachte. Er ist etwa 500 v.Chr. gestorben. Einige andere Pythagoreer hielten sich noch einige Zeit in Region auf, wurden aber in der Folge ganz aus Italien vertrieben. Nur in Tarent haben sich die Pythagoreer unter der Führung von Archytas, ein späterer Pythagoreer, längere Zeit gehalten. Im 4. Jahrhundert gab es verschiedene Gruppen von Pythagoreern, eine Gruppe in Phlius, eine sehr aktive Gruppe in Tarent und eine dritte Gruppe in Athen, die „Pythagoristen“ genannt und als solche verspottet wurden. Van der Waerden meint, dass es in Tarent von der Zeit des Archytas (um 380) bis etwa 180 v.Chr. eine fortdauernde Tradition der Pythagoreischen Lehre und Lebensführung gegeben hat. Von 180 bis etwa 70 v.Chr. wissen wir fast nichts, was vermuten lässt, dass die pythagoreische Lehre in dieser Zeit erloschen ist. Vielleicht wurde sie aber auch im Verborgenen weiter tradiert. Nach dieser Zeit kam es zu einer Wiederbelebung durch Nigidius, einem Freund Ciceros. Er gründete in Rom eine pythagoreische Bruderschaft. Dies war der Anfang des Neupythagorismus. Platon lernte die idealistische Auffassung der Pythagoreer vom Wesen der Mathematik bei Archytas kennen, wodurch die Mathematik großen Einfluss auf die Entwicklung der Philosophie und der Wissenschaft im Allgemeinen nahm. Idealistische Auffassungen vom Wesen der Wissenschaft wurden somit für die nächsten Jahrhunderte bestimmend. Pythagoras begründete eine Art von Naturreligion. Die Schule der Pythagoreer verbreitete seine Lehren und entwickelte sie weiter. Sie lebten nach bestimmten Vorschriften, glaubten an die Unsterblichkeit der Seele und die Seelenwanderung und, dass die Götter die Welt nach Zahlen und Zahlenverhältnissen geordnet hatten. Ihrer Lehre nach besteht die Welt aus Gegensätzen. Die Harmonie bringt Einheit in diese Gegensätze und vereinigt sie zu einem Kosmos. Sie beruht dabei auf Verhältnissen ganzer Zahlen, wie sie auch in der Musik oder in der Geometrie auftreten. 10 Wenn man sich verschiedene Literatur zum Thema Pythagoras ansieht, so findet man zwei verschiedene Bezeichnungen für die Sekte, die er gründete: Pythagoräer (von Pythagoras) oder Pythagoreer. Dementsprechend findet man sowohl die die Bezeichnung „Pythagoräischer Lehrsatz“ als auch „Pythagoreischer Lehrsatz“.

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Der von Pythagoras gegründete Bund besaß zeitweise eine beträchtliche politische Macht, zeigte aber ansonsten alle Züge eines religiösen Geheimbundes. Der „Meister“, dies war zu Beginn Pythagoras selbst, blieb unsichtbar und so durfte seine Stimme nur hinter einem Vorhang erklingen. Er gab strenge Vorgaben über Kleidung und Nahrung. So war beispielsweise das Tragen von Wollkleidung und Schuhwerk und der Genuss von Fleisch, Fischen, Bohnen und Wein verboten. Die zugrundeliegende religiöse Auffassung von einer Seelenwanderung hat Pythagoras wahrscheinlich während seiner Wanderjahre kennen gelernt. Dies alles hatte der Bund der Pythagoreer mit einer Vielzahl damals vorhandener Vereinigungen gemein. Das Besondere bestand jedoch in ihrem Glauben, dass der Zugang zu den Mysterien, zum Transzendenten nur oder zumindest am besten durch die Versenkung in die Welt der Zahlen zu erreichen sei. Somit rückte die Erforschung der Zahlen in den Vordergrund der Pythagoreer. Sie dachten sich die positiven ganzen Zahlen größer als 1 mit geheimnisvollen Kräften ausgestattet und schrieben ihnen Eigenschaften und Absichten zu. Außerdem glaubten sie, dass das Geschehen der Welt von personifizierten Zahlen regiert werde. Diese Auffassung über die Zahlen wurde durch die Entdeckung, dass bei Saiteninstrumenten harmonische Tonintervalle erzeugt werden, wenn die Saitenlängen in einem einfachen Verhältnis ganzer Zahlen stehen, unterstützt. Die Pythagoreer betrieben als Erste „reine Mathematik“ im großen Stil und hatten mathematische Kenntnisse in vielen Bereichen der Mathematik. Pythagoras‘ bedeutendste Schüler waren Hippias von Kroton und Archytas von Tarent. Beide entwickelten die Lehren des Pythagoras weiter. Archytas war, wie bereits erwähnt, Lehrer von Platon. Ihm schreibt man unter anderem die Einteilung des Unterrichts in das „Quadrivium“ (Mathematik, Geometrie, Musik und Astronomie) zu. Zusammen mit dem „Trivium“ (Grammatik, Rhetorik und Dialektik) bildeten sie die „sieben freien Künste“ („Septem Artes liberales“). Diese wurden auch an den mittelalterlichen Universitäten in der Artistenfakultät als Vorstufe für die Einführung in die höheren Fakultäten (Theologie, Recht, Medizin) gelehrt und stellen somit eine Vorstufe des heutigen Gymnasiums dar.. In der Geometrie kannten die Pythagoreer drei der fünf regulären Körper, nämlich Tetraeder, Würfel und Dodekaeder, und eine Methode zur Konstruktion des regelmäßigen Fünfecks. Sie systematisierten, aufbauend auf Thales` Erkenntnissen, weitgehend die Lehre von den Parallelen, den Winkeln, vom Dreieck (Winkelsumme), von der Flächengleichheit und der Flächenverwandlung, von den Winkeln am Kreis und von der Ähnlichkeit. In der Arithmetik beschäftigten sie sich besonders mit der Zahlentheorie. Von ihnen stammen die Begriffe „vollkommene Zahl“ und „befreundete Zahlen“.

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Vollkommene Zahlen sind solche, die gleich der Summe ihrer echten Teiler sind. (Z.B. 6=1+2+3) In Euklids Elementen findet man den folgenden Satz: Satz: Zahlen der Form 2n (1+2+22+...+2n) sind vollkommen, wenn 1+2+22+...+2n eine Primzahl ist. Beweis: Sei p=1+2+22+...+2n eine Primzahl. Dann gilt (geometrische Reihe!): 1 12 1 2 12 1+

+−= = −

n np Echte Teiler der Zahl Z := 2n (1+2+22+...+2n) = 2n p: 1, 2, 22, …, 2n, p, 2p, 22p, …, 2n-1p Summe der Teiler: 1 + 2 + 22 + …+ 2n + p + 2p + 22p + …+ 2n-1p = = 12 1 2 12 1 2 1+ − −

+ ⋅− −

n np = p + p∙(2n – 1) = p + p∙2n – p = p∙2n = Z, wzzw Zwei Zahlen werden „befreundet“ genannt, wenn jede gleich der Summe der echten Teiler der anderen ist. (z.B. 220=1+2+4+71+142 und 284=1+2+4+5+10+11+20+22+44+55+110) Weiters hatten sie Kenntnisse über die Auflösung linearer Gleichungssysteme und quadratischer Gleichungen. (Vgl. später!) Die Weltanschauung der Pythagoreer war geprägt durch die Auffassung: „Alles ist Zahl“. Das ganze Universum lässt sich durch einfache (d.h. natürliche) Zahlen und Verhältnisse solcher Zahlen beschreiben. Ihre musiktheoretischen Untersuchungen schienen dies eindrucksvoll zu bestätigen. („Zahlenharmonie“) Daraus resultiert auch eine bis ins Mystische reichende Beziehung zu Zahlen und ihren Gesetzmäßigkeiten. Sehr früh beschäftigten sich die Pythagoreer mit den so genannten figurierten Zahlen (Dreieckszahlen, Viereckszahlen, …;), welche aus einer Mischung von Geometrie, Spielerei, Zahlenmystik und Arithmetik entstammen und für den Pythagoreismus kennzeichnend war. Diese wurden auch durch entsprechende Figuren verdeutlicht. Solche Darstellungen können eine gute Hilfe beim Aufstellen entsprechender Formeln sein, z.B.: Dreieckszahlen:

••••

•••

••

• n)1n(21in1i ⋅+⋅=∑

=

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bzw. •••••

•••••

•••••

••••• n)1n(i2 n1i ⋅+=⋅∑

=

Anders angeordnet:

•••••

•••••

•••••

••••• n)1n(i2n1i ⋅+=⋅∑

=

Eine sehr ähnliche Figur führt zu einer anderen, bekannten Formel:

••••

••••

••••

•••• ²n)1i2(n1i =−⋅∑

=

Auch Fünfeckszahlen wurden von den Pythagoreern untersucht:

••••

••••

••••

••••

•••

••

• n)1n3(21)2i3(n1i ⋅−⋅=−∑

=

Die Pythagoreer teilten die natürlichen Zahlen schon in gerade und ungerade Zahlen. Die Arithmetik der Pythagoräer bestand im Studium der natürlichen Zahlen und ihrer Verhältnisse (d.h. der positiven rationalen Zahlen). Das Wort „Bruch“ kommt bei den Pythagoreern nicht vor. Sie verwendeten dafür den Begriff Verhältnis. Für das Rechnen mit Verhältnissen entwickelten sie die Proportionenlehre. Sie versuchten auch, alle kontinuierlichen Größen (Längen, Flächeninhalte, Volumina) mit einer Zahl zu belegen. Genauso wie die Einheit (=1) das gemeinsame Maß aller natürlichen Zahlen ist, nahmen sie an, dass auch kontinuierliche Größen ein gemeinsames Maß haben müssten. Damit könnte man jede kontinuierliche Größe mit einer natürlichen Zahl identifizieren, nämlich mit jener Zahl, die angibt, aus wie vielen Einheiten die Größe besteht. In heutiger Schreibweise: Zwei Strecken a, b heißen kommensurabel, wenn es eine Strecke s (=das gemeinsame Maß) und natürliche Zahlen k und n gibt, sodass gilt: a = k⋅s und b = n⋅s

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Außerdem erkannten die Griechen bereits: Sind zwei Strecken a, b kommensurabel, so ist auch a - b (bzw. b - a) mit a und b kommensurabel. Beweis: a = k⋅s, b = n⋅s ⇒ a - b = (k-n)⋅s Durch mehrfache Anwendung ergibt sich daraus das Verfahren der Wechselweg-nahme − besser bekannt unter dem Namen Euklidischer Algorithmus − zur Bestimmung des größten gemeinsamen Maßes zweier Größen bzw. des größten gemeinsamen Teilers zweier Zahlen. Zum Entsetzen der Pythagoräer entdeckten sie, noch dazu an ihrem eigenen “Ordenszeichen”, dem Sternfünfeck (auch: Pentagramm), dass es nicht kommensurable Größen gibt. Denn aus dem Verfahren der Wechselwegnahme erkennt man: Wenn von zwei Größen immer abwechselnd die kleinere von der größeren weggenommen wird und die übrigbleibende nie die vorhergehende misst, dann sind diese Größen inkommensurabel. Genau dies tritt beim Sternfünfeck ein: Angenommen, ACundAB wären kom-mensurabel. Dann wäre auch ´C´E´CEABAC ==− mit ACundAB kommensurabel, und diese sind mit ´C´E´AE´D´E −= kom-mensurabel. Also hätten Seite und Diago-nale im großen Fünfeck ABCDE dasselbe gemeinsame Maß wie Seite und Diago-nale im Fünfeck A´B´C´D´E´. Nun kann man das gleiche Verfahren auf dieses Fünfeck anwenden, usw. ad infinitum.

