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Martin · Stöger Praxisleitfaden TCM-Drogen

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Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH Stuttgart

Julia Martin, WienErich Stöger, Laufen

Mit 6 Abbildungen und 9 Tabellen

PraxisleitfadenTCM-DrogenVorbehandlung, Zubereitung, Sondervorschriften

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Die in diesem Buch aufgeführten Angaben wurden sorgfältig geprüft. Dennoch können Autoren und Verlag keine Gewähr für deren Richtigkeit übernehmen.Ein Markenzeichen kann warenzeichenrechtlich geschützt sein, auch wenn ein Hinweis auf etwa beste-hende Schutzrechte fehlt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeich-net diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im In-ternet unter http://dnb.ddb.de abrufbar.

ISBN 978-3-8047-2501-0

Jede Verwertung des Werkes außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Übersetzungen, Nachdrucke, Mikroverfilmungen oder vergleichbare Verfahren sowie für die Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen.

© 2008 Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH, Birkenwaldstr. 44, 70191 Stuttgart www.wissenschaftliche-verlagsgesellschaft.dePrinted in Germany Satz: Hans Bleicher, Laufen ([email protected]) Druck und Bindung: Druckerei Hofmann, Schorndorf Umschlaggestaltung: Atelier Schäfer, Esslingen

Über die AutorenJulia MartinStudium der Sinologie in Wien, zahlreiche Ausbildungen zu Spezialgebieten der Traditionellen Chinesischen Medizin in Österreich, China, Deutschland und Frankreich, seit 8 Jahren in mehreren österreichischen Apotheken am Aufbau und an der Mitarbeitereinschulung von TCM-Abteilungen be-teiligt. Derzeit als Übersetzerin von TCM-Fachwerken (aktuelles Projekt 2008-2010: Deutsche Ausgabe von Bensky’s Materia Medica 3rd Edition), als wissenschaftliche Mitarbeiterin einer großen Wiener TCM-Apotheke und in der pharmazeutischen Fortbildung tätig.Kontakt: [email protected]

Erich StögerStudium der Pharmazie und Sinologie in Wien, mehrere Jahre Berufserfahrung in der pharmazeutischen Industrie (TCM-Projekte) und mehrere Jahre Apothekenpraxis, seit 1988 freier Mitarbeiter und Berater mehrerer Laboratorien für die Identifizierung und Qualitätssicherung chinesischer Arzneidrogen. Über-setzer und Herausgeber des Arzneibuchs der Chinesischen Medizin (Loseblattsammlung erschienen im DAV), Mitarbeit an mehreren einschlägigen Fachwerken im In- und Ausland (u.a. Bensky’s Materia Medica 3rd Edition, Eastlandpress, Seattle 2004), zuletzt seit 2008 Mitglied der Arbeitsgruppe TCM-Drogen der Europäischen Arzneibuchkommission.Kontakt: [email protected]

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VorwortIn den letzten zwei Jahrzehnten hat die Chinesische Medizin in Europa einen zuvor nie gedachten Vormarsch erlebt. Ist die hohe Akzeptanz beim Patienten, der sich von den 2-Minuten-Ärztebesuchen im westlichen Medizinsystem nicht mehr richtig wahrgenommen fühlt, ziemlich nachvollziehbar – immerhin ist für eine genaue chine-sische Erstanamnese ein Zeitaufwand von einer halben Stunde das Minimum –, so ist es doch erstaunlich, dass auch lang gediente Apotheker/innen plötzlich ihre Liebe zur eher abwechslungsreichen Beschäftigung mit den chinesischen Arznei-drogen entdecken.

Nun ist die Zubereitung von TCM-Dekokten an und für sich keine große Geheim-wissenschaft. In wenigen dürren Zeilen lässt sich die Grundvorschrift leicht weiter-geben. Nur – wie immer – der Teufel steckt im Detail: Für eine optimale Wirksamkeit der Dekokte ist es erforderlich, auch spezifische Abweichungen von der Grund-vorschrift zu beachten. So gibt es für viele Arzneidrogen der Traditionellen Chinesischen Medizin althergebrachte Vorschriften für deren spezielle Behandlung. Zwar fehlt der Traditionellen Chinesischen Medizin die wissenschaftliche Grundlage im Sinne der westlichen Chemie und Physik, doch wurde dies durch die genaue Naturbeobachtung der daoistischen Gelehrten mehr als nur wettgemacht. In einem kontinuierlichen Prozess der Wissensanreicherung über die Jahrhunderte (der nicht zuletzt im stetigen Anwachsen des Arzneimittelschatzes in den überlieferten klas-sischen Kräuterbüchern der Traditionellen Chinesischen Medizin eindrucksvoll doku-mentiert wird), entstanden quasi als Essenz eines „trial and error“-Prozesses die Vorschriften über die traditionellen Vorbehandlungen toxischer Drogen, die Vorschrif-ten zur Drogenaufbereitung im Allgemeinen und nicht zuletzt die diesem kleinen Handbuch zugrunde liegenden Hinweise für die individuelle Verarbeitung einzelner Arzneidrogen.

Neben einer genauen Arbeitsanleitung für die Dekoktherstellung in der Apotheke und einer etwas einfacher abgefassten Vorlage für eine praktische Patienten-information ist der Hauptteil dieses Werkes als Übersichtstabelle über ca. 500 Einzelkräuter abgefasst. Bei jedem Mittel sind eventuell vorgeschriebene Zerklei-nerungsschritte, Vorwässerungszeit, erste und zweite Abkochungsszeit sowie bestimmte Sonderformen der Zubereitung angegeben.

Diese Tabelle enthält auch die üblichen Dosierungsbandbreiten des jeweiligen Mit-tels, die vom Arzneibuch der VR China, Ausgabe 2005 vorgeschrieben sind. Dies soll dem Apotheker im Zweifelsfall schnell zum Nachschlagen dienen. Eine Tabelle mit einer Kurzübersicht aller Drogen mit Sondervorschriften dient einem schnellen Überblick bei der praktischen Arbeit im Apothekenalltag. Zwei Indizes der chinesi-

Vorwort 5

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schen Pinyin-Bezeichnungen (erstmals systematisch mit Angabe der Töne für die richtige Aussprache) und der deutschen Drogenbezeichnungen sollen ferner dafür sorgen, dass selbst höchst chaotisch verfasste Rezepturen und die berühmten „handgeschriebenen Zettel“ kein größeres Problem bei der Entschlüsselung bieten.

