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Markus Balser / Uwe Ritzer

LOBBYKRATIEWie die Wirtschaft sich Einfluss,

Mehrheiten, Gesetze kauft

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Über dieses Buch

Wir leben längst in einer Lobbykratie, in der die Wirtschaftversteckt an allen Entscheidungen beteiligt ist. MarkusBalser und Uwe Ritzer legen das subtile Geflecht unter derschönen Oberfläche unserer Demokratie frei.

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Inhaltsübersicht

Prolog1 Die Regenmacher PolitischeLandschaftspflege und undemokratischeAuswüchse

In der Vorhalle des Parlaments: Wasman unter Lobbyismus verstehtHeckenschützen der DemokratieDie neuen Einflüsterer: Wie sichLobbyismus verändert»Wie viel für Sie, wie viel für FrauMerkel?«Im Maschinenraum der Macht

2 Bremser am Werk FragwürdigeGeschäfte im Schatten derEnergiewende

Militär-Uran für deutscheWohnzimmerWarum Energiewende, wenn dieKohle auch so fließt?Unterirdische Schlachten: Der Kampfum ein CO2-GesetzUmweltpolitik in Europa: WoKonzerne mit am Tisch sitzen

3 Durch die Drehtür Wie Politiker alsLobbyisten große Kasse machen4 »Wir erledigen das« Diskrete Helfer

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der KonzerneEine Kanzlei wie ein Kraftwerk

Der Fall der Aliyew-Brüder – Werteoder Geld?Der Fall Asarow – Wie man vonSanktionslisten verschwindetDer große Spieler:Automatenkönig Gauselmann

Die Skatbrüder – das Russland-Netzwerk und die SPD-Genossen

Die SPD und das Russland-NetzwerkEin fragwürdigerFreundschaftsdienstPolitik als Wirtschaftssalon

Anwälte der Wirtschaft5 Verraucht Der erbitterte Kampf derTabakindustrie gegen besserenGesundheitsschutz

Der Fall DalliTischfußball und frisches Pils

6 Hilfst du mir, helf ich dir Ein Netzwerkan der Basis unserer Nahrungskette7 Die Freiheit nehm ich dir Dieunterwanderte Wissenschaft

Wenn Google forschen lässtDie Arbeitgeber-Kampftruppe an derUniDen Klimawandel kleinreden

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8 Wie geschmiert Wie Schulen undBildung vereinnahmt werden

Wenn Regeln missachtet werdenEin erfundenes Defizit?Profis mit MillionenPointiert gegen das Grundgesetz

9 Zwischen den ZeilenMedien alsTransmissionsriemen für Lobbyisten

Bleierne ZeitWillfährige Diener?BündnispartnerWeniger Geld, weniger LeuteZauberwort Content

10 Große Haie Wie die Finanzindustriedie europäische Politik beeinflusstEpilogEin Dankeschön

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Prolog

Uran, Atommüll, nukleare Abrüstung, Gasfelder,Abwehrsysteme gegen nuklearen Terror – Andrej Bykow istmüde an diesem Spätsommerabend. Unten auf der MoskauerAusfallstraße Dmitrovskoe Schosse tost der Verkehr. Weitoben im unscheinbaren, siebenstöckigen Bürogebäudeserviert eine Angestellte Tee. Bykow, ein kleiner undgedrungener Mann Anfang 50 mit stets messerscharfemSeitenscheitel, legt erschöpft die Beine auf die Couch imkleinen Konferenzraum seiner Firma.

Ihm tut der Rücken weh, die langen Reisen zehren undgehen an die Substanz. Und er ist pausenlos unterwegs. Erstam Vormittag hat ihn sein Chauffeur im gepanzertenschwarzen SUV aus dem Süden Russlands zurück nachMoskau gebracht. Andrej Bykow hat reichlich zu tun.

Immer mehr westliche Konzerne heuern den Mann mitden hervorragenden Kontakten in den Kreml für ihreGeschäfte in und mit Ländern der früheren Sowjetunion an.Der zuvorkommende Russe, der sehr gut Deutsch spricht,sehr fromm und ein erklärter Fan des heiligen Nikolaus ist,ist in den vergangenen Jahren eine heimliche Allzweckwaffeder westlichen Wirtschaft im ehemaligen Sowjet-Reichgeworden. Und nicht nur dort. Draußen wird es schondunkel, als Andrej Bykow auf seiner Bürocouch beginnt, auseiner Schattenwelt zu erzählen. Aus seiner Welt.

Mal arbeitet er in Deutschland und Thailand, mal in

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Südafrika und der Schweiz – Andrej Bykow als umtriebig zubeschreiben griffe viel zu kurz. Er berät seine Kunden und istihr Kuppler. Einer, der Kontakte einfädelt und pflegt. Einer,der Türen öffnet und russische Entscheidungsträger imSinne seiner Auftraggeber überzeugt – wie und womit auchimmer. Am Ende steht meistens reicher Ertrag, für BykowsKunden und für ihn persönlich.

Immer geht es um viel Geld, um Macht und um Einfluss.Mal soll Bykow deutschen Atommüll heimlich nach Russlandschaffen oder nuklearen Brennstoff aus Beständen der RotenArmee für deutsche Kernkraftwerke besorgen. Ein anderesMal muss er Interessenten Kontakte zum Ausbeuten vonGasfeldern verschaffen. Er sollte für deutsche Auftraggeberüber Umwege im Ausland gar verhindern, dass der deutscheAtomausstieg so schnell, wie von der Politik geplant,vollzogen werden kann.

Der fromme Familienvater sinniert auf seiner MoskauerBürocouch über gottgefälliges Leben, die russisch-orthodoxeKirche, russische Geschichte und das Ende desKommunismus. Er kann auch sonst viel erzählen. Wenn erwill. Denn sein Tun ist in der Regel Geheimsache. Meistwissen selbst bei seinen Auftraggebern in den westlichenKonzernen nur kleine Zirkel davon, dass es ihn überhauptgibt und in welcher Mission er unterwegs ist. Andrej Bykowmuss laut lachen, wenn das Gespräch auf dieVerschwiegenheit seiner Klienten kommt. Sie treibtmanchmal kuriose Blüten, diese Diskretion. Ein Manager desEnergieriesen Eon dankte dem Russen in einemüberschwänglichen Brief für »18 Jahre Zusammenarbeit«.Als wir nachfragen und wissen wollen, was Bykow denn fürEon alles getan habe, reagiert der Konzern einsilbig. Es habe

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sich um einen rein persönlichen Kontakt zwischen demManager und Bykow gehandelt, so die wenig überzeugendeAntwort. »Geschäfte mit Herrn Bykow gab und gibt es nicht.«

Viele andere Geschäftspartner mögen sich urplötzlichsogar überhaupt nicht mehr an den Namen des Russenerinnern, obwohl mancher Konzern mit ihm gerne und eifrigkommunizierte. Andrej Bykow hingegen hat ein ziemlichgutes Gedächtnis. EnBW, der Eon-Konkurrent unddrittgrößte Energiekonzern hierzulande, hat ihnbeispielsweise mit Aufträgen und mehreren hundertMillionen Euro in seine Heimat Russland geschickt.Transparenz? Fehlanzeige. Die Geschäfte wurden überUmwege und die Schweiz abgewickelt. Auch das Geld flossselbstredend über lange als besonders geheim geltendeSchweizer Konten. Fast die Hälfte der Zahlungen aus demkonservativen Konzern in Karlsruhe gingen an eine StiftungBykows mit dem schönen Namen »Heiliger Nikolaus derWundertäter« – Satiriker und Karikaturisten hätten es sichnicht hübscher ausdenken können. Warum und wofür EnBWso viel Geld bezahlte, ist umstritten. Auch Staatsanwälte undRichter fragen sich das schon seit geraumer Zeit, ohneallerdings der Antwort bislang wirklich nahe zu kommen.

Andrej Bykow selbst sagt an jenem Abend in Moskau nur,was er sagen will und darf. Selbstkontrolle gehört zumGeschäftsprinzip. Dabei ist er ein eloquenter Mensch,schlagfertig und gewitzt, gedanklich blitzschnell, gerissenund hochintelligent. Ein Mann mit einem schier untrüglichenGespür für sein Gegenüber. Und vor allem dafür, wie erdieses Gegenüber um den Finger wickeln und ihm das Gefühlgeben kann, nur dessen Bestes zu wollen. Andrej Bykow istLobbyist.

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Lobbyisten, das sind beileibe nicht nur die Pofallas undNiebels, die Wissmanns, Fischers und anderen ranghohenPolitiker, die nach ihrer Karriere und ausgestattet mit dementsprechenden Insiderwissen große Kasse machen alsInteressenvertreter zahlungskräftiger Verkehrs-, Rüstungs-,Pharma-, Tabak- oder Automobilkonzerne oder Verbände.Solche Seitenwechsler fallen der breiten Öffentlichkeit auf.Nicht aber Leute wie Andrej Bykow. Lobby-Söldner, diedeswegen niemand kennt, weil sie im Verborgenen, imSchatten von Wirtschaft und Politik arbeiten. Und die geradedeshalb sehr erfolgreich sind.

Von Interessenverbänden, Dienstleistungsagenturen oderAnwaltskanzleien aus, nicht selten aber auch alsEinmannunternehmen, nehmen sie in Berlin und Brüssel,Paris und London, Moskau und Washington im Auftrag derWirtschaft Einfluss auf Politik und Gesellschaft. Mal geht esum Atomdeals, mal um Plastiktüten. Mal umMilliardengeschäfte, mal um Details in Gesetzesvorhaben,mal um beides. Sie suchen diskrete Nähe zu den Mächtigen,organisieren in Parlamenten Mehrheiten im Sinne ihrerAuftraggeber. Ihr Ziel allerdings sind nicht mehr alleinMandatsträger und der Beamtenapparat. Immer häufiger istes die Gesellschaft als Ganzes. Ins Visier geraten Meinungenund Wählerstimmen.

So kämpfen Lobbyisten in Klassenzimmern um dieVormacht in den Köpfen von Schülern. Sie sorgen dafür, dassRauchen eine legale Sucht bleiben darf und nicht zu sehrsanktioniert wird. Sie beeinflussen, was aufLebensmittelverpackungen stehen darf und was nicht. Sietorpedieren die Energiewende oder versuchen, sie in dieRichtung ihrer zahlenden Kundschaft zu treiben. Sie mischen

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in Bürgerinitiativen mit und dirigieren dort als heimlicheHandlanger im Sinne ihrer mächtigen Auftraggeber. Siemanipulieren den öffentlichen Willen, indem sie die Medienbeeinflussen. Sie unterwandern Wissenschaft undForschung, damit deren Ergebnisse so ausfallen, dass sie denInteressen ihrer Kundschaft dienen.

Lobbyismus – dem Ursprung nach ist das eigentlich einetransparente Angelegenheit. In der Lobby einesParlamentssaales, dessen Vorraum also, bringen Bürger undInteressenvertreter ihre Anliegen bei den Abgeordneten vor,die dann alleine in den Saal gehen, dort alle Argumentediskutieren, abwägen und entscheiden. So sieht das Idealaus, das mit der Wirklichkeit allerdings längst nichts mehr zutun hat. Heute steht der Begriff Lobbyismus viel zu oft füreine Schattenwelt jenseits demokratischer Kontrolle.

Wer sich auf die Suche nach gut verstecktem Einflussmacht, erfährt von den Untiefen eines höchst diskretenWirtschaftszweigs, der immer professioneller vorgeht –natürlich am liebsten hinter verschlossenen Türen unddicken Mauern. Und er stößt auf erstaunliche Netzwerkezwischen Lobbyisten und führenden deutschen Politikern.Man muss aber genau hinschauen und hinhören. Wie aneinem festlichen Abend im Frühjahr 2015.

Die Kulisse bildet ein klassizistischer Prachtbau, Unter denLinden in Berlin. Geraffte bodentiefe Vorhänge, edle Hölzeran der Wand, prächtige Kronleuchter an der Decke – imprunkvollen Saal der russischen Botschaft bittet Heino Wieseseine Gäste Platz zu nehmen, als die Kolonne des deutschenWirtschaftsministers und Vizekanzlers vorfährt. Vorbei anrussischen Managern und eskortiert von Russlands

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Botschafter Wladimir Michailowitsch Grinin, betritt derStargast des Abends das Podium. Die Rede zur Vorstellungeines neuen Russland-Buchs, in dem vier junge Autoren undFotografen ein Land im Wandel wohlwollend porträtieren,hält der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel persönlich – einguter, alter Freund von Heino Wiese.

Kaum jemand in der breiten Öffentlichkeit kennt HeinoWiese, diesen unauffälligen Mann Mitte 60, der so oft an derSeite Gabriels und häufig auch an der von Ex-BundeskanzlerGerhard Schröder auftaucht. In der Schaltzentrale derpolitischen Macht in Berlin ist Wiese jedoch bestensverdrahtet. Er, Schröder und Gabriel kennen sich aus ihrerHeimat Niedersachsen und aus der Partei. Wiese war auchmal SPD-Politiker. Er schmiedete Wahlkampfpläne fürGerhard Schröder – und beriet Gabriel, als er nochMinisterpräsident war.

Dann wechselte Wiese in die Wirtschaft. Zuerst baute erfür eine Modefirma das Russland-Geschäft auf. Dann machteer sich mit einer eigenen Beratungsfirma »Wiese Consult«selbständig. Seine neuen Büros liegen in der Nähe desBrandenburger Tors. Die Agentur arbeitet nach eigenenAngaben »an der Schnittstelle zwischen Wirtschaft undPolitik, insbesondere in den Bereichen ›InternationaleGeschäftsbeziehungen und Investments‹«.

Auf der Liste der Referenzen steht unter anderem derrussische Stahlkonzern Severstal. Aber selbstverständlichgeht es an diesem Abend in der russischen Botschaft nur umein Buch. Denn Wiese ist manchmal auch Herausgeber.»Russland« steht in Großbuchstaben auf seinem jüngstenWerk, der Untertitel lautet: »Menschen und Orte in einemfast unbekannten Land«.

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Nach den Reden von Gabriel und Grinin zu den deutsch-russischen Beziehungen dürfen auch die Autoren ein paarSätze sagen. Der zur selben Zeit grassierende Konflikt umdie Krim kommt an diesem Abend nicht vor. DieWochenzeitung Die Zeit kritisiert den russlandfreundlichenAbend in Zeiten der Krise später als »fragwürdigenFreundschaftsdienst« Gabriels.[1] Das Handelsblatt mokiertsich über Sigmar Gabriel – den Russlandversteher.[2]

Man kennt sich und man tut sich nicht weh. Jedenfallsnicht an diesem Abend. Noch weiß niemand, dass wenigeMonate später ein Millionengeschäft über die Bühne gehenwird, bei dem auch Gazprom eine Rolle spielt, das Gabrielzumindest nicht verhindert – und bei dem auch Heino Wiesenach Angaben von Insidern beteiligt gewesen sein soll. EngeKontakte zum Wirtschaftsminister und Spezi Gabriel sind inder Sache sicher nicht schädlich. Ausgerechnet zu jenemMinister, der an anderer Stelle über Sanktionen gegenRussland in der Ukrainekrise mitentscheidet. Und dem Wieseangeblich beim Füllen der Wahlkampfkasse in Zukunft helfensoll.

Dass auch noch Altkanzler Gerhard Schröder mit demBerater Wiese verbandelt ist zeigt, wie eng Lobby- undPolitnetzwerke in Berlin längst verwoben sind. Es zeigtmöglicherweise auch, wie Altgranden in Millionendealseingebunden werden. Und wie Russland versteht, selbst ineiner kritischen Phase sein eigenes, enges Netzwerk inDeutschland zu knüpfen und zu pflegen.

Einige Wochen später. Ein Gespräch in einem Hotelzimmer.Wieder steht die gleiche Frage im Raum: Wie sichert sich die

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Wirtschaft Einfluss auf die Gesellschaft? Die Antwort fälltdiesmal allerdings ganz anders aus.

Naomi Oreskes muss ausholen. Die energischeamerikanische Professorin und Wirtschaftshistorikerin ausHarvard kennt die Verflechtungen zwischen der Industrieund der internationalen Spitzenforschung wie keine Zweite.Vor allem weiß die Historikerin und scharfe Analytikerin umjene professionellen Skeptiker, die bei den ganz großenpolitischen Themen regelmäßig von sich reden machen.

In den USA tut sich eine Handvoll der immer gleichenForscher damit hervor, wissenschaftliche Tatsachen wie denKlimawandel in Zweifel zu ziehen. Ihre Aktivitäten hat NaomiOreskes minutiös rekonstruiert und so ein skandalösesSystem enttarnt: das der Zweifelssäer. Wissenschaftlernämlich, die sich von der Wirtschaft als Lobbyisten dafürbezahlen lassen, Kritik am Vorgehen von Forscher-Kollegenzu äußern und deren Methoden in Frage zu stellen. Es gehtum Zweifel daran, dass Zigarettenrauch wirklich schädlich istund Krebs erregt. Um Zweifel daran, dass es einenKlimawandel, das Ozonloch oder den sauren Regenüberhaupt gibt – und vor allem, dass wir Menschen beidesverursachen. Wohlgemerkt: Es sind in all diesen Fällenimmer dieselben Wissenschaftler am Werk. Sie sind nichtetwa Experten in Sachen Medizin, Biologie oderKlimaforschung. Sie sind vielmehr versierte Spezialistendarin, der breiten Öffentlichkeit die Gründe zu liefern,unbequeme Wahrheiten zu ignorieren.

Dass der Klimawandel menschengemacht ist und von derIndustrie mit ihren Emissionen ausgelöst wird, gilt seitLangem als erwiesen. Großen Teilen der Industrie sindsolche unumstößlichen Fakten jedoch ein Dorn im Auge. Für

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Energie- oder Autokonzerne etwa steht viel auf dem Spiel. Esdrohen ihnen teure Konsequenzen. Für manchen Managerist klar: Der sicherste Weg, das alles zu verhindern – oderwenigstens möglichst lange hinauszuzögern –, ist es, nichterst die Politik und ihre Entscheidungen zu beeinflussen.Noch besser wäre es, ganz zu verhindern, dass die Politiküberhaupt entscheidet. Am besten also man bekämpft bereitseine unliebsame Forschung. Denn wo die Ursachen desProblems umstritten sind, ist auch noch keine politischeEntscheidung möglich, die das Problem löst.

Ausgerechnet eines der größten ungelösten Probleme derinternationalen Staatengemeinschaft, der Klimawandel,liefert so ein Lehrstück über die Macht der Strippenzieher.Denn viel zu lange gelang es den Zweiflern, die Politik derUS-Regierung zu beeinflussen. Naomi Oreskes war selbsterstaunt, wie erschreckend einfach es möglich ist, mitunlauteren Absichten selbst seriöse Medien wie die New YorkTimes, Newsweek oder die Washington Post zuinstrumentalisieren – und mit nachweislich falschen Angabenzu füttern.[3]

Wenn Oreskes über die Machenschaften internationalerKanzleien und Lobbyfirmen spricht, dechiffriert sie dievertraulichen Pläne der Industrie wie einen geheimen Code.Die Industrie wolle es den Bürgern und Politikernschwermachen, die Einwände als Profitgier abzutun.Organisationen zu gründen und zu finanzieren, die nachaußen nichts mit der Industrie zu tun haben – sogenannteThinktanks –, sollte dies ermöglichen. Wissenschaft mitWissenschaft zu bekämpfen – dieser Strategie folgtenUnternehmen sehr erfolgreich seit vielen Jahren, warntOreskes.[4] Für die Forscherin ist klar: Die Bemühungen der

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Industrie werden immer größer, die Chancen, ihnen zuentkommen, immer kleiner. »Wir erleben die größteKonzentration von Wohlstand in den USA seit Ende des 19.Jahrhunderts«, sagt Oreskes und verbindet damit einebedrohliche Vorstellung. »Noch nie waren die Reichen somächtig.« Und noch nie, glaubt Oreskes, fiel es einem kleinenTeil der Bürger mit Lobby-Investitionen so leicht, die eigenenInteressen durchzusetzen und demokratische Prozesseauszuhebeln.

Alles weit weg? Mitnichten. Die Methode, Einfluss zu nehmenund die eigenen Fingerabdrücke beim Lobbying zuverwischen, ist auch in Deutschland angekommen. HiesigeKonzerne haben sogar Kontakte in die USA geknüpft, um dieMethode zu lernen. Die ersten Versuche laufen bereits.Direkt vor unserer Haustür.

Man kann sie etwa in Winden im Schwarzwald finden,einem idyllischen Ort mit typischen Schwarzwaldhäusern.Seit einiger Zeit schon setzt sich hier, nicht weit entfernt vonFreiburg, die »Gesellschaft zur Förderung umweltgerechterStraßen- und Verkehrsplanung« (GSV) für die Bürger ein.Seit Jahren schon, weiß man bei der GSV, wünschten sich dieWindener äußerst dringend den Baubeginn einer nagelneuenUmgehungsstraße. Und wenn man schon dabei ist, auchgleich noch den zugehörigen Tunnel – logisch bei knapp 3000Einwohnern. Die Kosten für den Steuerzahler sindzugegebenermaßen nicht ganz klein: mindestens 68Millionen Euro. Macht umgerechnet auf jeden Windener eineSteuerzahlung im Wert eines Mittelklasseautos.

Bei einem Ortstermin kam die GSV dennoch sehr direktzur Sache. Ihr Landesbeauftragter redete nicht nur der SPD-

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Bundestagsabgeordneten Annette Sawade ins Gewissen;praktischerweise ist sie Mitglied im Verkehrsausschuss desBundestages. Mit einem flankierenden Schreiben an dieStaatssekretäre im Bundesverkehrsministerium, DorotheeBär (CSU) und Enak Ferlemann (CDU), warb die Initiativezudem um persönliche Unterstützung für weitere fünf»ebenfalls dringliche Projekte«: die B 30 Bad Waldsee, die B31 Friedrichshafen, die B 31 West bei Freiburg, die B 29Mögglingen und die B 463 Pforzheim – nur dem Bürgerzuliebe.

Die GSV ist interessanterweise nicht nur in Winden aktiv.Man kennt sie auch in anderen Gegenden Deutschlands. Siehat nicht nur eine schicke Internetpräsenz. Sie hat sich auchin bereits mehr als 100 größere Planungsprojekteeingeschaltet, berät und unterstützt lokale Bürgerinitiativen.Allerdings nicht, wie der Name vermuten lassen könnte, imKampf gegen unsinnige und teure Verkehrsprojekte. Ganz imGegenteil. Die Initiative kämpft, wo immer es möglich ist, fürden Bau neuer Straßen. Mit viel Pathos und erklärtermaßen»im Namen aller von fehlenden Baumaßnahmen betroffenenBürger«, wie es in einem Papier der Organisation heißt.

Warum die GSV, eine Art Dachverband vonBürgerinitiativen, überhaupt bundesweit aktiv wird? Werhinter der Pro-Straßen-Organisation steht? Man verfolgeausschließlich gemeinnützige Zwecke und arbeiteunabhängig von Interessengruppen – so beschreibt dieGesellschaft selbst ihr Engagement, die nach eigenenAngaben ständig mehr als 100 Verkehrsinfrastrukturprojekteim ganzen Bundesgebiet betreut. Das erklärte Ziel: Sie sollenein Gegengewicht zu den zahlreichen Bürgerinitiativenbilden, die sich gegen Straßenausbauten wehren. Im Fall B

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294 mit Erfolg: Mitte 2015 wurden die Gelder für den Bauvom Bundesverkehrsministerium freigegeben.Bauunternehmen sollen nun möglichst schnell mit denArbeiten beginnen können.

Wie sich die GSV finanziert? Die Gesellschaft beantwortetunsere Fragen nicht. Auf der Webseite finden sich keinerleiHinweise darauf. Erst wer hinter die Kulissen und in dieBilanzen der Baubranche schaut, versteht, um was es hierwirklich geht. Denn unterstützt wird die Gesellschaft auchüber eine Fördergemeinschaft aus der Bauindustrie.»Zusammen mit anderen Partnerverbänden aus dem Bau-und Baustoffumfeld unterstütze man seit 2013 die Arbeit desGSV-Landesbeauftragten für Baden-Württemberg, erklärtetwa der Industrieverband Steine und Erden unumwunden.»Astroturfing«, benannt nach einem in den USA bekanntenKunstrasen, nennen Kritiker diese Methode: das Plagiat einerGraswurzelbewegung.

Vier Orte, vier Fälle von getarntem Lobbyismus – und dochnur ein kleiner Ausschnitt all dessen, was möglich ist. Werversucht, der Welt der Lobbyisten näher zu kommen, landetschnell in einem ganzen Labyrinth höchst vielseitiger unddiskreter Aktivitäten. Über Wochen und Monate gehen füruns die Türen nur für einen Spalt auf. Mit jedem Gesprächaber, mit jeder Recherche fügen sich die Mosaiksteine dieserkleinteiligen Welt zu einem klareren Bild zusammen.

Die Recherchen für dieses Buch führen nach Berlin undBrüssel, in die Schweiz und nach Russland, in die USA unddie niedersächsische Provinz. Sie führen zu Klimaskeptikernund Tabaklobbyisten, in die Schaltzentralen derEnergiebranche oder der Lebensmittelindustrie. Sie führen

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in den Bundestag und das Europäische Parlament, aber auchin Kanzleien, an Lehrstühle von Universitäten, sogar inKlassenzimmer. Sie führen zu deutschen Ex-Politikern, dieDiktatoren oder wenigstens fragwürdigen Regimes zuDiensten sind. Sie führen auf Empfänge von Scheichs, in dieRepräsentanzen der Wirtschaft an den feinsten BerlinerAdressen und zur konspirativen Übergabe geheimerDokumente. Sie werden zeigen, wie Unternehmen, diebeinahe jeder Deutsche kennt, versuchen, Einfluss zunehmen – auf wiederum beinahe jeden Deutschen.

Dieses Buch soll auf einen gravierenden Missstandhinweisen. Interessenvertretung gegenüber der Politik hat ineiner Demokratie ihre Berechtigung. Sie muss sogar sein.Allerdings muss sie transparent erfolgen, offen und nachklaren Spielregeln. Denn eine seriöse politischeInteressenabwägung braucht Chancengleichheit für alleSeiten, für alle Argumente. Genau diese aber ist in Gefahr.Wir wollen in der Folge fragwürdige Strukturen undMethoden aufzeigen und darlegen, wie Lobbyisten dieGesellschaft unterwandern und die Menschen in ihrem Sinnesteuern wollen. Und wie so eine demokratische Schieflageentsteht: ein Land, das den Starken gibt und den Armennimmt.

Anders als in anderen Lobbyismus-Büchern geht es unsnicht in erster Linie um einen engen Zirkel von Ex-Politikern,der für die Wirtschaft aktiv wird. Wir erheben auch keinenAnspruch auf Vollständigkeit. Wir wollen das System dahinteraus dem Dunkel holen. Es geht darum, die Strategienprofessioneller Lobbyisten aufzudecken und so Sensibilität zuschaffen für eine Gefahr, die uns alle angeht.

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1 Die Regenmacher

Politische Landschaftspflege undundemokratische Auswüchse

Wenn sich das Selbstverständnis eines ganzen Staates inseinen Parlaments- und Regierungsgebäuden spiegelt, dannstrahlt die moderne Bundesrepublik am Platz der Republik 1in Berlin vor allem eines aus: Stärke, Unabhängigkeit undTransparenz. Jeder Berlin-Besucher soll das spüren. Sowollte es Stararchitekt Sir Norman Foster, als er Mitte der90er Jahre den deutschen Reichstag zum modernenParlamentsgebäude umbauen ließ. Symbolisch kann sich dasVolk seither Tag für Tag über seine Vertreter erheben undihnen bei der Debattier- und Abstimmungsarbeit auf dieFinger schauen. Die Bürgerinnen und Bürger müssen dazunur die begehbare, gläserne Kuppel direkt über demPlenarsaal erklimmen.

Wer sich mit dem Lift hinauftragen lässt in die obersteEtage, anschließend die 230 Meter lange, geschwungeneRampe ganz nach oben unter das Kuppeldach läuft und vondort durch 3000 Quadratmeter Glas über die deutscheHauptstadt blickt, bekommt das angenehme Gefühl vonKontrolle. Zwei Millionen Besucher gönnen sich dieses Gefühljährlich. Man steht nicht nur über dem Reichs- respektive

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Bundestag, sondern quasi auch über dem Kanzleramt, deneleganten Bürogebäuden des Bundestags und seinerAbgeordneten entlang der Spreeschleife, den Wohn- undGeschäftshäusern von Berlin-Mitte. Die Kuppel gibt den Blickfrei auf die mondänen Hochhäuser am Potsdamer Platz undhinüber zum Fernsehturm am Alexanderplatz. Zu Füßen liegtden Besuchern das Zentrum der politischen Macht inDeutschland und eines der wichtigsten MachtzentrenEuropas.

Ob in der Energie- oder Rüstungspolitik, im Finanz- oderGesundheitssektor – auf diesen wenigen Quadratkilometernim Zentrum der Hauptstadt werden Entscheidungenvorbereitet und getroffen, bei denen es häufig nicht nur umpolitische Grundsatzfragen, sondern auch um Einfluss, Machtund viel Geld geht. Um sehr viel Geld. Atomausstieg,Finanztransaktionssteuer, Freihandelsabkommen TTIP,Fracking, Gentechnik, Sanktionen: Unternehmen, Branchenoder gar ganzen Ländern kann auf Jahre hinaus schadenoder nutzen, was sich in Berlins Mitte zusammenbraut.

Es ist ein selbstbewusstes Parlament, das sich hier imReichstag versammelt. Zu den zentralen Aufgaben desBundestages zählt die Gesetzgebung auf Bundesebene. DieAbgeordneten sollen die Regierung kontrollieren, sie wählenden Bundeskanzler oder die -kanzlerin. Die Parlamentariersind die einzigen direkt gewählten Vertreter des Volkes aufBundesebene, und sie entscheiden mit ihren Stimmen, werregiert und nach welchen Regeln sich das gesellschaftlicheZusammenleben in Deutschland richtet. In denSitzungswochen tummeln sich im Plenarsaal unter derGlaskuppel und im Angesicht des großen Adlers aktuell 631Abgeordnete.

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Der Adler ist zum Symbol dafür geworden, wieeigenständig Abgeordnete sind und wie wenig sie sich ausgroßen Namen machen. Er wiegt zweieinhalb Tonnen, so vielwie ein Elefant. Er ist knapp sechzig Quadratmeter groß undhat damit mehr Fläche als manche Zweizimmerwohnung imZentrum Berlins. Der Künstler Ludwig Gies hatte dasWappentier 1953 für den Bundestag gestaltet, als dasParlament noch in Bonn tagte. Star-Architekt Foster entwarffür Berlin eigentlich einen neuen, schlankeren Adler. Aberdie Abgeordneten hatten sich an den alten gewöhnt. Siewollten keinen neuen Vogel. Also ließen sie Foster abblitzen.Er durfte nur die Rückseite des vergrößerten Gies-Adlersgestalten.

Die Abgeordneten sind die Macht im Land schlechthin –unterworfen nur ihrem eigenen Gewissen. So steht es imGrundgesetz. Denn in Deutschland ist die Demokratiereprasentativ verfasst. Nach Artikel 20 Absatz 2 desGrundgesetzes geht die Staatsgewalt vom Volke aus, sie wirdvon ihm aber nur in Wahlen ausgeubt, ansonsten ist sie derLegislative, Exekutive und Jurisdiktion anvertraut. DemParlament kommt dabei als einzigem, unmittelbar vom Volkdurch Wahlen legitimiertem Organ besonderes Gewicht zu.Es hat alle wesentlichen Entscheidungen fur dasGemeinwesen selbständig per Gesetz zu treffen. Das klingtnach großer politischer Kompetenz. Und das wäre es auch,wenn diese Macht wirklich immer selbstbewusst und vorallem selbständig ausgeubt würde.

Doch längst fragen sich nicht nur Experten, sondern auchimmer mehr Normalbürger besorgt, wie viel Machtinzwischen neben Legislative, Judikative und Exekutive eineganz andere Gewalt im Staate hat. Denn es ist eine

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Parallelwelt des Politikbetriebs entstanden, die sich daraufspezialisiert hat, mit legalen, aber auch illegalen Mittelngenau hier zu versuchen, ihre Interessen durchzusetzen,obwohl sie keinerlei demokratisches Mandat dafür hat: dieWelt der Lobbyisten.

»Regenmacher« nennen sie manche in der Hauptstadtironisch, weil Lobbyisten dafür sorgen müssen, dass weiteröffentliche Gelder für ihre Auftraggeber vom Himmel regnen.Und dafür, dass nicht Gesetze und Verordnungen derenGeschäfte erschweren. Also muss möglichst frühzeitig undmassiv Einfluss genommen werden, und das lässt sich dieWirtschaft einiges kosten. Es sind Investitionen, die sich fürsie lohnen. Einige Millionen Euro an der richtigen Stellekönnen ein paar Milliarden zusätzlichen Gewinn bringen.

Lässt sich ein Gesetz nicht mehr verhindern, heißt dieDevise oft: verzögern und verwässern. So geschehen etwa,als es um mehr Klimaschutz bei Autos ging. In letzter Minutesprang Kanzlerin Angela Merkel der Branche bei der EU inBrüssel zur Seite. Dass die BMW-Großaktionäre der FamilieQuandt die CDU-Kasse just in der Zeit um 690000 Eurobereicherten, als die Kanzlerin und CDU-Parteivorsitzendeund ihr CDU-Umweltminister in Brüssel schärfereAbgasregeln für Neuwagen blockierten, war natürlich reinerZufall. Die plötzliche Bremserrolle der vermeintlichendeutschen Umweltpioniere stieß in ganz Europa aufErstaunen. Klar ist: Mit Gemeinwohl hatte die Entscheidungam Ende weit weniger zu tun, als die Politik der breitenÖffentlichkeit glauben machen will. Sie war ein Erfolg derLobbyisten.

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In der Vorhalle des Parlaments: Was manunter Lobbyismus versteht

Lobbyist – der Begriff geht historisch betrachtet daraufzurück, dass sich in der Vorhalle von Parlamentssälen, ihrerLobby also, Interessenvertreter tummelten, um vorpolitischen Entscheidungen ihre Anliegen und Argumente beiden Abgeordneten anzubringen. Gablers Wirtschaftslexikondefiniert Lobbyismus als »Einflussnahme organisierterInteressengruppen (z.B. Verbände, Vereine,Nichtregierungsorganisationen) auf Exekutive undLegislative, beispielsweise in der Form von Anschreiben,Telefonaten, Anhörungen, Vorlagen, Berichten, Studien etc.Gegenleistungen der Interessengruppen an die Politikerkönnen spezifische Informationen, Spenden etc. sein.Lobbyismus kann sich auch in der Androhung von politischemDruck (Streik, Lieferboykott, Abbau von Arbeitsplätzen)äußern.«[5]

Die Sozialwissenschaftler und Publizisten Andreas Kolbe,Herbert Hönigsberger und Sven Osterberg haben 2011 imAuftrag der gewerkschaftsnahen Otto-Brenner-Stiftung eineumfangreiche und lesenswerte Studie zum ThemaLobbyismus in Deutschland vorgestellt. Dafür werteten siezehn Jahre rückwirkend Presseberichte zum Thema aus,analysierten einschlägige Parlamentsdebatten undRegulierungsforderungen und interviewten 40 Lobbyisten,Politiker und Wissenschaftler. Für die drei Forscher istLobbyismus »ein apartes, spezifisches Element derInteressenvertretung, eine Spezialdisziplin, das taktische

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Vorgehen auf einem bestimmten Operationsfeld, ebenunmittelbar gegenüber der Politik«.[6]

Kurzum: Es geht Lobbyisten zunächst einmal darum,politische Entscheidungen im eigenen Interesse oder demder Auftraggeber zu beeinflussen, zu lenken und nicht seltenauch zu manipulieren. Mit Folgen für die Allgemeinheit.Lobbyismus war schon immer ein Kampf, bei dem bisweilendie Interessen vieler denen einiger weniger zum Opfer fielen.

Die Historiker streiten, ob der Begriff Lobbyismus auf denSenat im antiken Rom zurückgeht oder sich erst viel späterin Zusammenhang mit dem britischen Unterhausbeziehungsweise dem US-amerikanischen Kongressentwickelt hat. Zimperlich ging es schon in derVergangenheit in keinem Parlament zu. Damals wie heutewurden Politiker vor allem bezirzt und umschmeichelt.Wurde ihre Nähe gesucht, um sie freundlich gewogen zustimmen, sie zu vereinnahmen. Schon immer erinnertenInteressenvertreter die Politiker aber auch sehr deutlich undunmissverständlich daran, wer sie unterstützt, finanziert undgewählt hat – wem sie also verpflichtet sind. Und klärten dieVolksvertreter mehr oder weniger drastisch darüber auf, wasihnen alles blüht, wenn sie den Wünschen ihrer Helfer undWähler nicht parlamentarische Folge leisten. Neu ist dasPhänomen also nicht.

Von Anfang an verbanden sich damit Grundsatzfragen derbürgerlichen Gesellschaft: Was ist letztlich der Antriebpolitischer Entscheidungen? Sind es Partikularinteressen?Oder ist es das Gemeinwohl?

Bereits 1793 hieß es in der Deutschen Encyclopädie: »DasInteresse ist das Band der menschlichen Gesellschaften (…).

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In allen Staaten, die das Eigentum eingeführt, kann keineandere Triebfeder als das Interesse stattfinden.« ImGegensatz dazu wurzelte die unerschütterliche, konservativeGewissheit vom Staat hoch über dem Gerangel derInteressen, die der Historiker, Publizist undReichstagsabgeordnete Heinrich von Treitschke Ende des 19.Jahrhunderts noch einmal in seiner »Politika« auf die Formelbrachte: »Ein Gemeinwohl gibt es unzweifelhaft, weil eseinen Staat gibt.«[7]

Seit jeher stehen sich zwei Gesellschaftstheorienunversöhnlich gegenüber: auf der einen Seite politischeDenker, die, wie Jean-Jacques Rousseau (1712–1778), davonausgehen, dass das Durchsetzen individueller Interessen zuLasten des Allgemeinwohls geht. Sein Credo war daher eineVolonté générale, ein Gemein- oder Volkswille, der sich nachRousseaus Überzeugung nur bei Abwesenheit vonTeilgesellschaften herausbildet. Demgegenüber versteht manin der amerikanischen Politiktradition unter Allgemeinwohldie Summe aller Partikularinteressen eines Landes. Deshalbgilt im politischen Washington bis heute eine größtmöglicheVielfalt an Interessenvertretung als durchaus erwünscht.

Der Austausch mit Interessenvertretern gehört zumKerngeschäft von gewählten Parlamentariern. Daran ist auchüberhaupt nichts Verwerfliches. Sie sollen, ja, sie müssenwissen, was das Volk denkt, wie Themen diskutiert werden.Abgeordnete brauchen Argumente sowie die fachlicheExpertise und inhaltliche Unterstützung von Experten, diesich zwangsläufig nicht automatisch und ausschließlich inParlamenten selbst finden. Die Themenpaletten vonAbgeordneten sind zu breit gefächert, als dass sie immeralles wissen und in jedem Themenfeld tief verwurzelt und auf

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dem jeweils neuesten Stand sein können. Der Grundgedanke,das Ideal, ist ja auch faszinierend: Jeder, der will und kann,bringt seine Argumente, sein Spezialwissen, seine Faktenund seine Kompetenzen in den politischen Prozess ein. DiePolitiker sammeln die Informationen, sichten sie, wägen ab,balancieren die widerstreitenden Interessen aus – undentscheiden am Ende zum Wohle aller. Das wäre gut, undohne Zweifel funktioniert es oft auch so.

Dass dabei auch partikulare Interessengruppen, egal obUmweltorganisationen oder Wirtschaftsverbände, ihreAnliegen bei Parlament und Regierung zu Gehör bringen undihre Wünsche, Argumente und Bedenken formulieren, istnachvollziehbar und legitim. Es ist in Deutschland sogarausdrücklich so im politischen Prozess vorgesehen und stehtunter dem Schutz unserer Verfassung. Das Grundgesetzerlaubt, ja, fordert geradezu die ungehinderteInteressenvertretung von Bürgerinnen und Bürgern, aberauch von gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Gruppen imparlamentarischen Prozess. Auch einseitige Interessendürfen und sollen vorgebracht werden.

Im parlamentarischen Alltagsgeschäft regelt zudemParagraph 47 der Gemeinsamen Geschäftsordnung derBundesministerien (GGO), dass Fachkreise und Verbände ander Gesetzesvorbereitung zu beteiligen sind. Verbände,Gewerkschaften, Fach- und Berufsvereinigungen oderNichtregierungsorganisationen werden mit den Interessenihrer Mitglieder so im politischen Entscheidungsprozessidealerweise zu Repräsentanten gesellschaftlicher Vielfalt.Auch für die Akzeptanz des demokratischen Systems ist dieEinbeziehung von Parteien und Interessengruppenunverzichtbar.

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Die Frage stellt sich also nicht, ob Interessenvertretunglegitim ist, sondern welche Art von Interessenvertretung demdemokratischen Gefüge gut tut und nützt. Und wo dieGrenze zu unerlaubter, einseitiger, ja für die Gesellschaftschädlicher Einflussnahme beginnt. Wo gewolltedemokratische Partizipation und das sinnvolle Einspeisen vonArgumenten und fachlicher Kompetenz in einseitigeBeeinflussung, ökonomischen Druck und Manipulationpolitischer Entscheidungen und gesellschaftlicherEntwicklungen übergehen. Anders formuliert: Wo dasAllgemeinwohl unter die Räder gerät und sichEinzelinteressen durchsetzen. Und wo dadurch eingefährliches Ungleichgewicht in der demokratischenGesellschaft entsteht.

»Demokratie braucht den Austausch mitInteressengruppen und gerade auch mitWirtschaftsvertretern«, sagt Edda Müller. »Dass sie sich zuWort melden, ist nicht nur völlig legitim, sondern auchnotwendig.« Müller, Jahrgang 1942, kennt das Thema auseigener, langer Erfahrung auf vielen Seiten.

Die resolute Politikwissenschaftlerin arbeitete nach demAbitur kurze Zeit als Journalistin. Nach dem Studium heuertesie als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei einemBundestagsabgeordneten an, ehe sie imBundesinnenministerium und im Kanzleramt, später dannauch im Umweltbundesamt und im damals neuenBundesumweltministerium administrative Aufgaben inLeitungsfunktionen übernahm. Von 1994 bis 1996 amtiertedie parteilose Müller als Umweltministerin in Schleswig-Holstein im Kabinett der SPD-Ministerpräsidentin HeideSimonis. Anschließend war sie Vize-Chefin der europäischen

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Umweltagentur in Kopenhagen und Vorstand desVerbraucherzentrale-Bundesverbands (vzbv). Seit 2010 istEdda Müller Deutschland-Chefin der Anti-Korruptionsorganisation Transparency International. Unddamit, wenn man so will, Lobbykritikerin und Lobbyistin ineiner Person.

Die Unterscheidung, welcher Lobbyismus demAllgemeinwohl dient und welcher ihm schadet, ist bisweilennicht so leicht zu treffen, wie es auf den ersten Blick scheint.Auch Nichtregierungsorganisationen wie TransparencyInternational oder LobbyControl, die lobbykritischsteOrganisation überhaupt hierzulande, Umwelt- undNaturschutzverbände, Gewerkschaften, Wohlfahrts- undandere Sozialorganisationen suchen gleichermaßen Zugängein Ministerien und Politik, um ihre Anliegen durchzusetzen.Von Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften gar nichterst zu reden. Alle sind auch Lobbyisten. Auch ihnen allengeht es darum, die öffentliche Meinung nach ihrem Gusto zuprägen, gesellschaftliches Klima zu beeinflussen undparlamentarische Mehrheiten für ihre Anliegen zuorganisieren. Auch sie sind dabei nicht immer zimperlich inder Wahl der Methoden. Auch sie setzen bisweilen Politikerunter Druck, stellen sie an den öffentlichen Pranger oderversuchen, über Hinterzimmer-Diplomatie subtil und diskretEinfluss zu nehmen.

Und doch darf man zumindestNichtregierungsorganisationen, die sich für die Interessender Umwelt, der Schwachen oder gegen Korruption und dieUnterwanderung der Demokratie einsetzen, nicht in einenTopf werfen mit jenen Lobbyisten, die ziemlich rücksichtslosPartikularinteressen zum Nutzen einzelner Auftraggeber

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durchboxen wollen. Letztere werden nicht nur immerzahlreicher. Sie werden dank zahlungskräftiger Mandantenauch immer einflussreicher. Die Davids in diesem Duellmögen bisweilen mehr Sympathien in der Öffentlichkeit undbei den Medien genießen als die Goliaths. In Wirklichkeitaber sind sie diesen Goliaths oft hoffnungslos unterlegen,zahlenmäßig, von ihren Etats und Ressourcen her und wasdie direkten Zugänge in die Büros der Entscheider angeht.

Das wachsende Ungleichgewicht im Widerstreit derInteressen hat inzwischen gefährliche Ausmaßeangenommen. So sehen es längst auch Insider aus demPolitikbetrieb. »Es gibt keine Chancengleichheit zwischenden unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen, was ihreEinflussnahme auf die Politik betrifft«, beklagt der gelernteJournalist und SPD-Bundestagsabgeordnete Marco Bülow.»Verbände ohne große Geldgeber, ohne wirtschaftlicheInteressen haben schlechtere und weniger Möglichkeiten,den Abgeordneten ihre Auffassungen nahezubringen.« DieInteressen einzelner Bürger, so Bülow weiter, »drohenvollständig unterzugehen, wenn sie nicht gerade imWahlkreis auf einen gesprächsbereiten Abgeordnetentreffen«.[8]

»Wir brauchen Lobbyismus und er wird deswegen immermassiver, weil wir ein unvorstellbar schlechtes Parlamentund eine unvorstellbar schlechte Regierung haben«, erklärteuns ein ranghoher deutscher Manager, der namentlichjedoch nicht genannt werden will. »Wenn denen keiner hilft,dann richten sie nur noch mehr Schaden an.«

Das klingt gerade so, als wäre professionelle Lobbyarbeit

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eine zuvörderst am Gemeinwohl orientierte Veranstaltung.Das ist sie allerdings weder in Berlin noch in Brüssel odersonstwo. Sie spielt sich vielmehr in einer Grauzone mitfließenden Übergängen zu Patronage und Korruption ab. Sieunterhöhlt die Demokratie und sie entmachtet langsam abersicher die Abgeordneten. »In seiner heutigen Ausprägungsteht Lobbyismus oft nicht für das Ausleben vonGrundrechten, sondern er bringt sie in Gefahr«, warnt EddaMüller von Transparency International. Wie sehr das gute,alte Gleichgewicht der widerstreitenden Interessen aus demLot geraten ist, zeigt sich ausgerechnet dort am besten, woder Lobbyismus heutiger Prägung entstanden ist: in denVereinigten Staaten von Amerika.

Dort wird Lobbying wie nie zuvor von finanzstarkenInteressen dominiert. Eine Analyse der Sunlight Foundation –einer Nichtregierungsorganisation, die für mehrTransparenz in der Politik eintritt – ergab, dass Vertreter derUS-Administration sich im Zuge der Reformen nach derFinanzkrise 2008/09 14-mal häufiger mit Vertretern vonBanken getroffen haben als mit Vertretern vonVerbraucherschutzgruppen.

Amerikas Lobbyisten, die sich in der berühmten K-Streetvon Washington sammeln, genießen den zweifelhaften Ruf,weltweite Vorreiter und die einflussreichsten überhaupt zusein. Dabei geht es selbst in den USA noch um einevergleichsweise junge Profession. Noch vor 50 Jahren hattennur wenige Konzerne professionelle Einflüsterer undStrippenzieher. Als Ralph Nader in den 60er Jahren alserster moderner Verbraucherschützer gegenSicherheitsmängel in der Autoindustrie zu Felde zog, hatteGeneral Motors keinen einzigen Lobbyisten in Washington

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sitzen. Der professionelle Kampf der Wirtschaft um dieMeinungshoheit in Politik und Öffentlichkeit begann erst zuBeginn der 70er Jahre, als sich Unternehmenzusammenschlossen, um sich gemeinsam gegen dieKapitalismuskritik zu wehren. Die Mitgliederzahl in der US-Handelskammer stieg von 36 000 im Jahr 1967 auf 80000 imJahr 1974 und verdoppelte sich bis 1980 erneut auf160000.[9]

Lange tummelte sich die Lobbyistenszene fastausschließlich dort, wo sie sich am liebsten aufhält: imHintergrund. Die breite Öffentlichkeit nahm sie kaum wahroder interessierte sich nicht für die professionellenEinflüsterer. Nur sehr selten wurde deren Arbeit medialthematisiert oder gar problematisiert. Das änderte sich, jemehr die Wissenschaft den Lobbyismus alsForschungsgegenstand entdeckte – und mit erstaunlichenErgebnissen aufwartete. Denn längst lässt sich in Zahlenexakt messen, wie sehr sich die Einflüsterung der Wirtschaftfür sie auszahlt.

Beispiel USA: Von den 100 größten Unternehmen desLandes zahlten 2010 jene zehn die geringsten Steuern, dieauch am meisten für Lobbying ausgaben. Ihre Steuerrate lagStudien zufolge bei 17 Prozent. Die 80 Prozent, die amwenigsten Geld für Lobbying ausgaben, zahlten dagegen 26Prozent.[10] Es scheint, als wäre es für die Stärksten inGesellschaften mancherorts ein Leichtes geworden, diePolitik für die eigenen Interessen einzuspannen. Die Kostensolcher Privilegien zahlen viele Millionen Steuerzahler.Gerade für die Schwächsten ist eine solche Politik derStarken eine schreiende Ungerechtigkeit.

Letztlich aber leidet unter wachsenden Ungleichgewichten

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die ganze Gesellschaft. Diese beunruhigende Erkenntnisentstammt einem Buch mit dem Titel »Aufstieg undNiedergang von Nationen«. Autor ist Mancur Olson, ein 1998im Alter von nur 66 Jahren verstorbener amerikanischerÖkonom und zu Lebzeiten ein Dauerkandidat für denNobelpreis. Olson beschreibt in dem gut 30 Jahre alten Werkeindrucksvoll und mit vielen Beispielen belegt, wieerfolgreiche Gesellschaften erstarren, wenn sie zum Opfervon Interessengruppen werden. Olsons These, starkvereinfacht: Je länger es einer Volkswirtschaft gut geht,desto anfälliger wird sie für den Angriff organisierterInteressen. Denn Partikularinteressen sind nun einmalleichter zu mobilisieren als die der Allgemeinheit. Noch dazu,wenn diese Allgemeinheit zufrieden, vielleicht sogar satt ist.

In der bundesrepublikanischen Nachkriegszeit, alsDeutschland noch geteilt und anstelle von Berlin dasrheinische Bonn als provisorische Hauptstadt diente,herrschten diesbezüglich noch überschaubare Verhältnisse.Der SPD-Bundestagsabgeordnete Bülow spricht von den»alten Zeiten des Bonner Lobbyismus, als vorrangig Kirchen,Bauern, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände Einflussausübten«.

Diese seien jedoch unwiderruflich vorbei. »Heute tummelnsich neben diesen ›klassischen Lobbyisten‹ unzähligeVerbände, Agenturen, Beraterfirmen, die sich nicht soeinfach bestimmten Interessengruppen zuordnen lassen«,schildert Bülow. »Der Lobbydschungel ist dichter und er istundurchsichtiger geworden.« Das sei ein riesiges Problemfür die Volksvertreter. »Was seriös und unabhängig anmutet,ist häufig von Geldgebern initiiert, denen es lediglich umökonomische Interessen geht. Vorgetäuschte

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Gemeinwohlinteressen und irreführende Kampagnengehören mittlerweile zum Alltag der BerlinerLobbyrepublik.«[11] Allein in Berlin gibt es einige HundertUnternehmensrepräsentanzen, Brückenköpfe von Firmen,die von dort aus ihre eigenen Interessen verfolgen.

Mehr als 2200 Verbände und andere Organisationen sindoffiziell beim Bundestag registriert. Ihre Vertreter besitzenden sogenannten »Verbändeausweis«, mit dem sie imParlament nach Belieben ein und aus gehen können. Dazukommen die Repräsentanten von Konzernen undDenkfabriken sowie immer mehr auf Lobbying spezialisierteDienstleister. Schätzungen zufolge schwirren in derHauptstadt täglich etwa 5000 Lobbyisten aus, um dieBundestagsabgeordneten, die Regierungsmitglieder und dieEntscheider in den Ministerien zu bearbeiten.

Legt man diese Zahl zugrunde, kommen statistisch aufeinen Bundestagsabgeordneten inzwischen acht Lobbyisten.Gewählte Politiker sind umzingelt von Einflüsterern, die nichtnur deswegen immer mächtiger geworden sind, weil sie sichscheinbar unbegrenzt vermehren. Sondern vor allem, weilihre finanziellen Etats immer größer und ihre Methodenimmer raffinierter werden. Sie verfügen über teilweiseansehnliche und hochqualifizierte Mitarbeiterstäbe, siearbeiten so strategisch und professionell wie nie zuvor.

Schnell offenbart sich beim Blick auf die Szene derprofessionellen Lobbyisten ein zentrales Problem: Sie werdenhierzulande nur unzureichend registriert und kontrolliert.Niemand weiß zuverlässig, ob die genannten Zahlenstimmen, wie viele solcher Söldner wirklich in wessenAuftrag, mit welchen Zielvorgaben, und vor allem: mitwelchen Ressourcen unterwegs sind. »Es fehlt ein

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verbindliches Lobbyregister, in das sich jederInteressenvertreter eintragen muss«, sagt der AbgeordneteBülow. So wie in den USA oder in Kanada. Sogar bei dervielgescholtenen EU in Brüssel geht es diesbezüglichtransparenter zu. Doch vor allem die Union im Bundestagsträubt sich gegen das Register und auch bei denSozialdemokraten findet ein solches nicht bei allenuneingeschränkte Zustimmung. Im Koalitionsvertrag deraktuellen Bundesregierung findet sich dazu kein Wort.

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Heckenschützen der Demokratie

Lobbyisten sind auch in eigener Sache erfinderisch.Lobbyismus tue der Demokratie und dem Parlamentarismusgut, wenden Lobbyisten gegen Kritik ein. Nur dasWechselspiel, der Austausch zwischen Politik undGesellschaft, zwischen Regierenden und Regiertenverhindere doch schließlich, dass sich Staat und Bevölkerungvoneinander entfernen. Im Übrigen vertrete die Wirtschaftnicht per se nur die Interessen einer kleinen Führungselite,sondern auch die der breiten Masse der Bevölkerung.Schließlich gehe es in letzter Konsequenz immer umArbeitsplätze und damit den breiten Wohlstand derGesellschaft. »Im immer härteren Wettbewerb einer globalenWirtschaft stellt sich nun einmal die Frage, wie Politik undUnternehmen zusammenwirken können, damit die FirmenAufträge erhalten«, sagt uns ein Berliner Lobbyist. »Das istdoch vernünftig und im Sinne aller.«

Es sind Argumente, die zu den Vernebelungstaktiken ausden Büros von Strategieberatern passen. Die Wirklichkeitsieht anders aus. Zunächst einmal ist es so, dass auchinnerhalb der Wirtschaft ein enormes Gefälle herrscht, wasLobbyismus und seine Wirksamkeit angeht. Die Millionenkleiner Handwerker, Händler und Dienstleister, diemittelständischen Unternehmer mit fünf, 50 oder vielleichtsogar noch mit 500 Beschäftigten haben bei Weitem nicht dielobbyistische Durchschlagskraft wie große, globale Konzerne.Ihre Interessen kommen häufig genauso unter die Räder wiesoziale und ökologische Themen.

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Es setzt sich im politischen Willensspiel erwiesenermaßenin vielen Fällen durch, wer mehr Macht entwickeln unddementsprechend entfalten kann. Wer seine Positionen nichtnur geschickt, sondern auch an der richtigen Stelle und vorallem wirkmächtig anbringt. So, wie im Profifußball Gelddurchaus die Tore schießt, so setzt sich im Ringen derInteressen auf dem politischen Spielfeld eben oft der durch,der mehr Geld in seine Mannschaft investieren kann als dieKonkurrenz. Und was bei tollen Fußballmannschaften dieunüberwindbaren Defensivspieler, die genialen Spielmacheroder die Torjäger im Sturm sind, das sind auf dem politisch-wirtschaftlichen Spielfeld die wirkmächtigen, raffinierten unddurchsetzungsstarken Lobbyisten.

Wer beim finanziellen Wettrüsten um die Meinungsmachenicht mithalten kann, erzielt schon mal einen Glückstreffer.Am Ende aber steht meist die andere Seite oben. Wann etwahat es die Lobby der Millionen Sozialhilfeempfängergeschafft, für signifikant höhere Sozialleistungen zu streiten?Erst recht erfolgreich? Erinnern Sie sich noch? Am 1. Januar2015 stieg der Sozialhilfe-Regelsatz von 399 Euro im Monatauf 404 Euro. Nicht, weil es die Politik so wollte. Sondern,weil es das Bundesverfassungsgericht anmahnte. 2012erklärten die Karlsruher Richter auch die Sätze fürAsylbewerber und Kriegsflüchtlinge in Deutschland fürmenschenunwürdig. 2014 wurden sie notgedrungen erhöht.Ohne das Urteil wäre nichts passiert. Das zeigt: Wer keineschlagfertige Lobby im Rücken hat, kann auch im reichenDeutschland arm dran sein.

Die gravierenden Veränderungen politischerRahmenbedingungen in den vergangenen Jahren spielen

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Lobbyisten in die Karten und haben zu ihrem Machtzuwachserheblich beigetragen. Die nahezu totale Ökonomisierungder Gesellschaft und des Staates ist eine dieserVeränderungen. Spätestens seit der Finanzkrise 2008 mit allihren Folgen haben wirtschaftliche Belange einen weitausgrößeren Stellenwert im öffentlichen Bewusstsein dermeisten Menschen – und das bildet sich natürlich auch imtagespolitischen Geschehen ab. Man mag das begrüßen oderals schlimm empfinden – es ist eine Tatsache.

Hinzu kommt eine andere, fragwürdige Entwicklung. DasPrimat der Politik wankt. Es wird unterhöhlt. Es drohtschleichend durch ein Primat der Wirtschaft ersetzt zuwerden. Nicht selten werden tief in die gesellschaftlicheArchitektur eingreifende Fragen vor allem oder sogarausschließlich unter ökonomischen Aspekten diskutiert undim Ergebnis danach ausgerichtet. Schulen werden zumBeispiel immer weniger als Institutionen gesehen, dieAllgemeinwissen vermitteln, zukünftige Persönlichkeiten undmündige Staatsbürger prägen sollen, sondern als reineVorbereitungsinstanzen für das Berufsleben, als Dienstleisterfür die Wirtschaft also.

Abgeordnete trauen sich ihrerseits immer seltener, alleineihrem Gewissen zu folgen, wie es ihnen das Grundgesetzeigentlich aufträgt. Und das hat nicht immer nur damit zutun, dass sie um ihre eigene (partei)politische Karrierefürchten, wenn sie sich dem Mainstream in den eigenenReihen entgegenstellen. Vielmehr bauen sich großesystemische Hürden und strukturelle Widerstände auf, dievon Lobbyisten verursacht werden.

Die Realität diesbezüglich ist bitter. Wer grundlegendeReformen plant, sei es in der Finanz-, Energie-,

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Landwirtschafts- oder Gesundheitspolitik, wird es beinahezwangsläufig mit einem Heer von Lobbyisten derBesitzstandswahrer zu tun bekommen. Die Heckenschützenfeuern aus unterschiedlichsten Richtungen, aber immer aufdasselbe Ziel. Und wenn nötig, wiegeln sie das Patientenvolkmit Wartezimmer-Kampagnen, Stromverbraucher mitNachrichten über Preisexplosionen oder Sparer mit derSorge um die Sicherheit ihrer Anlagen auf. Welcher Politikermag sich das antun und solche Reformen anstoßen? Nein, inder Politik ist am Ende eben nicht alles eine Frage vonSachverstand und besseren Argumenten.

Christina Hohmann-Dennhardt weiß sehr genau, wo dieGefahren einer Schieflage im demokratischenEntscheidungsprozess liegen, denn sie kennt ihn aus demEffeff. Hohmann-Dennhardt war viele Jahre Politikerin. Von1991 bis 1999 saß sie für die SPD in der hessischenLandeshauptstadt Wiesbaden auf der Regierungsbank.Zuerst als Ministerin für Justiz, später für Wissenschaft undKunst. Dann wechselte sie in jene Institution, die als Hüterindes Grundgesetzes gilt: zum Verfassungsgericht. Von 1999bis 2011 gehörte Hohmann-Dennhardt als Richterin demErsten Senat des Bundesverfassungsgerichts an. Am 1.Januar 2016 (und damit erst nach dem VW-Abgasskandal)wurde sie Mitglied im Vorstand der Volkswagen AG,zuständig für Integrität und Recht.

In einem Aufsatz formulierte sie einmal, was sie für dasLand fürchtet.[12] Es bestehe die Gefahr, dass Interessennicht nach ihrem Gehalt, sondern der Schlagkraft derInstrumente zu ihrer Durchsetzung gewichtet werden undsich danach politische Prioritaten ausrichten. »Damit aberfallen viele Interessen ganz einfach durch den politischen

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Rost. Von einer ausgewogenen Interessenberucksichtigung,gar einem Interessenausgleich kann dann nicht mehr dieRede sein«, warnt Hohmann-Dennhardt.

Von einfachen, pauschalen Vorwürfen sind die meistenLobbyismuskritiker weit entfernt. Viele sehen auch dasVorgehen gegen ausufernde Interessenvertretung alsGratwanderung. Die Ex-Politikerin und Ex-Verfassungsrichterin Hohmann-Dennhardt stellt etwa klar:»Um hier nicht missverstanden zu werden: Es ist gewissrichtig und wichtig, dass die Politik auch die wirtschaftlichenInteressen von Unternehmen und Privatkapitalberucksichtigt, denn es ist von allgemeinem Interesse, dassdie Wirtschaft floriert. Doch wenn nicht mehr die eigeneUberzeugung von der Richtigkeit eines einzuschlagendengesetzgeberischen Weges maßgeblich fur dasEntscheidungsverhalten ist, sondern die Politik sichgezwungen fuhlt, dem ausgeubten Druck dominanterInteressen unter Zuruckstellung der anderen nachzugeben,dann gerat sie an deren Gangelband und folgt nicht mehrihrem demokratischen Auftrag, ihr Handeln am gemeinenWohl unter Einbeziehung aller Interessen auszurichten.«

Dem zu widerstehen ist die Aufgabe von Regierenden wieAbgeordneten, denen die Verfassung genau dafür das freieMandat an die Hand gegeben hat. Doch tun sie das noch?Und können sie das überhaupt noch tun?

Ein bekanntes Beispiel, das vieles in Frage stellt: Die Agenda2010 wäre womöglich von vornherein gescheitert, hätte Ex-Kanzler Gerhard Schröder nicht Lobbyisten mit an den Tischgeholt. Die Hartz-Reformen waren kein Hexenwerk derPolitik. Die umstrittenen Arbeitsmarktreformen, die auch die

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Senkung von Sozialstandards zum Ziel hatten, wurden inGremien und Kommissionen entwickelt, bei denenkeineswegs nur gewählte Politiker mit Hilfe objektiver undneutraler Fachleute berieten und entschieden, sondernbestimmte Interessengruppen mit ganz eigenenökonomischen Interessen involviert waren. Ganz abgesehenvon denen, die im Hintergrund als Einflüsterer in desKanzlers Ohr mitredeten. Vorneweg: Peter Hartz, damalsPersonalvorstand des Volkswagen-Konzerns – und sogarNamensgeber des Gesetzes.

Der Rückblick offenbart zweierlei, was denvolkswirtschaftlichen Erfolg der Schröder’schen Agenda-Reformen unter demokratischen Gesichtspunkten trübt undin Bezug auf die Genese von Gesetzen hellhörig werden lässt.Erstens: Die Politik hat sich beim wichtigstensozialpolitischen Reformvorhaben der vergangenenJahrzehnte von Anfang an zu einem gerüttelt Maß anLobbyisten ausgeliefert. Zweitens: Die Politik ist inzwischenderart im Würgegriff von Lobbyisten, dass sie aus eigenerKraft nicht mehr entscheiden kann oder will. Zumindest dannnicht, wenn Politiker vor der Alternative stehen, Lobbyistenvon vornherein nachzugeben oder aber von derenTrommelfeuer vor der nächsten Wahl abgeschossen zuwerden. Dass Schröder Lobbyisten mit an den Tisch bat, hatihm zweifellos auch viel Gegenwind aus deren Reihenerspart. Es mag unter pragmatischen Gesichtspunktenrichtig gewesen sein. Unter demokratischen Gesichtspunktenwar es der Schritt über den Rubikon.

Die Agenda 2010 war eine politische Antwort derBundesregierung auf die neuen Anforderungen derGlobalisierung mit ihren internationalisierten Waren- und

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Kapitalströmen, dem grenzübergreifendenStandortwettbewerb und den Konsequenzen aus alldem fürArbeitsmarkt und Wohlstand.

Generell erwies sich in den vergangenen Jahren geradediese Globalisierung als gewaltiger Durchlauferhitzer fürLobbyismus. Durch sie hat der Wettbewerb, derKonkurrenzkampf also, erheblich zugenommen. Das gilt fürUnternehmen untereinander ebenso wie für den Einzelnen.Jeder von uns kann sich heute seinen Arbeitsplatz fastmühelos im Ausland suchen, muss umgekehrt aber auchdamit zurechtkommen, dass sein Konkurrent um eine freieStelle womöglich aus einem anderen Land oder Kontinentkommt. Die Frage also, unter welchen BedingungenMenschen arbeiten und leben, ist längst schon keinenationale mehr.

Eine Folge dessen ist, dass politischeEntscheidungsprozesse immer komplexer und damit auchkomplizierter werden. Nach welchen Gesetzen undRichtlinien, etwa im Umweltbereich, gewirtschaftet wird, istnicht mehr national oder gar in immer bedeutungsloserenRegionalparlamenten wie den 16 deutschen Landtagen zulösen. Die Warenströme, die Finanzmärkte, immer stärkerauch der Arbeitsmarkt für Fach- und Führungskräfte,funktionieren global. Also braucht es auch vermehrtinternationale Spielregeln für ökonomisches Handeln.

Große Bedeutung kommt dabei aus deutscher Sichtnaturgemäß der EU zu, die sich – wie das Griechenland- unddas Flüchtlingsthema zeigen – sehr schwer damit tut, dieInteressen all ihrer 28 Mitgliedsstaaten zu bündeln.

All dies bildet einen idealen Nährboden für Lobbyismus. Jezahlreicher, je unübersichtlicher, komplizierter und

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verzweigter die Wege werden, die administrative undpolitische Entscheidungen nehmen, desto lauter wird der Rufnach Pfadfindern. Nach denen, die zumindest geschicktvorgeben, sich auf diesen verschlungenen Wegen besondersgut auszukennen und den Kurs im Sinne ihrer Auftraggebermitbestimmen zu können.

»Der Stellenwert, den der Profitlobbyismus in der BerlinerRepublik mittlerweile angenommen hat, ist kaum zuunterschätzen. Finanzstarke und mächtige Lobbyistenbeeinflussen die Politik nicht mehr nur, sondern bestimmensie maßgeblich mit«, kritisiert der SPD-Abgeordnete MarcoBülow. »Insgesamt nähern wir uns mit riesigen Schritten dervom britischen Politikwissenschaftler Colin Crouchprognostizierten Postdemokratie, bei der die Demokratieformal zwar bestehen bleibt, aber der Einfluss derlegitimierten Volksvertreter immer mehr auf diewirtschaftlichen Machteliten übertragen wird. DerVerbindungsarm dieser Eliten zur Politik wird dabei von denLobbyisten gebildet.«[13]

Inzwischen sei der Einfluss der Lobbyisten »beachtlich«und »in zunehmendem Umfang glänzend organisiert«, klagtselbst Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU). AuchDemokratieforscher haben das als Problem für das sorgsamaustarierte Gefüge einer ganzen Gesellschaft ausgemacht:Wer sich mit viel Einfluss und Geld Gehör verschaffen kann,kommt schlicht leichter durch. »Gemessen am Werbeetateines Weltkonzerns«, schreibt der Soziologe DietmarJazbinsek, »ist jeder Akteur der Zivilgesellschaft einSchwächling«.[14]

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Die neuen Einflüsterer: Wie sichLobbyismus verändert

Was in den Hinterzimmern der Macht weitgehendunkontrolliert wuchert, ist selbst zu einer äußerstprofessionellen und lukrativen Branche geworden. DasBetriebskapital der Lobbyisten sind ihre Netzwerke auspersönlichen Kontakten, die im Idealfall in die Zentralen derPolitik führen, in die Spitze von Ministerien, Parteien oderFraktionen. Genauso aber in die Abgeordnetenbüros, in dieAmtsstuben von Ministerien und andere Behörden. Dorthinalso, wo Gesetze vorbereitet, entwickelt und vorformuliertwerden, lange bevor die Öffentlichkeit von ihnen Notiz nimmtoder ein Parlament sie diskutiert.

Für Lobbyisten geht es darum, die eigenen Auftraggebermöglichst früh mit Informationen zu versorgen, die Lage zuanalysieren – und die nächsten Schritte der Einflussnahmestrategisch und konkret zu planen. Wissensvorsprung istalles. Ein Paradebeispiel dafür waren dieKoalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU und SPD nachder Bundestagswahl 2013.

Während die Unterhändler der Parteien miteinander umdie politischen Inhalte und Ziele der neuen Regierungrangen, kamen die Lobbyisten kaum noch zum Schlafen. IhreKunst bestand darin, in möglichst frühen Stadienherauszufinden, was wie im Koalitionsvertragfestgeschrieben werden soll. Und dort, wo etwas wider dieeigenen Interessen oder die der Auftraggeber zu laufendrohte, möglichst schnell Gegenpositionen zu formulieren,

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wohlgesinnte Politiker aus dem eigenen Netzwerkentsprechend zu penetrieren, ihnen zu drohen, sie zu locken,zu überzeugen oder zu manipulieren. Auf dass sich die GroßeKoalition nichts in ihr Programm schreibt, was sich negativaufs Geschäft auswirken könnte.

In solchen Zeiten offenbart sich, ob ein Lobbyist in denJahren zuvor gut gearbeitet hat. Ob sein Netzwerk gut genugist, um auf Koalitionsverhandlungen Einfluss zu nehmen. Obes gelingt, die eigenen Positionen denen unterzuschieben,die am Ende der Verhandlungen tatsächlich über dieeinzelnen Punkte des Koalitionsvertrages entscheiden.

Viele Lobbyisten leisteten ganze Arbeit, wie die folgendenKapitel zeigen werden. Sie griffen ein, mischten beimKoalitionsvertrag mit und schickten gut verdrahteteVertraute ins Rennen – teils aus dem Parlament selbst.

Die Wirtschaft steuert ihre Lobbyisten heute so aggressiv, sogeschickt und filigran wie noch nie. Lange machte keinechter Lobbyskandal mehr die Runde. Nicht etwa, weil derLobbyismus an Intensität verloren hätte. Sondern weil sichseine Methoden raffiniert verfeinern. Politiker treffen aufimmer besser spezialisierte, clevere Interessenvertreter.

Lobbying hat es inzwischen sogar auf die Lehrplänerenommierter Hochschulen geschafft, zum Beispiel an derLudwig-Maximilians-Universität München. Im Seminar»Convincing Political Stakeholders« lernen Studenten, wieman in der Politwelt überzeugt. Master-Studenten sollen imProseminar etwa Antworten auf Fragen wie diesebekommen: Was sind die »Werkzeuge« desInteressenvertreters in der Praxis und wie sind sie

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anzuwenden? Eine neue Generation von Einflüsterern wirdda herangezüchtet. »Mein größter Erfolg ist, wenn einPolitiker meine Idee als seine verkauft«, sagt der Spezialisteiner Lobbyagentur aus Berlin und Brüssel. »Lobbyismus,das ist natürlich der Versuch, die Gesetzgebung zubeeinflussen.«

Das Versprechen der Demokratie, Entscheidungsprozessemit gleichen Stimmen bei der Wahl beeinflussen zu können,droht so zur leeren Phrase zu verkommen. DerStaatsrechtler Hans-Jürgen Papier, von 2002 bis 2010Präsident des Bundesverfassungsgerichtes, stellt klar, dasses eine »echte Waffengleichheit der verschiedenengesellschaftlichen Gruppen bei der Wahrnehmung ihrerInteressen mittels Lobbying« kaum geben könne. Schwächerrepräsentierte Interessen geraten leicht unter die Räder.

Was aber bedeutet all dies für die Politik? Für dieDemokratie? Für uns alle als Staatsbürger?

Der 2015 verstorbene Schriftsteller undLiteraturnobelpreisträger Günter Grass hat es zu Lebzeitenschon länger kommen sehen. Bei einem Vortrag zumzehnjährigen Bestehen der JournalistenvereinigungNetzwerk Recherche in Hamburg kam er 2011 zu einerverheerenden Zustandsbeschreibung: »Es gibt ihn (denLobbyismus, d. Verf.) und seine Begehrlichkeiten, was alleindie Bundesrepublik betrifft, von Anbeginn«, sagte Grass.[15]

»Von der Flick-Affäre über die Machenschaften desSpendenkanzlers Kohl bis hin zu den erpresserischenTätigkeiten der Atomlobby, der Lobbyistenverbände derPharmaindustrie, der Ärzte- und Apothekerverbände und derKrankenkassen, die bis heutzutage eine sozial verträglicheGesundheitsreform verhindern.«

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»Nicht zuletzt« seien es »die großmächtigen Banken,deren Lobbytätigkeit mittlerweile das gewählte Parlamentmitsamt der Regierung in Geiselhaft genommen hat«,schimpfte Grass weiter. »Die Banken spielen Schicksal,unabwendbares. Sie führen ein Eigenleben. Ihre Vorständeund Großaktionäre formieren sich zu einerParallelgesellschaft. Die Folgen ihrer auf Risiko setzendenFinanzwirtschaft haben schlussendlich die Bürger alsSteuerzahler auszubaden. Wir bürgen für Banken, derenMilliardengräber allzeit hungrig nach mehr sind.«

Eindringlich warnte Grass vor »unlegitimiertemMachtgebrauch« von Lobbyisten, der die Demokratiegefährde. »Er macht die Parlamentarier und die Regierungunglaubwürdig. Er trägt dazu bei, dass die Wahlenthaltungder Bürger zunimmt. Ihm müssen, da er nicht abzuschaffenist, weil Interessenvertretungen durchaus Berechtigunghaben, strenge Grenzen gesetzt werden und sei es in Formeiner Bannmeile um den Bundestag, auf dass das Heer derLobbyisten in überschaubarer Distanz gehalten wird. Auchgeht es nicht an, dass Politiker, unter ihnen hochrangige,kaum haben sie ihr Amt wie lästigen Krempel hingeworfen, inKonzernleitungen und Interessenverbänden fettdotiertePositionen besetzen.« Mindestens fünf Jahre Karenzzeitmüssten gelten, so Grass, ehe Politiker in hochdotiertePosten der Wirtschaft wechseln dürfen.

Die Rede wurde zum Manifest. Grass nahm 2011 eineDebatte vorweg, die heute so intensiv geführt wird wie nie –und die doch erst am Anfang steht. Denn der Lobbyismuskommt dort an, wo er hingehört: im Bewusstsein von immermehr interessierten Bürgern.

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Berlin-Mitte an einem Samstag im Frühjahr 2015. Passantenheben den Kopf zur Quadriga, Pärchen machen Selfies,Kutschen mit ächzenden Pferden drehen ihre Runden. AnneZetsches Führung zu den Hinterzimmern der Macht endetda, wo viele Berlin-Besucher nur das Offensichtliche sehen:am Brandenburger Tor. An dessen Seiten weisen nurdiskrete Hinweistafeln und Klingelschilder anSandsteinfassaden darauf hin, dass der Ort nicht nurTouristen anzieht. Weltkonzerne empfangen hier in edlemAmbiente Beamte, Minister oder Abgeordnete – undnatürlich auch Journalisten. Wer hier präsent sei, habe in derRepublik mehr zu sagen, als die Öffentlichkeit gemeinhinahnt, ist sich Zetsche sicher.

Pariser Platz 6, Seiteneingang, 10117 Berlin-Mitte – dievielleicht kostbarste Adresse des Landes. Und ein Zentrum inder diskreten Parallelwelt des Berliner Politikbetriebs. Diehl,Krauss-Maffei Wegmann, gegenüber die US-KonzerneBoeing und Lockheed Martin – Rüstungsfirmen habenausgerechnet den Platz, der für Frieden und Freiheit stehensoll, eingekreist. Von hier aus lassen sie ihre Lobbyistenausschwärmen, ringsum liegt ihr Jagdrevier. Es reicht vomTiergarten bis zum Alexanderplatz, von der Invalidenstraßebis nach Kreuzberg. Hier regieren Kanzlerin Angela Merkelund ihre 15 Minister das Land. Hier liegen die Büros derAbgeordneten und tausender Ministerialbeamter. Nur einenSteinwurf entfernt vom Reichstag mit seiner transparentenGlaskuppel greifen die Konzerne hier nach der kostbarstenRessource, die Berlin zu bieten hat: Macht.

Es geht um viel in den Büros der oberen Stockwerke. Malum das wichtige Kleingedruckte in Gesetzen und Richtlinien,mal um die großen politischen Zusammenhänge. Wenn es gut

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geht, wird von hier aus der milliardenschwere Verkauf vonPanzern, Flugzeugen und Waffen auf den Weg gebracht,wenn es schlecht läuft, dessen Verbot nicht ausgehebelt.

Regelmäßig bietet die lobbykritische OrganisationLobbyControl Rundgänge durch dieses »zweiteRegierungsviertel« an. Sie dauern zwei Stunden und sindoftmals schon Wochen im Voraus ausgebucht. Immer mehrTeilnehmer wollen erfahren, wie und von wo aus dieStoßtrupps der Wirtschaft versuchen, für sich undihresgleichen Brückenköpfe in Gesellschaft und Politik zuschlagen. Immer mehr Bürgerinnen und Bürgern scheintdiese Einflussnahme der Wirtschaft auf den Staat allmählichunheimlich zu werden. »Wer bei uns mitläuft, hat das Gefühl,Einfluss zu verlieren«, sagt LobbyControl-Aktivistin AnneZetsche. »Die meisten wollen wenigstens wissen: an wen?«

In einigen Fällen ist das offensichtlich. Zetsche bleibt mitihrer Gruppe vor der Google- und Mercedes-Repräsentanzstehen, vor der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft oderden Büros der Tabakindustrie. Nimmt man einfach nur dieblank geputzten Schilder an den Häuserfassaden zumMaßstab, ist diese Form des Lobbyismus durchaustransparent. Man weiß, wer hinter Sandstein- undMarmorfassaden sitzt, und folglich auch, wessen Interessenman dort vertritt. Wenn nun beispielsweise MatthiasWissmann sein Präsidentenbüro beim Verband derAutomobilindustrie (VDA) in der Behrenstraße verlässt undim nahen Kanzleramt, in einem Ministerium oder beiAbgeordneten vorstellig wird, dann weiß jeder, wofürWissmann steht und wessen Interessen er vertritt: jene derAutoindustrie. Dass Wissmann einmal CDU-Schatzmeistersowie Bundesminister für Forschung und Verkehr war und so

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besonders großes Insiderwissen über den politischen Betriebund beste Kontakte erwarb, lassen wir einmal kurz beiseite.Ebenso, dass die Autoindustrie ein Spezialfall ist, weil sie seitJahrzehnten so mächtig ist wie keine andere Branchehierzulande und entsprechend massiv unddurchschlagskräftig auf Politik und Gesellschaft einwirkt.

Fakt ist, dass es sich beim Wissmann-Beispiel um einevergleichsweise transparente Form von Lobbyismus handelt.Ein als solcher klar erkennbarer Lobbyist wird bei der Politikvorstellig, um im Sinne seiner Branche etwas zu bewegen.Doch die Bedeutung der großen Wirtschaftsverbände wie desVDA, welche die Interessen ihrer Branchen bündeln,kanalisieren und mit offenem Visier für ihre gemeinsameSache kämpfen, nimmt ab.

Große Verbände, wie etwa der Bundesverband derDeutschen Industrie (BDI), verlieren an Schlagkraft, denn siesind in vielen umkämpften Politikfeldern – etwa derEnergiepolitik – zutiefst gespalten. Mitglieder sind sowohl dieVerlierer der Energiewende – die großen Stromkonzerne –wie auch die Gewinner, nämlich Technologiefirmen oderUnternehmen für erneuerbare Energien. Viele Unternehmenverlassen sich deshalb nicht mehr auf die klassischenVerbände. Sie werden selbst aktiv, bauen Lobbyabteilungenauf oder heuern Agenturen an. Alle großen, multinationalenKonzerne haben längst ihre eigenen Dependancen in Brüsseloder Berlin eingerichtet und verlassen sich nicht mehr aufBranchen- oder Wirtschaftsverbände. Die kleineren folgenihnen.

Je mehr Lobbyisten aber unterwegs sind, destoschwieriger wird es für die Politik, berechtigte Interessenherauszufiltern. Ein Umstand, den nicht nur viele

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Abgeordnete beklagen, sondern auch Transparency-ChefinMüller. »Die Politik hat ein geborenes Interesse daran, aufder anderen Seite Gesprächs- und Verhandlungspartner zuhaben, die Interessen in ihrem Bereich zusammenfassen,nach einer Entscheidung aber auch dafür stehen, dass eingefundener Kompromiss öffentlich vertreten und in derPraxis umgesetzt wird.«

Die Wirklichkeit aber ist im Lauf der Jahre eine anderegeworden. Lobbyismus wird zunehmend bestimmt vonAkteuren, bei denen man mitunter gar nicht weiß, in wessenund mit welchem Auftrag sie unterwegs sind, wer sie bezahltund aus welchen finanziellen Ressourcen sie bei ihremTreiben schöpfen können. Diese Form von Lobbyismus istbesonders gefährlich, weil sie sich heimlich abspielt, unterAusschluss der Öffentlichkeit. Diese Lobbyisten sitzen, andersals gelegentlich Matthias Wissmann, so gut wie nie inFernsehtalkshows, sie meiden Kameras und Öffentlichkeit.Sie scheuen das Licht.

Weitgehend unbemerkt von der breiten Öffentlichkeitsetzte dieser Trend in den 80er Jahren ein, alsPolitikwissenschaftlern und Sozialforschern eine Vielzahlimmer neuer Gruppen und Akteure auffielen, die in Brüsselund Bonn auftauchten. Bis dahin kannte man »PublicAffairs«, also »das interessengeleitete, strategischeManagement von Entscheidungs- undKommunikationsprozessen im politischen undgesellschaftlichen Umfeld«[16] , vor allem in angelsächsischenLändern.

Wie Pilze schießen seit einigen Jahren auch hierzulandeentsprechende Dienstleister aus dem Boden. BekanntereNamen der Szene sind etwa Firmen wie Burson-Marsteller,

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Fischer Appelt, oder Pleon und Ketchum; die beidenLetztgenannten taten sich 2010 zusammen, um nochschlagkräftiger zu arbeiten. Häufig sind es auch kleine, dafüraber wendige und entsprechend schlagfertige Agenturen, dieihre Lobby-Söldnerdienste anbieten.

Große Anwaltskanzleien, bisweilen im Auftrag vonMinisterien am Ausarbeiten von Gesetzen beteiligt, sindlängst dazu übergegangen, der zahlungskräftigenKundschaft zusätzlich zur juristischen Expertise auchUnterstützung in Sachen PR, Kommunikation und Lobbyinganzubieten. Nicht selten erledigen solche Jobs ehemaligePolitiker oder Ministerialbeamte, welche ausjahrzehntelanger eigener Erfahrung die bürokratischen undpolitischen Strukturen aus dem Effeff kennen und darausnun Kapital zu schlagen wissen. Für ihr eigenes Konto undfür ihre zahlungskräftige Kundschaft. Die Aufgabe ist immergleich: Entwicklungen frühzeitig erkennen, notfallsGegenstrategien entwickeln und mit Vehemenz vorantreiben.

Auch immer mehr Thinktanks tauchen auf, Denkfabrikenalso, was zunächst einmal positiv klingt. Es geht schließlichum Organisationen, die intellektuelle Analyse- undAbwägungsprozesse voraussetzen, ehe sie ihre fachlicheExpertise abgeben. Tatsächlich aber sind viele dieserThinktanks genauso wenig neutral und nachdenklich wiezahlreiche Stiftungen. So, wie der deutsche LobbyvorreiterStiftung Neue Soziale Marktwirtschaft, verfolgen sie gezieltInteressen mit politisch-gesellschaftlichem Anspruch.

Eine der größten und mächtigsten Stiftungen hierzulandeist die Bertelsmann Stiftung, der mittelbar auch weite Teiledes gleichnamigen Medienkonzerns gehören. Sie ist nacheigenem Bekunden »eine unabhängige, gemeinnützige

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Stiftung, die gesellschaftliche Problemfelder identifiziert undLösungsmodelle erarbeitet und umsetzt.«[17] Ihr wird einbisweilen verblüffender Einfluss auf Politik undGesetzgebung nachgesagt. Ob bei den Arbeitsmarkt- undHartz-IV-Reformen, der Privatisierungswelle, in derSozialpolitik oder wenn es um Hochschulpolitik geht –Experten der Bertelsmann Stiftung haben nicht nur zu vielenThemen etwas zu sagen, sondern mischten und mischenbisweilen kräftig mit.

Mit dem CDU-Abgeordneten Elmar Brok hielt sichBertelsmann bis 2011 einen eigenen Lobbyisten im EU-Parlament, denn Brok, Jahrgang 1946, arbeitete bis dahinneben seinem Abgeordnetenjob auch noch als Senior VicePresident Media-Development der Bertelsmann AG, fürangeblich 180000 Euro jährlich. Man könnte die Stiftung »alseine private Forschungsuniversität mit exklusivem Zugangzur politischen und gesellschaftlichen Elite bezeichnen«,schreibt der Journalist und Buchautor Thomas Schuler.»Teilweise operiert sie als Thinktank, der Diskussionen undEntwicklungen in vielen Bereichen lenkt und beeinflusst.«Schuler hält sie für so einflussreich, dass er seinem Buchüber die Stiftung den Titel »BertelsmannrepublikDeutschland« gab.[18]

Doch gleich, ob er für Verbände, Konzernbüros,Agenturen, Kanzleien, Denkfabriken oder Stiftungen ausarbeitet – kaum ein Lobbyist nennt sich auch Lobbyist. »Werdiesen Begriff an seine Tür schreibt, ist von vornherein schonraus aus dem Geschäft«, sagt der ehemalige Volkswagen-Vorstand Klaus Kocks, heute Inhaber derKommunikationsagentur Cato. Auf den Visitenkarten derLobbyisten stehen bevorzugt Berufsbezeichnungen wie

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Kommunikations-, Strategie- oder Change-Berater.

Selbst große Konzerne und Interessenverbände greifeninzwischen neben den eigenen Truppen auf die diskretenLobbysöldner-Dienste der Agenturen und Kanzleien zurück.Dann etwa, wenn sie nicht direkt in Erscheinung tretenwollen. Weil sie sich nicht selbst die Finger schmutzigmachen oder keinen Ärger in der Öffentlichkeit einhandelnwollen. Oder weil sie um den eigenen Igittigitt-Ruf wissen,wie etwa die Atom- oder die Rüstungsindustrie. Oder ganzeinfach, weil diskreter Lobbyismus wirksamer ist. Operiertwird bei Bedarf aus regelrechten »War-Rooms« heraus, woKampagnen in eigener Sache geplant und durchgezogenwerden.

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»Wie viel für Sie, wie viel für FrauMerkel?«

Wenige Tage nach dem Stadtrundgang mit LobbyControl,wieder am Pariser Platz. Rechtsanwalt Andreas Geiger sitztim Restaurant des Hotels Adlon. Der hagere Mann Mitte 40,agil, wach, hochintelligent und selbstbewusst, spricht schnell.Die Zeit drängt. Reden geht am besten beim Essen. SeineKanzlei Alber & Geiger ist eine international anerkannteGröße im diskreten Lobby-Business. Und sie ist, nach allem,was man weiß, bestens im Geschäft.