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Es kann daher kein gemeinsames Maß für die Seite und die Diagonale des Fünfecks geben. Sie sind inkom-mensurabel. Diese Erkenntnis von der Existenz inkommensurabler Strecken zerstörte die wesentliche Säule des pythago-räischen Weltbildes. Man spricht auch von der “ersten Grundlagenkrise der Mathematik”. (Bemerkung: Die (In-)Kommensurabilität ist in der Schule nicht nur aus historischen Gründen von Bedeutung. Denn die Formel für den Flächeninhalt des Rechtecks, A = a⋅b, ist nur dann mit elementaren Mitteln begründbar, wenn a und b kommensurabel sind. Um ihre Gültigkeit auch für inkommensurable a, b zu gewährleisten, benötigt man - in irgend einer Form - Grenzprozesse.)

Diese Erkenntnis von der Existenz inkommensurabler Strecken, in modernem Sinn: die Existenz irrationaler Zahlen, zerstörte die wesentliche Säule des Pythagoreischen Weltbildes. Dies war die erste Unmöglichkeitserkenntnis in der Mathematik und löste die erste Grundlagenkrise in der Mathematik aus. Als Ausweg aus dieser Grundlagenkrise wandten sie sich von der Arithmetik ab und der Geometrie zu. Denn als geometrische Objekte sind irrationale Größen offensichtlich existent, und damit stand die Problematik der Inkommensurabilität nicht mehr im Vordergrund. So zeigte später Theodoros, wie man Irrationalzahlen der Reihe nach konstruktiv ermitteln kann (Spirale des Theodoros – vgl. später). Berühmt wurden die Pythagoreer vor allem durch die uns heute bekannten Lehrsätze: Höhensatz: Wenn das ebene Dreieck rechtwinkelig ist, dann ist das Quadrat über der Höhe flächengleich zum Rechteck aus den beiden Hypotenusenabschnitten. Kathetensatz: Wenn das Dreieck rechtwinkelig ist, dann ist das Quadrat über einer Kathete flächengleich zum Rechteck aus Hypotenuse und dem anliegenden Hypotenusenabschnitt.

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Pythagoreischer Lehrsatz (Dieser ergibt sich aus der Addition der beiden Kathetensätze): Wenn das Dreieck rechtwinkelig ist, dann ist die Summe der Flächeninhalte der Kathetenquadrate gleich dem Flächeninhalt des Hypotenusenquadrats. Der Satz von Pythagoras war zwar schon in vorgriechischer Zeit bekannt, wurde aber von den frühen Pythagoreern erstmals bewiesen und trägt aus diesem Grund ihren Namen auch zu recht. Ob der Beweis aber auch von Pythagoras selbst stammt, ist mehr als zweifelhaft. (Analoges gilt auch für die übrigen Resultate der Pythagoreer.) Dementsprechend wäre auch die Bezeichnung „Pythagoreischer Lehrsatz“ treffender. Wie die Pythagoreer den Satz bewiesen, weiß man heute nicht genau. Man vermutet, dass es ein Flächenteilungsbeweis war, etwa: Der Satz von Pythagoras hat viele Menschen auch mathematische Laien, fasziniert. So tauchen im Laufe der Zeit immer neue Beweise auf. E.S Loomis hat 370 Beweise gesammelt, klassifiziert und in einem Buch publiziert. Manche dieser Beweise stammen von großen Mathematikern, wie Euklid oder Fibonacci. Andere von berühmten Persönlichkeiten aus der Kunst und der Politik, wie beispielsweise Leonardo da Vinci oder James Garfield (späterer Präsident der USA). Viele Beweise wurden aber auch von Schülern selbst entdeckt. Vor allem die Bedeutung des Beweises von Euklid hebt Loomis besonders hervor: „Das Weglassen von Euklids Beweis ist so, als ob man Shakespeares Hamlet ohne den Hamlet spielen würde.“ Beweis aus einer Übersetzung der Elemente des Euklid: „Sei ABC ein rechtwinkeliges Dreieck mit dem rechten Winkel ∠BAC. Wir zeichnen über BC das Quadrat BDEC, über BA bzw. AC die Quadrate BAGF bzw. ACKH. Nun zeichnen wir durch A eine Parallele AL zu BD und verbinden die Punkte A und D sowie F und C. Da die Winkel ∠BAC und ∠BAG beide rechte Winkel sind, so bilden an der Geraden BA im Punkt A die zwei

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nicht auf derselben Seite liegenden Linien AC, AG Nebenwinkel, die zusammen gleich zwei rechte Winkel sind. Also wird AG durch CA gerade fortgesetzt. Aus demselben Grund wird AH durch BA fortgesetzt. Ferner ist ∠DBC = ∠FBA, denn beide sind rechte Winkel. Daher füge man ∠ABC beiderseits hinzu. Dann ist der ganze Winkel ∠DBA dem ganzen Winkel ∠FBC gleich. Da ferner DB = BC und FB = BA ,so sind die zwei Seiten DB , BA den zwei Seite FB , BC (überkreuz) entsprechend gleich. Nun ist ∠DBA = ∠FBC, also ist AD = FC und ∆ ABD = ∆ FBC. Ferner ist das Rechteck BL = 2 ∆ ABD, beide haben ja dieselbe Grundlinie BD und liegen zwischen denselben Parallelen BD uns AL. Auch ist das Quadrat GB = 2 ∆ FBC, beide haben ja wiederum dieselbe Grundlinie, nämlich FB, und liegen zwischen denselben Parallelen FB und GC. Also ist das Rechteck BL gleich dem Quadrat GB. Ähnlich lässt sich, wenn man AE und BK zieht, zeigen, dass das Rechteck CL gleich dem Quadrat HC ist. Also ist das ganze Quadrat BDEC gleich der Summe der zwei Quadrate GB und HC. Dabei ist das Quadrat BDEC über BC gezeichnet und GB bzw. HC über BA bzw. AC . Also ist das Quadrat über der Seite BC den Quadraten übe den Seiten BA , AC zusammen gleich.“ Bzw. etwas kürzer und übersichtlicher: ∆ABD≅∆FBC ∆BMD=∆BAD (flächengleich) BMLD=2⋅∆BAD analog: � BAGF=2⋅∆FBC=2⋅∆BAD ⇒ � BAGF= BMLD analog: � ACKH= LECM ⇒ � BAGF + � ACKH = = BMLD + LECM = � BCED

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Der indische Mathematiker Bhaskara (um 1150) gab als Beweis nur folgende Figur, versehen mit dem Kommentar „Sieh da!“ an: Schließlich sei noch eine Beweisidee erwähnt, die von James Garfield (1831-1881) stammt, der als Präsident der USA in die Geschichte eingegangen ist:

Aus der Gleichheit des Trapezes mit den 3 Teildreiecken ergibt sich der PLS. Bitte rechnen Sie nach! Eine weitere beweisartige Visualisieruung:

Die Pythagoräer glaubten, dass die Welt aus Gegensätzen bestehen und dass Zahlen und Zahlenverhältnisse in diese Gegensätze Einheit und Ordnung bringen. In dieser Auffassung wurden sie vor allem durch ihre Untersuchungen zur Musiktheorie bestärkt. Sie erkannten nämlich, dass zwei Saiten, die bei gleicher Länge den selben

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Ton erzeugen, einen harmonisch klingenden Akkord ergeben, wenn deren Saitenlängen in einem einfachen ganzzahligen Verhältnis zueinander stehen: 1 : 2 ... Oktav, 2 : 3 ... Quint, 3 : 4 ... Quart, 3 : 5 ... große Sext, 4 : 5 ... große Terz, 5 : 6 ... kleine Terz, usw. Dies motivierte die Pythagoräer zu weiteren Untersuchungen von Proportionen und ähnlichen Beziehungen. Sie erkannten etwa, dass sich zwei Töne mit den Saitenlängen a und b als Außenglieder der Proportion a a b aba b b: :+

=+2 2

auffassen lassen. Die Zahl 2aba b+ tritt auch in der Beziehung

1 1 1 1a c c b− = − auf, die wiederum für die Anzahlen der Flächen (a), Kanten (b) und Ecken (c) eines Würfels gilt. Die Auffassung, dass dies Anzeichen einer tieferen Weltordnung sind, ist m. E. nachvollziehbar. Nicht nur die Pythagoräer beschäftigten sich mit solchen Beziehungen, auch später betrachtete z. B. Eratosthenes (276 - 194 v. Chr.) sogenannte Medietäten, d.h. Beziehungen zwischen drei Größen, wie etwa:

.m.a.u )ca ac2b(c:a)cb(:)ba( )acb(c:bb:a )2 cab(a:a)cb(:)ba(+

=⇒=−−

=⇒=

+=⇒=−−

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Die Pythagoreer kannten außerdem die Regeln zur Berechnung pythagoreischer Zahlentripel, d.h. positive ganze Zahlen a, b und c, die den Lehrsatz des Pythagoras erfüllen. Neben den Pythagoreern gab es in der ionischen Periode noch andere bedeutende Mathematiker. Hier wäre als erstes Anaxagoras von Klazomenai (um 450 v.Chr.) zu nennen, der vor allem als Naturphilosoph bekannt ist. Er interessierte sich aber auch sehr für Astronomie. In der Mathematik war er einer der Ersten, der sich mit der Quadratur des Kreises (vgl. später) beschäftigte. Neben ihm ist noch Demokritos von Abdera (um 400 v.Chr.) zu erwähnen. Er war, wie Anaxagoras, Naturphilosoph und vertrat die Lehre, dass die Materie aus Atomen aufgebaut sei. Sie glaubten, dass die Sterne von der Wirbelbewegung des Äthers ungeordnet herumgerissen werden und standen damit im Gegensatz zu den Pythagoreern. Denn nach deren Lehre, bewegten sich die Gestirne auf Grund von göttlichen Gesetzen in ewig gleicher Weise auf ihren Kreisbahnen. Gegen die materialistischen Lehren von Anaxagoras und Demokritos waren dann verschiedene Philosophen wie Sokrates und Platon aufgetreten, da sie ihre Lehren für Gottlosigkeit und Sittenverfall verantwortlich machten. In der Geometrie entdeckte Demokritos laut Archimedes die Volumsformel für Kegel und Pyramide (im Wesentlichen durch Verwendung einer Art von Cavalieri´schem Prinzip). Damit war er einer der ersten Vorläufer der Infinitesimalrechnung. In der Mitte des fünften Jahrhunderts lebten Hippokrates von Chios (um 430 v.Chr.) und Theodoros von Kyrene. Hippokrates hatte in der Elementargeometrie bedeutende Kenntnisse über den Zusammenhang zwischen Peripheriewinkel und Bogen, über die Konstruktion des regelmäßigen Sechsecks und über die Verwandlung von Polygonen in flächengleiche Quadrate. Er zeichnete sich vor allem durch eine hervorragende Beweistechnik aus. Außerdem stellte er hohe Anforderungen an die Strenge der Beweise. Als er nach Athen kam, befasste er sich mit den drei klassischen Problemen der Antike (siehe Kapitel xxx.). Als er versuchte, das Delische Problem der Würfelverdoppelung zu lösen, fand er heraus, dass dieses mit der Aufgabe äquivalent ist, zwischen den Zahlen a (=Würfelkante) und 2a zwei mittlere Proportionale x und y einzuschalten, d.h. a : x = x : y = y : 2a. Berühmt wurde er aber durch seinen Versuch das Problem der Quadratur des Kreises zu lösen. Dabei gelang es ihm, durch Kreisbögen

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begrenzte Flächenstücke („Möndchen des Hippokrates“) konstruktiv in ein flächengleiches Quadrat bzw. Dreieck zu verwandeln. Dies war, so weit wir wissen, die erste exakte Quadratur einer Fläche, die nicht von Geraden begrenzt wird. Theodoros zeigte auch auf einfache Weise, wie man die Irrationalzahlen 2 bis 17 der Reihe nach konstruktiv ermitteln kann.