Um die Wirkung einer Rezeptur zu optimieren, ist die präzise Formulierung der Angaben auf der ärztlichen Verschreibung wichtig. Hier wird versucht, durch eine Anleitung zum verständlichen Rezeptieren alle „Fußangeln“ in der Kommunikation zwischen Arzt oder Heilpraktiker und Apotheker aus dem Weg zu räumen. Denn es ist wichtig, dass auf der ärztlichen Verschreibung die einzelnen erforderlichen Sondervorschriften auch vermerkt sind: Verringert man bei manchen Drogen bei Überschreitung der angegebenen kurzen Kochzeiten lediglich graduell ihre Wirkungs-stärke, so ist bei anderen Mitteln wie z.B. bei Rhei radix et rhizoma die Kochzeit von entscheidender Bedeutung für die Wirkung des Mittels: Bei einer Kochzeit von 3 Minuten wirkt das Mittel abführend, wird es länger gekocht, kommt es zu einer kontinuierlichen Wirkungsabnahme bis an die Grenze der Wirkungsinversion heran.

Einige Arbeitsvorschriften zur Bereitung weiterer Arzneiformen für die innerliche An-wendung (Pillen, Kapseln) sowie für die äußerliche Anwendung (Salben, Cremes, Gele, Zäpfchen) runden das Angebot an Grundrezepten ab.

Dieses kleine Handbuch ist das Ergebnis jahrelanger Praxis in der Apotheke, eingehendem Quellenstudium in chinesischer Fachliteratur und der fachlichen Beratung und Überprüfung durch chinesische Fachkollegen von der Chengdu Uni-versity for Traditional Chinese Medicine. Diesen und allen unseren Kolleginnen und Kollegen, die unsere Arbeit mit ihren Anregungen und Vorschlägen bereichert ha-ben, gilt unser Dank. Für die Fehler und Unzulänglichkeiten sind wir alleine selbst verantwortlich und bitten den Benutzer um Richtigstellung.

So bleibt nur mehr zu hoffen, dass sich dieses Büchlein im täglichen Alltag der Apothekenpraxis als hilfreicher Begleiter erweisen möge.

Wien (Cafe Westend) und Laufen im Sommer 2008

Julia Martin Erich Stöger

6 Vorwort

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InhaltVorwort 51 Einleitung 9

Arbeitsvorschriften2 Anleitung zur Dekoktbereitung von Rezepturen der Traditionellen Chinesischen Medizin 192.1 Dekoktierungsmethode 192.2 Sondervorschriften 202.2.1 Vorabkochung 202.2.2 Späterer Zusatz 212.2.3 Umhüllungsabkochung 212.2.4 Separatabkochung 212.2.5 Schmelzen/Lösen 212.2.6 Direkteinnahme 212.3 Zubereitung von Dekokten der Traditionellen Chinesischen Medizin:

Patienteninformation 233 Lagerung von Arzneidrogen 243.1 Qualitätsmindernde Faktoren 243.2 Optimale Lagerungsbedingungen 253.3 Gefäße zur Lagerung der Drogen 263.3.1 Beschriftung der Standgefäße 264 Drogenvorbehandlung nach traditionellen Verfahren (pào zhì) 274.1 Die einzelnen Verfahren 274.1.1 Röstverfahren 274.1.2 Drastische Röstverfahren 284.1.3 Brennverfahren 284.1.4 Verkohlungsverfahren 294.1.5 Dämpfverfahren 294.1.6 Kochverfahren 294.1.7 Dünstverfahren 294.1.8 Blanchierverfahren 304.1.9 Verfahren der Drogenvorbehandlung unter Verwendung von Wein 304.1.10 Verfahren der Drogenvorbehandlung mit Essig 304.1.11 Verfahren der Drogenvorbehandlung mit Salzwasser 314.1.12 Rösten in Ingwer-Presssaft 324.1.13 Rösten in Honig 324.1.14 Rösten in Schaffett 324.1.15 Entfettung bei gleichzeitiger Pulverisierung von Drogen 334.1.16 Floating-Verfahren 334.1.17 Umhüllungs-Verfahren 334.2 Pharmazeutische Nomenklatur von traditionell vorbehandelten Drogen 334.2.1 Tabelle der Vor- und Nachsilben für die Benennung

traditionell vorbehandelter chinesischer Drogen 34

Arbeitsvorschriften für sonstige innerliche und äußerliche Arzneiformen5 Arbeitsvorschriften für sonstige innerliche Arzneiformen 395.1 Sirupe 395.2 Honigpillen 395.2.1 Honigpillen aus Drogenpulver 405.2.2 Honigpillen aus Extraktgranulat 40

Inhalt 7

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5.3 Ursprüngliche chinesische Pillenformen 405.3.1 Wasserpillen 415.3.2 Kleisterpillen 415.3.3 Konzentratpillen 415.4 Kapseln 415.5 Wissenswertes zu chinesischen Extraktgranulaten 416 Arbeitsvorschriften für äußerliche Anwendungen 436.1 Salben und Cremes 436.1.1 Salbe auf Eucerin®-Basis 436.1.2 Salbe auf Doritin®/Basunguent®/Diprosicc®-Basis 436.1.3 Salbe auf Sesamöl/Wollfett/Wachs-Basis 436.1.4. Kräutercreme 436.2 Alkoholgele 446.2.1 Alkoholgele aus Drogentinkturen 446.2.2 Alkoholgele aus Extraktgranulaten 446.3 Lösung zum Auftragen auf die Haut bzw. Kopfhaut 446.4 Verarbeitung von Extraktgranulaten zu Salben, Cremes und Lotionen 456.4.1 Tabelle der Arbeitsanleitungen zur Einarbeitung von Granulaten

und Dekokten in verschiedene Salbengrundlagen 456.5 Zäpfchen (Suppositorien) 476.5.1 Kinderzäpfchen 477 Stabilisierung 487.1 Solutio Nipagini-Nipasoli 488 Hinweise zum Erstellen eindeutiger Verschreibungen 498.1 Wichtige Angaben, die in jeder Verschreibung enthalten sein sollten 498.2 Rezeptbeispiele 51

