Marius Breucker Aus Causa Pechstein lernen

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„Aus ´Causa Pechstein´ lernen!“ Veröffentlicht von mariusbreucker am Juni 12, 2014 Über die „Causa Pechstein“ ist viel – vielleicht zu viel – diskutiert und geschrieben worden. Der Fall beschäftigte zunächst die Sportgerichte, dann auch die staatlichen Gerichte. Der Stuttgarter Sportrechtsexperte Dr. Marius Breucker analysiert die entscheidenden rechtlichen Konsequenzen für künftige Verfahren. Sportgerichtliche Entscheidungen Ausgangspunkt war eine Anklage der International Skating Union (ISU) wegen angeblichen Blutdopings. Die ISU stützte die Anklage auf einen erhöhten und schwankenden Blutwert der Athletin. In einem über Jahre erstellten Blutprofil hatte die ISU teilweise erhöhte Werte an Retikulozyten – jungen roten Blutkörperchen – festgestellt. Aufgrund dieses einen Indizes ging die ISU von einer Blutmanipulation etwa durch künstliches Erythropoetin (EPO) aus. Die Disziplinarkommission der ISU verhängte auf dieser Grundlage am 1. Juli 2009 eine zweijährige Sperre gegen die Athletin. Die Deutsche Eisschnelllauf-Gemeinschaft (DESG) und Dr. Marius Breucker als ihr anwaltlicher Vertreter kritisierten unmittelbar danach auf einer Pressekonferenz in München, die ISU sei möglichen Alternativursachen für den erhöhten Blutwert nicht nachgegangen. Pechstein und die DESG legten Rechtsmittel gegen die Entscheidung der ISU-Disziplinarkommission ein. Der Internationale Sportschiedsgerichtshof (Court of Arbitration for Sport – CAS) bestätigte nach einer zweitägigen Verhandlung in Lausanne die Sperre mit Schiedsspruch vom 25. November 2009. Die Athletin hatte den Vorwurf bestritten und, gestützt auf medizinische Gutachten, die erhöhten Werte auf eine Blutanomalie zurückgeführt. Nach Abschluss des Schiedsverfahrens bestätigten zahlreiche namhafte Wissenschaftler aus dem In- und Ausland, dass die Athletin eine vom Vater ererbte Blutanomalie habe. Diese hereditäre Sphärozytose oder Xerozytose sei, so die sachverständige Einschätzung, die Ursache des auffälligen Blutwertes. Schadensersatzprozess Auf Grundlage dieser Erkenntnisse verklagte Claudia Pechstein sowohl die ISU als auch die Deutsche Eisschnelllauf-Gemeinschaft vor dem Landgericht München I auf Schadensersatz. Der Sportrechtsexperte Dr. Marius Breucker aus der Stuttgarter Kanzlei Wüterich Breucker vertrat die DESG sowohl im sportgerichtlichen Verfahren als auch im anschließenden Schadensersatzprozess. Die Klage der Athletin gegen die DESG wurde rechtskräftig abgewiesen. „Das Gericht bestätigte, dass die DESG keine Pflichten verletzt und sich in jedem Stadium des Verfahrens korrekt verhalten hat.“, so Marius Breucker nach dem Urteil. Auch die Klage gegen die ISU wies das Landgericht ab. Hiergegen ging die Athletin in Berufung vor dem Oberlandesgericht München. Das Urteil des Landgerichts München vom 26. Februar 2014 wirkt sich nach Ansicht von Marius Breucker wesentlich auf zwei Ebenen aus: Zum einen erklärte das Landgericht die derzeit zwischen Athleten und Verbänden abgeschlossenen Schiedsvereinbarungen für unwirksam. Der organisierte Sport muss daher darüber nachdenken, wie künftig sichergestellt werden kann, dass für alle Sportler einheitliche Regeln und einheitliche Verfahren gelten. Diese Frage ist derzeit Gegenstand der rechtswissenschaftlichen und sportpolitischen Diskussion. Zum anderen äußerte das Landgericht München deutliche Zweifel an der Tragfähigkeit des Schiedsspruchs des Court of Arbitration for Sport. Es konnte aber nicht abweichend entscheiden, weil der Schiedsspruch des CAS – unabhängig von

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Über die „Causa Pechstein“ ist viel – vielleicht zu viel – diskutiert und geschrieben worden. Der Fall beschäftigte zunächst die Sportgerichte, dann auch die staatlichen Gerichte. Der Stuttgarter Sportrechtsexperte Dr. Marius Breucker analysiert die entscheidenden rechtlichen Konsequenzen für künftige Verfahren.