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2.2.2. Die Athenische Periode (von etwa 400 v.Chr. bis 300 v.Chr.) Allgemeine Geschichte und kulturhistorischer Hintergrund Im 5. und 4. Jahrhundert v.Chr. schloß sich Athen mit anderen Stadtstaaten im griechisch besiedelten Raum zum Attischen Seebund zusammen und errang eine führende Stellung. Dieser Seebund betrieb einen ausgebreiteten Seehandel und einen groß angelegten Silberbergbau und schaffte sich damit eine politische und militärische Vormachtstellung. Unter Perikles erlebte die von Solon und Kleisthenes eingeführte Demokratie ihre deutlichste Ausprägung und eine Zeit der kulturellen Hochblüte. So fallen in diese Zeit der Bau der Akropolis, die Entwicklung der bildenden Künste und eine Hochblüte des griechischen Theaterlebens, welche noch heute beeindruckende Zeugnisse antiker Kultur sind. Auch die Wissenschaften konnten sich in dieser Periode des wirtschaftlichen und politischen Aufschwungs günstig entwickeln. Durch die Demokratie errang die Rhetorik eine große Bedeutung, was zum Auftreten von Rhetorik-Lehrern (insbesondere der „Sophisten“) führte. Diese friedliche und fruchtbare Periode ging jedoch sehr bald zu Ende, denn der von 431 bis 404 v.Chr. dauernde Peloponnesische Krieg zwischen Athen und Sparta zog ganz Griechenland in Mitleidenschaft und endete schließlich mit dem Sieg Spartas. Wenig später fiel dann das innerlich geschwächte Griechenland der Eroberung durch den mazedonischen König Phillip zum Opfer. 338 v.Chr. wurde Griechenland schließlich ganz Bestandteil des mazedonischen Reiches. Philipps Sohn Alexander von Mazedonien eroberte in kurzer Zeit – trotz seines frühen Todes im Jahre 323 v.Chr. - auch Ägypten, den vorderen Orient und Teile von Zentralasien und Indien. Mit diesem Weltreich begann das Zeitalter des Hellenismus und damit die Alexandrinische Periode. (Siehe Kapitel 2.2.3.) Die athenische Periode dauerte zwar nur kurz, hat aber dennoch das Wesen der antiken Wissenschaft stark geprägt. Mathematik und wichtige Vertreter in der Athenischen Periode Zwischen 450 und 400 v.Chr. war in Athen die Blütezeit der Sophisten, eine Gruppe von wandernden Lehrern und Philosophen. Das Wort „Sophist“ bezeichnet eine gelehrte oder sachkundige Person, bekam aber durch das Wirken der Sophisten einen negativen Beigeschmack. In Athen verdienten sie ihren Lebensunterhalt damit, die Bürger der Stadt zu unterrichten und ihnen für Geld ihre Kenntnisse zur Verfügung zu stellen. Unter den Sophisten gab es zwei bedeutende Mathematiker: Zenon von Elea (um 450 v.Chr.) und Hippias von Elis (um 420 v.Chr.). Bei dem Versuch, das Problem der Winkeldreiteilung zu lösen, stieß Hippias auf die Quadratix. Sie war vermutlich die erste in der Mathematik eingeführte, über Gerade und Kreis hinausgehende Kurve und lässt sich auch zur Quadratur des Kreises ausnutzen.

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Von Zenon stammen vierzig Paradoxa. Bekannt wurde er vor allem durch das Paradoxon von Achill und der Schildkröte. Damit wollte Zenon zeigen, dass die Annahme der Teilbarkeit des Raumes, der Zeit und der Bewegung zu absurden Resultaten führt. Dadurch griff er das „diskrete“ Weltbild der Pythagoreer an und vertrat damit das dazu im Gegensatz stehende Grundprinzip der Unteilbarkeit und Beständigkeit allen Seins. (Der Gegensatz „diskret – kontinuierlich“ war also bereits im Altertum vorhanden.) Er war damit auch der Begründer der Methode des indirekten Beweises. Weiters war er mitverantwortlich dafür, dass die Griechen die Geometrie der Arithmetik vorzogen (siehe das Kapitel Pythagoras von Samos) und ihre Mathematik weitgehend auf die Geometrie aufbauten. Außerdem verspürten sie den Wunsch nach einem Aufbau der Mathematik, der vor Kritikern wie den Sophisten gefeit ist. Dieses Bemühen war schließlich mit Euklids Buch „Die Elemente“ und der darin verwendeten axiomatischen Methode efolgreich. Platon (427-347 v.Chr.) und Aristoteles von Stagira (384-322 v.Chr.) waren zwar hauptsächlich Philosophen und erbrachten keine großen mathematischen Einzelleistungen, aber sie waren beide sehr an der Mathematik interessiert. Beide wirkten in Athen und beeinflussten die abendländische Wissenschaft bis ins Mittelalter über die Kirchenlehre des Frühchristentums und über den Humanismus entscheidend. Platon war Schüler des berühmten Philosophen Sokrates. Nach dessen Tod begab er sich auf eine elfjährige Reise nach Unteritalien, Sizilien und wahrscheinlich auch Ägypten. Bei dieser Reise kam er mit den Pythagoreern in Berührung und lernte ihre Art des Denkens kennen. Nach der Rückkehr von seiner Reise eröffnete er bei Athen seine eigene philosophische Schule und zwar in einem Hain, der den Namen des griechischen Sagenhelden Akademos trug. (Deshalb der Name Akademie) Es wurde dort Philosophie, Mathematik und Gymnastik „unterrichtet“. Unterrichten ist dafür allerdings nicht das richtige Wort. Denn das lebendige Gespräch war das Wichtigste. Der Mathematik hat Platon große Wichtigkeit zugemessen und so stand über dem Eingang der Akademie der Satz „Kein der Geometrie Unkundiger möge hier eintreten.“ Platon hatte mit vielen Mathematikern seiner Zeit Kontakt und berief einige an seine Akademie. Er wollte die Schlussweisen der Mathematik auch auf andere Gebiete anwenden und überall eine streng logische Systematik nach dem Schema: „Definition, Axiome, Beweise (in direkter oder indirekter Schlussweise)“ einführen. Weiters soll er die „analytische Beweismethode“ (von der Behauptung auf richtige Aussagen schließen und dann versuchen, die Schlusskette umzukehren) erfunden und die zur geometrischen Konstruktion zugelassenen Hilfsmittel auf Zirkel und Lineal beschränkt haben. Auch die „Elemente“ des Euklid beeinflusste Platon mit seinen Forderungen.

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Aristoteles war Schüler an der Akademie Platons und blieb dort bis Platons Tod. Danach wurde er an den Hof von König Phillip von Makedonien berufen, wo er sich um die Erziehung seines Sohnes Alexander des Großen kümmerte. Danach kehrte er nach Athen zurück und gründete das Lykeion, das noch mehr den Charakter einer Forschungsstätte hatte. Aristoteles war hauptsächlich Philosoph und Biologe und wie bereits erwähnt auch sehr an der Mathematik interessiert. So ist seine formale Logik ganz auf mathematische Schlüsse gestützt und sicher unter dem Einfluss der damaligen Mathematik entstanden. Platon hatte zwei bedeutende Schüler namens Theaitetos und Eudoxos von Knidos (beide um 370 v.Chr.) Theaitetos zeigte, dass die Quadrat- bzw. Kubikwurzel aus einer natürlichen Zahl, die keine Quadrat- bzw. Kubikzahl ist, eine irratonale Zahl ist. Er löste wahrscheinlich das Klassifikationsproblem der regulären Polyeder, indem er zeigte, dass es neben den drei schon den Pythagoreern bekannten Polyedern noch das Oktaeder und das Ikosaeder, aber keine weiteren regulären Körper gibt. Dies kann man bereits in einer 2.oder 3. Klasse AHS zeigen: etwa bei der Behandlung von Quadern und Pyramiden werden in der Schule auch “regelmäßige” Körper wie Würfel und Tetraeder besprochen. Dabei könnte man auch die Aufmerksamkeit auf folgende Eigenschaften richten: Sie sind jeweils von einem regelmäßigen Viereck (Quadrat) bzw. einem regelmäßigen (d.h. gleichseitigen) Dreieck begrenzt, und in jeder Ecke kommen die gleiche Anzahl von Kanten bzw. Flächen zusammen. (Keine Ecke ist also vor einer anderen ausgezeichnet.) In dieser Unterrichtseinheit sollte auch erwähnt werden, dass es noch weitere solche regelmäßigen Körper, auch Platonische Körper genannt, gibt. Man kann durchaus in der zweiten oder dritten Klasse schon beweisen, dass es nicht mehr als fünf Platonische Körper geben kann. Dazu formen wir einen Teil des Netzes solcher Körper: Drei gleichseitige Dreiecke können zu einem Tetraeder vervollständigt werden: Vier gleichseitige Dreiecke liefern vorerst eine quadratische Pyramide, also keinen regelmäßigen Körper; aber durch Verdoppeln erhält man ein Oktaeder. Dass man fünf gleichseitige Dreiecke tatsächlich durch Hinzufügen von weiteren solchen Dreiecken zu einem Platonischen Körper, dem aus 20 Dreiecken