Tabellenteil 9 Übersichtstabelle aller Mittel mit Sondervorschriften bei der Dekoktbereitung 59 10 Gesamttabelle der wichtigsten Mittel mit Verarbeitungshinweisen,

Kochzeiten und Sondervorschriften bei der Dekoktbreitung 75 11 Inkompatibilitäten 132 12 Chinesische Drogen und Artenschutz, CITES-Genehmigungen 135 12.1 Die CITES-Konvention 135 12.2 Wichtige Links und Adressen 137 12.3 Liste der unter Artenschutz stehenden TCM-Drogen 138 13 Referenztabelle der chinesischen Drogennamen mit den gebräuchlichsten

Synonymbezeichnungen in Pinyin-Umschrift 142 14 Referenztabelle der deutschen Drogennamen 164 14.1 Deutsch – Lateinisch 164 14.2 Lateinisch – Deutsch 177 15 Erklärung der Pflanzen-/Tierteilnamen in den pharmazeutischen

Bezeichnungen chinesischer Drogen 188Literaturverzeichnis 190Stichwortverzeichnis 193Kopiervorlage Patienteninformation

8 Inhalt

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1 EinleitungIn diesem Leitfaden liegt das Hauptaugenmerk auf der Zubereitung von Dekokten, sind diese doch die in China weitest verbreitete und am tiefsten in der Tradition der Chinesischen Medizin verankerte Arzneiform. Der ursprünglich aus dem Lateini-schen stammende Ausdruck Dekokt (von decoquere, decoxi, decoctus = zum Kochen erhitzen) ist ein Begriff der westlichen Pharmazie, im Chinesischen wird dafür nur der Ausdruck Suppe ( täng) wie auch für die Suppen im täglichen Küchenalltag verwendet. Daran erkennt man, wie nahe die Medizin in China an der chinesischen Küche angesiedelt ist. Man sagt in China zur bekannte Rezeptur Má huáng täng ja nicht Herba-Ephedra-Dekokt sondern einfach Meerträubelsuppe. So gesehen ist das vorliegende Werk tatsächlich ein medizinisches Kochbuch im engeren Sinne.

Mag es pharmazeutisch unwissenschaftlich wirken, für Dekokte den Ausdruck Suppe beizubehalten, so ist es doch der Ausdruck, der die Herstellungsmethode am treffendsten beschreibt und besonders bei Patienten, die wenig von pharma-zeutischer Technologie verstehen, am besten geeignet ist, schnell und griffig die Dekoktierungsmethode zu beschreiben. Schon mancher Patient ist in die Geheim-nisse der Dekoktbereitung mit dem simplen Satz eingewiesen worden: „Wenn Sie eine Rindssuppe kochen können, dann können Sie auch einen chinesischen Dekokt machen“.

Im Werk Yòngyào fâxiàng (Darstellung der Regeln der Arzneianwendung) aus der Jin-Dynastie im 12.-13. Jahrhundert wird auf die Vorzüge der Dekokte als Arzneiform erstmals hingewiesen: „Willst Du große Krankheiten vertreiben, so benutze Dekok-te“. Besonders bei akuten Erkrankungen, wo die chinesischen Mittel schnell wirken sollen, sind Dekokte als Arzneiform indiziert. So heißt es auch im Nèihán liáng fäng: „Soll es schnell gehen (in Bezug auf die Wirkung; Anm. der Autoren), so verwende Dekokte“. Diese althergebrachten Ansichten decken sich übrigens exakt mit modernen Untersuchungen über die Resorption von Arzneimitteln. In wässriger Lösung werden diese schnell resorbiert, ohne dass erst die Zerfalls- und Wirkstoff-freisetzungszeit einer Tablette abgewartet werden muss. Die Wirkstoffe werden direkt in den Schleimhäuten von Magen und Darm resorbiert.

Auch die Bereitungsmöglichkeit ist recht einfach, verbunden mit optimaler Flexibili-tät der Rezepturen als Reaktion auf die jeweiligen klinischen Erfordernisse. Die hohe Adaptionsfähigkeit an die sich im Laufe der Therapie schnell ändernden Krank-heitsbilder macht den eigentlichen Wert dieser traditionellen Arzneiform aus: Durch jiä-jiân (hinzufügen-weglassen) können so auch klassische Rezepturen rasch an den aktuellen Bedarf eines Patienten angepasst werden. Trotz aller Vorteile dieser

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Arzneiform sind naturgemäß auch einige Nachteile zu erwähnen: Bei hochakuten Zuständen, in denen die Arznei rasch einzunehmen wäre, muss erst die Zubereitungs-zeit abgewartet werden, die selten unter einer Stunde liegt. Auch im Apothekenalltag kann ein Patient einen Dekokt nicht gleich mitnehmen.

Ein weiterer Nachteil dieser Arzneiform ist der oft recht intensive und zuweilen auch unangenehme Geschmack. Besonders bei Kindern ist die Einnahme eines Dekoktes meist nur sehr schwer „durchzusetzen“. Selbst das altbekannnte chinesische Sprich-wort „Gute Medizin, bitterer Mund“ spendet da nur wenig Trost. Diese genannten Nachteile führten nicht zuletzt zur Weiterentwicklung dieser Arzneiform, einerseits zu komplexen Fertigarzneimitteln, andererseits zu modernen Extraktgranulaten chinesischer Einzelmittel und komplexer Rezepturen.

