Marlies Blauth

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Marlies Blauth · UNTERWEGS

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Marlies Blauth, Katalog Unterwegs

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Hagenring e. V. 5. August – 2. September 2012

Brühler Kunstverein e. V.8. September – 23. September 2012

Zwei Ausstellungen im Rahmen des Projektes

MARlIES BlAUTH – UNTERWEGS

collagen

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Vorwort

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Der HAGENRING e. V. und der Brühler Kunstverein e. V. praktizieren seit dem Jahr 2006 in dem für die Region beispiel-haften Projekt Kunstachse NRW einen kulturellen Austausch mit dem Ziel, gemeinsam für die bildende Kunst aktiv zu werden. Künstlerinnen und Künstler, die sich zuvor einer Jury gestellt haben, zeigen zeitgenössische Kunst abwechselnd in Hagen und in Brühl.

Beide Initiatoren sind überzeugt, dass Kunstvereine in der heutigen Zeit ihren kulturellen Auftrag nur dann noch ad-äquat erfüllen können, wenn sie mit zeitgemäßen Konzepten Wege beschreiten, die eine Entschleunigung in einer schnelllebigen Zeit ermöglichen. Und dies nicht nur im Alleingang, sondern gemeinsam mit Partner-Kunstvereinen. Derartige Vernetzungen sind nicht nur der Garant für erfolgreiche und nachhaltige Kulturprojekte, sie sind auch unter ökonomischen Gesichtspunkten inzwischen überlebenswichtig.

Bislang ist es uns in fünf gemeinsamen Aktionen überzeugend gelungen, gute Künstlerinnen und Künstler aufzuspüren und diesen ein anspruchsvolles Forum an beiden Orten zu bieten. Die Präsentation ihrer Werke wird jeweils durch einen entsprechenden Katalog dokumentiert.

Im Rahmen des Projektes Kunstachse NRW werden in diesem Jahr Arbeiten von Marlies Blauth aus Meerbusch gezeigt. Sie ist Mitglied im traditionellen HAGENRING e. V. Ihre Werke werden in der Zeit vom 5. August bis 2. September 2012 zunächst in der HAGENRING-Galerie in Hagen zu sehen sein. Anschließend präsentiert der Brühler Kunstverein e. V. diese Werke vom 8. September bis 23. September in Brühl.

Neben dem Idealismus sowie dem Engagement der beiden Kunstvereine und der ausgewählten Künstler ist ein solches Projekt nur durch die Unterstützung von Politik und Sponsoren möglich. An dieser Stelle danken wir deshalb unseren Förderern dafür, dass sie sich in Zeiten knapper Ressourcen für die wichtige Aufgabe der zeitgenössischen Kunst in unserer Gesellschaft engagieren.

Wir wünschen der Initiative Kunstachse NRW sowie der Künstlerin Marlies Blauth viel Erfolg und den Besuchern beider Ausstellungen ein angenehmes Seherlebnis.

Hagen/Brühl im April 2012 Karl-Josef Steden Dr. Donatella Chiancone-Schneider Vorsitzender des HAGENRING e. V. Vorsitzende des Brühler Kunstvereins e. V.

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M E N S c H E N B I l D E R

Bilder von Menschen gibt es mehr als genug. Von überdimensionierten Werbe- plakaten lächeln sie mir entgegen, sobald ich das Haus verlasse.

Darauf zu sehen im Normalfall:

Sie: Jung, schlank, langhaarig, frische Gesichtsfarbe, gerade Zähne.

Er: Jung bis mittelalt, schlank, kurzhaarig, frische Gesichtsfarbe, gerade Zähne.

Hingucker, wie man heute sagt. Perfekte Menschenbilder. Ihre Schönheitsteht für Glück, Gesundheit, lebenstüchtigkeit. Dass da per computernachgeholfen wird, blendet man im Normalfall aus. Solche Bilder stehen nicht für sich selber und schon gar nicht für den Menschen, der darauf ab-gebildet ist. Sie stehen im Dienst eines Produktes, das beworben wird.