Im Zuge unserer Recherchen für dieses Buch haben wirviele Lobbyisten kontaktiert. Ein Teil wollte überhaupt nichtmit uns sprechen, uns keinerlei Einblicke in das eigene Tungewähren. Andere sprachen mit uns, aber nur sehrvorsichtig, zurückhaltend und verbunden mit der Auflage, sienicht namentlich zu zitieren. Andreas Geiger ist dieAusnahme. Er ist Lobbyist, steht auch öffentlich mit seinemNamen zu dem, was er macht, und spricht über dieGrundzüge seine Arbeit. Details und Auftraggeber bleibensein Geheimnis.

Die Zeiten könnten für ihn nicht besser sein als imFrühjahr 2015. Krisen, wo man nur hinschaut. Ukraine.Griechenland. Euro. Schuldenkrise. Flüchtlingskrise.Terrorismus. Chinas Wirtschaftskrise. Politisch ist vieles imFluss. Für Geiger heißt das: Die Kunden bringen Aufträge.»Wir vertreten Ihre Interessen in höchsten diplomatischenund politischen Ebenen«, verspricht Geigers Kanzlei inWerbebroschüren.

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Meist beginne ein Job mit einem Anruf in seiner Kanzlei ineinem der Büros in Brüssel, London oder Berlin, erzähltGeiger. Am anderen Ende der Leitung seien dann Managervon Spielautomatenherstellern, Tabak- oderLebensmittelkonzernen oder auch Vertreter abgesetzterMachteliten. Meist stehen am Anfang geplante Richtlinien,Gesetze oder Sanktionen und die Frage: Was können wir,was können Sie tun? Ex-Kommissare, Mitarbeiter inMinisterien, Abgeordnete – Geiger und seine Kollegenkennen immer jemanden im Politikbetrieb, den siekontaktieren können. Warum die Klienten das nicht selbstmachen? »Es ist oft einfacher, Anwälte vorzuschicken, alsselbst aktiv zu werden«, so sieht es Geiger.

Lobbyisten wie er handeln mit der Währung, die in diesemKosmos den höchsten Wert hat: Kontakte. Lobbyismus – vielehaben mit dem Begriff ein Problem. Geiger nicht. Er ist einhöflicher Mensch. Aber ist der Kontakt am Haken, lässt ernicht mehr locker. Anfangs freundlich, später mit Druck.Geiger gilt als knallharter Anwalt seiner Klienten. »Wirorientieren uns als Erste in Deutschland am sehrerfolgreichen US-Lobbying«, sagt er. »Wir sind anamerikanische Kanzleien angelehnt.« Für Geiger ist daspolitische Feld eine Art Schachspiel, geteilt in Schwarz undWeiß. Er muss die eigene Situation und den Gegner ständiganalysieren: Schwachstellen, Überraschungen, gute undschlechte Positionen. Das Ziel ist klar, der Weg dahin ändertsich mit jedem Zug.

Andreas Geiger verkörpert mit den Kollegen aus einerKanzlei die neue Spezies von Lobbyisten. Oft sind es Juristenin Anwaltskanzleien, die international unterwegs sind. Kaumnoch eine international vertretene Anwaltssozietät, erst recht

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keine amerikanische, die nicht eine »Public Affairs«-Sparteaufgebaut hat. Oder aber mit anderen Lobby-Dienstleisternund »Beratern« zusammenarbeitet. Denn die Hilfestellunggeht weit über Einflüsterei bei Politikern bei konkretenGesetzesvorhaben hinaus. Es geht auch darum, das politischeund gesellschaftliche Klima zu bereiten, zu verändern oderzu manipulieren. Je nachdem.

Zurück zu Andreas Geiger. Für wen er als Lobbyistunterwegs ist? Geschäftsgeheimnis. Wie er Dinge inBewegung bringt? Ein Beispiel abseits der Tagespolitik.

Bekannt geworden ist aus anderen Quellen, dassVerwandte von Farhad und Rafiq Aliyev aus Aserbaidschandie Nummer der Kanzlei Alber & Geiger wählten. Die Brüderselbst waren verhindert. Der ehemalige Wirtschaftsministerdes Landes und der Ex-Chef des Ölkonzerns Azpetrol wurden2005 wegen eines angeblichen Putschversuchs und weitererVorwürfe, wie dem Verschwinden von Journalisten, verhaftetund eingesperrt – ohne fairen Prozess, wie der EuropäischeGerichtshof für Menschenrechte später feststellte. NachJahren im Gefängnis sollten die Spezialisten in Brüssel undBerlin gegen Honorar aktiv werden und dafür sorgen, dassdie Haft ein Ende hat.

Zuerst beginnt die Suche nach Argumenten und möglichenAllianzen für den Klienten. Gab esMenschenrechtsverletzungen? Dann werden Entscheidereinbezogen. Sie gehen zielgerichtet vor und keinesfallsöffentlich. Sie gehen auf die Leute direkt zu, die etwasbewegen können. Das können Beamte, Politiker oderKommissare sein. Lange hatte sich niemand für den FallAliyev interessiert. Plötzlich aber forderte, wie vonGeisterhand gesteuert, in Baku die globale Politprominenz

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per Brief die Freilassung der Inhaftierten.

Neben dem heutigen Parlamentspräsidenten MartinSchulz in Brüssel trat unter anderem auch der US-Senatorund Ex-Präsidentschaftskandidat der Republikaner JohnMcCain in Washington auf den Plan. Der Druck aus demAusland wirkte: Im Oktober 2013 wurden die prominentenHäftlinge bei einer Amnestie entlassen. Drei Jahre sollenLobbyisten in Europa und den USA an dem Fall gearbeitethaben. Die Öffentlichkeit erfuhr nur von der Inhaftierung undder Freilassung der Aliyews. Nichts von der Arbeit derSpezialisten dazwischen. Wie viel Honorar floss, wer Geldbekam oder einen Gefallen im Gegenzug? Zwischen Anfangund Ende herrscht Schweigen.

Ob es bei allem immer nur um Argumente oder auch umKorruption geht? »Bestechung würde schnell auffliegen«,sagt Lobbyist Geiger. »So etwas machen wir nicht.«

Entsprechende Versuche aber sind vielen Lobbyistenbekannt. Lebhaft erinnert sich ein Berliner Lobbyist imGespräch mit uns an einen geheimnisvollen Besucher aus derUkraine. Eine Stiftung wollte vor dem Umsturz das Imagedes Landes verbessern. »Wie viel für Sie, wie viel für FrauMerkel?«, habe der Besucher gefragt. »Wir haben diesenAuftrag natürlich nicht angenommen«, erzählt der Lobbyist.»Ob es der Mann woanders versucht hat, weiß ich nicht.«

In den USA gelten Lobbyisten schon lange als unsichtbarevierte Macht des politischen Systems. In Berlin und Brüsselwachsen sie derzeit dazu heran. »In den nächsten zehnJahren wird es einen deutlichen Sprung nach vorne geben«,ist Geiger überzeugt.

Keine Frage: Die Gefahr für die Demokratie wächst. Doch

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ihr zu begegnen ist kein leichtes Unterfangen.Demokratischer Pluralismus oder demokratiefeindlicherLobbyismus? Die Abgrenzung von Einflussnahme dererwünschten zu der unerwünschten Art ist eineGratwanderung. Wünschenswert ist Lobbyismus in jedemFall, wo er sich im Hellfeld legitimer Interessen und Formender Willensbildung abspielt. Zu bekämpfen ist er, wo er indas Dunkelfeld von Nötigung, Erpressung und Korruptionabdriftet. Dazwischen tut sich eine immer größere dubioseGrauzone von Aktivitäten auf, in der nicht immer klar ist, waserlaubt ist und was nicht.

Die Folgen von exzessivem Lobbyismus sind längst spürbar.Geheime Dokumente machen deutlich, wie tief sich mancherLobbyist in das Geflecht aus Wirtschaft und Politik gegrabenhat. Und wie in den vergangenen Jahren etwa in derEnergiepolitik hemmungslos versucht wurde, auf die großenLinien der Politik Einfluss zu nehmen. An ersten Fällen lässtsich nachzeichnen, wie Finanzkonzerne auch in Deutschlanddie Politik zum Schaden von Millionen Geldanlegern für ihreZwecke eingespannt haben. Aufsehenerregende Fälle vonEinflussnahme durch internationale Spitzenpolitiker legenden Verdacht nahe, dass weltweit heute vieles möglich ist,wenn der eigene Kontostand es zulässt. Folge könnteweltweit eine Politik sein, die die Interessen derWohlhabenden stärker vertritt als jene der Mehrheit.

Neue Untersuchungen zeigen, wie sehr aus OlsonsBefürchtungen inzwischen Realität geworden ist. Denn dasDrängen der Wirtschaft auf Sonderregeln bei den Steuernhat das Thema in den USA so komplex wie nie gemacht. DieZahl der Seiten im US-Steuerrecht hat sich zwischen 2001

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und 2011 verdoppelt. Das lastet auf der gesamten Wirtschaft,so wie Olson es vor 30 Jahren vorausgesagt hat. Ähnlicheskönnte in den nächsten Jahren auch in Europa drohen.

Aus der Perspektive der Lobbyisten ist Politik vor allemeins: ein Markt. Einer wie ein arabischer Basar. Einer, indem man erst herausfinden muss, was im Angebot ist, umdann zu handeln. Und in jedem Fall einer ohne festePreisschilder. Was zu haben ist, ist manchmal obskur undsein Wert ist nicht von Anfang an klar. Sicher ist vonvornherein nur eins: Für Geschäfte auf diesem Markt zahltirgendjemand einen hohen Preis.

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Im Maschinenraum der Macht

Sommer 2015. Im Zuge unserer Recherchen wird uns einaktueller, 33-seitiger Bericht des Bundesfinanzministeriumszugespielt, der kurz zuvor an den Haushaltsausschuss desBundestages verschickt wurde. Darin sind die Zahlungen imJahr 2014 an externe Berater in Bundesministerienaufgelistet. Für insgesamt 206 solcher Fälle gab der Staatdemnach 32,112 Millionen Euro aus. Manche dieserEngagements erstrecken sich über Jahre. Oft brauchenBundesministerien kontinuierlich Hilfe von außen; bei IT-Fragen, rechtlichen Themen oder in der Kommunikation.

So kostet allein die Strategieberatung für eine einheitlicheIT des Bundes 1,2 Millionen Euro, die rechtliche Beratung fürden Rückkauf der Bundesdruckerei verschlang gut 950000Euro und die Kommunikationsberatung für die Sanierungdes Berliner Landwehrkanals wurde mit 710000 Euroveranschlagt. Besonders viele externe Berater braucht dasVerkehrsministerium, das für vier öffentlich-privatePartnerschaften im Bundesfernstraßenbereich 14 MillionenEuro ausgibt, über mehrere Jahre verteilt.

Bei solchen Vorhaben stellt sich bisweilen die Frage:Warum können das die Ministerien und ihre nachgeordnetenBehörden nicht alleine stemmen? Warum braucht etwa dasBundesverteidigungsministerium externe Hilfe bei einer»umfassenden Bestandsaufnahme und Risikoanalysezentraler Rüstungsprojekte« (Kosten: knapp 1,4 MillionenEuro)? Angeblich, so lautet in vielen Fällen die Antwort,mangelt es an eigenem Personal. Kritische Stimmen sagen,

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die Vergabe sei auch Ausdruck dessen, dass vor allem diepolitische Führung der Ministerien gerne Entscheidungenaußerhalb vorbereiten lässt, um hernach die eigenen Händein Unschuld waschen zu können, wenn es Ärger gibt. Wieauch immer: Die Praxis erleichtert Lobbyisten die Zugänge indie Maschinenräume der Macht.

Dass Lobbyisten es geschafft haben, in dieMaschinenräume der Politik vorzudringen, sich dortfestzusetzen und kräftig mitzumischen, weiß man schonlange, ohne, dass sich an dieser zweifelhaften PraxisNennenswertes geändert hätte. Am 19. Oktober 2006 decktedas ARD-Politmagazin Monitor eine fragwürdige Praxis inBundesministerien auf, die es bis dahin bereits seit Jahrengab, von der die Öffentlichkeit aber so gut wie nichts wusste.

Mindestens 30 Lobbyisten, so hieß es in dem später mitdem renommierten Grimme-Preis ausgezeichneten Beitrag,arbeiten als eine Art Leihbeamte in Bundesministerien.Mitarbeiter von Konzernen wie Audi, Siemens, Bayer, BASFoder Lufthansa, von der Deutschen Bank, vonIndustrieverbänden wie dem Bundesverband der deutschenBauindustrie oder dem Frankfurter FlughafenbetreiberFraport. Ihre Arbeitgeber bezahlen sie in der Regel weiter,während die Diener zweier Herren munter anGesetzesentwürfen mitarbeiten, an Entscheidungen und anPositionen, welche die jeweiligen Ministerien anschließendvertreten.

So soll nach Monitor-Informationen ein Fraport-Abgesandter im Ministerium einen Gesetzentwurf überLärmschutz im Sinne seines eigentlichen Auftraggebersbeeinflusst haben. Eine Lobbyistin des BundesverbandsInvestment und Asset Management arbeitete im

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Finanzministerium praktischerweise an einem Gesetz zurModernisierung des Investmentwesens mit und derHauptverband der deutschen Bauindustrie freute sich übereine Abgesandte im Bundesverkehrsministerium, dort also,wo regelmäßig riesige Bauprojekte vergeben werden.

Kurz nach Ausstrahlung des Beitrags musste dieBundesregierung einräumen, dass das Problem sogar nochweit größer ist als von Monitor geschildert. Statt 30 hätten100 Lobbyisten binnen vier Jahren in deutschen Ministeriengearbeitet. Monitor legte wenig später nach und enthüllteunter anderem, dass der AbteilungsleiterKonzernstrategie/Verkehrspolitik bei Daimler-Chrysler just indem Zeitraum April/Mai 2002 im BundesverkehrsministeriumDienst tat, als dort der Milliardenauftrag für die Lkw-Maut-Technik vergeben wurde. Den Zuschlag erhielt bekanntlichdas Betreiberkonsortium Toll Collect, zu dem auch Daimler-Chrysler gehörte. Und im Umweltministerium warausgerechnet eine Mitarbeiterin des Chemiekonzerns Bayer2006 an einer Forschungsarbeit mit dem Thema »Umweltund Gesundheit« beteiligt.

Es stellte sich schließlich heraus, dass über die Jahrehinweg mehrere Hundert solcher externen Mitarbeiter inMinisterien beschäftigt waren, von denen etwa 60 Prozentsogar das jeweilige Ministerium nach außen vertreten haben.25 Prozent haben an Auftragsvergaben mitgewirkt und 20Prozent an Gesetzen mitgeschrieben, schreiben zwei derMonitor-Autoren später in einem Buch.[19] Schöngeredetwurde diese Form des Lobbyismus von den Beteiligten in derÖffentlichkeit scheinheiligerweise damit, dass es doch gut sei,wenn die ach so starre Ministerialbürokratie von Expertenaus der freien und angeblich ja viel flexibleren Wirtschaft

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lerne.

Nicht nur der Verfassungsrechtler und ParteienkritikerHans Herbert von Arnim war über all dies ebenso überraschtwie entsetzt. »Die Betreffenden sind zwar in die Ministerieneingegliedert, ihre Loyalität gehört aber denen, die siebezahlen aus der Wirtschaft, und die tun das nicht fürGotteslohn, sondern weil sie sich davon etwas versprechen,nämlich die Förderung ihrer Interessen, die bevorzugteInformation, die sie auf diese Weise bekommen«, kritisierteer. »Das ist eine besonders gefährliche Form desLobbyismus, ja es bewegt sich sogar im Dunstkreis derKorruption.«

Auch in den Medien und im Bundestag schlugen dieMonitor-Enthüllungen hohe Wellen. FDP und Bündnis 90/DieGrünen forderten in Kleinen Anfragen schnelle Aufklärung.Der Bundesrechnungshof kündigte eine Prüfung an. Derartunter Druck, versprach die Bundesregierung, für die Zukunfteine saubere, transparente Regelung.

Ein Jahrzehnt später hat sich an der Praxis kaum etwasgeändert. Nach wie vor arbeiten in der Regel mehr als 30solcher »externen Personen« anstatt bei ihren angestammtenArbeitgebern, in der Regel also Unternehmen undWirtschaftsverbänden, in Bundesministerien. Das lässt sichaus halbjährlichen Berichten herauslesen, die dasInnenministerium seit einigen Jahren demHaushaltsausschuss des Bundestages vorlegen muss.

Zwar erließ die Bundesregierung 2008 eineVerwaltungsvorschrift, die den Einsatz externer Mitarbeiterin Ministerien und Bundesbehörden besser regelt. AmKernproblem ändert dies jedoch nichts. Nach wie vorarbeiten dort, wo künftige Gesetze vorbereitet, konzipiert

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und erste Entwürfe geschrieben werden, Lobbyisten aus derWirtschaft an vorderster Front mit. Sie erhalten so nicht nurenormes Insiderwissen und frühe Eingriffsmöglichkeiten inlaufende Entscheidungsprozesse, sondern sie sind auch inVerwaltungsabläufe eingebunden und erwerben dorttiefgreifende Erkenntnisse über das Innenleben derbundesrepublikanischen Ministerialbürokratie.

Sie erfahren, wer in welchem Ministerium für waszuständig ist, wie der- oder diejenige arbeitet, welcheinhaltlichen Prämissen ihn/sie treiben, wo seine/ihre Stärkenund wo etwaige Schwachstellen sind, an denen die Wirtschaftbei Bedarf ansetzen kann. Zu allem Überfluss könnenLobbyisten als Ministerialmitarbeiter auf Zeit wertvolleKontakte knüpfen und Netzwerke aufbauen. Alles ganz imSinne ihrer eigentlichen Arbeitgeber. Und mit dem Segender Bundesregierung.

Damit wird letztlich sogar das Grundgesetz unterlaufen,dessen Artikel 33 festschreibt, dass Staatsdiener in einemTreueverhältnis zu ihrem Dienstherrn stehen. DerBundesrechnungshof sieht die Praxis zumindest mitgehöriger Skepsis. Seine aktuellste Untersuchung zum»Einsatz externer Personen in der Bundesverwaltung« (soder offizielle Titel) datiert von 2013.[20] Darin erkennen diePrüfer zwar an, dass die 2008 als Reaktion auf die Monitor-Enthüllung und die heftige öffentliche Kritik von derBundesregierung erlassene Verwaltungsvorschrift »einenwesentlichen Beitrag zur Erhöhung der Transparenz und derKontrolle« geleistet habe. Die neuerliche Prüfung habe »aberauch gezeigt, dass es noch einige Problemfelder gibt«.

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Nach wie vor gebe es immer wieder massiveInteressenkollisionen. »Der Bundesrechnungshof kritisiert,dass die Bundesministerien regelmäßig externe Personen ausUnternehmen und Institutionen beschäftigten, zu denen siefortgesetzte Geschäftsbeziehungen in Form vonZuwendungs- und Projektträgervereinbarungenunterhielten«, heißt es in dem Bericht. Und weiter: »Mitzunehmender Einsatzdauer und stärkerer Einbindung derexternen Personen in die Arbeitsprozesse der aufnehmendenBehörden erhöht sich das Risiko von Interessenkollisionen.«

Zumal seit 2008 zwar vorgeschrieben ist, dass externeMitarbeiter nach spätestens einem halben Jahr dieMinisterien wieder verlassen sollen, sich aber in der Praxiskaum jemand daran hält. »Die Mehrzahl der Einsätzeexterner Personen (dauere) in der Gesamtschau erheblichlänger als sechs Monate und ein Teil der Einsätze sogarlänger als zwei Jahre.« Daher forderte derBundesrechnungshof die Bundesregierung auf,»Abweichungen von der Regeleinsatzdauer auf nachweisbarbegründete Einzelfälle zu beschränken«.

Der Osnabrücker Staatsrechtler Bernd Hartmann wollte esganz genau wissen. Ende 2014 legte er ein knapp 80-seitigesGutachten vor.[21] Gut 80 Prozent der Lobby-Leiharbeitersind demnach länger als die in der Verwaltungsvorschriftvorgegebenen sechs Monate in Ministerien aktiv. Über einViertel bringe es sogar auf mehr als zwei Jahre.

Hartmanns Fazit: Die herrschende Praxis sei nicht nur»eines Rechtsstaats unwürdig«, sondern schlichtverfassungswidrig.[22] Die Lobbyisten, so die Erkenntnis desProfessors, würden sich darüber freuen, dass sie derart nahean die Quelle kämen, nicht mehr nur im Laufe eines

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Gesetzgebungsprozesses angehört würden, sondern vonAnfang an eingebunden seien.

Dabei hatte die Bundesregierung 2008 auch festgelegt,dass die externen Ministeriumsmitarbeiter nicht mehr anGesetzen mitarbeiten dürfen. Dass sich alle daran halten,kann man glauben, muss man aber nicht. 2009 ließBundeswirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg(CSU) ein »Gesetz zur Ergänzung des Kreditwesengesetzes«,das als Konsequenz aus der Finanzkrise regeln sollte, wie derStaat mit kriselnden Banken umgeht, nicht etwa vonExperten seines Ministeriums schreiben, das zum fraglichenZeitpunkt immerhin 1800 Mitarbeiter zählte. Sondern vonder international tätigen Wirtschaftskanzlei Linklaters mitHauptsitz in London.

Mehrere tausend Anwälte arbeiten für die Kanzlei, unterderen mehreren tausend Mandanten zweifellos auch solcheaus der Finanzbranche sind. Dass Guttenberg denGesetzentwurf nicht von seinen eigenen Leuten, sondern vonLinklaters schreiben ließ, wäre womöglich nicht einmalaufgefallen, wäre ihm nicht ein kleines Missgeschick passiert:Auf der Vorlage, die er seinen Kabinettskollegen schickte,war auf jeder der 28 Seiten das Linklaters-Emblemaufgedruckt.

Diese Praxis scheint üblich zu sein. Eine Kleine Anfrageder damals noch im Bundestag vertretenen FDP und derLinken-Fraktion brachte damals 17 ähnliche Aufträge zutage.Allein eine Million Euro Steuergelder kostete einGesetzesentwurf zur »Neuorganisation der Eisenbahn desBundes«, mit dem das zuständige Verkehrsministeriumoffenkundig allein überfordert gewesen wäre. UndFinanzminister Peer Steinbrück (SPD) beauftragte die

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internationale Großkanzlei Freshfields mit einemGesetzesentwurf zur Enteignung der Hypo-Real-Estate-Aktionäre, nachdem die Immobilienbank im Nachgang zurFinanzkrise verstaatlicht werden musste, um ihren Ruin zuverhindern.

Lobbyisten in Ministerien – gelegentlich geht das auchgehörig schief und dann ist der politische Katzenjammergroß. Er sei »stinksauer über so viel kriminelle Energie«,schimpfte im Dezember 2012 der damalige FDP-Gesundheitsminister Daniel Bahr.[23] Grund für seineöffentliche Erregung: Ein externer IT-Mitarbeiter hatte imGesundheitsministerium jahrelang nicht nur E-Mails, sondernviele interne Dokumente über geplante Vorhaben, interneVorgänge, heimlich kopiert und an einen Apotheker-Lobbyisten weiterverkauft. Solches Material kommt einemLottogewinn für jeden Lobbyisten und seinen Auftraggebergleich. In Berlin wunderte sich nun niemand mehr, warumdie Spitzenvertreter der deutschen Apotheker und ihreLobbyisten stets zu den sehr gut informiertenInteressengruppen gehörten.

Was Lobbyisten als ihre Aufgabe empfinden, verändert sichmit ihrer Angebotspalette. 2005 beschrieb Dieter Schulzevan Loon, ehemaliger Präsident von GPRA, demBranchenverband der Kommunikationsagenturenhierzulande, als das Ziel von Lobbyismus, »auf dieEntscheidungsprozesse von Politik und öffentlicherVerwaltung durch Information und Dialog« einzuwirken. DerLobbyist nutze sein persönliches Netzwerk, um»Entscheidungen auf politischer Ebene« zu beeinflussen,herbeizuführen, zu verhindern, zu beschleunigen oder zu

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verzögern.[24] Gewiss, das ist nach wie vor so. Doch eskommen neue Formen hinzu.

Eine davon heißt in angelsächsischen Fachkreisen schlicht»Deep Lobbying« und zielt auf unsere Köpfe und unsereGewohnheiten, auf unser Denken und Handeln alsVerbraucher und Staatsbürger, auf unser Freizeit- undKaufverhalten. Es setzt immer früher an, inKindertagesstätten und in Schulen etwa, wo beispielsweisedie Finanzwirtschaft mit heiligem Eifer bei den Jugendlichenan ihrem durch die Finanzkrise ramponierten Image feilt,Zweifel und Unbehagen am Sozialstaat nährt und stattdessenprivate Eigenvorsorge propagiert, die wiederum bei Bankenund Versicherungen ordentlich die Kassen klingeln lässt.

Strategien wie »Deep Lobbying« zielen nicht mehr auf dienächste Bundestagsentscheidung. Sie sind langfristigangelegt. Es geht nicht darum, politische Prozesse von heuteauf morgen zu beeinflussen oder überhaupt erstherbeizuführen. Es geht um eine politisch-gesellschaftlicheManipulation. Es geht darum, Zeitgeist zu produzieren unddie eigenen Ziele für die Masse wünschenswert erscheinenzu lassen. Privatisierungen etwa als gut und richtigdarzustellen. Den Staat hingegen als unbeweglichen Moloch,der nur Steuergelder verschlingt und mit zu viel Bürokratieund Langsamkeit wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit unddamit Wohlstand gefährdet. Auch so wird schleichend,unterschwellig und ziemlich raffiniert, das Primat der Politikin Frage gestellt.

Wer all dies nicht glaubt, dem sei nur das Studium vonPublikationen wie der neoliberalen »Initiative Neue SozialeMarktwirtschaft« empfohlen. Oder, noch besser, diezigtausenden Unterrichtsmaterialien, die Unternehmen und

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ihre Interessenverbände für viele Millionen Euro habenentwerfen und ins Internet stellen lassen. Das taten sie ganzbestimmt nicht aus Selbstzweck oder Altruismus heraus.

An Hochschulen und Universitäten sieht es auch nicht vielbesser aus. Je knapper sie der Staat finanziell hält und jemehr er sie dazu zwingt, bei der Wirtschaft betteln zu gehen,um Forschung finanzieren zu können, je mehr sich dieHochschulen der Industrie öffnen, desto abhängiger werdensie. Niemand kann zuverlässig sagen, wie oft hinterwissenschaftlichen Studien und scheinbar neutralenExpertenmeinungen in Wirklichkeit das Interesse derersteht, ohne deren Zuwendungen der jeweilige Lehrstuhlwomöglich gar nicht mehr existieren könnte, der jeweiligeProfessor seinen Posten nicht hätte.

Die Steigerung all dessen nennt sich »GrassrootsLobbying«. Als Vorbilder dienten dabei ausgerechnetNichtregierungs- und Umweltorganisationen. Greenpeaceetwa, weil es den tapferen Naturschützern gelang, mit ihrenspektakulären Aktionen und ihrer Kompromisslosigkeit imKampf gegen Walfang und Umweltzerstörung just dortanzusetzen, wo viele politische Prozesse ihrenAusgangspunkt nehmen: bei der Stimmung der Bevölkerung.

Studenten für Online-Journalismus der HochschuleDarmstadt haben sich mit dem neuen Phänomen des»Grassroots Lobbying« eingehend beschäftigt. Von ihnenstammt diese Definition: »Letztlich geht es (…) darum,bestimmte Bezugsgruppen, die von einem partikularenThema betroffen sind, zu aktivieren und als Druckmitteleinzusetzen. Als Beispiel könnten Mitarbeiter gelten, derenArbeitgeber durch ein bevorstehendesGesetzgebungsverfahren betroffen ist. Das Unternehmen

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macht seinen Arbeitnehmern klar, wie sie persönlich durchdie gesetzlichen Neuerungen beeinträchtigt werdenkönnten. Als Konsequenz dieser politischenAufklärungsarbeit sollen sich mobilisierte Mitarbeiter gegenbesagte Gesetzesvorlage starkmachen. Es gilt Druck inRichtung der Entscheidungsträger auszuüben, und wokönnte dies verbindlicher geschehen als an der Basis derDemokratie: bei der Wählerschaft.«[25]

Unter Verweis auf den Berliner Professor fürSozialwissenschaften und Public-Affairs-Experten MarcoAlthaus[26] heißt es weiter: »Grassroots Lobbying bedeutetInteressenvertretung dort, wo Politik ihre empfindlichsteStelle hat – an der lokalen Basis. Jedermann alsAmateurlobbyist macht diese Art von Einflussnahmeglaubwürdig und effektiv. Und unterscheidet sie damitgrundlegend strategisch vom klassischen Lobbyismus.«

»Astroturfing« – noch so ein Begriff aus der modernenLobbyistenwelt. »Astroturf« bedeutet aus dem Englischenübersetzt »Kunstrasen«. Im Zusammenhang mitGrassrootscampaigning bezeichnet Astroturfing den Versuch,durch eine Art künstliche Bürgerbewegung, also künstlicheGraswurzeln, den eigenen Forderungen die Legitimität einerbreiten Bewegung zu verleihen. Gemeint sind also Pseudo-Bürgerinitiativen, die in Wirklichkeit von Firmen oderVerbänden gegründet werden.[27] So betreibt etwa dieAtomlobby am Berliner Robert-Koch-Platz den Verein»Bürger für Technik«. Dieser wirbt seit Jahren füreinschlägige Aufklärung in Schulen oder Museen undschreibt fleißig atomfreundliche Leserbriefe an Zeitungen.Die Meinung der Branche soll so als Meinung aus dem Volkverkauft werden.

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Ein anderes Beispiel ist die sogenannte »Campaign forCreativity« (C4C), eine Kampagne, die 2005 für diePatentierbarkeit von Software auf europäischer Ebene rang.Ins Netz gestellt von einem britischen PR-Manager, erwecktedie Seite den Eindruck, die Interessen von Künstlern,Designern und Softwareentwicklern zu vertreten. DasProjekt hatte gleich mehrere Elemente von Grassroots-Bewegungen: Wer die Seite ansteuerte, wurde aufgefordert,vorformulierte E-Mails an die Abgeordneten desEuropäischen Parlaments zu schicken. In die Kritik geriet die»Campaign for Creativity« vor allem, weil die Rolle dergroßen Softwarefirmen Microsoft und SAP nicht klarersichtlich war und der Initiator den Einfluss der Firmen aufdie Kampagne nicht offenlegen wollte.

Die Quittung kam. Die Kampagne erhielt den gefürchteten»Worst EU Lobbying Award«. Die Seite wurde wenig späteraus dem Netz genommen.[28]

Es muss unbedingt etwas geschehen. Etwas, das für mehrWaffengleichheit zwischen den Interessengruppen sorgt.Etwas, das die Gesellschaft vor getarnten Einflüssen besserschützt, indem es Transparenz schafft.

»Lobbyismus ist ein Synonym geworden für Filz undKlüngel, Kapitalismuskritik, Klientelinteressen undEinflussnahme auf die Gesetzgebung. Er ist ein Kampfbegriffim politischen Diskurs wie Deutungsmuster imgesellschaftlichen Streit«, schreiben Jupp Legrand und WolfJürgen Röder von der gewerkschaftsnahen Otto-Brenner-Stiftung (OBS) im Vorwort zum Arbeitsheft »Marktordnungfür Lobbyisten«.[29]

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Sie warnen zugleich: »Ignoriert der Gesetzgeber dasThema weiter, dann droht dies nicht nur seinem Ansehen,sondern auch der Demokratie insgesamt zu schaden.« IhrVorschlag: Das Parlament solle »endlich – imwohlverstandenen Eigeninteresse – als Gesetzgeber gegenden Wildwuchs des Lobbyismus« vorgehen. Es gehe um»transparente Wege, die aus dem Hinterzimmer ins Licht derÖffentlichkeit führen und Formen legitimerInteressenvertretung stärken«.

Im Zentrum Berlins steht damit dem Parlament seinenächste Bewährungsprobe bevor. Dem Parlament also, dasschon seit seiner Einweihung 1894 für das Ringen um Machtund politischen Einfluss so sehr steht, wie kein anderer Bauin Deutschland. Zeitgenossen jubelten bei der Eröffnungüber »eines der bedeutendsten Bauwerke aller Zeiten«.Kaiser Wilhelm II. sprach dagegen von einem »Gipfel derGeschmacklosigkeit«. Vor allem die frühe Version der Glas-Stahl-Kuppel war dem der Demokratie zutiefst abgeneigtenKaiser ein Dorn im Auge – und ein allzu mächtiges Symboldes Parlamentarismus.

Heute geht es am Platz der Republik 1 wieder darum, umdie Demokratie und die Unabhängigkeit des Parlaments zukämpfen.

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2 Bremser am Werk

Fragwürdige Geschäfte imSchatten der Energiewende

Internationales Atom-Geschacher, Nuklear-Müll der Roten Armee für deutsche

Kernkraftwerke, konspirative Treffen,versickerte Milliarden: Wie die

Energiebranche ihre Nähe zur Politik fürfragwürdige Geschäfte nutzt und die Kohle

eine Renaissance erlebt.

Eine gute Autostunde westlich der kanadischen StadtCalgary werden die Rocky Mountains zur mächtigensteinernen Formation. Schneebedeckt ragen selbst imSommer die Gipfel der »Three Sisters« hervor, die fast 3000Meter hohen Schwestern Hope, Faith und Charity. Es gibthier so viele Berge und Gletscher, dass nicht alle benanntwurden. Aber diese drei, Hoffnung, Vertrauen undNächstenliebe, sollten über der Region wachen. Auf denWiesen im Tal stehen viele Tiere und wenige Häuser. InsKananaskis Country kommen normalerweise nur Besucher,die die schlichten und natürlichen Werte des Lebensschätzen.

Es sollte ein Zeichen sein, als die kanadische Regierung inder Einsamkeit der Rockies 2002 den G8-Gipfel der

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mächtigsten Politiker der Erde einberief. Spitzenpolitiker wieRusslands Präsident Wladimir Putin, US-Präsident George W.Bush, Großbritanniens Premier Tony Blair oder der deutscheKanzler Gerhard Schröder – sie alle reisten in die betörendeNatur der kanadischen Provinz Alberta, um an einemeinsamen Flecken Erde, am Fuß von Hoffnung, Vertrauenund Nächstenliebe, Entscheidungen von größter Bedeutungzu treffen. Die Abgeschiedenheit wirkte. Die Staatschefsbeschlossen, den Kampf gegen die Armut zu forcieren,Russland in den Kreis der Mächtigsten aufzunehmen, vorallem aber: gegen die Verbreitung vonMassenvernichtungswaffen mit einem historischenAbrüstungsprogramm vorzugehen.

Schließlich galt es gut zehn Jahre nach dem Fall desEisernen Vorhangs eine gigantische Gefahr des KaltenKrieges zu beseitigen: Teils unkontrolliert lagerten inRussland Hunderte Tonnen hochangereichertes Uran undstrahlendes Plutonium aus Militärbeständen – inAtombomben oder U-Booten etwa. Genug Stoff für zig neueSprengköpfe und genug Grund, es nie in die falschen Händegelangen zu lassen. In die von Terroristen zum Beispiel.Russland wünschte sich dabei ausdrücklich westliche Hilfe.»Wir wären dankbar, wenn unsere Partner bereit wären, unshierbei zu unterstützen«, sagte Russlands PräsidentWladimir Putin damals.

Eine Vereinbarung, die getrieben schien von den PatenVertrauen und Hoffnung. Doch die Realität sah wohl ganzanders aus.

Sie fragen sich, warum ein Kapitel über den Einfluss und dasLobbying deutscher Energiekonzerne am Fuß einsamer

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Gipfel in Kanada beginnt? Warum dabei einAbrüstungsprogramm eine Rolle spielt?

Weil Distanz manchmal hilft, die großen Zusammenhängezu erkennen. Und weil große Politik selbst im Zeichen vonHoffnung, Vertrauen und Nächstenliebe von ganz anderenWerten getrieben sein kann.

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Militär-Uran für deutsche Wohnzimmer

Putins Bitte im Kreis der Mächtigen fand in Kanada Gehör.Allen voran die USA und Deutschland reagierten undbegannen zu helfen – diskret und ohne viel Aufhebens. Anvorderster Front kämpfte ein ungewöhnlicher Alliierter derPolitik mit: die deutsche Energiebranche. Denn unschädlichgemacht werden sollten atomare Militärbestände im großenStil, indem man sie als Brennstoff auch in deutschenAtomkraftwerken einsetzte.

Es ist eine verstörende Vorstellung. Denn die Deutschenwurden so in den folgenden Jahren zu Dauerabrüstern, ohnees zu bemerken. Immer dann, wenn Bürger zu Hause Stromverbrauchten – am Herd, Laptop oder Lichtschalter –,machten sie mit. Mehr als ein Jahrzehnt lang halfen sieRussland und seinem Präsidenten Putin. Mehr als einJahrzehnt landete die strahlende Gefahr aus Russland indeutschen Reaktoren.

Die Öffentlichkeit erfuhr von der Umsetzung desProgramms nichts. Vertrauliche Dokumente derAtombranche machen heute allerdings klar, welch riesigeDimension das Projekt allein in Deutschland hatte: Es gehtnicht etwa um kleine Mengen in wenigen Brennelementen,sondern um mindestens 100 Tonnen militärisches Uran. Diedeutsche Atomindustrie setzte in den vergangenen Jahreninsgesamt mindestens 1000 Brennelemente ein, die mitmilitärischem Uran bestückt waren. Bei weiteren 500 giltdies als sehr wahrscheinlich. Damit wurden dieBrennelemente mit Brennstoffen so brisanter Herkunft zum

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wichtigen Stromlieferanten der Deutschen. Zum Vergleich:Mit 200 Brennelementen lässt sich ein durchschnittlicherReaktor immerhin fünf Jahre befeuern.

Wer sich mit Experten über das Vorhaben unterhält,erfährt: Für die Beteiligten war das Verfahren mit einigemAufwand verbunden. Aus einer Mischung vonwiederaufbereitetem Uran aus Westeuropa und höherangereichertem Uran aus Russland wurden bei MoskauBrennelemente hergestellt, die dann in Spezialbehältern perBahn, Schiff und Lastwagen zu ihren deutschenBestimmungsorten transportiert wurden – in dieKernkraftwerke Obrigheim und Neckarwestheim (beideEnBW), Brokdorf (Eon), Unterweser (Eon) sowieGundremmingen (RWE und Eon).

RWE bestätigt auf unsere Anfrage den Einsatz von allein856 Brennelementen und erklärt: »Bei der Fertigung wirdaus russischen Militärbeständen stammendes Uranbeigemischt.« Auch der größte deutsche Energiekonzern Eonbestätigt den Einsatz militärischen Urans. EnBW gibtlediglich an, dass ein solcher Einsatz möglich sei.

Warum die Atomkonzerne allerdings selbst viele Jahrenach Beginn dieser gewinnbringenden Abrüstungsinitiativedas Schweigen zu diesen breit angelegten Aktivitäten nursehr zögerlich beenden, verstehen selbst Experten nicht. DieBranche hätte sich für ihr Friedensprojekt feiern lassenkönnen. Fachleute halten den Einsatz von Uran in deutschenMeilern technisch für durchaus lösbar. Den Unternehmenscheint die Sache jedoch bis heute unangenehm.

Und die Diskretion könnte ihren Grund haben. Denn voneinem brisanten Ziel, das Teile der Branche verfolgte, solltedie Öffentlichkeit nach einhelliger Meinung besser nichts

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erfahren. Manchen Atommanagern schwante wohl: Sollte dasbekannt werden, wäre die öffentliche Aufregung gewaltigund auch der letzte Funke Vertrauen in die deutscheAtomkraft verspielt. Nuklearstrategen bahnten einengeradezu hinterlistigen Coup an.

Interne Dokumente der Atomindustrie lassen einenschweren Verdacht aufkommen. Deutsche Atommanagersollen demnach beim diskreten Abrüstungsprogramm wohlnicht nur bereitwillig mitgemacht haben. Sie zähltenmöglicherweise sogar zu seinen Initiatoren. Die Abrüstungwar dabei mutmaßlich eher Mittel zum Zweck. DenManagern ging es auch um etwas anderes. Sie sahen dieChance, mit geschicktem Lobbying den deutschenAtomausstieg durch den Einsatz militärischer Stoffe inAtomkraftwerken gegen den Willen von Bürgern und Politikzu verzögern und mit den Abrüstungsplänen längereLaufzeiten für die von der Abschaltung bedrohten deutschenAtomkraftwerke durchzuboxen.

Dokumente aus dem EnBW-Konzern belegen, dass sichdeutsche Manager beim Thema Abrüstung aktiv in die Politikeinmischten, schon lange vor dem G8-Gipfel in Kanada. Umden Erhalt des Weltfriedens ging es ihnen dabei nur amRande: Die Abrüstungsfrage »könnte in Zukunft impolitischen Raum eine wichtige Rolle bei der erneutenDiskussion über die Laufzeiten der Kernkraftwerke spielen«,heißt es in den Geheimpapieren, die aus der Zeit vor demGipfel von Kananaskis stammen. »Aus diesem Grunde hatRWE mittlerweile auch Interesse am Bezug vonBrennelementen aus russischer Fertigung mit militärischemMaterial bekundet.« Mit anderen Worten: Es geht vielleichtauch um Frieden und Abrüstung, vor allem aber ums

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lukrative Geschäft mit Atomstrom, das auf keinen Fall endensollte.

Die Branchendokumente ermöglichen erstmals einenebenso seltenen wie tiefen Einblick in die Gedankenweltdeutscher Atommanager. Sie zeigen, wie weit Lobbyismushinter verschlossenen Türen in der Atombranche in denvergangenen Jahren ging. Denn das Thema Abrüstung indeutschen Atomkraftwerken hatte die Branche offenkundiggut vorbereitet.

Bereits im Jahr 2001 machten sich Atommanager in Berlindafür stark, neben Uran auch das noch gefährlicherePlutonium aus Militärbeständen Russlands in deutschen AKWabzufeuern. Für Umweltschützer und Atomexperten eineHorrorvision. Man stieß die Debatte an, eruierte diepolitische Lage und resümierte erfreut, die Bundesregierungsei für das Thema grundsätzlich offen. So steht es in eineminternen EnBW-Vermerk für den damaligen KonzernchefGerhard Goll zur Vorbereitung auf ein Gespräch mit KanzlerGerhard Schröder 2001 – also ein Jahr vor dem Gipfel inKanada.

Selbst die Grünen hat die Atombranche nach eigenerLesart im Griff: »Überraschenderweise gibt es bei denGrünen dank guten Lobbyings durch die richtigen Leute einevergleichsweise hohe Akzeptanz«, schreibt der Chef derEnBW-Kraftwerke AG, Michael Gaßner, an Goll und weiht ihnin ein Geheimnis mit großer Sprengkraft ein: »DieBundesregierung weiß allerdings nicht, dass die Zeiträume,die benötigt werden, um all das russische Plutonium inReaktoren zu verbrennen, doch deutlich länger sind als die›Restlaufzeiten‹ des Energiekonsenses, so dass hieraus derDruck auf eine Verlängerung der Laufzeiten entstehen wird.«

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Aus Sicht der Nuklearindustrie konnte der Gipfel vonKananaskis im Jahr 2002 also kommen. Man war schließlichvorbereitet. In Kanada agierte Kanzler Schröder jedenfallsganz im Sinne der Konzerne – ohne allerdings ein wichtigesDetail ihrer Pläne zu kennen. Die G8-Staatschefs beschlossenauf sanftes Drängen des deutschen Kanzlers hin nicht nur dieAufnahme Russlands in die Runde der G8. »Ohne oder gegenRussland kann es auf Dauer keinen Frieden oder Stabilität inEuropa geben«, sagte Bundeskanzler Gerhard Schröderdamals. Die Staatschefs nahmen sich auch der »GlobalenPartnerschaft gegen die Verbreitung vonMassenvernichtungswaffen und -materialien« auf Initiativeaus Deutschland hin an.

Dass die deutsche Energiebranche Feuer und Flamme fürdas Abrüstungsprojekt war und auch die Politik einspannte,hatte wohl auch handfeste wirtschaftliche Gründe. Es gingschließlich um viel Geld. Für deutsche AKW-Betreiber wardiese Form der Abrüstung aus monetärer Sicht eine feineSache. Denn Brennelemente aus Russland seien für deutscheAKW-Betreiber schlicht billiger gewesen als die auswestlicher Produktion, sagt ein Insider. Und Russland konnteseine strahlende Hinterlassenschaft so auch noch zu Geldmachen.

Wichtiger Nebeneffekt für Moskau: Brennelemente mitmilitärischem Uran fielen nicht unter die zeitweisebestehende Einfuhrbeschränkung des AtomvertragswerksEuratom. So konnte Russland schlicht mehr Uran genWesten verkaufen. Die Verträge, die nach Vertrauen undHoffnung klangen, waren also ein Milliardengeschäft, dasdeutschen wie russischen Firmen, dem russischen Staat undZwischenhändlern hohe Profite ermöglichte.

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Die internen Branchendokumente fördern damit eineStrategie zutage, die erst recht nach der Katastrophe vonFukushima wie ein unfassbarer Betrugsversuch an derGesellschaft wirkt – zugunsten des eigenen Geschäfts. Teileder Atomwirtschaft glaubten also nicht nur, die deutschePolitik dank ihres Lobbyings beim Thema Abrüstung im Griffzu haben. Sie enthielten ihr auch noch hochbrisanteInformationen vor, um sie bei einer der wichtigstenpolitischen Entscheidungen der vergangenen Jahre hintersLicht zu führen: dem Atomausstieg.

Damit stellt sich nicht nur die Frage nach denHintergründen der Abrüstungsinitiative ganz neu. Damiterscheint auch die hiesige Debatte um eineLaufzeitverlängerung in neuem Licht. Denn das Lobbying derBranche war letztlich erfolgreich. Zwar hatten dieAtomkonzerne selbst im Jahr 2000 zusammen mit derRegierung von Gerhard Schröder im Atomkonsensbeschlossen, aus der Kernenergie auszusteigen. 2001 wurdeder Vertrag öffentlichkeitswirksam unterzeichnet. 2002wurde er zum Gesetz, im Jahr des Gipfels von Kananaskis.

Seelenruhig verhandelten Manager also mit der Politik,segneten das Aus selbst ab und konnten dennoch beruhigtauf den Atomausstieg zusteuern, der ja eigentlich dieAbschaltung aller Atomkraftwerke im Zeitraum von 2010 bis2022 vorsah. Er stand ohnehin in Frage, wollte Deutschlandseine Abrüstungsverpflichtungen erfüllen. Und siehe da. DerAusstieg wurde zurückgenommen. Die Laufzeitverlängerungkam. Deutschlands Atomkraftwerke bekamen ein Nachspiel.

Es gehe vor allem um Stromkosten, so betonten dieParteien damals. Wirklich? CDU, CSU und FDP kündigten2009 an, Deutschlands Atomkraftwerke weiterlaufen zu

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lassen. Die schwarz-gelbe Koalition verschob den Ausstieg inDeutschland dann hochgerechnet auf den Zeitraum von 2019bis 2036. Die Kraftwerke bekamen demnach mindestensneun Jahre mehr – obwohl sich ein Überangebot von Strom inDeutschland bereits abzeichnete. Eine aus energiepolitischerSicht ebenso rätselhafte wie fragwürdige Entscheidung.

Die endgültige Wende folgte erst 2011 nach derAtomkatastrophe von Fukushima. Der katastrophale Unfall inJapan beschleunigte den Atomausstieg und bedeutete dassofortige und endgültige Aus der sechs ältestenAtomkraftwerke und des Pannenmeilers Krümmel. Jetztmüssen die letzten Atomkraftwerke doch bereits 2023 vomNetz gehen. Der öffentliche Druck war in der Zwischenzeitzu groß geworden. Ein Festhalten an der Atomkraft unterdiesen Vorzeichen hätte jede Regierung aus dem Amt gefegt.

Selbst Jahre nach Beginn dieser Energiewende ist demEnBW-Konzern, der an vorderster Front um den Einsatzmilitärischer Stoffe kämpfte, zu den Vorgängen nicht mehrals ein Achselzucken zu entlocken: Wie EnBW den Versuchbewerte, die Regierung beim Atomausstieg auszutricksen?»Der von Ihnen zitierte Satz ist eineSachverhaltsdarstellung«, lässt EnBW auf eine Anfrage hinwissen. »Wir verwahren uns gegen eine pauschaleUnterstellung einer geplanten Täuschung.«

Wer aber fädelte die Geschäfte wirklich ein?

Die Spuren führen zu einer Affäre, die die deutscheEnergiebranche in den vergangenen Jahren in einschummriges Licht tauchte: Die fragwürdigen Geschäfte mitdem russischen Lobbyisten Andrej Bykow.

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Der kleine Mann aus Moskau mit den ausgezeichnetenDeutschkenntnissen und der Vergangenheit als Diplomat mitGeheimdienstnähe ist die Schlüsselfigur im wohlschillerndsten deutsch-russischen Wirtschaftsskandal desvergangenen Jahrzehnts. Rund 220 Millionen Euro überwiesEnBW im Laufe mehrerer Jahre an Bykow und auf Kontenseiner Firmen in der Schweiz. Der Lobbyist hatte mit EnBWwährend der Amtszeit der drei Vorstandschefs Gerhard Goll,Utz Claassen und Hans-Peter Villis zusammengearbeitet.

Bykow studierte an einer Moskauer EliteuniversitätWirtschaft und arbeitete während des Zusammenbruchs derSowjetunion ab Dezember 1989 für zweieinhalb Jahre an dersowjetischen Botschaft in Bonn. Weil er in Berlinaufgewachsen ist, wo sein Vater in den 70er Jahren alsDiplomat stationiert war, spricht er exzellentes Deutsch –und verfügt über exzellente Kontakte in die russische Politik.Und nicht nur in die. Dass als Spiritus Rector dieser in jederHinsicht sensiblen Geschäfte mit Militär-Uran ausgerechnetder Lobbyist Andrej Bykow gilt, lässt heute unter führendenAtompolitikern in Deutschland die Alarmglocken schrillen.Bykow war über Jahre als Berater in das globaleUrangeschäft eingeschaltet, vor allem über den drittgrößtendeutschen Energiekonzern EnBW. Nach einem Zerwürfnismit Auftraggebern ist er heute bereit, über seine Geschäftezu reden und sein Wissen zu offenbaren. Und dieseKenntnisse über das Innenleben und die Denke in denKommandozentralen der deutschen Energiekonzerne sindmehr als erstaunlich.

Bykow, ein hochintelligenter und äußerst gläubiger Mannmit viel Menschenkenntnis, sitzt in seinem Moskauer Büroam Rande der Innenstadt, klappt den Laptop auf und beginnt

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zu erzählen. Er gehört zu den wenigen Eingeweihten, dieLicht in dieses dunkle Kapitel der deutschen Energiebranchebringen können. Und er bestätigt: Die Branche, allen vorander Karlsruher Konzern EnBW, wollte mit dem militärischenUran dem Ausstieg entgegenwirken: »Man wollte angesichtsdes drohenden Atomausstiegs ein Signal setzen: Bitteschließt uns nicht, wir betreiben Abrüstung«, sagt Bykow undmacht damit endgültig klar, dass die Industrie aus höchstzweifelhaftem Grund um die Abrüstungsdeals warb. Er habedieses Uran besorgen sollen, räumt Bykow ein – auch alsFaustpfand der Konzerne in derLaufzeitverlängerungsdebatte gegenüber der Regierung.

Ein großes Ziel, ein globaler Plan der internationalenStaatengemeinschaft und mittendrin ein Atomlobbyist ausMoskau, der in eine Schlüsselrolle in der deutschenEnergiepolitik rückt. Gäbe es die Dokumente nicht, wärekaum zu glauben, was sich da über Jahre hinweg abspielte.Thriller-Autoren wären wohl wegen Realitätsferne müdebelächelt worden, hätten sie sich diesen schrägen Plotausgedacht. Und das in einer Branche, in der korrektesGeschäftsgebaren und Vertrauen in die Verlässlichkeit vonAKW-Betreibern Grundvoraussetzung ist. Schließlich kannjeder Verstoß, etwa gegen Sicherheitsvorschriften, fataleFolgen haben.

Auch die Staatsanwaltschaft Mannheim interessiert sichfür die Geschehnisse. Denn bei den Geschäften mit Bykowfloss viel Geld. Jene rund 220 Millionen Euro, die EnBW anBykows Firmengeflecht überwies, das in der Schweizangesiedelt ist.

Wofür? Das fragen sich auch die Ermittler. Sie gehen demVerdacht schwarzer Kassen nach. Die EnBW erklärte, sie

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habe dazu »keine Erkenntnisse«.

Bykow behauptet, er habe einen Teil der EnBW-Millionenausgegeben, um russische Entscheider für EnBW-Geschäftegewogen zu machen. Es ist eine bemerkenswerteLandschaftspflege, die Bykow in seiner Moskauer Agenturoffenbart. Er trägt schwere Bücher in den Raum, die dieArbeit seiner wohltätigen Stiftung dokumentieren. Dass Gelddeutscher Stromkunden offenbar für militärischeStützpunkte des Riesenreichs floss – angesichts der jüngstenSpannungen zwischen Russland und dem Westen wäre daswohl eine kaum zu übertreffende Tollheit.

In Wiljutschinks an der Pazifikküste etwa, dort, wo diegefährliche Atom-U-Boot-Flotte stationiert ist, wurde gar einU-Boot nach Bykows Stiftung benannt. Bei der Schiffstaufe2006 lässt sich Lobbyist Bykow mit kirchlichenWürdenträgern ablichten. Andernorts ließ Bykow Statuenaufstellen, Jagdbomber tragen das Emblem seiner Stiftung.Ein Flugzeughangar soll mit ihrer Hilfe errichtet wordensein.

Lange behauptet die Bundesregierung, sie habe mit AndrejBykow nie etwas zu tun gehabt. Als erste Gerüchte die Rundemachen, Bykow habe so diskret wie effizient bis in dieBundesregierung hinein Kontakte auf höchster Ebenegepflegt, weist Berlin das zurück. Auf Anfrage der Grünen-Fraktion im Bundestag teilt die Bundesregierung zunächstmit: Über direkte Kontakte zwischen Bykow und derBundesregierung lägen »keine Erkenntnisse« vor. Dochwenig später wird klar: Die Regierung hatte da offenbaretwas übersehen. Auf Nachfragen der Grünen räumt siespäter überraschend ein: Bykow hatte doch direkte Kontakte

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nach Berlin. Der Lobbyist saß sogar mit am Tisch, als eswenig später um eine weitere hochbrisante deutsch-russische Abrüstungsangelegenheit ging.

»Nochmalige Recherche« habe »zu weitergehendenErkenntnissen geführt«, muss die Bundesregierungschließlich notgedrungen zugeben. So habe Bykow an einemGespräch des Staatssekretärs Bernd Pfaffenbach über dieAbrüstung russischer Atom-U-Boote mit dem damaligenVizechef der russischen Atombehörde Rosatom, AndrejMalyschew, teilgenommen. Er habe Malyschew begleitet.Auch ein ehemaliger Abteilungsleiter desBundesfinanzministeriums habe 2008 oder 2009 Gesprächemit Bykow geführt. Zuvor hatte Berlin nur Anfragen vonEnBW beim Bundesnachrichtendienst über Bykoweingeräumt – auch der Konzern traute seinem hochkarätigenLobbyisten offenbar irgendwann nicht mehr über den Weg.

Ein deutscher Energiekonzern, russische Militärs undPolitiker, Abrüstung und biedere Stromgeschäfte – undmittendrin ein Lobbyist mit guten Kontakten auch in Berlin,den man auch in Geheimdienstkreisen kennt. UnsereRecherchen zum Atomlobbyismus offenbaren eineigenartiges Netz. Die Aktivitäten der Atomlobby machenschlagartig klar, wo die Grenzen überschritten werdenzwischen erwünschter gesellschaftlicherInteressenvertretung und jenem Lobbyismus, der einerGesellschaft zutiefst und nachhaltig schadet, weil erdemokratische Prozesse aushebelt.

Der Energiebranche ging es gerade nicht darum, ihrelegitimen Argumente in die öffentliche Debatte einzuspeisenund die Bürger oder ihre Interessenvertreter entscheiden zulassen. Ziel war es, die Ergebnisse einer öffentlichen Debatte

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hinter verschlossenen Türen auszuhebeln. Wohl selten zuvorhat man Lobbyismus dreister erlebt. »Der Vorgang zeigteinmal mehr: Die Tinte auf dem Atomausstieg war noch nichttrocken, da überlegten die Konzerne bereits, wie derKonsens wieder gebrochen werden kann«, sagt SylviaKotting-Uhl, atompolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion. »Hier tun sich Abgründe auf.«

Die Rede ist von Abgründen, die noch lange nicht derVergangenheit angehören. Denn die Energiebrancheversteht es, auf vielen Ebenen einen besonders engen Drahtzur Politik zu pflegen. Der Wunsch nach Nähe zu denMächtigen ist mit dem beschleunigten Atomausstieg nachFukushima nicht kleiner geworden. Im Gegenteil.

Seit die Geschäfte einbrechen, der öffentliche Einflussschwindet, suchen sich die Konzerne immer neue Wege derEinflussnahme. Da der direkte Draht ins Kanzleramt immerstärker abgekühlt ist, Spitzenpolitiker des Bundes die Nähezur Stromwirtschaft meiden, wird die Branche erfinderischermit den Versuchen, gesellschaftliche Prozesse zum eigenenWohl zu steuern. So zum Beispiel beim Klimawandel.

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Warum Energiewende, wenn die Kohleauch so fließt?

Der Klimawandel bedroht nach dem Atomausstieg nun auchnoch das letzte florierende Geschäftsfeld der Konzerne: denbesonders umweltschädlichen Betrieb von Kohlekraftwerken.In Berlin setzt sich seit einiger Zeit die Erkenntnis durch,dass Deutschland seine strengen Klimaziele bis 2020verfehlt, wenn das Land nicht gegensteuert. In denvergangenen Jahren war der CO2-Ausstoß imEnergiewendeland Deutschland gestiegen und nicht gefallen.Der Grund: Die deutschen Energiekonzerne verfeuertenwieder deutlich mehr Kohle in der Stromproduktion. Vier derfünf klimaschädlichsten Kraftwerke Europas stehen nichtetwa irgendwo in Osteuropa, sondern auf deutschemBoden.[30]

Dabei muss auch Deutschland schrittweise raus aus derKohleverstromung, um den Klimawandel zu bekämpfen.Spätestens ab 2017 müssten die Emissionen überall jährlichum acht bis zehn Prozent sinken, sagt selbst Fatih Birol,Direktor der beim Klimaschutz lange zurückhaltendenInternationalen Energieagentur – anders sei das Zwei-Grad-Ziel nicht mehr zu erreichen. Es geht um jene Grenze derErderwärmung, bei der eine »gefährliche anthropogeneStörung des Klimasystems« gerade noch verhindert werdenkann, wie es in der Klimarahmenkonvention heißt.

Bei einer Durchschnittstemperatur, die maximal zwei Gradhöher liegt als zu Beginn des Industriezeitalters, soll derKlimawandel endgültig gestoppt werden, um schlimme

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Folgen für die Welt abzuwenden. Und damit auch nochhöhere Kosten von Gesellschaften für die Anpassung an denKlimawandel. So sieht es die Politik. Und so wäre es dereinzig sinnvolle Weg für ein Land und seine Wirtschaft. Werallerdings glaubt, dass sich diese Erkenntnis überalldurchgesetzt hätte, täuscht sich. Große Teile der hiesigenEnergiebranche halten äußerst wenig davon, nach denAtomkraftwerken auch noch Kohlemeiler aus dem Verkehr zuziehen. Sie setzen alle Hebel in Bewegung, um miterfolgreichem Lobbyismus den zweiten Ausstieg zuverhindern.

Welche Wirkung die Branche noch immer hinter denKulissen in der deutschen Politik entfalten kann, zeigen ihreKontakte in die große Koalition. Die Koalitionsparteienwollten eigentlich schon in dieser Legislaturperiode bei denKraftwerken im größeren Stil umsteuern. Zum einen solltenin den Koalitionsverhandlungen für die laufende Amtszeit derBundesregierung die Ausbauziele für grünen Stromhochgeschraubt werden. Zum anderen sollten fossileKraftwerke nicht mehr für sakrosankt erklärt werden. DasKalkül von Union und SPD: Je mehr Kohlekraftwerke aus demohnehin viel zu großen Kraftwerkspark des Landes gedrängtwerden, desto besser die Klimabilanz Deutschlands. VieleForscher und Experten unterstützten den Ansatz.

Doch trotz breiter Unterstützung in der Gesellschaft: weitkamen die demokratisch gewählten Vertreter des Landesnicht mit ihrem Vorstoß. Sie hatten die Rechnung ohne dieLobbyisten der Konzerne gemacht.

Die bekamen schon Wind von den Plänen der Politik, alsdie Tinte auf den ersten Entwürfen für den KoalitionsvertragAnfang November 2013 kaum trocken war. Bestimmt waren

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die Dokumente eigentlich nur für die Abgeordneten derArbeitsgruppe Energie im Berliner Regierungsviertel. Doches dauerte nur ein paar Stunden und ein paar Mausklickeund der zehnseitige PDF-Entwurf mit der Nummer 63 verließeine undichte Stelle und ging auch bei Lobbyisten derdeutschen Energiekonzerne in Berlin-Mitte ein.

Die Vertreter der Industrie saßen perplex vor ihrenComputern und Handys. Was sie da zu lesen bekamen, warkaum zu fassen. Passiert war, womit niemand in derEnergiebranche gerechnet hatte. Obwohl die nordrhein-westfälische und traditionell kohlefreundlicheMinisterpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) bei denKoalitionsverhandlungen als Verhandlungsführerin für dasThema Energie die Fäden zog, war in der Vorlage für dieGespräche eine folgenreiche Formulierung gelandet. 75Prozent des deutschen Stroms, hieß es da, sollten bis 2030aus erneuerbaren Energien gewonnen werden. 75 Prozent –drei Viertel des deutschen Stroms?

Eine Revolution. Damit konnten den Großkraftwerken, dieheute noch immer für rund 70 Prozent des Stroms stehen,plötzlich nur noch 25 Prozent bleiben – und das bei kräftigsinkendem Verbrauch in den nächsten Jahren.

Hatte die SPD-Politikerin da am Ende nicht durchschaut,was das für die Energiekonzerne wie RWE in ihremBundesland bedeuten könnte? Zwar hatte sie nichts anderesumgesetzt als das SPD-Regierungsprogramm. Denn dort wares auch genau so verankert. Doch die führendenKohlekonzerne RWE und Vattenfall aus Schweden waren sicheinig: So hatte man nicht gewettet.

Die Truppen schlugen los. Im sogenannten »War Room«von RWE in Berlin herrschte plötzlich Alarmstimmung. Der

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Essener Konzern hatte eigens eine Zentrale eingerichtet, inder alle Informationen aus den Koalitionsverhandlungenzusammenliefen und Experten die Entwürfe auswerteten undkommentierten. Ihnen wurde klar: Es brauchte eine höchstwirksame Gegenwehr.

Und auch bei Vattenfall, dem Kohlekonzern Nummer zwei,nahm man die Zahlen unter die Lupe – und war baff. Kämeder Plan durch, hätte das eigene Geschäft mit denKohlekraftwerken kaum noch eine Zukunft. Dabei hatteVattenfall noch kurz zuvor erklärt, bis 2045 weitermachen zuwollen. Die Kohle sollte weiter im großen Stil aus der Erdeund ins deutsche Stromnetz geholt werden. Der Konzernplant, gleich fünf Tagebaue in Ostdeutschland zu erweitern.

Jetzt lag es an Wolfgang Dirschauer. Es blieb nur wenigZeit bis zur entscheidenden Sitzung nur einen Tag später.Dirschauer kennt den Politikbetrieb. Er gehörte selbst maldazu, als Energiereferent der SPD-Fraktion, bevor erLobbyist des Berliner Stromkonzerns Vattenfall wurde.

Noch am Nachmittag gegen halb vier macht er seinemÄrger Luft. »75 Prozent EEG-Strom bis 2030? Hat es daOpium geregnet?«, tippt Dierschauer in einer E-Mail am 8.November 2013 an einen kleinen Kreis führender SPD-Leuteum Hubertus Heil, den stellvertretenden SPD-Fraktionschef.Der Lobbyist kann sich kaum bremsen. Die Positionen derUnion seien ja schon kaum fassbar. Aber: »Wer stimmt (…)auf der SPD-Seite eigentlich einem solchen Wahnsinn zu?Wer vertritt für die Fraktion diese Positionen?« Einige sichdie Koalition wirklich auf ein so ehrgeiziges Ausbauziel, dannwürde das »unsere Firma ruinieren und über 20000Arbeitsplätze in der Lausitz vernichten«, fährt er fort. Unddie RWE-Kohletochter sowie den ostdeutschen Kohlekonzern

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Mibrag gleich mit.

Vattenfall schwant, was der eine Satz in dendurchnummerierten Zeilen 61 und 62 des Vertragsentwurfsbedeutet: Kämen wirklich 2030 schon drei Viertel desdeutschen Stroms aus grünen Quellen, wäre vielleicht dasKlima einer Rettung näher gekommen – die Konzerne aberkönnten ihre gigantischen Tagebaue dichtmachen.

Dann würden die Firmen mit ausrangiertenKohlekraftwerken nicht nur auf milliardenschwerenInvestitionsruinen sitzen. Dann würden auch noch jeneMilliarden-Rückstellungen fällig, die sie für den Tag bildenmüssen, an dem die riesigen Bagger gestoppt werden undvon dem an die mondähnlichen Landschaften in der Lausitzund dem Rheinland renaturiert werden müssen – Flächen inDimensionen von 100 Quadratkilometern. Im Klartext:»Sollen wir jetzt SOFORT alle industriellen Aktivitäten in denAbwicklungsmodus geben?«, fragt der Lobbyistunumwunden.

Die Konzerne wissen genau, wo sie ansetzen müssen: Beiden Politikern jener Bundesländer, in denen die Verbindungzwischen Kohlewirtschaft und Politik ausgesprochen eng ist.Äußerst intensiv beackert man deshalb BrandenburgsMinisterpräsidenten Dietmar Woidke (SPD). In Brandenburgist Vattenfall besonders einflussreich. Hier stehen dieSchweden für Tausende Jobs, riesige Tagebaue und hoheSteuereinnahmen. Und Woidke, so scheint es, weiß, wen er inEnergiefragen um Rat fragen muss.

Einige Abgeordnete sind überrascht, als er Ulrich Freese,einen grauhaarigen stämmigen Mann über 60, in denVorbereitungsgesprächen zum entscheidendenKoalitionstreffen der AG Energie als Begleiter vorstellt.

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Allenfalls Energiefachleuten ist der Mann mit tiefer Stimmeund kantigem Gesicht, der seine Ruhrgebietsvergangenheitkaum verbergen kann, bekannt. Der frühere Gewerkschaftersitzt heute nicht nur als Kontrolleur im Aufsichtsrat vongleich drei Vattenfall-Gesellschaften, er hat sich auch einenPlatz im wichtigsten politischen Organ des Landes erkämpft:im Bundestag.

Einige Genossen ahnen, welchen Verlauf die Sitzungnimmt: SPD-Verhandler Woidke dringt im entscheidendenMoment darauf, einen Satz in den Koalitionsvertragaufzunehmen, der es in sich hat. Teilnehmer bei einem SPD-Treffen zur Vorbereitung der finalen Gespräche der AGEnergie erinnern sich an die wegweisende Szene. Woidkehabe den vorformulierten Passus vorgetragen. In denVertrag gehöre in jedem Fall die Feststellung: »Diekonventionellen Kraftwerke (Braunkohle, Steinkohle, Gas) alsTeil des nationalen Energiemixes sind unverzichtbar«,diktiert Woidke.

Was nach Nebensächlichkeit klingt, bedeutet für dieBranche einen Glücksgriff in den Verhandlungen. Denn derSatz gilt als eine Art Bestandsgarantie für fossile Kraftwerke.Entsprechend stolz ist Lobbyist und Berater Freese späterdarauf, dass die Formulierung einen Durchmarsch schafft.

Freese sitzt an einem Winternachmittag in der feinenParlamentarischen Gesellschaft gleich neben dem Reichstagund erzählt bei einer Zigarre von der Genese derFormulierung, die sich nur mit dem Einschub »auf absehbareZeit« im 185-seitigen Koalitionsvertrag wiederfindet, den dieKoalitionsspitzen am 27. November 2013 in Berlinunterzeichneten. Sie wird damit zur Basis des

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Regierungsprogramms einer gesamten Legislaturperiode.Und sie stellt sicher, dass die neue Bundesregierung in derEnergiepolitik künftig nicht primär auf die umweltfreundlicheWind- und Solarkraft setzt, sondern auch weiterhin auf dieklimaschädliche Braunkohle. Er habe die Formulierungangeregt, räumt Freese im Gespräch ein. MinisterpräsidentWoidke habe sie dann vorgetragen. Mit Lobbyismus für eineBranche habe das nichts zu tun, sagt Freese. Ihm gehe es umdie mehr als 20000 Beschäftigten, die in Brandenburg vondem Geschäft mit der Kohle abhingen. Um jene Region also,die der Strukturwandel schon so hart getroffen habe und indie heute kaum noch ein Investor komme, um dieweggebrochenen Jobs zu ersetzen.

Die Nebenwirkung dieses Einsatzes für die gesamteGesellschaft wirken jedoch schwer: Das Klima leidet weiter,die Kosten für das Land und seine 80 Millionen Bürger beimUmsteuern wachsen mit jedem Jahr des Wartens. Allein dieEnergiekonzerne profitieren vom abgeschwächten Klimakursmit höheren Einnahmen und niedrigeren Kosten. Die Politikwinkt damit Wirtschaften auf Kosten eines ganzen Landesdurch – zum Schaden von Mensch und Umwelt.

Während Umweltschützer entsetzt sind, feiert die Brancheihren Erfolg. »Der Satz ist ein Bekenntnis, dass Kohlekraftweiter erforderlich ist«, findet Freese zufrieden nach denVerhandlungen.

Die Energiekonzerne waren nach arbeitsreichen Tagenzufrieden. Der »War Room«, die vielen gut bezahltenLobbyisten – all das hatte sich ausgezahlt. Angesichts desrelativ guten Ausgangs der Verhandlungen solle man trotzaller Freude zurückhaltend sein, hieß es anschließend ininternen Papieren. Bei der Ausarbeitung der Regelungen in

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den Ministerien könne schließlich noch viel passieren.[31]

Die Vorgänge in all ihren Details zeigen, wie Wirtschafterfolgreich und diskret Einfluss nimmt. Ohne großeöffentliche Debatte. Möglichst früh im Entscheidungsprozessund möglichst wirksam. Abgeordnete, die sich fragten, werda plötzlich mit am Tisch saß, erfuhren: Freese, der gelernteBetriebsschlosser, hat selbst im Steinkohlebergbau alsSchlosser unter Tage gearbeitet, bevor seine steileGewerkschaftskarriere begann. Nach dem Studium an derAkademie der Arbeit 1990 ging er alsGewerkschaftsfunktionär in die Lausitz. Freese wurde späterVizechef der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie,Energie (IG BCE). Von 1994 bis 2004 saß er schon als SPD-Abgeordneter im Brandenburger Landtag. Später riefennoch höhere Aufgaben. Freese wurde von derBrandenburger SPD für die Bundestagswahl aufgestellt.

Ein Karrieresprung, der Brandenburger Genossenallerdings einigermaßen suspekt war. Einige fragten sich, obwirklich alles mit rechten Dingen zuging. In einer E-Mail anTeile der Parteispitze warnten die Absender vor »Leichen imKeller«. Gemeint gewesen seien Interessenkonflikte, heißt es.Denn als Vizechef seiner Gewerkschaft saß er nicht nur inacht Aufsichtsräten, wofür er von Ende März 2014 bis EndeJuni 2015 brutto fast 350000 Euro bekam. Nach Steuern undAbführungen an die Gewerkschaften blieben netto immerhinrund 95000 Euro an Zusatzeinkünften für das gute Jahrübrig. Parteifreunde hatten auch noch Wind davonbekommen, dass darüber hinaus zwei Söhne Freeses Arbeitbei Vattenfall gefunden hatten.[32] Freese bestätigt das,erklärt jedoch, dies habe nichts mit seinen

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Aufsichtsratsmandaten im Konzern zu tun.Interessenkonflikte sehe er nicht.

Auch dass der Politiker Freese offenkundig finanziell ausdem Vollen schöpfen konnte, weckte Misstrauen bei denGenossen. Just in dem Jahr, in dem er innerhalb der SPD umeinen Sitz im Bundestag kämpfte, zählte er zu den größtenprivaten Spendern seiner Partei – und zwar bundesweit. ImRechenschaftsbericht der SPD taucht eine Spende über12570 Euro auf. Freese spendete der eigenen Partei damitnur unwesentlich weniger als etwa die gesamte Ergo-Versicherungsgruppe mit 15000 Euro.

Freese weist den Vorwurf zurück, sich damit dieDirektkandidatur erkauft zu haben. »Ich habe mir alle meineKandidaturen durch Engagement und Sachkundeerarbeitet.« Er spende bereits seit Jahren an diverse SPD-Ortsvereine. Das Geld »wäre so oder so gekommen«.[33]

Bei den Spenden der anderen lief es ebenfalls gut. Fast90000 Euro landeten auf Freeses Wahlkampfkonto.Großzügig gab sich pikanterweise ein Vattenfall-Manager.1000 Euro soll der frühere Vattenfall-PersonalmanagerHermann Borghorst gezahlt haben. Freese bestätigt auchdies, verweist aber auf eine langjährige Freundschaft. MitVattenfall habe die Spende nichts zu tun.

Für Lobbyismus-Experten machen die Vorgänge klar, wiesehr Interessenvertreter während der Verhandlungen vonUnion und SPD zur Vorbereitung ihrer Regierung Einflussgenommen haben. »In den Koalitionsverhandlungen wurdevermutlich eine der größten Lobbyschlachten dervergangenen Jahre ausgetragen«, sagte Christina Deckwirth

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von der Organisation LobbyControl. Der Aufwand derLobbyisten, ihre jahrelangen Vorbereitungen und dasKnüpfen enger Kontakte, zahlten sich hier schnell aus.Schließlich wurden in wenigen Tagen an denVerhandlungstischen die politischen Weichen für dienächsten vier Jahre gestellt.

Enge Verbindungen in der Energiebranche zwischenPolitik und Konzernen sind keine Domäne einzelner Parteienoder Regionen. Auch Gregor Golland hält für Kritiker alsPrototyp eines multifunktionalen Politikers her. Denn derCDU-Mann aus dem nordrhein-westfälischen Brühl ist nichtnur Landtagsabgeordneter. Er arbeitet nebenbei auch nochTeilzeit als Abteilungsleiter beim Energieriesen RWE in einerServicetochter, die sich etwa um den Einkauf von Rohstoffenkümmert. Nicht nur für Golland eine interessanteKonstellation. Denn in der Landtagsfraktion sitzt er für dieUnion als stellvertretendes Mitglied im Energie- wie imKlimaausschuss. Dass Golland mit seiner Beschäftigung demRWE-Konzern nahe steht, ist angesichts der Kohle- undKlimadebatten für das Unternehmen mit Sitz in Essenbeileibe kein Nachteil. Zumal Golland in seiner Partei alsBefürworter der Kohle-Förderung gilt.

Schließlich verfeuert kein anderes Unternehmen so vielvon dem umstrittenen Rohstoff wie RWE. Verbindungenzwischen dem der Allgemeinheit verpflichteten politischenMandat und dem auf Profit getrimmten Konzern? Keine,versichert RWE. Man lege größten Wert auf eine saubereTrennung zwischen unternehmerischen und politischenInteressen. Er sehe keine Interessenkonflikte, erklärt auchGolland. »Ich bin seit Langem Befürworter der Kohle, das hatmit dem Unternehmen, für das ich arbeite, nichts zu tun.«

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Selbstverständlich nicht. Man stellt sich den Pharma-Manager als Abgeordneten im Gesundheitsausschuss vor undahnt, wie unmöglich eine Trennung der Interessen ist.

Die Umweltorganisation Greenpeace meldet ernste Zweifeldaran an, dass Polit-Amt und berufliche Tätigkeit tatsächlichnichts miteinander zu tun haben. In ihrem »SchwarzbuchKohlepolitik« weist die Organisation auf DutzendeVerbindungen deutscher Politiker zur Branche hin. DerBericht kritisiert, Politik und Kohlewirtschaft seien engmiteinander verfilzt. Das sorge dafür, dass Deutschland trotzEnergiewende am größten Klimakiller festhalte und damitden Schutz von Menschen, Umwelt und Klimavernachlässige. Denn die Verflechtungen von Kohlebrancheund Politik durchziehen viele Bereiche der Politik vonLandtagen bis in den Bundestag. Der Report über 45Politiker mit fragwürdigen Beziehungen füllt fast 30 Seitenmit Beispielen von Volksvertretern, die der Kohle nahestehen.

Da wird zum Beispiel mit Wolfgang Clement einehemaliger Aufsichtsrat bei RWE RheinbraunMinisterpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen – undgenehmigt den umstrittenen RWE-BraunkohletagebauGarzweiler II im Norden Kölns. Später steigt er in der rot-grünen Bundesregierung Gerhard Schröders zumWirtschafts- und damit Energieminister auf.

Ein CDU-Präsidiumsmitglied – Hermann-Josef Arentz –erhält über viele Jahre kostenlosen Strom und ein jährlichesGehalt von 60000 Euro von RWE. Wofür? Besondersproblematisch laut Greenpeace: Posten von Politikern inAufsichts- oder Beratungsgremien der Branche. VielePolitiker nutzten ihre Verbindungen, »um den

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Kohlekonzernen hohe Gewinne zu sichern und nicht seltendas eigene Einkommen aufzubessern«.

Fazit der Organisation: »Kein Wunder, dass sich die Politikmit dem Ausstieg aus der Kohle so schwertut.«

Wie eng die Verbindung im Lauf der Jahre werden kann,zeigt das Beispiel Martina Gregor-Ness. 1994 in den LandtagBrandenburgs gewählt, wurde sie 2004 zurumweltpolitischen Sprecherin der SPD-Fraktion. Alsstellvertretende Fraktionsvorsitzende gilt die energischePolitikerin als rechte Hand des Ministerpräsidenten. Ein Job,der sie Anfang 2013 eigentlich zum Protest gegen ein Öko-Desaster in Brandenburg herausforderte. Zu Jahresbeginnmachte Schlagzeilen, dass die Brandenburger Spree»verockert« – eine ockergelbe Verfärbung der Spree durchalte, stillgelegte Tagebaue. Die Wasserqualität sinkedramatisch, warnten Umweltschützer.

Umweltpolitikerin Gregor-Ness allerdings hielt die Debattezur Verblüffung von Landtagskollegen für übertrieben. Siewarnte stattdessen vor Panikmache und appellierte an dieMedien, von der braunen Spree-Brühe »nicht so dramatischeBilder zu produzieren«. Im Landtag löste das Engagementdieser Art einen Eklat aus. Denn Gregor-Ness sitzt auch imAufsichtsrat der Vattenfall-Bergbausparte Mining. Und diehat schließlich kein Interesse an beunruhigendenSchlagzeilen über Öko-Probleme im Tagebau.

Inzwischen ist Gregor-Ness aus der Politik ausgestiegen –einen passenden Job fand sie Ende 2014. Sie wurdePräsidentin des Landeswasserverbandstages Brandenburg,einem Interessenverband der Wasserwirtschaft. Ihr gut

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bezahltes Aufsichtsratsmandat bei Vattenfall übt sie weiteraus.

Die Antikorruptions-Organisation Transparency Internationalübt harte Kritik an Doppelrollen und fordert Politiker auf,Konsequenzen zu ziehen. Sie müssten ihreAufsichtsratsposten aufgeben, fordert die Organisation. Essei ihnen zwar nicht verboten, Posten in der Wirtschaft zuübernehmen. Es dürfe dabei laut Gesetz aber zu keinemInteressenkonflikt kommen.

Gerade beim Thema Energie hält Transparency diesenjedoch für eine Dauergefahr. Wenn die Politik alteEnergieträger durch neue ersetze, komme es zwangsläufigzu Nachteilen für etablierte Konzerne. Einen, den einPolitiker möglichst stringent durchsetzen muss. EinAufsichtsrat muss aber dem Wohl seines Unternehmensdienen. Dazu sind Aufsichtsräte sogar gesetzlich verpflichtet.Diesen Widerspruch könne nur der Amtsverzicht lösen,warnt Transparency.

Die Folge des Filzes zwischen Energiebranche und Politik:eine demokratische Unwucht. Es sei widersinnig, dass imZuge der Energiewende ausgerechnetBraunkohlekraftwerke eine Renaissance erlebten, klagt Ex-Umweltminister Klaus Töpfer von der traditionell eherwirtschaftsfreundlichen CDU. Wirtschaftsinstitute habenlängst ausgerechnet, dass der Ausbau der Kohletagebaueenergiepolitisch kaum noch zu rechtfertigen ist.

In einer Studie mit dem Titel »Vattenfalls riskantesGeschäft« warnt etwa das Institut der Deutschen Wirtschaft(DIW) vor einem Einbruch des Geschäfts. Die

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voranschreitende Energiewende mache die Ausbeutung derBraunkohlevorkommen mittelfristig vollkommen überflüssig.Würden »soziale Kosten« in die Geschäfte des Konzerns miteinberechnet, so die Ergebnisse der Studie, sei Braunkohlemit Kosten von 80 bis 100 Euro pro Megawattstunde zwei-bis dreimal teurer als heutiger Börsenstrom mit 35 bis 40Euro pro Megawattstunde. Im Klartext: Würden dieKonzerne für alle negativen Folgen der Geschäfteaufkommen, würden sie unter aktuellen Bedingungen hoheVerluste schreiben.

Die Reihen der Branchenförderer stehen dennoch – auchim Kampf gegen mehr Klimaschutz. »Mit den Plänen drohteine Deindustrialisierung der Lausitz«, schimpfte SachsensRegierungschef Stanislaw Tillich (CDU) Mitte 2015, als einneuer Versuch der Bundesregierung bekannt wurde, alteKohlekraftwerke aus dem Verkehr zu ziehen. »Das wäre dasK.o. für die Kohle«, unterstützte ihn sein Parteifreund ReinerHaseloff, Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt. Und CDU-Vize Armin Laschet, der im Frühjahr 2017 SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft in Nordrhein-Westfalenablösen will, klagte über Zehntausende Arbeitsplätze, die aufdem Spiel stünden. Mehr als 10000 Braunkohlekumpel zogenin Berlin vom Wirtschaftsministerium zum Kanzleramt.»Gegen Massenentlassungen, für soziale Sicherheit«, lautetedas Motto der Demonstration, zu der die Gewerkschaften IGBergbau, Chemie, Energie und Verdi aufgerufen hatten.

Doch öffentliche Großkundgebungen sind nur das eine.Der SPD-Politiker Marco Bülow gehört zu den Abgeordnetendes Deutschen Bundestags, die dem Werben von Lobbyistenausgesetzt sind und ihr Treiben äußerst kritisch beobachten.Bülow, ein nachdenklicher Mann Mitte 40 in Jeans und

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Hemd, der in seinem kleinen Abgeordnetenbüro desBundestags engagiert über die Folgen einer beginnendendemokratischen Schieflage referiert, weiß, wie schwer es ist,der Stimmungsmache zu entkommen. Die Überflutung vonAbgeordneten mit Unternehmensargumenten undLobbyinteressen sei immens, klagt Bülow. Davon bleibe wohlkeiner unbeeindruckt. Bülow, der seit 2002 im deutschenParlament sitzt, entschloss sich zu einem Test. ZweiSitzungswochen lang zählten seine Mitarbeiter nach, wieviele Kontakte sein Büro zu Lobbyisten hatte. Ergebnis: »Indieser kurzen Zeit erreichten uns über 400 Briefe, Mails,Faxe und Telefonanrufe, die sich Lobbyisten zurechnenlassen«, erklärt Bülow.

Bülow hat selbst in einem Aufsatz festgehalten, wie er dasWerben erlebt. Er sieht Profis am Werk. »Gut bezahlteLobbyisten verstehen ihr Handwerk. Sie sind bestensausgebildet, rhetorisch geschickt, immer freundlich undzuvorkommend. Sie schaffen – gerne bei einerEssenseinladung – eine gute Gesprächsatmosphäre undtasten sich nicht plump und direkt, sondern stets behutsamzum Kern ihres Anliegens vor. Sie präsentierenHochglanzbroschüren und tolle Graphiken. Sie packen unsAbgeordnete bei unserer Eitelkeit, indem sie unssuggerieren, jeder von uns sei besonders wichtig. Meistenssind die Lobbyvertreter über ihren Gesprächspartner aus derPolitik gut informiert und betonen gerne Gemeinsamkeitenwie die gleiche Heimat oder den gleichenLieblingsfußballclub. Besonders verbindend wirkt die gleicheParteizugehörigkeit. Deshalb werden gerne ehemaligeAbgeordnete als Lobbyisten verpflichtet. Sie können ihreKontakte nutzen, Türen öffnen, man plaudert über alteZeiten, den bösen politischen Gegner und schon ist eine

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Stimmungslage entstanden, die nicht selten dazu führt, dassder Abgeordnete sich nur allzu bereitwillig von denArgumenten des Unternehmens überzeugen lässt.«[34]

Für Bülow ist klar, was den Unterschied zwischen denverschiedenen Interessengruppen im Land macht.Unternehmen verfügten über ausgewiesene, umfangreichefinanzielle Mittel und sie ließen es sich gerne etwas kosten,die Abgeordneten zu umgarnen – »sei es mittels einerEinladung zu einem opulenten Essen oder zu kulturellen undsportlichen Ereignissen der Extraklasse, wie Leichtathletik-oder Fußball-Weltmeisterschaften«.

Klar, dass Konzerne auch noch über die viel besserePersonalausstattung verfügen, als jedeNichtregierungsorganisation, die gegenhalten wollte. Jederder großen Energieversorger hat allein in seiner BerlinerVertretung fünf bis zehn Mitarbeiter, die für den Kontakt zurPolitik verantwortlich sind. Dazu kommen viele weitereFachleute in den Konzernzentralen, die je nach Bedarf in dieHauptstadt oder in die jeweiligen Wahlkreise zurUnterstützung bei der Überzeugungsarbeit geschicktwerden. Davon können die meisten Umweltverbände nurträumen.

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Unterirdische Schlachten: Der Kampf umein CO2-Gesetz

Wie bezahlte Lobbyisten vorgehen, um politischeEntscheidungen zu beeinflussen, hat Bülow am eigenen Leiberfahren. Anfang 2009 hatte die Bundesregierung eineGesetzesvorlage für den Transport und die Lagerung vonKohlendioxyd in der Erde erarbeitet. So sollte der Betriebvon Kohlekraftwerken ermöglicht werden, indem dieTreibhausemissionen abgeschieden und in unterirdischenLagern untergebracht werden. CCS – Carbon DioxideCapture and Storage heißt die umstrittene Technik unterFachleuten. »Es ging vor allem darum, sogenannteDemonstrationsvorhaben zu ermöglichen. Vattenfall undRWE wollten die neue Technologie in eigenen Kraftwerkentesten«, erinnert sich Bülow. Der schwedische EnergierieseVattenfall etwa hatte in Deutschland einen gigantischen Plan:Mehr als 1000 Meter unter der Erde wollte der Konzern vorwenigen Jahren südöstlich von Berlin CO2 im großen Stilpressen – das Abfallprodukt eines neuen Kohlenmeilers. PerPipeline sollte das klimaschädliche Gas fließen und so intiefstem Gestein landen.