Ursprünglich wurden Arzneisuppen in unglasierten, tönernen Gefäßen gekocht, so genannte shä guö (Sandtöpfe). Diese Töpfe konnte man direkt aufs Ofenfeuer stellen, ohne dass sie zersprangen. Nach erfolgter Dekoktierung ließ sich das Dekokt durch den seitlich schräg angesetzten Ausguss gut abgießen, wobei das ausgekochte Drogenmaterial im Gefäß verblieb, erst um ein zweites Mal ausgekocht zu werden, ehe nach dem zweiten Abkochungsvorgang die Rückstände dann verworfen wurden.

Im Westen kamen diese irdenen Gefäße allerdings nicht zu verbreitetem Einsatz. Einer der Hauptgründe dafür war sicherlich, dass das bei niedrigen Temperaturen hergestellte Brenngut eher porös und sehr leicht zerbrechlich war. Da eignen sich hierzulande Emailgefäße viel besser, vereinen sie doch die Vorzüge von Keramik und Metallgefäßen in sich: Die der Keramik, was die sehr ähnliche und chemisch inerte Oberfläche, die der Metallgefäße, was die Stabilität und Unzerbrechlichkeit der Gefäße betrifft. Weiters gut geeignet sind Glasgefäße und Nirostatöpfe. Ungeeignet sind dagegen alle Materialien, die mit Inhaltsstoffen von pflanzlichen und tierischen Drogen chemische Reaktionen eingehen können (Kupfer-, Aluminium- oder Eisentöpfe), aber auch manche Mineralien setzen aufgrund der chemischen Spannungsreihe Metallionen aus solchen Gefäßen frei.

Die Wahl des richtigen Gefäßes ist nur eine der Voraussetzungen für die Herstellung wirksamer Dekokte. Nicht minder wichtig ist die genaue Einhaltung der Kochzeiten. Ein Grundprinzip ist dabei die doppelte Abkochung der Kräutermischungen.

Als Pharmazeut und Chemiker lernt man bereits in den ersten Semestern des Studiums das Le-Chatelier’sche Prinzip vom kleinsten Zwang und die Einstellung von Verteilungsgleichgewichten in Lösungen kennen. Ein Extraktionsprozess aus Kräutern läuft genauso ab: Die Extraktion der Inhaltsstoffe durch kochendes Wasser schreitet solange fort, bis sich zwischen Kräutermatrix und Dekoktlösung ein Verteilungsgleichgewicht eingestellt hat, dann kommt er zum Stillstand (genau genommen stellt sich ein dynamisches Gleichgewicht ein, bei dem Stoffe zwar

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hin- und herdiffundieren, eine weitere Anreicherung der Lösung aber nicht mehr stattfindet). Die Entfernung von Extraktionsprodukten aus der Lösung verschiebt nun das Verteilungsgleichgewicht in der Weise, dass die Kräuter annähernd erschöpfend extrahiert werden. Und mit dem Abgießen der ersten Dekoktfraktion und dem Zuführen neuen Lösungsmittels (=Wasser) für den zweiten Auskochvor-gang wird genau dieser Weg beschritten. Ohne Kenntnis des physikalischen Hintergrundes und des erst 1888 definierten Le Chatelier’schen Prinzips, haben die alten chinesischen Kräuterheiler schon seit Jahrhunderten die praktische Umset-zung dieser Theorien vorweggenommen.

Neben dieser zweimaligen Abkochung mit den in gewissen Bandbreiten vorgege-benen Kochzeiten ist die Einhaltung diverser drogenspezifischer Sondervorschriften für die optimale Wirksamkeit von Dekokten ausschlaggebend. Diese Sondervor-schriften sind im Tabellenteil ausführlich wiedergegeben. Aber auch generelle Prin-zipien sind hier zu beachten:

So sind die Kochzeiten von Dekokten zur Behandlung von Akutzuständen, wie zum Beispiel Erkältungskrankheiten, eher kurz zu halten (15-20 Minuten, Zweitabko-chung 10 Minuten), während Dekokte für chronische Erkrankungen oder kräfti-gende Arzneisuppen sehr lange gekocht werden sollen. Der Charakter einer Rezeptur ist für den Apotheker, der im Allgemeinen ja in Traditioneller Chinesischer Medizin nicht ausgebildet ist, kaum erkennbar. Hier ist der Arzt in die Pflicht ge-nommen, die entsprechenden Hinweise auf der Rezeptur anzubringen. Ein eigener kleiner Teil dieses Werkes ist auch der Erstellung eines ärztlichen Rezeptes gewid-met, das alle nötigen Informationen für den Apotheker enthält. Dies soll nicht als „Bevormundung“ unserer Ärzteschaft mit erhobenem Zeigefinger verstanden werden, sondern lediglich als Moderation im fachlichen Dialog zwischen Arzt und Apotheker. Denn dieser Dialog ist für das Wohl des Patienten unerlässlich und auch eine unerschöpfbare Quelle von Fortbildungsinhalten.

Für das Wohl des Patienten unerlässlich ist auch eine ausführliche Information des Patienten bei der Abgabe der Zubereitungen hinsichtlich Einnahmemodus und diverser Sicherheitsaspekte. Zum Einnahmemodus sei auf die Dekoktierungsvor-schrift als Patienteninformation (siehe Seite 23) verwiesen. Sicherheitsaspekte wie Nebenwirkungen und Inkompatibilitäten bzw. Interaktionen können nicht im Rahmen dieses Werkes abgehandelt werden, diverse Fachpublikationen können hier als Informationsquelle dienen (z.B. Bensky’s Materia Medica 3rd Edition und Becker et al: Sicherheitsaspekte in der Chinesischen Arzneitherapie).

Neben den Dekokten gibt es in der Traditionellen Chinesischen Medizin auch eine Menge weiterer Arzneiformen. Es kann nicht Gegenstand dieses Leitfades sein, alle derzeit in der Chinesischen Medizin üblichen Arzneiformen darzustellen. Viele dieser Produkte sind zulassungspflichtige Arzneimittel und dürfen in der EU legal nicht

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gehandelt werden. Um aber für die Anforderungen der täglichen Apothekenpraxis dennoch gerüstet zu sein, sind hier die wichtigsten Grundrezepte für weitere in-nerliche (Honigpillen, Arzneiweine, Tinkturen, etc.) und äußerliche (Salben, Lotionen, Cremes, Gele, Zäpfchen, etc.) Arzneiformen in Grundzügen wiedergegeben. Dabei wird nicht auf einzelne Rezepturen eingegangen, sondern lediglich auf Grundrezep-turen und deren Mengenverhältnisse.