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„Aus ´Causa Pechstein´ lernen!“ Veröffentlicht von mariusbreucker am Juni 12, 2014

Über die „Causa Pechstein“ ist viel – vielleicht zu viel – diskutiert und geschrieben worden. Der Fall beschäftigte zunächst die Sportgerichte, dann auch die staatlichen Gerichte. Der Stuttgarter Sportrechtsexperte Dr. Marius Breucker analysiert die entscheidenden rechtlichen Konsequenzen für künftige Verfahren.

Sportgerichtliche Entscheidungen Ausgangspunkt war eine Anklage der International Skating Union (ISU) wegen angeblichen Blutdopings. Die ISU stützte die Anklage auf einen erhöhten und schwankenden Blutwert der Athletin. In einem über Jahre erstellten Blutprofil hatte die ISU teilweise erhöhte Werte an Retikulozyten – jungen roten Blutkörperchen – festgestellt. Aufgrund dieses einen Indizes ging die ISU von einer Blutmanipulation etwa durch künstliches Erythropoetin (EPO) aus.

Die Disziplinarkommission der ISU verhängte auf dieser Grundlage am 1. Juli 2009 eine zweijährige Sperre gegen die Athletin. Die Deutsche Eisschnelllauf-Gemeinschaft (DESG) und Dr. Marius Breucker als ihr anwaltlicher Vertreter kritisierten unmittelbar danach auf einer Pressekonferenz in München, die ISU sei möglichen Alternativursachen für den erhöhten Blutwert nicht nachgegangen. Pechstein und die DESG legten Rechtsmittel gegen die Entscheidung der ISU-Disziplinarkommission ein. Der Internationale Sportschiedsgerichtshof (Court of Arbitration for Sport – CAS) bestätigte nach einer zweitägigen Verhandlung in Lausanne die Sperre mit Schiedsspruch vom 25. November 2009. Die Athletin hatte den Vorwurf bestritten und, gestützt auf medizinische Gutachten, die erhöhten Werte auf eine Blutanomalie zurückgeführt. Nach Abschluss des Schiedsverfahrens bestätigten zahlreiche namhafte Wissenschaftler aus dem In- und Ausland, dass die Athletin eine vom Vater ererbte Blutanomalie habe. Diese hereditäre Sphärozytose oder Xerozytose sei, so die sachverständige Einschätzung, die Ursache des auffälligen Blutwertes.

Schadensersatzprozess Auf Grundlage dieser Erkenntnisse verklagte Claudia Pechstein sowohl die ISU als auch die Deutsche Eisschnelllauf-Gemeinschaft vor dem Landgericht München I auf Schadensersatz. Der Sportrechtsexperte Dr. Marius Breucker aus der Stuttgarter Kanzlei Wüterich Breucker vertrat die DESG sowohl im sportgerichtlichen Verfahren als auch im anschließenden Schadensersatzprozess. Die Klage der Athletin gegen die DESG wurde rechtskräftig abgewiesen. „Das Gericht bestätigte, dass die DESG keine Pflichten verletzt und sich in jedem Stadium des Verfahrens korrekt verhalten hat.“, so Marius Breucker nach dem Urteil. Auch die Klage gegen die ISU wies das Landgericht ab. Hiergegen ging die Athletin in Berufung vor dem Oberlandesgericht München. Das Urteil des Landgerichts München vom 26. Februar 2014 wirkt sich nach Ansicht von Marius Breucker wesentlich auf zwei Ebenen aus: Zum einen erklärte das Landgericht die derzeit zwischen Athleten und Verbänden abgeschlossenen Schiedsvereinbarungen für unwirksam. Der organisierte Sport muss daher darüber nachdenken, wie künftig sichergestellt werden kann, dass für alle Sportler einheitliche Regeln und einheitliche Verfahren gelten. Diese Frage ist derzeit Gegenstand der rechtswissenschaftlichen und sportpolitischen Diskussion. Zum anderen äußerte das Landgericht München deutliche Zweifel an der Tragfähigkeit des Schiedsspruchs des Court of Arbitration for Sport. Es konnte aber nicht abweichend entscheiden, weil der Schiedsspruch des CAS – unabhängig von