Die Person hinter dem Bild aber ist austauschbar. Vielleicht ist es bald schon gar kein „realer“ Mensch mehr, sondern einer, der am Pc konstruiert und auf die Bedürfnisse des jeweiligen Bedarfs passgenau zugeschnitten wird.

Denn bei diesen Bildern ist es gerade nicht erwünscht, dass der Betrachter sich mit dem abgebildeten Wesen beschäftigt, ihm nachgeht und hinter-herdenkt.

Und so bleiben diese Menschenbilder flach wie die Plakate, auf die sie ge-druckt sind.

Bei Marlies Blauth ist das anders. Ihre Menschenbilder zeigen kein klares Bild. Keine lachenden Menschen. Keine besonders schönen Personen.

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Sie zeigen Alltagsmenschen, die einem merkwürdig bekannt vorkommen und die man doch nicht zu fassen kriegt. Meist sind es einzelne Personen, die auf eine Weise dargestellt werden, dass man sich fragt: Wer ist das? Was macht diesen Menschen aus? Wie lebt er? Was hat er erfahren und gesehen?

Unschärfe ist das Faszinierende an diesen Bildern. Sie macht neugierig auf das, was unter der Oberfläche ist, auf die Tiefendimension des menschli-chen lebens.

Und so weist sie auf die Unschärfe, die entsteht, je länger man sich mit einem Menschen befasst. Man lernt ihn kennen, immer mehr Facetten und je näher man ihn zu kennen meint, desto deutlicher wird, wie fremd er ist.

Je genauer man hinschaut, desto mehr verschwimmt das Bild, das man sich gemacht hat. Vieles bleibt offen.

Es ist anstrengend, sich auf diese Weise mit einem Menschen zu befassen. Es ist mühsam, sich zu interessieren für das, was ihn interessiert, ihm nachzu-gehen, wenn er neue Wege geht, bei ihm zu bleiben, wenn er nicht schön, nicht glücklich, nicht lebenstüchtig ist.

Es kostet Kraft, sich auseinanderzusetzen, wenn man geteilter Meinung ist, wenn lebensstile oder gar lebensentwürfe aufeinander treffen.

Die Bilder von Marlies Blauth regen dazu an, den Standpunkt zu wechseln. Nicht zu fragen, ob der andere ein Hingucker ist, ein perfekter Mensch. Sondern selber zu einem Hingucker zu werden. Zu einem, der genau hin-guckt, der auch die Tiefen wahrnimmt, licht und Schatten sieht und aner-kennt, dass ein lebendiger Mensch einzigartig ist und zuallererst für sich selber steht.

Tina Willms

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M a r l i e s B l a u t h

1957 in Dortmund geborenstudium bei anna Oppermann, Wil sensen und Bazon Brock1981 staatsexamen (Kunst/ Biologie)1988 Diplom (Kommunikationsdesign)1989 – 1993 wissenschaftliche Mitarbeit an der universität Wuppertallehraufträge (holzschnitt/ Freie Grafik/ Grundlagen der Gestaltung)

einzelausstellungen in auswahl

1990 Metamorphose – Galerie bo 7, Bochum1995 Das atelier ist eine Wunderkammer – städt. Galerie torhaus rombergpark, Dortmund2002 Fisch-Bilder – Kunstraum Notkirche, essen2004 rot+Gelb+Blau – BKG-studio in der Kunsthalle Wuppertal-Barmen2008 lebensfarben – ev. Markuskirche Düsseldorf-Vennhausenlebenszeichen – landtag Düsseldorf/ Grünes FoyerParadiesgärten – CityKirche Wuppertal-elberfeld2009 Blues / experimentelle linolschnitte in Blau – trinitatiskirche BonnVegetation – Galerie hagenring, hagen2010 Farbiges Grau – Galerie Mönter, MeerbuschGreys & Greens – Galerie art73, ratingen2011 signs of life – ProjektartGalerie Bielefeld