Dazu sollten in einem Gesetz die rechtlichenRahmenbedingungen festgelegt und geklärt werden, wanndie Verantwortung der Endlager von den Betreibern auf denStaat übergeht. »Bei alldem ging es um viel Geld, dasentweder die Unternehmen oder der Staat – und damit dieSteuerzahler – aufbringen müssten.« Es ging aber auch umRisiken und Unsicherheiten, etwa um die Frage, wie viel CO2

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bei dem Transport und der Lagerung entweichen kann.Besonders strittig: Welche Sicherheitsstandards geltensollten und wie groß das Konfliktpotenzial mit denbetroffenen Bürgern war, die lange Transport-Pipelines vordie Haustür gesetzt bekämen.

Die meisten Wissenschaftler unterstützten diegrundsätzliche Möglichkeit, CCS einzusetzen und damit dieCO2-Belastung zu reduzieren, forderten aber gleichzeitigklare Regelungen und Auflagen für die Kraftwerke und denEinsatz der neuen Technologie. Die Umweltverbändestanden CCS überwiegend skeptisch bis ablehnendgegenüber.[35]

Es begann ziemlich harmlos. Zwei Jahre setzten sichAbgeordnete der SPD-Arbeitsgruppe Umwelt mit dem Fürund Wider auseinander, hörten sich Experten an, lasenGutachten, diskutierten. »Solange kein Gesetzentwurf aufdem Tisch lag, hat sich kein Lobbyist für uns interessiert«,sagt Bülow. Doch das änderte sich schlagartig, als Umwelt-und Wirtschaftsministerium einen ersten Text erstellten –und Lobbyisten ihre Chance witterten. Plötzlich lief ihreArbeit auf Hochtouren. Die ersten Gesprächswünsche, vorallem von Unternehmensvertretern, erreichten zwar auchdas Parlament, aber vorerst richtete sich die Aufmerksamkeitauf die zuständigen Ministerien.

Der Energielobby ging es darum, möglichst schnell einGesetz zu bekommen, das den Betreibern alle Freiheitenlässt, nur geringe Auflagen macht und vor allem den eigenenKostenbeitrag in Grenzen hält. Hierzu fertigte man gar eineneigenen Gesetzentwurf für CCS an. Die Parlamentarierarbeiteten da noch an ihrer Linie. Es sei darum gegangen,die Chancen für eine Reduzierung der deutschen Emissionen

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zu nutzen, ohne die Risiken der Technik zu vernachlässigen,erinnert sich Bülow an die Debatte innerhalb seiner Partei.»Für uns bedeutete dies, die Betreiber nicht aus der Haftungund finanziellen Verantwortung zu entlassen und mit klarenRegelungen dafür zu sorgen, dass die neue Technologie aufder Grundlage höchster Sicherheitsstandards angewendetwird. Zudem wollten wir deutlich machen, dass CCS nichtden Ausbau der erneuerbaren Energien ersetzen soll unddeshalb der Staat weder zu viel Geld in die CCS-Projektestecken noch die Kostenrisiken nach kurzer Zeitvergesellschaften dürfe.«

Doch Zeit lassen für eine abgewogene Entscheidung wolltedie Branche weder sich noch der Politik. Sie machte Druck.Ihr Ziel: einen Gesetzesvorschlag in jedem Fall schnelldurchbringen. Wichtig dabei: sich mit möglichstüberschaubaren Haftungsverpflichtungen und Auflagen fürdie Technologie alle Wege offenzuhalten. Dies möglichst,bevor die Masse der Politiker und Bürger mitbekommenwürde, was da vor sich geht, und auch die Risiken breiterdiskutiert würden.

Die Branche ließ nichts unversucht. Interne Papiere, diedie Abgeordneten bewusst nicht elektronisch verschickt,sondern nur persönlich an die Mitglieder der Arbeitsgruppeverteilt hätten, seien prompt in den Lobbybüros gelandet.»Generell gilt: Gleich wie klein die Runde ist, egal wievertraulich Papiere sind – es scheint, als säßen dieeinflussreichen Lobbyisten immer mit am Tisch«, sagt Bülow.Die Folge: »Es verleitet konzernkritische Politiker dazu,zurückhaltender zu agieren. Nicht selten habe ich vonUnternehmen Papiere erhalten, die mir das zuständigeMinisterium verweigert hatte – und das, obwohl ich

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gewählter Abgeordneter einer Regierungsfraktion war.«

Bülow macht die Arbeit am CCS-Gesetz endgültig klar, wieeng verwoben Energiewirtschaft und Politik längst sind. ImFall CCS verhindert nach Angaben von Beteiligten immerhindas Berliner Umweltministerium, dass die Politik allenWünschen der Konzerne entsprach. Die Energielobbyverlegte sich folglich auf das Parlament, denn sie wollte einenraschen Abschluss – vordergründig, weil die EUSubventionen für die ersten Projekte versprach. Dabei hattedie große Mehrheit der Abgeordneten immer noch keineAhnung, was CCS überhaupt bedeutet.

»Bei einem solch wichtigen Vorhaben mit weitreichendenFolgen für die Zukunft wäre es aber nötig gewesen,ausgiebiger in den Fraktionen über die Technologie und ihreFolgen zu diskutieren«, ist sich Bülow sicher. »MeineArbeitsgruppe hatte vorgeschlagen, dass wir nur ein Gesetzfür die zwei bis drei absehbaren Demonstrationsvorhabenbeschließen und uns dann genug Zeit für ein Folgegesetznehmen sollten, das für alle weiteren Vorhaben geltenwürde. So hätten die deutschen Projekte ihre EU-Förderungbekommen können, und die Risiken und Nebenwirkungenunseres Gesetzes wären überschaubar geblieben. Gegendiesen Kompromissvorschlag erhob sich aber vor allem in derUnion heftiger Widerstand. Hinter diesem Protest steckteeindeutig die Energielobby.«[36]

Es entwickelt sich eine Schlacht, die selbst erfahrenenPolitikern wie Bülow in Erinnerung bleibt – und beispielhaftsteht für viele, die derzeit geschlagen werden. Denn dieWirtschaft legte an allen Fronten los. »Selten in meinerParlamentszeit erreichten mich so viele Anfragen undGesprächswünsche«, sagt Bülow. Zunächst sei es den

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Konzernen, meist jenen, die die Technik auch nutzten, nurdarum gegangen, die jeweilige Position darlegen zu dürfen.Anders Umwelt- oder Verbraucherschutzverbände. Siegingen die Abgeordneten seltener direkt und aggressiv an.Schrieben E-Mails oder Faxe, »die dann aber nicht selten indem riesigen Wust an täglich und wöchentlich eintreffendenPapieren untergehen«.

Für Bülow auch ein strukturelles Problem der politischenEntscheidungsfindung: Während die eine Seite alles daransetze, vor allem im vertraulichen Gespräch und direkterAnsprache einzelne Abgeordnete zu beeinflussen,beschränke sich die andere Seite meist auf das öffentlicheDarlegen ihrer Positionen. Ein Grund: die geringerenRessourcen. Es bleibt vielen Nichtregierungsorganisationenschlicht weniger Zeit als Unternehmen, um Politikerbeeinflussen zu können.

Phase zwei zündete wenig später: die Beeinflussung ausdem Parlament heraus. Denn plötzlich versuchten auchAbgeordnete ihre Kollegen zu beeinflussen – »nachdem dieseselbst von den Unternehmen lobbyiert worden waren«,vermutet Bülow. Ein Kollege habe sehr massiv verlangt, anden Verhandlungen mit der Union über CCS beteiligt zuwerden. Dabei hatte das Thema mit seinem Fachgebiet nichtszu tun. Für Bülow ist klar, was passiert war: Konzerneversuchten, Verbündete im Parlament selbst zu kreieren, dienicht nur Informationen nach draußen schleusten, sondernauch noch versuchten, ihre Kollegen zu überzeugen.

Für kritische Abgeordnete beginnt genau hier dieGrauzone des Lobbyismus, bei der Frage: Warum lassen sichPolitiker eigentlich darauf ein? Ein Politiker mache sich nurzum Handlanger von Lobbyisten, wenn er sich etwas davon

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verspreche, ist sich Bülow sicher. Wenn er hoffe, später zuprofitieren. Meist seien das unverbindliche Hoffnungen. Esgehe nicht um klare Absprachen. Die Übergänge von legalemLobbyismus zur Korruption seien fließend. Doch Politikermüssen wenig fürchten. Denn strafbar machen sichVolksvertreter nur, wenn sie ihr Tun beweisbar verkaufen.

Ein Politiker darf durchaus Spenden oder Beraterhonorarevon Unternehmen bekommen, sofern sie für einen ganzanderen Verwendungszweck bestimmt sind. »Jeder kann sichausrechnen, dass unter diesem Deckmäntelchen viele Geldernur deshalb ihren Besitzer wechseln, weil konkreteGegenleistungen des Abgeordneten erwartet werden.« Auchwenn sich natürlich viele Abgeordnete nicht kaufen ließen,stellt Bülow klar. Ein Abgeordneter etwa, der demAufsichtsrat eines Unternehmens oder einer Beratungsfirmaangehöre, die von Aufträgen bestimmter Unternehmenabhänge, begebe sich eindeutig in eine Abhängigkeit. Erkönne gar nicht anders, als befangen zu agieren.

Das Phänomen ist dabei weit über die Energiebranchehinaus verbreitet. Im Bundestag sitzen viele Abgeordnete,die neben ihrem Mandat und dem freien Willen aucheinzelnen Unternehmen verpflichtet sind. Beispiel: Ex-Minister Heinz Riesenhuber von der CDU. Seine Einträgeweisen sechs entgeltliche Tätigkeiten neben dem Mandat undFunktionen in Unternehmen aus.

Mit hohen Nebeneinnahmen ist Riesenhuber nicht allein.Es gibt Spitzenverdiener in allen Fraktionen. Wie hoch dieEinnahmen genau sind, darüber lässt das Parlament seinVolk im Unklaren. Sie werden lediglich in breiten Spannenangegeben. Bei Riesenhuber legen sie Einkünfte vonmindestens 300000 Euro pro Jahr nahe – es können aber

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auch deutlich mehr sein. In jedem Fall ist es deutlich mehrals die Diäten. Selbst wenn man den Gewissenskonflikt außerAcht lässt – wie sollen Politiker eigentlich in der Lage sein,für derartige Einkünfte neben ihrem Vollzeitjob im Parlamentzu arbeiten?

Beim CCS-Gesetz kippte mit der Zeit jedenfalls dieStimmung. Auf ihre Seite zogen die Lobbyisten nicht nurgänzlich unbeteiligte oder ohnehin wirtschaftsfreundlicheAbgeordnete. Selbst Kollegen, die zuvor kritisch mit demGesetzesvorhaben umgegangen seien, hielten sich laut Bülowzunehmend zurück oder änderten gar ihre Sichtweise. DerPolitiker registriert, wie die zuvor gemeinsam in derArbeitsgruppe erarbeitete Position bröckelt. »Ein nordrhein-westfälischer Kollege gab mir den freundschaftlichen Rat,von den Änderungswünschen abzulassen. Man müsse dochder ›NRW-SPD noch Luft zum Atmen lassen‹, solle also ihrelobbyfreundliche Position nicht anprangern. Ein andererAbgeordneter warnte mich, natürlich ebenfalls ›gut gemeint‹,den Bogen nicht zu überspannen, weil ich sonst doch immermehr unter Druck geraten könnte, auch im eigenenWahlkreis. Diese Warnung war nichts anderes als eineverkappte Drohung, man könne mich auch in meinemWahlkreis in Misskredit bringen, wenn ich mich weiterhinden Forderungen der Industrie in den Weg stellen würde«,glaubt Bülow. »Trotz aller Vorkenntnisse und schlechtenErfahrungen, die ich bis dahin gesammelt hatte, war ichdennoch überrascht, wie massiv das Lobbynetz ausUnternehmensvertretern und Politikern zu Werke ging.«[37]

Es begann der Abstimmungspoker zwischen denKoalitionspartnern SPD und Union. Einige Abgeordnetesprachen sich gegen Zugeständnisse an die Arbeitsgruppe

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Umwelt der SPD-Fraktion aus. Sie wünschten sich imGegenteil weitreichende Erleichterungen bei der Enteignungvon Grundstücksbesitzern. So sollten Transport undLagerung von CCS nicht gebremst werden können. Daraufwollten sich viele andere nicht einlassen. Die Folge desStreits: Man einigte sich nur auf den kleinsten gemeinsamenNenner auf Grundlage des Regierungsentwurfs. Vielekritische Fragen blieben damit ungelöst – ein Erfolg für dieLobbyisten.

Doch der währte im Fall CCS nicht lange – und macht dieAbsurdität mancher Lobbystrategie klar. Denn als dieÖffentlichkeit Wind von dem Geschacher hinter den Kulissenbekam und die Brisanz des Themas erkannte, musste dieIndustrie kapitulieren. Die verängstigten Bürger gingen aufdie Barrikaden. In fast jedem Dorf zwischen Beeskow undNeutrebbin, einer Region, in der ein unterirdisches Lagermöglich schien, wurden meterhohe gelbe Kreuzeaufgestellt – als Zeichen des Widerstands gegen dasMilliardenprojekt. Auch Politikern wurde klar, was esbedeuten könnte, auf der falschen Seite zu stehen.

Das CCS-Gesetz trat zwar noch im Jahr 2012 in Kraft.Doch in letzter Minute verschärften Bund und Länder dieBedingungen für die Lagerstätten. Nur maximal 1,3Millionen Tonnen Kohlendioxid dürfen je Lager verpresstwerden – statt, wie ursprünglich geplant, drei Millionen. Unddie Länder dürfen die Errichtung solcher Lagerstättenverbieten, wenn sie eine ausreichende Begründung dafürhaben. Solche Speicher sind jedoch viel zu klein, um aufDauer wirtschaftlich betrieben zu werden. Die großenKohlekraftwerke in Deutschland produzieren innerhalbweniger Monate einige Millionen Tonnen des Klimagases.

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Das Signal war klar: Das Projekt CCS war in Deutschlandpolitisch tot.

Die Branche kapitulierte: Ende 2012 kündigte derVattenfall-Konzern an, die Investitionsentscheidung zum Baudes 1,5 Milliarden Euro teuren Pilotprojekts für dieumstrittene CCS-Technologie zurückzuziehen – und alleVersuche, in Deutschland abgeschiedenes CO2 testweise intiefe Schichten unter der Erde zu verpressen, aufzugeben.2014 ging Vattenfall einen Schritt weiter und kündigte einenKooperationsvertrag mit dem kanadischen UnternehmenSask Power an. Vattenfall wolle seine Erkenntnisse aus derbisherigen CCS-Forschung an den kanadischenEnergieversorger abgeben, kündigte Hartmuth Zeiß, Chefder Kohle- und Kraftwerkstochter von Vattenfall, an. DasBemühen des Konzerns, die Technik im großen Stil inDeutschland zu erproben, sei nicht erfolgreich gewesen.

Und das ist noch untertrieben. Zerschellt war auch einemonatelange Lobbystrategie. Das Bemühen, möglichstschnell und geräuschlos zum Ziel zu kommen, hatte sich insGegenteil verkehrt. Das Misstrauen der Bevölkerung warnun noch größer, als es vermutlich bei einer ausgewogenenDiskussion im Bundestag gewesen wäre. Das CCS-Gesetz giltdeshalb inzwischen auch als Beispiel dafür, wie sich dieIndustrie mit ausuferndem Lobbyismus selber schadet – unddie eigene Glaubwürdigkeit untergräbt.

Die Branche lobbyiert derweil im Hintergrund soentschlossen wie munter weiter. Immer getreu dem Motto:Kritische Themen direkt an der Wurzel bekämpfen! Was liegtnäher, als sich direkt in Brüssel gegen drohende schärfereUmweltvorgaben für Kraftwerke zu wehren? Man muss

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inzwischen schon sehr genau hinschauen, um dieEinflussnahme auch als solche zu erkennen. Dabei könntendie Folgen bald für viele Europäer spürbar sein – auf ziemlichunangenehme Art und Weise.

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Umweltpolitik in Europa: Wo Konzerne mitam Tisch sitzen

Beispiel Luftverschmutzung: Hunderttausende,möglicherweise gar Millionen Menschen sterben jedes Jahrweltweit an den Folgen der Verunreinigungen. Die Ursachensind bekannt: Feine Staubpartikel schädigen die Lunge undkönnen Krebs auslösen. In den vergangenen Jahren hat sichdie Luftqualität in vielen Städten Europas zwar deutlichverbessert – doch schmutzige Luft bleibt auch in Zukunftvielerorts ein Gesundheitsrisiko, warnt eine französisch-italienisch-österreichische Forschergruppe.

Wenn die Regeln nicht verschärft würden, seien im Jahr2030 etwa 80 Prozent der EU-Bevölkerung einerFeinstaubbelastung ausgesetzt, die über den Empfehlungender Weltgesundheitsorganisation WHO liegt, berichten dieForscher im Fachblatt Atmospheric Chemistry and Physics.Im Klartext: Es drohen Gesundheitsprobleme gewaltigenAusmaßes.[38]

Umweltschützer fordern deshalb strengere Abgasregelnbeim Ausstoß von Schwefeldioxid von Kraftwerken. DieAnlagen sind der größte Emittent in Europa – auch wasStickstoffoxide angeht. Es geht nicht einmal darum, dieEmission komplett zu verhindern. Es geht lediglich darum,die Kraftwerksabgase auf technisch machbare Standardsabzusenken – zu vertretbaren Kosten. Die Umrüstung vonKraftwerken dürfte ein- bis zweistellige Millionenbeträge proKraftwerk erfordern. Kein großes Problem, sollte manmeinen, denn es geht um Anlagen, die oft jährlich Strom im

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Wert einiger hundert Millionen Euro erzeugen können.

Dennoch entwickelte sich in Brüssel, von der Öffentlichkeitweitgehend unbeobachtet, ein erstaunlicher Prozess. Denndie neuen Grenzwerte, die die EU derzeit bei der Reform dereuropäischen Emissionsstandards für Kohlekraftwerkeanpeilt und die ab 2020 gelten sollen, sind mit lax nochfreundlich umschrieben.

Wie das sein kann? Ganz einfach. Die Konzerneentscheiden einfach selbst über ihre eigenen Grenzwerte –sie lobbyieren diskret und direkt in der ersten Reihe.

Was machbar ist und was nicht, entscheidet in Brüssel einGremium, das zu den nicht gerade ambitioniertenUmweltschützern auf europäischer Ebene zählt: Das Bürozur Integrierten Luftverschmutzungs-Prävention und -Kontrolle (IPPC). Die verantwortliche Arbeitsgruppe des IPPChält sich mit strengen Vorgaben zurück, um es vorsichtig zuformulieren. Zur Verdeutlichung zwei Details: DieObergrenzen sollen für Steinkohlekraftwerke bei bis zu 150Milligramm Stickoxide pro Kubikmeter Luft liegen, beiBraunkohlemeilern gar bei 180. Selbst in China sind dieGrenzwerte mit maximal 100 Milligramm strenger.Schließlich können Stickoxide unter anderemAtembeschwerden auslösen und Böden versauern.

Die Zurückhaltung ist ziemlich erstaunlich. Denn demBüro kommt in der europäischen Umweltpolitik eineentscheidende Rolle zu. Es soll den Vorschlag dafür liefern,was sich an Luftverschmutzung technisch machbarvermeiden lässt – und gehört eigentlich zu den unabhängigenForschungszentren der EU. Die Einschätzung des Bürosliefert in der Regel den Rahmen für eine politische Einigungder Mitgliedsländer. Im Klartext: Ist der Vorschlag des IPPC

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wenig ehrgeizig, kommen die Konzerne am Ende gut weg. Istder Vorschlag weitreichend, wird die Bevölkerung gutgeschützt. Doch damit tut sich das Büro schwer.

Es lohnt sich also, zu hinterfragen, wie die Entscheidungendieser für die Gesundheit der Europäer zwar wichtigen, aberkaum beobachteten Arbeitsgruppe zustande kommen. DieUmweltschützer von Greenpeace waren baff, als sie dieZusammensetzung prüften und herausfanden: Mit derUnabhängigkeit der Delegierten des Gremiums ausVertretern von EU-Mitgliedsstaaten, der EU-Kommission, vonIndustrie und Umweltorganisationen ist es nicht weit her.

Eigentlich soll die Mehrheit der Delegierten der Politikangehören – und so auch politische Entscheidungen gegendie Industrie treffen können. Doch in einem Bericht kommtdie Organisation auf stattliche 183 Industrievertreter – voninsgesamt 352 Delegierten. Der Grund: 46Industrielobbyisten firmierten offiziell als Delegierte derMitgliedsstaaten.

So bestand etwa die Delegation von sieben EntsandtenGriechenlands aus Vertretern der griechischenEnergiewirtschaft, darunter die Public Power Corporation,eine Betreiberin von Kraftwerken, die zu den schlimmstenLuftverschmutzern in ganz Europa zählen. Polenssechsköpfige Delegation bestand aus drei Vertretern derKohlewirtschaft, darunter PGE und EdF Polska. Tschechienhabe etwa eins zu eins die Position des eigenenEnergiekonzerns CEZ vertreten, sagen Teilnehmer. AuchVertreter von Eon und RWE waren mit von der Partie – alsDelegierte des Vereinigten Königreichs. Auch sie hätten ihrePositionen einspeisen können, heißt es.

Es dränge sich der Eindruck auf, dass die Energiebranche

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gezielt die Federführung in der Gruppe übernommen hat.Die Emissionsbandbreiten sollten offenbar an die Emissionenbestimmter Kraftwerke angepasst werden – und nichtumgekehrt, warnt Christian Schaible, Experte desEuropäischen Umweltbüros, des Brüsseler Dachverbands fürmehr als hundert Naturschutzorganisationen.

Die Energiebranche geht damit deutlich geschickter vorals die Autoindustrie. Denn Manipulationen sind gar nichtnötig, wenn man die Grenzwerte gleich selbst mitbestimmenkann.

Höchste internationale Politikebene beim Treffen derStaatschefs in Kanada, indirekte Formulierungshilfen fürpolitische Leitlinien in Deutschland, das Weichspüleneuropäischer Vorgaben: Alle drei Beispiele machen klar,welchen Einfluss die Energiebranche sich in denvergangenen Jahren zu eigen gemacht hat – und immer nochmacht. Und sie erklären, warum sich die deutschen und auchdie europäischen Volksvertreter so schwertun, beimVorgehen für Ziele, die ihre Wähler doch eigentlich mitgroßer Mehrheit befürworten: mehr Umwelt- undKlimaschutz.

Die Folge: RWE und Vattenfall, Gesellschaften aus demEnergiewendeland Deutschland also, gehören weiter zu denganz großen Klimasündern Europas – ihr Strom wird zu50 Prozent so produziert, dass er der Umwelt schadet undmit dem Klimawandel gewaltige Folgekosten nach sich zieht.85 Prozent der gesamten Treibhausgas-EmissionenDeutschlands sind nach Angaben des Umweltbundesamtes»energiebedingt«, Autoabgase mit eingerechnet. Ein Großteildessen kommt aus den Kohlekraftwerken derEnergiebranche. Es wäre an der Zeit, etwas zu ändern. Doch

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die Energiebranche weiß sich zu wehren. Weil sich das nichtändert, ändert sich kaum etwas beim Bemühen um mehrKlimaschutz. Die Gefahren wachsen, der Kampf gegen dieErderwärmung aber stagniert.

Welche Rolle Lobbying im deutschen Energiesektor spielt?Wieder führt eine Antwort in die Ferne. Nach Moskau. Dennwenn es zutrifft, dass vor allem Lobbyisten wissen, wie großihr Einfluss auf die Gesellschaft bereits ist, dann lassen dieAktivitäten des Russen Andrej Bykow tief blicken. Wer überviele Jahre wirklich die Fäden der hiesigen Energiewirtschaftund -politik in der Hand hielt? Bykow gab in einem Brief anAufsichtsräte des Energieversorgers EnBW mit seinen 17Milliarden Euro Umsatz und 20000 Beschäftigten einekuriose Antwort. Wenigstens in eigener Sache. Der Lobbyistschlug nach dem Auffliegen der Affäre den Kontrolleuren vor,einfach ihn zum Konzernchef zu bestellen. Sein Credo: »Ichstehe der EnBW in dieser schweren Zeit zur Verfügung,zusammen mit der Staatsanwaltschaft Mannheim, EnBW inOrdnung zu bringen.«

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3 Durch die Drehtür

Wie Politiker als Lobbyisten großeKasse machen

Für viele Spitzenpolitiker beginnt dasgroße Geldverdienen erst nach ihrer

Karriere. Manche Hinterbänkler unter denAbgeordneten verdienen allerdings gutdamit, dass sie im Parlament selbst als

Lobbyisten auftreten. Von einemMissstand, den die großen Parteienkennen, aber nicht abstellen wollen.

Verglichen mit Führungspositionen von entsprechenderVerantwortung in der Wirtschaft, gehören Abgeordnete,Staatssekretäre, Minister und Bundeskanzler dieser Republiknicht zu den Spitzenverdienern. Knapp 18000 Euro bruttoverdient Kanzlerin Angela Merkel übereinstimmendenMedienberichten zufolge seit der letzten Erhöhung ihresAmtsgehaltes im März 2015. Hinzu kommt ein Teil der Diätenals Bundestagsabgeordnete; addiert belaufen sich diejährlichen Gesamtbezüge der in den Augen vielermächtigsten Frau der Welt Schätzungen von Beobachternzufolge auf etwa 250000 Euro. Gemessen an einemDurchschnittsverdiener ist das eine sehr stattliche Summe.Gemessen an der Bedeutung, der Verantwortung, der Machtund dem zeitlichen Aufwand eines Bundeskanzlers, vor allem

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aber verglichen mit den Millionengehältern von Managernnicht nur in Großkonzernen, macht sich das Salär von AngelaMerkel, nun ja, eher bescheiden aus.

Es gibt allerdings auch andere Bundespolitiker, solche, dieparallel zu ihrem Mandat als Volksvertreter kräftigabkassieren und unterm Strich ein Vielfaches desseneinstreichen, was eine Kanzlerin oder ein Kanzler verdient.Abgeordnetenwatch.de, eine unabhängige Politik-Internetplattform, deren Betreiber sich für mehrTransparenz in der Politik sowie eine direktere Beteiligungund Kontrolle der Parlamentarier durch die Bürgerinnen undBürger einsetzen, listete im August 2015 nach akribischerRecherche in den Datenbanken des Bundestages auf, wasdeutsche Parlamentarier nebenher verdienen. Sei es, weil siefür Vorträge bezahlt werden, weiterhin als Anwälte oderanderweitig als Freiberufler oder selbständige Unternehmertätig sind, oder weil sie lukrative Nebenpöstchen in derWirtschaft bekleiden. Als Spitzenverdiener unter den gut 600Abgeordneten machte Abgeordnetenwatch den CSU-Politikerund Nebenerwerbslandwirt Philipp Graf von und zuLerchenfeld aus, und zwar mit einem »Nebeneinkommen«von »mindestens 1,148 Millionen Euro«.[39]

Insgesamt hätten Abgeordnete im Zeitraum seit derBundestagswahl im Herbst 2013 und derAbgeordnetenwatch-Erhebung im Sommer 2015 mindestens11,6 Millionen Euro nebenher verdient, so dieüberparteiliche Organisation. Da die Regeln für dieVeröffentlichung solcher Zusatzeinkommen ziemlichunpräzise gefasst sind (die Verpflichtung, Nebeneinkünfte inEuro und Cent präzise anzugeben, scheiterte bereits in derLegislaturperiode 2009 bis 2013 an einer Mehrheit aus

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Union und FDP), könnten die tatsächlichen Nebengeschäftedeutscher Abgeordneter noch weit lukrativer sein.Abgeordnetenwatch schätzt das Volumen von Herbst 2013bis Sommer 2015 auf »bis zu 21,4 Millionen Euro«.[40]

Prominentester Nebenjobber war in den vergangenenJahren der ehemalige SPD-Wirtschaftsminister undKanzlerkandidat 2013, Peer Steinbrück. Zwischen 2009 und2013 soll er nebenher zwei Millionen Euro brutto verdienthaben. Auf der konservativen Seite wird gerne PeterGauweiler als Paradebeispiel eines eifrigen Hinzuverdienerserwähnt. Während Sozialdemokrat Steinbrück seine Diätenmit Reden, Büchern und dem einen oder anderen Pöstchen inder Wirtschaft aufstockte, ist der Münchner CSU-Politiker,der von 2002 bis 2015 im Bundestag saß, ein gefragterWirtschaftsanwalt. Binnen neun Monaten kassierte er nachInformationen des Spiegel »mindestens 967500 Euro«nebenher.[41]

Und selbst im Vergleich zu Steinbrück und Gauweiler weitweniger bekannte Hinterbänkler sind gut im Geschäft. DieNürnberger CSU-Abgeordnete Dagmar Wöhrl etwa, die auchals Wirtschafts-Staatssekretärin nicht nennenswertaufgefallen war, brachte es nach den Recherchen desPolitikportals abgeordnetenwatch.de binnen eines Jahres aufmindestens 432 000 Euro nebenher. Die frühere MissGermany und Ehefrau des Nürnberger Investors undLuftfahrt-Unternehmers Hans Rudolf Wöhrl kassierte alleinals Aufsichtsrätin der Nürnberger Versicherung binnen einesJahres 165000 Euro ab. Hinzu kamen (unter anderem)mindestens 75000 Euro aus einem aufsichtsratsähnlichenMandat bei der Schweizer Bank Sarasin. Obgleich es immerwieder schwere Vorwürfe gegen das Bankhaus gibt, bei

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denen es sich meist um den Verdacht derSteuerhinterziehung oder Beihilfe dazu im großen Stil dreht,stört sich offenkundig in der deutschen Politik oder in derCSU niemand daran, dass eine deutsche Abgeordnete ineiner umstrittenen Schweizer Bank eine wichtige Positioneinnimmt. Niemand hinterfragt offensiv Wöhrls Rolle. Wofürbekommt sie so viel Geld? Wie kam sie überhaupt an denPosten? Was qualifiziert sie dafür?

Die wichtigste Frage, die sich beileibe nicht nur bei derHinterbänklerin aus Nürnberg stellt, ist jedoch, inwieweitNebenjobs und Nebeneinkünfte von Abgeordneten direktenEinfluss auf ihr Handeln als demokratisch gewählteVolksvertreter haben. Und inwieweit sie im Parlament und inihren Parteien als Lobbyisten derer auftreten, die sienebenher so üppig bezahlen. Gibt nicht das Grundgesetz inArtikel 38 vor, dass Abgeordnete »Vertreter des ganzenVolkes, an Aufträge nicht gebunden und nur ihrem Gewissenunterworfen« sind?

Es sei angemerkt, dass es auch viele Volksvertreter gibt, dieDoppelrollen von Haus aus kritisch sehen und niemalsLobbyjobs nebenher annehmen würden. Bei denen, die estun, geht es indes nicht nur um die Interessenvertretung vonKonzernen, sondern auch von Organisationen wie etwa denGewerkschaften oder dem Bauernverband. Agrarlobbyistenim Landwirtschaftsausschuss, Ärztelobbyisten imGesundheitsausschuss, ein auch bei der Baustoffindustrie inLohn und Brot stehender Abgeordneter imEnergieausschuss.

Meist sind es Leute aus der zweiten, dritten Reihe, dieunauffälliger als die medial weitaus mehr und intensiver

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beleuchteten Spitzenkräfte der Parteien im Parlamentdiskret ihre fragwürdigen Lobbyinteressen verfolgen können.Joachim Pfeiffer ist so einer, CDU-Abgeordneter für denWahlkreis Waiblingen bei Stuttgart und als solcherausweislich seiner Internetseite »voller Energie für unserLand«[42] .

Dieser Slogan bekommt einen ganz neuen Klang, wennman weiß, wie eng dieser Volksvertreter mit derEnergiebranche verbandelt ist. Gleich nach seiner Wahl insParlament 2002 gelang es dem umtriebigen Schwaben,Koordinator für Energiefragen und stellvertretenderwirtschaftspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion zuwerden. Früher war er Controller bei der Energie-Versorgung Schwaben, einem der Ursprungsunternehmendes heutigen Energiekonzerns EnBW.

Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion undInnenpolitikchef der Süddeutschen Zeitung und intimerKenner der bundespolitischen Szene seit Jahrzehnten,bezeichnete Pfeiffer einmal als »einen der wichtigsten undverlässlichsten Verbündeten der Energiekonzerne imParlament«[43] . Dort habe das deutsche Atomforum, dieLobbyorganisation der Nuklearbranche hierzulande, inGestalt von Abgeordneten wie Pfeiffer seine»Verbindungsleute im Parlament postiert«, und zwar »anSchaltstellen«.

Ungeniert tat sich der Abgeordnete Pfeiffer in derVergangenheit (auch innerhalb der Union) mit dem Brusttonder Überzeugung hervor, wenn über die Energiewendediskutiert wurde. Tenor: Nur ja nicht zu schnell und immerschön aufpassen auf die großen Energiekonzerne. Man musswissen: EnBW war lange so stark vom Atomstrom abhängig

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wie kein anderer Energiekonzern. Im Zuge derReaktorkatastrophe im japanischen Fukushima ermahnte derAbgeordnete Pfeiffer in einer Bundestagsrede seinen grünenParlamentskollegen, Ex-Umweltminister und Kernkraft-Gegner Jürgen Trittin: »Wir sind gut beraten, darauf zuachten, dass der Kernschmelze, die in Japan droht, nicht dieHirnschmelze in Deutschland folgt.«

Auch Thomas Bareiß ist ein umtriebiger Energiepolitiker inden Reihen der Unionsfraktion. Neben einigen Ehrenämterngibt der Abgeordnete aus dem Wahlkreis Zollernalb-Sigmaringen in Baden-Württemberg auf seinerBundestagsseite eine Nebentätigkeit an, die mit »Stufe vier«bezahlt werde. Mit bis zu 30000 Euro jährlich also. So vielzahlt die Deutsche Rockwool GmbH & Co. OHG mit Sitz inGladbeck dem Abgeordneten dafür, dass er Mitglied ihresFachbeirates ist. Nun muss man wissen: Rockwool ist einKonzern mit mehr als 11000 Mitarbeitern, einer derWeltmarktführer in Sachen Dämmstoffe und Hersteller vonSteinwolle-Systemen. Von Produkten also, die der effizientenVerwendung von Energie dienen sollen. Ausgerechnet der2014 von der größten Bundestagsfraktion CDU/CSU zumBeauftragten für Energiepolitik gekürte Abgeordnete Bareißsteht also auf der Payroll eines Konzerns, der seinerGeschäfte wegen handfeste energiepolitische Interessenverfolgt.

Es gibt in allen Parteien des Deutschen BundestagesPolitiker, denen das Treiben von Lobbyisten im Parlamentsauer aufstößt. Sie beklagen deren Einflussnahme beifachlichen Debatten, ihre Tricksereien und Finten imHintergrund, welche die Positionen und den Stellenwert

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derer madig machen sollen, die nicht auf der Linie derKonzerne liegen. Der CSU-Umweltpolitiker Josef Göppel, seit2002 Abgeordneter im Bundestag, zählt dazu. Er hat das oftgenug selbst erlebt, gerade auch bei energiepolitischenDebatten. »Manche Kollegen geben sich immer alsunabhängige und freie Abgeordnete, aber intensive frühereberufliche Bezüge, etwa in den Bereich Alt-Energien, machensie empfänglich für das Zuschieben von immer neuenArgumenten der Konzerne und der Industrie.« Reichen diesenicht mehr aus, wird häufig die große Keule ausgepackt,sagen Abgeordnete aus mehreren Parteien, die solcheZustände beklagen. Dann werde selbst eine kleine Sachfragebewusst zum Grundsatzthema hochstilisiert. Dann heißt es,es gehe um einen wirtschaftsfreundlichen Kurs, umInvestitionen, Arbeitsplätze und um Wohlstand. Und welchereinzelne Politiker, welche Partei will schon so dastehen, alsläge ihr all dies nicht am Herzen?

»Der Lobbyismus ist nicht mehr geworden«, sagt CSU-Mann Göppel mit Blick auf seine Zeit im Parlament seit 2002.»Er wird nur immer frecher in seinem Auftreten. Das hängtauch damit zusammen, dass die Gesetze immerfeinziselierter werden und angesichts der Zunahme vonNormen und der immer größeren Komplexität in Details inunseren Ministerien nicht mehr nur lauter Leute sitzen, dieimmer und überall den Überblick haben, die alles in dieletzte Verästelung hinein durchschauen.«

Und dann mischen da oft auch noch ehemaligeSpitzenpolitiker mit. Solche, bei denen der einfacheAbgeordnete weiß, über welches Netzwerk sie verfügen.Oder aber er ist ihnen dankbar, weil sie ihm in derVergangenheit geholfen haben oder auch aktuell noch helfen

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können. Von einer »Ökonomie des Gebens und Nehmens«,spricht in diesem Zusammenhang derKommunikationsberater und Ex-VW-Vorstand Klaus Kocks.»Es ist häufig auch ein Interessenhandel: Tust du mir heuteetwas Gutes, tue ich dir morgen etwas Gutes, oderumgekehrt.« Am besten eignen sich als Lobbyisten solche Ex-Politiker, die über gute und zahlreiche Kontakte hinaus nachwie vor großes Ansehen in ihrer Partei und – noch besser –über Parteigrenzen hinweg genießen.

Für viele Spitzenpolitiker beginnt das großeGeldverdienen in der Regel erst dann, wenn die Karriere inParlament oder Regierung vorbei ist. Oder zumindest ihrenZenit überschritten hat. Einige schreiben Bücher, und wennder Stoff taugt und die Auflage stimmt, ist das richtiglukrativ. Helmut Schmidt zum Beispiel, der obendrein nochals Herausgeber bei der Zeit von 1983 bis zu seinem Tod am10. November 2015 eine publizistische Aufgabe übernahm.

Andere Staatsmänner und -frauen a.D. sind als Rednerinternational gefragt und kassieren für einen Auftritt einhohes fünf-, oft sogar sechsstelliges Honorar. Und wiederandere wechseln aus der Politik in neue Aufgaben beiUnternehmen oder Verbänden. Auf Posten, bei denen sieweitaus weniger in der Öffentlichkeit (und damit wenigerunter Druck) stehen als in ihren vormaligen politischenÄmtern. Wo sie aber nicht selten ein Vielfaches ihrerbisherigen Diäten und Gehälter verdienen.

Viele dieser Seitenwechsler sind mehr oder weniger alsLobbyisten unterwegs. Egal, ob sie als Berater firmieren wieder frühere Straßenkämpfer und grüne AußenministerJoschka Fischer, in Aufsichtsräte einziehen wie Ex-KanzlerGerhard Schröder beim Pipeline-Konsortium Nord Stream

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AG, operative Führungsämter übernehmen wie der frühereKanzleramtsminister Ronald Pofalla als Vorstand derDeutschen Bahn AG oder ganz offiziell Lobbyisten werdenwie der ehemalige Entwicklungsminister Dirk Niebel beimRüstungskonzern Rheinmetall. In allen Fällen gilt: Eingekauftwird der bekannte Name, mehr aber noch die Kontakte desPolitikers, der diese künftig für seinen neuen Arbeitgebernutzen soll. Es sind, je nachdem, Kontakte zu anderenStaaten, zu einflussreichen Politikern oder tief in Parteienund Ministerien hinein. Dorthin also, wo Gesetze vorbereitetund beraten werden. Niemand weiß, niemand kannkontrollieren, wie häufig diese Kontakte dann auch im Sinneder neuen Auftraggeber benutzt werden.

»Drehtür-Effekt« nennen Experten diese häufiggewordene Erscheinungsform von Lobbyismus. Dieöffentlichen Diskussionen darüber entzünden sich in derRegel an bekannten Namen wie den erwähnten Schröder,Fischer oder Pofalla. Daneben allerdings gibt es Politiker ausder zweiten Reihe, die allerdings über kaum wenigererstklassige Kontakte verfügen.

Hildegard Müller ist so ein Beispiel, die frühereBundesvorsitzende der CDU-Nachwuchsorganisation JungeUnion, Abgeordnete und Kanzleramtsministerin (von 2005bis 2008). Anschließend wurde sie Hauptgeschäftsführerindes Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft(BDEW), also Cheflobbyistin der Energiebranche in Berlin.Hildegard Müller gilt in Berlin allerdings nicht nur ihrerfrüheren politischen Ämter wegen als einflussreicheStrippenzieherin, sondern vielmehr weil sie bis heute eineenge Vertraute der CDU-Chefin und Kanzlerin Angela Merkelist.

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Anfang 2016 wurde bekannt, dass Hildegard Müller in denVorstand des Energieriesen RWE wechselt. Zu ihremNachfolger an der Spitze des Energie-Lobbyverbands BDEWwurde Stefan Kapferer auserkoren, als ehemaligerStaatssekretär auch ein Mann mit besten Kontakten. Indieser Funktion diente er dem früheren FDP-VorsitzendenPhilipp Rösler, als dieser niedersächsischer Wirtschafts- undspäter Bundesgesundheitsminister war. Zuletzt war der FDP-Mann Kapferer stellvertretender Generalsekretär derOrganisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit OECD inParis.

Das Amt des Kanzleramtsministers scheint übrigens einbesonders gutes Sprungbrett in den Lobbyismus zu sein.Müllers Nachfolger auf diesem Posten, Eckart von Klaeden,wechselte direkt als Cheflobbyist zur Daimler AG.

Wie der Seitenwechsel gelingt, zeigt auch das BeispielStéphane Beemelmans: Er war seit dem 16. März 2011 einerder beiden beamteten Staatssekretäre desBundesministeriums der Verteidigung und zuständig fürAdministration und Ausrüstung. Am 20. Februar 2014 wurdeer von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen in deneinstweiligen Ruhestand versetzt. Sie hatte ihm vorgeworfen,Risiken bei Rüstungsprojekten systematisch heruntergespieltzu haben. So schrieb die Ressortchefin zur Begründung fürdie Versetzung an ihre Mitarbeiter.

Beemelmans war auch in die Kritik geraten, weil er beimJagdflugzeug »Eurofighter« 2013 eine Zahlung von 55Millionen Euro am Parlament vorbei an die Industrie freigab.Ein Karriereknick?

Ach was. Nur ein gutes halbes Jahr nach seiner Demissionaus dem Ministerium heuerte der Vertraute des Von-der-

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Leyen-Vorgängers Thomas de Maizière als Geschäftsführerder Lobbyagentur Eutop in Berlin, Unter den Linden 38, an.Beemelmans, Jurist mit deutschen und französischenWurzeln, verantwortet dort den weiteren Aufbau derGeschäftsaktivitäten des Unternehmens in Paris. Eutop(Slogan: »Ihr Partner für Governmental Relations«) begleitetnach eigenen Angaben die Arbeit derInteressenvertretungen von privaten Unternehmen,Verbänden und Organisationen bei den Institutionen derEuropäischen Union und ausgewählter EU-Mitgliedsstaaten.Eutop-Gründer und Geschäftsführer Klemens Joos kommtaus dem CSU-Umfeld und gehörte früher dem Vorstand derJungen Union in Bayern an. Die Agentur gilt als eherkonservativ und gut vernetzt in der Union. Eine Artkonservatives Pendant zum SPD-Netzwerk von Heino Wiesealso, von dem später noch die Rede sein wird.

In früheren Jahrzehnten waren solche Seitenwechsel vorallem von Spitzenpolitikern weitaus seltener und kaumvorstellbar. Doch je höher die Gehälter, mit denen dieWirtschaft winkt, desto stärker die Verlockung. Irgendwiehat sich die Gesellschaft ohnehin an die Nähe von Wirtschaftzur Politik gewöhnt. Trotzdem: Ein Ex-Kanzler HelmutSchmidt wäre als Dealmaker für einen Energieversorgerunvorstellbar gewesen. Willy Brandt als bezahlter Lobbyistfür einen Konzern, oder vielleicht Egon Bahr, Hans-JochenVogel, Annemarie Renger, Karl Schiller, Thomas Dehler,Rainer Barzel, Richard von Weizsäcker, Johannes Rau? Siehätten wohl ihr politisches Lebenswerk, sie hätten die Politikinsgesamt erniedrigt gesehen.

Inzwischen entwickeln sich Seitenwechsel scheinbar vonder Ausnahme zur Regel. Das ist per se nicht verwerflich.

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Abgeordneter zu sein bedeutet, ein Mandat auf Zeitinnezuhaben. So nicht anschließend sofort die Pension winkt,muss auch ein Volksvertreter seinen Lebensunterhaltverdienen. Wechsel aus der Politik in die Wirtschaft könnenund sollen nicht verhindert werden. Die Frage ist nur, nachwelchen Regeln die Drehtür durchschritten wird.

Mehr als 15 Jahre wurde diskutiert, ehe dieBundesregierung im Juli 2015 endlich eine Kabinettsvorlagemit Regeln verabschiedete. Seither gilt eine Karenzzeit, eineAbkühlphase, binnen derer Minister und Staatssekretärekeine neue Tätigkeit in der Wirtschaft annehmen dürfen. DieRegelwartezeit beläuft sich auf ein Jahr und kann bis auf 18Monate ausgedehnt werden.

Damit werde verhindert, »dass durch den Anschein einervoreingenommenen Amtsführung im Hinblick auf spätereKarriereaussichten oder durch die private Verwertung vonAmtswissen nach Beendigung des Amtsverhältnisses dasVertrauen der Allgemeinheit in die Integrität derBundesregierung beeinträchtigt wird«, wie es in demKabinettsbeschluss heißt. Die Zwangspause soll aber nur inkniffligen Fällen gelten, wenn durch den neuen Job»öffentliche Interessen beeinträchtigt« werden könnten.Entscheiden soll darüber die jeweilige Bundesregierung, diesich ihrerseits Rat bei einer Art Ethik-Kommission einholt.

Viele Beobachter hielten die Karenzzeit-Regelung fürlängst überfällig. Anderen geht sie längst noch nicht weitgenug. Die Nichtregierungsorganisationen TransparencyInternational und LobbyControl kritisierten dieKabinettsbeschlüsse zu Recht als nicht ausreichend; siefordern eine dreijährige Abkühlphase.

Nun ist es an sich ein relativ transparenter Vorgang, wenn

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prominente Politiker als Lobbyisten zu Konzernen wechseln.Allein deswegen, weil durch ihren Bekanntheitsgrad und dieöffentliche Aufmerksamkeit weithin klar ist, in wessenAuftrag der Politiker fortan unterwegs ist. Weit weniger giltdies, wenn in der breiten Öffentlickeit unbekannteMinisterialbeamte die Fronten wechseln. Sie verfügenebenfalls über Insiderkenntnisse, wissen haarklein, wie derRegierungs- und Behördenapparat funktioniert und wo sieals Lobbyisten gegebenenfalls ansetzen müssen. Nur kriegtdas außerhalb dieses Netzwerkes niemand mit.

Umgekehrt funktioniert der Drehtüreffekt übrigens auch,und das ist nicht weniger problematisch. Immer wiederwechseln Lobbyisten in Ministerien und werden dort plötzlichzu Entscheidern. Etwa 2010, als der stellvertretende Chef imVerband der privaten Krankenversicherung, ChristianWeber, plötzlich zum Abteilungsleiter für Grundsatzfragen indas Bundesgesundheitsministerium wurde.

Die folgende Tabelle zeigt eine Übersicht überSeitenwechsler der vergangenen Jahre. Sie stammt von derNichtregierungsorganisation LobbyControl, die seit 2005entsprechende Aufzeichnungen führt.

2016

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2015

2014

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2013

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2012

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2011

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2010

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2009

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2008

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2007

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2006

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2005

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2004

2003

2002

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2000

1997

1992

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1991

Seit Jahren versäumt es die Politik, mehr Transparenz zuschaffen. So gibt es in Deutschland zwar seit 1972 einVerzeichnis aller beim Bundestag registrierten Verbände undihrer Vertreter. Ausgedruckt umfasst die Ausgabe vom 18.Dezember 2015 sage und schreibe 849 Seiten. Die Listereicht von Apothekerorganisationen bis zum Zweirad-Industrieverband. Trotz ihres telefonbuchdicken Umfangsenthält sie ausgerechnet jene nicht, die im Lobbyismusimmer zahlreicher und wichtiger werden: Anwaltskanzleien,Lobbyfirmen, Denkfabriken und andere Organisationen, dieLobbyarbeit weitaus diskreter und effektiver betreiben alsregistrierte Verbandsfunktionäre.

Nicht wenige von ihnen besitzen Hausausweise für denBundestag, die ihnen dort den Zutritt nahezu jederzeitermöglichen. Vergeben werden sie von derBundestagsverwaltung, an wen, ist derenErmessensentscheidung. Dann gibt es aber noch ein»dunkles Schlupfloch«, wie der SZ-ParlamentsjournalistRobert Roßmann schrieb. Lobbyisten können auch über dieparlamentarischen Geschäftsführer der jeweiligen

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Fraktionen an die heißbegehrten Dauerkarten kommen.Unter tätiger Mithilfe der Parteien also, die doch eigentlichein Interesse haben müssten, möglichst unbeeinflusst vonlobbyistischen Zugängen ihr parlamentarisches Tagwerk zuverrichten.

Die Bundestagsverwaltung weigerte sich lange, die Namender Begünstigten zu veröffentlichen. Und auch die Parteienselbst waren wenig gesprächig. Lediglich Bündnis 90/DieGrünen und Die Linken gaben von sich aus bekannt, welcheOrganisationen ihnen die begehrten Plastikkärtchenverdanken. Union und SPD aber, die zusammen mehr als 90Prozent der Hausausweise ausgereicht haben, verweigertendiese Auskunft. Die Politikplattform abgeordnetenwatch.deverklagte daher den Bundestag – und bekam im Juni 2015vor dem Berliner Verwaltungsgericht recht. Doch: DerBundestag ging auf Druck von Union und SPD in dieBerufung und rief in zweiter Instanz dasOberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg an.

Es gab ein monatelanges, öffentliches Gezerre, das immerlauter die Frage aufwarf, weshalb die beiden großen Parteiendie von ihnen protegierten Lobbyisten derart massivschützen. Kurz vor Weihnachten lenkte dieBundestagsverwaltung mutmaßlich angesichts desöffentlichen Drucks schließlich ein und zog die Berufungzurück. Nachdem das Oberverwaltungsgericht vorher bereitsin einer Eilentscheidung im Sinne von abgeordnetenwatch.deentschieden hatte. Daraufhin wurden kurz vor Jahresendedie Namen der Lobbyisten veröffentlicht, die ihreBundestags-Hausausweise den Parteien und Abgeordnetenverdanken.

Zwischenzeitlich waren die peinlichen Vorgänge längst

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Gegenstand kabarettistischen Spotts geworden. Oliver Welkelästeterte in der ZDF heute-show über den täglichen »Tagder offenen Hintertür« im Berliner Parlament. Und UrbanPriol rechnete vor: Von 1111 der fragwürdigenHausausweise wurden 765 von CDU und CSU ausgegeben(übrigens die meisten an Lobbyisten der Pharma-, derRüstungs- sowie der Autoindustrie). »Das heißt, auf jedenihrer Abgeordneten kommen drei Lobbyisten, um ihmbeizubringen, wie unabhängiges Regieren geht.«

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4 »Wir erledigen das«

Diskrete Helfer der KonzerneWie Lobbyagenturen und Kanzleien

unbemerkt von der breiten ÖffentlichkeitRegierungen und Parlamente bearbeiten

und die Demokratie für ihre Zweckeformen.

Die Platane war ein kleiner Baum, als sie der internationaleLobbyistenverband Seap, die Society of European AffairProfessionals, stiftete und 2001 in Brüssel einpflanzte. EinGedenkstein erinnert heute noch an die Spender. Und zwardirekt vor der gläsernen Fassade des Europaparlaments inBrüssel. Als Symbol dafür, wie Europas Lobbyfirmen Ideen sowirksam einpflanzen, dass sie wachsen, gedeihen und nochJahre später ihre Saat aufgehen lassen.

Entstanden ist aber auch ein wachsendes Wahrzeichen fürdie Schlüsselrolle, die Lobbyfirmen in denEntscheidungsprozessen in Europas Hauptstädten längstspielen. Konservative Schätzungen gehen davon aus, dasssich allein in Brüssel rund 15000 Lobbyisten tummeln.Niemand allerdings vermag verlässlich zu sagen, ob es nichtvielleicht doch doppelt so viele sind, wieNichtregierungsorganisationen munkeln. Klar ist nur: Eingroßer Teil arbeitet nicht unmittelbar und gut erkennbar fürdie Wirtschaft und ihre Interessenverbände. Sondern ganz

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diskret für Agenturen, Kanzleien und Beratungsdienste, dieimmer massiver versuchen, auf die Gesetzgebung derEuropäischen Kommission und die der EU-MitgliederEinfluss zu nehmen. Auf jene Paragraphen also, die immerwichtiger für das Leben der Europäer werden. Denninzwischen haben vier von fünf Gesetzen, die die Europäerbetreffen, auch in Europas Kapitale ihren Ursprung.

Das Treiben dieser Lobbyfirmen ist immer mehr Politikernund Nichtregierungsorganisationen ein Dorn im Auge. Dennes spielt sich in der Regel im unkontrollierten Schattenreichder Politik ab.

Es geht um Firmen, die schon von Berufs wegen amliebsten diskret im Hintergrund arbeiten und sich oft nichttrauen, offen mit der eigenen Lobbytätigkeit umzugehen. Zusehr umweht die Klinkenputzer der Ruch des Dubiosen.Kaum ein Deutscher kennt ihre Namen. Sie heißen Hill &Knowlton, Pleon oder Deekeling Arndt Advisors undbezeichnen sich meist zurückhaltend und benannt nachweiteren Arbeitsfeldern als PR- oder Strategieberater und -agenturen. Die hohen Honorare für intensiveStimmungsmache nimmt man gerne mit. Den Ärger in deröffentlichen Debatte erspart man sich dagegen lieber.

Sie agieren diskret wie geheimnisvoll im Hintergrund,doch für Insider ist ihr Wirken nicht mehr zu übersehen. Siehaben sich mit hoch spezialisierten Experten in EuropasHauptstädten in den feinsten Adressen eingenistet undspinnen immer intensiver ihre Netze. Im Sinne vonSteuerzahlern, Wählern oder der Mehrheit ist diese intensiveArbeit selten. Warum sollten Konzerne auch ZehntausendeEuro pro Monat an den Lobbyisten ihres Vertrauensüberweisen, wenn demokratische Prozesse von sich aus

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ohnehin das gewünschte Ergebnis erzielen würden?

Nein, es geht darum, Europa bis hinein in die Politik derMitgliedsländer nach eigenem Gusto zu formen – oft genugzum Schaden seiner Bürger. Etwa wenn es darum geht,Gesetze zum Schutz der Konsumenten oder schärfereUmweltregeln im Interesse der Industrie aufzuweichen. Injedem Fall aber sind die Firmen offenbar mühelos in derLage, politische Prozesse wenigstens zu beeinflussen und soeine demokratische Schieflage zu erzeugen. Ihr Erfolg zeigt:Wer die Mittel hat, hat oft auch die Wahl.

Beispiele für problematische, schädliche oder auch einfachdubiose Einflussnahme gibt es zuhauf. Etwa rund um deneuropäischen Datenschutz. Seit 2012 versucht dieEuropäische Union die Datenschutzverordnung von 1995 zuaktualisieren. Erst brachte die EU-Kommission ihreVorschläge ein, 2014 folgte das Parlament. Dann war der Ratan der Reihe. Eigentlich soll eine neue Richtlinie denBürgern der EU mehr Privatsphäre verschaffen. Doch soeinfach ist das nicht. Denn auch die Lobbyisten vonUnternehmen wie Facebook, Google, Amazon und der Schufaschwärmten aus und machten ihren Einfluss geltend.

Für die Konzerne geht es um viel. Die neuen Vorschriftensollen eine Art europäisches Grundgesetz für die Behandlungpersonenbezogener Daten werden. Binnen zwei Jahren solldie Richtlinie nach dem Beschluss von EU-Kommission undRat der Europäischen Union – einer vergleichsweise kurzenÜbergangsfrist – alle bestehenden Gesetze in allen 28 EU-Ländern ablösen. Das macht die Angelegenheit für dieWirtschaft bedeutend. Vor allem für die Deutschen und ihrestrengen datenschutzrechtlichen Vorgaben steht dabei vielauf dem Spiel.

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Die Fronten sind klar umrissen: Die Wirtschaft wünschtsich, dass es künftig in einigen Ländern leichter wird, Datenetwa aus sozialen Netzwerken oder anderen Diensten fürPersönlichkeitsprofile zu nutzen. Darauf zielen so neue wielukrative Geschäftsmodelle von IT-Konzernen. Ein Beispiel:Setzen sich die Befürworter einer laxen Regelung durch,könnte es viel leichter werden, Daten für ganz andere Zielezu verwenden, als sie Nutzer preisgeben. So könnten etwaFacebook-Einträge für die Prüfung der Kreditwürdigkeitgenutzt werden. In Deutschland könnte dies nach bisherigerRechtslage mit dem Datenschutz kollidieren.

Vor allem Irland springt den IT-Riesen in Europa bei. KeinWunder: US-Internetunternehmen wie Google haben auf derInsel ihren Europa-Sitz. Die Gegner etwa in Deutschlandwünschen sich, dass Bürger die Möglichkeit bekommen, sichmit ein paar Handgriffen vor solcher Überwachungwenigstens zu schützen. Geht es nach Datenschützernhierzulande, können Verbraucher künftig auf einen Blicksehen, wie viele Daten sie den Konzernen gewollt oderungewollt zur Verfügung stellen. Verletzen Konzerne dieRichtlinie, sollen sie den Hardlinern zufolge hohe Strafenzahlen – zur Abschreckung.

Davon halten die Konzerne, die Milliarden am Geschäft mitDaten verdienen, wenig. Es gilt für sie, strengere Regelnmöglichst wirksam zu verhindern. Und wenn das misslingt,sie wenigstens zu entschärfen oder zu verzögern.

Für die Nichtregierungsorganisation TransparencyInternational ist der Kampf um die Datenschutzrichtliniegeradezu ein Paradebeispiel für modernen Lobbyismus.Internetkonzerne hätten versucht, massiv Einfluss zunehmen, klagt die Organisation. Wortgleich hätten sich

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Passagen aus Stellungnahmen amerikanischer IT-Konzernespäter in Änderungsanträgen von Europaparlamentariernwiedergefunden. So belegen es die Recherchen derCrowdsourcing-Initiative Lobbyplag.[44]

Lobbyplag dokumentiert akribisch, welche Abschnitte ausPapieren von Unternehmen und Lobby-Organisationen teilswörtlich in eine Stellungnahme des EU-Ausschusses fürBinnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO) eingeflossensind. Es geht um Papiere von Amazon, der US-Handelskammer für den Handel mit der EU, demeuropäischen Bankenverband EBF oder dem Verband derKreditauskunfteien. So stamme etwa der im Binnenmarkt-und Verbraucher-Ausschuss (IMCO) zurDatenschutzverordnung namentlich eingebrachteÄnderungsvorschlag des Europaabgeordneten AndreasSchwab (CDU) zum Artikel 4 Ziffer 13 teilweise Wort fürWort aus einem Lobby-Papier von Amazon, macht Lobbyplagklar. Die gewünschte Änderung würde es Unternehmenerlauben, ihren Hauptsitz selbst zu bestimmen. Nach derursprünglichen Formulierung wäre ein Mitgliedsstaat derfaktischen Hauptverwaltung zuständig gewesen. Käme dieÄnderung durch, könnten Konzerne sich das Land mit denschwächsten Behörden oder Kontrollen aussuchen.[45] EineEinigung von EU-Parlament, Rat und Kommission imDezember 2015 erschwert das zwar. Doch zu Ende ist derKampf der Lobbyisten noch nicht. 2016 sollen Parlament undMinisterrat den Text formell beschließen, anschließend wirdüber nationale Regelungen beraten – dort, wo die Einigungdies vorsieht. Die Verordnung tritt erst 2018 in Kraft.

Wie, fragen sich viele Bürger besorgt, gelingt esUnternehmen in diesen Zeiten nur, ihre Ziele in Brüssel

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immer wieder an so entscheidender Stelle einzubringen? Wiekann es sein, dass in Zeiten wachsendenDemokratiebewusstseins in einigen Fällen noch immer mehrin Hinterzimmern verhandelt wird als im Parlament? Wie istes Unternehmen möglich, ihre Stimme in diesem Chor derInteressen so in Szene zu setzen, dass vor allem sie Gehörfinden?

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Eine Kanzlei wie ein Kraftwerk

Andreas Geiger kennt Antworten. Der Anwalt, den wir schonzu Beginn des Buches vorgestellt haben, ist in dieser Welt zuHause. Wir haben Geiger als höflichen Menschenkennengelernt, dessen Freundlichkeit schnell und gleitend infordernden Ton umschlagen kann. Seine Lobbyfirma Alber &Geiger gehört zu denen, die keineswegs nur im Windschattender Politik segeln. Sie gestaltet als Akteur in der neueneuropäischen Polit-Welt offensiv und direkt mit. Ohne jedesdemokratische Mandat.

Andreas Geiger ist eine Spitzenkraft im europäischenLobbygeschäft – so wie seine Kanzlei, der er als ManagingPartner einen Teil des Namens gibt. Mal sitzt er in den Alber-&-Geiger-Büros in Brüssel in einem Prachtbau der Rue desColonies, mal in seinem Büro am Pariser Platz in Berlin.

»We get it done« – wir erledigen das, heißt der Sloganseiner Firma. Ein Scheitern von Zielen der Mandanten istnicht vorgesehen. Verteidigung, Finanzen, Bildung,Wettbewerb, Handel, Gesundheit, Umwelt – es gibt keinwichtiges Brüsseler Thema, dem sich Alber & Geiger nichtverschrieben hat. Man kenne die Entscheidungsträger,verspricht die Firma. Und man vermöge es, Allianzen undPrioritäten zum Wohl der eigenen Klienten zu verändern.Alber & Geiger beschreibt sich selbst als »Political LobbyingPowerhouse« – als politisches Lobby-Kraftwerk also.

Um auch wirklich den maximalen Erfolg in Brüssel oderBerlin zu erzielen, empfehlen Lobbyisten den Betroffenenneuer Gesetzesvorschläge möglichst früh im Laufe eines

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Gesetzgebungsprozesses einzuschreiten – und nicht erst,wenn die öffentliche Debatte längst Fahrt aufgenommen hat.Denn wenn engagierte Bürger undNichtregierungsorganisationen erst mal mitmischen, wird dieArbeit der Hinterzimmer-Drahtzieher immer schwieriger. Dieöffentlichen Debatten und der Widerstand gegen dieGeheimniskrämerei beim transatlantischenHandelsabkommen TTIP etwa zeigen, was dann passiert.

Wie aber arbeitet Alber & Geiger?

In Newslettern weist die Kanzlei einen Kreis vonEntscheidern in einem besonders frühen Stadium aufdrohende Veränderungen in der EU-Gesetzgebung hin. Malgeht es um die Regulierung von Drohnen, mal um schärfereAuflagen für Tabakwerbung. Oft wissen die Firmen längstBescheid. Auch sie sind in der Regel gut verdrahtet.Manchmal aber ist Alber & Geiger den entscheidendenSchritt schneller. Wer sich gegen die Vorhaben wehren will,kennt meist die entscheidende Telefonnummer einesBrüsseler Lobbyisten seines Vertrauens. Kommt eineAnfrage, nehmen Kanzleien wie Alber & Geiger dieNeuregelungen in juristischer und politischer Hinsicht erstmal im Sinne des Interessenten unter die Lupe. In Memos,nicht länger als eine Seite, listen sie kurz und knappProbleme auf und entwerfen eine aus Sicht der Kundschaftsinnvolle Lösung.

Dann folgt die eigentliche Lobbyarbeit. Alber & Geigerweist in der Administration und bei Politikern erst mal diskretauf Probleme hin, die man sonst in einer späteren Phaseöffentlich einbringen würde. Mit anderen Worten: Manmacht die Politik auf Ärger aufmerksam, der da auf siezukommen könnte. Ein Wink mit dem Zaunpfahl, den man

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auch als subtile Drohung verstehen kann.

Nicht immer geht es dabei freundlich zu. Die Lobbyistenmüssen einem Ministerium oder einer nachgeordnetenBehörde schon mal klarmachen, welche Konsequenzen sichaus falschen Entscheidungen für seinen Mandanten ergebenkönnen. Im Zweifel weise man auch auf möglicheSchadensersatzansprüche hin, sagt Geiger.

In Berlin, Brüssel und London tritt Alber & Geigerprominent auf. Die offensive Vermarktung zahlt sich aus.Könige und Konzerne vertrauen ihr Schicksal gleichermaßenden Anwälten an. Mal will man für das Königreich Marokkodie EU im Zusammenhang mit dem West-Sahara-Konfliktbeeinflussen – der Konflikt schuf Probleme bei neuenHandelsabkommen. Mal wollen Glücksspiel- oderTabakunternehmen schärfere Gesetze verhindern – neueGeldwäschevorschriften wollten doch tatsächlich mehrTransparenz. Und mal gilt es, für einen Hersteller einsofortiges Verbot umweltfeindlicher Plastiktüten zuumschiffen.

Es gibt kaum eine Anfrage, die es nicht gibt. Selbst dieVertreter eines afrikanischen Schurkenstaats klopften höflichan.

Er vertrete eine afrikanische Regierung, erklärte derAbsender. Eine Nation mit einer ernsten politischen Krise,die sich mit Tausenden Toten derzeit verschärfe. DieRegierung wünsche sich Lobbyarbeit in der EU, denn dieRebellen machten die bessere PR-Arbeit in Europa und denUSA. Sie sei derzeit jedoch zu sehr damit beschäftigt, dieeigenen Namen aus Korruptionsskandalen herauszuhalten,schrieb der Absender offen.

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»Wir haben das natürlich nicht gemacht«, sagt Geiger. Obeine andere Lobbyfirma eingestiegen ist, vielleicht desschnellen Geldes wegen? Wer sich in der Szene derlobbyierten Interessen auskennt, würde dafür seine Handnicht ins Feuer legen.

Je komplexer die Welt wird, je internationaler undverwobener, desto besser ist es für das Geschäft von Leutenwie Andreas Geiger. Brüssel und Berlin erlebten derzeiteinen grundlegenden Wandel der Lobby-Arbeit, sagt Geiger.Die Folge: Allgemeine Kontaktpflege reicht nicht aus. GeigersKanzlei versucht den Weg über die Öffentlichkeit zuvermeiden. Anzeigenkampagne, öffentlicheSchlammschlachten. Eine solche Quasi-Erpressung derHandelnden komme in der Politik heute nicht mehr gut an,sagt Geiger. Entscheidend sei es, maßgeschneiderteLösungen zu liefern und Vorgänge von A bis Z zu begleiten.»Wir gehen die Leute direkt an, die mit den Themen zu tunhaben – mit Argumenten.«

Mal sind es Referentinnen und Referenten in derKommission oder Ministerien auf Arbeitsebene. Mal sind esMinister und Kommissare. Besonders wichtig dabei:schwergewichtige Aushängeschilder. Geigers Co-ChefSiegbert Alber saß drei Wahlperioden für die CDU imBundestag, war Abgeordneter im EU-Parlament, wurdeschließlich Vizepräsident des Europäischen Parlaments undsogar Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof (EuGH).So einer kennt das politische wie juristische Parkett aus demEffeff. So einem schlagen auch Leute wie der heutigeParlamentspräsident Martin Schulz (SPD) kein Treffen aus.

»Gute Lobbyisten brauchen permanenten Zugang zu denwichtigsten Entscheidern«, sagt ein anderes Schwergewicht

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einer konkurrierenden Lobbyfirma. »Den bekommen Sienicht, wenn Ihr Konzern RWE heißt, und Sie eben mal einaufgetretenes Problem lösen müssen – ohne Vertrauen zuden Spezialisten auf diesem Gebiet aufgebaut zu haben. Dasbekommen Sie nur nach jahrelanger Arbeit in der Nähe derEntscheider hin.«

Illegal sind solche Zugänge selbstverständlich nicht. Eszeigt sich aber in der Welt der gelenkten Interessen, dassGeld häufiger Macht und Erfolg in politischenEntscheidungsprozessen garantiert, als sich viele dasvorstellen. Wer über die nötigen Ressourcen verfügt, hat indiesem System deutlich bessere Chancen, mit politischenAnliegen durchzukommen, als jemand ohne. Was das für dieZukunft der Gesellschaft bedeutet, zeigt sich an denerfolgreichen Fällen der Kanzlei Alber & Geiger.

Der Fall der Aliyew-Brüder – Werte oderGeld?

Die Brüder Farhad und Rafiq Aliyew aus Aserbaidschan sindzwar überaus vermögend, konnten die Lobbyfirma Alber &Geiger für ihren eigenen Fall aber dennoch nicht selbsteinspannen. Sie waren verhindert, sie saßen im Gefängnis.

Der ehemalige Wirtschaftsminister von Aserbaidschan undder Chef des aserbaidschanischen Ölkonzerns Azpetrolwurden 2005 wegen eines angeblichen Putschversuchsgegen Aserbaidschans Präsidenten und Autokraten IlhamAliyew und weiterer Vorwürfe verhaftet und eingesperrt.Ohne fairen Prozess, wie auch der Europäische Gerichtshoffür Menschenrechte später feststellte. 2007 wurden sie zu

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zehn beziehungsweise neun Jahren Haft verurteilt.Begründung: Korruption, Betrug und Putschversuch.

Nach der Hälfte der Haft wollte der Aliyew-Clan dem einEnde setzen. Ein Sohn und ein Neffe der Inhaftiertenheuerten die Spezialisten von Alber & Geiger an. Das Ziel:die schwerreichen Brüder, den Ex-Politiker und denUnternehmer, endlich aus dem Gefängnis zu bugsieren.

Kein leichtes Mandat in Zeiten, in denen Europa ganzandere Sorgen hatte. Eines in jedem Fall, für das es besteKontakte und Fürsprecher in höchsten Ämtern braucht. Ambesten gleich solche, die kreuz und quer über den Erdballreichen. Ein Netz also, das in kurzer Zeit wie vonZauberhand gelenkt ein sorgsam orchestriertesinternationales Tauziehen um Wirtschaftsbeziehungen undMenschenrechte einfädeln kann, das nicht nur zeigt, wiebeeinflussbar internationale Politik ist. Es hält der EU auchnoch einen wenig schmeichelhaften Spiegel vor. Besondersdeutlich aber macht es, wie in Brüssel und Washingtoninternationaler Lobbyismus ganz praktisch und wirksamfunktioniert.

Denn in Brüssel hatte sich schon eine Zeit lang niemandmehr so richtig für die Missachtung von Menschenrechten inAserbaidschans Hauptstadt Baku interessiert. Die Regierungdes Landes war zudem fest entschlossen, der Welteindringlich klarzumachen, dass sie und ihr rohstoffreichesLand ein bedeutender Akteur auf der internationalenpolitischen Bühne sind. Fernsehzuschauer erinnern sichvielleicht daran, dass Aserbaidschan im Mai 2012 Gastgeberdes Eurovision Song Contests war. Die schillerndeVeranstaltung wurde durch die breite Berichterstattung überdie Zwangsräumungen getrübt, die Platz für den

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Austragungsort des Song Contests schufen. Auch überandere Menschenrechtsverletzungen in dem Land wurde inZusammenhang mit dem Songwettbewerb weltweitberichtet. Aserbaidschan gehört zu jenen etwa 50 Ländern,denen Amnesty International Menschenrechtsverletzungenund das Einkerkern politischer Gefangener vorwirft. DiePolitik des Westens hält sich dennoch bis heute mit Kritikauffällig zurück.

Bei Alber & Geiger ahnt man, warum: »Europa musste mitAserbaidschan in Sachen Energie verhandeln«, heißt es ineinem Memo der Kanzlei. Der Gaslieferant sei zentral in derPolitik Brüssels gewesen, unabhängiger vom ungeliebtenRohstofflieferanten Russland zu werden. In einem Klima, indem die EU das Land also für ihre wirtschaftlichenInteressen brauchte, sei es für Brüssel wohl leichtergewesen, bei Menschenrechten ein Auge zuzudrücken.

Das ist eine Steilvorlage für Lobbyisten. Im Fall Aliyevbeginnt die Kanzlei genau hier mit der Suche nachArgumenten für einen Strategiewechsel der Europäer. Siesucht nach Verbündeten für mögliche Allianzen. Und siefindet sie in höchsten politischen Ämtern und bei führendenKöpfen, die mit der Lobbyfirma verdrahtet sind. John McCainzum Beispiel. Weltweit gilt der einflussreiche US-amerikanische Senator und ehemaligePräsidentschaftskandidat der Republikaner als Verfechtereiner bedingungslosen »America First«-Politik. McCainschien nie sonderlich viel für die Staaten der ehemaligenSowjetunion übrigzuhaben, früher nicht und heute auchnicht. Am 30. Dezember 2011 jedoch schreibt der Senatorgeradezu schmeichelnde Zeilen an den aserbaidschanischenPräsidenten, die er über die Botschaft des Landes in

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Washington D.C. an ihn richtet. Auf Bitten von Lobbyisten.

»Lieber Präsident Aliyev«, heißt es da, »wir kennen unsseit vielen Jahren, und ich bin seit Langem ein UnterstützerIhres Landes und Ihrer Regierung.« Der Senator gibt sichverbindlich. »Unsere bilaterale Beziehung war niemalswichtiger, und ich arbeite weiterhin persönlich daran, sie zustärken. Es ist meine andauernde Hoffnung, dass dieKooperation zwischen unseren Ländern, unseren Bürgernund Regierungen tiefer und breiter wird. Ich werde IhrPartner bei diesen Bemühungen bleiben.«

Er hoffe doch sehr, schreibt McCain weiter, dass diePartnerschaft zunehmend nicht allein durch gemeinsameInteressen, sondern auch durch gemeinsame Werte definiertwerde. Er wolle die Bedeutung der Menschenrechte dabeihervorheben. Dass das Regime in diesem Zusammenhangden Jugendaktivisten Jabbar Savalan, der wegen derOrganisation friedlicher Demonstrationen zu einerlangjährigen Haftstrafe verurteilt worden war, freigelassenhabe, sei ja schon mal ein positives Zeichen.

Dann kommt McCain zum Kern seines Anliegens. Und dasgilt den wohlhabenden Inhaftierten: Ernsthaft beunruhigt seier allerdings darüber, »dass Ihre Regierung Farhad undRafiq Aliyew seit 2005 inhaftiert hat«. McCain appelliert: »Siehaben die Macht, die Aliyew-Brüder und die anderenpolitischen Gefangenen zu befreien, die Ihre Regierunginhaftiert hält.« Das wäre der richtige und gerechte Kurs undwürde »unseren Ländern ermöglichen, die Grenzen unsererbilateralen Partnerschaft zu erweitern«.

Schon diese deutlichen Zeilen aus Washington sind eineerstklassige Unterstützung für die Lobbyfirma. BessereKontakte mit den USA – ein feines Argument. Doch bei der

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Mithilfe durch den prominenten US-Politiker bleibt es nicht.Auch in den Büros europäischer Spitzenpolitiker werdenplötzlich Briefe aufgesetzt. Die Lobbyfirma schaltet zumBeispiel den Präsidenten des Europaparlaments ein, dendeutschen SPD-Politiker Martin Schulz. Auch er fordert ineinem Brief an den aserbaidschanischen Präsidenten IlhamAliyew die Freilassung der inhaftierten Brüder.

»We get it done« – kein zu großes Versprechen an dieKundschaft. Die konzertierte Aktion für die prominentenHäftlinge zeigt in der Hauptstadt Baku am kaspischen Meermit etwas Verzögerung Wirkung. Im Oktober 2013 wirdschließlich eine kleine Gruppe von Häftlingen begnadigt.Mehrere Gefangene dürfen die berüchtigte Haftanstalt Nr. 6im Nizami-Viertel von Baku im Morgengrauen des 15.Oktober verlassen. Darunter: die Aliyew-Brüder.

Eine politische Entscheidung, die ohne Lobbyisten undderen prominente Mitstreiter wohl kaum zustandegekommen wäre. Drei Jahre sollen sie in Europa und denUSA an dem Fall gearbeitet haben. Die Öffentlichkeit erfuhrnur von der Inhaftierung und der Freilassung der Brüder.Aber nichts von der Arbeit der Spezialisten dazwischen. Wieviel Honorar floss, wer Geld bekam oder einen Gefallen imGegenzug? Ob auch Politiker ein Honorar erhielten? All dasbleibt im Dunkeln. Zwischen Anfang und Ende herrschtSchweigen. Allein: Farhad Aliyew ist seither voll des Lobesüber die Fähigkeiten der Lobbyfirma. »Alber & Geiger halfuns in einer sehr sensiblen Zeit, die politische Landschaft inEuropa zu steuern«, erklärt Aliyew wörtlich. Er soll heute inLondon leben.

Ein Erfolg für die Lobbyisten, zweifellos. Womöglich ist derundurchschaubare Fall der Aliyew-Brüder auch ein Erfolg für

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die Menschenrechte, was gut wäre. Der Fall zeigt aber aucheine Schieflage. Denn: Europas politische Landschaft zusteuern und gleich noch Teile der US-Spitzenpolitik mit –davon können viele andere politische Gefangene inAserbaidschan nur träumen. Die anderen Geiseln desRegimes, wie die bekannten Journalisten Khadija Ismayilovaund Parviz Hashimli, sind weiter in Haft. Sie wurden beideunter dubiosen Umständen zu einer jahrelangen Haftstrafeverurteilt. Sie verfügen nicht über die großen Vermögen derAliyew-Brüder. Lobbyisten können sie sich nicht leisten. Siesind weit davon entfernt, freizukommen. Ist ihr Leben, ihreFreiheit, sind ihre Schicksale weniger wert? Warum erwärmtsich die globale Spitzenpolitik nicht für den Kampf um dieFreiheit dieser Frau und dieses Mannes? Warum werdennicht auch in diesem Fall sorgsam orchestriert so freundlichewie bestimmte Briefe nach Baku geschickt? Geht es bisweilenetwa in der höchsten Politik eben doch um andere als nurideelle Werte?

Der Fall Asarow – Wie man vonSanktionslisten verschwindet

In den Büros der Lobbyisten hoffen indes schon die nächstenMandanten auf eine Rettung. Eine der ganz anderen Art. Eskommt auch bei Firmen wie Alber & Geiger nicht jeden Tagvor, dass ein ehemaliger Premierminister anruft. Im Mai2014 aber klingelt Mikola Asarows Büro in der vornehmenBrüsseler Dependance in der Rue de Colonies durch. Asarowgilt als enger Vertrauter des ehemaligen ukrainischenPräsidenten Wiktor Janukowitsch und wird im Westendeshalb äußerst kritisch beäugt. Denn die Clique um

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Janukowitsch soll sich am Vermögen ihres Landes bedientund Reichtümer außer Landes geschafft haben, etwa nachWien. Asarow war von 2010 bis Februar 2014Ministerpräsident der Ukraine, trat dann während derwochenlangen Proteste und Demonstrationen auf demMaidan-Platz in Kiew auf Anweisung Janukowitschs zurück,ehe er sich mit seinem Privatjet nach Österreich absetzte. AmKiewer Michailowski-Platz besaß der Multimillionär eine Elf-Zimmer-Wohnung. Der Umsturz bereitete Asarow bereits vorseiner Flucht nach Wien gewaltiges Kopfzerbrechen. Dennplötzlich fand sich der Politiker auf einer Schwarzen Liste derEU wieder. Asarows Eigentum in EU-Mitgliedsländern wardamit eingefroren. Und nicht nur das. Visa-Problemehinderten ihn am freien Reisen. Eigentümer an die Liebstenzu verschenken war auch keine Lösung. Denn auch sein SohnAlexej, ein Geschäftsmann, der aus Österreich herausarbeitete, war auf der Liste gelandet. Er residierte bereits ineiner Prachtvilla im Wiener Vorort Währing.

Vor diesem Hintergrund erschloss sich den Lobbyisten vonAlber & Geiger der Grund des Anrufs schnell. Die Botschaftwar deutlich: Teile der alten ukrainischen Machtcliquewollten runter von der bedrohlichen Sanktionsliste der EU.Damit ging die alte Staatsführung also ziemlich unverfrorenhinter den Kulissen gegen die zentrale Strafmaßnahme derEU-Kommission gegen die Annexion der Krim durchRussland und das Maidan-Massaker vor.

Was Brüsseler oder Berliner Lobbyisten in einem solchenFall tun? Natürlich: Sie nehmen den Fall an. Es gehtschließlich um viel Geld. Experten aus der Branche schätzendas Monatssalär für derartige Lobbyarbeit auf rund 80000Euro.

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Bei Alber & Geiger begann man für die feine ukrainischeGesellschaft das große Rad zu drehen. Bekannt ist, dass dieLobbyisten im Frühjahr 2014 eine ganze Reihe von Offiziellenim Auswärtigen Dienst der Europäischen Union, demEuropean External Action Service (EEAS), kontaktierten.Catherine Ashton, damals EU-Außenbeauftragte und Chefindes Dienstes, lehnte ein Treffen ab. Aber Beamte aus der mitden Ukraine-Sanktionen betrauten Abteilung reagierten. Einerster Erfolg.

Die Lobbyisten hatten sich für solche Gespräche einespitzfindige Strategie ausgedacht, mit der sie den BrüsselerApparat herausforderten. Denn nach EU-Recht sindSanktionen zulässig, wenn sie Regierungen zu einerÄnderung des Verhaltens zwingen wollen. Die Sanktionslistetrat jedoch im März 2014 erst in Kraft, als die betroffeneMachtclique schon gar nicht mehr am Ruder war. Zudemrichteten sich die Sanktionen gegen die Hinterleute desMaidan-Massakers, bei dem Scharfschützen im Februar 2014im Zentrum der ukrainischen Hauptstadt Kiew aufDemonstranten schossen. Eine persönliche Verstrickung derAsarows aber, argumentierte Alber & Geiger, sei gar nichterwiesen. Die Sanktionen deshalb gar nicht rechtens.

Und auch das war erst der Anfang. Die zweite Lobbywellerichtete sich an den Ministerrat. Dort vor allem an dieständigen Vertreter der 28 EU-Mitglieder. Die Hoffnung: DasProblem möge seinen Weg zu den Botschaftern und so auchzu den zuständigen Außenministern finden. Selbst dieLobbyisten räumen in einer eigenen Einschätzung ein: Eshabe eines raffinierten Einsatzes »juristischer undemotionaler Aufklärung« bedurft, um durch diese politischenTurbulenzen zu navigieren. Am Ende der intensiven

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Bearbeitung der Bürokraten stand ein erstaunlicher Erfolg:Brüssel beugte sich zumindest teilweise dem Druck.

Das eingefrorene Vermögen des Politikersohns AlexejAsarow wurde wieder freigegeben. Im März 2015 wurde erzusammen mit drei weiteren Mitgliedern der Janukowitsch-Clique von der Sanktionsliste gestrichen. Auch die Positiondes Vaters habe man wahrnehmbar verbessert, heißt es beiAlber & Geiger. Details will man nicht nennen. WieLobbyisten über einen solchen Auftrag denken? Es gebeGeldwäschevorwürfe, sagt Geiger. Aber bewiesen sei nochnichts.

Eine gewisse Skrupellosigkeit gehört wohl zumGeschäftsprinzip mancher Lobbyfirma. Bei Alber & Geigerjedenfalls geht es nicht darum, das gesellschaftlichWünschenswerte zu erzielen. Sondern das, was der Mandantwünscht. Die Kanzlei schaffte es so immer wieder, ganzeBranchen und Konzerne aus beinahe ausweglosenSituationen zu manövrieren. Für die Mehrheit muss das keinErfolg sein. Die Firma half etwa Tabakkonzernen wie PhilipMorris oder Davidoff im Kampf gegen härtere Regulierungder gesundheitsschädigenden Tabakgeschäfte. Und sie halfDeutschlands bekanntestem Glücksspielunternehmer, seinfragwürdiges Milliardengeschäft am Laufen zu halten –gegen alle öffentliche Kritik.

Der große Spieler: AutomatenkönigGauselmann

Mit Glücksspielmaschinen, bei denen sich Kirschen oder

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Orangen auf Walzen drehen, hat Paul Gauselmann sein Glückgemacht. Ein Mann, der meist einen Dreiteiler, eine goldeneKrawattennadel und den eckigen Goldring trägt und aus demostwestfälischen Städtchen Espelkamp heraus ein kleinesImperium dirigiert, das mit Geldspielautomaten ein jährlichesGeschäftsvolumen von 1,8 Milliarden Euro erwirtschaftet.Gauselmann, Jahrgang 1934, ist Unternehmensgründer undChef von rund 8000 Leuten.

Gut 45000 Automaten produziert Gauselmann jedes Jahr.Mehr als die Hälfte der derzeit bundesweit 250000Geldspielgeräte stammen aus seiner Produktion. Marktführerist Gauselmann zudem mit seinen mehr als 200 Spielhallenbundesweit. Hinzu kommen weitere 300 Spielstätten in neunLändern Europas. Wie sich das für ihn auszahlt? ÜberGewinne spricht Gauselmann nicht. Auf eine Milliarde Eurowird das Vermögen des Unternehmers geschätzt, das ihm dieSpielotheken unter dem Logo der Merkur-Sonne und andereKasinogeschäfte bislang einbrachten. Die Quintessenz seinerKarriere: Ab und zu gewinnt der Kunde. Unter dem Strichgewinnt Paul Gauselmann.

Für Gauselmann ist selbstverständlich, dass dies möglichstauch für den Umgang mit der Politik gelten soll. Spendenund Sponsoring des Automaten-Königs sorgen in derdeutschen Lobbydebatte bereits seit Langem fürSchlagzeilen. Die Firmengruppe beziehungsweise derenManager, die allesamt von der Liberalisierung der Regeln fürSpielhallen 2006 enorm profitierten, spendete jahrelangMillionen an CDU, FDP und SPD – legal mit Einzelbeträgenjeweils unter der Grenze von 10000 Euro, um eineNamensnennung der Spender in den Partei-Rechenschaftsberichten zu umgehen.

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An dieser Form der politischen Landschaftspflege kann derbetagte Glücksspiel-Veteran mit den besonders engenBeziehungen zur FDP nichts Verwerfliches erkennen. GuteBeziehungen setzt er auch ganz gezielt in Brüssel ein, umsein in der Politik in Ungnade gefallenes Geschäft am Laufenzu halten. Gauselmann habe sich gemeldet, als in gleichmehreren EU-Staaten schärfere Regulierungen für privatesGlücksspiel drohten, die für ihn »verheerende«Auswirkungen gehabt hätten, heißt es bei Alber & Geiger.Man sei beauftragt worden, eine Benachteiligung gegenüberstaatlichem Glücksspiel sowie die Folgen der Gesetze imKampf gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung aufdas Glückspielgeschäft zu begrenzen und zu beseitigen.

Terrorismus, Geldwäsche? Wenigstens hier, sollte manmeinen, müsste die Kommission doch hart bleiben. Bei Alber& Geiger weiß man es besser. In der Firma erinnert man sichan einen geradezu wegweisenden Lobbyerfolg.

Dabei hatte die EU konsequent begonnen. Sie kündigteMitte 2012 an, Geldwäsche und Terrorismusfinanzierungdurch mehr Kontrolle bei Glücksspielen undSteuerzahlungen besser zu bekämpfen – nur ein Teil neuerRegelungen, die die Hersteller fürchteten. Im Herbst werdedazu eine Reform der Anti-Geldwäsche-Richtlinie vorgelegt,erklärte Brüssel damals. Der ehemaligeBinnenmarktkommissar Michel Barnier wollte definieren,welche Arten von Glücksspiel von den bestehendenKontrollen erfasst werden sollen. Die Palette sollte nachersten Überlegungen der Kommission über Kasinos aufOnline-Spiele hinaus ausgeweitet werden.

Etwa auch die der Automatenwirtschaft?

Nicht mit Gauselmann. Nicht mit Alber & Geiger. Es ging

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diesmal darum, direkt auf die Kommission einzuwirken. Wiegenau? In diesem Fall bleibt Alber & Geiger zugeknöpft. Manhabe im Markt fundamentale Freiheiten verteidigt underfolgreich auf das neue Geldwäschegesetz eingewirkt,indem man die Kommission etwa auf drohende Einbußen imGeschäft der Glücksspielunternehmen hingewiesen habe.

Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Die Gegner einerVerschärfung schafften es, eine Ausnahmeregelung fürGlücksspiele außerhalb des Internets aufzunehmen, die nichtfür große Casinos gilt. EU-Mitgliedsstaaten können über dieAnwendung dieser Ausnahmen selbst entscheiden. Sogar imGauselmann-Lager war man verblüfft über den Lobbyerfolg.»Raffinierte EU-Lobbyisten«, urteilt Maik Sellenriekbeeindruckt, Finanzchef der Merkur Casinos in derGauselmann-Gruppe, über Alber & Geiger.

Wer den neuesten Kampf gewinnt? Man darf gespanntsein, denn die jüngsten Bemühungen um mehr Regulierungdes anrüchigen Marktes laufen in Deutschland bereits.Mindestens 500 Meter Abstand bis zur nächsten Spielhalle,maximal acht Spielautomaten pro Standort und all das nichtin der Nähe von Kinder- oder Jugendeinrichtungen – mitdiesen Regulierungen gegen Spielsucht wollen sich BerlinerSpielhallenbetreiber nicht abfinden. Vor Gericht kämpfen siegegen das Spielhallengesetz. Die Gauselmann-Gruppeargumentiert: Ein wirtschaftlicher Betrieb sei mit denRegulierungen nicht mehr möglich, sie kämen einemBerufsverbot gleich.

Je tiefer man in diese Lobbyszene eintaucht, desto stärkerfühlt man sich erinnert an »Kir Royal«. Jene inzwischen mitKult-Status versehene Fernsehserie aus den 80er Jahren um

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den Klatschreporter Baby Schimmerlos. Alle wollen in seinerGesellschaftskolumne vorkommen, denn nur wer drinsteht,ist wichtig in der Münchner Schickeria. Entsprechendhartnäckig buhlt der von Mario Adorf gespielteKlebstofffabrikant Heinrich Haffenloher, ein Provinzling mitviel Geld und wenig Manieren, um die Gunst des BabySchimmerlos. Als der ihn abblitzen lässt, kauft ihn sichHaffenloher: »Ich scheiß dich so was von zu mit meinemGeld«, sagt er und macht dem Reporter klar, wer aus seinerSicht der wirkliche Hauptdarsteller in der Gesellschaft ist:das Geld. »Wer reinkommt, der ist drin«, so der Titel derersten Folge, an deren Ende die Schickeria mit HaffenloherCancan tanzt.

Geld kann führen und verführen. Das weiß man auch inBerlin.

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Die Skatbrüder – das Russland-Netzwerkund die SPD-Genossen

Ein böiger Wind bläst durch die deutsche Hauptstadt, alsHeino Wiese an einem Novembertag 2015 kurz nach 12 Uhrdie »Peking-Ente« betritt. Das chinesische Restaurant inBerlin-Mitte steht an historischer Stelle. Früher war auf demriesigen Areal Ecke Voßstraße/Wilhelmstraße dieReichskanzlei Adolf Hitlers. Zu DDR-Zeiten wurden dieletzten Reste abgebrochen und an ihrer Stelle Plattenbautenfür privilegierte Ost-Berliner errichtet. So gesehen ist es einbesonderer Ort, an dem wir Heino Wiese zum Mittagessentreffen. Von hier aus sind es nur wenige Meter zu seinerFirma, der Wiese Consult in der Behrenstraße, direkt hinterdem Brandenburger Tor. Eine Firma, die nach eigenenAngaben ganz direkt »an der Schnittstelle zwischenWirtschaft und Politik«, insbesondere in den Bereichen»Internationale Geschäftsbeziehungen und Investments«,arbeitet. Schön formuliert.

Wer sich dieser Firma nähert, stößt auf einen Hansdampfan ihrer Spitze. Heino Wiese, Jahrgang 1952, scheint auchinternational bestens verdrahtet. Er war einige JahreSprecher im Advisory Board von TÜSIAD, dem wichtigstenUnternehmerverband der Türkei. Er ist Vorstandsmitglieddes Deutsch-Russischen Forums und der Emiratisch-Deutschen Freundschaftsgesellschaft sowie Mitglied in derDeutsch-Türkischen Gesellschaft, der Deutsch-ArabischenFreundschaftsgesellschaft und in der ParlamentarischenGesellschaft. Wiese also wirft sein Netz in solchen Regionen

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aus, die als lukratives wie schwieriges Pflaster für deutscheGeschäftsleute gelten. Regionen in jedem Fall, in denen gute,einflussreiche Kontakte die halbe Miete sind.

Wer dann allerdings wissen will, was Wiese Consulteigentlich für Beratungsleistungen erbringt, wird auf derInternetseite der Firma kaum fündig. Die kleine Firma bietetzwar ein breites Spektrum an, darunter Politik- undBehördenkontakte. »Wir beraten national und internationalagierende Unternehmen, Institutionen und Verbände aufLandes- und Bundesebene«, heißt es etwa. Doch was heißtdas im Detail? Immerhin, der Aktionsradius ist riesig:»Aserbaidschan, China, Costa Rica, Indien, Kasachstan,Kroatien, Lettland, Mongolei, Nordzypern, Rumänien,Russland, São Tomé und Príncipe, Serbien, Slowenien,Turkmenistan, Türkei, Ukraine, Usbekistan, VereinigteArabische Emirate.« Vor allem ein Land sticht hervor: Durchlangjähriges Engagement in Russland sei Wiese Consulteiner der »TOP-Spezialisten und Ansprechpartner fürInvestitionen und wirtschaftliche Fragen im russischenSprachraum«, verspricht der Inhaber. Mit fünf Mitarbeitern?

Wer sich in Berlin umhört, unter Sozialdemokraten oderbei führenden Unternehmen, bekommt erstaunlicheAntworten über die Reize dieser kleinen Firma im Herzender Hauptstadt. Es gehe weniger um die Expertise auf dengenannten Märkten, heißt es. Der UnternehmensberaterHeino Wiese sei für einige Kunden vor allem aus einemGrund interessant, sagt ein ehemaliger Geschäftspartner:weil er Kontakte zu deutschen Politgrößen vermitteln und siefür Lobbytätigkeiten gewinnen könne. Vor allem solche derSPD.

Aus diesen Kontakten macht Heino Wiese auch kein

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Geheimnis, ganz im Gegenteil. »Gestern Abend war ich mitOtto Schily essen«, erzählt er scheinbar beiläufig, gleichnachdem er im China-Restaurant Platz genommen hat. ImFußballstadion in Hannover hat der Familienvater mitFreunden eine eigene VIP-Loge. Viele Fotos zeigen ihn dortmit einem noch wichtigeren Deutschen als dem früherenRAF-Anwalt und späteren Bundesinnenminister Schily: mitGerhard Schröder.

Der ehemalige Bundeskanzler ist ein enger FreundWieses, was nicht nur mit einer langjährigen, gemeinsamenZugehörigkeit zur SPD zu tun hat. Als junge Kerle schontrafen sie sich in der legendären Hannoveraner KneipePlümecke häufig zum Skat. Daraus wurde eine dickeFreundschaft. Zwei Arbeiterkinder mit unbändigem Ehrgeiz,es nach oben zu schaffen. Der eine, Schröder, wurdeVorsitzender der Jungsozialisten, Bundestagsabgeordneter,niedersächsischer Ministerpräsident und schließlichBundeskanzler. Kumpel Heino brachte es über einen Job alsPersonalentwickler beim Autozulieferer Continental, diePosten des Bezirks- und später des Landesgeschäftsführersder SPD in Hannover für vier Jahre als Abgeordneter in denBundestag. Nachdem er 2002 die Wiederwahl verpasste,kam Wiese auf einem lukrativen Posten beimBekleidungsunternehmen s.Oliver unter, wo er nach eigenemBekunden zuletzt für Business Development, Export undInternational Sales verantwortlich war. Dann machte er sichselbständig. »Als Lobbyist«, sagen die einen. »Falsch«, sagtHeino Wiese, »als Unternehmensberater.«

Was macht den Unterschied? »Ein Lobbyist vertritt direktdie Interessen seiner Auftraggeber. Ich berate Unternehmenvorwiegend bei ihren Aktivitäten in Russland und China. In

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allen meinen Verträgen mit Kunden steht drin, dass ich inDeutschland nicht lobbyistisch tätig werde, höchstens mal imAusland.«

Vereinfacht zusammengefasst geht Heino WiesesUnterscheidung so: Ich selbst werde bei keinem Politiker fürmeine zahlenden Auftraggeber vorstellig. Sondern ich sageihnen nur, wie sie selbst die Türen öffnen können.

Wenn er hierzulande doch einmal als Lobbyist auftrete,dann als solcher für Russland und dann auch nicht gegenGeld, sondern aus eigenem Antrieb. Denn das Land werde imWesten oft verkannt, falsch verstanden und ungerecht,zumindest aber nicht unbefangen behandelt. Da halte erdann argumentativ dagegen und versuche, seineGesprächspartner zu überzeugen. Sigmar Gabriel zumBeispiel, den SPD-Chef, Vizekanzler undBundeswirtschaftsminister. »Den habe ich beim ThemaRussland bearbeitet«, sagt Wiese. Auch diese beiden sind engmiteinander, auch privat. »Einmal im Jahr gehen wirmiteinander auf Abspeckkur«, sagt Wiese.

Protzt da einer nur mit seinen Kontakten? Kokettiert ernur mit der Nähe zur Macht? Oder kann er es sich schlichtleisten, über sein Netzwerk zu sprechen?

Menschen, die Heino Wiese und sein Geschäftsmodelllänger und besser kennen, sagen, er sei der am bestenverdrahtete Lobbyist in der Sozialdemokratie. SeinHandwerk: Diskretion. Sein Netzwerk? »Alle Sozis, die ältersind als 55 Jahre«, sagt er selbst und lächelt vielsagend. Vorallem seine Nähe zu Gerhard Schröder fällt auf. Wenn derEx-Kanzler im kleinsten Freundeskreis Geburtstag feiert,dann gehören auch Wiese und Wladimir Putin dazu.»Gerhard ist für mich so etwas wie ein Idol, wie ein großer

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Bruder«, schwärmt Heino Wiese. Mehr Verehrung gehtnicht. Und Sigmar Gabriel? »Ich könnte den Sigmar jederzeitanrufen, aber ich tue es nicht«, sagt Wiese. Höchstens privat.

Selbstverständlich schadet ihm all das nicht, im Gegenteil.»Die Leute wissen natürlich, mit wem ich befreundet bin«,sagt er. »Nur nutze ich das nicht aus.« Nicht einmal fürsGeschäft? Ach, er wolle doch keine großen Reichtümerverdienen, sagt Wiese, sondern nur so viel, dass es für eingutes Leben und eine sichere Altersversorgung langt. Wiebescheiden.

Die Frage nach dem Nutzen – sie stellt sich bei HeinoWiese durchaus. Sie stellt sich aber auch für Politiker, die mitihm zusammenarbeiten. Und sie stellt sich für diejenigen, diediese Politiker wählen.

Wer Gerhard Schröder eine Lobbytätigkeit andienenwolle, versuche dies über Wiese, behauptet einer, der beidegut kennt. »Da ist der Draht kurz, der Rückruf kommtschneller als beim offiziellen Weg über die Büros derPolitiker«, sagt der Manager. Allerdings stehe immer imRaum, dass dieser kurze Draht einiges koste. »Wir wolltenSchröders Kontakte, also engagierten wir Wiese«, erinnertsich der Manager an den Auftrag seiner Firma für WieseConsult. Das Unternehmen habe von den Kontakten beiderprofitieren wollen. »Uns war klar, dass vor allem für solcheKontakte das Honorar für die Agentur fällig wird.«

Dient Wiese Consult also höchst diskret auch derVermarktung von Schröder-Kontakten – etwa nach Russland?Ist die Firma, die keine Lobbyagentur sein will, eineAnbahnungseinrichtung für Geschäfte des Ex-Kanzlers – oderauch anderer Politiker? Und wie sieht es mit einerGegenleistung aus? Gute Kontakte gegen Honorar?

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Diese Fragen sind Anlass genug, sich die Geschäfte desSchröder-Kumpels einmal genauer anzusehen.

Nach einigen Wochen können wir Unterlagen sichten, diezeigen, wie hilfreich die Arbeit der Agentur Wiese und derenKontakte für Unternehmen in Schwierigkeiten sein können.Es geht um interne Dokumente des niedersächsischenUnternehmens EWE. Sie zeigen, wie ein kleiner Spielerplötzlich und überraschend auf den Märkten der ganzGroßen aktiv wird. Denn EWE ist eigentlich ein regionalerStromversorger aus Norddeutschland mit allerhandZusatzgeschäften. Ein kleines Energie-Firmenreich, das vomniedersächsischen Oldenburg aus gesteuert wird. Eigentlich,denn die EWE und ihr ehrgeiziger Ex-Chef Werner Brinkermochten viel lieber eine Liga höher spielen. Auf Augenhöhemit Weltkonzernen.

Es gab Zeiten, da sah es nicht gut aus, für dasUnternehmen, seinen langjährigen Chef und die ehrgeizigenPläne. Im September 2011 geriet EWE wegen eines dubiosenPräventionsprogramms namens »Sign« gegen Gewalt undDrogen- und Alkoholkonsum von Jugendlichen immerheftiger in die Kritik. Ausgaben in Millionenhöhe für diebetreibende Agentur Prevent seien über mehrere Jahre nichtausreichend kontrolliert worden. Kritiker hinterfragten, obdas Programm wirklich so ehrenwert war, wie es selbstvermittelte. »Sign« wirkte wie eine dubioseGeldsammelmaschine. Eine, die eine ganze Menge Geld vonder EWE bekam – wohl deutlich mehr, als dasPräventionsprogramm brauchte. Wozu?

Die Sache sah so dubios aus, dass zwei beteiligte Banken2010 Alarm schlugen und die Vorgänge als verdächtigmeldeten. Auffällig fanden die Banker, dass neben einem

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Salär der Agentur Prevent 2008 und 2009 eineMillionensumme auf Privatkonten der Prevent-Chefin beieinem anderen Institut weiterfloss. Die Bank urteilte, dieÜberträge auf die Privatkonten stünden »in keinemVerhältnis zu den Eingängen für das Projekt«. Einemissbräuchliche Verwendung der von der EWE Netz GmbHgezahlten Gelder könne man »nicht ausschließen«.[46]

Die EWE und ihr Chef Brinker gerieten in Erklärungsnotund standen öffentlich ziemlich dumm da. DieStaatsanwaltschaft Oldenburg stellte die Ermittlungen zwarein, da die Geldflüsse auf vertraglichen Vereinbarungenzwischen den beteiligten Unternehmen beruht hätten;Geldwäsche aber setze Geld aus rechtswidrigen Geschäftenvoraus. Die konnte also niemand nachweisen. Das Vertrauenin den Konzern und seine Führung aber war dennochgewaltig erschüttert. Zumal dem ehemaligen VorstandschefWerner Brinker die Rechnungen der Agentur, die dasProgramm ausrichtete, immer persönlich vorgelegen habensollen.

Die Zweifel wuchsen, als der damalige EWE-Chef einweiteres Compliance-Problem einräumen musste.Konzernmanager hatten bei der Übernahme von Anteilen aneinem ostdeutschen Stadtwerk 2002 dem damaligenBürgermeister der brandenburgischen Stadt in einem Brief307 000 Euro als Zuschuss für die dort stattfindendeLandesgartenschau gezahlt. Die für Wirtschaftskriminalitätzuständige Staatsanwaltschaft Neuruppin ermittelte wegenVorteilsgewährung gegen Brinker und ein weiteresVorstandsmitglied, die Ermittlungen wegenVorteilsgewährung wurden 2007 eingestellt. Diesmalallerdings nur gegen eine Unternehmensgeldbuße in Höhe

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von 400000 Euro. Koscher war die Sache mit der Zahlungnicht. Der Bürgermeister wurde wegen Annahme vonVorteilen durch die EWE zu einer Bewährungsstrafeverurteilt.

Als der ältere Vorgang 2011 ans Licht kam, geriet Brinkerdarüber noch mehr unter Druck. Ihm und den anderenVerantwortlichen bei EWE wurde klar: Es galt jetzt mit allenMitteln um den Vorstandschef zu kämpfen – und um den Rufder Firma. Für so eine heikle Mission braucht es natürlich eingut verdrahtetes Lobbyunternehmen aus Berlin an derSchnittstelle zwischen Politik und Wirtschaft, dessen guteKontakte in die niedersächsische SPD obendrein nichtschaden können. Also holte sich die Oldenburger EWE 2012Wiese Consult ins Haus. Mit großen Hoffnungen.

Diese geschäftliche Liason startete genau am 25. Juli inden EWE-Räumen der alten Fleiwa in Oldenburg, einstEuropas modernste und größte Fleischfabrik. Fünf Stunden,von 13 bis 18 Uhr, tagte in dem roten Backsteinbau mitseinem markanten Wasserturm ausweislich internerProtokolle eine erlesene Runde beim »Workshop Kick OffEWE«. Auch Heino Wiese war vor Ort. Es fehle ein einheitlichschlüssiges Gesamtbild des Unternehmens EWE in derÖffentlichkeit, mäkelte die Beraterfirma dem Papier zufolgein der Eventlocation der Energiefirma. Skandale dominiertendie Wahrnehmung. Ziel müsse es nun sein, dieWahrnehmung zu vermitteln, dass EWE es wert sei, vonSeiten der Politik geschützt und unterstützt zu werden –trotz aller unschönen Geschichten.

Klingt gut, befand man bei EWE und beauftragte WiCo,wie die Lobbyfirma kurz heißt, unter anderem, innerhalb derkommenden 14 Tage eine Liste mit sogenannten

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»Stakeholdern« zusammenzustellen, mit jenen demUnternehmen verbundenen Personen also, die als Nächstesangesprochen werden müssten. »Es geht um Personen ausdem Kreis: Kommunalpolitik, Landespolitik, Parteien,Fraktionsreferenten, Referenten in Ministerien,Pressesprecher in Ministerien«, hält das Papier fest. ImKlartext: Ziel war es offenkundig nicht in erster Linie, dasVerhalten des Unternehmens zum Positiven zu wenden. Zielwar vielmehr zunächst die Beeinflussung von Multiplikatorenmit einem Fokus auf andere, positivere Nachrichten aus demHause EWE.

Der Plan ging offenbar auf. Die Sache wirkte schon nachkurzer Zeit. Die Drähte von Wiese in die niedersächsischeLandespolitik glühten nach Angaben von Insidern undbesänftigten die Kritiker ziemlich schnell. Brinker durftetrotz aller Vorwürfe und Ungereimtheiten erst mal Chef desUnternehmens bleiben. Wiese habe dabei geholfen, ihm denPosten zu retten, erinnert sich ein EWE-Manager. Vor allemdank seiner glänzenden Kontakte in die niedersächsischeSPD. Die erste Mission also hatte der Lobbyist Wiese mitBravour erfüllt. Billig war das für das kommunaleUnternehmen mit einem öffentlichen Haushalt nicht. Dennder Honorarsatz des Lobbyisten liegt nach seinen eigenenAngaben bei stattlichen 2800 Euro pro Tag. Ein Honorar, dasim Monat bei größerer Auslastung für Mandanten Kosten vonbis zu 60000 Euro bedeutet – und für Wiese Consult einsolches Salär. Mögliche Provisionen für den Abschluss vonGeschäften etwa nicht eingerechnet.

Die Image-Offensive mit freundlichen Gesprächen wardennoch erst der Anfang. Heino Wiese entwickelte sich nach

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und nach zum unentbehrlichen Helfer des Unternehmens ausder Provinz. Die Aufträge wurden immerverantwortungsvoller, die Themen immer brisanter – und dieBeteiligten immer hochkarätiger. Plötzlich wird eine Nähezwischen der Lobbyfirma und einem einflussreichenPolitzirkel sichtbar, die zeigt, dass Wiese durchausSpitzenpolitiker wie den ehemaligen Bundeskanzler GerhardSchröder in die eigenen Strategien einwebt, sogar für eineArt Lobbying im Sinne der Kunden. Auch wenn er selbst dasbestreitet. Und so wird die kleine Geschichte um EWEplötzlich zu einer, die sich um ganz große Namen derdeutschen Politik dreht. Und um ein ziemlich großes Problemmangelnder Transparenz hinter den politischen KulissenBerlins.

Es ist Frühjahr 2014, als EWE in einen bizarren Streit inder Türkei gerät. Die türkische Gas-Tochterfirma soll aufAnweisung der türkischen Regulierungsbehörde bis zu 120Millionen türkische Lira – fast 40 Millionen Euro – zahlen,weil sich Durchleitungsgebühren für Gas geändert haben.Eine ernste Bedrohung. EWE wehrte sich juristisch, doch dieSache kam nicht so recht voran. Also entschied man sich inOldenburg für einen anderen Weg. Einen, der einen seltenunverstellten Blick in den Maschinenraum des BerlinerLobbyings freilegt.

EWE schickte nun Lobbyist Heino Wiese mit einem neuenAuftrag los. Es ging jetzt darum, das Türkei-Geschäft vonEWE wieder auf Kurs zu bringen – und den Streit auf demstaatlich regulierten Energiemarkt in den Griff zu kriegen.Ob Wiese bei derartigen Aufträgen wie dem in der Türkeiseinen Vertrauten, den Altkanzler, einschaltet? Ob der gar anden Geschäften der Agentur beteiligt ist? Wiese verneint

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entschieden. Er schalte Schröder in solchen Dingen nicht ein.Die hätten nicht die Kragenweite des Altkanzlers. Nachaußen soll nicht der Eindruck entstehen, dass WiesesAgentur vom Politnetzwerk lebt. Und schon gar nicht, dassdies von ihm leben könnte. Doch die Kontakte sindoffenkundig enger, die Interessen zwischen Beratern undPolitikern wohl vermengter, als es Lobbykritikern lieb seinkann.

Hoffnungsvoll entwarfen EWE-Manager angesichts desEngagements von Wiese hinter den Kulissen eine Artinternes und vertrauliches Drehbuch für das Lobbying unddas gewünschte Ergebnis. So entstand auch ein vierseitigesBriefing, das uns vorliegt – und das Zweifel an WiesesDarstellung weckt. Es richtete sich an genau jene Akteure,von denen man sich eben gemeinsam eine Lösung erhoffte:das Duo Heino Wiese und Gerhard Schröder.

Wiese und seine Kontakte, das hatte sich in Niedersachsenherumgesprochen, konnten so manches Problem lösen. BeimAutozulieferer Continental in Hannover kennt man noch dieGeschichte vom Ökoreifen. Einem Label, das der KonkurrentMichelin aus Frankreich in Brüssel etablieren wollte. Einem,das dem eigenen Geschäft zupass kam, weil es eher umLanglebigkeit als um grüne Produktionsstoffe ging. Michelinhatte 14 Lobbyisten in Brüssel, Continental einen, erinnertsich Wiese an seinen Kampf um Gummi. Der Reifen derFranzosen kam nie.

In einer vertraulichen Mail also schickt der für die Türkeiverantwortliche EWE-Manager Frank Quante das Papier aneinem Freitag im Juli 2011 auch an den Konzernchef inOldenburg. Quante stellt klar: »Mein Ziel ist es, die aus Sichtder EWE Türkei bestehenden ›Machbarkeiten‹ für eine

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Lösungsfindung über die Ansprache der Top-Ebene in derTürkei bei Herrn Wiese/BK Schröder so gut wie möglich zukommunizieren. Damit steigen – hoffentlich – dieErfolgswahrscheinlichkeiten«, erklärt Quante freimütig. ImKopf des Briefing-Protokolls vom 7. Juli 2014 heißt es kurzund knapp: »Ziel: ›Information von Bundeskanzler GerhardSchröder, Herr Heino Wiese, Wiese Consult‹«.

Es ist eines der seltenen Dokumente einer ansonstenhöchst diskreten Zusammenarbeit des Strippenziehers unddes einst so mächtigen Politikers, die der breitenÖffentlichkeit bislang unbekannt ist. Bei EWE indes weißman, wie Wiese in dem komplexen Fall in der Türkei, der sichmit einem Streit vor regionalen Gerichten kaum lösen lässt,Ergebnisse erzielen will. Schon im Mai 2014 erreicht Teileder Konzernspitze eine E-Mail mit vielsagendem Betreff:»Bursagaz Lobbying, BK Gerhard Schröder«. »DearGentlemen«, heißt es in dem Schreiben von EWE-DirektorFrank Quante an einen Kreis um den damaligen EWE-ChefWerner Brinker. »Heute hat mich Heino Wiese angerufenund mich darüber informiert, dass BK Schröder dasBursagaz-Thema in seinem persönlichen Treffen mitPremierminister Erdoğan besprechen will.«

Und Wiese? Konfrontiert mit unserenRechercheergebnissen, fällt seine Antwort einsilbig aus: Erwolle und dürfe sich zu seinen Aufträgen nicht äußern, teilter mit.

Schröder ist zwar kein Kanzler mehr. Er scheint dennochder ideale Mann für die Probleme des Unternehmens in derTürkei. Schließlich kam der heutige türkische Präsident – unddamalige Premier – Recep Tayyip Erdoğan in Schröders Hausin Hannover schon mal zum privaten Frühstück vorbei. Beide

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kennen sich seit Schröders Kanzlerschaft bestens. Zum 65.Geburtstag des Ex-Kanzlers im April 2009 flog Erdoğaneigens zur Party nach Hannover ein. Die Kontakte Schröderskönnen also durchaus noch immer auf höchster Ebenenutzen.

Nicht nur Schröder wird im Sinne von EWE aktiv. Gleichmehrere Bundesminister mischen sich in den Streit ein.»Mittels intensivem Lobbying unter Aktivierung« etwa desBundeswirtschaftsministeriums von SPD-Chef Gabriel undder deutschen Botschaft in Ankara, habe EWE versucht, daseigene Risiko zu minimieren. Der Schröder/Wiese-Genosseund -Kumpel Wirtschaftsminister Gabriel habe »dieAngelegenheit« im März 2014 in Schreiben anPremierminister Erdoğan und Energieminister Yildizadressiert. Auch Finanzminister Schäuble habe »das Thema«am 2. April 2014 bei seinem Treffen mit Deputy PrimeMinister Babacan zur Sprache gebracht. Offenkundig nichtohne Erfolg: »Bisher wurde von Deputy PM Babacan undEnergieminister Yildiz das Signal gegeben, EWE von dendrohenden Zahlungen zu entlasten.«

Und siehe da. Der kollektive Druck wirkt. Auf einmal tunsich erstaunliche Dinge. Die türkische Seite bittet EWE sogarplötzlich um eine der EWE genehme Gesetzesvorlage. DasEntgegenkommen verblüfft sogar hartgesottene Manager.»Wegen der Zinszahlungen ist EWE Turkey Holding gebetenworden, einen Gesetzentwurf zu erstellen, der die Zahlungverhindert oder verringert. Aktuell besteht eine besondersgute Möglichkeit, ein solches Gesetz im Rahmen einesumfassenden Maßnahmen-Gesetzes einzubringen und zuverabschieden«, heißt es in EWE-Papieren weiter. Mitanderen Worten: Deutsche Lobbyisten eines

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Regionalversorgers aus der Provinz schicken sich an, dieGesetzgebung in der Türkei zu beeinflussen – dank guterKontakte zu deutschen Lobbyisten und deren Verbindungenzu deutschen Spitzenpolitikern.

Der Ex-Kanzler äußert sich auf Anfrage nicht zu denKontakten. Auch nicht zur Frage, ob er von Wiese Consult fürArbeiten honoriert wird oder in bestimmte Geschäfte, etwaden Kauf von Unternehmensteilen durch EWE, eingebundenwar. »Über anwaltliche Tätigkeiten gibt Herr Bundeskanzlera.D. Gerhard Schröder grundsätzlich keine Auskunft«, lässter uns von einer Mitarbeiterin mitteilen.

Es sind in jedem Fall Verbindungen wie diese, dieinzwischen auch führenden Sozialdemokraten in Deutschlandaufstoßen – und die Liaison zwischen Wiese Consult und demeinen oder anderen Parteigranden in ein schummriges Lichttauchen. Nicht wenige Beobachter hegen den Verdacht, dassdie Lobbyfirma letztlich auch ein Vehikel ist, die KontakteSchröders und möglicherweise weiterer SPD-Granden zuvermarkten, ohne dass in der Öffentlichkeit deren Namenfallen. »Viele in der SPD sehen die Nähe führender Genossenzu Wiese inzwischen kritisch. Mancher Minister hält Abstandzum Lobbyisten«, sagt uns ein führender SPD-Mann inBerlin.

Die SPD und das Russland-Netzwerk

Doch nicht jeder geht auf Distanz. Im Gegenteil. Ein BerlinerAltbau, eine Privatwohnung. Und ein Manager, der der SPDnahesteht. Ein Gespräch und eine Warnung: »Wenn Sie sichWiese zum Feind machen, haben Sie einflussreiche Feinde«,sagt der Parteiinsider. Auch in Russland. Vor allem, wer die

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Verbindungen Wieses nach Russland beleuchte, müssefürchten, ins Visier des russischen Geheimdienstes zugeraten. In der SPD würde sich wegen Wieses Draht in dieSPD-Spitze auch kaum jemand trauen, dem Lobbyisten dasHandwerk zu legen.

Heino Wiese und Russland. »Ich kenne die Gouverneurevon 13 russischen Regionen persönlich«, erzählt Wiese, »undauch drei, vier Leute aus der Regierung in Moskau kenne ichganz gut.« Wladimir Putin, den er immer wieder gemeinsammit Kumpel Schröder treffe, schreibe er ab und an einenBrief. »Da teile ich ihm unaufgefordert mit, was er bessermachen könnte«, sagt Wiese. Eine Antwort komme immer,auch schon mal direkt vom Kreml-Chef.

Gibt da einer an? Oder stimmen die Geschichten von derNähe des kleinen, in der breiten Öffentlichkeit unbekanntenLobbyisten in eines der Machtzentren dieser Welt hinein?

Unsere Recherchen werden auf ein anderes Geschäftgelenkt: eine Firmenübernahme. In der niedersächsischenProvinz lernt der Energiekonzern EWE eine weitere Seitevon Heino Wiese schätzen. Denn Wiese wirbt in der Folgegegenüber dem Energiekonzern nun auch damit, aufhöchster Ebene politische Kontakte nach Russland, etwa zuGazprom, knüpfen zu können. Und die können für EWEdurchaus vorteilhaft sein, wie man in der Zentrale weiß. Manverfolgt schließlich große Pläne.

Der kleine Regionalversorger EWE will sich die Kontrolleüber das größte ostdeutsche Unternehmen, mit rund zehnMilliarden Euro Umsatz größer als man selbst, sichern: denLeipziger Gaskonzern VNG. Das Problem: Im Jahr 2013hatten sich die Oldenburger nur mit einem Minderheitsanteilvon 49,9 Prozent an VNG beteiligt. Weitere Teile gehören

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dem russischen Energieriesen Gazprom und der BASF-Gas-Tochter Wintershall, die wiederum über gemeinsameGasförderung eng mit Gazprom verbandelt ist. Wintershallhält etwa 15 Prozent. Mit diesem Paket, schwant den EWE-Leuten, wäre schon viel gewonnen. Nun plötzlich dieMehrheit am Gasriesen VNG übernehmen zu wollen, ist einziemlich großes Ding für ein vergleichsweise kleinesUnternehmen aus der Provinz wie EWE. Und eine harte Nussobendrein, denn Gazprom verkauft viel Gas über VNG.Würde der Milliardenmulti aus Moskau einem solchen Dealwirklich zustimmen?

Wieder wird Heino Wiese eingeschaltet und wieder wird ernach Angaben aus EWE-Kreisen mit seinem engen Zirkelaktiv. Der damalige Wintershall-Chef Rainer Seele undGazprom-Manager – ein kleiner Kreis von Eingeweihtenwickelt den Angaben zufolge nun höchst diskret ein ziemlichdickes Geschäft ab. Und wieder spielt der Altkanzler GerhardSchröder angeblich eine wichtige Rolle. Er soll Beteiligtenzufolge sogar Gazprom-Chef Alexej Miller den Dealempfohlen haben – Zugänge, die nur ein Vertrauter Putinsgenießt.

Am Ende funktioniert das Geschäft: Die kleine EWE kapertelegant den größeren VNG. Im März 2014 schließlich wirdder Deal unterschrieben. Mehr als 60 Prozent gehören nundem Konzern aus Oldenburg. Damit wird auch eine saftigeProvision für Heino Wiese fällig – behauptet ein Insider vonEWE. Wiese sei wohl nicht der Einzige, der von den Dealspersönlich profitiert habe, vermutet er weiter.

Das Geschäft ist ein Musterbeispiel dafür, wie es geht. Da istein Lobbyist mit besten Kontakten in die Spitze der

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russischen Politik und womöglich einem Ex-Kanzler alsHelfer. Am Ende schluckt ein westdeutscher Konzern einostdeutsches Aushängeschild gegen alle politischenWiderstände. Dabei, so heißt es hinterher, soll man sichsogar bei Gazprom gefragt haben, ob es wirklich eine guteIdee war, sich zu trennen. Gremienbeschlüsse zum Verkaufverzögerten sich deshalb massiv. Doch wie es scheint, warkein Widerstand zu groß.

Diese Nähe von Heino Wiese zu einflussreichenSozialdemokraten lässt in jedem Fall aufhorchen. Offiziellgibt es keine Verbindung zwischen seiner Firma und denPolitikern. Doch dass die intensiven Kontakte und Hilfen fürden Lobbyisten auf Arbeitsebene nur aus Freundlichkeiterfolgen, mag inzwischen kaum noch jemand glauben. Gehtes da nicht um mehr?

Ein fragwürdiger Freundschaftsdienst

Der Fairness halber sei gesagt: Die Arbeit fürLobbyagenturen ist Politikern natürlich nicht verboten.Sowenig eine Grenze zwischen Politik und Wirtschafthochgezogen werden sollte, so wenig lässt sich aber aucherklären, warum große Parteien sich seit Jahren nicht maleinen unverbindlichen Verhaltenskodex für Lobbyismuszumuten wollen, der etwa die Modalitäten eines Wechselsoder den Umgang mit Lobbyisten definiert.

Die Vorgänge um Wiese Consult im Herzen der BerlinerMacht lassen unterdessen auch aktuelle Verbindungen desFirmenchefs in neuem Licht erscheinen. Denn auch zuamtierenden Parteifunktionären pflegt der Lobbyist engeKontakte, so zu Sigmar Gabriel. Und so ist man sich auch in

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Berlin manchmal ganz nah. Zum Beispiel bei jenerBuchvorstellung im März 2015, bei der Heino Wiese seineGäste in der prachtvollen russischen Botschaft begrüßte.Wirtschaftsminister Gabriel verlieh dem Abend Glanz. VorRusslands Botschafter Michailowitsch Grinin und vielenführenden Managern aus Deutschland und Russland, etwadem Statthalter von Gazprom in Berlin, Gazprom-Germania-Hauptgeschäftsführer Vyacheslav Krupenkov.

Just auf dem Höhepunkt der Krim-Krise hat Wiese damiteine ziemlich illustre Runde zusammengetrommelt. Wohlkaum jemand weiß an diesem Abend, dass ein paar Monatespäter ein ziemlich brisantes Geschäft über die Bühne gehensoll. Denn die Oldenburger EWE will nun auch noch Gazpromdessen Anteil am ostdeutschen Gasunternehmen VNGabkaufen. Wieder ein großer Deal. Wieder kein leichtesUnterfangen. Denn die Sanktionen gegen Russland haben dieStimmung mit Moskau drastisch verschlechtert. Der EWE-Plan aber lebt auch vom Gas aus Russland, mit dem VNGversorgt wird. Wirtschaftsminister Gabriel hat in diesenTagen Einfluss auf Wohl und Wehe dieser Branche.

Es wird ein Abend, der am Ende vielen Teilnehmern infragwürdiger Erinnerung bleibt. Auch weil sich VizekanzlerGabriel nicht etwa an dem Konflikt abarbeitet, sondern sichkaum eine Kritik am russischen Vorgehen erlaubt. Gabrielwünscht sich zudem eine Wiederbelebung des »PetersburgerDialogs«. Deutsche Nichtregierungsorganisationen hattenden 2014 wegen Repressalien der russischen Führung gegenzivilgesellschaftliche Organisationen abgesagt. »Die Stimmeder Zivilgesellschaft« hingegen sah Gabriel an diesem Abendaus dem neuen Russland-Buch sprechen, das er sehrempfehlen konnte. Auch eine handfeste Utopie hatte er in die

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russische Botschaft mitgebracht. Eine mit Mehrwert: Erträume von einem Freihandelsabkommen von Lissabon bisWladiwostok. Eine Idee, die vor einigen Jahren RusslandsPräsident Putin erstmals in Berlin ins Spiel gebracht hatte.Ein wirklich unabhängiger Auftritt des Wirtschaftsministers?

Die SPD-Granden und die Nähe zu Russland – einenatürliche Nähe oder das Ergebnis der Verquickungpolitischer und geschäftlicher Interessen? Ex-KanzlerSchröder hat sich in der jüngeren Vergangenheit jedenfallsmit Verve der fragwürdigen Aufgabe verschrieben, Russlandund seinen Präsidenten und Schröder-Freund Putin gegenviele Kritiker zu verteidigen. »Es gibt bestimmte Ängste inRussland, auf die ein russischer Präsident reagieren muss«,sagte Schröder noch im Mai 2015 der Bild-Zeitung.»Deswegen ist die Art und Weise, wie der Westen mitRussland umgeht, nicht immer richtig.« Auf die Frage, ob erPutin auch heute noch als seinen Freund bezeichnen würde,antwortete er mit: »Ja, sicher.«[47]

Putin belohnt solche Treue mindestens mit großemVertrauen. Dass mit Schröder ein deutscher Ex-Politiker soeffektiv in Russland vermitteln kann, gilt als förderlich für diedeutsche Wirtschaft. Es ist aber durchaus auch gut fürSchröder. Allein an der Spitze des Nord-Stream-Aufsichtsratsbekommt er eine Vergütung von 250000 Euro im Jahr. »Mirwar klar, dass ich meine in der Politik zusätzlich erworbenenKenntnisse nicht am Amtsgericht Hannover umsetzen kann,sondern besser in Form von Beratung an der Nahtstellezwischen Wirtschaft und Politik«, sagte Schröder einst demManager Magazin. Selbst Berater Wiese bemüht in seinemFirmenslogan die Schnittstelle zwischen Wirtschaft undPolitik.

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Politik als Wirtschaftssalon

Die Berliner Politik, so scheint es bisweilen, muss aufpassen,dass sie nicht zum Wirtschaftssalon verkommt. Einem, wie anjenem 11. März 2014. Gerade mal 100 Tage Regierungszeit,da lud die Wiese Consult GmbH zu einem GesprächskreisWirtschaft mit Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel.»Zum Thema ›Von der Energiewende bis zurAußenwirtschaft: Politische Schwerpunkte des BMWi in dennächsten vier Jahren‹ referierte Gabriel vor geladenenGästen aus Wirtschaft und Politik über anstehendeHerausforderungen und Chancen der deutschen Wirtschaft«,schwärmt man bei Wiese Consult selbst. Die Teilnehmerlistedes Abendsalons liest sich wie eine Kontaktbörse zwischenWirtschaft und Politik: Sigmar Gabriel, Jörg Asmussen,Beamteter Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeitund Soziales, der Honorarkonsul der Mongolei, MarcusReinberg, Hubertus Heil, stellvertretenderFraktionsvorsitzender der Bundestagsfraktion seiner Parteimit Zuständigkeit für die Themen Wirtschaft und Energie,Bildung und Forschung, Volkswagen-Cheflobbyist und Ex-Regierungssprecher Thomas Steg und natürlich gleichmehrere EWE-Manager, wie der damalige Vorstand HeikoSanders.

Wie nah bewegt sich die Spitze der Sozialdemokratie daan der Wirtschaft? Wie eng ist sie mit ihr verbunden?

Heino Wiese jedenfalls, der Lobbyist, ist nah dran. Ganznah. Als Wirtschaftsminister Gabriel am 13. Juli 2015 zueiner dreitägigen Reise nach China aufbricht, wird er nachAngaben seines Ministeriums nicht nur von Mitgliedern desdeutschen Bundestags begleitet, sondern auch von einer

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hochrangigen Wirtschaftsdelegation. Bei solchen Reisen sinddie Plätze meist hart umkämpft. Viele hochrangige Managerwollen mit, nicht alle finden Platz im Regierungsjet. Oft wirdhart ausgesiebt. Am Ende bleiben meist Vertreter großerKonzerne oder besonders hoffnungsvoller Start-ups im Tross.Diesmal dürfen gut 60 Manager mit, darunter etwaMittelstandspräsident Mario Ohoven. Und einer, dereigentlich nicht zu den ganz großen Repräsentanten derdeutschen Wirtschaft gehört: Heino Wiese. Für den ist dieReise eine gewaltige Chance. Denn er treibt gerade eindeutsch-chinesisches Projekt voran – in China. Es geht umden Bau einer Gesundheitsstadt in Yingkou im Nordosten desLandes für 260000 Menschen. Noch kurz vor Gabriels Reisehatte Wiese im Februar 2015 selbst eine Delegation ausNiedersachsen nach China organisiert. Angeführt wurdediese Mission übrigens von Ex-Kanzler Gerhard Schröder.

Der Draht ist eng. So eng, dass der Lobbyist im Ringen umMacht im Herbst 2015 einen so sensiblen wie inoffiziellenAuftrag aus der Parteispitze bekommen haben soll. Gabrielselbst soll den Abspeck-Genossen Wiese gebeten haben, derSPD für den nächsten Bundestagswahlkampf als Eintreibervon Geldern für die Wahlkampfkasse zu dienen. Ein Lobbyist,der mithilft, die Kassen der deutschen Sozialdemokratie zufüllen? Ein Politiker und ein Lobbyist, die sich gegenseitigfördern? Selbst Parteikollegen attestieren Gabriel wenigGefühl für Compliance-Regeln. Wiese hält sich in der Sachebedeckt. Gabriel lässt einen Fragenkatalog zu seinenKontakten unbeantwortet.

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Anwälte der Wirtschaft

Wiese, Alber & Geiger: die spezialisierten Lobby-Boutiquensind längst nicht mehr allein auf dem Markt der Macht-Kontakte. Vor allem ohne die Handwerker aus den Fabrikendes Rechts kommt heute beim Promoten der eigenenInteressen kein Konzern mehr aus. Egal ob Konflikte mit EU-Richtlinien, dem Kartellrecht, mit geplanten Vorgaben beimKlimaschutz oder in der Lebensmittelkontrolle – fast immersind inzwischen für die Wirtschaft auch spezialisierteGroßkanzleien am Werk, die den Weg aus kritischenSituationen weisen sollen. Sie beraten, antichambrieren,warnen oder klagen. Sie heißen Linklaters, Freshfields,Clifford Chance, Noerr oder Hengeler Mueller. Und sie sindinzwischen selbst ein florierender Wirtschaftszweig.

Allein die 100 größten Kanzleien in Deutschland kommenjährlich nach aktuellen Zahlen des InformationsdienstleistersJuve zusammen auf mehr als fünf Milliarden EuroJahresumsatz. Mandanten lassen sich den Einsatz derExperten so einiges kosten. Versierte Wirtschaftsanwälteberechnen schon mal 1000 Euro pro Stunde.

Mit kauzigen Typen wie »Liebling Kreuzberg« und mit denreinen Lobbyfirmen, die von einzelnen Kontakten leben,haben diese Kanzleien nichts zu tun. Ihre Angestellten sinddie besten Absolventen der Unis und lassen sich das auchbezahlen. Schon viele Einsteiger beginnen mit 100000 Euroim Jahr. Wer ein paar Jahre dabei ist, kann mit noch mehrrechnen. Die Anwälte arbeiten in Kanzleien mit hundertenKollegen und in Büros in den feinsten Lagen von Washington,

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Berlin, London oder Brüssel. Die Kanzleien profitieren davon,dass immer mehr Dinge des Lebens per Gesetz geregeltwerden. »Verrechtlichung« nennen das die Experten. Und sieholen das Beste für ihre Mandanten heraus. Auf allenEbenen.

Kritische Beobachter sehen genau das mit großer Sorge.Denn viele Gesetze sind längst so kompliziert, dass sie selbstdie Fachleute in den Ministerien überfordern, wo Gesetzeeigentlich mit neutralem Wissen entstehen sollen. Die Praxisist deshalb inzwischen oft eine andere. Nicht selten lagernMinisterien Teile der Gesetzeswerdung aus und beauftragengroße Kanzleien mit dem Ausformulieren der Paragraphen.

Mit der Transparenz um solche Aufträge ist es nicht weither. In der Regel hüllen sich Ministerien in Schweigen, wennes um die Details der Aufträge oder um die Höhe derHonorare geht. Beispiel Finanzministerium. Das Haus zahlteetwa von 2005 bis 2009 in der Amtszeit des damaligenMinisters Peer Steinbrück (SPD) etwa 1,8 Millionen EuroBeraterhonorar an die Kanzlei Freshfields BruckhausDeringer, einer fuhrenden Wirtschaftskanzlei furBankenrecht. Ans Licht kam die Summe nur durch eineKlage.

Schließlich ist Diskretion oberstes Gebot in diesem Metier.Das gilt auch für Alexander Glos, den Sohn des CSU-Politikers und ehemaligen Wirtschaftsministers Michael Glos.Der Top-Jurist mit Einser-Examen ist Partner bei FreshfieldsBruckhaus Deringer. Glos junior verfolgt wohl kaum eigenepolitische Ziele. Schon eher die Interessen seinerMandanten. Meistens kommen die aus der Finanzbranche.Doch manchmal klingelt auch die Politik durch. So wie in demFall aus dem Jahr 2008, als Glos und einige Freshfields-

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Kollegen den Auftrag bekamen, den Eilentwurf fur dasGesetz zur Finanzmarktstabilisierung – also zurBankenrettung – mit zu formulieren. Dass die Anwalte somithalfen, den Bankenrettungsschirm aufzuspannen, gilt nochimmer als fragwürdig. Denn Freshfields-Berater vertratenspater auch solche Geldinstitute, die vorubergehend Hilfeaus dem Fonds beanspruchten. Klar, dass man kompetentbeim Ausnutzen der Instrumente helfen konnte.

Für Aufsehen sorgte nur zwei Jahre später ein weitererFall von »Outsourcing«. Der damaligeBundeswirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg(CSU) hatte die Großkanzlei Linklaters an einem Entwurf fürdas »Gesetz zur Ergänzung des Kreditwesengesetzes«arbeiten lassen. Der Verwaltungsrechtler Prof. Dr. UlrichBattis ärgerte sich im Zusammenhang mit diesem Auftragüber eine »Bankrotterklärung des Wirtschaftsministeriums«,das sich trotz 1800 Mitarbeitern in der heiklen Frage nochSachverstand von außen geholt habe.[48]

Schließlich wirft diese Form der Privatisierung einer derzentralsten Aufgaben von Parlament und Regierung auchpolitische Fragen auf. Nicht nur, ob die hohen Honorareihren Preis wirklich wert sind und ob die Kompetenz in denMinisterien nicht ausreicht. Sondern auch die, welcheRisiken damit verbunden sind, das Ausarbeiten vonGesetzesentwürfen oder wenigstens Teilen davon, anFachkräfte auszulagern, die nicht allein per Gesetz demGemeinwohl verpflichtet sind. Wie groß ist das Einfallstor fürLobbyismus für solche Kanzleien, die gleichzeitig Mandantenjener Branchen vertreten, die Gesetze in Schranken weisensollen?

Zumal manche Kanzlei ganz offensiv auch Lobbydienste

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anbietet. Beispiel: ausgerechnet die Großkanzlei Freshfields.Unumwunden wirbt die Kanzlei mit politischen Eingriffen umKunden. »Unser Public-Affairs-Arm in Berlin bietet eineumfangreiche Bandbreite an Dienstleistungen an, die es unsermöglicht, Kunden strategische Politikberatung undUnterstützung beim Formen der Gesetzgebung undadministrativer Entscheidungen auf (lokaler wie auch auf)nationaler Ebene anzubieten. Wir stehen in ständigemAustausch mit den verantwortlichen Akteuren im politischenMeinungsbildungsprozess und werden als kompetenteGesprächspartner in der Hauptstadt ebenso geschätzt wie inden Ländern oder vor Ort in Städten und Gemeinden. Sokönnen wir jederzeit die richtigen Ansprechpartner auf allenpolitischen Ebenen vermitteln, Gespräche organisieren und –wenn nötig – professionell begleiten.« Zur Erinnerung: Esgeht um jene Spitzenkanzlei, die in der Ausarbeitung desGesetzes zur Bankenrettung aktiv wurde – und immer wiederauch von Banken wie Deutschlands Marktführer DeutscheBank mit Aufträgen bedacht wird.

Welche Kanzlei an welchem Gesetz mitarbeitet –nachverfolgen lässt sich das in der Regel nicht.Organisationen wie Transparency International machen sichdeshalb für die Einführung einer legislativen Fußspur stark.Das Ziel: eine amtliche Dokumentation aller an den Gesetzenbeteiligten Kanzleien und Berater.

Dass Kanzleien einen Großteil des Geschäfts übernehmen,das Lobbyisten für sich reklamieren, führt inzwischen zueinem skurrilen Streit in Brüssel. Denn dort bekämpfen sichdie beiden Gruppen, die das Lobbygeschäft heute prägen,inzwischen gegenseitig. Die Lobbyfirmen kämpfen nicht ganzuneigennützig für eine Reform der Lobbyregulierung nach

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US-Vorbild. Denn dort wird Kanzleien, die auch lobbyieren,das Recht genommen, ihre Klienten vertraulich zubehandeln. Experten erwarten, dass die Kommission einenöffentlichen Beratungsprozess startet, wie die Regelnverschärft werden können. Mehr Transparenz war eines derzentralen Versprechen in der Kampagne zur Wahl des EU-Kommissionspräsidenten von Jean-Claude Juncker 2014.Damit wäre ein großer Vorteil der Kanzleien dahin. DennLobbyisten, die hochrangige Offizielle der Kommission treffenwollen, müssen ihre Klienten in ein Transparenzregistereintragen, eine Datenerhebung von Kommission und EU-Parlament. Anwälte, die auf EU-Ebene lobbyieren, musstendies bislang nicht. Es scheint allerdings einigermaßenunwahrscheinlich, dass am Ende wirklich wirksameTransparenz steht, wenn zwei mächtige und auf Diskretionbedachte Lobbygruppen aufeinander losgehen.

Für Organisationen wie Transparency International ist dasohnehin nur eines von vielen kritischen Feldern. EU-Regelngegen Korruption gebe es zwar, doch diese würden oft nichtumgesetzt, analysiert die Organisation in einer Studie. Sokritisiert Transparency unter anderem, dass die Erklärungenüber Nebeneinkünfte der Europaparlamentarier nichtkontrolliert würden. Es mangele auch noch immer am Schutzfür »Whistleblower«, Hinweisgeber aus dem Inneren desApparats. Ganz allgemein reiche nicht aus, was Brüssel demausufernden Lobbyismus entgegensetze, sagt der Leiter derStudie Mark Perera bei deren Vorstellung in Brüssel.

Die EU-Institutionen machten zwar viele Dokumente undInformationen aus ihren Entscheidungsprozessen öffentlichzugänglich, vor allem das EU-Parlament. Viele wichtige

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Verhandlungen liefen aber auch noch immer hinterverschlossenen Türen ab. Das betreffe insbesondere diesogenannten Triloge, also jene diskreten Unterredungenzwischen Vertretern von EU-Parlament, Rat und Kommission,die bei Gesetzgebungsvorhaben das entscheidende Glied inder Kette sind. Allein in der vergangenen Legislaturperiodehabe es mehr als 1500 »Triloge« gegeben. Doch mitunter seinicht mal mehr zu eruieren gewesen, an welchen Daten sichdie Vertreter der Institutionen zusammengesetzt hatten,klagte Perera.

Wer die Aktivitäten dieser Lobbyfirmen in Deutschlandüberwacht? Wer immer wieder vor ihrer wachsenden Machtwarnt? Von den noblen Lobbyfirmen in Berlin-Mitte ist daskleine Büro am Schiffbauer Damm in Berlin so weit entferntwie Lobbyisten von echter Transparenz. Kein Marmor, keinSandstein, kein Vitra oder USM. Kiefer-Schreibtische, einFlur in einem Plattenbau, ein paar hundert Euro Miete. Dasgute Gewissen leistet sich ein paar Ikea-Klappstühle fürBesucher. Mehr ist nicht drin. Außer den Aktivisten vonLobbyControl gibt es kaum eine andere Adresse, die sobeständig bei versteckter Einflussnahme auf die Hygiene inden Regierungsvierteln der Republik achtet. Doch auchCampaigner Timo Lange weiß, dass dem Einfluss seinerOrganisation Grenzen gesetzt sind. »Beobachten,brandmarken – mehr geht oft nicht«, sagt Lange und ist sichsicher: »Viele Türen bleiben auch für uns verschlossen.«

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5 Verraucht

Der erbitterte Kampf derTabakindustrie gegen besseren

GesundheitsschutzEs war eine der größten und erbittertstenLobby-Schlachten der vergangenen Jahre:

Hunderte Söldner schickten dieTabakkonzerne los, um schärfere

Raucherschutzgesetze zu verhindern. DieKriegskasse war prall gefüllt, kein Mittel

war ihnen zu schmutzig, um Politiker auchpersönlich unter Druck zu setzen.

Auf der Weihnachtskarte ist das Bild eines Schoko-Weihnachtsmannes. »Schokolade fördert Karies« steht alsschwarz gerahmter Warnhinweis auf dem Nikolaus, genauso, wie auf Zigarettenschachteln vor den Gefahren desRauchens gewarnt wird. Daneben wünscht Reemtsma froheWeihnachten und ein erfolgreiches neues Jahr. »Uns allenwünschen wir eine Zukunft, in der wir auch ohneBevormundung durch die EU selbst bestimmen, was wirgenießen wollen und was nicht – egal, ob es um Schokoladegeht, um Cigaretten oder um unsere Entscheidungsfreiheit«,steht da. Eine hintersinnige Anspielung. Reemtsma ist miteinem Marktanteil von etwa einem Viertel der zweitgrößte

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deutsche Tabakanbieter, mit Zigarettenmarken wie PeterStuyvesant, Gauloises, West oder John Player Special. Seit2002 gehört das Hamburger Unternehmen zur britischenImperial Tobacco Group, einem der größten Tabakkonzerneder Welt.

Lothar Binding fand den Weihnachtsgruß alles andere alslustig. Er sei typisch für eine »hinterhältigeMarketingstrategie«, schrieb der SPD-Bundestagsabgeordnete in einem offenen Brief an dasUnternehmen.[49] »Sie stellen ironisierend einenZusammenhang zwischen Schokolade und Nikotin bzw.krebserregenden Stoffen und dem schwergesundheitsschädigenden Rauchen her.« Und weiter: »Siewollen Ihr Produkt verharmlosen und die Betroffenen aufeine schier aberwitzige Art und Weise verhöhnen.«Krebskranke Menschen zum Beispiel und deren Angehörige.

Viele Abgeordnete von Bundestag und Europaparlamenterhielten jahrelang zu Weihnachten und anderen Anlässenimmer wieder solche zweideutigen Glückwunschkarten undGeschenke der Zigarettenindustrie. Eine Flasche Rotwein mitSchock-Aufkleber und der Warnung »Drinking can causecancer« zum Beispiel. Oder eine Karte mit einem dickenMännerbauch auf dem Foto. »Zu viel Kuchen macht dick«stand daneben. Die Gaben waren stets verbunden mit demWunsch auf eine Zukunft, »in der wir ohne Bevormundungselbst bestimmen können, was wir genießen oder nicht«.

Rauchen also als ein Symbol der Freiheit? Tabaklobbyistenals Freiheitskämpfer? Edle Streiter, die sich für Liberalismusim besten Sinne und die Interessen der Allgemeinheiteinsetzen? Selbstlos und allein dem Allgemeinwohlverpflichtet? Nicht Konzernen und deren Profit dienend?

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Der Abgeordnete Lothar Binding hat mit dem Berufsstandim Lauf der Jahre seine eigenen Erfahrungen gemacht unddaraus ein klares Bild entwickelt: »Lobbyisten geht es stetsdarum, gesellschaftliche Interessen durchzusetzen – dieInteressen ihrer Gesellschaft.«[50]

Rauchen ist ein Megageschäft. Für die Hersteller undHändler, ihre Zulieferer, aber auch für den Staat. Von 700Milliarden Euro jährlichem Umsatz mit Rauchwaren weltweitist die Rede. Statistisch werden in Europa jede Viertelstunde17,5 Millionen Zigaretten gequalmt, was den vier größtenTabakkonzernen in diesen 15 Minuten fast 230000 EuroGewinn beschert.[51] Die Bundesbürger gaben allein von Aprilbis Juni 2015 einer Erhebung des Statistischen Bundesamteszufolge 6,5 Milliarden Euro für Zigaretten, Zigarillos,Zigarren, Feinschnitt- und Pfeifentabak aus, 4,1 Prozentmehr als im selben Quartal des Vorjahres.[52] Der Staatkassierte im selben Jahr 14,61 Milliarden Euro Tabaksteuer.Allein mit Zigaretten setzte die Zigarettenindustrie 2014 inDeutschland etwa 20,5 Milliarden Euro[53] um. Den Markthierzulande bestimmen die Tabakriesen Philip Morris, diedeutsche Imperial-Tobacco-Tochter Reemtsma, sowie BritishAmerican Tobacco. Die drei Konzerne machen zusammenmehr als 80 Prozent des Geschäftes.

Das ist die wirtschaftliche Seite. Die andere: Rauchenmacht süchtig, ist hochgradig gesundheitsschädigend,fördert Herz-und-Kreislauf-Erkrankungen, Lungenleiden undKrebs. Jährlich sterben nach Erkenntnissen derDrogenbeauftragten der Bundesregierung allein inDeutschland etwa 110000 Menschen an den direkten Folgendes Tabakgenusses, weitere 3300 Todesfälle sind aufPassivrauchen zurückzuführen.[54] Das sind etwa 30-mal

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mehr Menschen, als bei Verkehrsunfällen hierzulandesterben. Karl-Heinz Florenz, CDU-Europaabgeordneter vomNiederrhein, macht eine weitere Rechnung auf: »Jeden Tagsterben 300 Raucher. Um weiter genauso viele Zigaretten zuverkaufen wie bisher, muss die Tabakindustrie also täglich300 Nichtraucher vom Rauchen überzeugen.«

Dafür tut sie einiges. Schließlich kommen, hoherTabaksteueranteil hin oder her, beim Verkauf Unmengen vonGeld rein, um es in Werbung, Marketing und Lobbyisten zuinvestieren. Der Werbeaufwand der Nikotinindustrie istimmens. Rauchen wird dabei als Ausdruck von Freiheit,Gemütlichkeit und Geselligkeit und als Attribut derErfolgreichen dargestellt. Dabei sind es oft genug eher sozialschwache Kreise, die zur Zigarette greifen. ZumWeltnichtrauchertag 2010 warnte die WHO, dieTabakkonzerne würden Rauchen verstärkt als glamourös undsexy darstellen, um vor allem junge Frauen zu ködern.

Frauen werden aber auch anderweitig umworben. Ihnensoll das Gefühl vermittelt werden, in Philip Morris zumBeispiel einen starken Partner an der Seite zu haben undkeinen Hersteller einer gesundheitsgefährdenden Droge. DerUS-Marktführer finanziert seit Jahren Projekte gegenhäusliche Gewalt an Frauen und Kindern von Lettland bisSpanien und von den USA bis Japan. Ob Unterkünfte oderRechtsberatung für misshandelte Frauen oder finanzielleNothilfeprogramme für Kinder – so viel soziales Engagementmag löblich sein, doch steckt dahinter ein handfestesökonomisches Ziel: Es soll Philip Morris und der ganzenNikotinbranche in der Öffentlichkeit ein positives Imageverpassen.

Weit höher als alle sozialen Ausgaben ist freilich der

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Aufwand für Werbekampagnen. Und für Lobbyisten. DieBranche beschäftigt Heerscharen davon. NeunTabakkonzerne und 22 Lobbyorganisationen sind nachAngaben der Nichtregierungsorganisation Corporate EuropeObservatory (CEO) in Brüssel registriert, am Sitz von EU-Kommission und EU-Parlament. Sie beschäftigen ständigetwa 100 Interessenvertreter, die pausenlos die Beamtenund Politiker der EU im Sinne ihrer Auftraggeber bearbeiten.Die Nikotin-Söldner in Europas Hauptstadt verteilen sich aufVertretungen der einzelnen Konzerne, auf Dach- undInteressenverbände der Tabakbranche und auf kleine,wendige Agenturen und Kanzleien, die oftmals nurEinmannbetriebe sind. Ihnen allen stehen nach Schätzungendes CEO jährlich 5,3 Millionen Euro Budget zurVerfügung.[55] Allein der Lobby-Etat der Brüsseler Vertreterdes amerikanischen Branchenführers Philip Morris belief sich2011 angeblich auf 1,125 Millionen Euro.

Wenn es sein muss, füllen die Tabakkonzerne ihreKriegskassen noch üppiger, werden noch mehr Lobby-Soldaten rekrutiert und in die Schlacht geworfen. Manchemdieser Krieger scheint nahezu jedes Mittel recht, auchmassive und fragwürdige Methoden der Einflussnahme. Daszeigten die vergangenen Jahre, als in Brüssel die neue EU-Tabakrichtlinie beraten und beschlossen wurde. Eine EU-weite Vorgabe also, die von den Mitgliedsstaaten derEuropäischen Union in deren jeweiliges nationales Rechtumgewandelt wird, mithin also Gesetz wird.

Die EU-Tabakrichtlinie definiert die geltendenRahmenbedingungen für den Verkauf von Rauchwaren. Sieerlaubt oder verbietet bestimmte Formen vonTabakwerbung, legt Größe und Optik der Warnhinweise auf

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den Verpackungen fest. Aus der Sicht der Konzerne bedeutetdies: Es geht um Milliardeneinnahmen. Die kleinsteÄnderung der Tabakrichtlinie zuungunsten der Herstellerkann deren gewaltige Gewinne schrumpfen lassen. Und esgeht bei alldem um gesellschaftliches Klima: ob etwaRauchen als lässiger Ausdruck cooler Cowboy-Freiheit giltoder ob es stigmatisiert, ja geächtet wird. Denn Image undGeschäft hängen in diesem Gewerbe untrennbar zusammen.Und diesmal drohte besondere Gefahr.

Im Sommer 2010 machten von der EU-Kommissioneingesetzte Sachverständige Vorschläge, die in denChefetagen der Zigaretten-Multis sämtliche Alarmglockenschrillen ließen. Die Experten schlugen vor, die EU solle sichan Australien orientieren und nur noch den Verkauf vonZigaretten in neutralen Schachteln ohne Firmenlogoerlauben. All die schönen, mit Milliardenaufwand in die Köpfeder Konsumenten gepaukten Markenzeichen und -symbole,um die herum so hübsche PR-Botschaften von Freiheit undAbenteuer entworfen wurden, das Marlboro-Dreieck und dasCamel-Kamel, der Gallier-Helm bei den Gauloises und dasPhilip-Morris-Wappen – alles von heute auf morgen verbotenund Geschichte?

Es drohte sogar noch mehr Ungemach. Bis zu 75 Prozentder Zigarettenschachteln sollten nach dem Willen vonNichtraucherschützern in der EU künftig mitabschreckenden Fotos von verkrebsten Lungen, faulendenZähnen oder hässlich gammeligen Raucherbeinen bedrucktwerden. Ein Verbot der ultradünnen Slim-Zigaretten standim Raum, weil diese nach Ansicht von Kritikern speziellMädchen und junge Frauen zum Rauchen verführen. DenManagern der Tabakkonzerne war schnell klar: Sie mussten

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gegen all diese Pläne etwas tun.

Damit begann ein Lobby-Krieg um die EU-Tabakrichtlinie,der auch ein tauglicher Beweis dafür ist, wie am Endepolitischer und parlamentarischer Prozesse allzu oftAllgemeininteressen wie Gesundheits- undVerbraucherschutz zugunsten von Profitinteressenzurückstecken müssen oder ganz auf der Strecke bleiben.Ganz einfach, weil die Kräfte ungleich verteilt sind.

Das Ringen um die EU-Richtlinie zeigt exemplarisch, wieprofessionell und rücksichtslos mächtige Konzerne undWirtschaftsverbände ihre Bataillone auf EU-Beamte undPolitiker ansetzen, die mit der Gesetzgebung handwerklichbetraut sind. Die Entstehung der neuen EU-Tabakrichtlinie,schrieb Cerstin Gammelin, langjährige Brüssel-Korrespondentin der Süddeutschen Zeitung, sei aber auch»ein Paradebeispiel dafür, wie in Europa Regeln für 506Millionen Bürger entstehen«.[56] So gesehen muss OttoNormalbürger himmelangst werden.

Karl-Heinz Florenz hat an vorderster Front gekämpft. DerKaufmann und Landwirtschaftsmeister mit eigenemBauernhof vertritt seine niederrheinische Heimat seit 1989als Abgeordneter der CDU im Europäischen Parlament. Dorthat sich Florenz, Jahrgang 1947, als Gesundheits- undUmweltpolitiker einen Namen gemacht. Der verheirateteFamilienvater und passionierte Reiter ist ein zupackenderund bodenständiger Mann. »Ab und zu rauche ich selbst eineZigarre«, sagt er.[57] Aber alles in Maßen.

Es sind vor allem die Chemikalien in den Zigaretten, denenFlorenz den Kampf angesagt hat. 60 Substanzen würden

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unter anderem dafür sorgen, dass jede Zigarette einerMarke immer gleich schmecke, obwohl der Grundstoff Tabak,wie jedes Naturprodukt, nie gleichbleibend identisch sei imGeschmack, klärt Florenz auf. Weil aber niemand weiß, wiediese Chemikalien beim Abbrennen und vor allem beimInhalieren im menschlichen Körper reagieren, wollte Florenzentsprechende Untersuchungen – und in der neuenTabakrichtlinie ein Chemieverbot für Glimmstängel. Fortanmachte er seine ganz eigenen Erfahrungen mitTabaklobbyisten und deren Methoden.

Den Streit um diese EU-Richtlinie muss man sich alsgroßes Machtspiel vorstellen. Als Erstes erhöhten dieKonzerne den Einsatz kräftig. Mehrere Hundert Lobbyistenwaren in Hochzeiten unterwegs, um Einfluss auf die neueRichtlinie zu nehmen, Politiker und Beamte entsprechend zupenetrieren. Allein Philip Morris schickte mehr als 160 Leutelos. In einer ersten Phase spielten sie detailliert denkompletten Prozess durch, den die neue Richtlinieparlamentarisch und in den EU-Institutionen durchlaufenwürde. »In diesem Planspiel wurden alle möglichenAbstimmungsergebnisse simuliert«, schildert Florenz. Undjeweils die aus der Sicht der Industrie »richtigen«Reaktionen darauf festgelegt. In zig Varianten. Argumentewurden aufgelistet und Schlachtpläne für alle nurerdenklichen Szenarien entworfen. Dann folgte der Theoriedie Praxis.

Die Journalistin Cerstin Gammelin rekonstruierte, wieTabaklobbyisten über Monate hinweg die verschiedenen EU-Felder beackerten, um den Entwurf der neuen EU-Tabakrichtlinie in ihrem Sinne zu beeinflussen. Ihr ersterAnsatzpunkt waren die Beamten der EU-Kommission. Jene,

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die mit dem Ausformulieren der ersten Gesetzesentwürfebefasst sind. Man muss wissen: Im Geflecht der EU-Institutionen darf nur die Kommission Gesetze vorschlagen.Danach waren die Politiker dran. Das Ziel der Lobbyisten warauf beiden Ebenen klar: Alles verhindern, was Rauchenunattraktiver machen könnte.

Dazu bauten sie massiven Druck auf. »Intrigen, heimlicheEinflussnahme, offener Druck – die Lobby hat nichtsausgelassen«, beschreibt der in Brüssel gut verdrahteteJournalist Claas Tatje[58] einen »Feldzug ohnegleichen«.Abgeordnete und andere Funktionsträger nicht nur auf EU-Ebene wurden massiv bearbeitet und bedrängt. Sie erhieltenmassenweise Briefe, in denen eindringlich an sie appelliertwurde. Tatje zitiert aus einem Protokoll von Business Europe,einem europäischen Arbeitgeber-Lobbyverband, dessen 1200Mitarbeiter pausenlos Entwürfe für Richtlinien, Gesetze undProgramme der EU dahingehend durchforsten, wo manEinfluss nehmen sollte. Nach Möglichkeit, so heißt es inbesagtem Protokoll, müsse die Lobbyarbeit in SachenTabakrichtlinie so gestaltet werden, dass »Kommissare oderKabinettsmitglieder erreicht« werden. Ganz oben also.

Die Grünen im Deutschen Bundestag fanden über eineparlamentarische Anfrage später heraus, dass sich im Zugeder Beratungen über die neue EU-VerordnungTabaklobbyisten binnen 15 Monaten auch 12-mal mitStaatssekretären der deutschen Bundesregierung getroffenhaben. Hinzu kam eine unbekannte Zahl an Treffen mitFachleuten und Referenten aus den Ministerien. Vertreterdes Branchenführers Philip Morris haben sich einem Berichtder Nichtregierungsorganisation CEO zufolge mit 233Europaabgeordneten mindestens einmal getroffen.[59]

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Pausenlos wurden die Abgeordneten mit Geschenken,Warnungen und Positionspapieren überhäuft. Es gabHintergrundgespräche und andere Einladungen – Lobbyistensollen Parlamentarier sogar beim sonntäglichen Kirchgangangesprochen und bedrängt haben. Sie gingen gezielt auchranghöhere Politiker in den Parteien an, auf dass diese dietabakkritischen Abgeordneten in den eigenen Reihen inSchach halten oder umstimmen. Schließlich hinterlässt derein oder andere Fingerzeig von oben durchaus Wirkung.Denn auch Politiker wollen Karriere machen.

Die Lobbyisten gingen noch weiter. Sie definierten gezieltAbgeordnete, die nicht tief in der Rauch-Materie stecken,daher mutmaßlich leicht zu beeinflussen und für dieInteressen der Raucherindustrie einzuspannen sind.Änderungsanträge wurden vorformuliert, die manwillfährigen Politikern unterschieben wollte.

Allein der deutsche FDP-Europaabgeordnete HolgerKrahmer brachte im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens 36Änderungsanträge ein, die einer Auswertung derlobbykritischen Organisation CEO zufolge frappierendeÜbereinstimmungen mit Positionspapieren derTabakindustrie aufwiesen. Den Vorwurf, einparlamentarischer Handlanger der Nikotin-Lobby zu sein,wies Krahmer jedoch weit von sich: »Ich nehme meinWahlmandat ernst, habe eine eigene Meinung und leide nichtunter Fremdbestimmtheit irgendeiner Lobby.«[60] Allerdings,so der Abgeordnete weiter, sei etwa bei den geplantenSchockbildern auf Zigarettenpackungen schon »die Frage zustellen, ob sie nicht eher die Vermarktung der Produkteerschweren sollen«. So etwas sähe er dann schon skeptisch.

»Der Lobbyist kommt nicht plump daher mit dem

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Vorschlag: Schreiben Sie das Gesetz mal so oder so fürmich«, sagt der Bundestagsabgeordnete Binding.[61] »Nein,er gibt den Anstoß für eine schon lange vorbereiteteErkenntnis zu einem Zeitpunkt, von dem er glaubt, es gäbepraktisch kaum noch Möglichkeiten, alle Aspekte kritisch zuhinterfragen. Er triggert lange eingeübte Denk- undSprachmuster.«

Was das konkret bedeuten kann, erfuhren BindingsKollegen aus dem europäischen Parlament hautnah. DieTabak-Lobbyisten erstellten ein 160 Seiten umfassendesDossier über die 765 EU-Parlamentarier, das nicht nur derenKurzbiografien enthielt. Die Politiker wurden auch einzelnklassifiziert, in Freund und Feind eingeteilt und etwaigeSchwächen als Ansatzpunkte definiert. Christina Berndt,Ärztin und Wissenschaftsredakteurin der SüddeutschenZeitung, konnte die entsprechenden, geheimen Papiereeinsehen und anschließend beschreiben. Demnach enthieltdas Dossier auch »explizite Angaben zum beruflichenHintergrund« der Abgeordneten, vor allem dann, wenndieser relevant für das Thema Tabak ist: »Abschluss inWirtschaftswissenschaften, spezialisiert aufKrankenversicherungsfonds«, steht da zum Beispiel, oder»besaß einmal ein Restaurant«. Ein »niedrig« oder »hoch«zeigt an, welche Priorität Gespräche mit dieser Person fürPhilip Morris haben. Und Farben signalisieren, wie derKonzern die Haltung des Abgeordneten in Sachen Tabak undTabakkontrolle einschätzt.«[62]

»In Fußnoten stehen mitunter süffisante Kommentare«, soBerndt weiter. »Über Franzosen heißt es zum Beispiel: DerKontakt mit ihren Assistenten ist der Schlüssel« oder »sehrunterstützend – empfänglich für das Argument vom

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Bevormundungsstaat – wird eine positive Botschaft an F.Grossetete übermitteln«. Über die konservative PolitikerinFrançoise Grossetete selbst ist zu lesen, sie sei »eineglühende Gegnerin der Tabakindustrie«. Es bestehe die»Notwendigkeit, ihr Potenzial in Anti-Tabak-Initiativen genauzu beobachten«.[63]

Wer nicht im Sinne der Tabakindustrie tickt, dessen Namewurde in dem Dossier rot markiert. So auch der desnordrhein-westfälischen CDU-Gesundheits- und -Umweltpolitikers Karl-Heinz Florenz. Er hat erlebt, dass esnicht bei der Klassifizierung von Abgeordneten auf demPapier blieb. »Anschließend hat man sich überlegt und Plänedafür ausgearbeitet, wie man solche Leute wie mich politischisolieren kann«, erzählt der Christdemokrat.

Also wurden auch im Hintergrund Kräfte gegen ihnmobilisiert. Plötzlich musste der Abgeordnete auch in seinemHeimat-Wahlkreis und in der nordrhein-westfälischen CDUFragen dergestalt über sich ergehen lassen, warum er denneine so industrie-, überhaupt wirtschaftsfeindliche Politikbetreibe? Wo es doch um Arbeitsplätze gehe! Plötzlichmusste Florenz, der mit seiner Familie selbst mehrerelandwirtschaftliche Unternehmen betreibt, sich sogar denVorwurf gefallen lassen, er sei ein Gegner der Industrie.

Den Lobbyisten gelang es, auch die Vertreter andererBranchen und wirtschaftlicher Organisationen für ihre Zieleeinzuspannen. Die Hersteller von Maschinen oderVerpackungen etwa, zu deren Kunden auch Tabakherstelleroder -händler gehören. Allen voran aber auch dieRepräsentanten der deutschen Hotellerie und Gastronomie.Die wichtigsten Industrieverbände Europas einigten sichdarauf, die Nikotinbranche nicht allein kämpfen zu lassen,

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sondern auch ihre Truppen gegen die Tabakrichtlinie inMarsch zu setzen. Sogar Gewerkschafter machten mit.

In der Folge bekam nicht nur der Abgeordnete Florenz ausallen möglichen politischen und gesellschaftlichen Eckenimmer mehr empörte Briefe mit dem Tenor, er möge sichdoch nicht so sehr gegen die Richtlinie stemmen undstattdessen lieber an die Arbeitsplätze denken. Wohlwissend, dass alle Parteien von ihren Abgeordneten auchWohlverhalten und diszipliniertes (also einheitliches)Abstimmen erwarten, beackerten die Lobbyisten auch dieParteifreunde. Aus der Spitze seines CDU-Landesverbandesmusste sich Florenz die vorwurfsvolle Frage anhören, warumer sich den Gesprächsanfragen der Tabakbranche verweigerthabe? »Dabei hat es solche Anfragen gar nicht gegeben,denen ich mich verweigert haben sollte«, so Florenz.

»Die Lobbyisten haben sehr strategisch gearbeitet«, sagter rückblickend. »Sie haben Halbwahrheiten über mich undmeine Arbeit verbreitet und ich geriet plötzlich selbst inmeiner eigenen politischen Familie unterRechtfertigungsdruck.« Auch im Parlament gab esorganisierten Gegenwind für den Gesundheitsschützer vomNiederrhein und seine Mitstreiter. Wann immer sich einervon ihnen mit kritischen Beiträgen gegen die Tabakindustrieund ihre Lobby zu Wort meldete, standen andereAbgeordnete auf, die ihm heftig widersprachen.Abgeordnete, die sich bis dahin beim ThemaNichtraucherschutz nicht hervorgetan hatten, mischtenplötzlich eifrig in den Debatten mit. Meistens mitArgumenten, die Florenz und seinen Mitstreitern ausEinlassungen der Tabakfirmen ziemlich bekannt vorkamen.

Eines Tages sah sich Florenz neuen wütenden Angriffen

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ausgesetzt, weil er angeblich auch die E-Zigarette verbietenwolle. »Dabei stimmte das gar nicht. Ich wollte nur, dass diein E-Zigaretten verwendeten Stoffe vorher geprüft undoffiziell zugelassen sein müssen.« Denn vielfach kämen dieSubstanzen, die Raucher anstelle von Nikotin in E-Zigaretteninhalieren, »aus chinesischen Hinterhoffabriken«. Florenzsagt, es gehe ihm nur darum »Zulassungsregeln einzuführen,wie sie heutzutage für jedes Bügeleisen gelten«. Dafür wurdeer rüde attackiert. Übrigens auch von Wissenschaftlern, dieauf der Seite der Tabakbranche unterwegs sind.

Auch Lothar Binding, der Heidelberger SPD-Bundestagsabgeordnete, kennt solche Methoden.»Hauptelemente dieses Lobbyismus sind die Übertreibung,die übertriebene Zuschreibung von Verantwortung und dieDrohung«, schreibt er.[64] »Oft muss als letztes Argument dieBedeutung der Arbeitsplätze herhalten – selbst dort, womühelos Arbeitsplätze vernichtet werden, wenn es demAktienwert oder der Dividende eines Konzerns hilft, oder inBranchen, in denen vergleichsweise wenige Arbeitsplätzehohe Gewinne erzeugen, die in die Taschen weniger fließen.«Strategie der Tabaklobby sei es, »nicht nur von derGefährlichkeit ihrer Produkte abzulenken, sondern auch dieDiskriminierung ihrer Kritiker gleich mitzuliefern«.

Wer das Rauchen bekämpft, wird schnell lächerlichgemacht. Die Nachrichtenagentur dapd zitierte imSeptember 2010 aus internen Papieren der Raucherlobby.Das »Image der Tabakfamilie«, so hieß es dort, müssefolgende Attribute vermitteln: »objektiv, nüchtern, rational,tolerant, professionell«. Den Anti-Rauchern müsste manhingegen möglichst folgende Eigenschaften zuschreiben:»unsachlich, fanatisch, emotional, dilettantisch«.[65] In

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Hintergrundgesprächen mit Politikern sollen Lobbyisten ihreGesprächspartner ernsthaft gefragt haben, ob diese es dennbefürworten würden, wenn bei Fischgerichten vor Grätengewarnt würde. Am Ende hätte immer dieselbe Fragegestanden, so FAZ-Autorin Lydia Rosenfelder: »Macht esIhnen Spaß, in einer so reglementierten Gesellschaft zuleben?«[66]

Abgeordnete, die trotzdem bei ihrer kritischen Liniebleiben, müssen mit massivem Gegenwind rechnen.Sozialdemokrat Binding etwa erinnert sich gut an jene 1000E-Mails, die ihm 2006 von heute auf morgen denelektronischen Briefkasten verstopften. AngeblicherAbsender: »22 Millionen Tabakfreunde«. So viele Rauchersoll es offenbar in Deutschland geben. Was war der Anlassfür die Spam-Attacke? Der Abgeordnete Binding hatte esgewagt, einen Antrag im Bundestag einzubringen mit demZiel, Rauchen unter anderem in öffentlichen Gebäuden undVerkehrsmitteln zu verbieten.

Für Karl-Heinz Florenz, den altgedienten Parlamentarieraus Neukirchen-Vluyn, hat Lobbyismus beim Kampf um dieEU-Tabakrichtlinie generell eine neue Dimension erreicht.»Seine Qualität ist anders geworden«, sagt er. Soll heißen:professioneller, massiver, schranken- und rücksichtsloser.»Dieser Lobbyismus ist Lepra für die Demokratie«, warnt derCDU-Mann. »Er ist gefährlich für die Demokratie, weil er dieDemokratie untergräbt.« Rebecca Harms, Florenz’Parlamentskollegin von den Grünen, sieht »das Primat derPolitik gefährdet«, wenn das Vorgehen der Nikotin-Lobby beider EU-Tabakrichtlinie Schule machen sollte. Mit anderenWorten: Der politisch-parlamentarische Prozess wirdausgehebelt, die Demokratie untergraben.

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Im Gegensatz dazu argumentieren Lobbyisten gerne, sietäten doch nur, was zu tun das Recht, ja fast sogar diestaatsbürgerliche Pflicht aller sei. Nämlich Sichtweisen,Fachwissen und Argumente bei Entscheidungsträgernanbringen und damit Kompetenz in den politischen Prozesseinspeisen. Ihr Einfallstor? »Abgeordnete sind in der RegelLaien auf den Gebieten, für die sie Gesetze verabschiedensollen«, bekennt der Grünen-Europaabgeordnete SvenGiegold offen.[67] »Die Unternehmen nutzen diesesInformationsgefälle knallhart aus, um sie nach allen Mittelnder Kunst zu beeinflussen.« Und sie argumentieren dabeischeinbar arglos, ihr Tun wäre schließlich in einemdemokratischen System nicht nur völlig legitim, sondernsogar wünschenswert und im Interesse aller. Weil diePolitiker doch anschließend auf breiter Faktengrundlageentscheiden könnten. Soweit die hübsche Theorie.

Der Kampf um die Tabakrichtlinie zeigte jedochexemplarisch, wie es wirklich zugeht, wenn Lobbykraten stattDemokraten am Werk sind: solche mit vielen Ressourcen, vorallem also mit viel Geld. Weil sie weitaus wirkmächtiger inder Lage sind, Politik, Gesellschaft und die breiteÖffentlichkeit zu beeinflussen und zu manipulieren, ist es einungleicher Kampf, bei dem meist das Allgemeinwohl verliert.

Und bei dem es auch um politische Karrieren geht.

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Der Fall Dalli

Rue de Trèves 49–51 ist die Adresse eines schmucklosenBürogebäudes in Brüssel, eines seelenlosen Kastens,zwischen dem Europaparlament und der EU-Kommissiongelegen. 20 Organisationen beherbergt das Haus, doch nurbei dreien von ihnen wurden in der Nacht vom 17. auf den18. Oktober 2012 die Türen aufgebrochen, Schränke undSchreibtische durchwühlt und digitale Datenträgergestohlen: bei der Smoke Free Partnership (SFP), derEuropean Respiratory Society (ERS) und der EuropeanPublic Health Alliance (EPHA). Drei Organisationen, die derTabakindustrie den Kampf angesagt haben.

Zufall?

Die Anti-Tabak-Aktivisten mochten nicht so recht dranglauben. Augenscheinlich waren Profis am Werk gewesen.Den Aktivisten fiel weiter auf, dass die Einbrecher zwar eineimmense Unordnung und großes Chaos hinterlassen hatten,jedoch nur Datenträger stahlen, die sich mit der Reform derEU-Tabakrichtlinie befassten. Der Tabakrichtlinie des JohnDalli.

Der Malteser, Jahrgang 1948, war erst wenige Stundenvor dem Einbruch von seinem Amt als EU-Kommissar fürGesundheit und Verbraucherschutz zurückgetreten.Unfreiwillig. Von Februar 2010 an im Amt, verfolgte er vonAnfang an erklärtermaßen das Ziel, das Rauchen zubekämpfen und vor allem zu erschweren, dass junge Leutezum Glimmstängel greifen. Entsprechend scharf sollte dieneue EU-Tabakrichtlinie ausfallen, die der frühere

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Kettenraucher Dalli auf den Weg bringen und zumSchwerpunkt seiner Arbeit machen wollte. Am 16. Oktober2012 war von jetzt auf gleich Schluss damit.

Am Nachmittag jenes Tages zitierte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso John Dallikurzfristig zu sich. Gegen ihn werde wegen Korruptionermittelt, er habe 30 Minuten Zeit, »freiwillig«zurückzutreten. Die entsprechende Pressemitteilung hatteBarroso bereits ausformulieren lassen. Der Öffentlichkeitwurde der Rücktritt zunächst tatsächlich als »freiwillige«Entscheidung Dallis verkauft.

Viele Brüssel-Insider, ob in EU-Institutionen oder Medien,hegen an den Vorgängen von Anfang an gehörige Zweifel.Auch der CDU-Europaabgeordnete Florenz glaubt: »DerMann hat sich nichts zuschulden kommen lassen. Da sindganz komische Dinge gelaufen, und ich vermute, dass Dallivon der Tabakindustrie hintenrum politisch erschossenwurde.«

Dalli selbst sagte wenige Wochen nach seinem Rückzugselber gegenüber dem Zeit-Reporter Claas Tatje, er sei »ineine Falle der Tabakindustrie getappt«. Seine Geschichteliest sich wie ein schmutziger Krimi. DerWirtschaftsjournalist Tatje hat sie akribisch recherchiert undaufgeschrieben.[68]

Was war geschehen? John Dalli wurde vorgeworfen, erhabe über einen maltesischen Bekannten 60 Millionen EuroSchmiergeld von einem schwedischen Tabakkonzern dafürverlangt, die EU-Richtlinie in dessen Sinne abzuändern. DieGeschichte soll so gelaufen sein: Ein maltesischerUnternehmer namens Silvio Zammit soll von der

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schwedischen Firma Swedish Match 60 Millionen EuroSchmiergeld verlangt haben. Angeblich in Dallis Namen unddafür, dass der Kommissar dafür sorgt, dass im Zuge derneuen EU-Tabakrichtlinie der von Swedish Matchhergestellte Lutschtabak »Snus« künftig in ganz Europazugelassen wird und nicht nur in Schweden. Dortige Medienschrieben später, eine solche Zulassung würde demUnternehmen jährlich 300 Millionen Euro mehr Einnahmeneinbringen.

Es gibt erhebliche Zweifel daran, dass all dies wirklich sostattgefunden hat. Eine angebliche Bestechung um die Ecke,die angekündigt, aber nie vollzogen wurde. Wenn es denVersuch denn überhaupt je gegeben hat, was viele Insider inBrüssel bezweifeln. Kaum vorstellbar weil »zu 100 Prozentaussichtslos« nannte etwa der ehemalige deutsche EU-Kommissar Günter Verheugen die John Dalli vorgeworfeneGeschichte. Aufklärung täte not.

Zuständig dafür wäre auf EU-Ebene zuvörderst Olaf, dasEuropäische Amt für Betrugsbekämpfung. Es sollKommissionspräsident Barroso in einem frühen Stadiumangeblich erste Argumente dafür geliefert haben, mit denener John Dalli von jetzt auf gleich aus dem Amt drängenkonnte. Nun muss man zweierlei wissen: Erstens, derPortugiese Barroso selbst pflegte intensive Kontakte zurTabakwirtschaft. Er warb sogar, wie Reporter Tatjeherausfand, einige Zeit mit seinem Namen für einForschungsprojekt der »Stiftung für Zukunftsfragen«, hinterder bei genauerem Hinsehen der Konzern British AmericanTobacco (BAT) steckte.

Zweitens: Mehrfach hatten Tabak-Lobbyisten im Zuge derBeratungen über die EU-Tabakrichtlinie direkten Zugang

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zum ansonsten streng abgeschirmten 13. Stock desKommissionsgebäudes, der Etage des Präsidenten Barroso.Dessen Mitarbeiterin Clara Martínez Alberola soll sich auchmit einem Topmanager jener schwedischen Lutschtabak-Firma getroffen haben, über die Kommissar John Dalliwenige Monate später stolpern sollte. Und, was amfragwürdigsten ist: Olaf, die Betrugsermittler-Einheit der EU,ist mit der Tabakindustrie wirtschaftlich eng verflochten.Tabakkonzerne zahlen bis 2030 insgesamt 1,6 MilliardenEuro an die EU, um deren Kampf gegen denZigarettenschmuggel zu unterstützen. Verwaltet werden dieMittel – von Olaf.[69] Ausgerechnet. Unabhängigkeit siehtanders aus.