Im deutschen Sprachraum blickt die chinesische Arzneitherapie nun auf eine Ge-schichte von etwas mehr als 25 Jahren zurück. War man anfangs überhaupt froh, auf verschlungenen Wegen die wichtigsten Kräuter irgendwie zu bekommen, sei es aus Asia-Shops, durch Postpakete aus China oder durch erste offizielle Im-porte, so stehen heute chinesische Drogen in ausreichender Menge und oft auch in hervorragender Qualität zur Verfügung. Auch das Angebot an Ausbildungen und guten Lehrern hat sich stark ausgeweitet. So werden nun auch die „Feinheiten“ der chinesischen Arzneitherapie unterrichtet, dass man durch Vorbehandlung mit traditionellen Verfahren die Wirkung der Drogen beeinflussen und dadurch generell die Wirksamkeit der verschriebenen Rezepturen optimieren kann. Bei der Vielfalt an Vorbehandlungsverfahren verbunden mit den hohen Anforderungen bezüglich der Analysen beim Import der Drogen in die EU kann diese Vielfalt in der Nachfrage nicht mehr von den Importeuren allein abgedeckt werden. Hier ist der Apotheker wieder gefordert, die nötigen Vorbehandlungsschritte in der Apotheke an bereits geprüften Drogen durchzuführen. Eine Zusammenstellung der traditionellen Vor-behandlungsverfahren aus dem Arzneibuch der VR China 2005, adaptiert an die Maßstäbe des Apothekenalltags, soll hier die Arbeit erleichtern helfen.

Zwei große Tabellen für die Praxis bilden den Hauptteil dieses Werkes: An erster Stelle sind auf grauem Grund alle Drogen aufgeführt, bei deren Zubereitung Sondervorschriften einzuhalten sind. Dem folgt die Gesamttabelle, die über 500 der gängigsten chinesischen Drogen umfasst (die Auswahl erfolgte in Anlehnung an Bensky’s Materia Medica und an das Arzneibuch der Volksrepublik China 2005). In dieser zweiten, umfassenden Tabelle sind die Sonderfälle mit dem gleichen Grauton markiert.

Hier nun einige Erklärungen zur Benutzung der Tabellen: Die pharmazeutischen Namen sind in der in modernen Pharmakopöen üblichen Schreibweise angegeben (Scutellariae radix anstelle der in vielen Lehrbüchern der TCM noch verwendeten Schreibweise radix Scutellariae). Diese Nomenklatur wird auch schon seit 1989 im Arzneibuch der Chinesischen Medizin konsequent umgesetzt. Gebräuchliche Synonymbegriffe sind in dieser Liste auch eingetragen mit einem Verweis auf die offizinelle Bezeichnung (z.B. Amethystum Fluoritum). Ebenfalls wird auf diese Weise auf eventuelle, in der täglichen Praxis relevante Verwechslungsmöglichkeiten hingewiesen (z.B. Ligustici rhizoma bezieht sich oft auf Chuanxiong rhizoma). Dass hier natürlich viele weitere (oft rein theoretische und mangels Sachkenntnis in

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der Literatur oft überbewertete) Verwechslungsmöglichkeiten bestehen, steht außer Frage. Diese hier einzubeziehen, würde aber den Rahmen diese Werkes sprengen). Aber auch auf stets wiederkehrende offensichtliche Falschbezeichnungen oder „Verwurstungen“ zweier botanisch grundverschiedener Drogen wird hingewiesen (z.B. Adenophorae seu Glehniae radix unzulässige Namensverknüpfung, siehe unter dem jeweiligen Eintrag). Zuletzt wird auch bei Drogen, die unvorbehandelt ein toxisches Potential aufweisen, auf die Notwendigkeit des Einsatzes der vorbehan-delten Droge hingewiesen (z.B. Typhonii rhizoma nur vorbehandelt verwenden!). Dieses Buch ist kein Leitfaden für die Arzneimittelsicherheit in der Chinesischen Medizin (auf entsprechende Werke wird im Literaturteil hingewiesen). Ein fehlender Hinweis auf ein toxisches Drogenpotential berechtigt jedenfalls nicht zur Annahme, dass diese Droge bedenkenlos eingesetzt werden kann.

Unterhalb der Drogenbezeichnungen sind diverse Kürzel angegeben (I,G,T,D usw.), die am Beginn der Tabelle genau erklärt werden. Für die Abkürzung U (= Un-verträglichkeiten mit Rezepturpartnern) ist zur näheren Erläuterung im Anschluss an die Haupttabelle noch eine zweiseitige Übersichtstabelle angeschlossen. Aus dieser kann abgelesen werden, für welche Drogen solche Unverträglichkeiten in der Tradition definiert sind, wobei obsolete Drogen nicht in die Tabelle mit aufgenommen wurden (Lithargyrum etc.). Diese Unvereinbarkeiten leiten sich aus der 18-Gegenregel (shíbä fân) und 19-Furchtregel (shíjiû wèi) ab. Sie sind nicht als absolutes Verbot der Kombination zu verstehen, es gibt sehr wohl auch klassische Rezepturen, wo gegen diese Vorschriften verstoßen wird (z.B. Sargassum + Glycyrrhizae radix). Dennoch sollte bei Auftreten solch einer Kombination auf einem Rezept der Verschreiber kontaktiert werden. Andererseits sollte der Verschreiber bei wissentlicher Kombination zweier unverträglicher Arzneien dies durch ein ! kenntlich machen, um sich einen Rückruf zu ersparen. Inkompatibilitäten mit westlichen Arzneimitteln sind hier generell nicht berücksichtigt, hierfür sei auf die entsprechende Fachliteratur verwiesen (Becker et al.).