ausstellungsbeteiligungen in auswahl

Kunsthalle Wuppertal-Barmen (1992 und 1993)Museum am Ostwall, Dortmund (1993, 1996 und 2006)städt. Galerie torhaus rombergpark, Dortmund (u. a. 2004, 2011)BKG-studio in der Kunsthalle Barmen (u. a. 2005, 2009)Kunstpunkte Düsseldorf (2007 – 2009)Ballhaus Düsseldorf (2008)Kunst im hafen, Düsseldorf-reisholz (2009, 2011)Kunstfoyer sparkasse Wuppertal (2010)starke Orte/ ruhr.2010: heiligkreuzkirche Bottrop, Phönix-halle Dortmundtagebuch – stundenbuch, Kunstraum Notkirche, essen (2011)Kunstmarathon in der städt. Galerie torhaus rombergpark, Dortmund (2011)Karl ernst Osthaus-Museum hagen (2011)Menschenbilder – salvatorkirche Duisburg (2011)Druckbar – Kölner Graphikwerkstatt (2011)Paradies/ stiller raum – Christkönig-Kirche Bochum (2011)semper Verde – Frauenmuseum Bonn (2011)Galerie hagenring (2010, 2011)

seit 2006 Veröffentlichungen von lyrischen texten in aM 12/ sinne hrsg. staatl. akademie der Bildenden Künste stuttgart (2006)text des Monats/ stadt- und landesbibliothek Dortmund (2010, 2011, 2012)in Versnetze_zwei und_drei, hrsg. axel Kutsch, 2009 + 2010in so ein Mensch, Geest Verlag 2010in Winterreise, Geest Verlag 2011Grisailles im literaturautomat Düsseldorf, 2011in augenblicke, Buchverlag Kempen, 2011

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» Wenn sie sich wieder einmal

in ihrem Wegenetz verirrten,

riefen sie einander an

und nannten ihren Standpunkt.

Sie schickten sich Fotos

aus ihren Träumen,

sagten sich ein paar rare Worte

und schauten dabei auf die Zeit.

Rannten dem Bus hinterher. «M. B. 2012

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Auf dieses Blatt Papierhat sich die Zeit gedruckt,als Menschen ihre Spuren malten,Zahlen notierten und geheimnisvolle Namenfür Dinge und Gedanken,der blasse Saft von Frühlingsblütendie Aufzeichnungen streifte,Landkarten aus Kaffee und Rostsich bildeten und irgendwannim spröden Gelb wieder verschwanden.In einer Ecke Fett von einem Daumen –

vielleicht von mir, als ich den alten Zettel ganz unten in die Lade legte

und vergaß.

Beim Aufräumen

M. B. 2010

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Im Zug

Diese Nähe!

Seltsam, die fremden

Geräusche und Düfte

wenn meine Augen

ins Leere fallen und

fern der Tag vorbeizieht –

wenn ein Wort laut ist

das nächste sich samten

in kurzen Traum schleichtM. B. 2011

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Ruhrgebietskindheit

nein, nicht alles war schwarz

der Mond nicht

und nicht das Regenbogenbenzin

auf den Pfützen

blutrot am Abend

der Hochofenabstich

hell klang es vormittags

wenn Männer mit Schippen

Kohleberge ins Kellerloch schoben

Frauen im Kittel Eingänge fegten

und später weißes Püree

zum Kasslerstück kochten

oder rußige Kriegsruinen

verschwanden und frische Ziegel darüber

nach Neuanfang rochen

Sonnenblumen schneller wuchsen

als Staub

und ich von der roten Lederbux träumte

(viel zu teuer) –

dann aus schwarzen Mündern Herzen strömten

und »tschüsken« sagten –

so, als führe ich

unter Tage

und käme vielleicht

nicht zurück M. B. 2011

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oder rußige Kriegsruinen

verschwanden und frische Ziegel darüber

nach Neuanfang rochen

Sonnenblumen schneller wuchsen

als Staub

und ich von der roten Lederbux träumte

(viel zu teuer) –

dann aus schwarzen Mündern Herzen strömten

und »tschüsken« sagten –

so, als führe ich

unter Tage

und käme vielleicht

nicht zurück M. B. 2011

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Wir rannten los, spielten

Verstecken, sprangen hinaus

in die Welt und

kamen wieder

der Staub klebte uns

im Gesicht, wir lachten

zur alten silbrigen

Weide hinüber

stellten den Abendbrottisch

in ihre Schattenruhe

wuschen uns den Tag von den Füßen

und holten Wein

wussten, bald sind wir

an neuen Orten, allein

Abschied

M. B. 2011

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25Veröffentlicht im Buch „Winterreise“, Geestverlag 2011. Mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers.