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Tischfußball und frisches Pils

Allerdings: Wie üblich mit dem Finger auf Brüssel zu zeigenund die Verhältnisse dort als prinzipiell weniger geordnet,unübersichtlich und fragwürdiger als im ordentlichenDeutschland abzutun, funktioniert bei diesem Thema nicht.Denn auch hierzulande treiben Tabaklobbyisten ihrUnwesen, haben viel Geld zur Verfügung und penetrieren diepolitisch Verantwortlichen.

Wie jeder Wirtschaftszweig, der etwas auf sich hält, hatauch die Tabakbranche dafür einen Berliner Politikereingekauft. Im Juli 2014 wechselte Jan Mücke, ehemaligerStaatssekretär im Bundesverkehrsministerium mit FDP-Parteibuch, als Geschäftsführer zum DeutschenZigarettenverband (DZV), der sich als »zentralerAnsprechpartner für Politik, Wirtschaft und Medien rund umdas Thema Rauchen und Zigarette«[70] versteht. DZV-Mitglieder sind fünf Tabakfirmen: British American Tobacco,Reemtsma, von Eicken, Heintz van Landewyck und JapanTobacco International.[71]

Mücke hatte früher als Verkehrs-Staatssekretär, alsPolitiker also, nicht unmittelbar mit der Tabakwirtschaft zutun. »Das heißt aber nicht, dass sein politischer Hintergrundfür den DZV unbedeutend ist«, kommentierte Ulrich Müllervon LobbyControl den Seitenwechsel. »Der DZV wird von denpolitischen Kontakten Mückes profitieren, ebenso wie vonseinem Insiderblick auf die Bundesregierung.«

Mückes Vorgängerin als oberste BerlinerZigarettenlobbyistin war übrigens die frühere Grünen-

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Abgeordnete Marianne Tritz. Das sei kein Zufall gewesen,glaubt der SPD-Bundestagsabgeordnete Lothar Binding,Tritz sollte »als grünes Feigenblatt« fungieren. »Wer könntedie Gefahren des Tabakkonsums besser relativieren als einehemaliges Mitglied der grünen Bundestagsfraktion, dieGesundheitsschutz und Naturschutz wie keine andereFraktion für sich reklamiert?«[72]

Umschmeichelt und bearbeitet werden die BerlinerPolitiker von der Tabaklobby auf vielfache Weise. AufTagungen mit unverfänglichen Titeln etwa, wie»Risikoreduzierung von Tabakprodukten – ein Tabuthema«.Bisweilen bieten die Veranstalter den Politikern an,Übernachtung und Anreise zu bezahlen. Oder man lädt zum»Treffpunkt Berlin« in den mondänen und nur Mitgliedernund ihren Gästen zugänglichen Business-Treff »China Club«neben dem Hotel Adlon ein. Ähnlich edle Locations fürvertraute Kungelei gibt es auch andernorts in Laufweite zumReichstag, den Capital Club am Hilton-Hotel amGendarmenmarkt zum Beispiel.

Tabakfirmen und ihre Lobby-Söldner veranstalten auchParlamentarische Abende, sponsern Parteitage, Konferenzenund Sommerfeste, bei denen Politiker, Wirtschaftsvertreterund Journalisten sich zwanglos treffen. Sie liefern bei BedarfArgumentationshilfen für politische Debatten, selbstredendin ihrem Sinne.

2000 rühmte sich ein Lobbyist der deutschenZigarettenindustrie sogar, einem alten Kumpel und SPD-Landtagsabgeordneten auf ganz besondere Weise»geholfen« zu haben. Der Politiker aus Niedersachsen wardamals Mitglied im EU-Ausschuss der Regionen, der übereine Tabak-Produktrichtlinie diskutieren sollte. »Manuskript

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bekommt er von mir«, schrieb der Lobbyist über seinenAbgeordnetenkumpel.[73]

Sogar Tischfußball-Turniere wurden schon organisiert, um»bei einem frischen Pils« und idealerweise auch der einenoder anderen Kostenlos-Kippe locker zu plaudern. »Man sollmit den Leuten von den Tabakfirmen ins Gespräch kommenund einander irgendwie nett finden«, umreißt Harald Terpe,Gesundheitspolitiker der Grünen-Bundestagsfraktion, dasZiel solcher Veranstaltungen, wie sie allerdings keineswegsnur die Tabaklobbyisten veranstalten. Sinn und Zweck desgemütlichen Beisammenseins seien klar. Sie seien der »klareVersuch, Politiker und Vertreter gesellschaftlicher Gruppenfür ihre eigenen Interessen einzunehmen«, so der SPD-Abgeordnete Binding. Und zwar langfristig. »Der Lobbyistbricht nicht über uns herein«, sagt Binding. »Er willbisweilen über Jahre und Jahrzehnte Wahrnehmungen undMeinungen verändern, subtil, aber wirksam, so lange, bis siesich in den Köpfen als vermeintliches Allgemeingutfestgesetzt haben.«

Und das funktioniert.

Wie anders soll man sich erklären, dassMeinungsumfragen zufolge fast drei Viertel der DeutschenNichtraucherschutz gut finden und Rauchen für gefährlichhalten. Dass es aber trotzdem viele Jahre dauerte undzahlreicher politischer Vorstöße bedurfte, ehe der Schutzvon Passivrauchern durch das Verbot von Rauchen inöffentlichen Gebäuden und Lokalen durchgesetzt wurde?Und das auch nur nach einem mühsamen und über Gebührlangen Entscheidungsprozess, bei dem am Ende die Länderzuständig waren und nicht der Bund. Was dieBundesregierung übrigens in einem Gutachten klären ließ,

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das Binding zufolge ein Jurist schrieb, der zuvor bereits fürdie Tabakindustrie tätig geworden war. Einer der Wirte, derspäter gegen das Rauchverbot in Lokalen klagte, wurde voneinem Anwalt vertreten, der früher Bundesminister derVerteidigung war: Rupert Scholz (CDU). Der wiederum warauch Mitglied im Beirat der Stiftung Verum, der, so Binding,»Nachfolgeorganisation der ›wissenschaftlichen‹ EinrichtungForschungsrat Rauchen und Gesundheit, einer Stiftung desVerbands der Cigarettenindustrie«[74] .

Wie anders, wenn nicht durch den Einfluss derTabaklobby, lässt es sich erklären, dass Deutschland sichbereits 2005 über ein von der WHO initiiertes Abkommenverpflichtete, binnen fünf Jahren Tabakwerbung zuverbieten, diese Zusicherung aber nicht eingehalten wurde?Noch im Sommer 2015 liefen in Kinos Werbespots fürZigaretten und auch große Werbeplakate waren nach wievor zu sehen.

Damit ist Deutschland neben Bulgarien inzwischen daseinzige Land in der Europäischen Union, in dem dieAußenwerbung für Zigaretten zu diesem Zeitpunkt nocherlaubt ist. »Dies konterkariert unsere intensivenBemühungen in der Tabakprävention gerade bei Kindernund Jugendlichen«, sagt der zuständige BundesagrarministerChristian Schmidt (CSU). Nach seinen Plänen soll nun auchWerbung auf Plakaten oder im Kino komplett verbotenwerden. »Wissenschaftliche Studien belegen, dass Werbungin der Öffentlichkeit den Einstieg in das Rauchen aktivfördert.« Es sei beinahe unfassbar, welchen Druck dieZigarettenlobby in Deutschland aufbaue, um Entscheidungenzu beeinflussen, sagt ein hochrangiger Vertreter einesMinisteriums. Und die Zigarettenindustrie läuft Sturm gegen

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die Pläne. Für sie ist das Vorhaben ein »wirtschaftspolitischerDammbruch«.

Der SPD-Abgeordnete Binding wundert sich über all diesschon lange nicht mehr. Er hat selbst erlebt, »wie weit derArm der Tabaklobby ins Parlament reicht«. Der HeidelbergerPolitiker gehörte einem achtköpfigen Gremium der GroßenKoalition an, das einen Gesetzentwurf zum besserenNichtraucherschutz entwerfen sollte. Als dieser sich zumersten Mal traf, lag ein Arbeitspapier auf dem Tisch, das alsGrundlage der Besprechung dienen sollte.

Binding kam es bekannt vor, auch wenn der Briefkopffehlte und das Papier äußerlich einen neutralen Eindruckmachte. Tatsächlich stammte es vom Lobbyverband derdeutschen Zigarettenindustrie. Wer es auf den Tisch derParlamentarier gelegt hatte und damit von Anfang an zurArbeitsgrundlage machen wollte, konnte Binding nichtherausfinden.

Bleibt die Frage, was aus der EU-Tabakverordnung wurde.

Am 20. Mai 2014 trat sie in Kraft. Die Mitgliedsstaatenhaben von diesem Tag an zwei Jahre Zeit, sie in nationalesRecht umzuwandeln. Die Zustimmung des jeweiligen Landesvorausgesetzt, kann die Tabakindustrie in einerÜbergangsfrist ein weiteres Jahr lang solche Erzeugnisseverkaufen, die sie noch auf Lager hat und die den neuenVorgaben noch nicht entsprechen.

Die Zigarettenindustrie zieht trotzdem gegen dieTabakverordnung juristisch zu Felde. Sie klagt dagegen,ebenso übrigens, wie Polen. Schon jetzt allerdings könnendie Lobbyisten zufrieden sein, denn die ursprünglichstrengen Pläne wurden verwässert.

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Die ultraschlanken, bei Mädchen und jungen Frauenbeliebten Slim-Zigaretten sind weiterhin erlaubt.Ursprünglich sollten sie verboten werden.

Faulende Beine, zerstörte Lungen – spätestens von Mai2016 an sollen Deutschlands Raucher zwar beim Griff zurZigarette mit Schockbildern konfrontiert werden. DiePackungen, die noch mit bunter Werbung und Logos Lustaufs Rauchen machen sollen, müssen dann mit nochgrößeren und drastischeren Warnhinweisen auf die Gefahrendes Rauchens aufmerksam machen. Etwa zwei Drittel derFläche sind dann für die Abschreckung reserviert.

Doch das intensive Lobbyieren hat »noch Schlimmeres«verhindert. Die Warnhinweise samt Schockbildern sollten 75Prozent der Zigarettenschachteln bedecken. Nun sind es 65Prozent. Und noch wichtiger für die Branche: DieEinheitsverpackungen nach australischem Vorbild ohne dieMarkenlogos der Zigarettenfirmen werden entgegenanfänglichen Plänen doch nicht eingeführt. Nach Angabender Bundesregierung sind sie vom Tisch.

Die Hersteller müssen nicht nachweisen, dass dieChemikalien und Zusatzstoffe in den Zigarettengesundheitlich unbedenklich sind. Das hätte für sie einenriesigen Test- und dementsprechend Kostenaufwandbedeutet, wäre jedoch mit Blick auf Verbraucher- undGesundheitsschutz ein enormer Fortschritt gewesen.Stattdessen wird es eine Negativliste geben mit Stoffen, diedem Tabak nicht mehr beigemischt werden dürfen. Nur fürwenige Chemikalien gelten strengere Anforderungen undmüssen umfassende Studien über ihre Gefährlichkeiteingeholt werden.

Der Protest der Branche indes geht weiter. Und er könnte

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noch an Intensität zunehmen. Philip Morris, mit Marken wieMarlboro einer der ganz Großen, hat sich zu ersten Schrittenentschlossen und klagt bereits gegen die Richtlinie. AndereKonzerne halten die Fristen, die die Politik einführen will,schlicht für unrealistisch. »Die Umsetzung der EU-Richtliniebis zum 20. Mai 2016 wird nicht zu schaffen sein«, warntetwa Ralf Wittenberg, Sprecher der Geschäftsführung derdeutschen Tochter von British American Tobacco (BAT).Bislang fehlten genauere Vorgaben aus Brüssel für dieUmsetzung der Richtlinie. Und für die brauche die Branchemindestens ein gutes Jahr. Schließlich müssten dieVerpackungen neu gestaltet, das alles vorbereitet werden.Die Branche deutet an, dass sie schweres Geschütz auffahrenkönnte, wenn die Politik nicht einlenkt. »Ich erwarte, dass dieBundesregierung uns verfassungsgemäß angemesseneFristen einräumen wird«, stellt BAT-Manager Wittenbergklar.

Auf den Punkt gebracht: Die Tabaklobbyisten haben mehrals nur das Schlimmste verhindert. Für sich jedenfalls.

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6 Hilfst du mir, helf ich dir

Ein Netzwerk an der Basis unsererNahrungskette

Lobbyisten haben nicht nur eineverbraucher- und gesundheitsfreundliche

Lebensmittelampel verhindert. IhrErfolgsgeheimnis: Sie setzen ganz früh an,

bei den Erzeugern. Wie eine Clique vonMultifunktionären und ihre Verbündeten in

der Industrie Einfluss auf die Ernährungder Deutschen nimmt.

Heidi Bank wurde stutzig. Sie hatte gerade ihr erstes Kindgeboren, und wie alle Mütter stand sie vor der Frage, wielange sie den Jungen stillen sollte. DieWeltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt, einen Säuglingsechs Monate lang ausschließlich mit Muttermilch zuernähren und erst dann mit dem Zufüttern von Flaschenkostzu beginnen. Während Bank noch hin und her überlegte,machte plötzlich in den Medien eine neue Studie die Runde.Wissenschaftliche Untersuchungen hätten ergeben, dass esfür das Kind besser und gesünder wäre, bereits nach vierLebensmonaten Babynahrung zuzufüttern. Das helfeAllergien vorzubeugen, las Heidi Bank, hegte daran aber ausreiner Gewohnheit so ihre berufsbedingten Zweifel.

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Zwei Monate mehr – für die Milupas und Aletes dieser Weltmacht das im Absatz ihrer Säuglingsnahrung und damit inEuro und Cent einen riesigen Unterschied. Heidi Bankbeauftragte einen ihrer Mitarbeiter, der Sache mit derStudie einmal auf den Grund zu gehen. Das Ergebnis seinerRecherchen überraschte die Politikwissenschaftlerin nichtwirklich. »Drei von vier Autoren der Studie waren mit derLebensmittelindustrie verbandelt«, schildert Heidi Bank. DieStudie sei »ein Beispiel dafür, wie Lobbyismus in das ganznormale Alltagsleben hineinwirkt«. Das Papier wirkteneutral, nach unbestechlichen wissenschaftlichen Kriterienerstellt. Tatsächlich jedoch waren Zweifel angebracht, obdas, was nach objektivem Rat klang, nicht in Wirklichkeitgesteuert war von wirtschaftlichen Interessen derer, aufderen Payroll drei der Verfasser standen.

Ein Fall von verdecktem Lobbyismus, den viele Mütter garnicht erst erkennen können. Heidi Bank half, dass sieMitbegründerin und geschäftsführende Vorständin vonLobbyControl ist und bei ihrem persönlich motivierten Testauf Kapazität und vor allem Kompetenz für das Themabesonders sensibilisierter Mitarbeiter zurückgreifen konnte.

Alle anderen Verbraucher stehen täglich vor dem Problem,nicht zu wissen, welches Produkt tatsächlich gesünder undbesser ist und welches nur von Konzernen und ihren Helferndazu erklärt wurde. Die Informationen auf denVerpackungen helfen in der Regel auch nicht weiter, dennregelmäßig bekämpfen die Lebensmittelkonzerne esvehement, wenn die EU strengere Kennzeichnungspflichteneinführen will. Dann setzen die Nahrungsmittel-MultisHeerscharen von Lobbyisten allein in Brüssel in Marsch, umbei der EU-Kommission und dem EU-Parlament das aus ihrer

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Sicht Schlimmste zu verhindern.

Dass der schöne Schein beim Thema Lebensmittel undLandwirtschaft eine große Rolle spielt, ist einmal im Jahr inBerlin zu besichtigen. Immer im Januar dürfen Besucher dortFerkel in geräumigen Holzställen auf frischem Stroh sehen.Kühe tragen in ihren Ställen Namen wie »Paola«.

Die Rede ist von der Grünen Woche, der weltgrößtenMesse für Ernährung und Landwirtschaft. In Zeiten vonAgrarkonzernen und Massentierhaltung ist sie vor allem eineShow. Eine, die den Menschen das Vertrauen in dieLebensmittelproduktion zurückgeben soll. MitStreuobstwiese und Erlebnisbauernhof.

Doch immer mehr Deutsche glauben den Botschaften nichtmehr. Denn immer seltener dürfen Rinder, Schweine oderHühner wirklich Naturprodukte sein. Zu häufig sind sie mitAntibiotika vollgestopfte Hochleistungsmaschinen. Der Rufder Agrar- und Ernährungsindustrie ist schlecht. Weil sich imGrundwasser rekordverdächtige Düngemittelrückständefinden. Weil in Eiern Dioxin und in Obst und GemüsePestizide auftauchen. Ausgerechnet die Produktion vonLebensmitteln offenbart eklatante Defizite beim Tier- undUmweltschutz.

Der Streit um unsere Ernährung polarisiert deshalb wienie zuvor. Wie schon bei der Energiewende wächst derDruck der Öffentlichkeit auf eine radikale Kurskorrektur.Unter dem Motto »Wir haben es satt« gingen Anfang 2016 inBerlin Zehntausende gegen die konventionelleAgrarwirtschaft auf die Straße. Ihr Protest richtete sich vorallem gegen die industrielle Produktion, die in ihren Augenzu wenig mit Land und zu viel mit Wirtschaft zu tun hat. DieGrünen fordern bereits ein Ausstiegsszenario wie einst bei

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der Atomkraft. Und auch Bundespräsident Joachim Gauckmischte sich erstmals in die Debatte ein und forderte mehrNachhaltigkeit auf deutschen Feldern und Ställen. Dochbislang ändert sich wenig.

Lobbyismus, ein besonders aggressiver Lobbyismus zumal,hat einen stärkeren Wandel bislang verhindert. Es geht unshier nicht darum, die ganze Branche auszuleuchten. ImFolgenden wollen wir ein Schlaglicht darauf werfen, wieLobbyisten eine für den Alltag der Deutschen so wichtigeBranche im Griff haben. Es ist eine Form von Lobbyismus, diesich von anderen in diesem Buch beschriebenen dadurchunterscheidet, dass Industrie, Politik und Verbände so engkooperieren wie in keinem anderen Sektor. Für denVerbraucher bedeutet das in diesem Fall nichts Gutes.

Wer bei dem Thema Lobbyismus ausschließlich an diegroßen Lebensmittelkonzerne denkt, an Firmen wie denSchweizer Weltmarktführer Nestlé mit seinen etwa 100Milliarden Euro Jahresumsatz, der denkt viel zu kurz. Derverdeckte Lobbyismus beginnt viel früher. Bei denErzeugern. In der Landwirtschaft zum Beispiel.

Es geht um ein unglaublich verschachteltes Konglomeratvon Unternehmen, Organisationen, Institutionen, das nichtnur in engem Schulterschluss mit Teilen der Politik steht,sondern seit Jahrzehnten eng mit ihr verbandelt ist. EinLobbyismus, der häufig ohne die externen Dienstleister undPublic-Affairs-Experten auskommt. Weil er überMultifunktionäre aus der Branche selbst funktioniert, die sichgegenseitig protegieren, unterstützen – und in vielen Fälleneigentlich auch gegenseitig kontrollieren sollten. Auch dieserLobbyismus geschieht diskret und im Verborgenen. Man hältnach außen zusammen und lässt Systemfremde nicht tief

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hineinblicken. Auch dieser Lobbyismus richtet sich nicht nuran die Politik, in der man sich ohnehin längst selbst gutverankert hat, wie die vielen Bauern-Lobbyisten in deutschenParlamenten zeigen. In letzter Konsequenz zielt dieserLobbyismus darauf ab, das Verhalten der Verbraucherbeeinflussen und bestimmen zu können. Oft ohne dass unsKonsumenten dies bewusst ist.

Wählen wir für den Zugang zu diesem Thema einenkleinen, politischen Umweg. Bayern, dieses im Rest derRepublik bisweilen als etwas sonderbar empfundeneBundesland, wird ganz wesentlich auch deshalb seitJahrzehnten von der CSU regiert, weil die konservativePartei vor allem im ländlich-konservativen Milieu tief und festverankert ist. Dieses Milieu strahlt weit über Dörfer hinausund tief in mittlere und größere Städte sowie in dieWirtschaft hinein. Das Wurzelgeflecht des CSU-StaatesBayern bildet seit Jahrzehnten ein stabiles Netz, geknüpftaus Institutionen wie dem Bauernverband, anderenlandwirtschaftlichen Organisationen, dengenossenschaftlichen Verbünden (wiederum vor allem imlandwirtschaftlichen Sektor) und seinem Bankenwesen. Es istein Beziehungsgeflecht, das sich vielfach personell überlappt.

Als Bayer hat man häufig das Gefühl, dass es nirgendwosonst auf der Welt auf einem Flecken mehr Multifunktionäreals im Agrar- und Lebensmittelwesen des Freistaates gibt.Dort hat die Landwirtschaft eine nicht zu unterschätzendewirtschaftliche Bedeutung. Sie sei »ein gewaltigerWirtschaftsfaktor«, teilte das bayerische Staatsministeriumfür Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit, als MinisterHelmut Brunner im Oktober 2014 den bayerischenAgrarbericht im Landtag vorstellte.[75] Jeder siebte

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Arbeitsplatz im Freistaat hänge direkt oder indirekt mit derLand- und Forstwirtschaft zusammen. Deren gut 153Milliarden Euro Umsatz entsprächen 15 Prozent derGesamtumsätze in Bayerns Wirtschaft. Und das, obwohl dasHöfesterben anhält und vor allem kleine bäuerliche Betriebeteilweise nach Jahrhunderten aufgeben. Mehr als ein Drittelder deutschen Bauernhöfe sind im Freistaat angesiedelt.Obwohl es im Freistaat viel Industrie gibt, darunter Siemens,Allianz, Adidas, BMW, und ein dichtes, starkes Netz anmodernen Forschungseinrichtungen, ist das südöstlichsteBundesland nach wie vor auch ein bedeutendes Agrarland.

Das genossenschaftlich-landwirtschaftliche Netzwerkfunktioniert dabei vielerorts seit Jahrzehnten nach demMotto: Machst du mir den Aufsichtsrat, mach ich in deinerOrganisation den Vorstand – oder umgekehrt. So hält mansich gegenseitig den Rücken frei, und wer diesen Filz, dieseVerkrustungen aufbrechen will, hat dazu von außen kaumeine Möglichkeit. Es gibt eine Nomenklatura vonFunktionären in landwirtschaftlichen undgenossenschaftlichen Organisationen, die sich abzuschottenund ihre Macht auszuleben weiß.

Viele Kommunal- und Regionalpolitiker der CSU sind auchBauernverbandsfunktionäre und Würdenträger in anderenlandwirtschaftlichen Berufsverbänden undZusammenschlüssen. Sie bündeln die Interessen und haltenzusammen, was der Einfachheit halber – nicht unbedingtimmer im Sinne von Bauern und Verbrauchern –zusammengehalten werden soll. Umgekehrt sind sie eineMacht innerhalb der CSU, an der man dort nichtvorbeikommt. Das bayerische Genossenschaftswesen, derBauernverband, die CSU (früher gehörte auch noch die

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katholische Kirche dazu) – seit vielen Jahrzehnten bilden sieeine Einheit. Noch jeder bayerische Landwirtschaftsministerhat sich als verlängerter Arm vor allem des Bauernverbandsund der mit ihm verbandelten Agrarwirtschaft verstanden.Und politisch immer so gehandelt. Dieser Ministerposten isteigentlich völlig überflüssig; man könnte ihn gleich dembayerischen Bauernverbandschef mit übertragen. So groß istdie politische Hörigkeit.

Festhalten an den alten Strukturen, lautete die Devise. Esist eine Form von Konservatismus, der oft und gerne alsTradition beschworen wird. Das klingt ja auch hübscher. Nurja nichts ändern. Nur ja nichts ausprobieren. Vor allemnichts, was den herrschenden Strukturen gefährlich werdenkönnte. Als im Zuge der Umwelt- und der grünen Bewegungin den 90er Jahren ökologische Landwirtschaft zum Themawurde, fuhren Vertreter dieses bayerischen Agrar-Netzesrabiat dazwischen. Auf unzähligen Bauernversammlungenwurden Biobauern von Funktionären der alten Schule mehroder weniger zu Spinnern erklärt und den anderenLandwirten dringend empfohlen, nur ja nicht dem Beispieldieser grünen Ideologen zu folgen. Das hat sich geändert,aber erst spät.

Die einseitige Beeinflussung führte zu geradezu absurdenVerwerfungen. Inzwischen ist die Nachfrage hierzulandenach Bio-Ware seit Jahren deutlich größer als das Angebot.Also muss häufig an Früchten und Fleisch importiert werden,was mühelos auch hierzulande angebaut werden könnte.Dabei wäre es doch besser, die Wende selbstvoranzutreiben – auch mit gutem Marketing –, als von ihrgetrieben zu werden. Die Gewinnmargen für Biobauern sindangesichts besser bezahlter Produkte in der Regel deutlich

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höher als jene ihrer konventionell wirtschaftendenBerufskollegen. Die Frage drängt sich daher auf, wessenInteressen die landwirtschaftlichen Lobbyisten all dieJahrzehnte verfolgt haben und warum.

Einen Hinweis darauf geben die Institutionen,Organisationen und Unternehmen rings um die bäuerlichenErzeuger, die zu diesem System gehören und es stabilisieren.Die Raiffeisenbanken, die Landmaschinenhersteller, dieSaatgut-, Kraftfutter-, Düngemittelproduzenten, dieHersteller von Pflanzenschutzmitteln, dazu die Agrarhändler,die all dies und andere Wohltaten verkaufen. Wie die BaywaAG, eine genossenschaftliche Aktiengesellschaft mit 15,2Milliarden Euro Konzernumsatz (2014), die jahrzehntelangprächtig damit verdiente, allerhand Dopingmittel für Viehund Feld zu verkaufen. Schon in den 80er Jahren spötteltedie Kabarett-Combo Biermösl Blosn in Anlehnung an denText der Bayernhymne: »Gott mit dir, du Land der Baywa«,statt »… Land der Bayern«.

Die Baywa selbst ist freilich alles andere als einefolkloristische Einrichtung. Das Unternehmen verkauftProdukte und Dienstleistungen in den Bereichen Agrar, Obst,Kraft- und Baustoffe. Im Klartext: Es lebt von derAgrarwirtschaft in ihrer bisherigen Form. Nur knapp 40Prozent der Aktien sind im Streubesitz; größter Aktionär dortist die Bayerische Raiffeisen-Beteiligungs-AG.Aufsichtsratsvorsitzender ist Manfred Nüssel, ein Multi-Agrarfunktionär, von dem gleich noch die Rede sein wird.

In Bayern mögen die Verhältnisse ganz besondere sein, sielassen sich hier wie unter einem Brennglas fokussieren. Dochauch in anderen Bundesländern und auf Bundesebene gibt esvergleichbare Strukturen. Wer nach intransparenten, in sich

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unübersichtlich verflochtenen und verkrusteten Strukturensucht, der findet sie in der deutschen Agrar- undErnährungswirtschaft landauf, landab.

Sie ist ein Paradies für Lobbyisten. Lobbyismusfunktioniert hier über ein filigranes, fein austariertesGeflecht aus Vertretern der Landwirtschaft, derAgrarmaschinenhersteller sowie der Chemie- und derGentechnikindustrie. Eine Balance der jeweiligen Interessenist dabei nicht unbedingt gewährleistet, denn die Position dereinzelnen Bauern ist über die Jahrzehnte hinweg immerschwächer geworden. Viele hängen ab von immer wenigergroßen Abnehmern der Lebensmittelbranche. Die Folge: DerDruck auf die Preise wächst. Jene für Milch und Fleisch sindauf Tiefststände gefallen. Weder Mittel noch Chancen sind indiesem Markt ausgewogen verteilt.

Lobbyismus in der Agrarwirtschaft geschieht subtil. Langebevor die Lebensmittelkonzerne in Brüssel oder BerlinLobbyisten losschicken müssen, um strengere Regeln oderbessere Kennzeichnungen bei den Endprodukten zuverhindern. Ihre Posten schieben sich Funktionäre undManager innerhalb des Systems gegenseitig zu. Wer für wenlobbyiert, ist häufig unklar. Dafür ist umso absehbarer,wessen Interessen auf der Strecke bleiben: die der einfachenbäuerlichen Familien, des Tier- und des Naturschutzes. Undin letzter Konsequenz die Interessen der Verbraucher.Lobbyismus funktioniert hier vor allem über Menschen, dieauf vielen sprichwörtlichen Hochzeiten gleichzeitig tanzen.Menschen wie Manfred Nüssel.

Sein Vater Simon war von 1970 bis 1987 Staatssekretärund anschließend noch drei Jahre Minister im bayerischenLandwirtschaftsministerium, eine feste CSU-Größe wie auch

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der Sohn. Nur dass besagter Manfred Nüssel nicht wie derHerr Papa eine Karriere im Licht der Öffentlichkeit startete.Der Agraringenieur aus dem fränkischen Bad Berneck,Jahrgang 1948, sammelte anderweitig Pöstchen mit derEmsigkeit eines Eichhörnchens. Wichtige Pöstchen. Nüsselist im genossenschaftlich-landwirtschaftlichen Geflecht diesesLandes seit vielen Jahren eine ganz große Nummer – ohnedass die breite Öffentlichkeit davon angemessen Notiznimmt.

Seit 1999 ist der Oberfranke Präsident des imGenossenschaftsbereich mächtigen DeutschenRaiffeisenverbands und seit 2000 Aufsichtsratsvorsitzenderder erwähnten Baywa AG, die jährlich etwa 16 MilliardenEuro Umsatz erwirtschaftet. Das sind nur zwei von vielenSpitzenfunktionen. Im Laufe der Jahrzehnte bekleidete derabseits der landwirtschaftlichen Szene weitgehendunbekannte Nüssel Dutzende Ämter in genossenschaftlichenund landwirtschaftlichen Organisationen. Selbstredend ist eraktiver CSU-Mann; im bayerischen Senat saß er auch, ehediese neben dem Landtag zweite Kammer 1999 perVolksentscheid abgeschafft wurde. »Der Manfred arbeitetvon jeher auf seinen Gebieten sehr effektiv«, sagt einbekannter Parteifreund des umtriebigen Multi-Funktionärs.»Sein Wort hat in der Partei Gewicht, was von außen oftunterschätzt wird.« Was der Grund ist, weshalb sich derParteifreund nicht öffentlich mit ihm anlegen mag und bat,seinen Namen an dieser Stelle nicht zu schreiben.

Nüssel, ein Lobbyist mit gewaltiger Hausmacht. In einemSektor, auf dem Netzwerke enorm dabei helfen,Milliardengeschäfte zu steuern. Die deutsche Agrar- undErnährungswirtschaft erwirtschaftet mehr als 330 Milliarden

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Euro Umsatz pro Jahr und damit etwa 16 Prozent desBruttoinlandsprodukts. Nüssel ist nicht der einzigeMultifunktionär an ihren Schaltstellen. Joachim Rukwied, seitJuni 2012 Präsident des Deutschen Bauernverbands, ist nichtweniger emsiger Postensammler wie sein Vorgänger GerdSonnleitner. Ein CDU-Mann, der viele Interessen vertritt,unter anderem als stellvertretender Vorstandsvorsitzenderbei der SüddeutschenZuckerrübenverwertungsgenossenschaft SZVG, demMehrheitsaktionär des größten Zuckerproduzenten der Welt,der Südzucker AG.

Ebenfalls ziemlich umtriebig ist Peter Bleser, CDU-Landwirtschaftspolitiker im Bundestag seit 2005 und seit2011 als parlamentarischer Staatssekretär imentsprechenden Ministerium an einer der Schaltstellen derdeutschen Agrarpolitik. Auch Hinterbänkler sollte man nichtunterschätzen, was die Lobbykraft angeht, die sie entfaltenkönnen. Albert Deß etwa, ein Landwirt aus der Oberpfalz,spielte innerhalb seiner CSU nie eine vordere Rolle. Aberauch Deß sammelt seit Jahrzehnten Ämter wie andereMünzen oder Briefmarken. Als Vorstandsvorsitzender derBayernland AG steht der Europaabgeordnete quasi nebenbeieiner großen Molkereigenossenschaft mit etwa einerMilliarde Euro Jahresumsatz vor. Ein besonders prägnantesBeispiel eines Lobbyisten ist der CDU-Bundestagsabgeordnete Franz-Josef Holzenkamp aus demWahlkreis Cloppenburg-Vechta und agrarpolitischerSprecher seiner Fraktion. Als Aufsichtsratschef desAgrarkonzerns Agravis und als Aufsichtsrat in gleich zweiGesellschaften der LVM Versicherung verdient er zu seinenDiäten kräftig hinzu. 2012 verriet er gegenüber derFrankfurter Rundschau auch ganz ungeniert, wie er es denn

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so hält mit der im Grundgesetz festgeschriebenenVerpflichtung, Abgeordneter des ganzen deutschen Volkes zusein: Er sei »überzeugter Lobbyist«.[76]

Der Diplom-Agrarwissenschaftler Veikko Heintz legte imAugust 2013 eine 357 Seiten umfassende Studie über dieVernetzung der Agrarindustrie und der Politik inDeutschland vor. Er tat dies im Auftrag derBundestagsfraktion Der Grünen, weshalb auch diese Studie –wie alle anderen auch, die von Auftraggebern mit klarenInteressen stammen – mit gebührender Vorsicht zurKenntnis genommen werden sollte. Allerdings besticht dieStudie von Heintz durch sehr umfangreiche und sauberewissenschaftliche Quellenarbeit; seine Schlussfolgerungendecken sich in vielen Fällen mit unseren Recherchen nichtzuletzt für dieses Buch. Und nicht nur das – derparteipolitisch völlig unverdächtige, hochkarätig besetztewissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik beimBundesministerium für Ernährung und Landwirtschaftkommt zu einer ähnlich kritischen Einschätzung, wasInteressengruppen etwa in der Nutztierhaltung angeht.Diese würden, so heißt es in einer im März 2015 vorgelegtenStudie, politische Prozesse stark beeinflussen. Wörtlichstellen die Experten fest: »Die Landwirtschaft insgesamt undTierhalter sowie die vor- und nachgelagerte Industrie sindtraditionell gut organisierte Interessengruppen.«[77] EinMitglied der Bundesregierung brachte es in einemHintergrundgespräch in Berlin noch deutlicher auf denPunkt: »Im Bereich Landwirtschaft sind die Interessenunglaublich gut organisiert – durch den Bauernverband, aberauch durch die Industrie. Es ist nicht leicht, dagegen mehrUmweltschutz durchzusetzen.« Namentlich zitiert werden

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wollte das Regierungsmitglied damit jedoch nicht.

Auch Vikko Heintz, inzwischen Mitarbeiter bei der grünenBundestagsfraktion, findet prinzipiell nichts dagegeneinzuwenden, wenn Abgeordnete und andere politischeFunktionsträger sich auch für Vereine, Verbände undwomöglich auch Unternehmen engagieren. Vorausgesetzt,dies geschieht transparent und es kommt zu keinenInteressenkollisionen.

Genau das aber ist in diesem Sektor die Regel.»Insbesondere der Deutsche Bauernverband kann aufgrundseiner starken Präsenz in den Parlamenten als starkvernetzte Lobbyorganisation mit hohem Einfluss auf diepolitische Meinungsbildung betrachtet werden«, schreibtHeintz als ein Fazit.[78] »Die Spitzenverbände der Agrar- undErnährungswirtschaft sind geprägt von der Tätigkeit vonDoppel- und Vielfachfunktionären ausgeprägten sozialen undfunktionellen Netzwerken. Dies schließt Tätigkeiten in derPolitik mit ein. In starkem Maße trifft das für dieSpitzenfunktionäre des Deutschen Bauernverbandes zu, fürdie allermeisten anderen Spitzenverbände in geringeremMaße.« Und weiter: »Spitzenfunktionäre desBauernverbandes üben Funktionen in weiterenInteressenverbänden, Körperschaften und der Politik sowiein Entscheidungs- und Aufsichtsgremien vonSpitzenunternehmen der Agrar- und Ernährungsindustrieaus. Unternehmen der Weiterverarbeitung, desAgrarhandels oder des landwirtschaftlichenDienstleistungssektors sowie große landwirtschaftlicheBetriebe verfügen über eine starke Repräsentanz imTätigkeitsprofil verschiedener Bauernverbandsfunktionäre.Daraus kann auf die Existenz von Interessenkollisionen in

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Bezug auf die Vertretung der Interessen kleiner undmittlerer landwirtschaftlicher Betriebe und Unternehmen imVerband geschlossen werden.«

In diesem Zusammenhang mahnt AgrarwissenschaftlerHeintz erheblich mehr Transparenz an: »Im Gegensatz zuden Tätigkeiten der Parlamentsabgeordneten existiert überdie verschiedenen Nebentätigkeiten vonVerbandsfunktionären und ihre Einkommen nur eine sehreingeschränkte Transparenz. Ebenfalls eine geringeTransparenz bezüglich der Einflussnahme,Interessenvertretung und Doppelfunktionen vonEntscheidungsträgern besitzt das politische System derberufsständischen Selbstverwaltung undlandwirtschaftsrelevanter öffentlich-rechtlicherKörperschaften.«

Problematisch hinsichtlich Transparenz undInteressenvertretung ist nach seinen Erkenntnissen»insbesondere die Überschneidung und personelleVerflechtung zwischen Landwirtschaftskammern undBauernverbänden. Landwirtschaftskammern als Organe derberufsständischen Selbstverwaltung und Körperschaften desöffentlichen Rechts sind mit hoheitlichen Rechten undAufgaben ausgestattet und sollen die Gesamtheit derberufsständischen Interessen widerspiegeln. Insbesonderedie bayerische Praxis, die Aufgaben derLandwirtschaftskammer direkt dem BayerischenBauernverband zu übertragen, und die Praxis in einigenanderen Bundesländern, als KammerpräsidentenFunktionsträger des Bauernverbandes zu bestimmen,erscheint in dieser Hinsicht problematisch.«[79]

Wer gerade bei welcher Organisation das Sagen hat, hat

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durchaus weitreichende Auswirkungen darüber hinaus. Einsimples Beispiel, um die etwaigen Folgen zu verdeutlichen:Haben etwa im Bauernverband oder in anderenlandwirtschaftlichen Organisationen die Vertreter vonAckerbaubetrieben die Oberhand, geraten die Interessen vonMilchbauern oder Schweinezüchtern gerne mal in denHintergrund. Damit ist schnell eine Richtungsentscheidungverbunden, denn das Gros der Ackerbauern möchte vorallem erreichen, auf den Feldern möglichst viel mit möglichstwenig Kosten zu produzieren. Das wiederum öffnet einEinfallstor für die Landmaschinenindustrie, etwa für dieHersteller von Traktoren und anderen Gerätschaften, diesatelliten- und computergestützte Systeme zum Säen,Düngen und Ernten von Feldern anbieten. So nimmt letztlichein Milliardengeschäft seinen Ursprung in oftmals kleinen,scheinbar unbedeutenden Organisationen vor Ort.

Damit das Geschäft funktioniert und wie geschmiert läuft,halten Lobbyisten diskret zusammen, was eigentlich nichtzusammengehört. Wie bei der Fördergemeinschaftnachhaltige Landwirtschaft (FNL), die sich vor nicht allzulanger Zeit elegant in »Forum moderne Landwirtschaft«umbenannt hat. Allein der Begriff nachhaltig ist in diesemZusammenhang irreführend. Denn die FNL ist eine reineLobbyorganisation der konventionellen Landwirtschaft.

Nach außen tritt die Organisation ausweislich ihrerInternetseite für »moderne Landwirtschaft in der Mitte derGesellschaft« ein.[80] Es geht also nicht nur um Lobbyismusgegenüber der Politik, sondern in die Gesellschaft hinein. »ImForum Moderne Landwirtschaft haben sich Verbände,Organisationen und Unternehmen der Landwirtschaft sowieder vor- und nachgelagerten Bereiche

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zusammengeschlossen«, heißt es da. »Ihr gemeinsamesAnliegen ist es, den Dialog zwischen der Gesellschaft und derheutigen, modernen Landwirtschaft zu ermöglichen«, heißtes auf der Homepage. Nicht-Landwirte sollten einen Einblickin das Leben und Arbeiten der Bauern erhalten, deren»faszinierende Branche« kennenlernen und moderneLandwirtschaft erleben. Das klingt hübsch.

Weitaus aussagekräftiger als die Lektüre solcher PR-Phrasen ist ein Blick auf die Liste der Mitglieder, die nachLesart der zum Forum umbenannten FNL »eine starkeGemeinschaft« bilden. Dort finden sich allerhand bäuerlicheOrganisationen, vom Bauernverband selbst bis zurArbeitsgemeinschaft deutscher Rinderzüchter. Vor allemaber gehören Konzerne und andere Großunternehmen dazu,die ein Ziel verfolgen: So viel wie möglich aus derLandwirtschaft, aus den Bauernhöfen herauspressen, denndann erst laufen ihre Geschäfte richtig gut. Als dabeispielsweise wären: Chemiekonzerne wie BASF oder BayerCropScience, die ein Interesse daran haben müssen, ihreKunstdünger und Schädlingsbekämpfungsmittel zuverkaufen. Der US-Konzern Monsanto, der seit Jahren massivdafür kämpft und lobbyiert, dass Gentechnik in dereuropäischen und deutschen Landwirtschaft großflächig zumEinsatz kommt, weil er entsprechende Produkte entwickeltund verkauft. Auch andere Düngemittelhersteller sind dabei,wie Eurochem Agro, Rohstofffirmen wie K+S Kali,Landmaschinenbauer wie die bayerische Horsch MaschinenGmbH.

Als Vorstand der Lobbyorganisation fungieren derdeutsche Bauernverbandspräsident Joachim Rukwied,selbstredend Multifunktionär Manfred Nüssel, dazu Carl-

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Albrecht Bartmer, Chef der DeutschenLebensmittelgesellschaft (DLG), einem Verein, dessen Zwecknicht nur die Fortentwicklung von Land- undErnährungsfortschritt sein soll, sondern der auchQualitätsprüfungen absolviert. Als viertes Mitglied sitzt imVorstand von FNL alias »Forum moderne Landwirtschaft«der geschäftsführende Vorstand Christoph Amberger. Nochinteressanter ist allerdings ein Blick in den Aufsichtsrat, indas Gremium also, das den Vorstand und damit letztlich dieoperative Arbeit der Organisation kontrollieren soll: Vonsechs Mitgliedern sind zwei Vertreter der Chemieindustrie(darunter der Aufsichtsratsvorsitzende Helmut Schramm vonBayer CropScience), hinzu kommen jeweils ein Vertreter desDüngemittelherstellers Beiselen, der Südzucker AG und derBerliner Lobbyist von K+S, dem größten Salzproduzentender Welt und zugleich einem der größten Kalianbieter.Immerhin gehört dem Aufsichtsrat auch ein Vertreter desBundesverbands für Tiergesundheit an.

Mit anderen Worten: Die Industrie kontrolliert dieAktivitäten und bestimmt somit das Bild der »modernenLandwirtschaft«, welches die FNL vermitteln will. Das lässtsie sich einiges kosten. 2,2 Millionen Euro betrug derJahresetat des Forums moderne Landwirtschaft im Jahr2014, wie eine Sprecherin auf Anfrage mitteilte. 2015 warenes circa 2,4 Millionen Euro. Finanziert wird der Etat durchPartner bei einzelnen Projekten, vor allem aber durch die 45Mitgliedsorganisationen und -unternehmen. Sechs Mitgliederfirmieren als sogenannte »Hauptmitglieder«. Sie zahlen,Stand Januar 2016, 300000 Euro pro Jahr und haben sichverpflichtet, diese Summe mindestens drei Jahre lang zubezahlen. Damit erkauft sich jedes Hauptmitglied auch dasRecht, einen Vertreter in den Aufsichtsrat zu entsenden. Zur

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Erinnerung: Im Aufsichtsrat sitzen, abgesehen von einemVertreter des Bundesverbands für Tiergesundheit e.V., fünfVertreter der Industrie. Mit anderen Worten: Diese fünfUnternehmen allein steuern zum Etat derlandwirtschaftlichen Lobbyorganisation 1,5 Millionen Eurobei, weit mehr als die Hälfte also. Schafft nicht bekanntlichan, wer bezahlt?

Halten wir uns demgegenüber noch einmal vor Augen, wasdie FNL alias das Forum moderne Landwirtschaft ausweislichder eigenen Internetseite sein will: Förderer nachhaltigerLandwirtschaft. Förderer des Wissenstransfers aus derForschung in die Praxis. Informant für Medien und dieÖffentlichkeit darüber, was nachhaltige Landwirtschaft ist,wie sie funktioniert, insbesondere beim Pflanzenbau und beider Tierhaltung. Verbindungsbrücke zwischen Verbraucherund Landwirtschaft. Ansprechpartner für Medien,Bildungseinrichtungen, Schulen, Politik und andereBranchen der Wirtschaft.

Man kann sich gut vorstellen, wie all diese Rollen ganzwesentlich von einer Organisation ausgeübt werden, in derdie Chemie- und anderen Industriekonzerne ganz wesentlichdas Sagen haben.

Was wiederum zwei Fragen aufwirft: Wieso machen dieVertreter der Landwirtschaft, der bäuerlichen Betriebe also,gemeinsame Sache mit denen, die vorwiegend ein Interessehaben: dass die Landwirte ihre Produkte möglichst teuerkaufen und damit möglichst viele und billige Warenproduzieren? Und zum Zweiten: Wer profitiert in diesemBeziehungsgeflecht vor allem? Die kleinen Landwirtsfamilien,die dem Druck zur Massenfertigung ohnehin nicht mehrstandhalten? Oder etwa die Verbraucher, die Umwelt und die

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Tiere?

Vornehme Aufgabe der Multifunktionäre und -lobbyistender Agrarwirtschaft müsste es aber seit Jahren sein,ebendiese Interessen zu vertreten und ein Gegengewicht zuden Konzentrationsprozessen aufzubauen. Die sehen so aus:Einige wenige Handelskonzerne kontrollieren den Markt unddiktieren die Lebensmittelpreise. Auf dem Fleischsektorschlachten allein die drei größten deutschenSchlachtkonzerne die Hälfte aller Schweine, die hierzulandeunters Messer kommen. Die zehn größten Schlachter deckensogar 75 Prozent des Marktes ab. Im Milchbereich sieht eskaum anders aus. Die Molkereien werden immer größer unddamit mächtiger. Sie machen die Milchpreise. In derZuckerindustrie beherrschen Südzucker, Nordzucker, sowiedie Firma Pfeifer & Langen etwa 75 Prozent deseuropäischen Marktes.

Doch warum sollten die Funktionäre gegen diesemächtigen Player auch angehen? Wo sie doch zum Teil selbstin diesen Unternehmen und Verbünden auf hübschenPöstchen sitzen.

Zusammengefasst: Es gab in den vergangenenJahrzehnten eine enorme Konzentration von Macht auf demErnährungssektor. Die großen Verlierer sind am Anfang derKette die kleinen und mittleren landwirtschaftlichenBetriebe, die Bauernhöfe um die Ecke, die nur dannüberleben konnten, wenn sie sich eine Nische (z.B. Bio)erschlossen, oder aber in der Lage waren, auf Masse zusetzen. Also Fleisch, Milch, Zuckerrüben oder was auchimmer vor allem billig zu produzieren und trotzdem auf ihrenSchnitt zu kommen. Die also auf Masse setzen, damit dieNahrungsmittelpreise schön niedrig bleiben. Der

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Bundesbürger gibt etwa zehn Prozent seines Einkommensfür Nahrungsmittel aus, der Franzose etwa ein Drittel.

All das hat sehr viel mit Lobbyismus zu tun, damit nämlich,dass einflussreiche Kräfte die Regeln bestimmen, nachdemdie Kräfte des Marktes dank einer aberwitzigenSubventionspolitik schon vor Jahrzehnten ausgeschaltetwurden.

Die Politik hat gegenüber diesen Lobbyisten, den Nüssels,Sonnleitners, Rukwieds und wie sie alle heißen mögen, bisauf wenige Ausnahmen scheinbar längst kapituliert.Abgeordnete vor allem aus ländlichen Regionen verstehensich als Handlanger des Bauernverbands und derGenossenschaften. Viele Landwirtschaftsminister handelnkaum anders und wählen damit einen bequemeren Weg.Mächtig Unruhe brachte in dieses eingespielte GefügeRenate Künast, als sie 2001 in der ersten rot-grünenBundesregierung Landwirtschaftsministerin wurde. Undumgehend zwei Signale setzte: Dem Ministerium wurde aufihre Anregung hin der Verbraucherschutz als gleichrangigesBetätigungsfeld zugeordnet. Und Künast verkündete dieAgrarwende, gewissermaßen die Ökologisierung der aufindustrielle Massenproduktion ausgelegten Landwirtschaft.Das System, der Bauernverband allen voran, schäumte. Esfühlte sich bedroht. So waren es auch meistens sehrunbequeme, weil von herber Kritik und Anfeindungenbegleitete Auftritte, welche die Grünen-Politikerin Künastfortan bei Bauerntagen und anderen Großveranstaltungenerleben musste. Sie selbst ließ sich davon nicht beirren undöffnete das bis dahin fest in Bauernverbands-Handbefindliche und dementsprechend abgeschottete

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Agrarministerium auch für Natur- und Tierschützer, Bio-Organisationen und Querdenker.

Man mag grüne Landwirtschaftspolitik für richtig oderfalsch halten, Renate Künast für geeignet oder nicht für einsolches Ministeramt – eines allerdings wird wohl jeder fürsich beanspruchen: gesunde Lebensmittel und, soweit es umtierische Erzeugnisse geht: ethisch einwandfrei erzeugteLebensmittel, die den Menschen guttun.

Das System, für das sich vor allem Verbraucherschützer,Ärzteverbände und Gesundheitspolitiker lange einsetzten,scheiterte auf absehbare Zeit im Juni 2010 im EuropäischenParlament: die Lebensmittelampel.

Dabei wäre die Sache so einfach gewesen. Mit den FarbenRot, Gelb und Grün sollte fortan aufLebensmittelverpackungen der Fett-, der Zucker- und derSalzgehalt des entsprechenden Produktes dargestelltwerden. Jeder Konsument hätte sich einfach und auf einenBlick darüber informieren können. Und sinnvoll wäre esobendrein gewesen, angesichts von immer mehrübergewichtigen Erwachsenen und Kindern in Deutschlandund Europa.

Doch das EU-Parlament lehnte die Lebensmittelampelmehrheitlich ab. Das sei ein Sieg für die Lobbyisten und eineNiederlage der Verbraucher, waren sich Medien quer durchalle politischen Lager einig. Zuvor hatten dieNahrungsmittelkonzerne Lobbyisten in Heerscharen inMarsch gesetzt, um die Abgeordneten mit ihren Positionenzu penetrieren. Eine Milliarde Euro gab dieLebensmittelindustrie nach Angaben von Spiegel Onlinedafür aus.[81] »Das Votum ist ein fatales Beispiel dafür, wie

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Politik sich ihren Gestaltungsspielraum von der Industrie hatabnehmen lassen«, hieß es dort. Der schwedischeEuropaabgeordnete Carl Schlyter sprach von einer der»größten Lobbyschlachten« der vergangenen Jahre. DieVorgehensweise und die Methoden der Lobbyisten glichendabei über weite Strecken den in diesem Buchbeschriebenen beim Kampf der Tabakindustrie gegenbesseren Nichtraucherschutz.

Begründet wurde die Ablehnung von der konservativ-liberalen Mehrheit im EU-Parlament weitgehend exakt mitden Argumenten, mit denen an einer Lebensmittelampelnicht interessierte Konzerne wie Nestlé oder Coca-Coladagegen argumentiert hatten: Eine Ampel vereinfache zusehr, stigmatisiere bestimmte Lebensmittel, seiwissenschaftlich nicht genug fundiert und führe in die Irre.Als Schlupfloch wurde den Abgeordneten erfolgreich dieArgumentation ans Herz gelegt, natürlich wäre einebewusste und ausgewogen-gesunde Ernährung sinnvoll undes lohne sich auch, dafür politisch einzutreten. Nur ebenanders, nicht mit einer Ampel. Frei nach dem Motto: Warumeinfach, wenn es auch kompliziert geht.

»Die Argumente der Industrie wurden sowohl in deninternen Verhandlungen als auch in den Ausschusssitzungenständig wiederholt«, so Schlyter. »Das hatte wirklich einengroßen Einfluss auf die Entscheidungen.« Der Lobbydruckder Industrie sei viel größer gewesen als dieInteressenvertretung der Verbraucher. »Das ist ein echtesDemokratieproblem, weil es so ein großes Ungleichgewichtder Einflussmöglichkeiten gibt.«[82]

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7 Die Freiheit nehm ich dir

Die unterwanderte WissenschaftWie Konzerne mit Geld und Geschick

Forscher und Denkfabriken nutzen, um dieGesellschaft zu beeinflussen – und ihre

eigene Macht auszubauen.

Die Adresse Unter den Linden 14 in Berlin-Mitte sieht vonaußen aus wie viele andere auf Berlins wichtigster Meile derSelbstvermarktung und des Lobbyings: edler Marmor,Messingglanz, dezente Firmenschilder, gedämpft surrendeAufzüge. In den Schaufenstern im Erdgeschoss glänzen dieteuersten Modelle von Mercedes-Benz. Der Konzern will deneigenen Mythos hier »in all seinen Facetten spürbar underlebbar« machen. Im Restaurant »Daimlers« werden dazuVitallunch oder vegetarische »Maultäschle« gereicht.

Wer das Gebäude betritt und in den dritten Stock fährt,erlebt allerdings plötzlich eine ganz andere Markenwelt. Inder erst vor wenigen Jahren eröffnetenHauptstadtrepräsentanz des amerikanischen IT-Weltkonzerns Google geht es ziemlich salopp undhemdsärmelig zu.

Bunte Wandfarben, eine Schale mit Bonbons imFirmenlogo auf dem Empfangstresen, Kicker, Passfoto-Maschine und eine Spieleecke für Besucher – schon derEingangsbereich in diesem vornehmen Prachtbau an einer

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von Berlins teuersten Adressen soll klarmachen: Dastraditionsreiche Firmenmotto »Don’t be evil« ist hier quasi zuHause. Verspielter Gründergeist weht durch die mehr als1000 Quadratmeter große Repräsentanz desmilliardenschweren Unternehmens. »Explore your World«empfiehlt ein Terminal, das für den Satelliten-Dienst GoogleEarth und die Möglichkeiten der virtuellen Reise an jedenOrt der Welt wirbt. Spielekonsolen und Spielzeugtrabbis –auf Sofas dürfen sich Gäste mit Niedlichkeiten beschäftigen,während Presseleute, Vertriebler und sieben Lobbyistennebenan am Ausbau der Google-Geschäfte feilen.

Und das tun sie mit gewaltigem Erfolg. Bei Suchmaschinenhat der Konzern 2015 einen Marktanteil von über 90 Prozentin Deutschland erreicht – vor den Konkurrenten Bing (2,6Prozent) und Yahoo (1,7 Prozent). Kaum ein anderer Marktwird derart von einem einzigen Unternehmen dominiert. MitChrome betreibt Google auch noch den meistgenutztenBrowser, mit GMail den am häufigsten genutzten E-Mail-Dienst und mit Android eines der meistgenutzten mobilenBetriebssysteme. Der Wert des Konzerns wächst so rasant,dass er inzwischen unter den wertvollsten der Welt rangiert.Der Computerhersteller Apple ist die Nummer eins. DieGoogle-Mutter Alphabet aber rangiert mit einem Marktwertvon gut 500 Milliarden US-Dollar schon auf Platz zwei undmacht klar: Die New Economy löst damit auch nach und nachdie alten Industriekonzerne ab. Auch traditionsreiche Größenwie der Ölkonzern Exxon Mobil oder die Warren Buffett-Holding Berkshire Hathaway sind längst geschlagen.

Die Macht von Google wächst. Die Außendarstellung bleibtdennoch verspielt. »Kita für Erwachsene« nennen mancheBeschäftigten ihre Büros. Die Besprechungsräume heißen

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»Oberbaumbrücke« oder »Pfaueninsel«. Die Botschaft derFirma: Hier ist ein freundlicher Konzern in der deutschenHauptstadt angekommen, einer, der sich einfügt und inBerlin zu Hause fühlt.

Die Charmeoffensive hat einen guten Grund. Deutschlandist für Google nach den USA und Großbritannien nicht nurder drittwichtigste Markt der Welt. Die Bundesrepublik zähltauch zu den Ländern, in denen besonders intensiv überDatenschutz debattiert wird. Jenes »D«-Wort, das man beiGoogle nicht allzu gerne hört. Schließlich lebt dasGeschäftsmodell des Unternehmens aus Mountain View inKalifornien davon, Daten der Nutzer zu verwenden und anUnternehmen zu verkaufen. Oder wenigstens die Anzeigenim Zusammenhang mit solchen Daten.

Für Google selbst steht dieses Geschäft erst am Anfang.Eric Schmidt, lange Jahre Google-Chef und inzwischenoberster Verwaltungsrat der neu gegründetenKonzernholding Alphabet, erwartet für seine Firma noch vielmehr Dominanz.

In seinem Buch »Die Vernetzung der Welt«, das erzusammen mit dem smarten Chef der Google-Denkfabrik»Ideas«, Jared Cohen, geschrieben hat, legt der IT-Managerfreimütig offen, wie er die Schwergewichte der IT-Industriesieht. »Wir sind überzeugt, dass Portale wie Google,Facebook, Amazon und Apple weitaus mächtiger sind, als diemeisten Menschen ahnen. Ihre Macht beruht auf derFähigkeit, exponentiell zu wachsen. Mit Ausnahme vonbiologischen Viren gibt es nichts, was sich mit derartigerGeschwindigkeit, Effizienz und Aggressivität ausbreitet wiediese Technologieplattformen, und dies verleiht auch ihrenMachern, Eigentümern und Nutzern neue Macht.«

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Schmidt und Cohen erklären auch, warum: »Die Nutzergeben mehr von sich preis, als sie ahnen.« Dieser Datenstromsei für Behörden und Unternehmen ein Geschenk. IhrSchluss: Das verändere nicht nur die gesellschaftlichenSpielregeln, sondern auch Werte und Normen.

Weltweit schwant Politikern und IT-Experten, dass es nichtim Interesse ihrer Gesellschaften ist, die Konzerne einfachgewähren zu lassen. Harvard-Ökonomin Shoshana Zuboffetwa wirft Google Absolutismus vor. Google sei dabei, einneues Reich zu errichten, dessen Stärke auf einer ganzneuen Art von Macht basiere – allgegenwärtig, verborgenund keiner Rechenschaft pflichtig. Falls dies gelinge, werdesie alles übertreffen, was die Welt bisher gesehen hat.

Die deutsche Monopolkommission, die dieBundesregierung in problematischen Fragen derMarktmacht berät, ist zwar weniger blumig in ihrenFormulierungen, aber genauso entschlossen in der Warnung.»Die größte Suchmaschine lernt, aufgrund eines immensenAufkommens an Suchanfragen, schneller und besser als jedeandere, was für die Menschen relevant ist und was nicht«,erklärt Daniel Zimmer, Chef der Monopolkommission. Siefordert deshalb, gegen die großen Internetkonzerne wieGoogle mit harter Hand vorzugehen, etwa beim Datenschutz.

Wirtschaftsminister Gabriel brachte sogar schon mal eineZerschlagung von Google ins Gespräch. Und EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager droht demUnternehmen mit einer Kartellbuße in Milliardenhöhe. BeimAbstecken der Claims in der neuen digitalen Welt drohen inEuropa also heftige Debatten zwischen Wirtschaft undPolitik. In einem Bereich, in dem Gesetze und Märkte docherst noch entstehen.

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Google weiß: Es ist wohl besser, als weltweit freundlicheswie gutmütiges Unternehmen – und Partner der Politik –wahrgenommen zu werden, anstatt als Gegner derVerbraucher, Politiker und Wähler dazustehen. Der Konzernnutzt deshalb Gelegenheiten, der Gesellschaft ein wenigunter die Arme zu greifen.

Da ist zum Beispiel die 2014 eröffnete sogenannte Factory,Deutschlands größtes Gründerzentrum in Berlin-Mitte, dasnach dem Vorbild des Google-Firmensitzes Googleplex imkalifornischen Mountain View geplant wurde. An historischerStelle, in der Nähe der Grenzstelle Bernauer Straße, ist aufdem Gelände einer Brauerei, gefördert von Google, ein Start-up-Campus – samt Basketballplatz und Kunstgalerie –entstanden. Bis zu 12000 Quadratmeter Nutzfläche wird dieFactory am Ende haben. Neben Twitter haben hierinzwischen neue Start-ups Büros bezogen. Eine Million Euroinvestierte Google selbst in das Berliner Prestigeprojekt. Alsdie Anlage im Sommer 2014 im Beisein von Eric Schmidt,feierlich eröffnet wurde, lobten Berliner Politiker wie derdamalige Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD)Google als starken Partner bei der Realisierung der Factory.

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Wenn Google forschen lässt

Wenn sich schon mancher Politiker von der Freundlichkeitdes Konzerns einlullen lässt – wie gut, dass sich inDeutschland wenigstens die Wissenschaft kritisch undneutral mit dem Einfluss der Digitalisierung auf dieGesellschaft befasst. Sollte man wenigstens meinen. Alskritische und unbestechliche Stimme, etwa beim ThemaMonopolisierung des Netzes oder dem Umgang mit demDatenschutz. Was soll erlaubt sein, was nicht? Wie sehenMarktregeln aus, die die Daten des Einzelnen ausreichendvor unerwünschter Vermarktung schützen? Es brauchtFachinstanzen, die Antworten auf diese Zukunftsfragenliefern.

Als die zentrale wissenschaftliche Anlaufstelle fürInternetthemen in Deutschland schlechthin sieht sich dabeidas »Alexander von Humboldt Institut für Internet undGesellschaft« (HIIG) in Berlin. Die Hauptaufgabe diesesInstituts liege in der »problemorientiertenGrundlagenforschung zu den Herausforderungen derdigitalen Gesellschaft«, so die Einrichtung selbst. Es gehe umThemen wie digitale Politik und Verfassungsrecht, teilen dieTräger mit. Klingt ganz so, als könnte hier ein Institut diePolitik beim richtigen Umgang mit den rasant wachsendenKonzernen des Digitalzeitalters beraten, beim ThemaDatenschutz etwa – oder beim Urheberrecht, das etwaVerlage bedroht sehen. Der Name klingt jedenfalls nachlanger Tradition, das Logo strahlt Seriosität aus. »DieKriterien unserer Arbeit sind wissenschaftliche Kompetenzund Unabhängigkeit«, versichert die Einrichtung selbst.

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Doch wie weit ist es wirklich her mit der Unabhängigkeitder Wissenschaft auf diesem so neuen wie relevantenForschungs- und Politikberatungsfeld?

Das HIIG ist eine ziemlich neue Einrichtung. Es existiertseit 2011. Gründungsgesellschafter sind die Humboldt-Universität zu Berlin, die Universität der Künste Berlin unddas Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Siestehen eigentlich tatsächlich für Unabhängigkeit. Doch derName HIIG und die wohlklingenden Organisationen dahinterverbergen, wer der bislang größte private Geldgeber derEinrichtung ist: der IT-Riese Google höchstselbst. Etwa 4,5Millionen Euro spendierte der Konzern bereits zum Start.

Google wurde dabei von der deutschen Politik und denTrägern mit offenen Armen empfangen. Schließlich sindprivate Gelder für die deutsche Wissenschaft durchauserwünscht und willkommen. Als »gelebte unternehmerischeVerantwortung« lobte der damalige Staatssekretär fürWissenschaft und Forschung in der BerlinerSenatsverwaltung, Knut Nevermann, das Google-Engagement und erklärte sicherheitshalber gleich noch, dassdas HIIG sicher nicht der »intellektuelle Wurmfortsatz einerSuchmaschine« werde.

Diese Einschätzung allerdings blieb in den vergangenenJahren nicht ungeteilt. Und das liegt nur zum Teil an derFinanzierung. Von 2014 bis 2016 fließen weitere 4,5Millionen Euro, und auch darüber hinaus wurde bereits eineAnschlussfinanzierung bis 2019 vereinbart. Heute kommt derLöwenanteil der dem Institut zur Verfügung stehenden Mittelvon Google. 2012 seien es 100 Prozent des Budgets gewesen.2015 »nur« noch 80 Prozent, teilt uns das Institut mit.

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Für Google-Kenner ist ein so großzügiges Engagement allesandere als selbstlos. Es folgt einem seit Jahren bekanntenWunsch nach mehr Einfluss auf vielen Ebenen. In den USAfährt der Konzern bereits seit Längerem eine knallharteLobbypolitik. Um das Jahr 2005 schickte Google den erstenInteressenvertreter nach Washington. 2012 schließlich, alsdie amerikanische Wettbewerbsbehörde FTC gegen Googleermittelte, gab der Konzern bereits über 18 Millionen Dollarallein für die direkte politische Einflussnahme in Washingtonaus und schaltete ein ganzes Heer von weit über 20Anwaltsfirmen in die Politikbearbeitung ein. Innerhalbweniger Jahre rüstete Google in den USA so zu einer dergrößten Lobby-Mächte überhaupt auf.

Das Beispiel USA zeigt, wie sich solche Bemühungen umUnterstützer im richtigen Augenblick auswirken. Es war wohlkein Zufall, dass gleich mehrere US-KongressmitgliederWarnbriefe an ihre Kollegen im Europäischen Parlamentschickten, als dem Konzern auch in Brüssel gewaltigeWettbewerbsprobleme drohten. So schrieb etwa derRepublikaner Bob Goodlatte, der Vorsitzende desRechtsausschusses im Repräsentantenhaus, an mehrereFraktionsvorsitzende des EU-Parlaments, er sei besorgt, dasseinige Europaabgeordnete Kartellregelungen anstrebten, dieoffenbar von politischen Erwägungen statt faktischen undjuristischen Prinzipien geleitet seien.

Die Politiker selbst erweckten dabei den Eindruck, dass sieselbst natürlich allein diesen faktischen Prinzipien folgten.Das Internet allerdings – bei Google müsste man die Allmachtdes Mediums kennen – fand noch ein paar andere guteGründe heraus. Es ist vor allem die Plattform

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Opensecrets.org, die der Wahrheit im Netz auf die Sprüngehelfen will. Sie durchleuchtet etwa Wahlkampfspenden undoffenbarte so, dass der US-Abgeordnete Goodlatte seit 2011zu den großen Empfängern von Wahlkampfspenden durchGoogle zählte. An ihn flossen gut 40000 US-Dollar. Weitereneun Unterzeichner von insgesamt drei Brandbriefenerhielten allein in der Wahlkampfperiode 2013/14 vonGoogle zusammen mehr als 260000 Dollar. Aber natürlichging es beim Kampf der US-Politiker für Google allein umfaktische und juristische Prinzipien.

Die Fälle aus Washington machen klar, mit welchenBandagen der Streit um schärfere Regeln für die Arbeit derIT-Konzerne ausgetragen wird – fernab von Spielekonsolenund Spielzeugtrabis. Dem Konzern geht es um weit mehr alsnur den »offenen Dialog« in der Gesellschaft. Google ist dabeiin der IT-Branche natürlich nicht allein. Auch auf derGegenseite, etwa bei europäischen Medienkonzernen, dieihre Inhalte besser schützen wollen, werden Lobbyagenturenauf nationaler wie internationaler Ebene eingeschaltet.Google-Manager sprechen inzwischen gar von einemregelrechten Kriegsgebiet.

In Europa, so fürchtet man offenbar bei Google, kann maneinen solchen Krieg kaum gewinnen, wenn er offenausgetragen wird. Man vermeidet die direkte Konfrontationauf politischer Ebene und versucht stattdessen über denAufbau geschickter Netzwerke und mit finanziellerFörderung sein Anliegen voranzutreiben, so unreguliert wiemöglich Daten sammeln und vermarkten zu können. »Googleist in Europa sehr darauf bedacht, nicht öffentlich alsLobbyist wahrgenommen zu werden«, beschreibt Jan PhilippAlbrecht, innen- und justizpolitischer Sprecher der Grünen-

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Fraktion im EU-Parlament, die Google-Strategie. DerKonzern sei aber nicht nur in den USA, sondern auch in denpolitischen Strukturen Europas »bestens verankert«.Netzpolitiker Albrecht, mit Anfang 30 einer der Jungen imParlament, zählt dennoch zu denen, die es wissen müssen.Als Verhandlungsführer des EU-Parlaments für die neueDatenschutzverordnung saß der Mann mit Bart undStudentenbrille auf der Gegenseite der Lobbyisten. »Googlebezahlt vor allem große Anwaltskanzleien,Interessenverbände und Wissenschaftler, um seine Anliegenin Politik und Öffentlichkeit zu tragen«, sagt er.[83]

Auf europäischer Ebene gab Google laut EU-Transparenzregister 2013 maximal 1,5 Millionen Euro fürLobbying aus. In Deutschland dürfte der Konzernvergleichbare Summen investieren. Deutlich weniger also alsin den USA. In Berlin wächst deshalb auch die Sorge, dassangesichts der Finanzierung der wissenschaftlichenEinrichtung durch Google mit dem HIIG ein Lobbyinstrumentdurch die Hintertür heranwächst und wirkt.

Bei Google widerspricht man entschieden: »Zur Förderungder Internetforschung in Berlin hat Google schon 2011 dieGründung eines unabhängigen und interdisziplinärenForschungsinstituts unterstützt: das Alexander von HumboldtInstitut für Internet und Gesellschaft«, erklärt Google-Manager Schmidt in einem Gastbeitrag im Tagesspiegel2015. »Unser Ziel dabei war es, die Forschung zu stärkenund eine Grundfinanzierung zur Verfügung zu stellen. Diewissenschaftliche Arbeit und Ausgestaltung der Organisationblieb allein den akademischen Trägern überlassen.«

»Die wissenschaftliche Unabhängigkeit des HIIG ist seitdessen Gründung vor vier Jahren ein zentrales Anliegen der

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beteiligten Partner«, sagt auch ein Google-Sprecher. Siewerde durch verschiedene Mechanismen sichergestellt: Dieregelmäßige Kontrolle des Instituts durch einenwissenschaftlichen Beirat sowie einen Stifterrat. Die strikteTrennung des Forschungsinstituts selbst und dessenFördergesellschaft. Und durch das Renommee derbeteiligten Häuser und der Direktoren sowie die stetigeErweiterung des Kreises der Förderer des HIIG. »Googlekann und will auf die Forschung keinen Einfluss nehmen. Esgibt weder ein Vetorecht noch Denkverbote«, heißt es imKonzern.

Doch reichen solche Bekenntnisse aus?

Es gibt Zweifel. Denn natürlich verfolgen IT-Konzerne inEuropa handfeste Ziele für jene IT-Gesetzes-Architektur, diegerade entsteht. Sie wollen weiter ihre Firmenzentralen indas Land mit den schwächsten Standards verlegen können.Sie wollen das Strafmaß für Gesetzesverstöße mindestensabmildern. Und sie wollen verhindern, dass den Nutzernihrer Dienste zu viel Mitspracherecht darüber eingeräumtwird, was der Konzern mit ihren Daten machen darf. Es gehtim Kern darum, den Datenschutz abzuschwächen. EinForschungsinstitut, das Google bei solchen Themen die Stirnbietet, könnte gefährlich werden.

Ob sich ein Institut wie das HIIG bei sensiblen Thementatsächlich kritisch mit Google auseinandersetzte, seifraglich, glaubt nicht nur Timo Lange von LobbyControl. UndLiteraturwissenschaftler Roland Reuß greift das Institut undseine Finanziers in der FAZ hart an: »Die Kooperation einerInstitution wie der Humboldt-Universität mit dieser Firmawird, wenn unsere Gehirne in 20 Jahren nicht vollständiggewaschen sind, als herausragendes Beispiel peinlicher

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Anbiederung in die Annalen eingehen.«

Beim HIIG betont man die Unabhängigkeit des Instituts.»Die war seit Gründung für uns ein großes Thema«, räumtHIIG-Direktor Wolfgang Schulz ein. »Wir haben uns natürlichgefragt, wie wir eine unabhängige Forschung gewährleistenkönnen. Uns war klar: Google, wie auch jedes andereWirtschaftsunternehmen darf keine Mehrheit in den Gremienhaben.«

Heute werde das Institut, eine gemeinnützige GmbH, voneiner Stiftung getragen, in deren EntscheidungsgremiumGoogle nur einen von sieben Plätzen besetze. »DieForschungsagenda wird außerdem von einemWissenschaftlichen Beirat begleitet und evaluiert. Dasgarantiert: Wir bestimmen selbst über die Forschung.« Dadie Kontrollgremien mit profilierten Forschern undDirektoren wie etwa den Professoren Jan-Hendrik Olbertzund Martin Rennert, den Präsidenten der Humboldt-Universität und der Universität der Künste, besetzt sind,seien Gefälligkeitsarbeiten nicht zu befürchten.

Nur: Würde das HIIG auch veröffentlichen, was Googleganz sicher nicht gefällt? Bislang jedenfalls bleibt das Institutdiesen Beweis schuldig. Häufig geht es um wirtschaftsnaheThemen ohne gesellschaftspolitische Brisanz. ImForschungsbereich Internet- und Medienregulierungerforschen die Mitarbeiter nicht etwa im großen Stilnaheliegende und polarisierende Themen wie den Streit umden Datenschutz. Der spiele im Augenblick keine zentraleRolle, räumt ein Mitarbeiter des Instituts ein. Dafür etwa die»Rechtsfragen von Crowdsourcing«.

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Dass es auch anders geht, zeigt ein Beispiel aus den USA:Keine 24 Stunden nach ihrem eigenen Verkauf an denAmazon-Gründer Jeff Bezos druckte die Redaktion derWashington Post ein ziemlich deutliches Zeichen derUnabhängigkeit. Sie veröffentlichte einen kritischen Berichtüber die Lobbyaktivitäten von Amazon in Washington. »EineZeitung zeigt ihre Zähne«, urteilten die Kollegen derbritischen Guardian-Redaktion.[84] Dies sei ein klares Signalan die eigenen Leser wie auch den neuen Besitzer. Denktbloß nicht, dass wir um kritische Themen einen Bogenmachen – für dieses Signal hatte das HIIG nun immerhin vierJahre Zeit. Zähne zeigte die Einrichtung bis heute nicht.

Im Gegenteil. In der Universität im Umfeld des Instituts istman ganz auf Google-Linie. So etwa im Streit um dassogenannte Leistungsschutzrecht. Diesen gesetzlichenAnspruch hatten Verlage gefordert, um für ihre im Internetverbreiteten Inhalte Lizenzgebühren verlangen zu können.Ein Rechtsgutachten zweier Professoren von der juristischenFakultät der Berliner Humboldt-Universität, in derenräumlicher wie fachlicher Nähe das HIIG gegründet wurde,hielt das Instrument für verfassungswidrig. In Auftraggegeben wurde es vom Verband der deutschenInternetwirtschaft (eco) und dem Suchmaschinenkonzern.Die Gutachter kommen zu dem Ergebnis, dass das von vieleneuropäischen Medienunternehmen geforderteLeistungsschutzrecht mit der Pressefreiheit unvereinbar sei.Es greife in die Informationsrechte der Internetnutzer ein,beeinträchtige die Betätigungsfreiheit derInternetunternehmen und führe zur »Enteignung« vonJournalisten.

Das HIIG ist beileibe nicht die einzige Denkfabrik, die eine

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gewisse Nähe zu Google hat. So mischte sich etwa dieEuropean Privacy Association (EPA) in Brüssel in dieöffentliche Debatte ein, eine auf den ersten Blick neutraleDenkfabrik, die mit Nichtregierungsorganisations-Charakterund Mitmachangebot eher als Bürgerrechtsorganisationauftritt und weniger als Industrieverband. Erst der Druckder Nichtregierungsorganisation Corporate EuropeObservatory beim europäischen Lobbyregister zwang die»Denkfabrik«, ihre wahren Unterstützer preiszugeben. DieEPA räumte ein, dass zu ihren Mitgliedern die großen IT-Firmen gehören, darunter Google, Facebook, Microsoft undYahoo.

Im EU-Transparenzregister wird klar, was das bedeutet.Vollmitglieder zahlen in der Organisation demnach 10000Euro Mitgliedsgebühr pro Jahr. Von den Beiträgen hatte dieEPA mithilfe von Public-Affairs-Agenturen zahlreicheParlamentarier-Lunches zum Thema Datenschutzorganisiert. Die Organisation gebe vor, sie sei einUnterstützer der Bürgerrechte beim Datenschutz, warnt diekonzernkritische Organisation CEO. »Aber in der Realität istsie Teil einer Industrie-Offensive, um geplante neue Regelnabzuschwächen und Einschränkungen beim kommerziellenNutzen privater Daten zu verhindern.«[85]

Die Debatten um Institute wie das HIIG zeigen, dass Bürger,Medien und Nichtregierungsorganisationen ihren kritischenBlick gegenüber dem Lobbyismus auch in neuen Bereichenschärfen müssen. Wer sich bislang über die Macht derWirtschaft in Politik und Gesellschaft ganz allgemeinwundert, denkt meist an Vertrautes: An Hinterzimmer-Gespräche zwischen Top-Managern und Spitzenpolitikern

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etwa. An den Besuch eines Deutsche-Bank-Chefs imKanzleramt. An scharfe Schreiben von Wirtschaftsverbändenan Minister. An den öffentlichen Druck, den manche teureAnzeigenkampagne auslöste – etwa die führender Konzernegegen den Atomausstieg. Oder an prominenteSeitenwechsler aus der Politik in Konzernzentralen vielleichtund die Kunst der sanften Überzeugung. Doch im Schattenvon Lobbyagenturen und Kanzleien blüht eine weitere sehreffektive Form des versteckten Einflusses. Die Einbindungvon Forschungsinstituten, um den eigenen Standpunkt so gutwie objektiv in Szene zu setzen und Debatten schon in ihrerEntstehung in die richtige Richtung zu lenken.

Damit betreten Lobbyisten ein besonders sensibles Feldeiner modernen Gesellschaft. Denn wie Menschen heuteleben, wird maßgeblich von den aktuellen Erkenntnissen derWissenschaft beeinflusst. Egal ob Klimawandel, Besteuerung,Gesundheitsthemen, Energie oder Sozialpolitik. Man vertrautProfessoren und Forschungsinstituten manchmal mehr alsder Politik. Im Glauben, dass es neutrale Stimmen sind.

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Die Arbeitgeber-Kampftruppe an der Uni

Dass ausgerechnet Universitäten derzeit deutlich anfälligerwerden für fremdes Geld, vor allem das der Wirtschaft, istden staatlichen Hochschulen des Landes nicht malvorzuwerfen. Weil sich die öffentliche Hand immer weiter ausder Finanzierung zurückzieht, zugleich aber die Zahl derStudierenden wächst, werden Drittmittel für Universitätenimmer wichtiger. Bundesweit habe sich die Relationhochschulübergreifend seit 2005 im Durchschnitt von 54 auf63 Studierende pro Professor verschlechtert, stellt etwa dasZentrum für Hochschulentwicklung fest, das selbst unteranderem aus der Bertelsmann Stiftung hervorging. Da liegtder Wunsch nahe, die Verhältnisse mit einerStiftungsprofessur zu bessern.

Das Problem sieht man selbst beim DeutschenHochschulverband (DHV), der Standesvertretung derProfessoren in Deutschland. »Unparteilichkeit undUnabhängigkeit bedingen einander«, heißt es in einerResolution des Verbands. »Die Unabhängigkeit derWissenschaft setzt eine ausreichende Grundfinanzierung vonForschung und Lehre voraus. Daran mangelt es aber: Neunvon zehn Wissenschaftlern haben in den letzten fünf JahrenDrittmittel beantragt, weil sie nur auf diese WeiseProjektmitarbeiter beschäftigen können«, kritisiert derVerband. Solange Einwerbungserfolge bei Drittmittelnreputations- bzw. karrierefördernd wirkten, finanziellbelohnt würden »und sich immer mehr zum Fetisch und zurWährung des Wissenschaftsbetriebs entwickeln«, wachse dieGefahr sachfremder Einflüsse auf die Wissenschaft. »Der

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Deutsche Hochschulverband sieht deshalb die wachsendeAbhängigkeit von Drittmitteln in der Forschungsförderungmit Sorge«, heißt es in aller Deutlichkeit in dem Papierweiter.[86]

Der Wissenschaftssoziologe Stefan Böschen, er ist derForschungsbereichsleiter für die ThemenWissensgesellschaft und Wissenspolitik am KarlsruherInstitut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse,bringt auf den Punkt, was viele innerhalb desForschungsbetriebs so erleben. Es entstünden Grauzonen,warnt Böschen. »Die Universitäten werden dazu angehalten,immer unternehmerischer zu werden. Das führt dazu, dassunter der Hand manches über Bord geworfen wird, wasfrüher als ehernes Prinzip galt.« Ob die Wissenschaft sokäuflich wird? Die Wahrheit verschiebe sich wohl aufsubtilere Weise, glaubt Böschen.[87]

Die Zahlen jedenfalls sprechen für sich. Es vergeht kaumeine Woche, in der nicht irgendeine Hochschule eine neueKooperation mit einem Unternehmen, einem Verband odereiner Stiftung verkündet. Der Anteil der Drittmittel steigt seitJahren beständig. Mal sind es Gutachten, mal eine direkteFinanzierung, mal Auftragsforschung. 1990 warbenDeutschlands Hochschulen noch insgesamt 1,5 MilliardenEuro an Drittmitteln ein. 2001 waren es schon dreiMilliarden Euro. 2011 lag die Summe bereits bei sechsMilliarden Euro. 2013, bei der letzten verfügbarenUntersuchung, stellte das statistische Bundesamt siebenMilliarden Euro fest. Ein großer Teil davon stammte direktaus der Wirtschaft.

Besonders eine Organisation kämpft in Deutschland seitJahren dafür, die Berührungsängste zwischen privaten

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Geldgebern und staatlichen Universitäten abzubauen: derStifterverband für die Deutsche Wissenschaft. In ihm habensich große Unternehmen und Verbändezusammengeschlossen. Zu seinen Hauptförderern gehöreneine Reihe großer Konzerne wie die Deutsche Bank, Daimlerund Bosch, aber auch Mittelständler und Privatpersonen. Auseigener Sicht mit Erfolg.

»Universitäten und Fachhochschulen haben schon seitLängerem ihren Elfenbeinturm verlassen, ihre grundsätzlichskeptische Haltung gegenüber der Wirtschaft abgelegt undzeigen eine große Offenheit für langfristige Kooperationen«,sagt Andreas Schlüter, Generalsekretär desStifterverbandes. »Die Zusammenarbeit zwischen Wirtschaftund Wissenschaft wird für beide Seiten immer wichtiger.«Das habe nicht einmal unbedingt damit zu tun, dassausgehungerte Hochschulen von der Politik zumKlinkenputzen geschickt würden. Die Firmen selbst drängees an die Hochschulen. »Immer mehr Produkte undDienstleistungen sind forschungsbasiert«, so Schlüter. Esgebe immer mehr Kooperationsprojekte zwischen Unis undUnternehmen. Diese »Verwissenschaftlichung derWirtschaft« wirke auch auf die Wissenschaft zurück.»Unternehmen sind beispielsweise immer häufiger im Besitzvon Informationen und Daten, die für die Wissenschaft vonhohem Interesse sind.«

Wer bestimmt eigentlich, was erforscht wird? Werentscheidet, wer an einem bestimmten Thema forscht? Undwie kritisch dürfen die Forscher mit denen umgehen, die ihreArbeit zahlen?

Der Stifterverband weiß, dass es einige Fragen gibt. Der»allergrößte Teil der Forschungsfragestellungen führe nicht

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zu direkten oder indirekten Urteilen oder Bewertungen überden Finanzier«, sagt Schlüter. Trotzdem werbe der Verbanddafür, dass die den Studien oder Gutachtenzugrundeliegenden Finanzierungsstrukturen offengelegtwürden, um Interessenkonflikte sichtbar zu machen. DerVerband spürt, dass das Unbehagen in Teilen derGesellschaft wächst. In der Bevölkerung sei der Rückhalt fürKooperationen groß. Auch Studierende lehntenKooperationen im Studium nicht ab. »Eine wachsendeSensibilität ist teilweise in den Medien festzustellen.« Esbleibe abzuwarten, ob sich unter Bürgern undHochschulmitgliedern eine skeptischere Haltung ausbreitenwerde, erklärt der Verbandschef.

Ein Beispiel der Ludwig-Maximilians-Universität München(LMU) zeigt, warum die Zweifel wachsen.

Professor Volker Rieble zählt zu denen, die sich gerneeinmischen in mediale Debatten. Zuletzt in die zur Rolle derArbeitnehmer als Aufsichtsräte großer Konzerne. DerArbeitsrechtler geißelt in Gastbeiträgen etwa in derFrankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung schon mal den»Filz in Vorständen und Aufsichtsräten« und erklärt, »warumArbeitnehmer nicht als Kontrolleure taugen« und»Betriebsräte im Aufsichtsrat ihres eigenen Unternehmensnichts zu suchen haben«. Immer wieder setzt sich Rieble sofür die Sache der Arbeitgeber ein – und gegen dieArbeitnehmer.

Etwa in jenem Fall einer Kaisers-Kassiererin, derbundesweit für Aufsehen sorgte. Der Professor kritisierte dasals »Emmely«-Entscheidung bekannt gewordene Urteil desBundesarbeitsgerichts scharf. Die Richter gaben dabei derBerliner Kassiererin Barbara E. ihren Job zurück, obwohl sie

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zwei Pfandbons im Wert von zusammen 1,30 Eurounterschlagen hatte. Die Bons hatte offenbar ein Kunde imMarkt verloren. E. hatte sie mit einem privaten Einkaufverrechnet. Scharfmacher Rieble beschimpfte die Kassiererinin der Folge als »notorische Lügnerin« und sprach sich fürdie fristlose Kündigung und die Einleitung einesStrafverfahrens aus.[88] Eigene Texte betitelt Rieble schonmal mit »Mehr Spaß ohne Tarif«.

Professoren einer renommierten Universität gelteneigentlich als unabhängig. Wer Riebels Beiträge liest, könntealso vermuten, dass sich da ein gänzlich unabhängigerWissenschaftler äußert. Doch Zweifel sind angebracht. Dennseine Professur wird nicht vom Staat finanziert. DieArbeitgeberverbände der bayerischen Metall- undElektroindustrie, der Verband der Metallindustrie Baden-Württemberg sowie der Bundesarbeitgeberverband Chemiehatten im Jahr 2003 über eine eigens gegründete Stiftungdas Zentrum für Arbeitsbeziehungen und Arbeitsrecht, kurzZaar, an der LMU ins Leben gerufen. Rieble ist einer seinerDirektoren. Laut Stiftungssatzung brachten die Gründerdafür zusammen 55 Millionen Euro ein. Von den Zinsen wirddas Institut finanziert.

Ziel war offenbar eine Denkfabrik im eigenen Sinn mit demLogo einer staatlichen Uni. Die Gründer hatten jedenfallsklare Vorstellungen. »Das deutsche Arbeitsrecht ist einwichtiger Standort- und Wettbewerbsfaktor«, heißt es in derPräambel zur Stiftungssatzung. Gleichwohl werden dieokonomischen Folgewirkungen arbeitsrechtlicherSchutzmaßnahmen – insbesondere fur kleine und mittlereUnternehmen (KMU), aber auch fur Existenzgrunder –bislang zu wenig berucksichtigt«, heißt es in den Statuten

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weiter.