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seinem Inhalt – in Rechtskraft erwachsen sei. „Auch Schiedssprüche sind – wie staatliche Urteile – der Rechtskraft fähig. Das Landgericht München sah sich im Fall Pechstein aufgrund des rechtskräftigen Schiedsspruchs des CAS gehindert, in eine eigene Sachprüfung einzutreten“, so Marius Breucker nach der Urteilsverkündung. Die geäußerte Kritik an der Entscheidung des CAS macht aber zugleich deutlich, dass das Schiedsverfahren vor dem CAS an einigen Stellen reformiert werden sollte, um Fehlurteile möglichst auszuschließen. „Der Sportgerichtshof CAS wurde massiv angegriffen“ kommentierte ISU-Anwalt Dr. Dirk-Reiner Martens das Münchner Urteil. Er sieht Handlungsbedarf: „Der CAS muss prüfen, ob daraus Konsequenzen zu ziehen sind“, sagte Martens, der seinerseits auf langjährige Erfahrung als CAS-Schiedsrichter zurückblickt. Einen Schritt weiter geht Pechstein-Anwalt Dr. Thomas Summerer, der von einer „Revolution für die gesamte Sportwelt“ spricht. Zugleich stellt Summerer mit Blick auf künftige Schiedsverfahren klar: „Es geht uns nicht um die Abschaffung des CAS, sondern um die Einleitung von Reformen.“

By Bjarte Hetland [CC-BY-3.0], via Wikimedia Commons

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Konsequenzen für CAS-Schiedsverfahren

Bislang ist der Court of Arbitration for Sport weltweit als Rechtsmittelinstanz für alle Dopingverfahren zuständig. Dies ergibt sich aus den Vorgaben des Welt Anti-Doping Codes, die von den Sportverbänden in ihrer jeweiligen Sportart umzusetzen sind. „Die Schiedsgerichtsbarkeit ist gut geeignet, auch international die Regeln des Sports in einheitlichen Verfahren durchzusetzen“, sagt Marius Breucker, selbst Schiedsrichter am Deutschen Sportschiedsgericht. In zahlreichen Schiedsverfahren vertrat er unter anderem die Welt Anti-Doping Agentur (WADA) und die Nationale Anti-Doping Agentur (NADA) sowie Verbände und Sportler. Auch der Court of Arbitration for Sport (CAS) in Lausanne sei als Institution sinnvoll. „Der CAS als einheitliche Rechtsmittelinstanz in Schiedsverfahren gewährleistet – bei allen Schwierigkeiten im Einzelfall – die weltweite Durchsetzung der Anti-Doping-Bestimmungen“, so Breucker. Ähnlich sieht es der anerkannte Sportrechtsexperte Professor Dr. Jens Adolphsen. Gegenüber der „WELT“ warnte vor den Gefahren einer uneinheitlichen Rechtsprechung, wenn statt der Sportschiedsgerichte künftig die jeweiligen staatlichen Gerichte zuständig wären. Das gleiche Delikt könnte dann unterschiedlich geahndet werden: „Einer wird für zwei Jahre gesperrt, einer muss nur ein halbes Jahr aussetzen, und der dritte wird freigesprochen und darf weiter an Wettkämpfen teilnehmen. Wie unfair ist das denn?”, skizziert Adolphsen das für den Sport bedrohliche Szenario. Gerade um die Sportschiedsgerichtsbarkeit zu stärken bedarf es nach Ansicht von Marius Breucker Reformen: „Das Verfahren vor dem CAS sollte, dies zeigt der Fall Pechstein, noch professioneller geregelt und gestaltet werden. Andernfalls leidet die Legitimation des Anti-Dopingkampfes.“ In dieser Beziehung sei das Deutsche Sportschiedsgericht bei der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS) schon einen Schritt weiter, so Marius Breucker. „Die DIS-Sportschiedsgerichtsordnung berücksichtigt die reihhaltigen Erfahrungen der DIS aus wirtschaftlichen Schiedsverfahren und hat sich in den letzten Jahren bewährt.“