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Unterwegs~

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Ich fahre in die Zeit

und nehme Menschen mit,

die bleiben.

Ich denke mir Skizzen vom letzten Ort,

vermähle Begriffe,

beginne zu schreiben.

Ich möchte das Neue

und zeichne doch alte Bilder und Klänge auf.

Ich lasse mich ungewiss treiben.

~M. B. 2010

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Seit dreißig Jahren verbindet mich eine intensive Brief-freundschaft mit Marlies Blauth, eine Freundschaft, die sich durch ihren inhaltlichen Tiefgang auszeichnet. Marlies ist „mein Tagebuch, das antwortet“. Wir kannten einan-der schon vorher mehrere Jahre und natürlich treffen wir uns, wenn ich in Deutschland bin, aber letztlich spiegeln Hunderte von langen, langen Briefen die Essenz unserer Freundschaft.

Die Kunst spielt in diesem Briefwechsel eine untergeord-nete Rolle. Eine Ausnahme war das Semester, wo wir als junge Studentinnen an verschiedenen Hochschulen gleichzeitig eine Arbeit in Wissenschaftstheorie schrieben. Plötzlich gab es Berührungspunkte zwischen der Kunst und meinem Fach, der Sozialpädagogik. Was ist „wahr“ und was ist „falsch“, „schön“ oder „hässlich“ – wie lässt sich das messen? Wie kommt es zu einem Paradigmen-wechsel? Plötzlich wird einem klar, dass es oft mehrere Wahrheiten gibt, oder dass die Erde auch schon rund war, als die Gelehrten noch ganz anderer Meinung waren .

Die Suche nach Echtheit und Wahrheit ist nur ein Beispiel für die Werte, die Marlies und mich verbinden.

MARlIES BlAUTH – EIN MENScH UNTERWEGS

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Als Mensch und als Künstlerin ist Marlies Blauth unter-wegs. Offenheit für Neues zeichnet sie als Person und ihre Werke aus – gleichzeitig bleibt sie sich immer treu. Was wie ein Widerspruch klingt, ist es in ihrem Fall nie. Die Offen- heit für neue Dinge zeigt sich sowohl in der Vielfalt der Themen als auch den verschiedenen künstlerischen Tech-niken, von denen Marlies Blauth oft mehrere auf unge-wohnte Art kombiniert. So entstehen zusätzliche Dimen-sionen, die den Betrachter fordern und einbeziehen.

Als lehrbeauftragte an der Universität Wuppertal hat Marlies Blauth ihr umfassendes Wissen über 20 Jahre lang weitergeben. Dabei war ihr immer wichtig, die Stärken im künstlerischen Ausdruck jedes einzelnen Studenten zu erkennen und zu fördern. Genauso verhält es sich mit ihrenvier Kindern. Ob es sich um Musik, Kochen, mittelalterlicheKirchen oder Sport handelt – jedes der Kinder wird darin unterstützt, seine persönlichen Interessen zu entdecken. Toleranz, Sachlichkeit und die Bescheidenheit, selbst in den Hintergrund zu treten und eigenes Wissen und Können uneigennützig zu teilen, zeichnen Marlies Blauth in jeder Beziehung aus. Seit 2003 betreut sie ein Ausstellungsprojekt in einer evangelischen Kirche. Zusammen mit den Künstlern

gestaltet sie den äußeren Rahmen jeder Ausstellung. Das Kirchenjahr mit seinen Feiertagen und liturgisch bedeut-samen Farben oder Themen wie „licht der Welt“ oder „Die 10 Gebote“ werden künstlerisch beleuchtet. So füllt jede einzelne Ausstellung ihren Platz in der Ganzheit von Kunst und Kirche, die es historisch schon immer gab und nun immer wieder aktualisiert wird – was durchaus auch zu kontroversen Diskussionen führt.

Seit einigen Jahren publiziert sie auch Gedichte.