Das Zaar ist als sogenanntes An-Institut, also eineeigenständige wissenschaftliche Einrichtung an der LMUMünchen, organisiert. Es hat drei Abteilungen mit je einemProfessor plus Mitarbeitern. Sie besetzenStiftungslehrstühle: Die Uni beruft sie, beurlaubt sie abersogleich. Fortan bezahlt sie der Stifter, obwohl sie einenormale Lehrverpflichtung an der Uni haben. Für dieunterfinanzierten Hochschulen ist das ein verlockendesModell.

Bei der feierlichen Stiftungsgründung stellten dieGeldgeber ohne Umschweife klar, was sie von »ihrem«Institut erwarten.

Nach »herkömmlichem Verständnis« sei »Arbeitsrecht inerster Linie Arbeitnehmerschutzrecht«, ärgerte sich etwaChemieverbands-Vize- und BASF-Vizechef Eggert Voscherauin seiner Rede. Man habe aber in den letzten Jahrzehnten inDeutschland erfahren mussen, welche kontraproduktivenWirkungen dieses Verstandnis auf den Arbeitsmarkt gehabthabe. Der Funktionär war sich sicher: »Es besteht ernsterAnlass zur Sorge um Deutschland.« Das neue akademischeZentrum aber soll aus Arbeitgebersicht die Rettung bringen:»Meine sehr verehrten Damen und Herren«, schlossVoscherau seine Rede, »wir brauchen diese heute errichteteunabhangige Stiftung dringend.« Man wolle doch schließlich,dass sie dazu beitragt, »unser Land dahin zu bringen, dasswir national, europaisch und international mit Deutschlandwieder Staat machen können«.

Professoren an einer deutschen Universität alsKampftruppe von Arbeitgeberverbänden? Damit nichts ausdem Ruder läuft, bauen die Industrieverbände gleich noch

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vor. Die drei Professoren des Zentrums werdensicherheitshalber von einem Beirat aus »herausragendqualifizierten Persönlichkeiten« beraten, die dem Zaar-Vorstand »in Fragen hinsichtlich der Verwirklichung desStiftungszweckes« zur Seite stehen. Sie alle kommenselbstverständlich von Unternehmen oderUnternehmensverbänden. Und so ist auch Bayerns DGB-ChefMatthias Jena nicht gut auf das Zaar zu sprechen. Es solle, soglaubt Jena, im Auftrag der Arbeitgeberverbände etwagezielt nach Schlupflöchern fahnden, um ganz legal Löhne zudrücken. Der harte Vorwurf: Das Zaar schule Unternehmenin Sachen Lohndumping.

Am Zaar sieht man die Sache anders. Rieble widersprichtden Vorwürfen. Der Institutsbetrieb laufe vollkommenunabhängig von den Stiftern. Die Geldgeber hätten ihrVermögen an die Wissenschaft übertragen. Er fühle sich inseiner Arbeit unabhängig, berate auch Betriebsräte gegendie eigenen Unternehmen, etwa beim Streit umBetriebsrenten. Warum es deutlich weniger Mandate sind alsvon Unternehmen? »Weil die IG Metall eine Kampagnegegen unser Institut fährt«, ist sich Rieble sicher. Alle dreiDirektoren hätten schon vor der Institutsgründung in derakademischen Welt einiges geleistet. Ob die Finanzierungdurch die Wirtschaft nicht doch eine Schere im Kopferzeugen kann? »Die innere Unabhängigkeit ist doch vielwichtiger als die äußere«, findet Rieble und arbeitet bereitsam nächsten Werk: einem Buch, das die aus seiner Sicht vielzu hohe Bezahlung von Betriebsräten thematisiert.

Klar ist: Immer mehr Professoren sind zumindest äußerlichnicht mehr ganz unabhängig. Nach Angaben des

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Stifterverbandes gibt es bundesweit derzeit etwa 1000Lehrstühle, die von privaten Geldgebern auf Zeit finanziertwerden. Das sind deutlich mehr als doppelt so viele wie vorzehn Jahren. Mit 41 Prozent seien Unternehmen dabei diewichtigsten Förderer. Wie stark die Wissenschaft dabeigeknebelt werden kann, zeigt das Beispiel zweier BerlinerUniversitäten, die sich in einem Vertrag mit der DeutschenBank sogar verpflichteten, Forschungsveröffentlichungenvorab abzustimmen. Das Entsetzen war groß, als der Dealzwischen der Bank, der Humboldt-Universität und der TUBerlin bekannt wurde.

Die Kooperation zeugte von einer sehr ungleichenPartnerschaft. Ein empörter Professor brachte die Sache2011 mit der Veröffentlichung eines bis dahin geheimenDokuments ans Licht und beklagte damit die »Selbstaufgabezweier Universitäten«. Das Geldhaus stiftete bis 2011 einInstitut zur Finanzmathematik und ließ sich dafür von denbeiden Universitäten weitreichende Mitspracherechtezusichern. Dazu zählte, dass die Besetzung der Professurenim Einvernehmen mit der Bank geschehen sollte.Veröffentlichungen sollten ihr zur Freigabe vorgelegtwerden. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dasshier Wissenschaft eingekauft werden sollte, ließ sich derGeschäftsführer des Deutschen Hochschulverbandes, Dr.Michael Hartmer, in den Medien zitieren. Ein Einzelfall, hießes damals.

Wirklich? Werden die Kooperationen allgemein auch anden Hochschulen und von ihren Trägern befürwortet, so wiees der Stifterverband gerne sieht? Sind nur die Medienkritisch?

Beispiel Kiel. In der nördlichsten Großstadt Deutschlands

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mokierten sich die Studenten über eine Professur derschleswig-holsteinischen Milchwirtschaft. Thema:Milchökonomie. Die Studierenden warnten, es werdeerwartet, dass sich der Berufene mit Projekten für dieMilchwirtschaft engagiere. Ein solcher Professor werde sichim politisch umkämpften Milchpreisstreit kaum neutralverhalten oder gar auf die Seite der Bauern stellen.

In Bremen bezeichneten 70 Hochschullehrer undWissenschaftler 2011 in einer Erklärung extern finanzierteLehrstühle als »Außensteuerung der Universität« undwarnten vor der »Gefährdung der Unabhangigkeit vonWissenschaft, Forschung und Lehre«. Anlass war eineStiftungsprofessur für Weltraumfahrt-Technologie, finanziertvon der Bremer OHB System AG, die auch militärischnutzbare Güter produziert. Die Unterzeichner sahen einenVerstoß gegen eine Klausel der Uni, wonach jedwedeForschung mit militärischer Nutzung abzulehnen sei.

Viele der Verträge kommen allerdings nie ans Licht. Dennsie sind geheim. In Köln erregte die Zusammenarbeit derUniversität mit dem Pharmakonzern Bayer Argwohn. Die»präferierte Partnerschaft« der Hochschule mit demPharmakonzern lief von 2008 bis 2014. Sie sollte dieAusbildung von Doktoranden an der Uniklinik und bei Bayerfördern. Die Universität hält den Text der Vereinbarung wieauch die Summe, mit der Bayer die Partnerschaft förderte,unter Verschluss.

Einblicke in die Tiefen vieler Unternehmenskooperationender Hochschulen liefern erst staatliche Prüfer. Sie stießenteilweise auf Erstaunliches: »Bei der Besetzung derStiftungsprofessuren sowie bei deren inhaltlicher

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Ausrichtung waren teilweise erhebliche Einflussnahmen derStifter festzustellen«, urteilt etwa der LandesrechnungshofNordrhein-Westfalen im Jahr 2011. Er hatte sich alleVerträge der damals 74 Stiftungsprofessuren an 33Landeshochschulen zeigen lassen. Fast immer haben dieStifter die Vereinbarungen entworfen. In mehreren Fällen,stellten die Rechnungsprüfer aus NRW fest, hätten sich dieHochschulen gar dazu verpflichtet, dass nur ein Kandidatberufen werden darf, »mit dem der Stifter vertrauensvollzusammenarbeiten kann«. An einer Universität habe derStifter bereits in den Vertragsverhandlungen eine Person alsLehrstuhlinhaber benannt und der Hochschule Geräte inAussicht gestellt, wenn der Wunschkandidat den Postenerhält.[89] Der Kandidat bekam die Stelle.

Der Drang der Konzerne an die Unis treibt bisweilenseltsame Blüten: So gibt es an der Universität Erlangen-Nürnberg nicht nur den GfK- (Gesellschaft fürKonsumforschung), sondern auch den Müller-Medien- undden easyCredit-Hörsaal. Im Gegenzug zur Namensgebungzahlte allein die Nürnberger Team-Bank, die diesen Kreditanbietet, 130000 Euro für die Förderung der WiSo-Fakultät.

An der Fachhochschule Würzburg pauken Studenten imAldi-Süd-Hörsaal oder im Sparkassen-Hörsaal. DassStudenten jetzt auch beim Lernen mit Werbung konfrontiertwerden, wird die deutsche Universitätslandschaft nichterschüttern, könnte man zugunsten der Kooperationeneinwenden. Werbung ist heute ja ohnehin omnipräsent.Andererseits: Wie können Universitäten Sensibilität für dieEinflussnahme der Wirtschaft auf die Forschung erwarten,wenn sie die nicht einmal selbst vorleben? Oder muss mansich eben doch damit abfinden, dass Forschung Teil des

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Wirtschaftslebens geworden ist – und teilweise selbst alsProdukt daherkommt? Man denke nur an die vielen Studien,die sich Unternehmen bei Universitäten gegen Geld quasibestellen können.

Und das, obwohl wissenschaftliche Studien dochinzwischen für beinahe jede Entscheidung von Rangherangezogen werden – und allein von daher besonderssorgfältig und vor allem neutral und nach seriösenwissenschaftlichen Kriterien fundiert sein sollten. Egal obEuro-Rettung, Energiewende oder Gesundheitspolitik –Studien können Bundestagsentscheidungen beeinflussenoder steuern, wie die Deutschen ihr Geld für die Renteanlegen.

Union Investment etwa, eine der größtenFondsgesellschaften in Deutschland, ließ sich den»Vorsorgeatlas Deutschland« vom »ForschungszentrumGenerationenverträge« der Universität Freiburg erstellen.Das Ergebnis ist glasklar: Die »Riester-Rente erfüllt ihresozialpolitische Funktion und fördert vor allem Menschen mitniedrigen und mittleren Einkommen«, heißt es in einerErklärung der Gesellschaft. Alles andere hätte auchüberrascht. Union Investment ist einer der größten Anbieterbei der privaten Riester-Rente. Die Zeit fand heraus, dass dieKapitalanlagegesellschaft für die Studie in Freiburg eineSumme bezahlte, die etwa 10 Prozent der gesamten Mitteldes »Forschungszentrums Generationenverträge« derUniversität ausmacht.[90]

Die ersten Länder steuern bereits um und beschränken dieFreiheiten bei der Zusammenarbeit von Unis und Wirtschaftwieder. In Baden-Württemberg hat WissenschaftsministerinTheresia Bauer (Grüne) unlängst den Hochschulen auferlegt,

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in einer Datenbank alle Forschungsprojekte mit fremdemGeld nachprüfbar festzuhalten. Mit dem unter der schwarz-gelben Vorgängerregierung geschaffenen Leitbild einer»unternehmerischen« Hochschule im Südwesten sollte dasneue Landeshochschulgesetz von 2014 aufräumen. »Das hatnie zu den Hochschulen gepasst«, sagt Bauer.[91]

Auch Niedersachsen machte kürzlich sämtlicheMilitärforschungsprojekte der Landeshochschulen öffentlich,nachdem deutsche Universitäten mit ihren Arbeiten für dasamerikanische Pentagon in die Schlagzeilen gerieten. »Ineiner Demokratie verbietet es sich, dass öffentlich geförderteHochschulen hinter verschlossenen Türen forschen«, sagteWissenschaftsministerin Gabriele Heinen-Kljaji (Grüne).[92]

Und auch der Deutsche Hochschulverband ruftWissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dazu auf, allenicht aus der staatlichen Grundausstattung finanziertenForschungsprojekte und Drittmittelprojekte einschließlichder Auftraggeber offenzulegen, zum Beispiel auf derWebseite des Instituts.

Wie sensibel der Punkt für die Hochschulen, aber auch fürdie Wirtschaft längst ist, zeigte sich in Nordrhein-Westfalen.Wissenschaftsministerin Svenja Schulze (SPD) wollteebenfalls mehr Transparenz in der Drittmittelforschungdurchsetzen, wogegen die Rektoren Sturm liefen. DieHochschulen werfen der nordrhein-westfälischenWissenschaftsministerin vor, sich zu stark in dieForschungsvorhaben einzumischen. Die Sozialdemokratinverschrecke so die mit den Hochschulen kooperierendenUnternehmen. Inzwischen ist der Punkt im geplantenHochschulzukunftsgesetz stark verwässert.

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Fragwürdige Vorgänge sind hierzulande bislang dieAusnahme – nicht die Regel. Der Großteil der Forscherinnenund Forscher, der Professorinnen und Professoren hält dieUnabhängigkeit der Wissenschaft hoch. Doch der Druckwächst, Drittmittel einzuwerben. Und bislang deutet wenigdarauf hin, dass es dabei künftig transparenter zugeht. Unddas, obwohl Universitäten eigentlich ein großes Interessedaran haben müssten, ihre Glaubwürdigkeit zu bewahren –und für mehr Transparenz vor allem bei den Kooperationenmit der Wirtschaft zu sorgen.

Welche Dimension Lobbyschlachten annehmen können, dieüber die Wissenschaft ausgetragen werden, weiß NaomiOreskes am besten. Sie war erstaunt darüber, wieerschreckend einfach es möglich ist, mit unlauterenAbsichten in der Wissenschaft für Wirbel zu sorgen, sagt sieuns bei einem Gespräch in Berlin. Wie es etwa einer Cliquevon amerikanischen Forschern gelang, den Klimawandelkleinzureden – sogar ohne dass die breite Öffentlichkeit vonihrer Mission erfuhr.

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Den Klimawandel kleinreden

Wenn die Professorin an der Harvard University inCambridge bei Boston, eine der angesehensten der USA,über die Machenschaften internationaler Konzerne spricht,entschlüsselt sie die vertraulichen Pläne der Industrie wieeinen geheimen Code. In jahrelanger Arbeit hat sie sich andie Fersen von Lobbyisten in der Forschungsgemeinschaftgeheftet.

Oreskes fand nicht nur heraus, wie die Klimapolitik derUSA bis heute von einer mächtigen Lobby beeinflusst wird,die wirksamere Reduktionen der Treibhausgas-Emissionenüber viele Jahre verhindert und damit den Kampf gegen dieErderwärmung ausgebremst hat. Zusammen mit ihremKollegen Erik Conway hat sich die Wirtschaftshistorikerineine kleine Gruppe renommierter und sehr konservativerForscher genauer angesehen, die immer wieder Zweifel anden Grundthesen und -erkenntnissen wichtigerForschungsgebiete verbreitet hat.

Egal ob Rauchen, Ozonloch, saurer Regen oderKlimawandel – Teile der Wirtschaft versuchten in den USA inden vergangenen Jahrzehnten mit Hilfe dieses Zirkelsunliebsame Erkenntnisse der Wissenschaft mit Kritik zuüberziehen – und so zu diskreditieren. Das Ziel: dasVertrauen der Öffentlichkeit in den Forschungskonses zuerschüttern und so das eigene Geschäft der Wirtschaft mitZigaretten oder Öl am Laufen zu halten. Wohlgemerkt: Eswaren in allen Fällen dieselben Personen am Werk.Spezialisten nicht etwa in Sachen Lungenheilkunde oder

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Klimaforschung – sondern Experten in der zweifelhaftenKunst, den Menschen Gründe zu geben, unbequemeWahrheiten bequem zu ignorieren.[93]

Oreskes war überrascht von den eigenen Ergebnissen.Gehörte es etwa zum Geschäftsmodell eines engverbundenen Zirkels von Forschern, andere Wissenschaftlerzu diskreditieren und solche Ergebnisse anzuzweifeln, dieder Wirtschaft gefährlich wurden? Die Forschung erhärteteden Verdacht. Oreskes arbeitete sich tief hinein in dieGeschichte des Forschungslobbyismus und landeteschließlich bei dessen Ursprung.

Alles begann schon vor mehr als einem halbenJahrhundert. Mit Zigaretten. 1953 erschien ein sehrpopulärer Artikel im Reader’s Digest mit überzeugendenwissenschaftlichen Belegen, dass Zigarettenrauch Krebsauslöst. Es ging zwar »nur« um einen Test mit Laborratten,doch der Branche war klar, was das bedeutet. »DieTabakfirmen dachten, das ist das Ende der Industrie, undbeauftragten die PR-Agentur Hill & Knowlton. Der Chef gabihnen einen folgenreichen Rat: Ihr müsst die Wissenschaftmit Wissenschaft bekämpfen und den Amerikanern einreden,dass die Frage in der Forschung nicht entschieden ist. DieserStrategie folgen Unternehmen hier seit 60 Jahren«, sagtOreskes. »Der Schlüssel ist, dass die Zweifel von Leutenkommen, die unabhängig erscheinen.«

Es war der Anfang eines ganz realen Krimis, in demskrupellose Manager seriöse Forscher diffamieren ließen undgezielt Falschinformationen streuten. Die Universität SanFrancisco führt dazu heute eine große Sammlung internerDokumente der Tabakindustrie. Darin stecken HunderteBelege. Da heißt es zum Beispiel bei einer Tarnorganisation

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in den 90er Jahren: »Passt auf, dass ihr die Fingerabdrückevon Philip Morris versteckt.«[94] Dokumentiert wird, dass sichForscher dafür bezahlen ließen, dubiose Studien zu erstellenund renommierte Forscher zu diskreditieren. Zum Plangehörte es, Organisationen zu gründen und zu finanzieren,die nach außen nichts mit der Industrie zu tun haben –Thinktanks.

Die Strategie wirkte. In der Öffentlichkeit sei diewissenschaftliche Debatte zum Tabak als nicht abgeschlossenpräsentiert worden, lange nachdem die Wissenschaftler zueinem festen Schluss gekommen waren, sagt Oreskes. Fastzwei Drittel aller untersuchten Medienbeiträge zwischen1992 und 1994 kamen zur Erkenntnis, dass die Ergebnisseder Forschung zu den Folgen des Passivrauchens kontroversseien. Dabei hatte die Forschung zu diesem Zeitpunkt längstden Konsens gefunden, dass Passivrauchen der Gesundheitauch derjenigen schade, die den Rauch als Nichtrauchereinatmen.

Das gleiche passierte in den 90er Jahren beim saurenRegen: In den Medien wurde die Vorstellung transportiert,die Ursachen stünden noch nicht fest – ein Jahrzehntnachdem sie bereits geklärt waren. Bis vor kurzempräsentierten in den USA Massenmedien auch noch dieKlimaerwärmung als heftige Debatte. Eineinhalb Jahrzehntenachdem Ex-Präsident George W. Bush die UN-Klimarahmenkonvention unterzeichnet hatte undzweieinhalb Jahrzehnte nachdem die Nationale Akademie derWissenschaften der USA erstmals verkündete, dass dieKlimaerwärmung zweifellos von der Verwendung fossilerBrennstoffe durch den Menschen herrühre.[95] Die Folgejeweils: dramatische Verzögerungen bei der Anpassung und

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bei schärferen Gesundheits- und Umweltgesetzen für dieIndustrie.

Wie das möglich ist? Ben Santer kann ein Lied davonsingen, was passiert, wenn man ins Visier dieser Forscher-Lobbyisten gerät. Der Atmosphärenwissenschaftler warAutor jenes Teilberichts des Intergovernmental Panel onClimate Change (IPCC) von 1995, der bestätigte, dass derEinfluss des Menschen auf das Klima »wahrnehmbar« sei –ein wissenschaftlicher Paukenschlag. Das IPCC ist diewichtigste internationale Organisation für Klimafragen undwird gemeinhin als Weltklimarat bezeichnet.

Santer, der eigentlich am Programm zur vergleichendenKlimamodellierung am Lawrence Livermore NationalLaboratory arbeitete und der zeitweise auch am HamburgerMax-Planck-Institut für Meteorologie geforscht hatte, war esgelungen, in seinem Kapitel des IPCC erstmals einenmenschlichen »Fingerabdruck« bei der Entwicklung desKlimas zu dokumentieren. Die Erkenntnisse schlugen hoheWellen. »In einer bedeutsamen Verschiebung derwissenschaftlichen Beurteilung sagen erstmalig Experten,die die Regierungen der Welt zum Klimawandel beraten,dass menschliche Aktivitäten die wahrscheinliche Ursachefür die Erwärmung der Erdatmosphäre sind.« So verkündetees die New York Times auf ihrer Titelseite.

Doch Santers Kampf um die Wahrheit hatte erstbegonnen. Der Forscher hatte beste wissenschaftlicheReferenzen. Er hatte sich nie etwas zuschulden kommenlassen. Doch plötzlich beschuldigte ihn eine Gruppe vonPhysikern aus Washington, den Bericht im eigenen Sinnemanipuliert zu haben. Sie publizierten Beiträge mit Titelnwie »Anhaltende Treibhausdebatte« oder »Manipulierte

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Dokumente« in Zeitschriften wie Energy Daily und Investor’sBusiness Daily. Um die Anschuldigungen breit zu streuen,schrieben sie Briefe an Kongressabgeordnete und anVerantwortliche in wissenschaftlichen Zeitschriften. DasEnergieministerium wurde bedrängt, Santer zu entlassen. Imwirtschaftsnahen Wall Street Journal erschien einGastkommentar, der dem Forscher vorwarf, mit Änderungenam Bericht die Öffentlichkeit gezielt zu täuschen.[96]

Santer hatte zwar tatsächlich im AbstimmungsprozessÄnderungen eingearbeitet. Dies jedoch nicht eigenmächtig,sondern weil Kommentare beteiligter Wissenschaftler es soforderten. Ein völlig normales Verfahren: Jederwissenschaftliche Bericht wird dieser kritischen Prüfungdurch andere Experten unterzogen, gerade um Fehler zuvermeiden. Santer bekam in der Folge denn auch jedeUnterstützung aus der Wissenschaft: Die AmerikanischeMeteorologische Gesellschaft erklärte die Angriffe für haltlos.Der Weltklimarat stärkte ihm den Rücken. Auch Santer selbstrechtfertigte sich gegenüber der Zeitung in einem offenenBrief, der von 29 Co-Autoren unterzeichnet wurde, lauterhochrangige Forscher wie der Direktor des US-Forschungsprogramms für globale Veränderungen.

Doch die Zweifel blieben hängen, so, wie es die Absenderwünschten. Die Anschuldigungen wurden vonIndustriegruppen dankbar aufgegriffen und verbreitet.Wirklich begründet wurden sie nie.

Warum, fragt Oreskes, machten sich die Ankläger im FallSanter nicht die Mühe herauszufinden, was wirklich passiertwar? Warum wiederholten sie die Anschuldigungen selbstlange nachdem klar war, dass sie falsch sind? »Sie waren garnicht an den Tatsachen interessiert. Sie waren daran

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interessiert, genau die zu bekämpfen«, ist sich Oreskessicher.[97]

Santer wurde erst Jahre später klar, in welche Mühle ergeraten war. Er las einen Bericht über Forscher, die für dieTabakindustrie aktiv wurden – und wissenschaftlicheErgebnisse diskreditieren sollten, die einen Zusammenhangzwischen Rauchen und Krebs herstellten. Die Strategie: DieDebatte am Leben halten, denn so lange war die Industriesicher vor Regulierung und Schadenersatzforderungen.Santer sah Parallelen zu seinem eigenen Fall. Und er lagrichtig. Denn nicht nur die Strategie wies Parallelen auf.Dahinter standen auch noch die gleichen Leute.

Vorangetrieben hatten die Angriffe gegen Santer diePhysiker Fred Singer und Fred Seitz. Seitz war einmalPräsident der US-Akademie der Wissenschaften – also keinunbeschriebenes Blatt. Singer war der erste Direktor desnationalen Wettersatellitendienstes. Beide standen mit einerkonservativen Denkfabrik in Verbindung, dem George-C.-Marshall-Institut. Und beide hatten zuvor für dieTabakindustrie gearbeitet, um die Forschung zumGesundheitsrisiko anzuzweifeln. Seitz leitete Anfang der 80erJahre ein Programm von R.J. Reynolds, das mit beinahe 50Millionen Euro Forschung unterstützte, die demTabakimperium bei Gerichtsprozessen half. Singer war Co-Autor einer Studie, die die US-Umweltschutzbehörde frontalanging. Die hatte sich erdreistet zu behaupten, Rauchengefährde nicht nur den Raucher selbst, sondern auch alleanderen, die dem Rauch ausgesetzt sind. Singers Vorwurf:Die Arbeit sei manipuliert und von Experten aus politischenGründen verzerrt worden. Finanziert wurde Singers Arbeitübrigens aus Töpfen der Tabakindustrie.[98]

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Die Strategien der Desinformation gingen auf Ölmultis undAutokonzerne über. »Zu Anfang kam das meiste Geld für dieZweifelssäer von der Tabakbranche, später von Stiftungen,Denkfabriken und aus der Treibstoffbranche«, sagt Oreskes.Firmen wie Shell und BP, Ford und General Motorsunterstützten die inzwischen wieder aufgelöste GlobalClimate Coalition, um staatliche Maßnahmen zur Senkungdes CO2-Ausstoßes zu verhindern. Exxon Mobil rief späternoch das Global Climate Science Team ins Leben, das denwissenschaftlichen Konsens beim Klimawandel in Zweifel zog.Bald schien es eine breite Front in der Wissenschaft gegendie Lehre vom Klimawandel zu geben.

Organisationen wie das National Center for Policy Analysis,das Heartland Institute oder das Center for Science andPublic Policy traten auf den Plan. In Wirklichkeit allerdingssteckten hinter diesen Namen oft nur dieselben wenigenKonzerne. Immer wieder tauchen Auto- und Ölunternehmenals Financiers auf. Das Heartland-Institut etwa erhielt auchnoch Geld von Fred Singer. Singer ist gleichzeitig Direktordes Umwelt- und Wissenschaftsprojekts des Instituts.

Ein enges Netz, das sogar bis nach Europa undDeutschland wirkte. Noch 2010 leugnete Singer in Berlin beieiner Diskussionsrunde von FDP-Abgeordneten imBundestag, dass der Klimawandel vom Menschen beeinflusstsei. Die Natur sei schuld, erklärte Singer. »Politiker, die denKlimawandel aufhalten wollen, sind gefährlicher als derKlimawandel selbst«, polterte der Physiker. Bei den Liberalentraf Singer auf besonders großes Interesse. Schon ein halbesJahr zuvor, im Dezember 2009, fast zeitgleich zumKlimagipfel von Kopenhagen, hatte der Physiker seineKlimathesen im Liberalen Institut in Berlin zum Besten

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gegeben.

Mit Kritik an der eigenen Arbeit gingen die Berufskritikerauf spezielle Weise um: Oreskes selbst erreichte der Zornder Leugner. Sie wurde bedrängt, als sie die Vorgängeöffentlich machte. Sie wurde diskreditiert als eineKommunistin, eine Alarmistin, die von einer »größtenteilsfeministischen Mafia« unterstützt werde. Beschwerdenerreichten die Universität, für die sie arbeitete. Ihr wurdenrechtliche Schritte angedroht.

Für die Forscherin ist klar: Die Bemühungen der Industriewerden immer größer, die Chancen, ihnen zu entkommen,immer kleiner.[99] »Wir wissen, dass hunderte MillionenDollar der Öl- und Gasindustrie in einenUnternehmensverband fließen, der wiederum Stiftungenfinanziert, die Klimaleugner bezahlen.«

Und die Beeinflussung geht weiter, auf ganz anderenFeldern.

Im August 2010 hatte die New York Times einen Fall vonWissenschaftssponsoring von Coca-Cola enthüllt. Daraufhinmusste der Softdrink-Konzern zugeben, in Nordamerika inden vergangenen fünf Jahren mehr als 100 Millionen Dollarfür seine »Gesundheitspartnerschaften« undWissenschaftskooperationen ausgegeben zu haben, undveröffentlichte eine Liste von Gesundheitsorganisationen undWissenschaftlern, die das Unternehmen finanziellunterstützt. Die Zeitung enthüllte unter anderem, dass derWeltmarktführer für Softdrinks 1,5 Millionen Dollar für dieEinrichtung des »Global Energy Balance Network« (GEBN)gespendet hatte. Entgegen den wissenschaftlichen Faktenbehaupte die Forschungseinrichtung, es gebe keine Belege

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dafür, dass zuckrige Getränke Übergewicht verursachen,erklärt dazu die Nichtregierungsorganisation Foodwatch.Vielmehr sei mangelnde Bewegung das Problem. Auch inDeutschland legte der Konzern inzwischen eine Liste vor.

Bereits bekannt sei, dass Coca-Cola mehrere Sport- undGesundheitsinitiativen fördere, darunter eine Kooperationmit der Charité zur Herzgesundheit sowie Sportprojekte derDeutschen Sporthilfe oder des Deutschen OlympischenSportbunds, heißt es bei Foodwatch. »Es ist offensichtlich,dass Coca-Cola in Europa dieselben Ablenkungsmanöverfährt wie in Nordamerika: Nicht die Limo soll schuld sein,sondern der Bewegungsmangel. Dabei ist längst klar:Softdrinks fördern Übergewicht, Diabetes Typ II undHerzkrankheiten«, sagt Oliver Huizinga, Experte fürLebensmittelmarketing bei Foodwatch. Coca-Cola kündigteunterdessen an, für ganz Europa Zahlungen anWissenschaftler und Gesundheitsprojekte offenzulegen.Coca-Cola betont, Einflussnahme auf Forscher habe es nichtgegeben.

Von amerikanischen Verhältnissen ist die hiesige Forschungzwar um einiges entfernt. Doch die Beispiele zeigen, wasmöglich ist, wenn Transparenz nicht rechtzeitig für einenfreien Blick auf gesponsorte Forschung sorgt. In Berlinfragen sich Spötter jedenfalls längst, was es wohl für dieLobbyschlacht der IT-Konzerne um den Datenschutzbedeutet, wenn Google in diesen Monaten seinemfreundlichen Motto abschwört: »Don’t be Evil.«

Denn als Google 2015 die eigene Aufspaltung vollzog undgemeinsam mit seinen bekanntesten Produkten wie dem E-Mail-Dienst Gmail und Android Teil der neuen Holding

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Alphabet wurde, beerdigte der Konzern auch jenenhistorischen Slogan. Im neuen Verhaltenskodex von Alphabettaucht das Motto nicht mehr auf. Stattdessen heißt es, dassalle Mitarbeiter des Konzerns und seiner Tochterfirmen »dasRichtige tun« sollen: sich an die Gesetze halten, ehrenwertverhalten und andere mit Respekt behandeln. Er habe esnach seinem Einstieg bei Google als »die dümmste Regelüberhaupt« empfunden, ganz einfach weil es keine allgemeingültige Definition von »gut« und »böse« gebe, klagteSchmidt. Die Auslegung liege eben immer im Auge desBetrachters.

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8 Wie geschmiert

Wie Schulen und Bildungvereinnahmt werden

Offiziell geht es nur um die selbstloseFörderung von Nachwuchs für technische

Berufe und mehr wirtschaftlicheKompetenz bei Jugendlichen. Tatsächlichmissbrauchen Konzerne und Lobbyisten

Schulen und teilweise sogarKindertagesstätten für ihre Zwecke. Es tobt

ein versteckter Kampf um die Köpfeunserer Kinder.

Die Schulleitung will nichts mehr dazu sagen. Auch eineschriftliche Anfrage lässt sie unbeantwortet. Man möge sichdoch an das niedersächsische Kultusministerium wenden, rätdie Mitarbeiterin aus dem Direktorat des GymnasiumsSulingen im Sommer 2015 am Telefon.[100] Etwa 12 500Einwohner zählt die Gemeinde im Landkreis Diepholz 50Kilometer südlich von Bremen. Keine zehn Autominutenentfernt bei Barenburg pumpt der Mineralölkonzern ExxonMobil Öl aus dem Boden. In der Region lagern die größtenErdölvorkommen Deutschlands. Allein Exxon Mobil fördert indiesem Teil Niedersachsens auf sieben Feldern Reinöl, dasanschließend in Raffinerien zu Treibstoff weiterverarbeitet

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wird.

Exxon Mobil und das Gymnasium Sulingen – acht Jahrelang waren sie ein Herz und eine Seele. Da redeten siegerne, gut und viel übereinander in der Öffentlichkeit.Mitarbeiter des amerikanischen Ölmultis – mit knapp 500Milliarden US-Dollar Umsatz und etwa 77 000 Beschäftigteneiner der größten Konzerne der Welt – gingen in der Schuleein und aus. Sie hielten dort Vorträge, luden umgekehrt zuWerksbesichtigungen ein, organisierten Exkursionen, botenPraktikumsplätze, halfen Lehrern im Unterricht undSchülern bei Facharbeiten. Exxon Mobil war im Schullebenomnipräsent. Und wenn dem Sulinger Gymnasium für daseine oder andere Vorhaben das nötige Geld fehlte, sprangExxon Mobil als großzügiger Sponsor ein. Jährlich 10000Euro ließ der Konzern springen. Völlig uneigennützignatürlich.

Von Anfang an stand diese Partnerschaft unterallerhöchstem politischem Segen. Der damaligeniedersächsische Ministerpräsident und spätere Kurzzeit-Bundespräsident Christian Wulff (CDU) persönlich übernahmdie Schirmherrschaft für ein im Schuljahr 2007/08beginnendes, höchst fragwürdiges Kooperationsmodell. Esermöglichte erdgas- und erdölgewinnenden Unternehmenuneingeschränkten Zugang nicht nur in die Oberstufen-Klassenzimmer des Sulinger Gymnasiums.

Der Öffentlichkeit wurde das Pilotprojekt so verkauft: Manwolle mehr Praxis in den Schulunterricht bringen und dieJugendlichen für die bei den meisten von ihnen ungeliebten,aber für Wirtschaft und Gesellschaft wichtigen MINT-Berufe – also Berufe in den Feldern Mathematik, Informatik,Naturwissenschaft und Technik – begeistern. »Das Projekt

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unterstützt das Land Niedersachsen in seinem Bemühen, dasInteresse von Schülerinnen und Schülern zu fördern unddiese für die Beschäftigung mit Natur- undIngenieurswissenschaften zu gewinnen«, jubeltedementsprechend der damalige Kultusminister desBundeslandes, Bernd Busemann (CDU).[101] Wo doch derMangel an Technikern und Naturwissenschaftlern schon jetztbesorgniserregend groß sei, klagte Gernot Kalkoffen,Deutschlandchef von Exxon Mobil und zugleich Vorsitzenderdes Wirtschaftsverbands Erdöl- und Erdgasgewinnung(WEG). Eigene wirtschaftliche und politische Interessen?Ach, wo!

Tatsächlich ist das Pilotprojekt ein besonders prägnantesBeispiel dafür, wie Lobbyismus in Schulen und teilweisesogar schon in Kindertagesstätten um sich greift. Wiefinanzstarke Interessengruppen und Unternehmen damitbegonnen haben, massiv und meistens gut getarnt hintereinem angeblichen Bildungsauftrag (den sie sich selbstgegeben haben) in die Klassenzimmer zu drängen, um in denKöpfen der Kinder und Jugendlichen eine Saat zu sähen, diemittel- und langfristig aufgehen soll: Die Jugendlichen (und inihrem Sog auch deren Familien und Freunde) sollen nichtnur als Konsumenten für Marken und Produkte angefüttert,sondern hauptsächlich für die gesellschaftspolitischenInteressen der Konzerne vereinnahmt werden.

Es ist eine Form von mehr oder weniger subtilerBeeinflussung und Manipulation, die bisweilen einhergehtmit schnöder PR und Werbung. »Es tobt ein Kampf um dieKöpfe der Kinder«, sagt der Bielefelder Sozialwissenschaftlerund Wirtschaftssoziologe Prof. Dr. Reinhold Hedtke, der sichseit Jahren wissenschaftlich mit dem Thema Lobbyismus in

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Schulen und Bildung beschäftigt. »Dabei werden bestimmteDenkweisen, Sichtmuster und Perspektiven verbreitet, diesich immer mehr bei den Schülern als scheinbarunumstößliche Fakten festfressen. Und man tut so, als gäbees nichts Wichtigeres als betriebswirtschaftliche Prozesseund Sichtweisen.«[102] Es ist eine besonders raffinierte,langfristig und tief im Wurzelwerk von Staat und Gesellschaftangelegte Form von Lobbyismus.

Obendrein kann in manchen Fällen aus der Sicht vonFirmen ein bisschen Imagepflege nicht schaden. Der FallExxon Mobil ist für all dies ein Musterbeispiel. Die Geschichtedes texanischen Konzerns ist eine lange Kette an Skandalen,Unglücken, Umweltkatastrophen und fragwürdigemGeschäftsgebaren. Eine kleine Auswahl:

Am 24. März 1989 lief vor Alaska der ÖltankerExxon Valdez auf ein Riff. Offenbar war der Kapitänbetrunken und die Besatzung überfordert. 37000Tonnen Rohöl liefen aus und verseuchten 2000Kilometer Küste. Hunderttausende Vögel, Fischeund andere Tiere verendeten qualvoll. Es handeltesich um eine der spektakulärstenUmweltkatastrophen.

2001 warfen die österreichischen Autoren KlausWerner-Lobo und Hans Weiss in ihrem»Schwarzbuch Markenfirmen« Exxon Mobil vor,Bürgerkriege, Waffenhandel und die Zerstörungvon Lebensgrundlagen in Ölfördergebieten mit vielGeld zu fördern.

Die kritische amerikanischeWissenschaftlervereinigung Union of Concerned

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Scientists (UCS) hielt dem Ölmulti vor, mit vielenMillionen US-Dollar Skeptiker des Klimawandels zuunterstützen.

2006 erhielt Exxon Mobil den Negativpreis »WorstEU Lobby Award« für beharrliche Lobbyarbeit imSinne des eigenen Profits und gegenKlimaschutzinteressen.

2007 wurde bekannt, dass offenbar über vieleJahre hinweg auf einem Exxon-Firmengelände inNew York ungehindert giftige Chemikalien und Ölins Erdreich gesickert sowie in Grundwasser undKanalisation gelangt waren, was zuGesundheitsbeschwerden bei Anwohnern führte.

2013 platzte eine Uralt-Pipeline im Erdboden unterder US-Kleinstadt Mayflower im BundesstaatArkansas. Bis zu 800000 Liter Öl und giftigerSchlamm sickerten aus; die Umweltschutzbehördeging sogar von mehr als einer Million Litern aus.Erst Stunden nach der Havarie wurde die Leitungabgedreht. Journalisten, die den Umweltskandalund seine Folgen recherchierten und kritischbeschrieben, soll Exxon Mobil behindert undbedroht haben.

2014 begann Exxon Mobil gemeinsam mit demrussischen Energiekonzern Rosneft in der Arktisnach Öl zu bohren – ein ökologisch höchstumstrittenes Unterfangen.

Angesichts von alldem ist klar: Exxon Mobil kann gutePublicity dringend brauchen.

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Die Kooperation des deutschen Konzernablegers mit demGymnasium Sulingen geschah mitnichten mit dem selbstlosenZiel, den Nachwuchs in naturwissenschaftlichen Disziplinenzu begeistern und zu fördern. Sie folgte vielmehr einemdetailliert ausgeklügelten Masterplan des WEG, desWirtschaftsverbands Erdöl- und Erdgasgewinnung, demLobbyverband der Branche. Auch andere Schulen beteiligtensich an dem Pilotprojekt mit dem unverfänglich-sperrigenTitel: »Erdöl- und Erdgasgewinnung als Thema für diegymnasiale Oberstufe«.

Exxon Mobil machte sich auch im Gymnasium Antonianumin Vechta breit, GdF SUEZ kooperierte mit dem Franziskus-Gymnasium in Lingen, Wintershall mit der Graf-Friedrich-Schule in Diepholz sowie dem Gymnasium Lohne, und RWEDea hielt Einzug im Dom-Gymnasium in Verden.

Das alles mit dem ausdrücklichen Segen derniedersächsischen Staatskanzlei und des Kultusministeriums.Das für Lehrerausbildung zuständige Studienseminar inMeppen machte sich bereitwillig zum Handlanger derLobbyisten, wie in seiner Dokumentation über dasPilotprojekt nachzulesen ist: »Möglicherweise aufSchülerseite bestehende Vorurteile (gemeint ist gegen diejeweiligen Erdöl- und Erdgasfirmen, die Verf.) können soabgebaut und berufliche Perspektiven unmittelbar eröffnetwerden«, heißt es da. Die Lehrerausbilder sorgen sich alsoum den Ruf der Erdgas- und Erdölindustrie.

Insgesamt 50 Seiten umfasst das uns vorliegendeDrehbuch dafür, wie sich Schulen, Schulbehörden und Politikin beispielloser Form den Interessen profitorientierterKonzerne unterwarfen. Zum Auftakt werden darin nicht nurharmlose, allgemein gehaltene Ziele formuliert, wie: Man

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wolle die naturwissenschaftlichen Kompetenzen derJugendlichen stärken und sie für Berufe in der Branchebegeistern. Aufhorchen lässt der Hinweis, man wolleobendrein die gesellschaftliche Debatte über die Arbeit derErdöl- und Erdgasfirmen »versachlichen«. Dann aberkommen die Verfasser unmissverständlich auf deneigentlichen Kern: Das Kooperationsprojekt solle zur»Verbesserung der Reputation der Branche« beitragen, heißtes, und »zur Verbesserung der Akzeptanz vor Ort durch dieUnterstützung örtlicher Schulen«.

Letzteres ist politisch besonders brisant. Denn in derbetreffenden Region Niedersachsens stoßen die Ölförder-und Fracking-Aktivitäten von Konzernen wie Exxon Mobil inweiten Teilen der Bevölkerung auf Skepsis, Kritik, Protestund Widerstand. Und nicht nur dort. Das Umweltbundesamt,immerhin Deutschlands zentrale Umweltbehörde, warnt vorden Risiken durch Fracking. »Grundsätzlich halten wir dieGefahren dieser Technik für zu groß«, sagt UBA-PräsidentinMaria Krautzberger und würde die Technik gerneflächendeckend verbieten.

Fracking ist eine Fördermethode, bei der Wasser, Sandund Chemikalien unter hohem Druck in den Untergrundgepresst werden, damit durch kleine Risse Erdgas an dieOberfläche steigt. In den USA erlebt die Methode derzeiteinen gewaltigen Boom, der die Energiepreise im Landrapide fallen lässt. Auch mehrere europäische Länder wiePolen und Großbritannien wollen die Methode im großen Stilanwenden. Und auch in Deutschland würden Konzerne wieWintershall die Methode gerne nutzen. Vor allem diemögliche Verunreinigung des Grundwassers durch dieeingesetzten Chemikalien löst dagegen bei Umweltschützern

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große Sorgen aus. »Fracking ist und bleibt eineRisikotechnologie«, urteilt auch das Umweltbundesamt.

Ob wirklich jede Form von Fracking riskant ist, ist nochnicht erwiesen. Aufgabe von Schulen, die ihrenAllgemeinbildungsauftrag ernst nehmen, wäre es eigentlich,das Für und Wider solcher Techniken und Themenargumentativ ausgewogen aufzuarbeiten. Und nicht einerSeite das Feld zu bereiten und sich obendrein finanziell einStück weit von ihr abhängig zu machen.

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Wenn Regeln missachtet werden

Wie politische Bildung vor allem in Schulen korrekterweiseablaufen soll, darüber herrschte hierzulande jahrzehntelangKonsens. Festgeschrieben wurde er 1976, als in einemkleinen Ort in Baden-Württemberg einschlägige Expertenaus allen möglichen politischen und ethischen Richtungenden »Beutelsbacher Konsens« formulierten. Eine ArtGrundgesetz für politische Bildung, das drei Prinzipienfestschreibt:

Erstens: Lehrer dürfen ihren Schülern ihreMeinung nicht überstülpen.

Zweitens: Der freien Meinungsbildung wegenmüssen alle gegensätzlichen Positionen zurSprache kommen und diskutiert werden.

Drittens: Die Schüler sollen lernen, eigenePositionen zu entwickeln und zu hinterfragen. Freiund unbeeinflusst.

Bis heute müssen Bildungsträger, die finanziell von derBundeszentrale für politische Bildung unterstützt werdenwollen, sich ausdrücklich zu diesem »BeutelsbacherKonsens« bekennen. Die Verantwortlichen in deutschenSchulen und Kultusministerien kündigen ihn jedoch immerhäufiger und weitgehend unbemerkt von der breitenÖffentlichkeit auf. Teilweise aus Gedankenlosigkeit, teilweiseaus Gleichgültigkeit, teilweise aus purem Kalkül heraus.Damit treffen sie durchaus den Zeitgeist.

In einer zunehmend durchökonomisierten

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Leistungsgesellschaft scheint es immer weniger darum zugehen, in den Schulen die Persönlichkeiten Jugendlicher zuentwickeln, ihnen breites, fundiertes Allgemeinwissen zuvermitteln und sie zu kritisch-mündigen Staatsbürgern zuerziehen. Landauf, landab reißen Direktoren, Lehrerinnenund Lehrer die Schultore auf und überlassen die ureigenstestaatliche Aufgabe, Unterricht und Bildung von Kindern undJugendlichen nämlich, externen Kräften ohne jedwedeLegitimation und oft auch Ausbildung. Abgesegnet, ja invielen Bundesländern sogar angetrieben von Schulpolitikernund Ministerien, halten Lobbyisten von ökonomischenInteressenverbänden oder Unternehmen Unterricht – ohnejemals dafür ausgebildet worden zu sein. Es werdenSchülerfirmen gegründet, Business-Wettbewerbe undFirmen-Planspiele abgehalten, Firmen dürfen sich nicht nurpräsentieren, sondern ungeniert für sich werben und ihregesellschaftspolitischen Anliegen ausbreiten. Und in denvielzitierten Schulfamilien scheinen alle dafür auch nochdankbar zu sein: Direktoren für das mit alldem häufigverbundene Sponsoring, Lehrer für die nicht seltentendenziösen Unterrichtsmaterialien und von Externenübernommenen Schulstunden, Eltern für die vermeintlichePraxis im Unterricht und die Jugendlichen selbst für dieAbwechslung im Schulalltag.

»Die Berufsorientierung hat in allen Schulformen in denvergangenen Jahren enorm zugenommen«, sagt derBielefelder Soziologe Reinhard Hedtke. »Das führt dazu, dassLerninhalte, welche die Wirtschaft und ihreInteressenverbände für wichtig halten, zunehmend andereLerninhalte verdrängen.«[103] Es geht schließlich in ersterLinie darum, den Unternehmen frischen, möglichst sofort

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und reibungslos funktionierenden Arbeitskräftenachwuchs zuliefern. Einen solchen nahtlosen Übergang fordern dieWirtschaft und ihre Interessenverbände auch immerdrängender ein.

Gewiss: Schule funktioniert nicht im luftleeren Raum. Eswar schon immer eine ihrer wichtigsten Aufgaben, jungeMenschen vernünftig auf das Erwerbsleben vorzubereiten.Ihnen naturwissenschaftliche, mathematische undsprachliche Fähigkeiten und entsprechendes Basiswissen alsGrundlagen für ihr Berufsleben zu vermitteln, auf denen sieihre weitere Laufbahn aufbauen können. Das war und istauch gut so. Es spricht auch überhaupt nichts dagegen,Schule und berufliche Praxis besser zu verzahnen. Die Frageist nur, wie bei alldem die Spielregeln sind. Und vor allem:Wer diese Spielregeln aufstellt und anschließend das Spielund vor allem seine Inhalte und die Vorgehensweisenbestimmt.

Dahinter wiederum steckt eine Grundsatzfrage: Wollen wirtatsächlich ein Schulsystem, in dem es nur noch um dieVorbereitung passgenauer Arbeitskräfte geht und dieerzieherischen und demokratischen Aspekte vollends in denHintergrund treten? Oder eines, das umfassend undganzheitlich bildet, im besten Sinne dieses Begriffes. Woargumentativer Diskurs, konstruktiver Streit und kritischesNachdenken gewünscht und eingeübt werden. Dazu gehörtes, Jugendlichen beizubringen, wie sie Fakten sammeln,Argumente abwägen und sich ein eigenes Urteil bilden.Demokratie einzuüben, wenn man so will. Die Schultore füreinseitige Souffleure zu öffnen, die dann in Klassenzimmernhäufig unwidersprochen ihre eigenengesellschaftspolitischen und ökonomischen Ziele verfolgen,

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läuft dem zuwider.

Da habe sich bereits einiges negativ verschoben, kritisiertWissenschaftler Hedtke und macht es am Beispiel dersozialen Marktwirtschaft als solcher fest. »Es gibt sie auch inanderen Ländern wie Schweden oder Frankreich«, sagt er.»In unseren Schulen wird jedoch eine völlig reduzierteSichtweise nur auf die deutsche Ausprägung vermittelt, alswäre die soziale Marktwirtschaft hierzulande eine singuläreErscheinung in der Welt.« Mehr noch: Dass dieWirtschaftsordnung hierzulande kapitalistisch ist, kommt imSchulunterricht so gut wie überhaupt nicht vor. »Am Endeverlassen Jugendliche die Schule, die nicht wissen, wasKapitalismus ist, und ihn für eine längst überkommeneErscheinung des 19. Jahrhunderts halten.« In den Schulen,so das Fazit des renommierten BielefelderSozialwissenschaftlers, werde häufig »eine gewollte, völligreduzierte Sichtweise vermittelt.«

Vielfach wird von Wirtschaftsvertretern (und häufig auchvon Wirtschaftsjournalisten) die generelle Klage erhoben, dieökonomische Bildung vieler Kinder und Jugendlicher lassesehr zu wünschen übrig. Das kann man so sehen. Die Frageist allerdings, wie man dem Problem begegnet. Denn dievermeintliche Konsequenz, dass – wenn schon die Lehrpläneund die Schulen versagen – dann angeblich im Interesse allereben die Wirtschaft einspringen müsse, ist falsch. Genau dasmuss sie nicht. Denn wenn in unseren Schulen ein zweifelloswichtiges Fach einen nach allgemeiner Auffassung zugeringen Stellenwert hat, dann ist es Aufgabe der Politik undder Kultusministerien, daran etwas zu ändern, die Lehrpläneund die Stundentafeln also neu aufzustellen und dieLehrerbildung auf diesem Sektor zu intensivieren. Das ist

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Aufgabe des Staates und nicht die Aufgabe von Dritten wieUnternehmen und ihren Interessenverbänden.

Baden-Württemberg hat es getan. Ab dem Schuljahr 2016/17gibt es dort erstmals in einem Bundesland ein Pflichtfach»Wirtschaft und Berufsorientierung«. Unterrichtet wird es anGymnasien drei Stunden pro Woche und an Real- undGemeinschaftsschulen fünf Stunden. In anderenBundesländern ist Wirtschaft eher ein Anhängsel, etwa anden sozialkundlichen oder den politischen Unterricht. Oderaber Wirtschaft ist Wahlfach. Der Wert ist in der Praxisumstritten, auch unter Schülern.

Im Januar 2015 twitterte die 17-jährige Schülerin Nainaaus Köln: »Ich bin fast 18 und hab keine Ahnung vonSteuern, Miete oder Versicherungen. Aber ich kann ’neGedichtanalyse schreiben. In vier Sprachen.« Der Tweetsorgte für einen Diskussionssturm im Netz. Binnen wenigerStunden wurde er zehntausendfach geteilt, favorisiert unddie Zahl der Follower von Naina beim KurznachrichtendienstTwitter wuchs rasant. Umgehend sprang auchBundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) auf dieWelle auf, wohl wissend, dass die Gestaltung vonSchulunterricht und Lehrplänen Länderangelegenheit ist.Nainas Tweet kam einigen politisch gerade recht. »Ich findees sehr positiv, dass Naina diese Debatte angestoßen hat«,erklärte die Politikerin. Gedichte lernen und interpretierensei zwar durchaus Aufgabe von Schulunterricht. Sie sei aberauch dafür, »in der Schule stärker Alltagsfähigkeiten zuvermitteln«, so Wanka.

Was ein Fach Wirtschaft angeht, ist es gar nicht so einfach,die Inhalte dafür festzulegen. Das wiederum hat sehr viel mit

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Lobbyismus zu tun, der im Schulsystem um sich greift. Auchdas zeigt das Beispiel Baden-Württemberg. Prompt setzte indem grün-rot regierten Bundesland ein massiver Streit einüber die Inhalte dessen, was an wirtschaftlicher Bildung imUnterricht vermittelt werden soll. Die Arbeitgeber plädiertenfür rein ökonomische Inhalte, für klassische Volks- undBetriebswirtschaft. Der Philologenverband, derInteressenverband der Gymnasiallehrer also, warnte,Wirtschaft dürfe inhaltlich nicht von ethischen und sozialenInhalten getrennt betrachtet und unterrichtet werden. AuchSoziologenverbände sprachen sich dafür aus, wirtschaftlicheFragen einzubetten in einen gesamtgesellschaftlichenKontext. Und Eltern sprachen sich dafür aus, alles möglichstpraktisch, berufsvorbereitend also zu gestalten, waswiederum dem Philologenverband viel zu kurz gesprungenwar. »Dies suggeriert, dass man nur in der WirtschaftKarriere machen kann«, kritisierte Verbandsvertreter BerndSaur.[104]

Die einschlägigen Wirtschaftsverbände mischten in deröffentlichen Diskussion um die Lehrplaninhalte kräftig mit,was auch ihr gutes Recht ist. Ihre Forderungen nach einemPflichtfach Wirtschaft an den Schulen haben jedoch immerauch eine zweite Seite. Die Lobbyisten wollen nicht nur ihreArgumente einbringen und mitreden, was in denKlassenzimmern über Ökonomie gelehrt und gelernt wird.Sie wollen es auch selbst bestimmen. Indem sie eigene Leutein den Unterricht schicken oder zumindest an denLehrplänen mitstricken.

Im Herbst 2015 wurde diesbezüglich ein besondersbizarres Lehrstück aufgeführt. Mit Peter Clever in derHauptrolle, seines Zeichens Bundesgeschäftsführer bei der

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Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände. DemArbeitgeber-Lobbyisten stieß ein Buch sauer auf, das dieradikaler Umtriebe völlig unverdächtige Bundeszentrale fürpolitische Bildung für die Lehrerausbildung im BereichWirtschaft auf den Markt gebracht hatte. Titel: »Ökonomieund Gesellschaft«. Autoren sind zahlreiche, zum Teilrenommierte Wissenschaftler.

In dem knapp 360 Seiten dicken Buch, so echauffierte sichClever in einem fünfseitigen Protestbrief an dieBundeszentrale und das ihr vorgesetzteBundesinnenministerium, werde »einseitige Propagandagegen die Wirtschaft« betrieben. »Ideologisch,voreingenommen, skandalös und nicht hinnehmbar« sei dasWerk. Das deutsche Unternehmertum werde darin völligfalsch dargestellt. Es werde ein »monströses Gesamtbild vonintransparenter und eigennütziger Einflussnahme derWirtschaft auf Politik und Schule« gezeichnet und ein Systemgeschildert, »in dem die Wirtschaft ihre Interessen in derPolitik mit allen Mitteln, vor allem aber Geld, durchsetzt«. Die»konstruktive und zentrale Rolle« deutscher Unternehmenetwa in der Berufsausbildung werde dagegenunterschlagen.[105] Die Publikation transportiere»ideologische und voreingenommene Anschuldigungen«, dieder BDA aus »interessierten Kreisen« schon länger kenne.Die Bundeszentrale begäbe sich damit auf »ein Niveaueinseitiger Propaganda gegen die Wirtschaft«.[106]

Der Lobbyist hatte damit Erfolg – kurzzeitig zumindest.Denn tatsächlich stoppte das Bundesinnenministeriumdaraufhin umgehend den Vertrieb des Buches.Zwischenzeitlich hieß es im Internetshop derBundeszentrale, es sei »vergriffen«. So lange zumindest, bis

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der Wissenschaftliche Beirat der Bundeszentrale fürpolitische Bildung das Werk nach eingehender Prüfung fürunbedenklich erklärte.

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Ein erfundenes Defizit?

Im Streit, wie viel Wirtschaftsunterricht und mit welchenInhalten es an deutschen Schulen braucht, vertritt derBielefelder Sozialwissenschaftler Reinhold Hedtke eine klareHaltung: Er hält die ganze Debatte um angebliche Defiziteüber die ökonomische Bildung von Schülern für Unsinn. Siesei, beginnend in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts,von unternehmensnahen Lobbyisten mit Hilfe vonWirtschaftsmedien künstlich hochgezogen worden, kritisierter. »Sie haben einen Glaubenssatz in Medien undÖffentlichkeit platziert: Man brauche mehr ökonomischeBildung in den Schulen, denn ökonomisches Wissen seibesonders mangelhaft und besonders wichtig. DieserGemeinplatz ist ebenso populär wie falsch. Er steht für einenkolossalen kommunikationspolitischen Erfolg derWirtschaftslobby und ihrer Unterstützerszenen«, so derWissenschaftler.[107]

Hedtke spricht sogar von einem erfundenen Problem: »Dervon Lobbyisten verbreitete Gemeinplatz von der defizitärenökonomischen Bildung sitzt inzwischen so fest, dass er sichauch von der Realität nicht beirren lässt. Aberunvoreingenommen und empirisch betrachtet ist er falsch.Das zeigen zum einen Stundentafeln und Lehrpläne. Hierkommt der Bereich Wirtschaft im Durchschnitt nichtschlechter weg als andere Bildungsfelder, etwa Politik oderGesellschaft. Lernfelder wie Recht, Technik, Gesundheit,Pädagogik oder Philosophie schätzten sich glücklich, hättensie nur annähernd so viel Schul- und Lernzeit wie Wirtschaft.

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Der dominante Diskurs über ökonomische Bildung ignoriertalso alle Alternativen, er argumentiert weitgehendkontextfrei.«[108]

Wirtschaftliches Wissen sei in Wirklichkeit »keineswegslückenhafter als irgendein anderes Wissen«, so ReinholdHedtke. »Es ist auch nicht von vornherein wichtiger alsrechtliches, psychologisches, technisches oderphilosophisches Wissen. Schließlich glauben viele, mit mehrökonomischer Bildung besserten sich das wirtschaftlicheHandeln und damit die wirtschaftliche Position der Kinderund Jugendlichen. Gründe dafür gibt es kaum.«

Die einseitige Ausrichtung von Schulen auf die Bedürfnisseder Wirtschaft hin scheint mancherorts politisch gewollt.Eine gemeinsame Zukunftskommission der BundesländerBayern und Sachsen formulierte bereits 1997 in einemBericht, Lehrer müssten sich »unternehmerischer verhalten,um mit Erfolg unternehmerische Verhaltensweisenvermitteln zu können«. Und weiter: »Das Leitbild der Zukunftist der Mensch als Unternehmer seiner Arbeitskraft undDaseinsvorsorge.« Und damit das funktioniert, muss dieWirtschaft ran: Wirtschaftsverbände müssten »ihreAnstrengungen noch verstärken. Das gilt auch für dieSchulen.«[109]

So gibt es kaum noch ein Bundesland, das Kooperationenvon Schulen mit wirtschaftlichen Institutionen,Berufsverbänden oder Kammern nicht befürwortet, zulässtund sogar aktiv fördert. Immer häufiger schlüpfenLobbyisten so in die Rolle von Lehrern. Mühsam kaschiertwird die fragwürdige Einflussnahme wie im Fall der Erdgas-und Erdölunternehmen in Niedersachsen gerne mitfragwürdigen Versprechen, wie dem vom stärkeren

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Praxisbezug im Unterricht.

So auch in Nordrhein-Westfalen. Das Schulgesetz imbevölkerungsreichsten Bundesland erlaubt ausdrücklichSponsoring an den Schulen, sofern »die Werbewirkunghinter den schulischen Nutzen zurücktritt«. Was aber ist einesolche Werbewirkung, wo beginnt und, vor allem, wie misstman sie?

Wie es geht, demonstriert der Energiekonzern RWE. Seit2006 verteilt er hübsche Frühstücksdosen an Erstklässler,inzwischen mehr als 740000 Stück. In Kindertagesstätten, anSchulen und Hochschulen – überall in NRW ist der Konzernseit vielen Jahren präsent. Und RWE hat ein umfassendesInternetportal eingerichtet: Bildung mit Energie –Entdecken, Erforschen, Erleben.[110]

Die dort abrufbaren Aktivitäten, die Wettbewerbe undAktionen, an denen sich Kinder und Jugendliche allerAltersklassen beteiligen können, sind vielfältig: Sie reichenvom Memo-Spiel für Kinder und der Anleitung zu einfachenExperimenten über den Musik-Wettbewerb (»Verpasst MINTEuren Beat«) für Jugendliche bis zum Hochschultag Energieund Bildung. Auf den ersten Blick wirkt all dies harmlos,teilweise sogar inspirierend. »Interaktive Lernspiele,spannende Experimentierkoffer, Lehrmaterial, Videos undApps gehören genauso zum Angebot wie Energieunterricht,Fortbildungen, Wettbewerbe und Aktionen rund um dieThemen Energie, Technik und Innovation«, heißt es auf derInternetseite des Konzerns.

Was harmlos daherkommt, geht jedoch viel weiter undtiefer, wie der WDR-Hörfunk im November 2015 herausfand.Der Sender zitierte aus Kooperationsvereinbarungen, die

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RWE mit zwei weiterführenden Schulen in Bergheim 2002und 2009 geschlossen hat. Bergheim liegt mitten imRheinischen Braunkohle-Revier, wo RWE die AbbaustättenGarzweiler, Hambach und Inden betreibt: »In der Erklärungsichert RWE den Schulen zu, Exkursionen, Schülerpraktikaund Bewerbungstrainings anzubieten. Im Gegenzugverpflichten sich die Schulen, bei Veranstaltungen, inSchulpublikationen und gegenüber der Presse ausdrücklichauf die Partnerschaft hinzuweisen. Außerdem werdenHinweistafeln im Haupteingangsbereich aufgehängt. Unterdem Punkt didaktischer Ansatz heißt es, den Schülern solledie Bedeutung und der Nutzen der Braunkohle-Industrie fürdie Gesellschaft, besonders auch für die Region, verdeutlichtwerden.«[111]

Der Konzern findet nichts Anrüchiges dabei und verstehtdie ganze Aufregung nicht. »Unsere Bildungsinhalte sinddem Land NRW bekannt«, so Firmensprecher SebastianAckermann zum WDR. Es wäre doch merkwürdig, würdeman ausgerechnet in dieser Region Kohleabbau nichtthematisieren. »Es sind keine pädagogischen Inhalte, beidenen wir Braunkohlethemen nach vorne stellen«, so derRWE-Sprecher weiter. »Wir achten darauf, dass das ThemaEnergie weit aufgefächert wird.«

Für LobbyControl ist das alles andere als eineüberzeugende Rechtfertigung; ihr Experte Felix Kamellafindet: »Der Konzern inszeniert sich als kümmernderNachbar: Er verschenkt Brotdosen an Erstklässler, sponsertSportfeste und bietet Unterrichtsmaterial an, das diepositiven Aspekte einer Umsiedlung hervorhebt. Um was esdabei wirklich geht, wird geschickt verschwiegen, nämlichden Ruf des Unternehmens zu verbessern und die Akzeptanz

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für Braunkohle-Förderung zu steigern. Diese Maßnahmenuntergraben Bildungsziele wie eigenständigeMeinungsbildung und Kritikfähigkeit.«

Das Beispiel zeigt, dass es eben nicht nur um mehrPraxiswissen im Unterricht geht. Wäre das der Fall, könnteman gegen eine Zusammenarbeit von Firmen und Schulenwomöglich wenig einwenden. Vorausgesetzt, sie liefe absolutneutral ab und würde alle Sichtweisen reflektieren.Tatsächlich aber geschieht etwas ganz anderes: Lobbyistenimplementieren ihre handfesten Eigeninteressen undgesellschaftspolitischen Sichtweisen in den Köpfen derKinder und Jugendlichen, nicht selten auch im Vorgriff indenen der Lehrer. Sie tun dies auf eine auf den ersten undhäufig auch auf den zweiten Blick kaum zu durchschauendeArt und Weise, die selbst von kritischen und vorsichtigenLehrern nicht zu entschlüsseln ist. Lobbyismus an Schulen istdeshalb so schwer zu erkennen, weil er über Sponsoring undvermeintliche Aufklärung daherkommt. Und weil dahinterhauptsächlich finanzstarke Konzerne und Interessengruppenstehen, die selbst wissen, wie man geschickt lobbyiert, oderaber die Mittel haben, um entsprechende Profis zuengagieren. Einmal geschickt Fuß gefasst, fragt niemandmehr nach, ob die Aktivitäten noch dem Allgemeinwohldienen und dem Bildungsauftrag von Schulen gerechtwerden.

Ganz abgesehen davon: Es untergräbt die Demokratie,wenn von privater Seite staatliche Aufgaben übernommenwerden und beides vermischt wird, warnen die beidenFrankfurter Sozialwissenschaftler Professor Dr. TimEngartner und Balasundaram Krisanthan von der Goethe-Universität: »Wenn das öffentliche Schulwesen dem Zugriff

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privatwirtschaftlicher Interessen ausgesetzt wird, gerät derurdemokratische Anspruch, größtmögliche Transparenz überdas Handeln der Regierung zu schaffen und Machtstrukturensichtbar werden zu lassen, ins Abseits. Zugunsten der Ägidedes Homo oeconomicus wird das aus dem demokratischenGesellschaftsverständnis abgeleitete Zielsozialwissenschaftlicher Bildung – die Sozialisation derSchülerinnen und Schüler zu mündigen Bürgerinnen undBürgern – aufgeweicht. Dabei höhlt insbesondere der Einsatzvon auf Werbung zielenden Materialien privater Anbieterden emanzipatorischen Anspruch von Bildung aus.«[112]

Bereits im Zuge der Pisa-Studie 2006 stellte sich heraus,dass nahezu neun von zehn 15-Jährigen eine Schulebesuchen, bei der Wirtschaft und Industrie Einfluss auf diedort vermittelten Lerninhalte nehmen.

Zum Vergleich: Im Durchschnitt der OCED-Staaten warenes 63,7 Prozent. »Schülerinnen und Schüler als Wähler undKonsumenten von morgen sind für Lobbyisten interessant«,schreibt Felix Kamella von LobbyControl in einemDiskussionspapier zum Thema. »Ihre Hoffnung: DieBeeinflussung von Kindern und Jugendlichen wirkt ein Lebenlang.«[113]

Nicht nur die Schülerinnen und Schüler als Bürger undKonsumenten von morgen, sondern auch deren familiäresund persönliches Umfeld sollen eingefangen undvereinnahmt werden. Welche Eltern finden es nicht toll,wenn der Sprössling mühelos Praktika oder Hilfe vonExperten für seine Facharbeit bekommt wie im geschildertenFall Exxon Mobil am Gymnasium Sulingen?

Wobei es keineswegs nur die Energiebranche ist, die sich

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den Zugang zu Schulen zu erobern versucht. »Seit derFinanz- und Wirtschaftskrise vor einigen Jahren und ihremdamit verbundenen Verlust an Ruf und Reputationbeobachten wir, dass die Finanzwirtschaft massiv in dieSchulen drängt und die Bildung dort in ihrem Sinne zubeeinflussen versucht«, sagt Martina Schmerr,Vorstandsreferentin für Schulen bei der Gewerkschaft GEW.»Auf diese Weise versucht die Branche, das während derKrise schwer erschütterte Vertrauen in siewiederherzustellen.«[114]

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Profis mit Millionen

Dabei sind Profis am Werk und deren Kriegskassen sindüppig gefüllt. Lobbyismus in Schulen (und teilweise bereits inKindergärten) ist längst ein eigener Wirtschaftszweiggeworden, in dem ordentlich Geld verdient wird. AufInternetseiten wie oeconomix.de oder juniorprojekt.de findensich scheinbar uneigennützige Angebote an Lehrer für dieGestaltung von Schulstunden. »Hoch im Kurs« heißt eineLehrer- und Schülermappe mit Arbeitsblättern,herausgegeben von der Branchen- und LobbyorganisationBVI Bundesverband Investment und Asset Management.Ausführlich werden dort Investmentfonds und andereAnlageformen vorgestellt und etwa fondsbasierteAltersvorsorgepläne »direkt und praktisch alternativlosempfohlen«, hat die Augsburger Wissenschaftlerin Prof. Dr.Eva Matthes festgestellt.

Wörtlich wird den Schülern nahegelegt: »Schon gewusst?Auch mit kleinem Geld lässt sich langfristig Vermögenaufbauen: Mit einem Fondssparplan werden feste,monatliche Beträge in einem Investmentfonds angespart.«Auch beim Thema Riester-Rente wird auf Investmentfondsverwiesen.

Verrückt und ein Unding: Dieses höchst einseitigeElaborat aus der Feder von Investmentfonds-Lobbyistenträgt – wie übrigens erstaunlich viele zweifelhafteUnterrichtsmaterialien – das Comenius-Edu-Siegel für»pädagogisch, inhaltlich und gestalterisch herausragende,IKT(informations- und kommunikationstechnisch)-basierte

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Bildungsmedien.« Und es zählt zu den offiziellen Projektender Weltdekade Bildung für nachhaltige Entwicklung. Diesehaben die Vereinten Nationen für die Jahre 2005 bis 2014ausgerufen mit dem erklärten Ziel, »das Leitbild dernachhaltigen Entwicklung in allen Bereichen der Bildung zuverankern«.[115]

Dabei hat gerade der Finanzlobbyismus an Schulenbesonders viele Erscheinungsformen. Besonders rührig istder Bundesverband deutscher Banken, der ständig neueUnterrichtsmaterialien und spezielle Lehrermappen anbietet,ein Zeitungsprojekt »Schule und Wirtschaft«, kostenfreieWirtschaftsseminare und über die EuropäischeBankenvereinigung EBF eine European Money Week, dieausweislich der Internetseite »das Finanzwissen vonSchülerinnen und Schülern verbessern« will. Aber eben auch»die öffentliche Diskussion über das Thema auf dieBedeutung der finanziellen Allgemeinbildung für dieindividuelle und gesellschaftliche Wohlfahrt aufmerksammachen«[116] .

2015 ließ der Bankenverband nicht nur in einerJugendstudie klären, dass Heranwachsende und jungeErwachsene im Internet und in der Digitalisierunghauptsächlich Vorteile für die Gesellschaft sehen. Sondern erließ in der Studie gleichzeitig auch viele Daten erheben, diefür die Mitgliedsbanken beim täglichen Vertrieb zweifelloshilfreich sind. Etwa, wie Jugendliche im Detail ihreSmartphones nutzen, wie ihr konkretes Verhalten beimOnline-Einkauf ist, wie es um ihr wirtschaftliches Wissenbestellt ist, wie und ob sie sparen und überhaupt mit ihremGeld umgehen.[117] Einmal im Jahr lädt der Bankenverbandzum Schülerwettbewerb »Schul-Banker« ein, wo jeder

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Jugendliche Banker spielen darf und die Besten am Endeausgezeichnet werden. Gemeinsam mit der FrankfurterAllgemeinen Zeitung läuft der Wettbewerb »Jugend undWirtschaft«.

Alles nur ganz selbstlos, nur um die Bildung derJugendlichen im Bereich Wirtschaft und Finanzen zuverbessern? Eine Sprecherin des Bankenverbands weistweniger hehre Absichten weit von sich. »Wir wollen keineBörsenfreaks fördern, sondern aufgeklärte Verbraucher«,sagt sie auf unsere Anfrage hin. Und außerdem stünde dochimmer der jeweilige Lehrer als wichtigste Instanzdazwischen. »Es geht uns darum, Brücken zu bauenzwischen Schulen, Wirtschaft und Banken.« Und darum, beiSchülern die Fähigkeit zur Teamarbeit und die Bereitschaftzur Übernahme von Verantwortung zu fördern.

Das klingt wohlfeil und selbstlos. Ähnlich wie bei »MyFinance Coach« (MFC). Dort heißt es auf der Internetseite,man wolle doch nur »Begeisterung wecken, Wissenvermitteln und Kompetenzen stärken«. Weil MFC nämlichüberzeugt sei, »dass das Verständnis für ökonomischeZusammenhänge unverzichtbar ist für die Teilhabe anunserer Gesellschaft«.

Dem Bundesverband deutscher Banken kann manwenigstens noch zugutehalten, dass er mit offenem Visierkämpft, weil er sich als Initiator seiner Aktivitäten nicht tarnt.Bei »My Finance Coach« ist das anders. Dahinter verbergesich »eine gemeinnützige Initiative, die Jugendliche innerhalbund außerhalb des Klassenzimmers fürverantwortungsbewussten Umgang sensibilisiert«, heißt esauf der Internetseite.[118]

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Tatsächlich steht hinter »My Finance Coach« einegemeinnützige Stiftung mit Sitz in München. Das kommt aufden ersten Blick unverfänglich daher. Hinter der Stiftungwiederum stehen mehr als 60 Unternehmen undOrganisationen. Darunter sei auch der VersicherungsrieseAllianz, heißt es auf der Internetseite im Impressum.Ehrlicher müsste es dort heißen: »My Finance Coach« ist vorallem ein Baby der Allianz.

Der Versicherungsriese hat die Stiftung 2010 gemeinsammit einer Kommunikationsagentur und derUnternehmensberatung McKinsey gegründet. Die Allianzbestreitet angeblich auch den weit überwiegenden Teil desMFC-Etats, der weitestgehend über Spenden finanziert wird.Ausweislich des Bundesanzeigers lag dasSpendenaufkommen 2013 bei 3,152 Millionen Euro. Summendieser Größenordnung sind Kleingeld für einen derweltgrößten Versicherungskonzerne, der im gleichen Jahrallein in Deutschland 30 Milliarden Euro Umsatzerwirtschaftete. Noch dazu lassen sich Spenden bekanntlichsteuerlich absetzen. Ein in mehrfacher Hinsicht gutesGeschäft für alle Beteiligten.

Das Geld reicht MFC jedenfalls aus, um ein Feuerwerk anAktivitäten abzubrennen. »My Finance Coach« füttert diejugendliche Kundschaft nicht nur mit vielen und ständigneuen Mitmachangeboten auf der Webseite.

Vor allem entwickelt und verbreitet MFC kostenloseUnterrichtsmaterialien für Lehrer, organisiertLehrerfortbildungen (unter anderem gemeinsam mit derbezüglich anrüchiger Kooperationen offenbar schmerzfreienbayerischen Lehrerfortbildungsakademie in Dillingen) undschickt speziell geschulte Finance Coaches als Referenten in

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den Schulunterricht. Dabei handelt es sich um Vertreter derFirmen, die das Projekt mit betreiben.

Fragwürdige Aktivitäten, finden die FrankfurterSozialwissenschaftler Engartner und Krisanthan. »MyFinance Coach« werfe die Frage auf, ob in Zeiten des vonneun auf acht Jahre verkürzten Gymnasiums bereits 12-Jährige »auf die Fragen Wie sorge ich privat für das Altervor? Wie betreibe ich bei meinen FinanzanlagenRisikodiversifikation? und Wie versichere ich mich richtig?«vorbereitet und unterrichtet werden müssten. »Eine zukritischem Bewusstsein erziehende finanzielle Bildung, dieauf die Gefahren von Missbrauch durch Finanzintermediäreverweist oder vor finanziellen Risiken bei Geldanlagen warnt,findet dabei nicht statt«, so die Wissenschaftler.

Im Materialordner von »My Finance Coach« zum ThemaSparen werden nach ihrer Bewertung »die Risiken vonAktien und Anleihen niedriger Bonität oder hoher Volatilitätebenso ausgeblendet wie Inflationsrisiken, Kreditfallen oderFalschberatungen«. Ausgerechnet Vertreter von Firmen wieder Allianz als »Coaches« vor Schulklassen treten zu lassen,»um neue potenzielle Kunden zu werben, indem sie erstderen Ängste vor Altersarmut schüren und dann diekapitalgedeckte, vulgo: private Altersvorsorge alsAllheilmittel propagieren«, empfinden Engartner undKrisanthan »fast so, als würde ein Pharmareferent denSexualkundeunterricht gestalten oder ein Fast-Food-Restaurantleiter die Kinder über Ernährung informieren«.

Genau das aber geschieht bei »My Finance Coach« täglich.Ausweislich des MFC-Jahresberichtes besuchten dieseCoaches im Schuljahr 2014/15 insgesamt 1785 Klassen undsprachen dabei 221 657 Schülerinnen und Schüler direkt im

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Klassenzimmer an. 898 Lehrer ließen sich im gleichenZeitraum von MFC fortbilden, 1089 Schulen zählen zu denoffiziellen Partnern. Seit Bestehen hat »My Finance Coach«bei knapp 6650 Unterrichtsbesuchen 735000 Schülerinnenund Schüler direkt erreicht.[119] Mit anderen Worten: DieResonanz und der Zuspruch für »My Finance Coaches« sindriesig. Die Gedankenlosigkeit bei Lehrern, Schulleitern,deren Vorgesetzten in den Kultusministerien und letztlichauch bei den Eltern scheint gigantisch.

Kritikern hält MFC prophylaktisch entgegen, man lasse dieeigene Arbeit schließlich von der Ludwig-Maximilians-Universität in München evaluieren und diese komme dabeiregelmäßig zu sehr positiven Einschätzungen. Aber es gibtandere neutrale Experten, die zu geradezu vernichtendenEinschätzungen kommen. Der Bundesverband derVerbraucherzentralen ließ Unterrichtsmaterial von »MyFinance Coach« von unabhängigen Fachleuten prüfen.[120]

Von vier möglichen Bewertungs-Sternen erhielten diegeprüften MFC-Handreichungen der Reihe »Mach dichfinanzfit« zu Themen wie Sparen, Finanzplanung oderKaufen, reihum gerade mal einen einzigen.

Durchgehend beklagten die Prüfer Lücken und didaktischeMängel und stuften den fachlichen Inhalt als eher mau ein.Über einen Ordner zum Thema Sparen und Geldanlageurteilen die Verbraucherschützer: »Kompetenzerwerb istnicht möglich, es wird lediglich Wissen zu den diversen Spar-und Anlagemöglichkeiten vermittelt und dies noch aus einerPerspektive der Anbieter.« Kritische Stimmen zu dengenannten Anlageformen würden nicht dargestellt. »Eineechte Auseinandersetzung ist nicht möglich«, so die Expertenweiter.

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Das »Neutralitätsgebot«, das den Finance Coachesverbiete, bei ihren Unterrichtsbesuchen »zu einzelnenProduktkategorien oder Produkten dezidiert Stellung zunehmen« und im Klassenzimmer Vertriebstätigkeiten zuentfalten, sei zwar löblich, so die Prüfer. Ob es in der Praxisauch eingehalten werde, müsse »vor dem Hintergrund vonErfahrungen mit externen Referent(inn)en an Schulen –zumal aus der Finanzwirtschaft – zumindest bezweifeltwerden«.

Selten sind es allerdings Drückermethoden, mit denen dieLobbyisten der Finanzbranche in Klassenzimmern vorgehen.»Das Ziel vieler Unternehmen ist es nicht, mit Hilfe ihresUnterrichtsmaterials Produkte zu verkaufen«, sagt SoziologeProf. Dr. Reinhold Hedtke. »Es geht vielmehr darum, einallgemein positives Klima zu schaffen, in dem Schüler dieVertreter von Banken oder Versicherungen nett, kompetentund vor allem vertrauenswürdig empfinden. So wirdHalbwissen vermittelt und eine scheinbare Sicherheit bei denJugendlichen erzeugt, was ihren späteren Umgang und ihrVertrauen in Finanzprodukte angeht.«[121]

Bestes Beispiel seien Fonds aller Art, die vor Jugendlichenangepriesen würden. Über deren Risiken werde in der Regelüberhaupt nicht aufgeklärt, kritisiert Hedtke. Ebenso wenigüber die Kalkulation solcher Fonds, deren Vertreiber meistgar kein Risiko hätten, wohl aber die Kundschaft. Auch überdie Kosten, die häufig den Gewinn auffressen, werde nichtgeredet.[122]

Wie stark Schulen inzwischen von Lobbyisten unterwandertwerden, darauf lässt eine Studie der Universität Augsburg

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schließen. Drei Jahre lang, von 2011 bis 2014, untersuchtendort die Wissenschaftler Prof. Dr. Eva Matthes, Ordinaria ander philosophisch-sozialwissenschaftlichen Fakultät, und ihrKollege Prof. Dr. Dr. Werner Wiater vom Lehrstuhl fürSchulpädagogik, was und wie viel im Internet an kostenlosemLehrmaterial für den Unterricht angeboten wird. Allein dieschiere Masse verblüffte die Forscher. Im August/September2011 zählten sie 520419 entsprechende Materialien. Ein Jahrspäter waren es bereits 882540. »Inzwischen dürften wir dieMillionen-Grenze erreicht haben«, vermutet Eva Matthes imSommer 2015 und gibt zu bedenken: »Das ist ein völligunübersichtlicher Markt mit völlig unkontrolliertemMaterial.«[123]

Viele der Angebote seien optisch »sehr gut aufgemacht«.Kein Wunder, findet Matthes, »da steckt meistens auch sehrviel Geld dahinter«. Neun von zehn Lehrerinnen und Lehrernnutzen nach Einschätzung der Augsburger ProfessorinUnterrichtsmaterial, das sie sich aus dem Internet holen. Sieladen es von Plattformen herunter, die Unternehmen,Stiftungen, Vereine, die unterschiedlichsten Organisationen,Initiativen, Privatleute, Kirchen, Gewerkschaften, andereLehrer oder einfach nur Wichtigtuer bestücken. Die Qualitätdes Materials ist sehr unterschiedlich. »Die Spanne reichtvon sorgfältig differenzierten und didaktisiertenUnterrichtseinheiten bis zu unverhohlener PR«, sagtProfessor Matthes.

Viele Materialien seien nichts anderes als purerLobbyismus. Dabei werde »eine perspektivischeEinseitigkeit« an den Tag gelegt, genau das Gegenteil dessenalso, was Schule eigentlich soll. Wenn etwa VolkswagenMaterial zu Mobilität und Klimaschutz liefert, dann enthält

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dieses zwar viele Informationen zum Autofahren der Zukunftoder Elektromobilität. »Wirkliche Alternativen zumAutofahren aber werden nicht thematisiert«, sagtWissenschaftlerin Matthes. Ganz im Sinne der Autoindustrie,ganz im Sinne von Volkswagen.

Die Kollegen der Daimler AG sind noch ungenierter. Ineiner Unterrichtsvorlage zum Thema Elektromobilitätkommen auf einer Zeitleiste über die Elektrifizierung desAutos ausschließlich Mercedes-Benz-Fahrzeuge vor. In einerAufgabe sollen Schüler per Internetrecherche einenAutomobilhersteller suchen, der sich »lokal emissionsfreifahren« auf die Fahnen geschrieben habe. Sie landen –selbstredend – bei Daimler. Und zu einer Aufgabe zumElektroauto ist ein Smart abgebildet; Smart ist eine Daimler-Konzernmarke.

Eva Matthes hat zahlreiche, bisweilen sogar dreisteBeispiele für einseitige Beeinflussung und versteckteWerbung gefunden. Der Chemieriese Henkel etwa erwähntin einer Unterrichtsvorlage für den Chemieunterricht zumThema »Nachhaltig waschen für eine saubere Umwelt«mehrfach an zentralen Stellen scheinbar beiläufig die eigeneMarke Persil. Die Firma Tetra Pak lobt sich in einerUnterrichtsvorlage selbst ausgiebig für ihr angeblichökologisches Engagement. Nichts, so könnte man nach derLektüre des Materials vermuten, ist tauglicher alsVerpackung von Flüssigkeiten in Tetra-Pak-Behältern.

Auf jeder Seite der Unterrichtsvorlage prangt das Logodes Unternehmens: »Tetra Pak – schützt, was gut ist.« DieFirma lobt sich selbst als »weltweit führender Anbieter vonGetränkekartons« und steuert die Schüler bei einerInternetrecherche zum Thema Nachhaltigkeit und

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klimaverträglicher Konsum zielgerichtet zum Ergebnis, dassTetra Pak ein tolles und ökologisches Unternehmen sei. DieAbsicht dahinter? »Es geht darum, klimaverträglichenKonsum als Alternative zum Konsumverzicht darzustellen«,notieren die Augsburger Wissenschaftler.

So wird auch das Prinzip des »Beutelsbacher Konsenses«verletzt. Es werden nicht viele Perspektiven eines Themasaufgezeigt, Kontroversen und Diskussionen angeregt, undSchülern wird eben nicht beigebracht, vorgekautenPositionen nicht zu folgen, sondern eine eigene Meinung undHaltung zu entwickeln. »Ich habe kein Unterrichtsmaterialvon Unternehmen oder unternehmensnahen Stiftungengesehen, wo nicht zumindest eine weltanschauliche Tendenzdahintersteckte«, sagt die Augsburger Professorin Matthes.Meist werde »das Bild vom Menschen als Konsumbürger undals Unternehmer seiner selbst« vermittelt. Ein ziemlicheingeschränktes Menschenbild also, in dem andere Wertekaum einen oder gar keinen Platz haben. Soll Schule dasvermitteln?

Vor allem eine Organisation steht in diesem Zusammenhangimmer wieder im Kreuzfeuer der Kritik: die Initiative NeueSoziale Marktwirtschaft (INSM). LobbyControl nennt sie zuRecht »eine marktliberale Lobbyorganisation derArbeitgeberverbände der Metall- und Elektroindustrie«. DieINSM wurde 2000 vom Arbeitgeberverband Gesamtmetallins Leben gerufen, wird aber auch von anderenArbeitgeberorganisationen unterstützt und finanziert. DieINSM ist ein Paradebeispiel dafür, wie sich Lobbyismus inden vergangenen Jahren verändert hat, wie er immergetarnter operiert und längst nicht mehr nur direkt auf die

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Beeinflussung von Politikern zielt. Sondern auf einenachhaltige Veränderung des gesellschaftspolitischen Klimas.

Dazu ein kleiner historischer Rückblick: Um dieJahrtausendwende ist die gesamte Nation tief in eineReformdebatte verstrickt. Viel ist von Starrheit und Stillstanddie Rede, von der Unfähigkeit, Überkommenes hinter sich zulassen, die bequeme soziale Hängematte zu verlassen undaufzubrechen in die neue Welt des globalisiertenWettbewerbs. Skeptiker und Pessimisten prophezeienschlechte Zeiten, wenn die Deutschen sich nicht endlich einesBesseren besinnen, mit dem Lamentieren aufhören und sichder veränderten Welt stellen. Andernfalls wären höhereArbeitslosenzahlen und weniger Wohlstand, ein nicht mehrzu finanzierender Sozialstaat und eine gesamtwirtschaftlicheKrise die Folge. Ein paar Zahlen zum Vergleich: Im Jahr 2000sind hierzulande 27,8 Millionen Menschensozialversicherungspflichtig beschäftigt. 15 Jahre späterwerden es mehr als 30 Millionen sein. Und während 2015 imDurchschnitt 2,9 Millionen Erwerbslose registriert sind,belief sich die offizielle Arbeitslosenzahl 2000 auf 4,1Millionen.

In dieser gesellschaftspolitischen Gemengelage beginntdie deutsche Wirtschaft mit viel Geld Thinktanks zu gründen.Was nach Aufbruch und neuem Denken klingt, ist in denmeisten Fällen in Wirklichkeit nichts anderes als gutgetarnter Lobbyismus im Sinne der Finanziers. Vom erstenTag an kämpft etwa die Initiative Neue SozialeMarktwirtschaft für wirtschaftsliberale Reformen, man kannauch sagen: für Einschnitte im Sozialsystem. Das tut sie bisheute. Mindestlohn? Auf keinen Fall! Vermögenssteuer? Bloßnicht! Renteneintrittsalter? Flexibilisieren! Verbrämt mit

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dem scheinheiligen Versprechen, man wolle doch denSozialstaat Ludwig Erhards retten, geht es in Wirklichkeitum Sozialabbau. Jeder muss eben schauen, wo er bleibt. ImKampf für ihre Positionen kann die Initiative finanziell ausdem Vollen schöpfen. Allein für das Jahr 2015 beträgt ihrEtat sieben Millionen Euro.[124] Das Geld kommthauptsächlich von den hierzulande mächtigen undzahlreichen Metallarbeitgebern.