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bestehenden Ikosaeder vervollständigen kann, ist natürlich nicht so unmittelbar einzusehen, kann aber durch Herstellen eines Faltmodells plausibel gemacht werden. Sechs gleichseitige Dreiecke bilden ein flaches Sechseck, d.h. es kann keinen Körper geben, in dessen Ecken sechs gleichseitige Dreiecke zusammenstoßen. Fahren wir fort mit dem “nächsten” regelmäßigen Polygon, dem Quadrat. Drei Quadrate bilden eine Ecke eines Würfels; vier Quadrate ergeben – ähnlich wie zuvor die sechs Dreiecke – kein räumliches Gebilde. Aus drei regelmäßigen Fünfecken kann man, wie man sich – wie beim Ikosaeder – durch Vervollständigung des Netzes vor Augen führen kann, ebenfalls einen Platonischen Körper, das Dodekaeder, aufbauen. Vier Fünfecke bzw. drei Sechsecke bzw. Polygone mit größerer Eckenzahl sind nicht möglich. Also gibt es fünf Platonische Körper. (Netze der Platonischen Körper: siehe eigenes File!) Diesen Platonischen Körpern sowie auch anderen Regelmäßigkeiten von Zahlen und Figuren (vgl. später!) wurde oft eine geradezu mystische Bedeutung beigemessen. So versuchte etwa Johannes Kepler die Durchmesser der Planetenbahnen durch ineinandergeschachtelte Platonische Körper zu erklären. Eudoxos war nicht nur einer der bedeutendsten Mathematiker des Altertums, sondern auch ein sehr guter Arzt, Astronom, Philosoph und Geograph. Er studierte

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bei dem Pythagoreer Archytas von Tarent Geometrie (siehe das Kapitel über Pythagoras von Samos). Unter seinem Einfluss wandte er sich wahrscheinlich auch der Zahlen- und Musiktheorie zu. Dies war Vorraussetzung für seine bekannteste Leistung, die Weiterentwicklung der Proportionenlehre (wie sie in Euklids Elementen beschrieben ist), die erste exakte Theorie der Irrationalzahlen. Die Erneuerung bestand darin, dass Eudoxos für seine Definition keine Vorraussetzungen mehr über die Kommensurabilität der Größen benötigte. Die Pythagoreer definierten: A : B = C : D � ∃m, n ∈ N mit mA = nC und mB = nD Eudoxos hingegen definierte: A : B = C : D � ∀m, n ∈ N: mA < nC ⇒ mB < nD, mA = nC ⇒ mB = nD, mA > nC ⇒ mB > nD Diese Definition der Irrationalzahlen ist mit dem Dedekind´schen Schnitt äquivalent. Seine zweite große Leistung war der Beweis der Behauptung, dass der Inhalt eines Kegels oder einer Pyramide ein Drittel des Inhalts eines Zylinders oder Prismas mit gleicher Basis und Höhe beträgt. Dazu verwendete er eine Methode, die seit dem 17. Jahrhundert Exhaustionsmethode11 genannt wird. Mit Hilfe dieser Methode zeigte er auch, dass der Inhalt des Kreises proportional zum Quadrat des Durchmessers und der Inhalt der Kugel proportional zum Kubus des Durchmessers ist. Somit ist er einer der ersten Vorläufer der Integralrechnung. Eudoxos fand auch eine Lösung für das Problem der Würfelverdoppelung (siehe Kapitel 2.2.5.) durch gekrümmte Linien. Diese Lösung kennen wir aber nicht. Menaichmos und Deinostratos (um 350 v.Chr.) waren Schüler von Eudoxos. Menaichmos beschäftigte sich, wie viele andere, mit dem delische Problem der Würfelverdoppelung. Er war vor allem als Astronom und Geometer berühmt. Deinostratos, der Bruder des Menaichmos, löste das Problem der Quadratur des Kreises mit Hilfe der von Hippias entdeckten Quadratix. Autolykos (um 310 v.Chr.) war zwar kein sehr bedeutender Mathematiker und Astronom aber er war der erste griechische Mathematiker, von dem Bücher vollständig erhalten sind und zwar das Buch „Über die sich drehende Sphäre“ und das Buch „Über den Aufgang und Untergang der Sterne“. Aus diesem Buch gewinnt man einen Einblick in den mathematischen Stil der damaligen Zeit. Autolykos 11 exhaurire: lat. ausschöpfen

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verwendete eine Reihe geometrischer Sätze ohne Beweise und Quellen anzugeben, was daraus schließen lässt, dass diese schon damals sehr bekannt waren. 2.2.3. Die Alexandrinische Periode (von etwa 300 v.Chr. bis 200 v.Chr.) Allgemeine Geschichte und kulturhistorischer Hintergrund 332 v.Chr. gründete Alexander in Ägypten im Nildelta die nach ihm benannte Hauptstadt Alexandria. Sie entwickelte sich sehr rasant zu einer Großstadt und hatte nach nur 75 Jahren bereits 800 000 Einwohner (doppelt soviel wie Athen). Dies zeigt die Verschiebung des ökonomischen und politischen Schwerpunktes in der antiken Welt. Kurz nach Alexanders Tod (323 v.Chr.) zerfiel sein Großreich in viele Teile, welche von den Diadochen12 regiert wurden. Nach langen Kämpfen der Diadochen untereinander bildeten sich etwa seit 280 v.Chr. unter der folgenden Generation die drei großen hellenistischen Reiche: Ägypten unter den Ptolemäern, Syrien, Mesopotamien, Iran unter den Seleukiden13, und Makedonien (und später das Reich Pergamon). Ägypten blieb dabei die nächsten Jahrhunderte bis zur Eroberung durch die Römer unter Julius Cäsar das ökonomisch und politisch stärkste Teilreich. Unter der Herrschaft der Ptolemäer wurde Alexandria zum wissenschaftlich-kulturellen Zentrum der ganzen hellenistischen Welt und konnte diese Stellung mehrere Jahrhunderte behalten. Noch vor 300 v.Chr. wurde dort das „Museion“, eine Akademie der Wissenschaft, vom Diadochen Ptolemaios Soter gegründet. Es war das erste staatlich gegründete und unterhaltene Forschungszentrum und besaß Bibliotheken, Hörsäle, Arbeitszimmer, eine Mensa, eine Sternwarte und einen zoologischen und botanischen Garten. Während der ersten zwei bis drei Jahrhunderte des Bestehens des Museions haben alle bedeutenden Naturforscher und Mathematiker in Alexandria gewirkt oder dort ihre Ausbildung erhalten. Diese sind dann auch weiterhin mit der Akademie in Verbindung gestanden, wie beispielsweise Euklid, 12 Die Diadochen (griech.: Nachfolger) waren die Feldherren Alexanders, die sich nach dessen Tod sein Reich teilten. 13 Die Seleukiden waren die von Seleukos I. Nikator begründete hellenistische Herrscherdynastie in Syrien, die von 312 bis 64 v.Chr. regierte. Ihr Reich umfasste beim Tod Seleukos´ I. fast ganz Vorderasien bis zum Indus. Im 3. Jhdt. v.Chr. gingen jedoch große Gebiete im Osten verloren. Unter den Seleukiden breitete sich die hellenistische Kultur weit nach Osten aus, ihr Einfluss reichte (über die Seidenstraße) bis Zentralasien sowie nach Nordindien.

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Archimedes, Apollonios, Diophantos, Eratosthenes von Kyrene, Heron von Alexandria, Pappos von Alexandria und viele andere mehr. Die Bibliotheken hatten nicht nur die Aufgabe, die wissenschaftlichen Werke zu sammeln und textkritisch zu überarbeiten, die angefertigten Kopien stellten auch für den Staat eine wertvolle Einnahmequelle als Exportgegenstand dar. Die Mathematikerschule hat in Alexandria noch bis 415 n.Chr. bestanden. Mathematik und wichtige Vertreter in der Alexandrinischen Periode Euklid (etwa 365 bis 300 v.Chr.) steht am Ende der Athenischen Periode und am Anfang der Alexandrinischen Periode. Seine philosophische, wissenschaftliche und mathematische Ausbildung erhielt er wahrscheinlich an der Platonischen Akademie. Diese beeinflusste seinen Stil und seine Art Mathematik zu betreiben sehr stark. Er wirkte am Museion von Alexandria und erhielt dort ein reichliches Gehalt aus der königlichen Kasse. Euklid fasste die gesamten mathematischen Kenntnisse seiner Zeit zusammen und bildete damit den Schlusspunkt für die Athenische Periode, aber auch einen Ausgangspunkt für die weiteren Entwicklungen der Mathematik. Sein Hauptwerk sind „Die Elemente“ (griech. ta stoicheia - τα στοιχεια). Diese bestehen aus dreizehn Büchern, wobei die ersten sechs die Planimetrie, die folgenden drei die elementare Zahlenlehre, das zehnte die Theorie der Irrationalzahlen und die letzten drei die Stereometrie behandeln. Dabei wird alles nur theoretisch und in streng logischem Aufbau behandelt. Am Anfang stehen Definitionen, Axiome und Postulate, dann folgen Sätze und Konstruktionen. Auf praktische Berechnungs- und Anwendungsmöglichkeiten wird nicht eingegangen. In Folge schrieb er noch neun Bücher, von denen allerdings nicht mehr alle erhalten sind. Schöpferische Eigenleistungen kennt man aber von Euklid keine. Mit den „Elementen“ beeinflusste er die Mathematik bis in unsere Zeit, und so gibt es mehrere mathematische Begriffe, die nach ihm benannt sind. „Die Elemente“ wurden immer wieder kopiert und in späterer Zeit gedruckt. Die erste gedruckte Ausgabe erschien in Venedig 1482, als eines der ersten im Druck erschienen mathematischen Bücher. Bis in unsere Zeit haben die „Elemente“ auch den Schulunterricht (insbesondere in den USA), und dabei speziell den Geometrieunterricht, stark beeinflusst. Besondere Berühmtheit erlangte der folgende Satz: Satz von Euklid Es gibt unendlich viele Primzahlen. Bzw. mit Euklids Worten (Buch IX, Proposition 20): „Es gibt mehr Primzahlen als jede vorgelegte Anzahl von Primzahlen.“