In den dreißig Jahren unseres Briefwechsels hatte ich das Privileg, ihre Fähigkeit, Dinge beim Namen zu nennen und auf den Punkt zu bringen, zu geniessen. Ich freue mich, dass dies nun einem größeren leserkreis möglich ist. Dieser Katalog und die Bodentafeln Tagebuch – Stunden-buch zeigen gleich mehrfach, dass Sprache und bildende Kunst zusammen mehr sind als die Summe ihrer Teile.

Susanne Merz

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MENScHEN UNTERWEGS Der Titel irritiert: Menschen unterwegs. Im Gegenteil, möchte man sagen, die Menschen auf den Bildern von Marlies Blauth sind angekommen: alterslos, zeitlos, raumlos scheinen sie eher im Irgendwo verortet denn in unserer realen Welt. Dennoch kommen uns die Porträtierten merkwürdig bekannt vor, als wären wir ihnen gestern, vorgestern oder schon vor zehn Jahren begegnet oder die Bekanntschaft mit ihnen stünde uns unmittelbar bevor. Die Frage nach dem „Wie ist das gemacht?“ werde ihr immer wieder gestellt, sagt Marlies Blauth, und ich unterstelle, dass die Frage nach dem „Wie“ weitaus mehr beinhaltet als die Frage nach den handwerklich-künstlerischen Fertigkeiten.

Der Ausgangspunkt: Marlies Blauth hält Menschen fotografisch fest, die – wie sie selbst – unterwegs sind. In Bussen und Bahnen filtert sie einzelne Menschen aus einer Gruppe von Wartenden oder Mitreisenden mit der Kamera heraus. Sie fotografiert an Haltestellen und auf Bahnsteigen, trifft eine rasche instinktive Auswahl. Das Ergebnis sind entspre-chend den flüchtigen Momentaufnahmen undeutliche, verwischte Fotografien.

In ihrem Atelier beginnt der nächste handwerklich-schöpferische Prozess. Mit Radiernadel, cutter, Schmirgelpapier, Stiften, Pinsel, leim setzt die Künstlerin erste Akzentuierungen. Zusätzliche Unschärfen im Foto, durch Kratzer oder Schmutz auf den Scheiben von Bus oder Bahn verursacht, werden absichtsvoll mit einbezogen in Aufhellungen oder Verschattungen, Verstärken oder Abmildern von Kontrasten. Hinweise auf eine mögliche Verortung werden gelöscht. Der Fotokopierer kommt zum Einsatz, die Kopie des Fotos wird weiterbearbeitet, dezent oder heftig hineingekratzt und hineingezeichnet, gestrichelt, ausgeschnitten, aufgeklebt, übermalt, weggenommen und wieder angeglichen. Die Augenpartien fast immer verschattet, Nasen begradigt, Kinnpartien weichgezeichnet oder verschärft, simple Effekt-hascherei wird vermieden. Im Ergebnis Verfremdungen, um, wie Marlies Blauth es ausdrückt, niemanden in seiner Persönlichkeit zu stören. Überschwänglicher Heiterkeit begegnen wir ebenso wenig wie trotziger Antihaltung. Alle Ein-zelheiten, die Rückschlüsse auf den Ort des Fotografierens zulassen würden, sind getilgt. An ihre Stelle tritt die ruhige Hintergrundfarbe. Fotografie und Malerei verschmelzen in einem intimen Dialog mit der Künstlerin zu einem neuen Bild, in dem Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft vereint sind. Der Künstlerin Marlies Blauth gelingt die Trans-formation eines flüchtigen Augenblicks in die Zeit- und Raumlosigkeit, während wir, die Betrachter, hineingezogen werden in diese seltsame Entrücktheit und beginnen, in unseren eigenen Erinnerungsbildern unterwegs zu sein.