In der zweiten Spalte sind dann die Pinyin-Begriffe aufgeführt, wobei hier be-sonderer Augenmerk auch auf die richtigen Töne bei der Aussprache gelegt wurde. Der Sinologe mag hier eine Inkorrektheit in der Schreibweise der Pinyin-Namen feststellen, sollten doch zusammengehörige Begriffe auch zusammen geschrieben werden (dângshën anstelle von dâng shën). In Lehrbüchern der Traditionellen Chinesischen Arzneitherapie hat sich diese getrennte Schreib-weise inzwischen eingebürgert, die meisten Ärzte verwenden die Namen so und auch viele Praxisprogramme haben diese Pinyin-Begriffe in die einzelnen Silben getrennt eingegeben. So sind die Namen auch hier in der Schreibweise wieder-gegeben, die die höchste Praxisrelevanz besitzt.

In der dritten Spalte sind die Dosierungsangaben des Chinesischen Arzneibuchs (Ausgabe 2005) für solche Drogen angegeben, die nicht in der Chinesischen

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Pharmakopöe enthalten sind. Hier werden Dosierungsangaben aus der Fachlitera-tur verwendet. Die Angaben beziehen sich auf die Tagesdosis des jeweiligen Mittels. Die Dosierungen des Chinesischen Arzneibuches sind zur Gewährleistung eines Mindestmaßes an Arzneimittelsicherheit eher niedrig angesetzt, viele chinesische Ärzte gehen gerne über diese Dosierungen hinaus. Andererseits hat sich auch in der langjährigen Anwendung der chinesischen Arzneitherapie in Europa gezeigt, dass Europäer im allgemeinen viel empfindlicher auf chinesische Arzneidrogen reagieren als Chinesen. Dies liegt möglicherweise in einer fehlenden Gewöhnung von uns Europäern an diese Drogen begründet. Chinesen nehmen diese ja von frühester Kindheit ein und könnten dagegen eine Art Resistenz entwickelt haben. Überschreitungen der Arzneibuchdosen sind daher kaum notwendig und bei toxischen Drogen sogar unzulässig. Eine Dosierungsangabe auf einem Rezept, die die maximale Tagesdosis überschreitet, sollte jedenfalls mit dem Verschreiber telefonisch abgeklärt werden.

In den weiteren Spalten sind nun die allgemeinen Parameter für die Dekoktierung und die speziellen, monographienbezogenen Sondervorschriften für die einzelnen Kräuter erfasst. Die Vorschriften selbst werden in der Dekoktierungsvorschrift genau beschrieben: Vorab kochen, nachträglich zusetzen, separat abkochen, im fertigen Dekokt schmelzen oder lösen, Direkteinnahme und weitere Sondervorschriften wie z.B. vor der Dekoktierung zerstoßen. Die Kochzeiten basieren auf dem traditionel-len Verständnis der Dekoktierung, dass sich das Qi der Drogen über eine bestimmte Kochzeit hinweg langsam aufbauen und entfalten muss. Neuzeitliche Dekoktierungsverfahren, wie z.B. das einmalige Abkochen in Aludrucktöpfen gilt hier jedenfalls nicht als Methode der Wahl. Die Kochzeitangaben beinhalten die Wässerungszeit vor dem Abkochen, dabei sollen die Drogen möglichst in schon lauwarmen Wasser angesetzt werden, sowie die eigentlichen Kochzeiten. Diese sind in Bandbreiten wiedergegeben. Rezepturen für akute Zustände wie Erkältungs-krankheiten sind kürzer abzukochen, solche für chronische Krankheiten und auf-bauende Rezepturen werden hingegen lange gekocht. Einzelne Mittel wie z.B. Ginseng radix sollten sehr lange gekocht werden (über 2 Stunden). Diese Kochzeiten sind dann auch drogenspezifisch in der entsprechenden Zeile angegeben. Um jene Mittel deutlich zu kennzeichnen, für die von der allgemeinen Arbeitsvorschrift abwei-chende Anforderungen zu erfüllen sind, ist die jeweilige Zeile grau unterlegt.

Die Angaben zum nachträglichen Zusatz in d Dekokt (as hòu xià; Spalte: nachher) sind nicht als generell bindend anzusehen sondern lediglich als allgemeiner Hin-weis. Die entsprechende Angabe in der Tabelle ergibt sich aus der traditionell überlieferten Forderung, Blüten und Blätter mit aromatischen, leicht flüchtigen Inhaltsstoffen nicht zu lange abzukochen. Der nachträgliche Zusatz oder das Mitkochen des betreffenden Bestandteils von Anbeginn ist jedenfalls auch ein Mittel zur Wirkungssteuerung einer Rezeptur. Schon im Wënbìng tiáobiàn (Sys-

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tematische Differenzierung der Wärme-Erkrankungen aus dem Jahre 1798) wird bei der Beschreibung von Pulvis Lonicerae et Forsythiae (yínqiàosân) darauf hingewiesen, dass nach 3-5maligem Aufwallen die aromatischen Wirkstoffe am kräftigsten zur Entfaltung gelangen und die Zubereitung am besten gegen Wind-Kälte an der Oberfläche (z.B. im Anfangsstadium einer Sommergrippe) wirkt. Lässt man die Mischung dagegen länger kochen, so treten die Hitze kühlenden und ent-giftenden Eigenschaften bei innerer Hitze in den Vordergrund, und die Mischung wirkt besser gegen innere Hitze, Schwellungen und Geschwüre. Aus dem Gesagten wird klar, dass hier der Verschreiber gefordert ist, genaue Angaben zur Kochzeit zu machen, da der Apotheker hier ja keine Entscheidung treffen kann. Auch werden in China diese Vorschriften nicht mehr einheitlich gehandhabt. Dennoch scheint es den Autoren zwecks Wirksamkeitsoptimierung der Dekokte wichtig, die traditionelle Zubereitungsweise ohne Abschläge wiederzugeben.

Nicht zuletzt wird in diesem Arbeitsbehelf auch dem Artenschutz breiter Raum beigemessen: Neben einer Einleitung sind alle chinesischen Drogen in einer eigenen Tabelle zusammengefasst, die derzeit von Einfuhrbeschränkungen nach dem Arten-schutzgesetz betroffen sind.