Wo aber ist das CAS-Verfahren reformbedürftig? Breucker nennt Beispiele: Die Schiedsrichter des CAS werden derzeit von einem Ernennungsausschuss ernannt, dessen Mitglieder überwiegend vom Internationalen Olympischen Komitee, den nationalen Olympischen Komitees und den Sportverbänden berufen werden. Eine neutrale Besetzung des Ernennungsausschusses würde die Legitimation der anschließend berufenen Schiedsrichter erhöhen. „Es geht nicht um Vorbehalte gegen die derzeit ernannten Schiedsrichter“, stellt der Stuttgarter Anwalt klar, „aber schon der Anschein einer Nähe zu den Sportverbänden könnte unschwer vermieden werden. Und dies wäre auch im Interesse der Schiedsrichter.“ Zudem könnte, so Marius Breucker, der jeweilige Vorsitzende des Schiedsgerichts künftig durch einen unabhängigen Ernennungsausschuss oder aber durch die beisitzenden Schiedsrichter ernannt werden. Bisher ernennt in Rechtsmittelverfahren der Präsident der Rechtsmittelabteilung des CAS den Vorsitzenden. Damit kann er mittelbar Einfluss auf den Ausgang des Verfahrens nehmen. „Auch hier geht es – wie bei der Frage der Befangenheit – darum, schon den bloßen Anschein einer etwaigen Einflussnahme zu vermeiden“, so Breucker.

Breucker schlägt vor, die Liste der möglichen Schiedsrichter am CAS künftig als Empfehlung auszugestalten. Bislang müssen die Parteien die Schiedsrichter aus einer geschlossenen Liste auswählen. Auch eine behutsame Öffnung des Schiedsverfahrens für die Öffentlichkeit hält der Stuttgarter Anwalt für denkbar: „Grundsätzlich ist die Vertraulichkeit ein Vorteil des Schiedsverfahrens. Damit werden nicht zuletzt die Interessen der Athleten geschützt: Wenn ein Athlet zu Unrecht des Dopings beschuldigt und im Ergebnis freigesprochen wird, ist er im

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Falle öffentlicher Berichterstattung über den Vorwurf oft schon gebrandmarkt“, weiß Breucker aus der Praxis. Umgekehrt gibt es aber Fälle, in denen gerade die Athleten die Kontrolle durch die Öffentlichkeit wünschen. „Was spricht“, fragt Breucker, „dagegen, zumindest Teile des Verfahrens etwa auf ausdrücklichen Wunsch des Beklagten, namentlich eines betroffenen Athleten, öffentlich zu führen?“ Auch der Generalsekretär des Deutschen Olympischen Sport Bundes (DOSB) Dr. Michael Vesper sieht „Reformbedarf bei der Ausgestaltung der Schiedsgerichtsbarkeit”, betonte aber zugleich die Bedeutung einheitlicher Verfahren zum Schutz der sauberen Athleten: „Wer die weltweite Einheitlichkeit des Regelsystems in Frage stellt, schadet dem Anti-Doping-Kampf“.