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Beweis: Angenommen, es gäbe nur endlich viele Primzahlen p1, p2, …, pn. Es sei m = p1∙p2∙ … ∙pn + 1. Entweder m ist selbst eine Primzahl, dann ist sie größer als p1, p2, …, pn und somit eine weitere Primzahl im Widerspruch zur Annahme. Andernfalls muss sie mindestens einen Primteiler q besitzen. Wäre q eine der Primzahlen p1, p2, …, pn., so würde q sowohl p1∙p2∙ … ∙pn als auch p1∙p2∙ … ∙pn + 1 teilen. Dann muss q aber auch die Differenz, also 1, teilen, was absurd ist. Also ist q eine weitere Primzahl, die noch nicht in der Liste p1, p2, …, pn erfasst ist, was wiederum der Annahme widerspricht. Die Annahme, es gäbe nur endlich viele Primzahlen, ist also falsch. In der folgenden Zeit bis zum Untergang der Antike, fand die mathematische Entwicklung hauptsächlich am Museion in Alexandria statt oder stand zumindest in engem Kontakt zu diesem. Anders als in Athen, wo sich die Bürger sehr für Kunst und Wissenschaft interessierten, wurde die Mathematik nun zu einer Sache weniger Gelehrter. Als einer der bedeutendsten Mathematiker des Altertums gilt Archimedes (etwa 287 bis 212 v.Chr.). Er hatte eine Verbindung mit den Mathematikern in Alexandria – Eratosthenes (siehe nächste Seite) stand mit ihm im Briefwechsel – und wirkte vermutlich dort auch einige Zeit. Die meiste Zeit seines Lebens verbrachte er aber in Syrakus, wo er enge Beziehungen zum Königshaus hatte. Als Wissenschaftler genoss er im Altertum hohes Ansehen, und so sind über ihn auch zahlreiche Anekdoten überliefert, in denen er als zerstreuter Gelehrter dargestellt wird. So soll er, als er im Bad das Archimedische Prinzip der Hydrostatik14 entdeckte, „Heureka, Heureka (Ich hab´s, ich hab´s!)“ rufend, splitternackt durch die Straßen nach Hause gelaufen sein. Im Zweiten Punischen Krieg wurde die Stadt Syrakus dank der von Archimedes erfundenen Waffen zwei Jahre lang erfolgreich gegen die Römer verteidigt und fiel erst durch eine Kriegslist. So wurde Archimedes dann auch von einem plündernden römischen Soldaten erschlagen. Unser Wissen über Einzelheiten aus dem Leben des Archimedes ist, im Vergleich zu anderen bedeutenden Mathematikern der 14 Das hydrostatische Prinzip besagt: „Ein in eine Flüssigkeit getauchter Körper verliert scheinbar so viel an Gewicht wie die von ihm verdrängte Flüssigkeit wiegt.“

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Antike, sehr groß. Überliefert sind uns von ihm nur Einzelabhandlungen, aber kein zusammenfassendes Werk. Als Astronom konstruierte er ein Planetarium, in dem die Bewegungen der Sonne, des Mondes und der damals bekannten fünf Planeten simuliert wurde. In der Mechanik leitete er streng logisch das Hebelgesetz15 her und verwendete es dann zur Berechnung der Schwerpunkte von Dreiecken, Parallelogrammen, Trapezen und Parabelteilen. Weiters formulierte er das nach ihm benannte Gesetz für den Auftrieb in seiner Arbeit „Über schwimmende Körper“. Seine Abhandlungen über Mechanik sind axiomatisch aufgebaut und leiten auf deduktivem Weg unter Verwendung mathematischer Methoden erstaunliche Resultate her. All diese Arbeiten zeigen ihn als Begründer der mathematischen Physik. In seinen Abhandlungen „Die Quadratur der Parabel“ und „Über Kugel und Zylinder“ gab er strenge Beweise für Flächeninhalts-, Oberflächen- und Volumsformeln der betreffenden Flächen bzw. Körper. In weiteren Arbeiten berechnete er die Volumina von Drehellipsoiden und Drehparaboloiden, die Fläche einer Ellipse und die Fläche innerhalb der Spiralen. In seiner Arbeit „Kreismessung“ gab er eine ziemlich gute Näherung für π an. In allen diesen Arbeiten verwendete er die Exhaustionsmethode und kann damit als Begründer der Integralrechnung angesehen werden. Leider sind auch einige seiner Werke verloren gegangen, in denen er beispielsweise die „Heron`sche Flächenformel“ für das Dreieck angegeben haben soll. In seiner Arbeit „Psammites“ (Sandrechnung) zeigte Archimedes, wie man in der damals üblichen „Ionischen Ziffernschreibweise“ (Buchstaben des Alphabets für Zahlen) auch sehr große Zahlen anschreiben und verarbeiten konnte. Dazu berechnete er, wie viele Sandkörner notwendig sind, um das Universum in der damals angenommenen bzw. von Aristarchos berechneten Größe mit Sandkörnern auszufüllen. Er erhielt 1063 als Ergebnis. Dies ist einer der wenigen Fälle der Antike, in dem sich ein Mathematiker mit einem Problem der „Logistik“ beschäftigte. Archimedes stellte den Höhepunkt der antiken Mathematik dar. Er blieb ohne Nachfolger und seine Gedankengänge blieben ohne Fortsetzung, da sie den Rahmen der griechischen Mathematik sprengten. Erst im 17. Jahrhundert wurde in Europa die von ihm erreichte Höhe des mathematischen Denkens überschritten. Eratosthenes von Kyrene (um 230 v.Chr.) war in gewisser Weise ein Konkurrent von Archimedes, erreichte ihn aber nie. Deswegen nannte man ihn „Beta“ (d.h. Nummer zwei) oder „Pentathlos“ (d.h. Fünfkampfathlet, ein Sportler, der in mehreren Disziplinen gut, aber nirgends herausragend ist). Er war nämlich Mathematiker, Geograph, Historiker, Philologe und Dichter. Außerdem war er Direktor der weltberühmten Bibliothek von Alexandria. Zu seinen mathematischen Leistungen 15 Hebelgesetz: „Zwei Größen halten sich das Gleichgewicht, wenn ihre Abstände umgekehrt proportional sind zu ihren Gewichten.“

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zählen eine mechanische Vorrichtung zur Lösung des Delischen Problems (verschiebbare Platten) und das nach ihm benannte Primzahlsieb. Eratosthenes´ bedeutendste Leistungen liegen auf dem Gebiet der Geographie. Mit ihm beginnt die wissenschaftliche Geographie. Insbesondere führte er zum erstenmal eine Messung des Erdumfangs durch und kam dabei auf die für die Antike überraschend genaue Berechnung des Erdumfanges.

Im Jahre 194 v.Chr. starb er, nachdem er erblindet war, durch Selbstmord. Kurz nach Eratosthenes lebte Nikomedes (um 180 v.Chr.). Auch er war in Alexandria tätig. Er entdeckte die Konchoide, mit deren Hilfe er dann eine Lösung des Problems der Winkeldreiteilung und des Problems der Würfelverdoppelung fand. Bedeutender als Nikomedes und der wohl beste Geometer des Altertums war Apollonios von Perge (etwa 262 bis etwa 190 v.Chr.). Er war Professor an der Akademie von Alexandria und ein Zeitgenosse von Archimedes und befasste sich wie er mit der Geometrie, jedoch in ganz unterschiedlicher Weise. Archimedes beschäftigte sich ja mehr mit Flächeninhaltsbestimmungen geometrischer Figuren. Apollonios hingegen richtete sein Hauptaugenmerk auf die Form geometrischer Figuren und insbesondere auf Relationen zwischen Kegelschnitten. In der Astronomie war er wahrscheinlich der Erfinder der Theorie der Epizyklen und der Exzenter (d.h. der Planet bewegt sich auf einer kleinen bzw. großen Kreisbahn, deren Mittelpunkt selbst einen größeren bzw. kleineren Kreis um den Beobachter beschreibt). Diese Theorie war bis ins ausgehende Mittelalter die Grundlage der theoretischen Astronomie.

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Von seinen mathematischen Werken sind viele verloren gegangen und wir wissen nur von diesen durch Andeutungen späterer Mathematiker. So soll er eine Arbeit „Schnellrechner“, in der er an die Sandrechnung des Archimedes anknüpft, ein Werk „Über Berührungen“, ein weiteres „Über ebene geometrische Orte“ und eine Arbeit „Über regelmäßige Körper“ geschrieben haben. In dem Buch „Über Berührungen“ behandelte er das nach ihm benannte berühmte Berührungsproblem: Gegeben sind drei Dinge, von denen jedes ein Punkt, eine Gerade oder ein Kreis sein kann. Bestimme in jedem der möglichen Fälle einen Kreis, der durch jeden der gegebenen Punkte geht und die gegebenen Geraden und Kreise berührt. Alle zehn möglichen Fälle wurden von Apollonios gelöst. Sein Hauptwerk, die „Konika“ (Kegelschnitte) umfasste 8 Bücher, ist größtenteils erhalten und ist neben den „Elementen“ von Euklid das bedeutendste überlieferte mathematische Werk des Altertums. Dieses Werk enthält eine Zusammenfassung der damaligen Kenntnisse über Kegelschnitte und wird durch seine eigenen Resultate ergänzt. Vor Apollonios stellte man sich jeden drei Kegelschnitte aus einem rechtwinkeligen Schnitt mit je einem speziellen Kegel entstanden vor. Die Parabel war also ein rechtwinkeliger Schnitt an einem rechtwinkeligen Kegel, die Ellipse ein rechtwinkeliger Schnitt an einem spitzwinkeligen Kegel und die Hyperbel ein rechtwinkeliger Schnitt an einem stumpfwinkeligen Kegel. Apollonios definierte nun alle Kegelschnitte als Schnitte am selben Kreiskegel (durch unterschiedliche Lage der Ebene). Weiters treten die Bezeichnungen „Ellipse“, und „Hyperbel“ erstmals auf (der Begriff „Parabel“ kommt schon bei Archimedes vor) und konjugierte Durchmesser, Tangenten, Hyperbelasymptoten, Pol und Polare werden behandelt. Es werden die Brennpunkteigenschaften der Kegelschnitte und die projektive Erzeugung der Kegelschnitte aus zwei Strahlbüscheln untersucht und kongruente und ähnliche Kegelschnitte betrachtet. Die Methoden von Apollonius erinnern vielfach an die Verwendung von Koordinaten, so dass Apollonios als Vorläufer der analytischen Geometrie angesehen werden kann.

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Die Kenntnisse der Griechen über Kegelschnitte blieben weitgehend theoretischer Art. In den Naturwissenschaften und vor allem in der Astronomie beschränkten sich die Griechen auf die Verwendung von Geraden und Kreisen. Erst 1800 Jahre nach Apollonios entdeckte Johannes Kepler die Bedeutung der Kegelschnitte für die Astronomie. 2.2.4. Die Spätzeit (von etwa 200 v.Chr. bis 300 n.Chr.) Allgemeine Geschichte und kulturhistorischer Hintergrund In dieser letzten Periode handelt es sich um eine Periode des Verfalls der Kultur, der Wissenschaft und auch der Mathematik. Grund dafür war die um sich greifende Stagnation der ökonomischen Entwicklung der Gesellschaft, die Herrschaft der Römer, welche sich immer mehr ausbreiteten und die in der zweiten Hälfte dieser Periode beginnende Zersetzung und Auflösung des römischen Weltreiches. Die griechische Mathematik ging aber nicht verloren, sondern lebte in der Mathematik der islamischen Länder weiter. So wurden ab dem 8. Jahrhundert wesentliche antike mathematische Autoren ins Arabische übersetzt. Mathematik und wichtige Vertreter der Spätzeit Ab etwa 150 v.Chr. kam es in der griechischen Mathematik zu einem deutlichen Niedergang. Es gibt zwar noch einige Mathematiker, die noch offene Probleme lösten, aber im Allgemeinen gab es keine bedeutenden Neuentdeckungen mehr. Es gerieten sogar die bisherigen Entdeckungen mit der Zeit in Vergessenheit. Nur bei den Anwendungen der bisher bekannten Mathematik gab es noch Fortschritte. Die mathematischen Kenntnisse wurden in Astronomie, Geographie, Mechanik und Optik angewendet. Dadurch wurde die Trigonometrie weiterentwickelt. Die Griechen rechneten dabei mit „Vorläufer“ der Winkelfunktionen, nämlich mit Sehnen von Kreisbögen. Im 5. Jahrhundert n.Chr. gingen die indischen Astronomen bereits von den Sehnen zum Sinus über. Danach führten die Araber den Tangens und Kotangens ein, was die Berechnung sehr vereinfachte (Der Tangens und Kotangens standen in Tabellenform zur Verfügung). Die Ursache für den Niedergang lag, wie bereits zuvor erwähnt, teilweise in der Herrschaft der Römer, welche sich immer mehr ausbreiteten. Diese waren nicht sonderlich interessiert an der Mathematik und ihrer Förderung. Der Niedergang hatte aber auch einen anderen Grund, nämlich die schwerfällige und