Die INSM tritt rigoros und ausschließlich fürArbeitgeberinteressen ein, ein Lobbyverband will sie aberangeblich nicht sein. Verschwurbelt erklärt die Initiativedazu auf ihrer Internetseite: »Die INSM ist sicher eine starke›Lobby‹ für marktwirtschaftliche Alternativen – Lobbyisten imSinne einer einseitigen branchen- oder themenspezifischenInteressenvertretung sind wir aber nicht. Die INSM wirbttransparent und offen gegenüber der Politik und im Dialogmit der interessierten Öffentlichkeit für die Prinzipien einerSozialen Marktwirtschaft. Die INSM wird von den Verbändender Metall- und Elektro-Industrie finanziert. Eine moderneSoziale Marktwirtschaft dient keineswegs nur Unternehmen,sondern ist eine Gesellschaftsform, von der alleprofitieren.«[125]

Und weiter in der INSM-Prosa: »Die INSM denkt undhandelt parteiübergreifend. Ihre Unterstützer kommen ausdem gesamten demokratischen Spektrum. Das heißt: Für unszählen nicht das Parteibuch, sondern intelligenteSachargumente und Lösungsansätze für Reformen imRahmen der Sozialen Marktwirtschaft. Wir pflegen mit allenpolitischen Entscheidungsträgern und demokratischenParteien regelmäßig das persönliche Gespräch und denfachlichen politischen Dialog. Unser Interesse ist die

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Verankerung der Sozialen Marktwirtschaft in derGesellschaft.«

Bei ihrer Offensive hat die Initiative längst nicht nur diePolitiker, sondern ganz wesentlich auch die Klassenzimmerins Visier genommen. In ihrem Unterrichtsmaterial zumThema Sozialstaat konzentriere sich die INSM »auf dieProbleme und Gefahren sozialstaatlicher Maßnahmen undstellt soziale Gerechtigkeit als Utopie dar«, kritisiertLobbyControl. Eine kontroverse Diskussion dazu finde nichtstatt. Soziologe Hedtke spricht in diesem Zusammenhang voneinem »volkspädagogischen Trend«, der den Jugendlichenvermittelt werde: »Ihr werdet verarmen, wenn ihr nichtprivate Vorsorge betreibt. Was man den Jugendlichen abernicht sagt, ist, dass auch solche Anlagen Risiken unterliegen,weil niemand vorhersagen kann, was in 30 Jahren ist.«

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Pointiert gegen das Grundgesetz

Vor Jahren schon fiel die INSM mit fragwürdigerSchleichwerbung auf, die mit einer Rüge des deutschen PR-Rates quittiert wurde. In der bei Jugendlichen und jungenErwachsenen beliebten ARD-Fernsehserie »Marienhof« ließdie INSM einen Dialog schreiben, bei dem die Serienheldenzum Ergebnis kamen, dass die richtige Antwort auf den Pisa-Schock[126] des Jahres 2000 die stärkere Ausrichtung vonSchulunterricht auf die Interessen der Wirtschaft wäre.

Noch weitaus dreister fiel eine von der INSM vertriebeneBroschüre für den Schulunterricht aus, die vom Titel her denAnspruch erhob, »das kleine Einmaleins derMarktwirtschaft« zu erläutern. Tatsächlich stellte dasPamphlet nicht weniger als das Grundgesetz in Frage undstänkerte einseitig gegen die Politik. Wörtlich hieß es aufSeite 21: »Wie kann es sein, dass Politiker aller Parteieneinerseits lauthals das Loblied der Marktwirtschaft singen,andererseits aber immer und immer wieder Gesetzeverabschieden und Maßnahmen ergreifen, die offenbareinzig und allein das Ziel haben, die Menschen vor genaudieser Marktwirtschaft ›zu schutzen‹? Eine Antwort daraufist die geradezu paranoide Angst der Deutschen vorvermeintlichen Ungerechtigkeiten und davor, als ›Kleiner‹von den ›Großen‹ gefressen zu werden.«

Andernorts seien die Menschen jedenfalls schon viel weiterin Sachen Freiheit, Eigentum und Selbstverantwortung. »InGroßbritannien und den USA sind diese Rechte geradezuheilig, in Deutschland aber werden sie schon vom

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Grundgesetz drastisch eingeschränkt: In Artikel 14 Absatz 2heißt es: ›Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleichdem Wohle der Allgemeinheit dienen.‹ Zugegeben, diesesGebot ist ohne Zweifel gut gemeint, doch von einerfreiheitlichen Wirtschaftsverfassung zeugt es nun wirklichnicht.« Und weiter im INSM-Text: »In dem Wahn, esmöglichst allen recht zu machen, verheddert sich diedeutsche Wirtschaftspolitik seit Jahrzehnten in einemGestrüpp aus Widersprüchen.«

Als das Pamphlet in einigen Medien für einen Aufschrei derEmpörung sorgte, gab sich ein Sprecher der Initiative NeueSoziale Marktwirtschaft kleinlaut. Der inkriminierte Text sei»sicherlich sehr pointiert formuliert und leider etwasmissverständlich« gewesen, räumte er ein. Inzwischen wirddie Broschüre nicht mehr vertrieben.

Zum Jahresbeginn 2014 gab die Initiative Neue SozialeMarktwirtschaft ihr Internetportal für Lehrer,wirtschaftundschule.de, ab an die IW Medien, eine Tochterdes Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln. Das wiederumist sehr arbeitgebernah orientiert, wird es doch vonUnternehmen und ihren Interessenverbänden finanziert. DerBundesverband der deutschen Industrie und dieBundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände sinddie Träger des Instituts. Kein Wunder, dass in denUnterrichtsmaterialien nach wie vor die Sicht der Wirtschaftdominiert. Nicht mehr so plump wie weiland bei dergrundgesetzfeindlichen Broschüre der INSM, aber im Tenordoch nach wie vor eindeutig.

Es sei ein subtiler Einfluss, der darauf zielt,gesellschaftspolitische Denkweisen als gewissermaßenunumstößliche Naturgesetze in den Gehirnen von Lehrern

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und Schülern einzupflanzen, sagt Wissenschaftlerin Matthes.»Letztendlich geht es darum, eine wirtschafts- undunternehmensfreundliche Gesellschaft zu schaffen.«

Die erwähnten Beispiele aus den Arbeitgeber-Denkfabriken INSM und IW vermitteln eben nicht nur Faktenüber das Funktionieren von Wirtschaft. Sie indoktrinieren,indem sie das Bild einer Gesellschaft und eines Staatesvermitteln, in dem jeder eben schauen muss, wo er bleibt.»Das geschieht sehr häufig über versteckte Formen derEinflussnahme, die man auf den ersten Blick nicht erkennt«,sagt Professorin Matthes.

Wenn etwa in den Unterrichtsmaterialien vordergründigvon Nachhaltigkeit oder sozialer Marktwirtschaft die Redeist, tatsächlich aber »der Einzelne vor allem alsKonsumbürger betont wird«. Etwa in Materialien zurAlterssicherung, in denen unmissverständlich die privateVorsorge propagiert wird. Der freie Markt wird als dasAllheilmittel gegenüber dem Staat dargestellt. Wo der dochalles falsch und die sogenannte »freie Wirtschaft« allesrichtig macht.

»Jedes Jahr gibt Deutschland mehr und mehr Geld dafüraus, die Risiken des Lebens abzusichern«, heißt es in demvom einstigen INSM-Portal wirtschaftundschule.deangebotenen Arbeitsblatt »Anspruch und Wirklichkeit derSozialen Marktwirtschaft«.[127] Und weiter: »Der Erfolg istdabei nicht immer garantiert.« Korrekturen am bestehendenRentensystem seien jedenfalls »dringend erforderlich«. Esfolgt eine politisch höchst umstrittene Aussage: »EineMöglichkeit, um auch in Zukunft eine Rente zu ermöglichen,ist die Erhöhung des Renteneinstiegsalters.« Im Übrigen seidas deutsche Gesundheitssystem ohnehin ineffizient und die

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finanzielle Förderung von Familien durch den Staat durchKinder- und Erziehungsgeld habe »keinen nachhaltigenAnstieg bei den Geburtenzahlen ermöglicht«.

So wird ein Sozialstaat mit seinem aufgenerationenübergreifende Verantwortung ausgelegtenRentensystem madig gemacht und nebenbei demokratischgewählte Politiker als unfähig dargestellt. Was hat solcheEinseitigkeit im Schulunterricht zu suchen?

Wohlgemerkt – man kann den Sozialstaat für überfordert,die Politik für unfähig und das Renteneinstiegsalter für zuniedrig halten. Aber man kann das eben auch anders sehen.Die Frage ist, ob man solche einseitigen Positionen, wie siesich auch in den politischen Positionspapieren derArbeitgeberverbände und ihnen nahestehender Parteienfinden, Jugendlichen als in Stein gemeißelte Faktenpräsentieren darf. Oder ob es nicht angemessen wäre, imUnterrichtsmaterial mit der gleichen Verve undargumentativen Straffheit auch Gegenpositionendarzustellen. So jedenfalls wird einseitig Gesellschaftspolitikin die Klassenzimmer getragen.

Das geschieht immer häufiger. Die AugsburgerWissenschaftler Matthes und Wiater haben in ihrerDreijahresstudie festgestellt, dass sich die Zahl der Anbieterentsprechender Unterrichtsmaterialien im Internet von 2011bis 2014 um fast 75 Prozent erhöht hat. »Von den 20umsatzstärksten deutschen Unternehmen bieten 16 LehrernMaterialien für den Unterricht an«, rechnet Matthes vor.»Die haben also alle ein Interesse daran, in die Schulenreinzuwirken. Und das tun die nicht aus Altruismus.«

»Wirtschaft und Unternehmen müssen in Schulenabgebildet werden«, sagt Vera Fricke, Referentin für

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Verbraucherkompetenz bei der VerbraucherzentraleBundesverband (VZBV). »Aber das mussgesellschaftspolitisch absolut neutral und ausgewogengeschehen.«

2010 hat der VZBV eine Verbraucherplattformwww.verbraucherbildung.de im Internet eingerichtet undmehr als 500 Angebote für alle möglichen Schulfächeruntersucht. Die Ergebnisse sind in einem Materialkompassnachzulesen.

Ein Viertel der Materialien erwies sich als problematischoder gar grottenschlecht. »Vor allem jene mitwirtschaftsnahem Hintergrund bekamen schlechtereBewertungen als solche, die von der öffentlichen Handkamen«, sagt Fricke. Große Ungleichgewichte habe es dahäufig in Sachen Neutralität und Ausgewogenheit gegeben.

Die Einfallstore für die Meinungsmache im Klassenzimmerstehen weit offen, und das hat mit den Rahmenbedingungenzu tun, unter denen viele Schulen selbst in reichenBundesländern wie Bayern oder Baden-Württembergarbeiten müssen. Sie verfügen oft nur über sehr beschränktefinanzielle Etats, derweil die Ansprüche der Eltern an dieAusstattung und den Aktualitätsbezug des Unterrichts ihrerKinder immer größer werden. Schulbücher müssen mehrereQualitätskontrollen durchlaufen, ehe sie zugelassen werden.Ihr Inhalt ist daher meist tadellos, veraltet aber in manchenFächern verhältnismäßig schnell.

Weil die Schulen mangels ausreichenden Etats nichtständig die neuesten Auflagen kaufen, aber auch, weilinzwischen der Taktgeber Internet die Geschwindigkeit imInformationszeitalter vorgibt. Die Wissenszyklen werden alsFolge immer kürzer. Lehrpläne können dem nicht immer

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Schritt halten. Viele Lehrer fühlen sich im Stich gelassen. Umden Unterricht aktueller und auch interessanter zu gestalten,suchen viele im Internet nach tauglichem Material.

Genau in diese Lücken stoßen jedoch Lobbyisten.Inzwischen gibt es kleine, aber umtriebige und erfolgreicheSpezialagenturen. Dienstleister, die Firmen dabei helfen, andie jugendliche Zielgruppe anzudocken. Am besten direkt inder Schule oder schon in der Kindertagesstätte. Schließlichist dort richtig was zu holen. »Die Zielgruppe verfügt übermehrere Milliarden Kaufkraft und Mitsprache beiKaufentscheidungen der Eltern. Oft sind die frei verfügbarenMittel größer als bei den Eltern. So haben Kinder undJugendliche (sechs bis 19 Jahre) jährlich eine Summe vonrund 20 Milliarden Euro zur Verfügung«, heißt es auf derInternetseite der Spread Blue Educationmarketing GmbHaus Bottrop.[128]

Die Firma ist eine von vielen Agenturen, die sich aufLobbying in Kindertagesstätten und Schulen spezialisierthaben. 18 Millionen Kinder und Jugendliche gäbe es dort undman biete den Unternehmen »spezifische Lösungsangebote«,so Spread Blue. Andere solche Lobby-Dienstleister heißenCobra Youth Communications, Deutsche SchulmarketingAgentur (DSA) oder KB&B. Bei Cobra weiß man: »Je früherein Konsument an eine Marke oder ein Produkt herangeführtwird, umso geringer ist die Wechselbereitschaft auf andereMarken zu einem späteren Zeitpunkt. Wer also frühzeitig inspezielle Kommunikationsmaßnahmen für Kinder investiert,profitiert später von besonders loyalen Kunden.«[129]

Die Zauberworte heißen »Schulmarketing«,»Bildungssponsoring« oder »Lernpartnerschaften«. »Kinderund Jugendliche verbringen einen Großteil ihres Alltags in

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der Schule und treten dabei mit zahlreichen Themen aus denunterschiedlichsten Bereichen in Kontakt«, schreibt CobraYouth Communications auf der Internetseite. Wer ihnen»bildungsrelevante Themen« vermitteln wolle, müsse seineigenes Know-how einsetzen und auch »einen Mehrwert fürdie Bildungsinstitutionen« anbieten. »Vor allem Lehrernehmen derartige Hilfen für die Gestaltung des Unterrichtsdankbar an«, weiß man bei Cobra Youth. »Aber auch unsereKunden können mit Bildungskommunikation ihre Ziele in denBereichen CSR, Recruiting oder Imagebildung verfolgen.«

Zu den Kunden, für die beispielsweise die DSA bereitstätig wurde, gehören Unternehmen von A wie Adidas undAldi über das Bundesministerium für Verteidigung und denEnergieriesen Eon bis hin zu Bausparkassen oderMöbelhäusern. Das Unternehmen wirbt auf seiner Webseite:»Wir schaffen einen konkreten Mehrwert für IhrUnternehmen, indem wir Ihre Interessen mit dempädagogischen Bildungsauftrag von Schulenkombinieren.«[130] Das sei sogar »eine der Kernkompetenzenunserer Agentur«. Man verfüge über das Know-how,»Botschaften von Unternehmen gezielt inBildungseinrichtungen zu bringen«. Schließlich gebe es zwarviele Jugend-Szenen, aber nur einen Ort, der alleStrömungen unter Jugendlichen verbinde: die Schule. »Esgibt kaum einen anderen Ort, an dem Sie die Kinder undjunge Familien konzentrierter vorfinden oder ansprechenkönnen. Schon im Vorschulalter beherrschen vieleSprösslinge ein erstaunliches Repertoire an Werbesprüchenund -melodien, und von diesen bleibt offensichtlich aucheiniges hängen, wie neue Studien belegen. So orientierensich Mädchen unter sieben Jahren, die ihre Wunschliste für

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Weihnachten zusammenstellen, vor allem an dem ihnen überWerbung Präsentierten.«[131]

Auch die Hamburger »KB&B – The Kids Group GmbH &Co. KG« wirbt auf ihrer Internetseite mit renommierterKundschaft: große Spielwarenhersteller wie Mattel, Hasbro,BIG oder Disney zum Beispiel, den Stiftehersteller Stabilo,den Spielkonsolenhersteller Nintendo, den Sony-Konzern.Für Letzteren rühmt sich KB&B, eine »Schulaktion mit120000 Teilnehmern« organisiert zu haben.

Wie tief die Agentur-Mitarbeiter als Lobbyisten ihrerKunden in die Klassenzimmer und sogar in dieKindertagesstätten offenbar mühelos vordringen, darübergibt die Internetseite der Firma Auskunft: Man verfüge über»mehr als 200 Kooperationskontakte« und könne »über 700Erzieherinnen« erreichen.[132]

Längst sind auch die Kleinsten in den KindertagesstättenZielgruppe der Konzerne. Ein Team des ARD-PolitmagazinsReport Mainz war mit der Kamera dabei, als eine solcheEinrichtung Päckchen erhielt mit kleinen Büchern zurSprachförderung. Vor allem aber: Lego-Spielzeug. 6500Kindergärten und 2500 Schulen erhielten in Deutschlandregelmäßig solche Geschenke von Sponsoren.Produktwerbung unter dem Deckmäntelchen desBildungssponsorings.

Verheerend findet der bekannte Hirnforscher ManfredSpitzer solche Geschenke. »Kindergarten- undGrundschulkinder haben deutlich weniger Kritikfähigkeit alsältere Kinder«, sagte er Report Mainz. »Sie könnendeswegen die Werbung nicht reflektieren oder auch kritischhinterfragen und sie lernen schneller als ältere Kinder. Das

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heißt, sie sind beeinflussbarer einerseits und den Dingenhilfloser ausgesetzt. Und das ist eigentlich das Fiese.«[133]

Die Lobbyisten ficht so etwas nicht an. So bietet dieAgentur KB&B ihren Kunden »einzigartige und exklusiveZugänge« über »wissensvermittelnde Schul- undKindergartenaktionen«. Man biete an, das Produkt desKunden »optimal in der Zielgruppe zu platzieren«, dieBekanntheit zu steigern, »wochenlange Präsenz imUnterricht, direkt in der Zielgruppe«. Weil es besser sei,»klassenweise zu begeistern, statt Einzelkontakte zuerreichen«.

Offener und ehrlicher kann man Lobbyismus nichtbeschreiben.

Wobei Lobbyismus in Schulen nicht nur von Unternehmenund deren Handlangern betrieben wird. AuchGewerkschaften entdecken das Feld zunehmend für sich.Während etwa die GEW massiv gegen Lobbyismus in Schulenzu Felde zieht, ist die IG Metall diesbezüglich ungeniertzugange. »Ideologische Früherziehung« überschrieb derSpiegel im Herbst 2015 eine kleine Meldung[134] über einProjekt des IG Metall Bezirks Küste mit dem HamburgerCarlsen-Verlag. Der gibt seit mehr als sechs Jahrzehntenkleine Bücher der Reihe Pixi heraus. Insgesamt sind 2000verschiedene Titel erschienen, in einer Gesamtauflage vonmehr als 450 Millionen Exemplaren. Nun schrieb dieGewerkschaft die Vorlage für eine Ausgabe.

Eine Geschichte aus dem Arbeitnehmerleben, kindgerechtaufbereitet: Die Mama muss früh zur Arbeit, der Papaplötzlich auch, weil er auf einer Baustelle außerhalb arbeiten

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muss. Also ist niemand da, der den Kindern das Frühstückmacht. Die Arbeitszeiten machen also Probleme und um siezu ändern, muss gestreikt werden. Die Kleinen machen mitund protestieren ihrerseits mit Rasseln und Flöten gegen dieZustände.

»Carla, Fabio und Mama streiken« heißt das Büchlein, andem sich die IG Metall nicht nur inhaltlich, sondern auchfinanziell beteiligte. Das sei aber keinGewerkschaftslobbyismus im Kinderzimmer, beeilte sich einVertreter der IG Metall Küste zu versichern. Sondern eserkläre nur, wie man seine Interessen durchsetze.

Na dann.

Das kritische Bewusstsein in der Öffentlichkeit und bei denzuständigen Stellen dafür, dass unsere Schulen immer mehrzum Tummelplatz von Lobbyisten werden, entwickelt sichnur langsam. Die Internetseiten des Gymnasiums Sulingenquollen lange Zeit über vor positiven und einseitigenBerichten über Exxon Mobil und die Zusammenarbeit mitdem Ölriesen; auch in lokalen Medien war viel Freundlicheszu lesen. Bei einer Evaluation gaben 57 Prozent derbeteiligten Sulinger Schüler an, sie fänden Exxon Mobil sehrgut oder gut. 45 Prozent bekannten, ihre Bewertung desUnternehmens habe sich durch das Pilotprojekt verbessert.Die Initiatoren aus der Energiewirtschaft waren angesichtssolcher Zahlen nachvollziehbarerweise hochzufrieden: »Dieursprünglichen Ziele der Kooperation wurden erreicht«,notierten sie in einem Evaluationsbericht, der uns vorliegt.

Nur im niedersächsischen Kultusministerium hat einUmdenken eingesetzt. Im Januar 2015 zog Kultusministerin

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Frauke Heiligenstadt (SPD) einen Schlussstrich unter dieunheilvolle Allianz zwischen Schulen und Energiekonzernen:Sie trug den jahrelangen Protesten von LobbyControl undanderen Kritikern Rechnung und verbot die Kooperationenkurzerhand ab dem Schuljahr 2015/16.

»Grundlage dieser Entscheidung ist dieAntikorruptionsrichtlinie des Landes«, erklärte aufNachfrage der Sprecher des Kultusministeriums. Demnachsei Sponsoring an Schulen nur zulässig, »wenn der Anscheineiner möglichen Beeinflussung bei der Wahrnehmung desVerwaltungshandelns nicht zu erwarten ist. Dabei kommt esnicht darauf an, ob tatsächlich eine Einflussnahme erfolgt.«

Genau das ist in Sulingen, Vechta, Lingen, Verden undLohne aber jahrelang geschehen. So sahen die Verträge derSchulen mit dem Lobbyverband MEG »die Verpflichtung derSchulen vor, Themen aus der Erdöl- und Erdgasproduktion inden Unterricht und die schulische Projektarbeiteinzubringen«, so der Ministeriumssprecher. »Außerdemmussten sich die Schulen verpflichten, dem WEG halbjährlicheinen Statusbericht über die Zusammenarbeit vorzulegenund gemeinsam mit dem WEG Unterrichtsmaterialien zuentwickeln.« Die Unternehmen stellten außerdem bis zu10000 Euro für Sachmittelanschaffungen zur Verfügung,über die in Abstimmung mit ihnen verfügt werden konnte.

»Eine solche Vertragsgestaltung eröffnet unseresErachtens Möglichkeiten der Einflussnahme auf schulischeBelange und die Mitgestaltung der Lehrinhalte und wäredamit unzulässiges Sponsoring«, so der Sprecher. Für dieSchulen heiße dies, ein Werbeeffekt müsse deutlich hinterdem pädagogischen Nutzen zurückbleiben, undZuwendungen dürfen nicht angenommen werden, wenn

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dadurch der Anschein erweckt wird, dass derBildungsauftrag beeinflusst wird. Schon die Möglichkeiteiner auch nur mittelbaren Einflussnahme würde bereits zurUnzulässigkeit des Sponsorings führen. »Nach aktuellerEinschätzung des Landes Niedersachsen besteht eine solcheMöglichkeit im Falle der genannten Kooperationen«, so dasFazit des Ministeriums.

Und ganz abgesehen davon: »Schülerinnen und Schülermüssen sich frei und ohne einseitigen Einfluss ihr eigenesUrteil bilden können, in diesem Fall war dies nach unsererEinschätzung nicht mehr gewährleistet.« Es müsse klar unddeutlich sein, »dass eine mögliche Einflussnahme vonUnternehmen ausgeschlossen ist«, sagte derMinisteriumssprecher weiter. »Das war bei den in Redestehenden Verträgen allerdings nicht der Fall.«

Nicht jeder sieht das so. Aus den betroffenen Schulen kamzum Teil verhaltene Kritik, hatte sich die Kooperation für siedoch im wahrsten Sinne des Wortes bezahlt gemacht.Schulleiter beklagten, dass ihnen nunmehr die 10000 Euroder Konzerne im Etat fehlen. Der stellvertretende CDU-Vizeim niedersächsischen Landtag nannte die Beendigung desSchul-Lobbyings sogar den Beweis dafür, dass die SPD-geführte Landesregierung wirtschaftsfeindlich agierte. Wodoch die Kooperationen so sinnvoll gewesen seien, um dieWirtschaftskompetenz von Schülern zu stärken.

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9 Zwischen den Zeilen

Medien als Transmissionsriemenfür Lobbyisten

Inszenierte Wahrheiten: Sollen Botschaftentief in eine Gesellschaft hinein transportiert

und dort verpflanzt werden, geht dieshäufig nicht ohne die Medien. Das Internet

öffnet Manipulationen Tür und Tor. DerDruck auf die Journalisten wächst.

Seit seiner Freilassung aus einem russischen Straflager sind36 Stunden vergangen, als Michail Chodorkowski in Berlinvor die Weltpresse tritt. Er tut dies nicht im schnödenKonferenzsaal irgendeines der zahlreichen Berliner Hotels,sondern an einem symbolträchtigen Ort: im Mauermuseumam ehemaligen Checkpoint Charlie, jenem weltbekanntenfrüheren Grenzübergang zwischen Ost- und West-Berlin,zwischen russischem und amerikanischem Sektor. DerKontrollpunkt wurde 1961 im Zuge des Mauerbauseingerichtet und hatte bis 1989 Bestand. Nur Vertreter derAlliierten, ranghohe DDR-Funktionäre, Ausländer undVertreter der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik inder DDR durften bis dahin den Checkpoint Charlie passieren.

Ein Ort der Weltgeschichte also. Das kleine, vomMenschenrechtler Rainer Hildebrandt 1963 eröffnete

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Museum auf der Westseite der ehemaligen Grenzethematisiert und dokumentiert mit vielen Fotos undExponaten das Leid, das die Berliner Mauer und überhauptdie deutsche Teilung über unzählige Menschen brachte. Eserinnert an die vielen DDR-Bürger, die bei Fluchtversuchenaus ihrem Land ihr Leben ließen oder verletzt wurden, undes zeigt Original-Requisiten von geglückten Fluchten. DasMauermuseum gehört seit Langem zu den am bestenbesuchten Museen Berlins. Und doch war von Anfang an klar,dass es für den Ansturm zum Chodorkowski-Auftritt zweiTage vor Heiligabend 2013 zu klein sein würde.

Das Gedränge, Geschubse und Geschrei der Kameraleuteund Fotografen ist enorm, als Michail Chodorkowski amfrühen Nachmittag in dunkelblauem Anzug, weißem Hemdund Krawatte vor die Medienvertreter tritt. Zehn Jahre inrussischen Straflagern liegen hinter dem einstigenOligarchen und prominentesten Gegner von Wladimir Putin;in nach rechtsstaatlichen Maßstäben zumindestfragwürdigen Prozessen war Chodorkowski wegenSteuerhinterziehung und Betrug verurteilt worden. Nunwurde er über Nacht völlig überraschend aus der Lagerhaftentlassen und in einem vom früheren Außenminister Hans-Dietrich Genscher organisierten Privatjet des westfälischenUnternehmers Ulrich Bettermann aus Russland nachDeutschland ausgeflogen.

Dass für seinen ersten öffentlichen Auftritt in Freiheit derehemalige Checkpoint Charlie ausgewählt wurde, kam nichtvon ungefähr. Der Checkpoint steht wie nur wenige Ortesymbolhaft für den Kalten Krieg und seine schlimmen Folgenfür viele Menschen. Er steht seit 1989 aber auch für den Siegder westlichen Demokratien über die totalitären,

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kommunistischen Regime in der DDR und der ehemaligenSowjetunion. Etwas pathetisch zugespitzt: Der CheckpointCharlie markiert den Triumph der Freiheit über denTotalitarismus in Europa. Welcher Ort würde sich also alsKulisse für eine mediale Inszenierung des ersten Auftrittseines lange Inhaftierten besser eignen, um einen imautoritären Putin-Russland unter zweifelhaften Umständenzehn Jahre lang eingesperrten, politischen Gefangenen derWeltöffentlichkeit zu präsentieren?

Schließlich geht es darum, mit der Person Chodorkowskiauch ein bestimmtes Bild in die Öffentlichkeit zutransportieren: Chodorkowskis Freilassung sollte auch alsSieg der Freiheit über das autoritäre Russland WladimirPutins inszeniert werden. Es waren Medienprofis, die dafürdas Checkpoint-Charlie-Museum gezielt auswählten. Denndie Bilder, die um die Welt gehen sollen, müssen verfangen.Im besten Fall transportieren sie eine Botschaft, die über dasbloße Wort des Freigelassenen hinausgeht.

Hochspezialisierte Agenturen wissen, wie man Eindruckschafft. Zehn Jahre hatten sie sich zuvor schon währendChodorkowskis Lagerhaft sehr aktiv darum gekümmert, dassÖffentlichkeit und Politiker im Westen das Schicksal ihresKlienten nie aus den Augen verloren. Kaum war der Oligarchim Oktober 2003 im Straflager verschwunden, engagiertesein Umfeld Fachleute im Ausland und erteilte ihnen einenklaren Auftrag: den Namen Chodorkowski und das Schicksaldes Kreml-Kritikers immer wieder in die Medien zu tragen,für anhaltende Aufmerksamkeit zu sorgen und so denpolitischen Druck auf die russischen Machthaberaufrechtzuerhalten. Zugleich sollte auch Gewähr dafürgeboten werden, dass dem Gefangenen Chodorkowski nicht

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doch still und heimlich Schlimmeres widerfährt.

Den Auftrag erhielt zunächst Burson-Marsteller, eine dergrößten PR-Agenturen weltweit mit Sitz in New York, Bürosin 50 Ländern und mehreren tausend Mitarbeitern. Siegehört seit 2000 zum britischen Werbe- und MedienkonzernWPP und betreut in zahlreichen Ländern viele Unternehmen.

Bei der Auswahl der Kundschaft kennt man wenigeSkrupel. Auch zweifelhafte Auftraggeber wie dieargentinische Militärjunta oder der 1989 hingerichteterumänische Diktator Nicolae Ceaușescu ließen sich vonBurson-Marsteller helfen, um ihr Image im Westen ein wenigzu polieren oder aber für Rumänien als Tourismusregion zuwerben. Ebenso der Chemiekonzern Union Carbide,nachdem in dessen indischem Werk in Bhopal 1984 einUnfall Tausenden Menschen das Leben kostete.

2011 und 2012 arbeitete die Agentur für die polnische EU-Ratspräsidentschaft, was sich das Außenministerium inWarschau Medienberichten zufolge mindestens eine halbeMillion Euro pro Jahr kosten ließ. Einen »Global Player inSachen Public Relations und käuflicher öffentlicher Meinung«nannte der BUND Burson-Marsteller. Greenpeace warf derLobbyfirma schon einmal vor, für Diktaturen weltweitImagekampagnen zu organisieren, »damit Staatsterror,Massaker und Gräueltaten nicht zu wirtschaftlichenNachteilen und Sanktionen für die betreffenden Staatenführen«.

In Frankfurt wurde Burson-Marsteller vomFlughafenbetreiber Fraport, der Lufthansa und derFluggesellschaft Condor mit dem PR-Kampf gegen mehrereBürgerinitiativen beauftragt, die sich gegen den Fluglärm

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des Airports wehrten.[135] Facebook spannte die Agentur ein,um Google zu diskreditieren, indem Medien ausgerechnetmit Berichten darüber versorgt wurden, dass der Konkurrentdie Privatsphäre der Internetnutzer nicht genügend achte.Nina Katzemich vom Verein LobbyControl hält wenig vonBurson-Marsteller. Die Agentur sei »ein Profi auf dem Gebietder Beratung von Regierungen, sie schrecken da auch vornichts zurück, Nigeria, Argentinien, Ukraine«, sagte sie ineinem Fernsehinterview. Es sei obendrein »problematisch,wenn Lobbyagenturen direkt in offizielleRegierungsangelegenheiten eingreifen«.

Damit spielte sie darauf an, dass die enge Zusammenarbeitmit Polen während der Zeit der Ratspräsidentschaft Burson-Marsteller zweifellos zahlreiche neue, hochrangige Kontaktein Warschau, vor allem aber innerhalb des EU-Apparatsbescherte, von denen die Lobbyisten auch bei ihrenAktivitäten für andere Kunden zehren können. Ein klarer undnoch dazu zweifellos lukrativer Wettbewerbsvorteilgegenüber der Konkurrenz.

Nun gibt es – legt man den Fall Chodorkowski zugrunde –zweifellos Verwerflicheres, als Stimmung zu machen füreinen unter zweifelhaften Umständen ins Straflagergesperrten Menschen.

Andererseits offenbart sich an dem Beispiel einmal mehrein Grundübel von Lobbyismus: Sein Erfolg ist abhängig vonden vorhandenen finanziellen Mitteln. Nicht nur inStraflagern Russlands, sondern weltweit sitzen Tausende undAbertausende Menschen unter zweifelhaften Umständen imGefängnis, die nicht das Geld haben, sich PR-Lobbyisten zuengagieren und ihr Schicksal in die Medien und über sie indie Öffentlichkeit zu transportieren. Nach diesen Opfern

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kräht kein Hahn.

Das Beispiel Chodorkowski zeigt exemplarisch, wie engLobbyismus und Medien zusammenhängen können. WieZeitungen, Magazine, Rundfunk- und Fernsehsender, vorallem aber das Internet mit seinen unendlichen Plattformenals Transmissionsriemen genutzt werden, um gewünschteBotschaften zu verbreiten, Themen gezielt zu setzen,gesellschaftliche Diskussionen zu lenken und Politik im Sinneder Auftraggeber zu beeinflussen. Um ein anderes Bild zubemühen: Medien sind die Sprungschanzen für Lobbyistenmitten hinein in die Gesellschaft, in unsere Diskussionen.

Im Fall des einstigen russischen Oligarchen hieß dies:Wann immer sich ein Anlass bot (oder ein Anlass geschicktinszeniert werden konnte), schufen die PR-LobbyistenPublizität für ihren Mandanten. Von 2005 bis 2012 erledigtedies die Agentur Burson-Marsteller, die den Auftrag dannjedoch abgab, »weil er andere, lukrative Russland-Aktivitätenzu gefährden schien«, wie die taz recherchierte.[136] ChristianHanne, der sich zuvor bei Burson-Marsteller um das ProjektChodorkowski gekümmert hatte, und seine KolleginChristiane Maack machten sich nun mit einer eigenenAgentur in Berlin selbständig und kümmerten sich so fortanum ihren prominenten Mandanten.

Die Arbeit Hannes und seiner Agentur für deneingesperrten Chodorkowski bis hin zur Inszenierung seinerersten Pressekonferenz in Freiheit im Museum amCheckpoint Charlie beschrieb das prmagazin rückblickendso: »Sie standen im steten Austausch mit den Anwälten desInhaftierten. Sie organisierten hierzulande die Pressearbeit,veranstalteten Lesungen und Konzerte und versuchten beiAnlässen wie Chodorkowskis 50. Geburtstag das Interesse

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der deutschen Öffentlichkeit zu wecken.« Das, so vertrauteChristian Hanne dem Fachmagazin an, sei aus dem Kalkülheraus geschehen, dass Deutschland ein wichtigerwirtschaftlicher und politischer Partner Russlands sei. »Diegroße öffentliche und mediale Aufmerksamkeit hat sicherdazu beigetragen, dass Herr Chodorkowski frühzeitig ausdem Gefängnis gekommen ist. Kommunikation war seineLebensversicherung.«[137]

Hannes Arbeit erschöpfte sich nicht darin, immer neueAufhänger für Geschichten über den Milliardär im Lager zufinden und damit klassischerweise bei Journalisten dafür zuwerben, dass diese immer wieder über den FallChodorkowski berichteten. Vielmehr wurde auch diskretesund im ersten Moment so nicht erkennbares, gesteuertesLobbying betrieben.

»Zahlreiche Veranstaltungen, die das Mitwirken der PR-Firma für normale Besucher nicht vermuten ließen, gingenauf Hannes Initiative zurück«, fand die taz heraus. »AufEinladungen und Plakaten trat die Firma nicht inErscheinung. Dabei war sie auch bei prominentenVeranstaltungen wie dem Konzert ›To Russia with Love‹ inder Berliner Philharmonie maßgeblich beteiligt«, mit dem am7. Oktober 2013 herausragende Musikerinnen und Musikerwie Daniel Barenboim, Gideon Kremer und Martha Argerichnicht nur an Anna Politkowskaja erinnerten. Dieregierungskritische russische Journalistin undMenschenrechtsaktivistin war sieben Jahre zuvor in ihremTreppenhaus ermordet worden. Das Berliner Gedenkkonzertan ihrem siebten Todestag wurde von allerhandMenschenrechtsorganisationen dazu genutzt, auf die Lage inRussland hinzuweisen – und konkret auf das Schicksal von

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Michail Chodorkowski.

Gerne hätten wir Christian Hanne selbst genauer zu seinerArbeit als deutscher Lobbyist für den russischenLagerhäftling Chodorkowski befragt. Gerne hätten wirdarüber hinaus von ihm erfahren, wie er generell bei seinerArbeit strategisch vorgeht und arbeitet. Hanne aber willnicht. »Nach reiflicher Überlegung«, schreibt er uns, hättener und seine Partnerin Christiane Maack sich entschieden,nicht für ein Gespräch zur Verfügung zu stehen. Gründe fürdie Absage nennt Christian Hanne auch auf Nachfrage keine.Auf die Bitte, zumindest ein vertraulichesHintergrundgespräch zu führen, reagierte er überhauptnicht mehr.

Etwas auskunftsfreudiger ist die Internetseite seinerAgentur. Darin vergleicht er deren Tätigkeit mit denen einesÜbersetzerbüros und einer Partnervermittlung. »Als›Übersetzer‹ unterstützen wir unsere Kunden dabei, ihreAnliegen so zu formulieren, dass sie von der Politik, denMedien oder der Öffentlichkeit verstanden werden«, heißt esda. »Als ›Partnervermittler‹ stellen wir den Kontakt zu denrichtigen Ansprechpartnern her und helfen unseren Kunden,ihr Netzwerk aufzubauen und zu pflegen.«[138]

Besser kann man Lobbyismus über die Medien kaumzusammenfassen.

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Bleierne Zeit

Es sind nicht nur solche humanitär angehauchten Fälle, indenen es Lobbyisten mit diesen Strategien gelingt, einThema zu setzen und damit auch Meinungsklima in derbreiten Öffentlichkeit zu kreieren. Oft sind es Fälle, die mithehren Zielen wenig gemein haben.

Wie dies funktioniert zeigte das Thema Privatisierung vonStaatsbetrieben.

Ein bleiernes Gefühl der Reformunfähigkeit lag vor allemin der zweiten Hälfte der 16-jährigen Kanzlerschaft desHelmut Kohl über Deutschland. Irgendwie wussten undspürten alle, dass sich spätestens seit dem Fall des EisernenVorhangs 1989 die Welt rapide geändert hatte. Und dass sichdas Denken, Handeln und Wirtschaften der Menschen nichtminder drastisch verändern muss. Der Begriff»Globalisierung« machte die Runde; er besagte kaum mehr,als dass der Wettbewerb nun ein weltweiter sein würde.Staaten, die vom Westen bislang durch den besagtenEisernen Vorhang getrennt waren, boten sich plötzlich alsbillige Standorte mit ebenso billigen Arbeitskräften an.Zugleich startete China nun endgültig den rückblickendbetrachtet gar nicht so langen Marsch zur wirtschaftlichenGroßmacht. Mithalten, so setzte sich bald die Erkenntnisdurch, kann nur, wer selbst wettbewerbsfähig ist. Und vorallem viel beweglicher und flexibler als früher. Weil sonst derWohlstand in Gefahr zu geraten droht.

Aus alldem entwickelte sich eine Melange austatsächlichen wirtschaftlichen Notwendigkeiten und einer

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diffusen Gefühlslage. Aus allen möglichen Ecken tönte immerlauter der Ruf nach Reformen, nur verstand jeder etwasanderes darunter. Nicht nur Helmut Kohl und seinechristlich-liberale Koalition, sondern auch die rot-grüneNachfolgeregierung stimmten ein. Und so manchepolitischen Diskussions- und Entscheidungsprozesse wurdengesellschaftlich von Lobbyisten vorbereitet und flankiert.

Mit Hilfe von Wirtschaftsverbänden, geschickten PR-Beratern, Kommunikationsagenturen und vor allem mit sehrviel Geld wurden reihenweise »Reforminitiativen« ins Lebengerufen, wie die auf Betreiben der Metallarbeitgeber 2000gegründete »Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft«. Sieund andere Initiativen dieser Art sollten die Deutschen viaMedien und Öffentlichkeit reformwillig stimmen. Siegebärdeten sich als »Denkfabriken«, holten sich nicht seltenbekannte Politiker aus diversen Parteien alsAushängeschilder in Beiräte oder dergleichen Gremien,deren Sinn und Zweck sich nicht so umgehend erschloss.Abgesehen davon, dass sie der Organisation einintellektuelles oder renommiertes Gepräge verleihen sollten.Hinzu kamen scheinbare Bürgerinitiativen, die hübscheNamen trugen wie »Aufbruch jetzt« oder »Konvent fürDeutschland«.

Wie sie konkret vorgingen, beschrieb der Autor Johann-Günther König so: »Sie geben sich als Bürgerinitiativen ausund werden der Öffentlichkeit von prominenten›Botschaftern‹ aus Politik, Verbänden und Medien alsüberparteiliche und gemeinwohlfördernde Reformkräfteangepriesen. Diese mit erheblichen privaten Finanzmittelnausgestatteten Initiativen sind insoweit nicht zuunterschätzen, als sie mit geschickt aufbereiteten

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›wissenschaftlichen‹ Befunden, die nachhaltig in Anzeigen,vor allem aber in der neutral wirkenden Berichterstattungder privaten und auch öffentlich-rechtlichen Medieneingeschoben werden, die Bevölkerung auf einwirtschaftsfreundlicheres Gesellschaftsmodell einschwörenwollen. Sie propagieren ›unausweichliche‹ sozialeLeistungskürzungen, mehr ›private Vorsorge‹ und dieFörderung von Eliten – und insofern tatsächlich eine ›neue‹Marktwirtschaft.«[139]

Und natürlich mehr Privatisierungen. Das immer wiedervorgetragene Kalkül: Privatwirtschaftliche Unternehmenseien am Wettbewerb orientiert und müssten dahergünstiger, flexibler, schneller und zielorientierter agieren alsdie vermeintlich verschlafenen, teuren Staatsbetriebe.

Die Lobbyisten derer, die sich von der Privatisierunggroßen Reibach erhofften, setzten viel daran, in Medien undgesellschaftspolitischen Debatten die Grundüberzeugung zuverankern, dass Privatisierung den Staat insgesamtvoranbringt. Wie Lobbyisten in solchen Fällen konkretvorgehen, zeigt das Beispiel Deutsche Bahn.

Sie ist zwar nach wie vor vollständig in staatlichem Besitz,sollte 2008 allerdings teilprivatisiert und ein Jahr später andie Börse gebracht werden. Doch dann kam die Finanzkrisedazwischen; der Börsengang wurde auf unbestimmte Zeitverschoben. 2009 deckte die Organisation LobbyControldessen ungeachtet auf, wie die Bahn Lobbyisten einschaltete,um die in ihrem Zusammenhang privatisierungskritischgewordene Öffentlichkeit zu beeinflussen und einMeinungsklima in ihrem Sinne zu schaffen. Und zwar indemMedien instrumentalisiert wurden. Es blieb nicht bei TV-Auftritten der Vorstände, zahlreichen Redaktionsbesuchen

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bei Leitmedien sowie regionalen Presse-Hintergrundgesprächen. »Auf kritische Artikel reagierte dieBahn mehrfach mit Anzeigenboykotten. Darüber hinaus ließdie Bahn verdeckte Pro-Privatisierungs-Propagandadurchführen. Mit der verdeckten PR-Arbeit wurde im Jahr2007 die Lobby-Agentur European Public Policy AdvisersGmbH (EPPA) beauftragt, die wiederum die Berlinpolis alsSubunternehmer einschaltete. Das Auftragsvolumen derEPPA belief sich auf 1,3 Millionen Euro. DieVertragsbeziehung mit der EPPA und ihremSubunternehmen wurde bereits 2007 wieder beendet. EPPAist eine Lobbyagentur, die von Rüdiger May (zeitweiligerGesellschafter der Berlinpolis GmbH, früherer CDU-Mitarbeiter und Philip-Morris-Lobbyist) gegründetwurde.«[140]

Und Berlinpolis leistete ganze Arbeit, wie LobbyControldokumentiert. Ab 2007 griff die »Denkfabrik« massiv in dieöffentliche und politische Debatte um die Bahnprivatisierungein. »Als zentrale Plattform diente eine separate Webseite,die Berlinpolis unter der Bezeichnung www.zukunftmobil.deals angeblich neutrales Informationsportal einrichtete.Berlinpolis veröffentlichte mehrere Meinungsumfragen zurBahn und zur Bahnprivatisierung, die bahnfreundlichangelegt waren.« Der von LobbyControl als»Skandallobbyist« bezeichnete Berlinpolis-Gründer DanielDettling (er selbst sieht sich eher als »kreativer Vordenker«in Sachen Gesellschaft und Wirtschaft) setzte sich nachAngaben der Organisation »auch in Meinungsartikeln undKommentaren für die Bahnprivatisierung ein. Berlinpolis warweiterhin an Online-Aktivitäten zugunsten der Privatisierungbeteiligt. Außerdem wurde eine Konferenz mit dem

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damaligen Bundesverkehrsminister Tiefensee sowie »40Spitzenvertretern aus öffentlichen Institutionen und derWirtschaft« organisiert, was nach eigenen Angaben imUnwissen von Tiefensee geschah.«[141] Wenige Monate nachden LobbyControl-Enthüllungen löste sich Berlinpolis auf,und Dettling gründete anstelle dessen Re:Publik Institut fürZukunftspolitik, auch so eine selbsternannte Denkfabrik.

Bis dahin hatte Berlinpolis einiges dafür getan, alsscheinbar zukunftsgewandte und den Mühen derTagespolitik entrückte »Denkfabrik« dieprivatisierungskritische Stimmung in Deutschland zubekämpfen. LobbyControl spricht von einer »verdeckten Pro-Privatisierungs-Propaganda«. Der Deutsche Rat für PublicRelations (DRPR), das freiwillige Organ der Selbstkontrolledes PR-Berufsfeldes, rügte Berlinpolis 2009 »für dieDurchführung von Maßnahmen der verdeckten PR inunterschiedlichen Medien, insbesondere im Internet und imBereich der Printmedien«. Die Agentur habe unter anderemgegen das Transparenz- und das Redlichkeitsgebotverstoßen.

Genau das ist der Punkt: Lobbyismus, wofür auch immer,hat dort eine Existenzberechtigung, wo er offen und sauberabläuft, nach fairen Spielregeln, nicht versteckt und nicht mitHilfe von Rosstäuscherei. Zur Privatisierung der Bahn habendie Kampagnen von Berlinpolis und Konsorten zweifellosbeigetragen. Wir Bürger freuen uns nun, dass die großenBahnhöfe hierzulande viel sauberer und schöner gewordensind. Weniger aber darüber, dass die kleinen vernachlässigtwerden, wenn nicht gar verrotten. Die Züge fahren auchnicht pünktlicher. Im Zuge der Privatisierung wurdentausende Eisenbahner im leistungsfähigen Alter vorzeitig in

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Pension geschickt, nicht selten mit üppigen Abfindungen. Beider in Deutsche Post AG und Telekom AG aufgespaltenen,ehemaligen Deutschen Bundespost wurden zwischen 1989und 2006 fast 175000 Stellen gestrichen. Die Post zog sichdrastisch aus der Fläche zurück, die Telekom sowieso. Stattseine Anliegen direkt bei Verantwortlichen anbringen zukönnen, beim örtlichen Postamtsleiter etwa oder beimBahnhofsvorsteher, landet der Kunde heute in anonymenCallcentern. Vorausgesetzt, er überlebt die Warteschleifenam Telefon.

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Willfährige Diener?

Dass Medien womöglich allzu leicht einem Mainstream folgenund ihn nicht kritisch genug hinterfragen, dass sieunangenehme Themen aussparen und einseitig ausgerichtetsind, sind Vorwürfe, die Kritiker immer wieder erheben. DasLügenpresse-Gebrülle von Pegida-Demonstranten undscheinbare Enthüllungsbücher wie der Bestseller desfrüheren Journalisten Udo Ulfkotte über Wesen und Arbeitder Medien schüren dieses Misstrauen, ohne dass sieVorwürfe konkret belegen. Sie bleiben dennoch nicht ohneFolgen.

Gar von einer »Vertrauenskrise« und einem»Glaubwürdigkeitsdefizit« ist bei der gewerkschaftsnahenOtto Brenner Stiftung die Rede, als sie im November 2015eine Studie mit dem Titel »Wir sind das Publikum«vorstellt.[142] »Um das Verhältnis des Publikums zu denMedien ist es nicht gut bestellt. Ein Reputationsverlust ist beivielen Themen festzustellen; er hat längst auch dieQualitätspresse und den öffentlich-rechtlichen Rundfunkerreicht«, schreibt Jupp Legrand, Geschäftsführer derStiftung im Vorwort.

Bei einer Umfrage der Wochenzeitung Die Zeit imDezember 2014 klagten 47 Prozent der Befragten überEinseitigkeit der Berichterstattung. Eine Umfrage des NDR-Medienmagazins »Zapp« zum politischen Journalismus kametwa zur gleichen Zeit zu dem Ergebnis, dass 63 Prozent derDeutschen wenig oder gar kein Vertrauen in die Ukraine-Berichterstattung deutscher Medien haben. Von diesen

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Nutzern empfindet fast jeder Dritte die Berichterstattung alseinseitig, 18 Prozent gehen sogar von bewussterFehlinformation aus.«[143]

Solche Umfragewerte gehen einher mit einer bedrohlichenBeobachtung von Experten. Lobbyisten versuchen, derÖffentlichkeit Fakten und Ansichten unterzujubeln, um dasMeinungsklima zu bestimmen – weltweit. »In diesem Bereichund im Erkaufen von Einflussnahme ist die Wirtschaftslobbyhoch entwickelt«, sagt Prof. Dr. David Miller von derUniversity of Strathclyde.[144]

Um die Begehrlichkeiten von Lobbyisten, Einfluss zunehmen auf mediale Inhalte und damit auf die Gesellschaft,seriös beurteilen zu können, muss man dieRahmenbedingungen kennen, unter denen sich etwaKonzerne und Medien begegnen.

Die Pressestellen großer Konzerne sind nicht selten mitmehr Mitarbeitern bestückt als die meistenWirtschaftsredaktionen jener Zeitungen, Zeitschriften undSender, mit denen sie kommunizieren. Mit dem großenUnterschied, dass ein Journalist sich meist um viele Firmenund Themen kümmert und nicht nur ein Unternehmen aufdem Schirm haben kann wie ein Öffentlichkeitsarbeiter.Dieses zahlenmäßige Ungleichgewicht allein drückt einKernproblem im Wirtschaftsjournalismus aus: Der kritischeBlick für Journalisten in Unternehmen wird durch diepersonelle Ausdünnung mancher Redaktion erschwert. Damitwird erheblich schwieriger, was Professor Dr. Klaus Meier,Journalistik-Professor an der Katholischen UniversitätEichstätt, »die Kernaufgabe des Journalismus« nennt,nämlich »Transparenz in die öffentliche Gesellschaft zu

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bringen«.[145]

In den vergangenen anderthalb Jahrzehnten hat sichhierzulande zudem ein neuer Berufsstand ausgebreitet, derin einer Grauzone aus Public Relations und Lobbyismusunterwegs ist. Kaum ein Konzern, kaum eineInteressengruppe, kaum ein Top-Manager, der sich nichtseine Public-Affairs-Berater engagiert hat, die für ihn undseine Anliegen gut Wetter machen sollen. Burson-Marstellerist eine dieser größeren Agenturen, andere heißenBrunswick, Communications & Network Consulting (CNC),WMP Eurocom, Hering Schuppener oder Ketchum Pleon. Esgibt aber auch Einmannagenturen mit überschaubaremArbeitsstab wie den früheren Volkswagen-Vorstand KlausKocks.

Nicht selten arbeiten in solchen Agenturen ehemaligeJournalisten oder haben dort sogar das Sagen, die natürlichgenau wissen, wie ihre früheren Berufskollegen arbeiten unddamit auch die Ansatzpunkte für ihre Art von Lobbyismuskennen. Ihre Vorgehensweisen sind vielfältig. Sie wissen, wieund wo exklusive Nachrichten am besten lanciert werden,um ihre volle Wirkung zu entfalten. Sie sitzen anSchnittstellen und entscheiden mit, welcher ihrerAuftraggeber mit welchem Medium spricht, wann er das tutund worüber. Sie kanalisieren Medienanfragen, was aus derSicht ihrer Auftraggeber sinnvoll ist. Sie sind, man muss esehrlicherweise sagen, wichtige Gesprächspartner fürJournalisten geworden, weil sie als Mittler zwischen ihnenund den Objekten journalistischer Arbeit stehen.

Einer, der dieses Geschäft von allen Seiten kennt, istMichael Inacker. Der hochgewachsene, freundlicheBrillenträger ist ein Grenzgänger. Jahrelang arbeitete er als

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Journalist, unter anderem für Die Welt, die FrankfurterAllgemeine Sonntagszeitung, die Wirtschaftswoche und dasHandelsblatt. Zwischendurch bekleidete er immer wiederPositionen in der Wirtschaft, etwa als Chef desPlanungsstabes des damaligen Vorstandschefs JürgenSchrempp und später »Außenminister« des Konzerns sowieals oberster Kommunikator des Handelsriesen Metro AG.Inzwischen ist Inacker Vorstandschef bei der WMP EurocomAG, die nach eigenem Bekunden »umfassende mediale undpolitische Kommunikationsberatung im vollen Spektrum allerMedien und gegenüber politischen Entscheidungsträgernund gesellschaftlichen Interessengruppen« anbietet.[146] DasUnternehmen betreibe aber »keinen Lobbyismus«, sagtInacker. »Wir sind für unsere Kunden – darunterMittelständler ohne eigene Präsenz in Berlin – lediglich dieTüröffner, indem wir ihnen mit Hilfe unseres breitenNetzwerkes die nötigen Kontakte vermitteln und ihnenhelfen, ihre Themen zu platzieren.« Warum es das überhauptbraucht? »Zwischen Politik und Wirtschaft gibt es eine großeSprachdissonanz, weil das Verständnis für die jeweils andereSeite fehlt«, sagt Inacker. Es ist eine Grauzone. VieleLobbyisten sind Kommunikatoren – und umgekehrt. DasGeschäft der Kommunikatoren speziell für große, wichtigeund einflussreiche Unternehmen, Institutionen undOrganisationen hat sich in den vergangenen Jahrengewandelt. Es erschöpft sich nicht mehr darin,Pressekonferenzen zu organisieren, Redetexte,Presseinformationen oder den ein oder anderen Artikel fürGeschäftsberichte, Firmen- oder Kundenmagazine zuschreiben. Auch ist es längst nicht mehr damit getan,Journalisten die Sichtweisen und Themen der eigenenKundschaft nahezubringen. Die Arbeit geht längst weit

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darüber hinaus. Das Zauberwort lautet: Spin-Doctoring.

Der im angelsächsischen Sprachgebrauch vor allem inZusammenhang mit Politikberatung schon seit den 70erJahren gebräuchliche Begriff umfasst dieÖffentlichkeitsarbeit und Pressearbeit als Teil einer großangelegten Image- und Themenkampagne, die bestimmte,von ihren Initiatoren beabsichtigte Sichtweisen befördert.Auf den spin kommt es an, »den richtigen Dreh« also. Es wirdgedreht und gebogen, bis die Botschaft stimmt,schlimmstenfalls bis die Tatsachen verdreht sind. Alles zuGunsten und im Sinne des Auftraggebers. Mehr noch: »PRbeschränkt sich also nicht mehr nur auf das spinning und aufdas spoonfeeding – so nennen die Amerikaner das Abfütternder Medien mit Informationen.

PR beobachtet, begleitet und kontrolliert den Journalismusauch auf mehr oder minder subtile Weise«, sagte derBerliner Politikwissenschaftler Professor Stefan Ruß-Mohlbereits im Jahr 2000 auf einer Tagung des DeutschenJournalistenverbandes.[147] Er warnte damals schon: »DerAufrüstung im PR-Sektor steht keine gleichwertigeAusweitung journalistischer Recherchekapazität gegenüber.Die aufs eigentliche Nachrichtengeschäft spezialisiertenMedienbetriebe können mit dem Investment in PR nichtmithalten. Selbst solche Häuser tun sich dabei schwer, dieWert auf die journalistische Qualität ihrer Produkte legenund ihre Zeitungen und Rundfunkstationen nicht einfach alsGoldesel betrachten, die nur für die Anteilseigner Gewinnabwerfen sollen.« Diese Erkenntnisse sind mehr alsanderthalb Jahrzehnte alt. Seither hat die Dynamik aufdiesem Gebiet enorm zugenommen. Allein deshalb schon,weil es inzwischen unzählige Medienkanäle gibt. Der Herbst

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2015 lieferte ein Paradebeispiel dafür, wie Lobbyismus überMedien in die Gesellschaft hinein funktioniert.

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Bündnispartner

Deutschland, im Oktober 2015. Hunderttausende Menschenfliehen aus Syrien, Afghanistan und anderen Ländern vorBürgerkrieg, Hunger, politischer Verfolgung undPerspektivlosigkeit nach Deutschland. Sehr viele Menschenhierzulande reagieren unerwartet hilfsbereit; sie bringenNahrung, Kleidung und andere Hilfsgüter etwa an denMünchner Hauptbahnhof, wo zeitweise täglich TausendeFlüchtlinge ankommen. Die Behörden in den Städten undKommunen plagt derweil das Problem: Wohin mit denMenschen? Und überhaupt: Was muss getan werden, damites genügend Wohnraum gibt? Da passt die Mitteilunghaargenau, die das Pestel-Institut mit Sitz in Hannover am15. Oktober verschickt.

Deutschland benötige bis zum Jahr 2020 jährlich 400000Wohnungen, von denen jeweils mindestens 80000preisgebundene Sozialwohnungen sein müssten, habe dasInstitut in einer, wie es heißt, »Studie« herausgefunden.Grund für den enormen Bedarf seien vor allem die vielenFlüchtlinge, die ins Land kämen. Hinzu kämenHunderttausende Arbeitsmigranten aus EU-Ländern, dieebenfalls Wohnraum bräuchten. Der Autor der Studie, derInstituts-Vorstand und Diplom-Ökonom Matthias Günther,erklärt, er gehe von künftig einer Million Zuwanderern proJahr aus. Auftraggeber der Studie, so schreibt es etwa dieOnline-Ausgabe der Zeit noch am selben Tag, sei ein»Bündnis Sozialer Wohnungsbau«.

Allein der Name klingt uneigennützig und positiv, so, wie

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auch das Pestel-Institut seriös daherkommt. Gegründetwurde es 1975 als »Institut für angewandte Systemforschungund Prognose« von Professor Eduard Pestel und anderenWissenschaftlern. Pestel (1914–1988) war Professor fürMechanik an der Universität Hannover und Mitbegründerdes Club of Rome, einem international anerkanntenZusammenschluss von Wissenschaftlern aus gut 30 Ländern,die sich für nachhaltiges Wirtschaften und den Schutz vonUmwelt und Natur einsetzen. Pestel schrieb zu LebzeitenBücher, etwa über die Grenzen des Wachstums, und von1977 bis 1981 war er niedersächsischer Kultusminister. Einehonorige Persönlichkeit also.

Das nach ihm benannte Institut mit Sitz in Hannover lebtbis heute vom Ruf des Gründers. In den Medien scheint manselten die Arbeit zu hinterfragen. Am 15. und 16. Oktober2015 jedenfalls landete die Botschaft von den fehlendenWohnungen in Hunderten deutschen Zeitungen, Online-Portalen, Rundfunk- und Fernsehsendern. Die riesigeMedienresonanz wurde nicht nur dadurch ausgelöst, dassgerade das Flüchtlingsthema samt allen damit verbundenenFragen Hochkonjunktur hatte. Die Öffentlichkeitsarbeiter desPestel-Instituts trugen auch mit einem geschickten Handgriffzum medialen Erfolg bei.

Sie brachen die Zahlen regional herunter und rechnetengezielt den jeweiligen Wohnungsbedarf auf Städte undLandkreise hoch. So, dass etwa Medien in Tübingen, Rostock,der fränkischen oder der ostfriesischen Provinz scheinbarpräzise Bedarfszahlen für ihre jeweilige Stadt oder Regiongenannt bekamen. Die Lokalzeitungen, Internetportale,Radio- und Fernsehstationen nahmen sie dankbar an undveröffentlichten sie bereitwillig.

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Was dabei oft verschwiegen oder schlichtweg nichthinterfragt wurde: Hinter dem Auftraggeber der Studie,besagtem »Bündnis Sozialer Wohnungsbau«, stehenLobbyorganisationen, die allesamt ein wirtschaftlichesEigeninteresse daran haben, dass so viele Wohnungen wiemöglich gebaut werden: der Berufsverband des DeutschenBaustoff-Fachhandels, der Bund Deutscher Baumeister,Architekten und Ingenieure, die Deutsche Gesellschaft fürMauerwerks- und Wohnungsbau, sowie dieIndustriegewerkschaft Bauen, Agrar, Umwelt. IhrenInteressen diente die Mitteilung.

Zur Ehrenrettung des Pestel-Instituts muss erwähntwerden, dass es in seinen Mitteilungen an die Medien dieAuftraggeber keineswegs verschwieg. Stutzig oder garskeptisch machte dies kaum eine Redaktion; bestenfallswurden die Auftraggeber der Studie erwähnt, ihre Motiveaber wurden nicht weiter thematisiert oder kritischhinterfragt. Niemandem fiel auch auf, dass InstitutsleiterGünther noch wenige Wochen zuvor in einem Interviewkeineswegs fehlende Wohnungen beklagt hatte, imGegenteil: »Wohnraumreserven und Leerstände gibt eseigentlich auch reichlich, man müsste sie nur besser nutzen.Zum Beispiel die vielen großen Wohnungen, in denen alteMenschen alleine leben«, zitierte ihn die Zeit auf ihremOnline-Portal.[148] Ein klarer Widerspruch zu dem, wasGünther namens des Pestel-Instituts wenige Wochen späterbehaupten sollte.

Anfrage unsererseits beim Pestel-Institut. Wir wollen unteranderem wissen: Wie viel haben die Auftraggeber aus derBauwirtschaft bezahlt? Wodurch finanziert sich das Institutund wie unabhängig ist es?

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Institutsleiter Matthias Günther antwortet mitentwaffnender Ehrlichkeit. Das Pestel-Institut finanziere sichausschließlich durch solche Auftragsstudien, gibt erunumwunden zu. Wäre bei der Untersuchung etwas anderesherausgekommen, als das von den Bau-Lobbyistengewünschte Ergebnis, »dann wäre die Studie in derSchublade verschwunden und nicht veröffentlicht worden«,sagt Günther. So etwas komme zwar sehr selten vor, sagt derÖkonom, »aber ich habe keinen Grund zu lügen: Ja, wir sindnatürlich von unseren Auftraggebern abhängig.« Was abernicht bedeute, dass man sich kaufen lasse und etwaErgebnisse eigener Untersuchungen fälsche und dannveröffentliche.

Entweder also das Ergebnis passt den Auftraggebern –oder aber es wird nicht veröffentlicht.

Wie viel die Baulobbyisten für die Wohnungsstudie zahlenmussten, sagt Günther nicht – Betriebsgeheimnis. Es warnicht die erste Studie, die das Institut für Lobbyisten derBaubranche veröffentlichte und bei der exakt das rauskam,was die Auftraggeber in die Medien lancieren wollten. Genaudasselbe Muster wendete das Pestel-Institut auch 2012 an,als es für eine »Wohnungsbau Initiative« »herausfand«, dassman schleunigst vier Millionen Sozialwohnungen inDeutschland bauen sollte.

Genau so funktioniert Lobbyismus über die Medien. Erfolgt dem, was im Branchenjargon »Agenda-Setting« heißt:PR-Lobbyisten schwingen sich auf ein Thema auf, das geradedie Menschen besonders bewegt. Das erhöht dieWahrscheinlichkeit, dass der eigene Beitrag zum Themaauch tatsächlich gedruckt oder gesendet wird und diegewünschte Wirkung entfaltet. »Lobbyisten wissen natürlich,

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dass sie ihre Themen leichter unterbringen, wenn sie aufeiner Welle mitreiten, und sie nutzen das natürlich aus«, sagtder Eichstätter Journalistik-Professor Klaus Meier.

Aus Agenda-Setting wird nicht selten schnellKampagnenjournalismus, wie der LeipzigerMedienwissenschaftler Professor Dr. Michael Haller beklagt.Besonders verbreitet sei dieser im Wirtschafts- undGesundheitsteil von Zeitungen und Zeitschriften. »Zuerstwird über ein großes Krisenthema berichtet undAlarmstimmung erzeugt, die ihrerseits Nachfragestimuliert«, schilderte Haller der Berliner Zeitung. »Aufdiesen Nährboden setzt dann die klassische PR auf.« Zumersten Mal habe dies in den 80er Jahren beim ThemaWaldsterben und dem Katalysator in Fahrzeugen als»Lösung« funktioniert. »Das war eine exzellent gemachteKampagne, die auch politisch gut funktioniert hat«, sagtHaller.[149]

Dabei gelingt es Lobbyorganisationen nicht selten auf eineebenso raffinierte wie versteckte Art und Weise, sich alsscheinbar kompetente Experten zu positionieren, die etwasfür das Allgemeinwohl Wichtiges herausgefunden haben. Dasalles natürlich gut getarnt. Hätte allein die Baugewerkschaftoder der Ingenieursverband den Bau von mehr Wohnungenverlangt, wäre die Meldung vermutlich untergegangen. Zudurchsichtig wären die Motive gewesen. Dadurch allerdings,dass das Pestel-Institut als vermeintlich unparteiliche undnoch dazu wissenschaftlich angehauchte Quelledazwischengeschaltet wurde, erhielt die Information denTouch wissenschaftlich unfehlbarer und neutraler Wahrheit.So funktioniert gut getarnter Lobbyismus über die Mediendirekt in die Gesellschaft hinein.

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Das Pestel-Institut veröffentlicht seine Auftrags-Erkenntnisse zum Thema Wohnungsbau seit Jahren. Ergowird es von vielen Journalisten auch zwischendurch gernekontaktiert, wenn diese für ihre Berichterstattung auf derSuche nach Experten auf diesem Gebiet sind. Häufig nichtwissend, dass hinter dem Pestel-Institut bei allem gutenWillen handfeste wirtschaftliche Interessen der Baulobbystehen.

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Weniger Geld, weniger Leute

Lobbying, sagt Journalistik-Professor Meier, begreife diegezielte Instrumentalisierung von Journalisten natürlich alsein wichtiges Instrument. Der Journalistik-Professor glaubtjedoch nicht, dass die Einfallstore für Lobbyisten größergeworden seien. »Etwas anderes hat sich stark verändert:Die Lobbyisten sind professioneller geworden, ihr Spektrumist breiter und sie wissen genau, was sie tun müssen, um ihreInhalte zu platzieren.«

Das wiederum ist in den vergangenen Jahren weitauseinfacher geworden. Zum einen durch die Möglichkeiten, diedas Internet bietet, worauf wir später noch kommen. Aberauch durch die Entwicklung in vielen Redaktionen.

Die Rahmenbedingungen für journalistische Arbeit habensich in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten komplettverändert. Bis zum Beginn dieses Jahrtausends etwa warZeitungmachen ein riesiges und auch nahezu risikolosesGeschäft. Die Regionalzeitungen taten sich geografisch in derRegel untereinander nicht weh und machten sich kaumKonkurrenz. In den Großstädten war genug Platz fürmehrere Titel. Auch die überregionalen Blätter hatten ihreClaims. So bediente die Frankfurter Allgemeine Zeitung vonjeher eine eher konservative Leserschaft, während daslinksliberale Spektrum eher der Süddeutschen Zeitungzugeneigt war. Der Spiegel hatte jahrzehntelang nahezu einMonopol auf investigative Enthüllungen, der Stern gab dieWundertüte, Die Zeit war das Medium für die liberalenIntellektuellen. Und die öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und

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Fernsehanstalten hatten ohnehin ein gebührenfinanziertesMonopol.

Ums Geschäft mussten sich die wenigsten Sorgen machen.Nicht die Verleger, deren Gewinne sprudelten, und erstrecht nicht die Funktionäre in den Sendern. Verkaufs- undAnzeigenerlöse sprudelten wie scheinbar von selbst, undRundfunkgebühren muss ohnehin jeder bezahlen. DieseSituation war komfortabel für die stets gut verdienendenVerleger, aber auch für Journalisten, die den Leserinnen undLesern vorsetzen konnten, was sie allein für richtig hielten.In ihrer Streuung und Wirkung vergleichbare Alternativen,auch für die werbetreibende Wirtschaft, gab es früher ja sogut wie keine. Das hat eine Branche träge gemacht, die sichlange nicht, wie alle anderen Wirtschaftszweige, immerwieder neu ändern, den Kundenwünschen stellen oder mitgroßen Auf und Abs im Geschäft herumschlagen musste.Denn die Verkäufe, das Anzeigenaufkommen und damit dieUmsätze und auch die Gewinne waren langfristig konstant.All das änderte sich mit der ersten Zeitungskrise 2002radikal.

Denn das Internet war aufgekommen, und seither ist derMarkt in Wallung geraten. Im Internet ist eine komplett neueNachrichtenwelt entstanden, und sie funktioniert völliganders, als man dies bis dahin kannte. Jeder kann allespublizieren. Dadurch verschwimmen die Grenzen zwischenwirklich relevanten, zutreffenden, harten Nachrichten undder Verbreitung von blankem Unsinn und Propaganda. DerNutzer kann wertvolle Informationen und beweiskräftigesMaterial ins Netz stellen, aber auch unbewieseneBehauptungen als Tatsachen verbreiten, Gerüchte lancieren,falsche Fährten legen, eine eigene Wahrheit schaffen, die mit

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der Wirklichkeit nicht mehr viel zu tun haben muss. Das giltvor allem für soziale Netzwerke wie Facebook. Ein paarwenige, lässig dahingeworfene Zeilen, können reichen, umeine Lawine auszulösen. Um Anteilnahme zu schaffen oderum Menschen zu manipulieren. Abgesehen von denInternetseiten, die von seriösen Medienhäusern oderBloggern mit entsprechender Sorgfalt und Kompetenzbetrieben werden, gibt es in der Regel keineNachrichtenredaktion, die überprüft, auswählt und ausfiltert,was falsch, Hetze oder Propaganda ist. Die Freiheit desInternets ist das eine. Die Möglichkeit, dort Menschen zumanipulieren, Verschwörungstheorien auf die Reise zuschicken, das andere.

Es wird für Medien immer wichtiger, die relevantenInformationen aus dem Netz zu filtern, gegenzuchecken undzu überprüfen, was davon tatsächlich stimmt und was nicht,und ob die jeweilige Quelle seriös ist oder nicht. Sorgfalt denVorzug vor Schnelligkeit zu geben, auch wenn dies bisweilenschwerfällt. Das bedeutet wiederum einen erhöhten Aufwandfür Recherche. Recherche kostet Zeit – und Geld.

Andererseits: Bei Zeitungen und Zeitschriften bröckelnseit dem Aufkommen des Internets Anzeigenerlöse undAuflagenzahlen. Firmen suchen ihr Heil in anderenWerbeformen und im Internet. Viele Leser sehen nicht mehrein, für ein journalistisches Produkt zu bezahlen, wo es dochim Internet kostenlose News-Portale gibt, häufig sogar vonden bekannten Medienhäusern. Warum also zahlen, was esvermeintlich auch gratis gibt?

Das strahlt natürlich auf die Geschäfte aus. Wo vorherJahrzehnte lang mehr oder weniger generöse Verleger mitmehr oder weniger großem, publizistischem Anspruch vor

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allem damit beschäftigt waren, sich über die Verwendungihrer Gewinne Gedanken zu machen, regieren heute in vielenVerlagshäusern die Controller. Selbst diegebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Medien sind imVergleich zu den Jahrzehnten, in denen sie bei Ausgaben ausdem Vollen schöpfen konnten, unter Kostendruck geraten.Letzteres ist nicht zuletzt auch dem Aufkommen derkonkurrierenden Privatsender geschuldet, weshalbinsgesamt der Einschaltquote eine höhere Bedeutungzugemessen wird als früher.

All dies hat gewaltige Auswirkungen auf die Arbeit vonJournalisten. Viele Verlagshäuser haben ihre Redaktionenpersonell ausgedünnt. Stellen wurden und werdengestrichen. Wer seinen Job behalten hat, sieht sich in vielenRedaktionen größerem Zeitdruck ausgesetzt und mussobendrein meistens mehrere Absatzkanäle bespielen. Wofrüher über ein Ereignis ein Artikel für die Ausgabe desnächsten Tages geschrieben wurde, werden heute mehrereAbspielplätze versorgt: Liveticker, Internet-Portal, sozialeNetzwerke, dann am Schluss der Verwertungskette noch einmöglichst guter, über die aktuell im Netz verbreitetenVersionen hinaus mit Mehrwert bestückter Artikel für diePrint-Ausgabe am nächsten Tag.

LobbyControl warnt bereits seit Längerem: »Die Medienkönnen ihrer kritisch-informierenden Rolle immer wenigergerecht werden.« Schuld daran seien zunehmenderQuotendruck und Einsparungen. Der Einfluss derAnzeigeninserenten wachse. Immer häufiger kommt es vor,dass redaktionelle Beiträge als Koppelgeschäfte zu Anzeigenplatziert werden. Immer öfter landen in vielen (wenn auchlängst nicht allen) Zeitungen und Zeitschriften PR- oder

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interessengetriebene Artikel aus fremden Quellenweitgehend ungeprüft und ungefiltert im Blatt. Während diePR-Stäbe und die Zahl der Kommunikatoren in Unternehmenund Verbänden wachsen und wachsen, sinkt in den meistenRedaktionen die Zahl der Planstellen. Verlage sourcenjournalistische Arbeit auf freiberufliche Kollegen aus, vondenen manche auch als PR-Schreiber unterwegs sind, ganzeinfach, weil ihr Einkommen sonst nicht reicht.Interessenkonflikte sind da allerdings vorprogrammiert.

Der Journalist und Recherchetrainer Albrecht Udeformulierte es so: »Die fortschreitende Auszehrung derMedien (auch der öffentlich-rechtlichen) und derwirtschaftliche Druck gerade auf freie Journalisten steigenweiter an. Private Medien werden zunehmend unterRenditegesichtspunkten geführt.« Während andererseitsUnternehmen ihr Image mit Hilfe von professionellemGreenwashing als besonders umweltfreundlich oderverantwortungsbewusst pflegen und gezielt einMeinungsklima in ihrem Sinne bereiten. Udes Fazit: Alleinschon als Gegengewicht zum Greenwashing brauche esdringend »einen kompetenten, funktionierendenJournalismus, der in der Lage ist, Informationen zubeschaffen und zu gewichten. Es braucht Redakteure, dienicht nur über ein einzelnes Ereignis anlassbezogenberichten, sondern Hintergründe recherchieren und bereitsvorhandene Recherche-Ergebnisse nutzen. Daran mangelt esmehr denn je.«[150]

Den PR-Leuten und Lobbyisten eröffnet diese MisereZugänge. Immer mehr fertig vorproduzierteRundfunkbeiträge, professionell gestaltete »Sonderseiten«und »Sonderbeilagen« mit kaum verhohlener Werbung und

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unterschwelliger Ausrichtung im Sinne der Auftraggeberfinden ungefiltert mediale Verbreitung. Ohne dass einjournalistisches Korrektiv geprüft und bei Bedarfeingegriffen hat.

Viele Journalisten und ihre Berufsverbände führendarüber Klage; Fachforen und -konferenzen noch und nöcherbeschäftigen sich mit dem Ist-Zustand und damit, wie erverbessert werden könnte.

Einer, der gekonnt im Grenzbereich aus klassischer PR-Arbeit, Spin-Doctoring und Lobbyismus balanciert, riet denJournalisten schon vor Jahren ziemlich drastisch, sie solltenden jammernden Unterton bei all diesen Debatten endlicheinstellen. Die Rede ist vom Kommunikationswissenschaftler,ehemaligen Volkswagen-Vorstand und heutigen PR-BeraterKlaus Kocks. Sein vielsagendes Bekenntnis in eigener Sache:»Natürlich mache ich Lobbying, aber ich würde es niezugeben.«

Auf einer Tagung der Journalistenvereinigung NetzwerkRecherche in Hamburg, formulierte er es drastisch: »DerSkandal ist nicht Lobbying (denn dies ist ein freies Land, indem jeder sein Ding vertreten kann), sondern dieBequemlichkeit, mit der einige nachbeten, was anderevorsetzen«, hielt er den Journalisten entgegen: »Das Problemseid Ihr.« Journalisten sollten aufhören, sich »in der Rolle derverfolgten Unschuld« zu gefallen. Niemand hindere sienämlich daran, Dingen auf den Grund zu gehen und kritischzu hinterfragen und zu überprüfen, was ihnen PR-Berater,Spin-Doctors und Lobbyisten auf den Tisch legen oderzuflüstern. Da hat Klaus Kocks prinzipiell recht. Und doch istdie Sache etwas komplizierter.

Der Eichstätter Journalistik-Professor Klaus Meier etwa rät

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zu differenzierter Betrachtung. Es sei keineswegs so, dassder seriöse und kompetente Journalismus aussterbe undLobbyisten langsam, aber sicher die Inhalte der Medienbestimmten. Denn genau so, wie in immer mehr Zeitungender Sparzwang um sich greife und eigenständige (und immerzeitaufwendige) Recherche erschwere oder verhindere, gebees auch eine Gegenbewegung. »Früher war investigativeRecherche die Sache einiger Einzelkämpfer und desSpiegel«, sagt Meier. Heute gebe es nicht nur in zahlreichenMedien eigene Investigativ-Ressorts mit dem explizitenAuftrag der gründlichen Recherche und der Suche nachexklusiven Geschichten, etwa bei der Süddeutschen Zeitungund dem Handelsblatt. Sondern auch neue redaktionelleOrganisationsformen, die genau das ermöglichen sollen:mehr und bessere eigene Recherche, wenigerTerminjournalismus, weniger von außen platzierte Inhalte.Denn all dies böte am besten Gewähr dafür, derBeeinflussung und schlimmstenfalls Manipulation von Medienund damit der breiten Öffentlichkeit entgegenzuwirken.

Der Anspruch in vielen Zeitungen, wirtschaftlichen oderpolitischen Interessengruppen und ihren Lobbyisten nichtauf den Leim zu gehen, sondern distanziert und eigenständigzu arbeiten, ist nach Meiers Wahrnehmung keineswegsgeringer geworden oder in Zeiten der Sparzwänge garuntergegangen. So investiert auch die Süddeutsche Zeitungmassiv in Inhalt, Qualität und Recherche. Und was großeHoffnung macht: Auf Fachtagungen etwa des NetzwerksRecherche tummeln sich viele junge, angehende Journalistenmit hohen Ansprüchen. Sie sind nicht selten ausgezeichnetgeschult und vorbereitet auf die veränderte Medienwelt. Siescheinen motiviert, sensibel genug, entschlossen und vonihrem Know-how her bestens in der Lage, sich auf die

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veränderten Rahmenbedingungen einzustellen undkeineswegs vor Lobbyisten und anderen Einflüssen vonaußen zu kapitulieren.

Was alles nichts daran ändert, dass das Internet dieNachrichtenwelt gewaltig verändert hat. DieUmschlaggeschwindigkeit für Nachrichten hat enormzugenommen und damit auch das Tempo, mit demGeschichten auf den einschlägigen Internetportalenverbreitet werden. Die Zeit, sie zu überprüfen, fehlt vor allemdort, wo Schnelligkeit das Maß aller Dinge ist. Lobbyistenhaben sich darauf längst eingestellt. Sie bieten fachlicheExpertise und Kontakte. Und wenn dann die Zeit fehlt, diesezu hinterfragen, dann werden Medien ihrer Kontrollfunktionberaubt.

Dieser Zustand fördert neue, nicht unproblematischeGeschäftsmodelle, die im Internet Raum greifen: SpeziellePortale, bei denen sich Journalisten in der AlltagshektikUnterstützung suchen. Eines davon heißt Recherchescout.de.

Es funktioniert so: Ein Journalist sucht nach Experten fürein bestimmtes Thema, über das er berichten will. Erformuliert seine Anfrage auf dem Recherchescout-Portal.Dieses leitet es an Unternehmen weiter, die für Antworten inFrage kommen und entsprechende Gesprächspartneranbieten. Binnen zwei Jahren nach Gründung des Portals2013 nutzen es mehr als 1800 dort registrierte Journalistenmal mehr, mal weniger, darunter viele aus angesehenenMedien wie der Deutschen Presseagentur, von öffentlich-rechtlichen Sendern bis hin zu Arte oder Der Zeit.

Firmen, die sich daran beteiligen, zahlen (Stand November2015) bis zu 290 Euro monatlich an Recherchescout. DieMacher des Portals sind zwei ehemalige

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Wirtschaftsjournalisten: Kai Oppel und Martin Fiedler. Siemachen sich mit ihrem Geschäftsmodell den beschriebenenUmstand zunutze, dass Journalisten in vielen Medien immerweniger Zeit für eigene Recherchen haben. Ihnen, soargumentieren Oppel und Fiedler, erspare Recherchescoutdie zeitraubende Suche nach Experten. Den Unternehmenwiederum versprechen sie »Effizienz und Zielgenauigkeit«.Dank Recherchescout würden sie nämlich erfahren, »wannJournalisten Informationen zu ihren Themen benötigen, undkönnen sie gerne dann übermitteln, wenn sie gebrauchtwerden«.

Alles nur Service?

Ja, sagen die Macher von Recherchescout. »Wir stellenVerknüpfungen her, die sonst fehlen.« Kritische Journalistensehen das allerdings anders. Sie sehen Portale wieRecherchescout als Einfallstore für Lobbyisten. Schließlichsei es die ureigenste Aufgabe von Journalisten, sich bei ihrenRecherchen Quellen und damit auch Experten selbst zusuchen. »Das dürfen wir uns nicht nehmen lassen«, sagtGünter Bartsch, Geschäftsführer des NetzwerksRecherche.[151] Recherchescout.de schränke aber genau diesein – und manche Journalisten sind auch noch dankbar dafür.Denn nur wer die erwähnte Gebühr bezahlt, kommt in denExpertenpool. Wer nicht zahlen kann oder will, bleibtdraußen. »Wer zahlt, erkauft sich Einfluss auf dieBerichterstattung«, kritisiert Bartsch.

In der Tat trifft Recherchescout ungewollt eineVorauswahl, die aber nicht am Kriterium der Kompetenzeines »Experten« ausgelegt ist, sondern daran, ob dessenUnternehmen regelmäßig bezahlt oder nicht.Medienwissenschaftler wie der Eichstätter Journalistik-

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Professor Meier sehen das etwas entspannter. Viele Firmenkönnen sich keine PR-Abteilung leisten, ein Recherchescout-Abo aber schon. Wichtig sei, dass die Unternehmentransparent und offen genannt werden. Auch der Journalist,das Fachmagazin des Deutschen Journalistenverbands, findetan Recherchescout nichts auszusetzen und lobte den»Recherche-Dienstleister« kräftig in seiner Online-Ausgabe.[152] Dabei sind Verquickungen auch in andererHinsicht nicht auszuschließen. Die Recherchescout-BetreiberKai Oppel und Martin Fiedler betreiben jeder für sich auchnoch PR- und Kommunikationsagenturen: Der eine hat seine»Fiedler PR« 2014 in »Munich Communication Lab«umbenannt. Oppels PR-Firma heißt »Scrivo Public Relations«.Beide betreuen Kunden aus verschiedenen Branchen derWirtschaft.

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Zauberwort Content

Immer häufiger jedoch wählen Unternehmen undfinanzstarke Organisationen keine Umwege mehr wieRecherchescout, um mit Hilfe des Internets ihre Interessenzu vertreten. Sie tun vielmehr so, als wären sie selbst einMedium und ihre Mitarbeiter und PR-Leute richtigeJournalisten. Große Konzerne wie Siemens oder derSportartikelhersteller Adidas betreiben längst eigeneNewsrooms, von denen aus sie ihren Geschäften und ihremImage dienliche Informationen weltweit auf die Menschenniederprasseln lassen, vor allem über die sozialenNetzwerke. Ein ebenso banales wie perfektes Beispiel fürsolches Content-Marketing ist das Internetportal Curved.de.

Auf den ersten Blick sieht es aus wie ein digitalesFachmagazin über Smartphones und Tablets, Gadgets undApps, wie auch einige der auf der Internetseite angebotenenThemengruppen heißen. »Tests« werden veröffentlicht und»Toplisten« etwa über »die besten Smartphone-Kameras«,»die besten Android-Smartphones« oder jene Mobiltelefonemit der längsten Akku-Laufzeit. Curved.de erweckt denAnschein, es wäre ein unbestechliches Internet-Magazin, dasvor allem eine Absicht verfolgt: seinen Lesern diebestmöglichen Informationen und Tipps zu geben.

Es gibt tatsächlich einen Button »Redaktion« auf der Seite,und wer ihn anklickt, liest unter anderem Folgendes:»Curved ist das Techportal für das mobile Zeitalter … Wirwollen über die menschliche Seite der mobilen Revolutionberichten. Über das, was die Gadgets aus unserem Leben

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machen. Wie sie unseren Alltag erleichtern. Wie siezum Treiber des gesellschaftlichen Fortschritts werden …Wir schreiben und testen für die Generation Touch … Wirwollen Lust auf mobile Technologien machen und zeigen, wieIhr diese gewinnbringend in Eurem Alltag integrierenkönnt … Uns interessiert weniger, ob der A7 Chip im iPhone5s 31 Prozent schneller ist als der A6 Chip im iPhone 5. Unsinteressiert, ob das iPhone 5s oder das 5c Dein digitalesLeben besser macht, ob Du nicht mehr ohne Tablet lebenkannst und mit welchem Smartphone Du die besten Selfiesfür Instagram schießt. Mobile ist so viel mehr als nurTechnik. Mobile macht Spaß. Mobile ist unser Leben. Wirsind always on. Und finden das gut so. Willkommen zuCurved. Hier spricht die Generation Touch.«[153]

Wer nach so viel jugendlich angehauchtem Digital-Pathosdas Impressum anklickt, erfährt, wer tatsächlich hinterCurved steckt: »Eine Initiative der E-Plus-Gruppe« heißt esdort. Ein großer Mobilfunkanbieter also.

»Curved kommt journalistisch daher und man könntemeinen, man hat es mit einem journalistischen Projekt inSachen Ratgeber- und Lifestylejournalismus zu tun«, sagteJournalistik-Professor Klaus Meier. Tatsächlich sei diePlattform »ein Beispiel dafür, wie versteckt versucht wird,Bedarf nach bestimmten Produkten zu entwickeln, einenbestimmten Lifestyle zu propagieren und so im Idealfall eineWelle auszulösen, die einen besseren Markt für die Produktevon E-Plus bereitet.« Dass das Impressum einen Hinweis aufdiese Interessenlage bietet, lässt Meier so ohne weiteresnicht gelten. Wer, speziell unter jungen Leuten, klicke schonein Impressum an?

»Content-Marketing« heißt das Zauberwort. Konzerne und

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finanzstarke Interessengruppen schalten jedweden,womöglich kritischen oder zumindest distanziertenJournalismus aus und wenden sich selbst direkt an dasPublikum. Sie täuschen es, indem sie sich mit scheinbarjournalistischen Methoden in Szene setzen.

Auf diese Methode setzt bereits seit Längerem derösterreichische Limonadenkonzern Red Bull, und zwar sehrumfassend. Er finanziert nicht nur Extremsportler, einFormel-1-Team und Fußballmannschaften wie in Salzburg,New York oder Leipzig, die in WahrheitMarketingabteilungen für den gleichnamigen Energydrinksind und mit klassischen, von Mitgliedern bestimmtenVereinen überhaupt nichts mehr zu tun haben. DieBrausefirma aus Fuschl am See unweit von Salzburg gibtauch »The Red Bulletin« heraus, eine Lifestyle-Postille, derenInhalt ausschließlich vom Unternehmen und hauptsächlichmit dessen Testimonials und Aktivitäten bestückt wird.»Monat für Monat atemberaubende Stories aus der Welt vonRed Bull und ihren Playgrounds« verspricht die Werbung.Wenigstens ist der Urheber all dessen offen erkennbar.