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DIE BODENTAFElN TAGEBUcH – STUNDENBUcH

Einem sehr ähnlichen Arbeitsprozess des Herauslösens und Bearbeitens begegnen wir in den Bodentafeln von Marlies Blauth. Hier gelangt nicht der Mensch in den Fokus, sondern das Wort. Aus Pastille wird STIllE, aus der Nudel steigt die NUDE, Sonnenblumenbrot mutiert zu SONNE wie die Spätzle zu SPÄT, das leinsamenbrot zu AMEN oder die Papierta-schentücher zu AScHE. Die Wortteile, und das hebt Marlies Blauth besonders hervor, sind Etiketten von Alltagsgegen-ständen, die herausgeschnitten und wiederum je nach Bedarf durch den Fotokopierer vergrößert oder verkleinert und einer anschließenden Weiterbearbeitung unterzogen werden. Schwarzer oder weißer Acrylfarbe werden Gesteinsmehl, Sand, Asche, rote, ocker- oder goldfarbene Pigmente hinzugefügt, die Bedeutung eines Wortes durch zeichnerische und / oder malerische Zeichen unterstrichen. Auffallend ist, dass die Bodentafeln bewusst einfach in der Gestaltung gehalten sind. Die collagetechnik tritt in den Hintergrund zugunsten einer Konzentration auf das Wort. Stringent legt Marlies Blauth die Anordnung der Tafeln fest:

Vom Anfang zum Ende suchen die Augen den Weg, der hier kein labyrinth darstellt, sondern für alle Irritationen, Verwerfungen und Wallungen Worte kennt und nennt. Die Schlussworte NUDE AScHE ERDE verführen uns wieder ins Bildhafte, sie sind, so betrachtet, die gestalterische Klammer zu den Menschenbildern.

In beiden Werkreihen geht Marlies Blauth vom Alltäglichen aus. In unzähligen Arbeitsgängen hat sie alles Störende, alles Ablenkende herausgefiltert, bis schlussendlich als Essenz und damit jenseits aller Irritationen und Wallungen Bild und Wort zeitlose Bedeutung erlangen.

Helga Weidenmüller

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T A G E B U c H – S T U N D E N B U c H

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Tina Willms, Jahrgang 1963, wuchs in Ostfriesland auf. Sie studierte Theologie in Bethel und Heidelberg. Nach Tätig-keit in Krankenhaus und Kirchengemeinde arbeitet sie heute als freie Autorin. Sie lebt mit ihrer Familie in Hameln. 2003 erhielt sie den Predigtpreis des Verlags für die deutsche Wirtschaft für die beste Morgenandacht im Radio, 2010 gehörte sie zu den Preisträgern des Hildesheimer lyrikwettbewerbs.

Susanne Merz, geboren 1961, ist Diplom-Sozialpädagogin. Sie wuchs in Dortmund auf, studierte in Dortmund und Bielefeld und arbeitete in Umeå (Schweden), Bremen, Duisburg und Ratingen, bevor sie vor 17 Jahren in Stockholm heimisch wurde. Sie publiziert im Bereich Medizin/Rehabilitation und ist Masterstudentin in klinisch medizinischer Wissenschaft.

Helga (HAWE) Weidenmüller, 1943 in Düsseldorf geboren, freischaffende Künstlerin. Berufliche Stationen in Düsseldorf, Bonn, Berlin und in der Schweiz, künstlerische Ausbildung in Theorie und Praxis durch berufsbegleitendes freies und unabhängiges Studium Kunst und Kunstgeschichte. Seminare, Workshops, Sommerakademien. Ausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen im In- und Ausland, Mitglied im Verein Düsseldorfer Künstlerinnen e. V. (Vorstand), im Bundes- verband Bildender Künstlerinnen und Künstler. Öffentliche Ankäufe: Museum Schloss Benrath, Düsseldorf; Kunst im öffentlichen Raum, Pilgerin, St. Martinus-Kunstweg, Kaarst.

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Mit freundlicher Unterstützung von

Unser Dank gilt dem Oberbürgermeister der Stadt Hagen, Herrn Jörg Dehm, und dem Bürgermeister der Stadt Brühl, Herrn Michael Kreuzberg, für die Unterstützung dieses Projektes.

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Impressum

Herausgeber:

Hagenring e. V. www.hagenring.de

Brühler Kunstverein e. V. www.bruehler-kunstverein.de

Konzeption und layout:

Werbeatelier Mair-Grünekleewww.werbeatelier-mair.de

Marlies Blauthwww.kunst-marlies-blauth.blogspot.de

Druck:

DruckVerlag Kettler GmbH www.druckverlag-kettler.com

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