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bezeichnungstechnisch ungünstige Gestalt der griechischen Mathematik sowie die Unhandlichkeit der geometrisch formulierten griechischen Algebra. Dadurch waren die damaligen Bücher sehr schwer verständlich und für das Selbststudium ungeeignet. Wenn an einem Ort die Kontinuität einer Schule unterbrochen wurde (wie beispielsweise durch Kriege), so konnte diese kaum wieder aufleben, auch wenn die Bücher vorhanden waren. Um das „alte“ Wissen zu sichern, wurde es üblich, ausführliche Kommentare zu allen bedeutenden mathematischen Werken zu verfassen. Ihre Aufgabe war es, Definitionen zu erläutern, knappe Beweise ausführlicher darzustellen oder den gegenseitigen Zusammenhang von Sätzen zu verdeutlichen. In der Geometrie war Hipparchos von Nikaia (um 150 v.Chr.) bedeutend. Er berechnete eine Sehnentafel, d.h. er gab zu einer Anzahl von Kreisbögen die zugehörigen Sehnen an. Solche Tafeln wurden damals an Stelle von Sinustafeln verwendet. Weiters verwendete er Sexagesimalbrüche und teilte den Vollkreis in 360°. Dies alles waren Ansatzpunkte der Mathematisierung oder besser gesagt Trigonometrisierung der Astronomie, die dann bei Ptolemaios einen Höhepunkt erreichte. Menelaos von Alexandria (um 100 n.Chr.) beschäftigte sich intensiv mit der sphärischen Trigonometrie. Er verfasste sechs Bücher über die Sehnen im Kreis und über „paradoxe Kurven“, welche jedoch verlorengegangen sind. Durch die Araber überliefert ist uns nur ein Werk mit dem Titel „Sphärik“ in drei Büchern. Darin bewies er verschiedene Sätze über sphärische Dreiecke (unter anderem Kongruenzsätze). Nach Menelaos lebte Klaudios Ptolemaios von Alexandria, welcher der bedeutendste Astronom des Altertums war. Er erbrachte aber auch als Mathematiker beachtliche Leistungen. So gibt er in seinem Hauptwerk „He megiste Syntaxis“ (d.h. „Die größte Zusammenstellung“, in der arabischen Übersetzung dann „Almagest“) eine Darstellung des geozentrischen Weltbildes, welche in den folgenden fünfzehn Jahrhunderten maßgebend blieb. Grundlage dieser Darstellung war die Epizyklentheorie des Apollonios, welche Ptolemaios noch erweiterte und verbesserte. Erst zu Beginn der Neuzeit wurde das geozentrische Weltbild durch das heliozentrische Weltbild abgelöst. Ein weiterer namhafter Mathematiker der Spätantike war Heron von Alexandria (um 75 n.Chr.), der sich unter den antiken Mathematikern wohl am meisten mit der angewandten Mathematik befasste. Von ihm stammt der erste erhaltene Beweis der „Heron`sche Flächenformel“ des Dreiecks, bekannt war die Formel schon dem Archimedes. Seine Werke bildeten eine Art Enzyklopädie der angewandten Geometrie und Mechanik. Die bekanntesten Werke sind die „Metrika“ und die „Geometrika“. Beide sind eine Art Formelsammlung mit teilweise Übungsaufgaben, welche sehr elementar aber klar und leicht verständlich sind. Beweise befinden sich darunter eher wenig. Heron beschäftigte sich auch mit verschiedenen Gebieten der Physik. Er gab eine Ableitung des Reflexionsgesetzes, erfand eine Art Vorläufer des

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Thermometers und beschäftigte sich in seiner „Dioptra“ mit Problemen der Geodäsie. In seinen Werken verarbeitete er das Lehrgut der ägyptischen und babylonischen Tradition und die Ergebnisse des Archimedes, welchen er häufig zitierte. In der Spätphase der Antike kam es zu einem Wiederaufleben der klassischen griechischen Bildungsideale. In der Zeit zwischen 100 n.Chr. und 200 n.Chr. traten die „Neupythagoreer“ auf, die auf das religiös-weltanschauliche Gedankengut der Pythagoreer zurückgriffen. Sie beschäftigten sich besonders mit zahlentheoretischen Fragen, da die natürlichen Zahlen in der Weltanschauung der Pythagoreer eine besondere Rolle spielten. Neue Erkenntnisse erzielten sie dabei keine. Um 250 n.Chr. wirkte ein sehr bedeutender Zahlentheoretiker namens Diophantos von Alexandria. Über sein Leben ist fast nichts bekannt. Allerdings ist sein Hauptwerk, die „Arithmetika“ teilweise erhalten. Diese war zwar so bedeutend wie die großen klassischen Werke der früheren Zeit aber in ihrer Art anders als die bisherige griechische Mathematik. Sie hat den Höhepunkt der antiken Algebra dargestellt und auch noch in späteren Jahrhunderten großen Einfluss auf die Entwicklung der Mathematik ausgeübt. Sie beinhalteten ca 200 Aufgaben mit Lösungen. Heute nennt man ihm zu Ehren unbestimmte Gleichungen, deren Lösungen ganzzahlig sein sollen, „diophantische Gleichungen“. Von einer systematischen Theorie ist dabei allerdings noch nichts zu finden. Eine weitere große Leistung des Diophant war es, die bis dahin übliche umständliche mathematische Schreibweise zu vereinfachen. Er verwendete als erster systematisch Symbole für Potenzen und Rechenoperationen (auch wenn diese noch sehr primitiv waren und eher Abkürzungen entsprachen). Somit kann er als ein Vorläufer unserer Algebra (im Sinne von symbolischem Rechnen) angesehen werden. Der letzte bedeutende Mathematiker des Altertums war Pappos von Alexandria (um 320 n.Chr.). Er zeichnete sich außerdem als Astronom und Geograph aus. Sein Hauptwerk ist die „Mathematische Sammlung“, welche auch eine sehr wertvolle Quelle für die Geschichte der Mathematik ist, da sie für einige Ergebnisse früherer griechischer Mathematiker, bei denen die diesbezüglichen Originalabhandlungen verloren gegangen sind, die einzige erhaltene Überlieferung ist. Pappos hat die Ergebnisse seiner Vorgänger in vielerlei Hinsicht ergänzt und erweitert. So stammt beispielsweise der heute als Guldin´sche Regel bezeichnete Satz über das Volumen eines Drehkörpers von ihm. Einen analogen Satz fand Pappos auch für die Mantelfläche eines Drehkörpers. Am berühmtesten ist aber der Satz von Pappos aus der projektiven Geometrie, der von ihm vollständig bewiesen wurde.

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Nach Pappos wirkten in Alexandria nur noch einige weniger bedeutende Mathematiker, wie Theon von Alexandria (335 bis 405 n.Chr.), die sich darauf beschränkten, die Werke ihrer Vorgänger zu kommentieren. Mit der Heidenverfolgung 415 n. Chr. erlosch die Mathematikerschule in Alexandria. In diesem Jahr wurde auch die bedeutende Mathematikerin Hypatia als Nichtchristin von aufgehetzten fanatischen Anhängern des Christentums auf offener Straße ermordet. Sie war die Tochter des Mathematikers Theon von Alexandria. In Athen bestand die Platon´sche Akademie noch weiter und die neuplatonische Schule des fünften Jahrhunderts brachte auch noch einige Mathematiker hervor. Unter ihnen ist vor allem Proklos (um 450) von Bedeutung, weil er in einem Kommentar zum ersten Buch der Elemente des Euklid in Anlehnung an Eudemos (der 300 v.Chr. lebte) einen Überblick über die frühe Geschichte der griechischen Mathematik gab. 529 wurde die Platon´sche Akademie auf Befehl des Kaisers Justinian als letzter Stützpunkt des Heidentums geschlossen. Ab dieser Zeit hielt sich die griechische Tradition der Mathematik nur noch in Byzanz, wo man weiterhin griechisch sprach, und blieb dort bis etwa 1400 bestehen. Es gab dort noch einige kleinere Neuentdeckungen, vor allem aber war die byzantinische Schule wichtig als Bewahrerin und Überlieferin der Schriften der klassischen Autoren, die von Byzanz sowohl zu den Arabern, als auch in das christliche Abendland gelangten. Um 1400 wurde Byzanz von den Türken immer mehr und mehr eingeschnürt, was eine Auswanderung mehrerer Gelehrter nach Italien auslöste. Diese bildeten einen wichtigen Faktor für die Entstehung der Renaissance, die ja auch der Mathematik einen großen Auftrieb gab. Das Hauptverdienst bei der Bewahrung der antiken mathematischen Kenntnisse kommt den Arabern zu. So waren bereits am Ende des 9. Jahrhunderts die bedeutendsten griechischen Mathematiker und Astronomen ins Arabische übersetzt.