Beweismaßstab in Dopingverfahren Ein wunder Punkt in der Verfahrensordnung des CAS ist nach Einschätzung von Marius Breucker der Beweismaßstab: Der Welt Anti-Doping Code und die darauf basierenden Regelwerke der Verbände lassen eine „comfortable satisfaction“ für die Verurteilung eines Athleten genügen. Der Welt Anti-Doping Code sagt dazu, die Anforderungen an das Beweismaß seien „höher als die gleich hohe Wahrscheinlichkeit, jedoch geringer als ein Beweis, der jeden vernünftigen Zweifel ausschließt“. Kommentatoren folgern daraus, eine „hinreichende Überzeugung“ in diesem Sinne erfordere eine Wahrscheinlichkeit, die über 50 % betragen müsse, aber unter 100 % liegen könne. Damit ist indes wenig gewonnen. „Der Maßstab ist nicht eindeutig“ kritisiert Marius Breucker. Er verweist auf die Anforderungen des deutschen Zivilrechts. Demnach genügt (nur) ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit oder, wie der Bundesgerichtshof formuliert, „ein für einen vernünftigen, die Lebensverhältnisse klar überschauenden Menschen so hoher Grad von Wahrscheinlichkeit, dass er den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen“. Letztlich wird damit umschrieben, dass der Richter subjektiv – Überzeugungsbildung ist immer subjektiv – überzeugt sein muss, mithin keine ernstlichen Zweifel mehr hegen darf. Der Zusatz, dass „Zweifel nicht völlig ausgeschlossen“ sein müssen, stellt klar, dass es schon erkenntnistheoretisch kaum eine „100 %-ige Gewissheit“ geben kann, erläutert Marius Breucker, selbst Autor mehrerer Werke zum Zivilprozessrecht. Im Fall Pechstein kam es entscheidend auf die medizinische Frage an, ob die erhöhten und schwankenden Retikulozytenwerte der Athletin (nur) auf eine Blutmanipulation, oder (auch) auf eine Blutanomalie zurückzuführen sein können. Das Schiedsgericht hielt auf Grundlage der Aussagen verschiedener Sachverständiger eine Blutanomalie für möglich. Da eine Anomalie aber statistisch selten auftrete und im konkreten Fall nicht mit letzter Gewissheit nachgewiesen sei, hielt das Schiedsgericht eine Anomalie als Ursache im Ergebnis für unwahrscheinlich. Es kam daher zu der hinreichenden Überzeugung („comfortable satisfaction“), dass die erhöhten Werte auf Doping beruhten. Diese Überzeugungsbildung war aus Sicht des Landgerichts München fragwürdig, zumal die Blutanomalie als mögliche Ursache nicht mit allen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten aufgeklärt wurde. Gerade mit Blick auf medizinische Fragen, erscheint es fraglich, ob man im Falle zweier in Betracht kommender Ursachen zulasten des Betroffenen von einer bloß „hinreichenden“ Wahrscheinlichkeit ausgehen kann. „Wenn für einen auffälligen Blutwert zwei Ursachen in Betracht kommen, muss man dies soweit wie möglich aufklären“, fordert der Stuttgarter Sportrechtler. Dies ist grundsätzlich Aufgabe des anklagenden Sportverbandes, der nach dem Welt Anti-Doping Code den Nachweis des Dopingverstoßes führen muss. Im Falle Pechstein hätte die ISU also auch der Frage einer möglichen Alternativursache nachgehen müssen. „Einen Sportler zu verurteilen, weil eine von zwei möglichen Ursachen statistisch wahrscheinlicher ist als die andere, ist angesichts der einschneidenden Folgen für den

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Athleten nicht zu rechtfertigen.“ Die meisten Schiedsrichter sind sich ihrer Verantwortung bewusst und legen strenge Maßstäbe an den Nachweis eines Dopingverstoßes, zumal wenn es sich um einen indirekten Nachweis auf Grundlage von Indizien handelt. „Um Fehlurteile möglichst auszuschließen, sollte die Anforderungen an die Überzeugungsbildung klarer und strenger geregelt werden“, fordert Marius Breucker.