Die chinesischen und deutschen Drogenbezeichungen inklusiver allfälliger Syn-onyme können in zwei Referenztabellen im Anhang nachgeschlagen werden. Dabei wurden zum einen von alters her bekannte Trivialbezeichnungen übernommen, zum anderen mussten auch kreative „Neuschöpfungen“ von Händlern übernommen werden, die – ausgehend vom chinesischen Namen – ihrer poetischen Freiheit frönten (Saposhnikoviae radix – fáng fëng – : Windschutzwurzel oder Anemarrhenae rhizoma – zhï mû – : Muttergedenken). Diese Liste sollte aus diesem Grunde auch nicht als Referenzwerk für die wissenschaftliche Zitation verwendet werden sondern lediglich als Nachschlagewerk für die tägliche Praxis.

1 Einleitung 15

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Arbeitsvorschriften

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2 Anleitung zur Dekoktbereitung von Rezepturen der Traditionellen Chinesischen Medizin

Eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Wirksamkeit der Arzneimittel ist die fachgerechte Zubereitung der Dekokte.

Gefäße: Am besten geeignet für die Zubereitung chinesischer Kräuterdekokte sind tönerne oder sonstige keramische Gefäße, die mit einem Deckel abgedeckt werden können (so genannter shä guö), ferner gut geeignet sind auch jede Art von emaillier-ten Gefäßen. Metalltöpfe, insbesondere Gefäße aus niederen Metallen sollten wegen deren Eigenschaft, mit Inhaltsstoffen diverser Drogen chemische Reaktionen einzu gehen, nicht verwendet werden (zur Verwendung von Druckkochtöpfen siehe weiter unten).

Wasser: Für die Dekoktierung wird ausschließlich Wasser verwendet; dieses sollte rein und che misch unbelastet (keine hohe Nitratbelastung, kein hoher Kalk gehalt etc.) sein; sauberes Leitungswasser, Quellwasser, Mineralwässer und auch destil-liertes Wasser sind dazu be stens geeignet. Die Menge des verwendeten Was sers richtet sich nach der verordneten Drogenmenge, als Faustregel kann man sich ein prägen, dass die Drogen im Dekoktie rungsgefäß etwa 2 cm hoch von Wasser be deckt sein sollten (das Wasser muss 2-3 cm über den Drogen stehen).

Wärmezufuhr: Bei der Wärmezufuhr unterscheidet man scharfes Feuer (wû hûo1) und schwaches Feuer (wén hûo 2); er steres stellt schnelles Abkochen bei hoher Tempe ratur und heftigem Aufkochen dar, während letzteres für längeres Dünsten auf kleiner Flamme steht. Das scharfe Feuer fördert die Verteilung der Flüssigkeit im Dro genkörper, während das schwache Feuer für die Extraktion der Wirkessenz sorgt. Als allgemeine Regel sollte dienen: Die Abkochung wird zuerst bei großer Hitze ein geleitet, nach dem ersten heftigen Aufwallen ist dann die Temperatur zu rückzu-schalten und die Dekoktierung bei geringer Wärmezufuhr langsam fortzusetzen und zu beenden.

2.1 DekoktierungsmethodeVor der Abkochung werden die den Vorschriften der jeweiligen Monographie ent-sprechend zerklei nerten Arzneidrogen (Totodrogen sind für die Dekoktbereitung nicht geeignet!) in das Abkochungsgefäß gegeben und mit soviel Wasser ver setzt, dass die Drogen im Gefäß etwa 2 cm von Wasser bedeckt sind. Nun lässt man das Gefäß mindestens 60 Minuten (ideal: 90 Minuten) zugedeckt stehen. Dies dient 1 wû huô = kriegerisches Feuer.2 wén hûo = gebildetes Feuer.

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der Durchfeuchtung der Dro gen und führt bei der anschließenden Dekoktierung zu besseren Extraktions aus beuten. Nun kocht man das Gemisch auf, nach dem ersten heftigen Aufwallen schaltet man auf kleine Flamme zu rück, und hält das Gemisch 20-30 Minuten be deckt am schwachen Sieden. In diesem Stadium sollte der Deckel nicht zu oft abge nommen werden, um dem Entweichen flüch tiger Inhaltsstoffe vorzubeugen.

Mittel, die die Oberfläche öffnen, küh lende Mittel und sonstige Mittel mit aro-matischen, leicht flüchtigen Inhaltsstoffen sol lten nur kurz auf großer Flamme abgekocht werden, längeres Sieden würde zur Min derung oder zum Verlust der Wirksamkeit, in manchen Fällen sogar zu einer Wir kungsumkehr führen. In kom-plexen Verschreibungen sind diese Mittel erst während der letzten 10 Minuten bei der 2. Abkochung zuzusetzen (siehe Sondervorschriften). Andererseits ist bei dras-tisch wirksamen Mitteln (z.B. Aconiti radix lateralis prae parata) längeres Sieden auf kleiner Flamme von Vorteil, da dadurch mögliche uner wünschte Nebenwirkungen vermieden werden. Einzelne Drogen erfordern zwecks Wirkungsoptimierung indivi-duell angepasste Kochzeiten, diese sind der Hauptliste zu entnehmen und unbe-dingt zu beachten.

Drogengemische werden zwecks erschöpfender Extraktion im allgemeinen zweimal aus gekocht; nach der ersten Dekoktierung wird die Flüssigkeit durch einen groben Filter (Mull, grobes Tuch; die Filtration kann bei Bedarf auch mehrmals durchgeführt werden) abgegossen, die im Filter verbliebenen Drogenrückstände wer den in den Topf zurückgegeben, ein zweites Mal mit einer geringeren Wassermenge versetzt (bei zweiten Ansatz genügt es, wenn die Kräuter gerade mit Wasser bedeckt sind) und analog der oben beschriebenen Anleitung abgekocht. Bei der ersten Dekoktie-rung am Gefäßboden angelegte Drogen sind zu verwerfen; diese dürfen kein zweites Mal abgekocht werden.