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2.2.5. Die drei klassischen Probleme der Antike Bei den drei klassischen Problemen der Antike handelt es sich um die Dreiteilung des Winkels, die Verdoppelung des Würfels und die Quadratur des Kreises. Die intellektuelle Herausforderung bestand dabei in der Bedingung, diese Probleme nur mit Zirkel und Lineal zu lösen. Die Beschränkung auf diese so genannten „Euklidischen Werkzeuge“ ergibt sich zum einen aus der Forderung Platons (vgl. früher), zum anderen ist alles, was mit Zirkel und Lineal konstruierbar ist, auch aus den Postulaten des Euklid herleitbar. „Gefordert soll sein: 1. Dass man von jedem Punkt nach jedem Punkt die Strecke ziehen kann, 2. dass man eine begrenzte gerade Linie zusammenhängend verlängern kann, 3. dass man mit jedem Mittelpunkt und Abstand den Kreis zeichnen kann. 4. ...“ Man darf daher nur ein unmarkiertes Lineal und einen „euklidischen“ Zirkel verwenden, d.h. einen Zirkel, der zusammenklappt, sobald man ihn vom Papier abhebt. (D.h. insbesondere, dass man a priori keine Strecken übertragen darf. Andererseits hat Euklid Methoden angegeben, wie man Streckenübertragungen konstruktiv auch mit solchen Geräten durchführen kann.) Die drei klassischen Probleme sind mit Zirkel und Lineal nicht lösbar. Dies wurde allerdings erst mehr als 2000 Jahre nach dem Auftauchen dieser Probleme gezeigt. E. Galois bewies die Unlösbarkeit des Problems für die Würfelverdoppelung und die Winkeldreiteilung und F. Lindemann gab den endgültigen Beweis für die Unmöglichkeit der Quadratur des Kreises. Aber allein die Versuche, die Probleme zu lösen, brachte eine Reihe von hervorragenden Leistungen. So fanden die Griechen viele hervorragende Lösungen der drei klassischen Probleme mit zusätzlichen Hilfsmitteln. Dabei entdeckten sie noch viele weitere bemerkenswerte Resultate der höheren Geometrie. Die Dreiteilung eines Winkels Dieses Problem ist auch bei Amateurmathematikern beliebt, weil es einerseits einfach zu formulieren ist und es andererseits auch nicht allzu schwer ist, mit Zirkel und Lineal eine Strecke in drei gleiche Teile zu teilen. So kann man fast jedes Jahr in Zeitungen „Lösungen“ von diesem Problem mit Zirkel und Lineal finden. Außerdem

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Abb. 25: „Tomahawk“

kann ein mathematisch nicht vorgebildeter Mensch nur schwer verstehen, dass man die Unmöglichkeit der Lösung einer Aufgabe unter gewissen Bedingungen beweisen kann. Zur Lösung des Problems konstruierten die Griechen ein Gerät, das mit einiger Phantasie einem Tomahawk ähnelt. Dieses wird so in einen gegeben Winkel eingepasst, dass der Scheitel O auf dem Griff CG liegt, ein Schenkel durch A geht und der andere Schenkel den Halbkreis berührt. Dann gilt wegen der Kongruenz der Dreiecke ACO, OCD und ODE: <AOC = <COD = <DOE � <AOB = <AOC + <COD + <DOE � <AOB = 3 <AOC bzw. <AOC = 31 <AOB Es wurden dann auch noch weitere Konstruktionsmethoden und mechanische Instrumente zur Lösung des Winkeldreiteilungsproblems, so genannte Dreiteilungsinstrumente, ersonnen. Insbesondere erfanden die Griechen spezielle Kurven, mit deren Hilfe man diese Probleme „lösen“ konnte. Winkeldreiteilung durch Einpassen eines Lineals Gegeben ist der Winkel <ABC. Wir zeichnen das Lot von A auf die Gerade BC und eine Parallele zu BC durch A. Auf dieser Parallelen ermitteln wir einen Punkt F so, dass gilt: EF BA= 2 . Weiters sei G der Halbierungspunkt der Strecke [E,F]. Dann gilt: EG GF GA BA= = = Daraus folgt: <ABG = <AGB = <FAG + <GFA = 2 · <GFA = 2 · <GBC und somit: <ABC = 3 · <GBC Das Problem ist dabei „nur“: Wie erhält man den Punkt F bzw. die Gerade BF? Eine Möglichkeit besteht im „Anpassen“ eines mit der Länge 2 ⋅BA markierten Lineals. Man kann aber auch eine Konchoide verwenden. Wir zeichnen einen Kreis mit Mittelpunkt A und Radius AB . Außerdem zeichnen wir eine Konchoide mit dem Pol

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B, mit der Geraden c und dem Wert k AB= . Ein Schnittpunkt der Konchoide mit dem Kreis ist der Punkt G. Genauso wie zuvor zeigt man nun, dass gilt: <ABC = 3 · <GBC Die Konchoide kann darüber hinaus auch zur Lö-sung des Problems der Würfelverdoppelung ver-wendet werden.

Zum Zeichnen der Konchoide erfanden die Griechen den „Konchoidenzirkel“:

Auch die Quadratrix kann als Methode zur Lösung des Winkeldreiteilungsproblems verwendet werden: Einem Quadrat OABC ist ein Viertelkreis mit dem Mittelpunkt O und Radius r OA= eingeschrieben. Der Radiusvektor OX→ drehe sich gleichförmig von OC nach OA, und die Gerade MN bewege sich in demselben Zeitraum gleichförmig von CB nach OA. Die Quadratrix ist dann die Menge aller Schnitt-punkte von OX mit MN. Quadratrix

Konchoide

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Aus der Definition der Quadratrix folgt unmittelbar, dass man zur Drittelung des Winkels XOA nur die Strecke NA in drei gleiche Teile teilen, durch die Teilungspunkte horizontale Geraden legen und mit der Quadratrix schneiden muss. Die interessantere, aber auch schwierigere Anwendung der Quadratrix ist beim Problem der Quadratur des Kreises; daher auch der Name. Die Würfelverdoppelung Beim Problem der Würfelverdoppelung ist, ausgehend von einem gegeben Würfel mit der Kantenlänge a, ein Würfel mit doppeltem Volumen gesucht. Dieses Problem ist gleichbedeutend mit der Konstruktion von 3 2 . Es wurde auch das Delische Problem genannt und war damals sehr populär, da es im Volksbewusstsein an einen Orakelspruch über das Erlöschen einer Seuche geknüpft war. So hieß es, dass diese erlöschen würde, wenn die von der Seuche betroffenen Delier einen ihrer (würfelförmigen) Altäre dem Rauminhalt nach verdoppelten. Die Sage besagte weiter, dass sich die Delier vergebens um Rat an die Mathematiker gewandt hätten. Eine der ersten Lösungen für dieses, zur Würfelverdoppelung äquivalenten, Problem wurde von Archytas mit geometrischen Methoden gefunden. Weiterer Lösungen wurden von Eudoxos (seine Lösung ist leider verschollen) und Menaichmos angegeben. Sein Versuch zur Lösung des Problems führte ihn zu der Entdeckung der Kegelschnitte. Er baute dabei auf der Erkenntnis des Hippokrates von Chios auf, dass die Lösung des Problems äquivalent ist mit der Konstruktion zweier mittlerer Proportionalen ist, d.h. mit der Ermittlung zweier Zahlen x und y, für die gilt: a : x = x : y = y : b Wählt man a = 1 und b = 2, so ergibt sich aus 1 : x = x : y = y : 2 insbesondere x = 23 . Denn: 1 : x = x : y = y : 2 ⇔ y = x² ∧ y² = 2x ⇔ (x²)² = 2x ⇔ x³ = 2 ⇔ x = 23 Es gilt aber auch: 1 : x = x : y = y : 2 ⇔ y = x² ∧ xy = 2 D. h., die Zahlen x und y sind die Koordinaten des Schnitt-punktes der Parabel y = x² mit der Hyperbel xy = 2. Die Griechen kannten natürlich noch keine Koordinaten in unserem Sinn. Sie gaben Kurven durch so genannte „Symp-tome“ an. Darunter versteht man eine Bedingung, durch die ein auf der Kurve liegender Punkt charakterisiert ist. Diese Symptome entsprechen inhaltlich in etwa unseren Kurven-gleichungen.

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Eine weitere Methode zur instrumentellen Ermittlung von 3 2 war der Winkelhaken, den Eutokios beschrieb. Er meinte, dass dieser von Platon stamme, was aber eher unwahrscheinlich ist, da dieser mechanische Hilfsmittel ablehnte. Dennoch findet man manchmal die Bezeichnung „ Platons Maschine“.

Winkelhaken

Es gilt: = =AO : OK OK : OG OG : OB Sind also a = AO und b = OB gegeben, so sind x = OK und y = OG die gesuchten mittleren Proportionalen.

Die Griechen gaben noch eine Reihe weiterer Lösungen des Problems der Würfelverdoppelung. Eine dieser Lösungen stammt von Erathostenes. Er ließ sie auf einem Stein eingravieren, auf den er das Modell eines mechanischen Modell eines mechanischen Instruments setzen ließ, mit dessen Hilfe man die Verdoppelung des Würfels bewerkstelligen konnte. Dieses Modell bestand aus drei rechteckigen, gleich großen Platten, die man in einem Rahmen, an dem ein schwenkbarer Stab befestigt war, hin und her schieben konnte, wobei die zueinander parallelen Diagonalen der Platten eingezeichnet waren.

Instrument zur Verdoppelung des Würfels („Eratosthenes` Platten“) Die Platten mussten so positioniert werden, dass die Endpunkten der teilweise verdeckten Diagonalen auf der durch den Stab gegebenen Geraden liegen. Dann gilt: ′ ′= = ′ = ′ ′= ′ ′= = ′ ′= = ′ ′AA :BB OA:OB AB :BC´ OB :OC BB :CC OB:OC BC :CD OC:OD CC :DDSind also ′= ′=AA a, DD b gegeben, so sind ′ ′BB und CC die gesuchten mittleren Proportionalen.

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Cissoide

Cissoide und Würfelverdoppelung

Diokles, ein Zeitgenosse des Apollonios, entdeckte eine Kurve, die Cissoide, die ebenfalls zur Lösung des Delischen Problems verwendet werden kann. Allgemein kann eine Cissoide auf folgende Weise definiert werden: Es sei O ein fester Punkt und C, D seien zwei Kurven. (In unserem Falle der „Cissoide des Diokles“ ist C ein Kreis mit dem Radius r und D eine Gerade.) Legt man durch O eine beliebige Gerade g, so erhält man einen Cissoidenpunkt P durch die Bedingung: OP PP= 1 2 wobei P C und P D1 2∈ ∈ Schnittpunkte der Geraden g mit den Kurven C und D sind. (Siehe Abb. 13.2!) Die Gestalt dieser Kurve erinnert – mit einiger Phantasie – an ein Efeublatt; daher auch der Name: Cissoide kommt von kissos (κισσος), Efeu. Zur Bestimmung der mittleren Proportionalen gehen wir folgendermaßen vor: Wir errichten im Mittelpunkt Z des Kreises C das Lot auf den Durchmesser OA und tragen auf diesem Lot die Strecke 12 ⋅ =r ZM auf. Dann gilt für jenen Cissoidenpunkt P, der auf der Verlängerung der Geraden durch A und M liegt: aLP r r also LP a=

⋅= =12 2 2,

Wir wollen nun zeigen, dass x OL= und y LS= die ge-suchten mittleren Proportionalen sind. Auf Grund der Konstruktionsvorschrift der Cissoide gilt OP PP= 1 2 und damit AT OL= bzw. AL OT= . Damit gilt: ∆OLP ~ ∆OTP1 ù ∆ALS ~ ∆SLO Daraus folgt: LP OL OL LS LS AL: : := = oder: a2 : x = x : y = y : a