An biologisch-medizinische Nachweismethoden stellt auch das deutsche Zivilrecht hohe Anforderungen: Der Wahrscheinlichkeitsgrad für eine Vaterschaftsfeststellung muss nach der Rechtsprechung bei 99,98 % liegen. Dies zeigt, dass eine „hinreichende Überzeugung“ und damit eine lediglich überwiegende Wahrscheinlichkeit im Sinne von „50 % plus x“ jedenfalls in medizinischen Fragen nicht ausreichen können, um Entscheidungen mit unter Umständen weitreichenden Folgen für den Betroffenen zu fällen. „Dies muss erst recht gelten, wenn man bedenkt, dass ein sportgerichtliches Verfahren – wenn auch dem Zivilrecht angehörend – viele Parallelen zum Strafrecht aufweist“, gibt Marius Breucker zu bedenken. Die Anforderungen an die Überzeugungsbildung im Strafrecht gehen mindestens so weit wie die des Zivilrechts, wenn nicht darüber hinaus. Nach der Rechtsprechung bedarf es „ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, demgegenüber vernünftige Zweifel nicht mehr aufkommen“. „Nicht nur subjektiv werden Dopingsperren von den Sportlern als Strafen verstanden; auch zivilrechtlich sind sie als ‚Vertragsstrafen‘ einzuordnen und unterliegen daher dem Bestimmtheitsgebot“, erläutert Marius Breucker. Inhaltliche Parallelen zum Strafprozessrecht liegen somit bei aller dogmatischen Unterscheidung zwischen Zivil- und Strafrecht nicht fern.

Hohe Anforderungen an die Überzeugungsbildung bergen immer die Gefahr, dass im Einzelfall auch ein Schuldiger freigesprochen wird. Dies ist im Strafrecht gang und gebe. Auch im Zivilrecht bekommt nicht jeder sein Recht. Der Volksmund kennt den Satz „Recht haben und Recht bekommen sind zwei verschiedene Paar Schuhe“. Dies mag im Einzelfall unbefriedigend sein. Es ist aber Ausdruck des rechtstaatlichen Prinzips, dass eine hoheitliche Entscheidung, die in Rechte des Betroffenen eingreift, nur auf Grundlage gesicherter Tatsachen gefällt werden darf. Man nimmt also eine im Einzelfall unbefriedigende Entscheidung in Kauf, um die Legitimation des gesamten Verfahrens und letztlich des Rechtsstaates nicht zu gefährden. „Schlimmer als zehn zu Unrecht Freigesprochene ist ein zu Unrecht Verurteilter“. Denn letzteres erschüttert das Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit erheblich mehr als der Umstand, dass man naturgemäß nicht lückenlos jedes Vergehen ahnden kann.

Im Ergebnis müsste, so Rechtsanwalt Marius Breucker, der Beweismaßstab der hinreichenden Überzeugung verschärft werden. „Die im deutschen Zivilprozessrecht geltenden Beweismaßstäbe haben sich bewährt und wären auch für den sportrechtlichen Antidopingkampf geeignet, ohne dessen Effektivität in Frage zu stellen“ empfiehlt der Stuttgarter Anwalt, dessen Kanzlei jedes Jahr hunderte von Zivilprozessen führt. „Die mit der `Causa Pechstein` aufgeworfenen Fragestellungen werden das Sportrecht noch nachhaltig beschäftigen“, resümiert Marius Breucker. DESG-Generalsekretär Günter Schumacher fasst die Situation mit wenigen Worten zusammen: „Jetzt sind die Juristen gefragt“. Sportrechtsexperte Marius Breucker nimmt den Ball auf: „Es ist nun unsere Aufgabe, die Probleme aktiv anzupacken und konstruktive Lösungsansätze zu entwickeln. Der Sport verdient einen effektiven und zugleich rechtsstaatlich profund ausgestalteten Anti-Dopingkampf.“

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Weitere Informationen finden sich unter:

http://www.tagesspiegel.de/sport/nach-urteil-zu-athletenvereinbarung-wie-der-fall-pechstein-die-sportgerichte-veraendert/9549088.html und

http://www.augsburger-allgemeine.de/sport/sonstige-sportarten/DESG-Anwalt-Kleines-Beben-in-Sportgerichtsbarkeit-id28974387.html Über diese Anzeigen

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