Was solches »Content-Marketing« mit Lobbyismus zu tunhat? Die Grenzen sind fließend. Im Sommer 2015veröffentlicht die Botschaft der Vereinigten Staaten vonAmerika eine Ausschreibung. Das US-Generalkonsulatbrauche Unterstützung bei seiner Public-Relations-Arbeit,heißt es. Geplant sei die Vergabe für ein Jahr plus Option aufvier weitere Jahre der Zusammenarbeit. Wer dieentsprechenden Ausschreibungsunterlagen anfordert,bekommt 27 Seiten Unterlagen zurück, in denen dieamerikanischen Vertreter hierzulande detailliert auflisten,was der gesuchte PR-Partner leisten soll. Er soll in den

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sozialen Netzwerken Kampagnen starten und durchziehen,mit Themen, in denen die US-amerikanische Sicht propagiertwird. Dazu gehört Aufklärungsarbeit über denbevorstehenden Präsidentschaftswahlkampf in den USA unddie Arbeitsstruktur der Regierung in Washington ebenso wieUmwelt-, Handels- oder außenpolitische Themen. Aber auchder digitale Kampf gegen antiamerikanische Stimmung, dasdiesbezügliche Überwachen von Blogs und Plattformen inden sozialen Medien. Kurzum: Es geht darum, digitalenLobbyismus für die Vereinigten Staaten zu betreiben.

Das ist kein Einzelfall. Viele Länder beschäftigeninzwischen eigene Blogger und Experten, die keine andereAufgabe haben, als das Internet und speziell die sozialenNetzwerke zu überwachen und für die eigenen Positionen zuverwenden. Im Idealfall möglichst so, dass es nicht auffällt,wer da am Werk ist. Genauso verfahren längst auch großeMarkenunternehmen, die auf diese Weise negativeMeinungsäußerungen und Bewertungen über ihre Produktebekämpfen und/oder sie in den Himmel loben.

Am Ende stehen häufig Desinformation und Propaganda.Wahrheiten werden verfälscht, Unwahrheiten verbreitet,Legenden erfunden und Verschwörungstheorien entwickelt.Hauptsache, es dient der eigenen Sache. Politische Konfliktefinden so regelmäßig ihre digitale Begleitmusik. So tragendie israelische Regierung und die palästinensische Hamasihren Konflikt auch über den Kurznachrichtendienst Twitterund andere soziale Netzwerke aus, wo beide Seiten ihrHandeln rechtfertigen (und beschönigen).[154]

Dass autoritäre Systeme und Kriegsparteiengleichermaßen ihre Macht ganz wesentlich auch mit derKontrolle von Medien sichern wollen, ist nicht neu. Das gab

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es auch früher schon. Inzwischen aber tobt eine Propaganda-Schlacht mit Bildern, eine Art politischer Lobbyismus imInternet.

Beispiel ist ein Youtube-Video, das binnen weniger Monatemillionenfach geklickt wurde. Zu sehen ist ein vielleichtzehnjähriger Junge in einer offenbar vom Bürgerkriegzerschossenen und zerbombten Straße. Schüsse sind zuhören, scheinbar tobt ein Kampf. Der Bub wird von Kugelngetroffen, er bricht zusammen, kann sich mit scheinbarletzter Kraft aber aufbäumen und ein Mädchen retten,vielleicht seine Schwester. Es ist ein Dokument des Grauens.Wenn es denn stimmen würde.

Die BBC hat das Video akribisch überprüft. DieRedakteure haben recherchiert und können beweisen, dassdie ganze Szene gestellt war. Gedreht wurde sie in Malta, diegroßen und die kleinen Teilnehmer sind Schauspieler. DieSzene ist gefälscht. Genauso, wie der Videoclip gefälscht war,bei dem ein kleiner arabischer Junge als Kindersoldat zweirussische Gefangene mit Genickschüssen aus seiner Pistolehinrichtet. »IS-Kind (14) erschießt zwei russische Spione«,titelte die Münchner Abendzeitung. Tatsächlich ist auchdieses Youtube-Video ein Fake. Man sieht kein Blut, keineEinschusslöcher. Aber die Botschaft, die es vermitteln soll, istin der Welt.

Die britische BBC und der französische FernsehsenderFrance 24 unterhalten inzwischen eigene Rechercheteams,die nichts anderes machen, als solches Bildmaterial ausunklaren Quellen auf ihren Wahrheitsgehalt hin zuüberprüfen. Dazu gehörte auch das Foto, das angeblichbeweisen sollte, dass ehemalige US-Soldaten im Syrienkriegmitmischen. Doch das Tattoo, das der vermummte Kämpfer

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am Arm trägt, konnten die France-24-Experten einem ganzanderen Bild zuordnen. Das angebliche Beweisfoto warschlicht manipuliert.

Diese Beispiele zeigen, was Journalisten und Redaktionentun müssen, wollen sie nicht Kriegslobbyisten oder solchender Großkonzerne und Wirtschaftslobbyisten auf den Leimgehen: Sie müssen recherchieren, prüfen, kritisch sein. Undvor allem muss im Zweifel Gründlichkeit vor Schnelligkeitgehen.

Recherche, das kritische Überprüfen all dessen, was aufden Tisch flattert und verbreitet werden soll, wird umsowichtiger, je stärker das Internet die Nachrichtenweltbeschleunigt. Immer mehr Neuigkeiten strömen immerschneller auf uns ein. Wer nur unjournalistischenInternetportalen vom Schlage curved.de vertraut, läuftGefahr, in dieser Nachrichtenflut unterzugehen oder zumSpielball ökonomischer Interessen zu werden. Das Wichtigenicht mehr vom Unwichtigen unterscheiden zu können,sodass am Ende als Wahrheit nur noch wahrgenommen wird,was man sich selbst als Wahrheit so vorstellt. Die dafürnotwendige Filterfunktion haben in einem demokratischenGefüge Journalisten. Sie sind es, die Nachrichten prüfen,verbreiten, aber auch einordnen. Dafür allerdings brauchensie die entsprechenden Rahmenbedingungen, für die ihreVerlage und Sender sorgen müssen. Wenn sie dieRedaktionen immer stärker personell ausdünnen, wird es fürdie einzelnen Journalisten immer schwieriger, Nachrichtenauf ihren Wahrheitsgehalt hin zu verifizieren. Landenzunehmend Falschmeldungen im Netz, in der Zeitung, inFernsehen oder Rundfunk, fällt das auf den Ruf und letztlichauch auf die Akzeptanz und ökonomisch auf das

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entsprechende Medium zurück. Warum soll der Leserbeispielsweise für etwas bezahlen, das seinen Ansprüchennicht gerecht wird? Für Journalismus womöglich, dereigentlich gar keiner mehr ist?

»Ich glaube nicht, dass der Einfluss für Lobbyisten aufJournalismus größer geworden ist«, sagt der EichstätterJournalistik-Professor Klaus Meier. »Was sich aber starkverändert hat, ist die Professionalität dieser Leute. Sie wissengenau, was sie wollen und, vor allem, was sie tun müssen.Und dank des Internets mit seinen Möglichkeiten ist ihrSpektrum weitaus vielfältiger geworden.«

Das beste Mittel, um Lobbyeinfluss über Medien zuverhindern, ist es, wenn diese Medien ihren Job professionellmachen. Distanziert und nicht als Handlanger. Alles anderewäre fatal, warnte auch der US-Wissenschaftler Frank Sesnovon der George Washington University und wählt dafür einenplastischen Vergleich: »Die Leute werden herausfinden,welcher Laden ihnen gute Matratzen verkauft. Sie werdenauch herausfinden, wie sie an solide Informationen kommen.Irgendwann brauchen sie die.«[155]

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10 Große Haie

Wie die Finanzindustrie dieeuropäische Politik beeinflusst

Die Schlagkraft der Finanzindustrie in dereuropäischen Politik macht klar, welchen

Preis Gesellschaften für ausuferndenLobbyismus zahlen.

Die Steuer schien ein mächtiges Instrument. Und ihre Zeitschien gekommen. Nach jahrzehntelangem Ringen waren dieKritiker einer unregulierten Finanzbranche vor wenigenJahren schon so gut wie am Ziel. Viele Banken litten nochimmer unter der Finanzkrise, ganze Staaten taumelten, alssich Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichsdamaliger Präsident Nicolas Sarkozy – und damit die starkepolitische Achse Europas, Deutschland und Frankreich – inBerlin gemeinsam für die Einführung einer Börsensteueraussprachen.

»Die Lage, in der wir uns befinden, haben wir derskandalösen Deregulierung auf den Finanzmärkten zuverdanken«, wetterte Sarkozy im Januar 2012 imBundeskanzleramt vor laufenden Kameras. »Darum ist es nurnormal, dass diejenigen, die uns in diese Lage gebrachthaben, sich jetzt auch beteiligen.« Persönlich sei sie für dieTransaktionssteuer, erklärte auch Merkel. Es wäre gut, alleEU-Mitglieder davon zu überzeugen.

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Es war eine Sensation, die sich über Monate angebahnthatte und die vor allem in Ländern, in denen die ganz großenFinanzinstitute zu Hause sind, mit großem Argwohnbeobachtet wurde. Bereits im Oktober 2011 fiel demamerikanischen Geheimdienst ein brisantes TelefonatMerkels auf. Der Inhalt wurde übersetzt und in einem Memofestgehalten. Die Kanzlerin befand sich gerade in Vietnamund sprach mit einem Mitarbeiter.

Die NSA hörte mit. Es sei um die Euro-Rettung undGriechenland gegangen – und die Folgen, notieren NSA-Leute in einem Bericht. Merkel sei der Ansicht gewesen, dassetwas unternommen werden müsse, um eineFinanztransaktionssteuer zu verwirklichen. Dies imkommenden Jahr zu bewerkstelligen wäre in ihrerEinschätzung ein wichtiger Schritt, um die Erleichterungenfür Banken auszubalancieren, hieß es. Die Deutschenschienen es also wirklich ernst zu meinen. Denn im Gesprächverlautete weiter, dass nun auf die Regierungen der USA undGroßbritanniens Druck ausgeübt werden sollte, um dabei zuhelfen, eine solche Steuer einzuführen.

In rasantem Tempo hatte es damit eine Idee aus denUniversitäten und den Programmen vonNichtregierungsorganisationen in die Zentren der Machtgeschafft. In den 90er Jahren hatte zuerst die europäischeLinke das Konzept des amerikanischenWirtschaftswissenschaftlers James Tobin aufgegriffen. Derhatte die sogenannte Finanztransaktionssteuer bereits in den70er Jahren mit dem Ziel entwickelt, alle internationalenDevisengeschäfte mit einer geringen Steuer zu belegen.

Das Kalkül dahinter: Bei normalen Börsengeschäftenwürde sie kaum ins Gewicht fallen, wohl aber bei Zockereien.

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Erst recht im modernen Hochfrequenzhandel. Bei diesenproblematischen Zockereien erzielen Händler ihre Gewinneüber eine riesige Zahl von Transaktionen in sehr kurzer Zeit,die durch die Steuer unattraktiv würden.[156]

Globalisierungskritische Organisationen fingen sofortFeuer. Die Tobin-Steuer zählte Ende der 90er Jahre zu denGründungszielen des globalisierungskritischen NetzwerksAttac. Anfangs allerdings traf die Forderung auf wenigGegenliebe. Ex-Bundesfinanzminister Hans Eichel lehnte dieSteuer noch 2001 ab. Erst die Weltfinanzkrise 2008/09 ließden Wind drehen. Politiker sahen in vielen Hauptstädten mitihr plötzlich einen Weg, jene Finanzinstitute, die die Kriseausgelöst hatten, auch für die Krise zahlen zu lassen. 2013schaffte es die Finanztransaktionssteuer sogar in denKoalitionsvertrag von CDU und SPD. Die Einfuhrung einerFinanztransaktionssteuer auf europaischer Ebene starke dieBeteiligung des Finanzsektors an den Kosten der Krise undan den Zukunftsaufgaben von Wachstum und Beschaftigung,heißt es dort. Und: »Wir wollen eineFinanztransaktionssteuer mit breiter Bemessungsgrundlageund niedrigem Steuersatz zugig umsetzen.«[157] Derdeutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble war sozuversichtlich, dass er zwei Milliarden Euro an Einnahmenaus der Steuer auf Spekulationen in seinem Haushalteinplante. »Die Finanztransaktionssteuer ist einewunderbare Geschichte, und wir kämpfen sehr dafür«, sagteEichels Nachfolger.

Doch inzwischen ist von der Steuer in der Öffentlichkeitkeine Rede mehr. Zwar gilt das Wahlprogramm noch immer.Dennoch haben Spekulanten in Deutschland noch immerkeinen Cent an die Staatskasse überwiesen. Kaum jemand

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glaubt noch an eine wirksame wie flächendeckendeEinführung der Steuer. Finanzminister Schäuble rechnet inseinem Haushaltsplan längst wieder ohneTransaktionssteuer. Auch 2016, so seine jüngste Ansage,komme die spätestens für dieses Jahr geplante Steuer wohlnicht.

Verschieben, verhindern, vertrösten. Ökonomen wie derÖsterreicher Stephan Schulmeister wundern sich, warumder sonst beim Erheben von Steuern so kreative wieentschlussfreudige Staat bei dem Instrument, das dieMehrheit der Bürger befürwortet, so zögerlich ist.Untersuchungen hatten gezeigt, dass sich fast 60 Prozentder Deutschen für die Einführung der Börsensteueraussprachen. Schulmeister wollte genauer wissen, woran dieSteuer eigentlich bislang gescheitert ist. Der Forscher desÖsterreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (Wifo)zeichnete in einer Studie den Niedergang einer Idee nach.

Sein Ergebnis: Mit einer gezielten Kampagne habe dieFinanzlobby die Steuer torpediert. »Noch nie wurde soeindrucksvoll bewiesen, wie Demokratie in Zeiten derFinanzalchemie funktioniert«, glaubt Schulmeister. DasZurückweisen der Befürworter sei nicht mal eineÜberraschung gewesen. Dies reflektiere nur den starkgewachsenen Einfluss der Finanzriesen.

Offiziell hält die Politik zwar trotz aller Verzögerungen andem Ziel der Einführung fest. Auch die Bundesregierung.Praktisch aber ist das Projekt nur noch ein Torso. Denneigentlich müsste es weltweit nicht nur für möglichst vieleFinanzprodukte gelten, sondern auch in möglichst vielenLändern gleichzeitig eingeführt werden. Sonst wärenAusweichreaktionen zu anderen Handelsplätzen oder

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Wertpapieren vorprogrammiert. Doch genau dieses Zielrückte zuletzt in immer weitere Ferne. Zwar legte die EU-Kommission 2013 eine europäische Finanztransaktionssteuervor – die USA sind ohnehin seit jeher dagegen. Doch auch inEuropa begann ein Hauen und Stechen. Großbritannien undLuxemburg sorgten sich um die eigenen Finanzplätze.London klagte sogar gegen das Vorhaben. Und auch dieNiederländer sehen heimische Pensionsfonds gefährdet.

Nur noch elf der 28 Euro-Staaten unterstützen die Pläne:Belgien, Deutschland, Estland, Frankreich, Griechenland,Italien, Österreich, Portugal, Slowakei, Slowenien undSpanien. Italien und Frankreich haben die Steuer ingeringem Umfang sogar bereits eingeführt. Der RestEuropas will nicht mitmachen. Doch nicht nur räumlichschrumpfte das Vorhaben zusammen – auch inhaltlich. DieEU will zwar nach wie vor Aktien, Anleihen und Derivatebelasten – nicht jedoch alle Wertpapiergeschäfte gleichzeitigund von Anfang an. Selbst die Kommission glaubt nicht mehrdaran, dass eine umfassende Besteuerung des heutigenDerivatehandels gelingt. Länder wie Frankreich fürchten beieiner breiten Regulierung um ihre Finanzplätze. Paris würdeDerivate – von Aktien abgeleitete Finanzprodukte – gerneausnehmen. So könnte vorerst nur der Handel mit Aktienselbst besteuert werden. Auch Staatsanleihen blieben außenvor. Damit aber droht das ganze Projekt diskreditiert zuwerden. Denn besteuert würden dann vor allem dieGeschäfte, die am wenigsten destabilisierend auf dieFinanzmärkte wirken – gewöhnliche Aktienkäufe und -verkäufe und nicht jene komplizierten Wertpapiere, die dieFinanzwelt an den Abgrund gebracht hatten.

Kein Wunder also, dass Experten diese für die schlechteste

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aller Varianten halten. Schließlich, so das Argument, seien esja Derivate und nicht Aktien gewesen, die 2008 dieTurbulenzen auf dem US-Immobilienmarkt in eine globaleFinanzkrise verwandelt hätten. Eine, die der Welt schierunglaubliche Kosten aufbürdete. Der InternationaleWährungsfonds (IWF) ermittelte, dass in der Finanzkriseneun Staaten, darunter die USA und Deutschland, dieunvorstellbare Summe von 1,75 Billionen US-Dollar in ihreBanken gepumpt hätten. Eine Summe für die in Deutschland40 Millionen Menschen ein ganzes Jahr lang arbeitenmüssen.

Die Skepsis bei der Regulierung überrascht auch auseinem anderen Grund. Den Regierungen winken hoheEinnahmen: Bis zu 45 Milliarden Euro könnte allein dieBundesregierung jedes Jahr zusätzlich verbuchen, wenn siesich gemeinsam mit ihren Mitstreitern in Europa dazuentschlösse, eine umfassende Umsatzsteuer aufFinanzgeschäfte einzuführen. Zu diesem Ergebnis kamenGutachter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung(DIW) in Berlin in einer Studie, welche die SPD-Bundestagsfraktion in Auftrag gegeben hat. Auf die Summekommt man zumindest dann, wenn das ursprüngliche EU-Modell wirklich zum Zug käme. Es sieht vor, den Anbieterwie den Erwerber einer Aktie oder Anleihe mit einemSteuersatz von je 0,1 Prozent des Kaufpreises zu belegen.Bei Termin-, Tausch- und Optionsgeschäften, sogenanntenDerivaten, beträgt der Satz 0,01 Prozent. Ausgenommen sindBankgeschäfte des täglichen Lebens, also etwaÜberweisungen vom Girokonto, die Aufnahme von Krediten,die Emission von Aktien sowie Transaktionen zwischenLebensversicherungen und ihren Kunden.

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Aber Beobachter wissen, dass es längst nicht mehr nurums Geld geht, wie auch die schleppenden Verhandlungender vergangenen Jahre zeigen. Es geht auch umStandortvorteile und Standortpolitik.

Denn dass sich der Blickwinkel der beteiligtenRegierungen teils drastisch geändert hat, liegt dem ForscherSchulmeister zufolge vor allem an einer »gut organisiertenGegen-Offensive großer Investmentbanken wie GoldmanSachs oder Morgan Stanley«. Denn die hätten die Konfliktezwischen den elf EU-Ländern, vor allem zwischenDeutschland und Frankreich mit einer Lobbywelle bewusstvertieft.[158]

Am Lobbying hätten sich neben den beiden genannten US-Instituten auch die Deutsche Bank, JP Morgan, Citigroup undso gut wie alle Banken und Investmentverbände beteiligt,fand Schulmeister heraus. Die Hauptleidtragenden einersolchen Steuer führten immer wieder die gleichenArgumente gegen sie an: Die Profite der Banken würdensinken, Absicherungskosten steigen, letztlich könnte dieStabilität des gesamten Finanzsystems leiden. Und auchStaaten selbst würden zu den Verlierern zählen, weil sich dieKreditaufnahme verteuere. Ein falsches Argument zwar,denn belastet werden sollte nur der Handel mitKreditpapieren, nicht aber die Kreditaufnahme selbst.

Den Lobbystrategen der Bankenbranche war es egal.»Beim Angriff auf die Politik zählte nicht die Qualität derArgumente, sondern ihre Quantität«, sagt Schulmeister. Essei darum gegangen, Regierungen und Öffentlichkeit zuverunsichern.

Besonders interessiert waren die Lobbyisten daran, die

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Befürworter einer Transaktionssteuer in der EUgegeneinander auszuspielen. Ihnen war klar: Sind sich dieHauptstädte nicht mehr grün, wäre dies das wirksamsteVerzögerungsinstrument. »Wir gehen tatsächlich davon aus,dass es einen Transfer französischer Steuern (zum Beispielaus dem Derivatehandel französischer Banken, die hierMarktführer sind) zu anderen Rechtssystemen« gibt, warnteetwa Morgan Stanley 2013 in einer Analyse.[159]

Für besonders viel Furore sorgt ein Papier der US-Investmentbank Goldman Sachs. Die Lobbyisten verteilen eszunächst bewusst an ausgewählte Politiker, statt es breit zustreuen. In der Studie heißt es, die Steuer werde EuropasGroßbanken in die Verlustzone treiben. Betroffen seien vorallem Banken aus Frankreich und Deutschland – alsoInstitute aus den beiden Ländern, die sich besonders starkfür die Transaktionssteuer einsetzen. Dabei seien dieGoldman-Sachs-Zahlen unrealistisch hoch, kritisiertSchulmeister. Die Steuer werde die Banken 170 MilliardenEuro kosten, rechnen die Banker vor. Dabei kommt die EU-Kommission selbst in ihren Schätzungen nur auf deutlichgeringere Beträge.

Der Kampf ging weiter. Anfang 2015 wollten Frankreichund Österreich endgültig ernst machen. Der WienerFinanzminister Hans Jörg Schelling fordert in einemgemeinsamen Brief mit seinem französischen AmtskollegenMichel Sapin »einen Neustart« für dieFinanztransaktionssteuer (FTS) auf europäischer Ebene.

Die Bestandsaufnahme der Minister fällt enttäuscht aus.Inhaltlich wie auch beim Prozedere sei man in einerSackgasse gelandet, schreiben sie in ihrem auf den 21.Januar datierten Brief an die neun anderen Finanzminister

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jener Länder, die die Steuer eigentlich einführen wollten.Bisher gebe es aber weder einen dauerhaften Vorsitz für dieGruppe noch ein Team, das offene Fragen weiter verfolge.Weder würden im Vorfeld Papiere vorbereitet noch imNachhinein Protokolle erstellt. Auch gebe es keine technischeUnterstützung durch die EU-Kommission, obwohl diese beidem ganzen Prozess doch eigentlich eine zentrale Rollespielen sollte und wollte.

Um das Ziel – die Einführung der Steuer 2016 – doch nochzu erreichen, präsentieren sie einen Lösungsvorschlag. Einerder elf Finanzminister sollte zum Vorsitzenden ernanntwerden und künftige Treffen leiten. Jemand müsse dietechnische Koordination übernehmen, auch solle die EU-Kommission klarstellen, wie sie die verstärkteZusammenarbeit unterstützen will. Um denunterschiedlichen Interessen entgegenzukommen, schlugenFrankreich und Österreich einen Kompromiss vor: Einemöglichst breite Bemessungsgrundlage der Steuer – also dasEinbeziehen möglichst vieler Wertpapiere – sowie niedrigeSteuersätze.

Die Banken ahnten, was das bedeuten könnte: Drohte daetwa der Durchbruch? Das galt es nun wirklich mit allenMitteln zu verhindern. Nur zwei Tage später sandten die vierwichtigsten Bankenverbände Europas ihrerseits einSchreiben an alle Finanzminister der 28 EU-Mitglieder ab.Absender: Die European Association of Cooperative Banks(EACB), der Verband der Privatbanken also, the EuropeanAssociation of Public Banks (EAPB), der Verband deröffentlichen Banken, die European Banking Federation(EBF), der Dachverband der nationalen Bankenverbände,und die European Savings and Retail Banking Group, ein

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Verband von Privatkundenbanken, der vor allem in Brüssellobbyiert. Tenor des Schreibens der Verbände, die 100Prozent des Bankenmarktes repräsentierten: Was da geplantsei, habe Einfluss auf die gesamte Wirtschaft und ließe dieKosten der Geldbeschaffung für praktisch alleWirtschaftsbereiche unverhältnismäßig steigen. Auf dieFinanzsektoren der teilnehmenden Staaten werde der Druckextrem stark werden und die Abhängigkeit vonFinanzmärkten außerhalb Europas werde stark wachsen.Außerdem schade der Kompromiss dem Binnenmarkt undbringe die Erholung Europas zum Erliegen. Der gewohntstarke Tobak der Finanzbranche. Man weiß:Untergangsszenarien ziehen immer.

Zum Erliegen kam daraufhin wie gewünscht der geradeneu aufgeflammte Elan der Steuerbefürworter in Europa.Die Argumente verfingen. Neue Probleme für EuropasWirtschaft konnte man nun wirklich nicht gebrauchen. Nochim selben Jahr traten mehrere Länder mit ganz ähnlichenArgumenten bei der Einführung der Besteuerung vonBörsengeschäften auf die Bremse. In einem sogenanntenvertraulichen »Room Document« der EU-Kommission, einerTischvorlage, fanden sich im Herbst 2015 plötzlich wiederstarke Bedenken gegen die Steuer. Die Verfasser ausDeutschland, Belgien, Spanien und Portugal wollen»unbeabsichtigte Effekte auf die Realwirtschaft vermeiden«.So würden etwa Unternehmen, die ihre Risiken über denFinanzmarkt absichern, durch eine Börsensteuer sehr hochbelastet. Und das, obwohl sie »wahre Werte« absichern – undnicht an der Börse spekulieren. Das Ziel derTransaktionssteuer sei aber, so heißt es in dem Papier, dassdie Finanzbranche ihren Beitrag leiste, um die Kosten einerFinanzkrise decken zu können. Die Frage sei also, ob es eine

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Möglichkeit gebe, Transaktionen zu identifizieren, dielediglich der Risikoabsicherung eines Unternehmens dienten.Falls dem so sei, hätte man eine Möglichkeit, dieseTransaktionen unterschiedlich zu behandeln – sprich: siewürden nicht besteuert.[160]

Das Ziel der Verbände war da längst erreicht: neueZwietracht, neue Diskussionen, neue Verzögerungen. DieFolgen der Steuer für die Realwirtschaft sind längst nichtmehr der einzige Streitpunkt. Ein anderes Dokument zeigt,dass die Hauptstädte auch über die Frage streiten, welcheFinanzprodukte besteuert werden sollen. Die Altersvorsorgeetwa? Die Bundesregierung hat da so ihre Zweifel.Zusammen mit weiteren Ländern stellt sie die Frage, obPensionsfonds und Lebensversicherungen nicht besser vonder Steuer befreit werden sollten. Würde das so kommen,wäre die Finanztransaktionssteuer eine Zwei-Klassen-Steuer,sie würde nicht für alle gleichermaßen gelten.

Sven Giegold, Grünen-Abgeordneter im Europaparlament,kritisiert diese deutsche Haltung: In einer unheiligen Allianzbetreibe Finanzminister Schäuble damit das Geschäft derGegner der Finanztransaktionssteuer. Wer Pensionsfondsund Versicherungen ausnehme, schaffe unfairen Wettbewerbzwischen verschiedenen Finanzdienstleistern und zerstöre sodie Idee der Steuer. Schäuble hatte ohnehin seine Zweifel.Bei einem informellen Treffen der EU-Finanzminister inLuxemburg hatte er trotz anfänglicher Euphorie nun eigeneSkepsis durchblicken lassen. Die Börsensteuer sei »einkompliziertes Ding«, klagte Schäuble und warnte: Niemandsolle »die große Lösung« erwarten.[161]

Die erwartet angesichts des immer erfolgreicherenLobbydrucks in Europa tatsächlich inzwischen kaum noch

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jemand. Die Befürworter der Steuer waren einmal mehrerstaunt von der Schlagkraft der Finanz-Lobbyisten.Nichtregierungsorganisationen treibt deshalb seit Jahren dieFrage um, wie viele Agenten für die Sache der Banken undVersicherungen eigentlich in Brüssel unterwegs sind. Es gibtzwar offizielle Zahlen. Nur kann man denen trauen?

Aufschluss geben soll eigentlich das europäischeLobbyregister – eine öffentlich einsehbare Datenbank, in deralle EU-Lobbyarbeit betreibenden Akteure Informationenüber ihre Arbeit veröffentlichen sollen. Die Einträge sindjedoch freiwillig. Um den Druck etwas zu erhöhen, wurdenzuletzt leichte Sanktionen eingeführt. So dürfen sich EU-Kommissare und ihre Kabinette fortan nur mit imLobbyregister registrierten Lobby-Akteuren treffen.

Einer Nichtregierungsorganisation reichten die Angabennicht. Sie wollte es genauer wissen. Das Corporate EuropeObservatory (CEO) forschte nach. 1997 gegründet, hat dieOrganisation das erklärte Ziel, den Einfluss auf die Politik derEU offenzulegen, den Unternehmen nach Ansicht derOrganisation genießen. Sie betreibt ein Büro in Brüssel mit14 Mitarbeitern und ist in den Niederlanden alsgemeinnützige Organisation anerkannt. Im Jahr 2014veröffentlichte sie nach monatelanger Arbeit eine Studie.

Das Ergebnis: Gut 200 Organisationen hatten sich imLobbyregister auf Verbraucher- wie auf Bankenseite alsFinanzlobbyisten registrieren lassen. Darunter etwa dieAmerican Insurance Association, die InteressengemeinschaftKreditkartengeschäft, Konzerne wie die Allianz oder dieGroßkanzlei Eversheds oder die Albright Stonebridge Group,eine Beratungsfirma von Ex-US-Außenministerin MadelaineAlbright. Die tatsächliche Zahl der Organisationen,

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Unternehmen und Fürsprecher, die sich einschalteten, stelltesich als viel größer heraus. Für die Finanzindustrie seien es700 Organisationen, die sich einmischten, um zu lobbyieren –siebenmal mehr, als zivilgesellschaftliche Gruppen undGewerkschaften mobilisieren konnten. Werden Ausgabenund Mitarbeiterzahl eingerechnet, liegt der Faktor derÜbermacht sogar bei 30. Und selbst da habe man konservativgerechnet, schränkt das CEO ein.

Das Urteil der Organisation über die Transparenz der EUfällt kritisch aus. Das Register sei zwar ein Anfang, mehraber auch nicht. Die Angaben der Lobbyisten, auch eineNichtnennung, würden von keiner EU-Institution wirklichgeprüft. Zudem bezieht es sich nur auf Lobbyakteure, dieZugang zur Europäischen Kommission oder dem EU-Parlament suchen. Der Rat der Europäischen Union ist nichtTeil des Registers, er führt auch kein eigenes Lobbyregister.

Wie groß der Finanzapparat letztlich ist? Das Fazit desCEO liest sich erstaunlich. Die Industrie gebe in Brüsselmehr als 120 Millionen Euro pro Jahr für Lobbying aus undbeschäftige sage und schreibe 1700 Lobbyisten. »Das sindvier pro zuständigem Beamten im Finanzbereich.« DasUngleichgewicht zwischen Wirtschaftsvertretern und denenanderer zivilgesellschaftlicher Gruppen sei damit nocheklatanter als in vielen anderen Branchen.

Eigentlich wollte die EU genau das verhindern. 2014startete die Europäische Kommission ihre neueste»Transparenzinitiative«. Seitdem müssen EU-Kommissarinnen und -Kommissare und ihre Kabinette bis hinzu den Generaldirektoren auf ihren Webseiten ihreLobbytreffen veröffentlichen, und zwar spätestens zweiWochen nachdem der Termin stattgefunden hat.

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Öffentlichkeit sollte mehr Ausgewogenheit schaffen.

Doch auch hier deckt das CEO ein zentrales Manko derBrüsseler Transparenzoffensive auf. Denn wer sich mit wemtrifft, können Nichtregierungsorganisationen offiziell schonlänger abfragen – sie erfahren trotzdem so gut wie nichts.Eine Anfrage bei der EU förderte 433 Treffen derKommission mit Lobbyisten der Finanzwirtschaft binneneines guten Jahres von Anfang 2013 bis Mitte 2014 zutage.Das Programm liest sich wie das Who’s who der Finanzwelt:Allianz, Crédit Agricole, Deutsche Bank, DeutschesAktieninstitut, Goldman Sachs, Moodys, Morgan Stanley,Master Card, Paypal, Unicredit etc.

Doch über was die Lobbyisten sprechen wollten – obBankenrettung oder Versicherungsregulierung –, blieb eingut gehütetes Geheimnis. In gerade mal 67 Fällenveröffentlichte die EU nach monatelangem Insistieren einpaar Dokumente zum Inhalt. Freigegeben wurden auch dienur in belanglosen Auszügen. Was besprochen wurde, bleibtselbst in diesen Fällen offen. Denn publik macht dieKommission nur beinahe wertlose Informationen. Das meistebleibt hinter verschlossenen Türen. Drei Gründe führt dieKommission dafür ins Feld. Entweder die Veröffentlichungschade der Finanz-, Geld- oder Wirtschaftspolitik derGemeinschaft oder eines Mitgliedsstaates. Oder man müsseUntersuchungen, Ermittlungen und Prüfungen schützen.Und schließlich gelte es auch die kommerziellen Interessender Unternehmen, die von den Lobbyisten repräsentiertwerden, zu bewahren.

Für das CEO tut sich bei diesem Ausmaß des Lobbyingsund der Abschottung der Behörden bei der Aufklärung einAbgrund auf. »Angesichts des Versagens beim Kampf gegen

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die Wurzeln der Finanzkrise und angesichts der gewaltigenFolgen, die die Probleme auf dem Finanzmarkt für EuropasBürger mit sich brachten, bedeute dies ein ernstesdemokratisches Problem, dem die Politik schnell begegnenmuss – auch um eine Wiederholung zu verhindern«, urteiltder Bericht.[162] »Diese Situation ist extrem riskant für dieGesellschaft.«

Die Finanzlobby auszuhebeln scheint so gut wieunmöglich. Zu den Hindernissen zählt, dass die Themen, dieBrüssel beackert, extrem kompliziert sind. Die Mitarbeiterder Kommission sind dabei oft auf die Hilfe der Brancheselbst angewiesen, um die Materie überhaupt zudurchdringen. Hinzu kommt eine starke Vernetzung derLobbyisten mit führenden Politikern des EU-Parlaments. Soerhielt der französische Abgeordnete Jean-Paul Gauzès, deraktiv in die Positionierung des Parlaments zur Regulierungvon Hedgefonds in der Richtlinie »Alternative investmentfund managers directive« (AIFMD) involviert war,ungewöhnlich viel Input. Der Politiker bekam fast 1700Änderungswünsche – zum Teil deckten sie sich wortgleichmit den Formulierungen der Finanzindustrie. Hedgefonds-Verbände warnten davor, dass die Regulierung die Geschäfteder Industrie erschüttern könnten – und natürlichdestabilisierend auf das Finanzsystem wirken könnten.

Wie sich die Argumente gleichen. Entnervt schlug GauzèsAlarm. Das Hedgefonds-Lobbying sei irritierend. DieIndustrie solle das Ruder herumreißen. »Dieses neueLobbying beginnt mir auf die Nerven zu gehen«, ärgerte sichder EU-Parlamentarier.[163] Auch Ex-Binnenmarkt-KommissarMichel Barnier untersagte seinen Beamten 2013 zeitweiseden Kontakt zu Lobbyisten.

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Thierry Philipponnat weiß, um was es für dieFinanzbranche in Brüssel geht. Er selbst ist Mitte 40 und hat20 Jahre in der Bankenbranche gearbeitet. Er war bei derfranzösischen Großbank BNP Paribas im Wertpapiergeschäfttätig und machte bei der europäischen Börse EuronextKarriere. Vor einigen Jahren aber zog er die Reißleine.Zuerst heuerte er bei Amnesty International an, weilFinanzmärkte und Menschenrechte seiner Meinung nachnicht immer zusammenpassen. Philipponnat fühlte sichzerrissen zwischen dem, was er glaubte, und dem, was ersagte. »Ich habe den Widerspruch zwischen dem Wissen, wasfür einen Unsinn wir da machen, und den täglichenAnforderungen nicht mehr ausgehalten«, sagt er.[164]

Dann kommt eine besondere Berufung. 2011 wirdPhilipponnat der erste Chef von Finance Watch, der erstenGegenlobby zur Finanzbranche.

Bemerkenswert an dieser Organisation ist ihreEntstehung. Es waren Mitglieder des EU-Parlaments, die dieOrganisation ins Leben riefen. So etwas hatte es wohl nochnie gegeben: Die Politik selbst organisierte entnervt voneiner Daueroffensive der Lobbyisten den Aufbau einesGegengewichts.

Zwei Dutzend Parlamentarier, die seit der Finanzkrise mitimmer mehr technischen Gesetzen zur Regulierung derFinanzmärkte befasst waren, wurden mit Kontaktanfragenvon Vertretern der Finanzindustrie regelrechtüberschwemmt. Sie hatten gerade miterleben müssen, wieBanken ganze Volkswirtschaften an den Rand des Ruinstrieben. Und sie spürten, dass die Macht der Finanzbrancheomnipräsent war. Innerhalb dieser Gruppe von 22Abgeordneten wuchs die Besorgnis, dass eine

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Unausgewogenheit der Lobbyisten zu undemokratischenErgebnissen führen könnte. Reformvorschläge zurRegulierung der Finanzindustrie waren auf ihrem Weg hinzur Gesetzwerdung immer wieder abgeändert undabgeschwächt worden. Dabei wollten sie mit härterenVorgaben doch eigentlich verhindern, dass sich die Fehlerwiederholen. Doch sie wurden von der Finanzlobby förmlichan die Wand gedrückt.

Dem wollte die Gruppe der Europaabgeordneten nichtlänger zusehen und stieß selbst an, was sie für nötig hielt.Parteiübergreifend riefen sie im Sommer 2010 dazu auf, einGegengewicht ins Leben zu rufen. Eine Art Greenpeace derFinanzwelt. Zu den Unterzeichnern gehörten derkonservative Finanzpolitiker Jean-Paul Gauzès, der GrüneSven Giegold, der Sozialdemokrat Hans Udo Bullmann oderCharles Goerens, ein Liberaler aus Luxemburg.

Diese Petition fand hohen Anklang und Unterstützung inBrüssel und darüber hinaus. In den darauf folgenden fünfMonaten unterzeichneten mehr als 160 Abgeordnete undgewählte Repräsentanten aus einer Vielzahl verschiedenerParteien und EU-Mitgliedsstaaten den Aufruf. Wohl seltenwar ein solcher Aufbruch gleichermaßen ein Zeichen vonKampfeslust wie Ohnmacht.

Immerhin: Der Aufruf wirkte. Im Dezember 2010finanzierten die Europaabgeordneten eine sechsmonatigePrüfung. Sie ließen herausfinden, ob ein neues,unabhängiges Organ überhaupt geschaffen werden kann.Eine Stimme, die die Gesellschaft bei der Reform desFinanzmarkts vertritt. Mehr als 120 Treffen vonRepräsentanten der Zivilgesellschaft und Organisationenwaren nötig, bis am Ende der konkrete Vorschlag zur

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Gründung von Finance Watch stand. Im Herbst 2011 nahmdie Organisation die Arbeit auf. Verglichen mit den Summen,die Banken für ihren Lobbyismus auftreiben, ist dieGegenmacht zwar bescheiden ausgestattet. Ein paarQuadratmeter in einem Brüsseler Bürobunker. Ein gutesDutzend Mitarbeiter zählt Finance Watch. Immerhin.

Das Ziel, das sich die Organisation auf die Fahnegeschrieben hat, sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeitsein: Man wolle ein robustes Bankensystem aufbauen, das imDienst der Gesellschaft steht und nicht für Missbrauch durchmoralisches Fehlverhalten anfällig ist, heißt es in ihrenStatuten. Es macht klar: Nicht jeder Bankenkritiker ist einBankengegner. Bei Finance Watch arbeiten keinekapitalismusfeindlichen Ideologen an einer bankenfreienWelt, sondern Fachleute aus der Branche an einer besseren.Die Organisation artikuliert eine Gegenmeinung. Sie betreibtkeinen Populismus. Und genau diese ruhige Ernsthaftigkeitmacht sie gefährlich für die professionelle Bankenwelt.

Finance Watch legt den Finger in die Wunde und wirftangesichts der Schwerfälligkeit bei der Kontrolle undRegulierung des Finanzsektors jede Menge Fragen auf:

Wie ist es möglich, dass sich die Regierungen der EU-Mitglieder und die EU so schwertun bei der Bekämpfung derRisiken durch einige unregulierte Finanzmarktgeschäfte?Wie kann es sein, dass nun auch noch Zinssätze wie derEuribor oder der Libor, die auch für normale Auto- oderHauskredite als Richtschnur gelten, über Jahre offenbar mitkrimineller Energie manipuliert wurden? Wo waren dieÜberwachungsinstanzen des Staates? Und warum mussjeder Staubsaugerhersteller eine Garantie bieten, währendBanken lässig mit den Schultern zucken können, wenn etwas

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schiefgeht.

Mit den Risiken der Atomindustrie ging die deutscheBundesregierung nach Fukushima jedenfalls ganz anders insGericht: abschalten statt milliardenschwerer Rettung.

Eine Erklärung für den durchschlagenden Erfolg desLobbyings der Finanzindustrie dürfte in der gegenseitigenAbhängigkeit von Staat und Wirtschaft liegen. Das macht diePolitik anfällig für die Argumente der Lobbyisten. In denvergangenen Jahren entstand schon vor der Finanzkrise eineimmer intensivere Zusammenarbeit. Der Staat und dieBanken wurden eine willfährige Interessengemeinschaft.Gerne erklärten die Banker Bürgermeistern,Ministerpräsidenten und Ministern die Vorteile beim Hebelnvon Staatsanleihen, die Vorzüge von Sale-and-Leaseback-Geschäften öffentlicher Gebäude.

Selbst ziemlich überschaubare Städte wie Ennepetalhantierten plötzlich mit Zinssatz-Swap-Verträgen. DieBanken ermöglichten der Politik, ganz neue Gelder zugenerieren und zu verteilen. Dass die nur auf dem Papierstanden, kümmerte kaum jemanden im Wahlkampf. Aus demPrinzip des Staates, der die Banken kontrolliert, und derBanken, die in diesem Rahmen die Wirtschaft mit Geldversorgen, wurde eine Art Zweck- undZugewinngemeinschaft. Eine, die allerdings in der Krise zurgefährlichen Seilschaft wurde. Wenn wir untergehen, reißenwir euch mit – diese Drohung stand immer im Raum.Politische Erfolge gegen wirtschaftliche Freiheiten und dieÜbernahme von Risiken – dieser unausgesprochene Dealfunktionierte bis zuletzt.

Eine der wichtigsten Aufgaben der europäischenWirtschafts- und Finanzpolitik wird in den kommenden

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Jahren die Entflechtung von Staat und Wirtschaft bleiben.Ausgerechnet ein Beispiel aus Deutschland liefert einLehrstück über den Irrsinn des Finanzlobbyismus. EinBeispiel dafür, wie zäh der Kampf werden wird.

Im November 2012 legt das Finanzministerium demBundestag ein Gesetz vor, das schon des Titels wegen nachhartem Stoff klingt: Das »Sepa-Begleitgesetz« zur Regelungdes europäischen Zahlungsverkehrs. So richtig nimmt kaumjemand Notiz von dem Paragraphenwerk – weder imParlament noch in der Öffentlichkeit. Es ist schon spät, alsTagesordnungspunkt 22 zwischen den Beratungen über»EU-Notfallplane und Gefahrgutkontrollen im Seeverkehr«und der Beratung über »Verbindliches Mitwirkungsrecht furKommunen bei der Erarbeitung von Gesetzentwurfen undVerordnungen sowie im Gesetzgebungsverfahren« an dieReihe kommt. Im Parlament sind nur noch ein paarParlamentarier anwesend. Ein harter Kern, der dieverbliebenen Punkte im Schnellverfahren abhakt. DieAbgeordneten winken die unspektakulär scheinende Vorlagein ein paar Minuten durch. »Schluss: 22.56 Uhr« hält derProtokollant der Sitzung am Ende fest.

Was genau die Abgeordneten im Eilverfahren beschlossenhaben, geht den meisten erst deutlich später auf. Denndurchgepaukt wurde ein Gesetz, das Deutschlands Sparerüber Jahre hätte Milliarden kosten können. ImKleingedruckten der Vorlage stand brisanter Stoff. DasGesetz zum europäischen Zahlungsverkehr stellte ganznebenbei auch neue Vorgaben für eine der bedeutendstenFormen der Altersvorsorge der Deutschen auf: dieLebensversicherung. An das Sepa-Gesetz angehängt sind»Regelungen zur Sicherung der Risikotragfähigkeit bei

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Lebensversicherungen«. Sie haben zwar nichts mit demursprünglichen Gesetz zu tun. Aber solche Anhängsel sindgängige Praxis in der deutschen Gesetzgebung, um denparlamentarischen Prozess zu beschleunigen.

In diesem Fall aber wirkt es, als habe man dieNeuregelung schlicht gut verstecken wollen. Denn wer sichdas Gesetz genauer anschaut, entdeckt einen Passus, derMillionen Deutsche betrifft. Es geht um dieBewertungsreserven der Versicherungspolicen. Die Sacheklingt nach Kleinigkeiten in lästigen Versicherungsverträgen.Doch der Punkt hat es in sich. Er regelt ein für Versichertesehr bedeutsames Verfahren. Ist eine Kapitalanlage beimVertragsablauf mehr wert als beim Abschluss, müssenVersicherungen ihre Kunden an den Gewinnen beteiligen.Die neuen Regelungen hätten den Versicherern nun jedochsehr große Freiheiten beim Umgang mit den Vermögeneingeräumt. Denn sie hätten die Profite vereinfacht alsRisikovorsorge zur Not auch selbst behalten dürfen. DerGrünen-Abgeordnete Gerhard Schick bringt es auf denPunkt: Damit habe sich eine Sanierung der Versicherungenauf dem Rücken der Kunden angebahnt.

Das Vorhaben ist also heikel. Bei den Versicherungen weißman das. Es geht schließlich um die Vermögen der Kunden.Pro Versichertem können die Bewertungsreserven durchauseinige Tausend Euro ausmachen. Insgesamt, schätzenExperten, geht es in dem Fall wohl um die Verteilung von biszu 35 Milliarden Euro zwischen Versicherern und ihrenKunden.

Wer sich der Geschichte dieses Gesetzes annimmt, um zuverstehen, wie um ein Haar und beinahe unbemerkt einParagraphenwerk in Kraft tritt, das einem Großteil der

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Deutschen immens schadet und Vermögen zwischenVersicherten und milliardenschweren Versicherungeneinfach umschichtet, stößt auf ein ausgesprochen skurrilesBeispiel für ausufernden Lobbyismus, Politiker in Zeitnot undAufsichtsbehörden, die diesen Namen nicht verdienen. Wiealso wurden aus dem wichtigen Thema ein paar diskretversenkte Paragraphen als Anhängsel eines ganz anderenGesetzes? Und wer hat sie so gut versteckt?

Schon ein paar Monate vor der November-Abstimmung imBundestag wird in der Versicherungsbranche Nervositätdeutlich. GDV-Mitarbeiter warnen vor den»Herausforderungen aus dem Kapitalmarktumfeld: HoheBewertungsreserven mussen tlw. an Versicherungsnehmerausgeschuttet werden«, heißt es etwa in einer Präsentationvom Leiter des GDV-Bereichs Kapitalanlagen. DiePräsentation empfiehlt zu diesem und anderen Themen:»Intensive Beobachtung der Regulierung und pro-aktivesEinbringen von Forderungen« sowie Zur-Verfügung-Stellenvon Orientierung und Information zur Interpretation vonEntwicklungen.

Gesagt, getan. Vor allem den benachbartenFinanzpolitikern schien der Verband, der in der BerlinerWilhelmstraße in einem modernen Glasbau nur einenSteinwurf vom Bundesfinanzministerium entfernt residiert,helfen zu wollen.

Bei Fachpolitikern macht eine unscheinbare Präsentationdie Runde. Plötzlich klingt das Problem etwasgrundsätzlicher – und natürlich gefährlicher. Man wollte jabei der Interpretation helfen. Es seien dringendeMaßnahmen nötig, zu fürchten seien »dramatischeAuswirkungen« auf die Zahlungsfähigkeit der

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Lebensversicherer. Ein Gesetz zur besseren Regulierung vonVersicherungen aber komme nicht voran. Der Vorschlag derBranche: Das Parlament könne doch besonders relevanteTeile des Gesetzes, etwa die Sache mit denBewertungsreserven, aus dem Verfahren lösen – undbeschleunigen.[165]

Das Antichambrieren verfängt ganz offensichtlich. Noch imSeptember erfahren die Abgeordneten von der Regierung,dass die Neuregelung für die Lebensversicherungen nun andas sogenannte Sepa-Gesetz angehängt werden soll. BisWeihnachten, so der Plan, soll das Gesetz beschlossen sein.

Bereits Mitte Oktober berät der Finanzausschuss desBundestags in einem öffentlichen Fachgespräch über dieÄnderungen des Gesetzes. Am 17. Oktober kommen um 16Uhr Experten und Mitglieder des Finanzausschusseszusammen. Erstmals werden die Abgeordneten auf Problemeaufmerksam gemacht. Denn erstmals können sich auchExperten einschalten, die die Verbraucherinteressen im Blickhaben.

Die Finanzexpertin und Journalistin Barbara Sternberger-Frey, die als Sachverständige geladen ist, warnt gar vorProblemen mit dem Grundgesetz: Mit der geplantenVerringerung der Beteiligung der Versicherten an denBewertungsreserven greife man ohne jede Vorwarnung inverfassungsrechtlich gesicherte Kundenansprüche ein. Auchder Bund der Versicherten lehnt die Änderungen ab. Für denSachverständigen Hermann Weinmann, Professor derHochschule Ludwigshafen, hat die Versicherungsbranche einGlaubwürdigkeitsproblem. Der Vertreter desVersicherungsverbandes sprach dagegen von einem »fairenInteressenausgleich«.[166]

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Doch wie fair ist die Sache wirklich? Die erstenAbgeordneten fragen nach. Nach eigenem Bekundenerfahren sie wenig. Das Finanzministerium macht indesweiter Druck. Der Spiegel berichtet über einen Brandbriefvom 26. Oktober, in dem man die Abgeordneten eindringlichwarnt: In den nächsten Jahren sinke »die Risikotragfähigkeitbei einer signifikanten Anzahl der Unternehmen«. ImKlartext bedeute das: Einigen Unternehmen drohe das Aus.

Wie von Geisterhand gesteuert, berichten plötzlichmehrere Medien über Gefahren für Versicherungskonzerne –und damit auch für die Versicherten. Einige Abgeordnetenzweifeln daran, dass die Sache so dringlich ist. Sie vermutenhinter dem medialen Druck eine konzertierte Aktion. DenVersicherungen hilft er. Gleichzeitig wächst der öffentlicheDruck, den Veränderungen zuzustimmen. Und das bei hohemZeitdruck und ohne die Möglichkeit, sich tiefer in die Materieeinzuarbeiten. Es kommt, wie es kommen musste: Am Endesteht die Zustimmung im Bundestag.

Doch die Versicherer freuen sich zu früh. Mit einigerVerzögerung läuft Protest an. Einer, der zeigt, dassöffentliche Aufmerksamkeit gegen Lobbyismus wirkt,wenigstens zeitweise. »Mit diesem Gesetz hat dieBundesregierung einmal mehr Lobbyarbeit zugunsten dergroßen Finanzinstitute betrieben und zu Lasten derVersicherungsnehmer«, ärgert sich der SPD-PolitikerManfred Zöllmer. Immer mehr Protestnoten verärgerterKunden erreichen die Berliner Spitzenpolitik. Selbst an derUnionsbasis begehrt man angesichts der schwarz-gelbenBeschlüsse auf. Auf dem CDU-Parteitag fordern dieDelegierten, die Änderungen bei den Bewertungsreservenrückgängig zu machen.[167] Eine solche Dynamik hatten

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weder Regierung noch Versicherungen erwartet. Die Politikbeugt sich zunächst – mit Verzögerung. Im Februar 2013begräbt der Vermittlungsausschuss von Bundestag undBundesrat das Vorhaben. Vorerst.

Erst jetzt wird klar, auf welch tönernen Füßen das von denVersicherungen forcierte Vorhaben steht. DieBundesregierung gibt zu, dass sie sich selbst nie vomWahrheitsgehalt der Warnungen aus derVersicherungsbranche überzeugt hat. DasFinanzministerium räumt in der Antwort auf eine Anfragedes grünen Bundestagsabgeordneten Schick ein, dass es derVersicherungswirtschaft insgesamt nicht schlecht ginge.Lediglich auf Basis von hypothetischen Hochrechnungenhege man Befürchtungen, eine anhaltende Niedrigzinsphasekönne der Branche schaden. Ob die Annahmen realistischsind, hat die Regierung aber gar nicht geprüft. Mehr noch.Sie gibt sogar zu, dass überhaupt »keine konkretenAnhaltspunkte dafür vor(liegen), dass ein bestimmtesVersicherungsunternehmen künftig in Schwierigkeitengeraten könnte«.

Den Grünen-Abgeordneten Schick lassen die Vorgängefassungslos zurück. »Die Zeiten, in denen die Versichererkomplizierte Gesetze stillheimlich mit Aufsicht undMinisterien aushandeln, ohne dass darüber eine öffentlicheDiskussion stattfindet und ohne Einbeziehung derVerbraucherseite, müssen vorbei sein. Nötig ist einjuristischer Fußabdruck, also der Nachweis, welche Stelleneines Gesetzes nicht im Ministerium, sondern von Drittenformuliert wurden«, fordert Schick. So sei 2009 eineArbeitsgruppe gebildet worden, deren Mitglieder lediglichaus der Finanzaufsicht Bafin und dem GDV stammten. Auf

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Basis eines Auftragsgutachtens des GDV sei dann 2012 dasGesetz auf den Weg gebracht worden.

Die Versicherten indes konnten sich nicht lange freuen.Die große Koalition nahm das Thema 2013 erneut auf. EinJahr später hatte die Versicherungsbranche dann doch,wofür sie so lange gekämpft hatte: eine deutlicheReduzierung der Kundenbeteiligung an denBewertungsreserven. Zwar fiel die Regelung etwasverbraucherfreundlicher aus. Das Gesetz kann Kundenjedoch noch immer Tausende von Euro kosten.

Selbst bei den Aktivisten von Finance Watch ist so etwaswie Ernüchterung zu spüren. »Fünf Jahre nach demZusammenbruch von Lehman Brothers sieht dasFinanzsystem immer noch fast genauso aus wie damals:Banken und Derivatemärkte sind größer als je zuvor,Manipulationsskandale machen weiter Schlagzeilen«, klagtdie Organisation. »Märkte brauchen Regeln und dieFestlegung von Regeln erfordert Ausgewogenheit. Das großeUngleichgewicht zwischen der Finanzlobby und denen, diedas Gemeinwohlinteresse der Zivilgesellschaft vertreten, istnach wie vor ein gravierendes Problem«, sagt ChristopheNijdam, der neue Generalsekretär von Finance Watch.Präsident Kurt Eliasson sieht dennoch Hoffnung. Es sei schonentmutigend, wie viele Menschen von Ehrlichkeit schockiertseien – und wie wenige von Betrügereien. Aber er seiglücklich, dass es jetzt immerhin ein Instrument gebe, dieVerhältnisse geradezurücken.

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Epilog

Obwohl der ungebremste Hochfrequenzhandel die Stabilitätder Finanzsysteme gefährdet, gelingt es nicht, eineTransaktionssteuer einzuführen. Obwohl der Einfluss desMenschen auf den Klimawandel seit Jahren erwiesen ist,wurde der Kampf gegen die Erderwärmung verschleppt.Obwohl Rauchen der Gesundheit schadet, die Folgen dasGesundheitssystem Milliarden kosten, wehren sichTabakkonzerne erfolgreich gegen strengere Vorgaben.Obwohl Autoabgase die Luft verpesten, bleiben Grenzwertelax. Obwohl der Atomausstieg beschlossen war, verfolgtenEnergiekonzerne einen ganz anderen Plan. Obwohl esVerluste für Millionen Kunden bedeuten kann, setzenVersicherungen neue Regeln durch. Obwohlgesundheitsschädliche Lebensmittel leicht zu kennzeichnenwären, knickt die Politik gegenüber der Lebensmittelbrancheein. Für manches gibt es nur wenige Erklärungen, diewichtigste heißt aber in all diesen Fällen: schlagkräftigerLobbyismus.

»We get it done« – wir schaffen das. Der Slogan derLobbyfirma Alber & Geiger macht klar, mit was für einemPhänomen es moderne Gesellschaften hier zu tun haben. Miteinem, das sich durchsetzt. Nicht immer. Aber erschreckendoft.

Die Recherchen für dieses Buch zeigten uns: Lobbyismushat sich verändert. Er ist heute vielfältiger und deutlich

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professioneller geworden als noch vor einigen Jahren.Lobbyisten haben ihren Aktionsradius erweitert unddiversifiziert. Das Ziel dieser wachsenden Zahl von Akteurenist nicht mehr nur die direkte Beeinflussung der Entscheiderin der Politik selbst. Es geht immer häufiger darum, dasrichtige Klima zu schaffen, in dem Entscheidungen getroffenwerden. Es geht darum, den eigenen Einfluss in derWissenschaft, in Instituten, sogar in Schulen geltend zumachen. Zu immer wichtigeren Akteuren werdenDenkfabriken und Stiftungen, deren Finanzierung oft imDunkeln bleibt. Lobbyismus will heute die Gesellschaft alsGanzes beeinflussen. Stimmungen und Trends zu einerkonkreten politischen Entscheidung sollen möglichst gezieltverstärkt oder abgeschwächt, Themen angestoßen oderunterbunden werden.

Lobbyismus wird damit nicht nur immer aufwändiger. Erwird auch immer teurer. Zu stemmen ist das nur von gutorganisierten, gut ausgestatteten Auftraggebern. InDeutschland und Europa spiegeln sich gewachsenegesellschaftliche Ungleichgewichte deshalb immer stärkerauch im Lobbyismus wider. Es entstehen ungleicheAusgangsbedingungen. Lobbyismus in seiner heutigen Formbenachteiligt diejenigen, die über geringere Ressourcenverfügen. Und er schafft Vorteile für die, die viel einsetzenkönnen. Die wachsende Lobbymacht starkerWirtschaftsakteure droht soziale und ökologische Belange anden Rand zu drängen. Auch innerhalb von Branchenentstehen Schieflagen. Wer nicht mit am Tisch sitzt, so heißteine Lobbyistenregel aus den USA, befindet sich auf derSpeisekarte.

Die gesellschaftliche Schieflage in der Folge ist als

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Kollateralschaden bereits erkennbar. Auch deshalb wirdLobbyismus immer intransparenter. Wer Strippen zieht, willdabei nicht beobachtet werden. Die einst so mächtigenWirtschaftsverbände verlieren deswegen an Bedeutung.Einfluss gewinnen die Lobbybüros einzelner Unternehmenund hoch spezialisierte Agenturen, Beratungsfirmen undKanzleien, die sich für einzelne Aufträge und gegen hoheHonorare anheuern lassen und höchst diskret und imVerborgenen agieren können.

Die Kritik an alldem richtet sich nicht allein gegen dieLobbyisten. Sondern auch gegen die deutsche Politik, denn:Sie macht es den Akteuren bislang viel zu leicht. Es fehlt anTransparenz und an klaren und gerechten Spielregeln. Unddafür ist nun einmal die Politik zuständig. Das betrifft zumeinen ihre eigene Arbeitsweise. Die Mitglieder vonRegierungen und Parlamenten in Bund und Ländern müsstenendlich auf Distanz gehen. Sie müssten sicherstellen, dass sieselbst genügend fachliche Kapazitäten zur Verfügung haben,um wichtige Entscheidungen, neue Gesetze oder dieÄnderung bestehender Gesetze sowie wichtigeAbstimmungen inhaltlich seriös und ausgewogenvorzubereiten. Doch das Gegenteil ist der Fall. Immerhäufiger werden öffentliche Entscheidungsprozesse insPrivatwirtschaftliche verlagert, externe Experten undLobbyisten eingebunden und Themen aus demparlamentarischen Zuständigkeitsbereich in Kommissionenausgelagert. Mancher Gesetzestext wird in Teilen gleich vonexternen Kanzleien formuliert.

Der Staat und damit auch die Regierung samt ihrenMinisterien muss personell und sachlich in die Lage versetztwerden, Gesetzesentwürfe ohne Hilfe von außen zu

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schreiben und zu entwickeln. Der Staat muss seiner Aufgabeauch andernorts wieder gerechter werden. Er mussfestlegen, welche Fächer an Schulen gelehrt werden, und ermuss dann auch die Inhalte und die Regeln dafür festlegen.Es darf nicht sein, dass der Staat bei der Wahrnehmungseiner wichtigsten Aufgaben auf Hilfe von Lobbyistenangewiesen ist oder sich ihnen sogar ausliefert. Man kann dieAusweitung des Lobbyismus beklagen. Doch es sind Staatund Parteien, die dies erst ermöglicht haben. Die Politikuntergräbt so ihre Verantwortung für faire gesellschaftlicheEntscheidungen. Zum anderen scheut die Politik bislang einhärteres Durchgreifen und den Zwang zu mehr Transparenz.

Es gibt in Deutschland bislang keine Offenlegungspflichtenfür Lobbyisten. Das muss sich dringend ändern. Seit mehr als40 Jahren existiert lediglich eine öffentliche Liste vonVerbänden und ihren Vertretern, in die sie Kontaktdaten,den eigenen Vorstand, Interessengebiete und die Zahl derMitglieder eintragen können – freiwillig. Selbst für dieserudimentären Angaben gibt es keinen Zwang.Auftragslobbyisten, Rechtsanwälte und ihre Kanzleien,Denkfabriken und Nichtregierungsorganisationen werdenerst gar nicht erfasst. Und Budget-Informationen spielennatürlich keine Rolle. Das kann nicht sein. Die Forderungmuss lauten: Lobbyisten legen klar offen, für wen sie arbeitenund welche Mittel sie zur Verfügung haben. Selbst die vielkritisierten Lobby-Hochburgen Washington und Brüssel sindda schon deutlich weiter als Berlin. Solche mangelhafteTransparenz schafft denen einen Vorteil, die sie ausnutzenkönnen. Sie erleichtert auch fragwürdige Methoden, wie dasVortäuschen von Bürgerinitiativen oder den Aufbau vonTarnorganisationen. Wo keine Transparenz herrscht, kanndie Öffentlichkeit keine Kontrolle gewährleisten.

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Muss man das alles als normal hinnehmen? Muss manakzeptieren, dass Unternehmen oder Banken Gesetzebeeinflussen können, die sie in Schranken weisen sollen?Dass sie Umweltregeln auf Kosten der Allgemeinheittorpedieren? Dass vor allem die dafür zahlen, die sich solcheTüröffner nicht leisten können? Dass die Grenzen derlegitimen Einflussnahme immer häufiger überschrittenwerden?

Generelle Verbote wären die falsche Antwort. Niemandkann und darf verbieten, dass sich die Wirtschaft in diePolitik einmischt. Und niemand sollte verlangen, dassPolitiker sich nach ihrer Karriere nicht mehr mit den Themenbeschäftigen, die sie über Jahre geprägt haben. Aber esbraucht auch dafür klare und saubere Regeln. Es geht umdie Frage, ob wirklich alles erlaubt sein muss. Muss einPolitiker wirklich schon kurz nach Ende seiner Karriere beieinem Unternehmen anheuern, dessen Geschäfte er geradenoch kontrolliert hat, wie Rüstungslobbyist Dirk Niebel?Müssen Lobbyisten barrierefrei und unerkannt im Bundestagein und aus gehen können?

Parteien und Regierungen sollten sich klare Vorgaben fürden Umgang mit Lobbyisten und den Wechsel in Lobbyjobsverordnen. Für Unternehmenslobbyisten wird es zwarvorläufig deutlich schwerer, an Hausausweise für denBundestag zu kommen. Die Bundestagsfraktionen haben dieAusgabe von Hausausweisen an Lobbyakteure vorerstgestoppt und streben eine Neuregelung der Vergabe an. Zielaber muss die Einführung eines verbindlichen Lobbyregisterssein. Nur das schafft jene Öffentlichkeit, die wirksameKontrolle braucht.

Die deutsche Politik ist von einer solchen großen Lösung

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im Kampf gegen den ausufernden Lobbyismus noch weitentfernt. Affären bringen das Thema zwar immer wieder aufdie politische Tagesordnung. Doch bislang mangelt es aneiner grundlegenden Auseinandersetzung mit den Methodendes Lobbyings und jener Machtverschiebung, die sieauslösen. Dieses Versäumnis bedeutet: Die Gefahr für dieDemokratie wächst. Es muss jetzt darum gehen,demokratische Prozesse nicht bloß zur leeren Hülleverkommen zu lassen. Strengere Lobbyvorschriften wärennicht das Ende der Debatte, sondern der Anfang einerlebendigeren Demokratie.

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Ein Dankeschön

Bei der Arbeit an diesem Buch haben viele geholfen. Da sindzuerst Dutzende Gesprächspartner zu nennen, Lobbyistenund ihre Gegner, die uns tiefe Einblicke in die Szeneermöglicht haben. Mitarbeiter von Unternehmen, Kanzleien,Behörden, Ministerien, Hochschulen und Instituten, wie auchviele Politiker, waren bei unseren Recherchen in mituntererstaunlicher Offenheit bereit, über ihre Erfahrungen undihre Arbeit zu sprechen. Viele dieser hilfreichen Quellenmöchten anonym bleiben. Wir können Sie deshalb an dieserStelle nicht namentlich erwähnen.

Zu großem Dank verpflichtet sind wir unseren Kollegen,Ressortleitern und den Chefredakteuren der SüddeutschenZeitung. Sie zählt nach wie vor zu den Medien inDeutschland, die investigativen Journalismus nicht nurermöglichen, sondern ihn fordern und aktiv fördern. Der Teildes Buches über die Lobby-Affäre bei EnBW geht ausRecherchen hervor, die wir in der Süddeutschen Zeitungveröffentlicht haben.

Ein großer Dank gebührt der NichtregierungsorganisationLobbyControl, die uns auf manche fragwürdige Praxisaufmerksam gemacht und uns sensibilisiert hat.

Wir danken herzlich unserer Lektorin Nadine Lipp für ihreprofessionelle und umsichtige Arbeit, sowie Stefan UlrichMeyer, dem Programmleiter Sachbuch bei derVerlagsgruppe Droemer Knaur, für die engagierte,

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motivierende und kundige Unterstützung.

Unseren Familien danken wir für die Geduld mit uns. Ohnesie wäre dieses Buch nicht entstanden.

Zu erreichen sind wir über folgende Adressen:

[email protected]

[email protected]

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Endnoten

1Steffen Dobbert: Russland-Buch – Gabriels fragwürdigerFreundschaftsdienst, Die Zeit, 18.03.2015.

2Mathias Brüggmann: Sigmar Gabriel – DerRusslandversteher, Handelsblatt, 19.03.2015.

3Naomi Oreskes, Erik M. Conway: Die Machiavellis derWissenschaft – Das Netzwerk des Leugnens. Weinheim 2014,S. XXII ff.

4Markus Balser, Christopher Schrader: »Wissenschaft wird alsNebelwand missbraucht«, Interview mit Naomi Oreskes,Süddeutsche Zeitung, 3.11.2014.

5http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/lobbyismus.html

6www.lobby-studie.de/marktordnung-fuer-lobbyisten/marktordnung-fuer-lobbyisten.html; hier findensich die Studie und das zitierte Arbeitsheft (Anm. d.Verf.)

7Vgl. Ulrich von Alemann, Florian Eckert: Lobbyismus alsSchattenpolitik, Aus Politik und Zeitgeschichte, APUZ 15-

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16/2006.

8Zit. nach Marco Bülow: »Die Lobby-Republik«, SchriftenreiheDenkanstöße des Instituts für Solidarische Moderne, 2010, S.18.

9Lobbying – Grey eminences. How companies try to influencegovernments, The Economist, Feb 22nd 2014.

10Ebd.

11www.marco-buelow.de/demokratie-transparenz/lobbyismus/einfuehrung-in-die-lobbyismus-debatte.html

12Netzwerk Recherche, nr-Werkstatt Nr. 12, S. 16.

13Marco Bülow: »Die Lobby-Republik«, 2010, S. 4.

14»In der Lobby brennt noch Licht. Lobbyismus als Schatten-Management in Politik und Medien«, Netzwerk RechercheWerkstatt 12, S. 166.

15Vgl. »Die Steine des Sisyphos«, der Vortrag von Günter Grassim Wortlaut, in: Süddeutsche Zeitung, 04.07.2011.

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16Definition des Begriffes »Public Affairs« durch die DeutschePublic Relations Gesellschaft: www.dprg.de/profile/public-affairs/4

17www.bertelsmann.de/unternehmen/aktionaere/index.jsp

18Vgl. Thomas Schuler: Bertelsmannrepublik Deutschland.Eine Stiftung macht Politik. Hamburg 2010.

19Sascha Adamek, Kim Otto: Der gekaufte Staat. WieKonzernvertreter in deutschen Ministerien sich ihre Gesetzeselbst schreiben. Köln 2008.

20www.bundesrechnungshof.de/de/veroeffentlichungen/beratungsberichte/langfassungen/langfassungen-2013/2013-bericht-einsatz-externer-personen-in-der-bundesverwaltung

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21Bernd J. Hartmann: Inklusive Verwaltung. Dervorübergehende Seitenwechsel aus der Privatwirtschaft inden Staatsdienst. Paderborn 2014.

22Ebd.

23www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/spionage-verdacht-im-gesundheitsministerium-gegen-apotheker-lobby-a-872371.html

24Dieter Schulze van Loon: Lobbying im Spannungsfeldzwischen Kommunikation und Politik, zitiert nach»Marktordnung für Lobbyisten«, Studie der Otto-Brenner-Stiftung, 2011, S. 10.

25www.pr-wiki.de/index.php/Main/GrassrootsLobbyingInstrumentalisierungDerMasse

26Marco Althaus: Grassroots Lobbying: Die nächste Disziplinder Wirtschaftskommunikation. In: Marco Althaus (Hrsg.):Kampagne! 3: Neue Strategien im Grassroots Lobbying fürUnternehmen und Verbände. Berlin 2007. Und MarcoAlthaus: Jedermann als Lobbyist: Grassroots-Modelle in denUSA und Europa. In: Ebd.

27

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Vgl. John McNutt/Katherine Boland: Astroturf. Technologyand the Future of Community Mobilization: Implications forNonprofit Theory, in: Journal of Sociology & Social Welfare,34 (2007) 3, S. 165ff.

28Vgl . Kathrin Voss: Grassrootscampaigning und Chancendurch neue Medien. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, APUZ,19/2010.

29www.otto-brenner-stiftung.de/fileadmin/user_data_lobby/03_Online_Teile/AH_70_Lobby_End.pdf,S. 1.

30»For the first time, 4 out of 5 largest EU emitters are Germanlignite power stations«, Sandbag, Pressemitteilung vom 1.April 2015.

31Vgl. Melanie Amann, Sven Becker, Frank Dohmen, GeraldTraufetter: Im War Room der Demokratie, Der Spiegel49/2013, S. 30.

32Vgl. Sven Becker, Gerald Traufetter: Der Kumpel, DerSpiegel, 26/2014.

33»Auffällige Wahlkampfspenden«, Märkische Oderzeitung,23.6.2014.

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34Marco Bülow: Die Lobby-Republik, SchriftenreiheDenkanstöße, Institut für solidarische Moderne, 2010.

35Ebd.

36Ebd.

37Ebd.

38Vgl. www.atmos-chem-phys.net/15/1539/2015/

doi:10.5194/acp-15-1539-2015

39www.abgeordnetenwatch.de/nebeneinkuenfte2015

40Ebd.

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41www.spiegel.de/politik/deutschland/nebenverdiener-im-bundestag-gauweiler-an-der-millionen-euro-grenze-a-983089.html#ref=plista

42www.joachim-pfeiffer.info

43https://netzwerkrecherche.org/stipendien-preise/verschlossene-auster/verschlossene-auster-2011-fuer-rwe-enbw-vattenfall-und-eon/laudatio-von-prof-dr-heribert-prantl/

44www.lobbyplag.eu

45Übersicht der unkritischen Verwendungwirtschaftsfreundlicher Passagen bei: Europe-v-facebook.org

46Felix Zimmermann: Energiekonzern in Erklärungsnot, taz,22.09.2011.

47Interview mit Altkanzler Schröder, Bild, 19.05.2015.

48Thomas Sigmund: Gesetzgebung – Millionenhonorare fürBerater, Handelsblatt, 8.02.2013.

49

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www.lothar-binding.de/Nichtraucherschutz.173.0.html

50Lothar Binding: Kalter Rauch. Freiburg 2008, S. 25.

51Vgl. »Im Schatten des Gesetzes«, Die Zeit, 19.12.2012.

52www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2015/07/PD15_261_799.html

53www.zigarettenverband.de/de/20/Themen/Zahlen_%26_Fakten/Kennzahlen

54www.drogenbeauftragte.de/drogen-und-sucht/tabak/situation-in- deutschland.html

55www.corporateeurope.org/lobbycracy/2012/11/mapping-tobacco- lobby-brussels-smoky-business

56Vgl. »Wo Rauch ist«, Süddeutsche Zeitung, 17.05.2014.

57Gespräch mit den Autoren am 18.08.2015.

58Vgl. »Im Schatten des Gesetzes«, Die Zeit, 19.12.2012.

59

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Vgl. »Tabak-Richtlinie durch Lobbying verwässert«, DiePresse, 21.08.2014.

60Vgl. www.sueddeutsche.de/wirtschaft/lobbyisten-in-der-tabakindustrie-rot-wie-risiko-1.1788444-2

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61Vgl. »Rauchverbot und Tabaklobby. Erfahrungsbericht einesAbgeordneten«, in der Broschüre: »In der Lobby brennt nochLicht – Lobbyismus als Schatten-Management in Politik undMedien«, Netzwerk Recherche, nr-Werkstatt Nr. 12, S. 144f.

62Vgl. www.sueddeutsche.de/wirtschaft/lobbyisten-in-der-tabakindustrie-rot-wie-risiko-1.1788444

63Vgl. ebd.

64Vgl. »Rauchverbot und Tabaklobby«, in: NetzwerkRecherche, nr-Werkstatt Nr. 12, S. 145.

65Vgl. »Märchen aus 1001 Nacht. Wie die TabaklobbyAbgeordnete zu beeinflussen versucht«, dapd, 24.09.2010.

66Vgl. »Propaganda-Rauch«, FAS, 23.12.2012.

67Vgl. »Strippenzieher in Brüssel«, Die Welt, 30.09.2014.

68Vgl. »Im Schatten des Gesetzes«, Die Zeit, 19.12.2012.

69Vgl. ebd.

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70www.zigarettenverband.de/de/3/Ueber_den_DZV

71www.zigarettenverband.de/de/25/Ueber_den_DZV/Mitgliedsunternehmen

72Vgl. »Rauchverbot und Tabaklobby«, Netzwerk Recherche,nr-Werkstatt Nr. 12, S. 151.

73Vgl. »Propaganda-Rauch«, siehe:www.faz.net/aktuell/politik/inland/tabakindustrie-propaganda-rauch-12002890.html

74Vgl. »Rauchverbot und Tabaklobby«, Netzwerk Recherche,nr-Werkstatt Nr. 12, S. 149.

75www.stmelf.bayern.de/service/presse/pm/2014/084786/index.php.Der bayerische Agrarbericht erscheint alle zwei Jahre, diezitierte Ausgabe ist abzurufen unter:www.stmelf.bayern.de/mam/cms01/agrarpolitik/dateien/agrarbericht2014.pdf

76www.fr-online.de/politik/nebeneinkuenfte-und-was-verdienen-sie- so-nebenbei-,1472596,20834526.html

77»Wege zu einer gesellschaftlich akzeptiertenNutztierhaltung«, Gutachten, März 2015, S. 35. Siehe:

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www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/Ministerium/Beiraete/Agrarpolitik/GutachtenNutztierhaltung-Kurzfassung.pdf?__blob=publicationFile

78www.topagrar.com/dl/4/2/6/3/6/0/Studie_Bauern_und_Bonzen.pdf

79www.topagrar.com/dl/4/2/6/3/6/0/Studie_Bauern_und_Bonzen.pdf,S. 26.

80www.fnl.de

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81www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/eu-absage-an-lebensmittel-ampel-gruen-gelb-stopp-a-701085.html

82www.euractiv.de/wahlen-und-macht/artikel/lobby-schlacht-um-lebensmittelampel-003262. Das Interview im Original:http://blog.brusselssunshine.eu/2010/06/mep-carl-schlyter-industry-lobbying-has.html

83Judith Pfannenmüller: Die Lobby-Macht mit dem Nette-Jungs-Image, W&V-Magazin, 21.07.2014.

84Josh Halliday: Washington Post scrutinises Amazon lobbyingafter Jeff Bezos takeover, The Guardian, 6.08.2013.

85Corporate European Observatory: The Power of Lobbies,Beitrag vom 18.06.2013.

86Deutscher Hochschulverband: Resolution zurUnparteilichkeit von Wissenschaft, 20.03.2012.

87Bernd Kramer: Wahrheiten wie bestellt. Wie Universitätender Wirtschaft dienen, DUZ-Magazin 06/2014.

88Andreas Kurz: »Der Arbeitgeber ist dem Richter

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ausgeliefert«. Interview mit Volker Rieble, Impulse,1.02.2012.

89Bernd Kramer: Wahrheiten wie bestellt, DUZ-Magazin06/2014.

90Yassin Musharbasch, Kerstin Kohlenberg: Die gekaufteWissenschaft, Die Zeit, 1.08.2013.

91Andreas Böhme: Wissenschaftsministerin verordnetHochschulen mehr Transparenz, Südwest Presse, 5.02.2014.

92Niedersächsisches Ministerium für Wissenschaft und Kultur,3.02.2014.

93Naomi Oreskes, Erik M. Conway: Die Machiavellis derWissenschaft. Weinheim 2014.

94Lecacy Tobaco Documents Library:http://legacy.library.ucsf.edu

95Naomi Oreskes, Erik M. Conway: Die Machiavellis derWissenschaft. Weinheim 2014.

96Ebd.

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97Ebd.

98Colin Stokes: RJR’s Support of Biomedical Research, BN:504480518, Legacy Tobacco Documents Library.

99Markus Balser, Christopher Schrader: »Wissenschaft wird alsNebelwand missbraucht«, Interview mit Naomi Oreskes,Süddeutsche Zeitung, 4.11.2014.

100Anfrage der Autoren per Mail und telefonisch am 17.07.2015.

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101Vgl . Eltern Express, Schulzeitung des Gymnasiums Sulingen,Ausgabe Nr. 118, Juli 2007, S. 1.

102Interview mit den Autoren am 22.09.2015.

103Ebd.

104Vgl. »Pflichtfach Wirtschaft«, Süddeutsche Zeitung,6.11.2015.

105www.verbraucherbildung.de/meldung/arbeitgeberverband-stoppt- vertrieb-von-kritischem-schulbuch

106Ebd.

107Reinhold Hedtke: Mein Wohl als Gemeinwohl. Lobbyismus inder ökonomischen Bildung. In: W. Spieker. (Hg.): Zukunft derökonomischen Bildung. Tutzinger Schriften zur politischenBildung. Schwalbach/Ts. 2015.

108Ebd.

109www.bayern.de/wp-content/uploads/2014/09/Bericht-der-

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Kommission-f%C3%BCr-Zukunftsfragen-der-Freistaaten-Bayern-und-Sachsen-Teil-3.pdf

110www.3male.de/web/cms/de/1459958/home/?et_cid=2&et_lid=2&set=45128;Essen

111www1.wdr.de/themen/aktuell/rwe-lobbyismus-schulen-100.html

112Tim Engartner, Balasundaram Krisanthan: »EinfallstorSchule. Wie Unternehmen und Stiftungen mitUnterrichtsmaterialien werben.« WestEnd Neue Zeitschriftfür Sozialforschung 02/2014, Frankfurt, S. 141ff.

113Vgl. »Lobbyismus an Schulen«, April 2013:https://www.lobbycontrol.de/wp-content/uploads/Lobbyismus_an_Schulen.pdf

114Gespräch mit den Autoren, Juli 2015.

115www.bne-portal.de/un-dekade/un-dekade-deutschland/

116http://schulbank.bankenverband.de/schule-und-finanzen/emw/

117

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https://bankenverband.de/newsroom/meinungsumfragen/jugendstudie-2015-wirtschaftsverständnis-finanzkultur-und-digitalisierung/

118www.myfinancecoach.org/ueber-uns#ContentModule-122

119www.myfinancecoach.org/assets/Downloads/MFCAJahresbericht2015PDFWeb210x280.pdf?PHPSESSID=kd98ufv7e05ek0h88ogcvm59t4

120www.verbraucherbildung.de/materialkompass

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121Gespräch mit den Autoren 22.09.2015.

122Ebd.

123Gespräche mit den Autoren, August 2015.

124www.insm.de/insm/ueber-die-insm/FAQ.html

125Ebd.

126Seit dem Jahr 2000 lässt die OECD, die Organisation fürwirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, alle dreiJahre die schulischen Fähigkeiten 15-Jähriger überprüfen.Die Abkürzung Pisa steht dabei für Programme ForInternational Student Assessment. Dabei werden in denteilnehmenden Ländern nach einheitlichen Kriterien diemathematischen und naturwissenschaftlichen Fähigkeitensowie die Lesekompetenz überprüft. Die deutschen Schülerschnitten beim ersten Pisa-Test 2000 unterdurchschnittlichab. Seither haben sich die Ergebnisse zwar verbessert; diedeutschen Schüler gehören aber nach wie vor nicht zu denBesten, sondern rangieren im vorderen Mittelfeld.Regelmäßig brachte die Pisa-Studie zutage, dass inDeutschland keine Bildungsgerechtigkeit herrscht, weilJugendliche aus sozial schwachen Familien deutlicheNachteile haben, die das Schulsystem nicht ausgleicht.

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127www.wirtschaftundschule.de/fileadmin/user_upload/unterrichtsmaterialien/staat_und_wirtschaftspolitik/Arbeitsblatt_Anspruch_und_Wirklichkeit_der_Sozialen_Marktwirtschaft.pdf

128www.spreadblue.de

129www.cobrayouth.de/profil

130www.dsa-youngstar.de

131Zit. nach: Tim Engartner, Balasundaram Krisanthan:Einfallstor Schule, West-End Neue Zeitschrift fürSozialforschung 02/2014, Frankfurt, S.141ff.

132www.kbundb.de

133www.swr.de/report/zielgruppe-schueler/-/id=233454/did=7855918/nid=233454/1mwgppk/index.html

134Der Spiegel, Ausgabe 42/2015, S. 66.

135www.fr-online.de/flughafen-frankfurt/flughafen-frankfurt-und-burson-marsteller—ja-zu-fra—beauftragt-umstrittene-pr-agentur,2641 734,11676876.html

136

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www.taz.de/!5052016

137Vgl. prmagazin 02/2014, S. 47.

138www.hm-kom.de/leistungen

139https://netzwerkrecherche.org/files/nr-werkstatt-12-lobbyismus- als-schatten-management-in-politik-und-medien.pdf, S. 171.

140https://lobbypedia.de/wiki/Deutsche_Bahn

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141Ebd.

142www.otto-brenner-stiftung.de/otto-brenner-stiftung/aktuelles/wir-sind-das-publikum-autoritaetsverlust-der-medien-und-zwang- zum-dialog.html

143Ebd.

144https://netzwerkrecherche.org/files/nr-werkstatt-12-lobbyismus- als-schatten-management-in-politik-und-medien.pdf, S. 64.

145Gespräch mit dem Autor, 2.12.2015.

146www.wmp-ag.de

147www.verbaende.com/verbaendereport/fachartikel/lesen.php/Zur-Machtbalance-zwischen-PR-und-Journalismus?id=174

148www.zeit.de/wirtschaft/2015-09/fluechtlinge-wohnungen-wohnraum-grossstadt-ueberfuellung/komplettansicht

149www.berliner-zeitung.de/archiv/eine-kontroverse-debatte-

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ueber- den-schleichenden-einfluss-der-pr-auf-den-journalismus-meinung-durch-die-hintertuer,10810590,10376204.html

150https://netzwerkrecherche.org/files/nr-werkstatt-12-lobbyismus-als-schatten-management-in-politik-und-medien.pdf, S. 55.

151www.sueddeutsche.de/medien/recherchescoutde-betreutes-recherchieren-1.2667050

152www.journalist.de/ratgeber/handwerk-beruf/redaktionswerkstatt/5- recherche-dienstleister-im-test.html

153https://curved.de/redaktion

154www.spiegel.de/politik/ausland/gazastreifen-twitter-krieg-zwischen-israel-und-der-hamas-a-981310.html#

155www.daserste.de/information/reportage-dokumentation/dokus/sendung/alles-luege-oder-was/116.html

156Definition der Tobin-Steuer im Gabler-Wirtschaftslexikon:http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Archiv/569806/tobin-

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steuer-v3.html

157www.cdu.de/sites/default/files/media/dokumente/koalitionsvertrag.pdf,S. 8, 46.

158Schulmeister, Stephan: The Struggle over the FinancialTransactions Tax – a Politico economic Farce. Wifo WorkingPapers 474/2014.

159Morgan Stanley, European Rates/Banks: FTT – Alternativescenarios, Paper by Morgan Stanley Research Europe, June5, 2013.

160Alexander Mühlauer: Kampf um die Börsensteuer –Deutschland will offenbar Finanzabgabe aufweichen,Süddeutsche Zeitung, 25.09.2015.

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161Ebd.

162Corporate Europe Observatory: The Fire Power of theFinancial Lobby – A Survey of the Size of the Financial Lobbyat the EU level.

163Baptiste Aboulian: MEP bites back at hedge fund lobby,Financial Times, 22.4.2012.

164Sven Prange: Thierry Philpponnat: Einer gegen den Rest derWelt, Handelsblatt, 18.02.2014.

165Sven Böll, Anne Seith: Altersvorsorge – die Einflüsterer, DerSpiegel 06/2013, S. 72f.

166Finanzausschuss des Bundestags, Wortprotokoll 106.Sitzung.

167www.cdu.de/system/tdf/media/dokumente/121205-sonstige-beschluesse.pdf?file=1, S. 9.

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Über Markus Balser / Uwe Ritzer

Markus Balser, geboren 1973, studierteVolkswirtschaftslehre in Köln und besuchte parallel dieKölner Journalistenschule für Politik und Wirtschaft. Seit2001 arbeitet er als Wirtschaftsredakteur für dieSüddeutsche Zeitung. Zunächst in München mitSchwerpunkten Technologie, Energie, Umwelt undCompliance. Zusammen mit Kollegen arbeitete er etwa dieWirtschaftsaffären bei Siemens (dafür ausgezeichnet mitdem henri-Nannen-Preis), Infineon, EnBW oder auch SolarMillennium auf. Seit 2012 berichtet Markus Balser von Berlinaus über Wirtschaftspolitik für die Süddeutsche Zeitung.

Uwe Ritzer, Jahrgang 1965, volontierte bei den »NürnbergerNachrichten«, arbeitete anschließend als Lokaljournalist undleitete mehrere Jahre eine Lokalredaktion. Daneben war erfür Rundfunksender und Regionalzeitungen tätig. Seit 1998arbeitet er für die »Süddeutsche Zeitung« (SZ), seit 2005 alsKorrespondent der SZ-Wirtschaftsredaktion. Von Nürnbergaus betreut er die nordbayerische Wirtschaft, sowieinvestigative Sonderthemen über die Region hinaus. Ritzerwurde mit dem Henri-Nannen-Preis in der Sparteinvestigativ, sowie dem Medienpreis der Sparda-Stiftungausgezeichnet.

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Impressum

© 2016 der eBook-Ausgabe Droemer eBook© 2016 Droemer VerlagEin Imprint der Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, MünchenAlle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mitGenehmigung des Verlags wiedergegeben werden.Redaktion: Nadine LippCovergestaltung: Büro Jorge Schmidt für KommunikationsDesign, MünchenCoverabbildung: GettyimagesISBN 978-3-426-42873-3

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