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Die Quadratur des Kreises Bei der Quadratur des Kreises handelt es sich um die Frage, wie man aus dem Radius bzw. Durchmesser eines Kreises konstruktiv („mit Zirkel und Lineal“) ein flächengleiches Quadrat ermitteln kann. Anaxagoras war, wie bereits erwähnt, einer der ersten, der sich mit der Kreisquadratur auseinander setzte. Er erkannte die Tiefe des Problems und hielt es nicht, wie andere Mathematiker seiner Zeit, durch die Konstruktion eingeschriebener Polygone (mit sehr hoher Eckenzahl) für erledigt. Hippokrates schaffte es, durch Kreisbögen begrenzte Flächenstücke konstruktiv in ein flächengleiches Quadrat bzw. Dreieck zu verwandeln. (Siehe früher!) Trotz dieses ermutigenden Ergebnisses gelang es nicht, das Problem der Quadratur des Kreises, also die Konstruktion von π, zu lösen. Wie man heute weiß, ist dieses Problem mit Zirkel und Lineal auch nicht zu lösen. Es gab aber Lösungen mit Hilfe spezieller Kurven, wie beispielsweise der Quadratix, welche von Hippias von Elis entdeckt wurde, oder der Archimedischen Spirale. Eine Quadratrix kann man sich folgendermaßen entstanden denken (vgl. früher!): Einem Quadrat OABC ist ein Viertelkreis mit dem Mittelpunkt O und Radius r OA= eingeschrieben. Der Radiusvektor OX→ drehe sich gleichförmig von OC nach OA, und die Gerade MN bewege sich in demselben Zeitraum gleichförmig von CB nach OA. Die Quadratrix ist dann die Menge aller Schnittpunkte von OX mit MN. Man kann zeigen, dass für die Länge des Vier-telkreisbogens b durch C, X und A gilt: bCO COOQ= d. h.: br rOQ= (Der Beweis ist etwas langwierig; vgl. Kaiser/ Nöbauer 1984, S. 143.) Diese Beziehung gestattet nun, aus der Länge der Strecke [O,Q] eine Strecke mit der Länge b zu konstruieren woraus wieder mit Hilfe des Höhensatzes (Abb. unten verkleinert) die gesuchte Seite jenes Quadrats ermittelt werden kann, dessen Flächeninhalt gleich dem des Kreises mit dem gegebenen Radius r ist.

Quadratrix und Kreisquadratur

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Archimedische Spirale

Archimedische Spirale und Quadratur des Kreises

Auch die archimedische Spirale kann zur Lösung des Problems der Quadratur des Kreises verwendet werden. Eine archimedische Spirale entsteht, wenn eine Halbgerade mit Anfangspunkt O gleichförmig um O gedreht wird und sich gleichzeitig ein Punkt P auf der Geraden gleichförmig von O aus wegbewegt. In Polarkoordinaten kann eine archimedische Spirale mit Hilfe der Gleichung +∈Θ⋅= Ra,ar , konstant, beschrie-ben werden. Um die archimedische Spirale zur Lösung des Quadratur-problems verwenden zu können, überlegt man folgender-maßen: Man wählt jenen Punkt Q auf der Spirale, der dem Polarwinkel Θ =π2 entspricht. Dann gilt: OQ a= ⋅

π2 Wählt man nun auf der waagrechten Geraden durch O einen Punkt R derart, dass OR a= ⋅2 , so besitzt das Rechteck ORSQ den Flächeninhalt: A a a a= ⋅ ⋅ =2 2 2ππ Das Problem der Kreisquadratur war überhaupt gegen Ende des 5. Jht.v.Chr. sehr populär. Der Komödiendichter Aristophanes schrieb beispielsweise sogar einen Witz darüber und machte es zum Thema einer seiner Komödien. Den griechischen Mathematikern ist es also trotz großer Anstrengungen nicht gelungen, die drei klassischen Probleme unter Beschränkung auf die euklidischen Hilfsmittel zu lösen. Wie bereits erwähnt wurde die Unlösbarkeit ja erst etwa 2000 Jahre später gezeigt.

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2.3. Mathematik bei den Römern Allgemeine Geschichte und kulturhistorischer Hintergrund Im frühen römischen Staat beruhte die Wirtschaft auf dem kleinen Grundbesitz und auf der Naturalwirtschaft und zeichnete sich durch patriarchalische Verhältnisse aus. Ab dem 4. Jahrhundert v.Chr. hatte eine Konzentration des Grundbesitzes begonnen und damit ein Kampf zwischen der alten Aristokratie und den Plebejern. Der Herrschaftsbereich der römischen Republik erweiterte sich in dieser Zeit durch zahlreiche Eroberungskriege, und so kamen auch viele Völker in Europa und Kleinasien unter römische Herrschaft. In diesem römischen Reich war der Typ des Sklavenhalterstaates am stärksten ausgeprägt. Im 2. und 1. Jahrhundert v.Chr. kam es immer wieder zu organisierten Sklavenaufständen, die, vor allem unter Spartacus, den römischen Staat zeitweise bis an den Rand des Abgrundes brachten. Bald war die republikanische Staatsform den Schwierigkeiten nicht mehr gewachsen und so ging die römische Sklavenhalterrepublik im 1. Jahrhundert v.Chr. zugrunde. An ihre Stelle trat nach einer von Bürgerkriegen geprägte Zeit eine Militärmonarchie. Sie schaffte es, das römische Reich für einige Jahrhunderte zu sichern und innerlich zu konsolidieren. Dies ließ auch einen gewissen Spielraum für die Neubelebung der hellenistischen Kultur zu. Der Untergang des römischen Reiches war jedoch nicht aufzuhalten. Die Aufstände der Sklaven und der unterdrückten Völker führten zum Verfall und im 5. Jahrhundert n.Chr. schließlich zum Untergang des römischen Imperiums. Mathematik bei den Römern Die Römer waren auf den meisten Gebieten (Rechtswesen, Baukunst, Bautechnik, Straßenbau, Heereswesen) ein überaus begabtes Volk. In der Mathematik jedoch leisteten sie nichts. Gericke beschreibt dies mit folgenden Worten: „Der einzige Beitrag, den die Römer zur Mathematikgeschichte geleistet haben, war der, dass ein römischer Soldat den Archimedes erschlagen hat.“ Alles was uns aus der Römerzeit überliefert ist, stammt von den Griechen. Den Historikern, welche die Entstehung der Mathematik auf gesellschaftliche Triebkräfte zurückführen, gelingt es nicht zu erklären, warum die Römer im Gegensatz zu den Griechen keine Mathematik entwickelten. Auf dem Gebiet der ebenen und räumlichen Geometrie kommt aber nicht nur eine glanzvolle Entwicklung zum Stillstand, sie wird in den letzten Jahrhunderten der Kaiserzeit sogar noch rückläufig. Das bis dahin gesammelte Wissen existiert zwar noch, wird aber immer mehr zum toten Wissen, da es selbst von den größten

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Gelehrten nur mehr sehr schwer verstanden oder gar unerreichbar wird. Um die Schwierigkeiten beim direkten Studium zu verringern, wurde es nun allgemein üblich, sehr umfangreiche Kommentare zu schreiben. Die Römer waren also hinsichtlich der Mathematik keine Theoretiker, sondern reine Praktiker. Sie brauchten die Mathematik bei architektonischen, mechanischen und geographischen Angelegenheiten. Das dazu benötigte Wissen bezogen sie aus griechischen Quellen oder sie ließen Griechen kommen, um ein Problem zu lösen. Die Zahlenschrift der Römer Die bekannten Zahlzeichen der Römer weisen eine Fünferstruktur auf. Im Gegensatz zu den Babyloniern verwendeten die Römer nicht durchgehend das additive Prinzip für die Darstellung der Zahlen, sondern benutzten teilweise ein Subtraktionsprinzip (z.B. IV = 4 oder IX = 9), welches sich dann im Mittelalter immer mehr durchsetzte. Das Rechnen erfolgte bei den Römern im Kopf, mit den Fingern und bei schwierigen Aufgaben auf dem Abakus. Den Abakus entwickelten sie noch weiter, nämlich zu einem tragbaren Handabakus.

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Abschließender Überblick über die Entwicklung der Mathematik bei den antiken Griechen Thales: fragte als Erster nach dem „Warum“ Pythagoras: Alles ist Zahl (=⊆ und Verhältnisse, d.h. ∠+), Personifizierung von Zahlen (befreundete Zahlen, …) Entdeckung der Inkommensurabilität -> 1. Grundlagenkrise Versuch der Bewältigung der Krise: Unendliche Anwendung von Verfahren des Rechnens mit natürlichen Zahlen (-> Aufstand der Philosophen, insb. Zenon) -> Griechen machten einen Bogen um das Unendliche! (Ausnahme Eudoxos, Archimedes: sie bekamen das Unendliche in den Griff!) Ausweg: a) Axiomatik (Euklid) b) „geometrische Algebra“: Größen (insb. inkommensurable) nicht als Zahlen, sondern (nur) als geometrische Objekte betrachtet (letztlich zu kompliziert, alles geometrisch zu deuten; insb. auch ein Dimensionsproblem: ist 9=32 eine Länge oder eine Fläche?) Archytas: Trivium und Quadrivium -> Septem Artes Liberales“ Trivium = Grammatik, Rhetorik, Dialektik Quadrivium = Arithmetik (d.h. ⊆), Musik (d.h. ∠+), Geometrie (kontinuierliches Analogon zur Arithmetik), Astronomie (kontinuierliches Analogon zur Musik) Platon, Aristoteles: Stufen der Weisheit: oberste Stufe = Philosophie, zweithöchste Stufe = Mathematik = einziger Weg, den Geist in Richtung Philosophie zu trainieren. Wissensvermittlung: Schulenbildung (Pythagoreer, Platons Akademie, Museion) Rechnen (= „Logistik“, nur für Handel) wenig geachtet, nicht als Teil der Mathematik betrachtet Angewandte Mathematik: kaum vorhanden; Anwendungen entweder trivial oder zu schwer. Wenige Ausnahmen: Archimedes, Heron (mechanische Geräte), Diokles (Brennspiegel).

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Wie kam die Mathematik der Griechen zu uns? Römer: Kein Beitrag! Islam, Araber: Ausbreitung über Nordafrika bis Spanien Klöster als Übersetzerschulen (Toledo, …) von arabischen Übersetzungen antiker griechischer Werke ins Lateinische Kalifen: etablierten Bagdad als wissenschaftliches Zentrum (neben Konstantinopel) (Alkhwarizmi, Omar Khayyam, u.a.) Sizilien (oströmische Enklave) Lehrbücher: Boetius (Auszug aus Euklid), Isidor von Sevilla, Fibonacci („Liber Abaci“) Erste Universitätsgründungen (Bologna, Paris, Oxford, Cambridge, Prag, Krakau, Wien, ….): „Lehrplan“ = Septem Artes Liberales“, Quadrivium als Vorstufe zu eigentlichen Studien (Jus, Medizin, Theologie, Philosophie: Bis ins 20 Jahrhundert DIE 4 Fakultäten einer Universität). Quadrivium somit Vorläufer unseres Gymnasiums; oft mathematisch orientiert (insb. Paris, Wien!) um 1400: Flucht vieler Gelehrter von Konstantinopel Richtung Westen (insb. Italien) aus Furcht vor der drohenden Eroberung durch die Osmanen; -> Renaissance! Im 19. Jht: Antike Klassik wieder modern: -> Schliemann, Neuklassizismus, in Lehrplänen oft explizite Berufung auf Euklid (in England, USA: Unterrichtsfach Geometrie heißt „Euclid“)