Von der Verwendung von Druckkochtöpfen ist abzuraten, da beim beschleunig-ten Kochvorgang unter erhöhtem Druck keine ausreichende Extraktion der Drogen gewährleistet ist. Parallelversuche haben ergeben, dass die unter Einhaltung des traditionellen Verfahrens hergestellten Dekokte bessere Wirksamkeit zeigen, als im Druckkochtopf hergestellte Zubereitungen.

2.2 Sondervorschriften2.2.1 Vorabkochung (xiän jiän): Da bei Muscheldrogen und Mineralien (z.B. Gypsum fibrosum, Haliotidis concha) die aktiven Prinzipien nur schwer löslich sind, wer den diese Drogen erst 30-40 Minuten allein abgekocht, ehe die anderen Drogen der Rezeptur zugesetzt werden. Bei Drogen, die bei gerin gem Gewicht sehr voluminös sind, ist es ratsam, diese erst alleine abzukochen, das Dekokt grob zu filtrieren und das gewonnene Filtrat anstelle des Wassers einzuset zen, mit dem die

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übrigen Drogen abgekocht werden (z.B. bei Junci medulla, Tetrapana cis medulla, Stachyuri medulla, Bambusae caulis in taeniam, Phragmitidis rhizoma, Prunellae spica). Diese traditionelle Methode kann dadurch umgangen werden, dass man diese voluminösen Drogen zuerst in das Dekoktierungsge fäß einbringt, und sie mit den anderen Rezepturpartnern beschwert.

2.2.2 Späterer Zusatz (hòu xià): Aromatische Drogen, deren Wirkung auf flüchtigen In haltsstoffen beruht, dürfen nicht lange abgekocht werden, eine Ab kochungs zeit von ca. 5 Minuten darf in diesen Fällen nicht überschritten werden. In kom plexen Ver schreibungen werden diese Drogen erst zu einem Zeitpunkt zuge setzt, zu dem die übrigen Rezepturpartner bereits fast fertig abgekocht sind, anschließend wird das Dekokt noch 5-10 Minuten bedeckt (!) am Köcheln gehalten (z.B. Menthae herba, Lonicerae flos, Aucklandiae radix, Amomi fructus rotundus).

2.2.3 Umhüllungsabkochung (bäo jiän): Bei einzelnen Drogen ist es zur Ver-meidung unerwünschter Reizungserscheinungen des Verdauungstraktes durch feine Drogenpartikel (z.B. bei Inulae flos) oder auch nur zur Erzielung einer klaren Lösung (z.B. Typhae pollen, Lygodii spora) notwendig, diese in einer Umhül lung abzukochen. Zu diesem Zweck wird die Droge in ein Stück dünnes Tuch einge-packt und gut verschnürt, ehe sie in das Dekoktierungsgefäß zu den an deren Dro-gen gegeben und mit diesen gemeinsam abgekocht wird.

2.2.4 Separatabkochung (lìng jiän, lìng dün): Bei besonders teuren Drogen (z.B. Gin seng radix, Panacis quinquefolii radix, Cervi cornu parvum) ist es zur Opti mierung der Ausbeute und zur Vermeidung von Absorptionsverlusten an Dro genresten ande-rer Verschreibungspartner ratsam, diese separat länger abzu kochen. Das so gewon-nene Dekokt wird später der Abkochung der übrigen Re zepturpartner zugesetzt.

2.2.5 Schmelzen/Lösen (róng huà): Harzige Drogen (z.B. Olibanum, Myrrha), gelatineartige Drogen (z.B. Asini colla Corii, Cervi cornu colla) oder Drogen, die gut wasser löslich sind (Honig), wer den erst durch Erwärmung geschmolzen oder in Was ser angelöst, ehe sie dem be reits fertig bereiteten und filtrierten Dekokt zuge-setzt werden. Damit wird einem Verkleben der Drogenmasse und der Gefahr des sehr leichten Anbrennens des Drogenkuchens während der Dekoktierung vorge-beugt.

2.2.6 Direkteinnahme (chöng fú): Einzelne Drogen, die aus verschiedenen Gründen nicht abgekocht werden sollten (Drogen mit empfindlichen Inhaltsstoffen oder besonders teure Drogen wie z.B. Fritilla riae cirrhosae bulbus, Notoginseng radix), werden vor der Einnahme zu einem Pulver verrieben und mit kochen dem Wasser oder im Falle ihres Einsatzes im Rahmen einer komplexen Rezeptur, mit dem hei ßen, bereits filtrierten Dekokt der übrigen Verschrei bungs partner der kom-plexen Rezeptur aufgegossen. Nach kurzem Stehen zur Durchfeuch tung des

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Drogen pulvers wird das Gemisch aufge rührt und mitsamt der zum Pulver verriebe-nen Droge eingenommen.

In den jeweiligen Monographien wird auf die Sondervorschriften hingewiesen, die bei der Dekoktierung einzuhalten sind. Dennoch sollte dies in jedem Fall auch vom ver ordnenden Arzt auf dem Rezept vermerkt werden; dies dient zur Sicherstellung der Wirksamkeit der Rezepturen.

Auch vom verordnenden Arzt abweichende Kochzeiten, die auf dem Rezept vermerkt sein können, sind unbedingt einzuhalten; oder durch telefonische Rücksprache mit selbigem zu klären.

An dieser Stelle sei auf den Sonderfall Rhei radix et rhizoma (dà huáng) hingewie-sen. In der einschlägigen Literatur wird für diese Droge, so sie als Laxans eingesetzt wird, immer eine Kochzeit von 1-3 Minuten angegeben (für optimale Wirk samkeit wird zudem Separatabkochung empfohlen, siehe oben). Im Gegensatz zu anderen Drogen, die durch eine zu lange Kochzeit einfach ihre Wirkung verlieren (Aromatika, Oberfläche öffnende Mittel etc.), kann die Wirkung von Rhei radix et rhizoma sogar in ihr Gegenteil umschlagen, und das Mittel stoppt mild Durchfall. Dieser Effekt tritt aber erst nach langer Kochzeit der Droge auf.

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