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MATERIALIEN ZUM GEMEINDEBAU EIN SERVICE DER WERKSTATT FÜR GEMEINDEAUFBAU Peter Blöcher Das Vorgehen Jesu bei der Schulung seiner Jünger gemäß des Markusevangeliums

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MATERIALIEN ZUM GEMEINDEBAU E I N S E R V I C E D E R W E R K S T A T T F Ü R G E M E I N D E A U F B A U

Peter Blöcher

Das Vorgehen Jesu bei der Schulung seiner Jünger gemäß des Markusevangeliums

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3

1 EINLEITUNG 3

2 "Einleitungsfragen" zu Markus 4

1.1 Wer schrieb das Markus-Evangelium? 4

1.2 Ist das Markus-Evangelium als chronologischer Bericht zu verstehen? 7

1.3 Ist der Markus-Schluss echt? 7

1.4 Wann und wo wurde das Markus-Evangelium niedergeschrieben

und wer waren die Leser? 8

1.5 Welche Intention hatte Markus bei der Verfassung seines Evangeliums?

11

3 Wie Jesus lehrte – Beobachtungen anhand des

Markusevangeliums 12

1.6 Entdecken statt Erzählen 12

1.7 Fragen statt Antworten 14

1.8 wiederholen – wiederholen - wiederholen 16

1.9 Lernen und umsetzen 17

1.10 Die Kraft der Gruppe nutzen 18

4 Schlussfolgerungen für unsere Lehrpraxis heute 18

5 Bibliographie 20

Anhang 21

Lesenachweis

4

1 Einleitung

Vorliegende Arbeit konzentriert sich auf die Art und Weise, wie Jesus nach der

Überlieferung des Markus seine Jünger lehrte.

Dazu ist zunächst der Nachweis zu erbringen, dass Markus in seinem Bericht

weniger chronologisch als vielmehr thematisch arbeitete. Nachdem dieser Nachweis

erbracht worden ist, werde ich in vier Punkten aufzeigen, dass Markus ein sehr

umfassendes und ausgefeiltes Konzept hatte, darzulegen, wie Jesus seine Jünger

schulte.

Den Schluss soll dann ein kurzer Ausblick bilden, was dies für unsere Lehrpraxis

heute bedeuten könnte.

Ich gehe bei meinen Untersuchungen vom "ganzen" Markus-Evangelium

einschließlich der umstrittenen letzten Verse aus. Die vorliegende Arbeit zeigt dabei,

dass in das Lehr-Konzept, wie Markus es uns vorstellt, der Markus-Schluss

unbedingt hineingehört. Von daher muss auch die Frage nach der Echtheit des

Schlusses wenigstens kurz gestellt und beantwortet werden.

2 "Einleitungsfragen" zu Markus

Ehe wir uns der eigentlichen Thematik zuwenden, müssen einige Fragen zum

Markus-Evangelium als solchem geklärt werden, da sie wesentliche Voraussetzung

für die im Folgenden vorgestellten Beobachtungen sind.1

1.1 Wer schrieb das Markus-Evangelium?

Im Text des Evangeliums selbst findet sich kein namentlicher Hinweis auf den Autor.

Bei Justin jedoch wird das Evangelium ausdrücklich als "Petruserinnerungen"

bezeichnet.2

Grundlegend für alle weiteren Fragen nach der Autorschaft ist ein Hinweis

aus der historia ecclesiastica des Eusebius, der in diesem Werk um 325 n.Chr.

1 Die umfangreiche Diskussion um den Schluss des Evangeliums muss ich, wie gesagt, an

dieser Stelle recht knapp halten. 2 Rudolf Pesch, Das Markusevangelium. 1.Teil. Einleitung und Kommentar zu Kap 1,1-8,26.

Herders Theologischer Kommentar zum Neuen Testament. Begr. von Alfred Wikenhauser, hrsg. von Joachim Gnilka und Lorenz Oberliner. Die Evangelien. Sonderausgabe. Freiburg/ Basel/ Wien (Herder), 2000. Seite 4.

5

Papias von Hierapolis in Phrygien zitiert, der (geboren ca. 70 n.Chr.) dort bis gegen

130 n.Chr. Bischof war.3 Papias schrieb demnach gegen Ende seines Lebens ein

Buch, Logiwn kuriawn exhyhsews suggramata pente4. Nach dem Bericht des Eusebius

berichtete Papias, der dies von einem "Presbyter Johannes" selbst gehört haben

will5, dass Markus zwar kein Augenzeuge der Geschehnisse war, das Evangelium

aber nach den Berichten und Predigten des Petrus als dessen e,rmhneutej

niederschrieb.6

In der Übersetzung Haenchens liest sich dieser Text folgendermaßen:

"Und dieses hat der Presbyter gesagt: Markus, Dolmetscher des Petrus

geworden, schrieb sorgfältig nieder, soweit er sich erinnerte, nicht jedoch in

der ordentlichen Reihenfolge, was der Herr gesagt oder getan hatte (ou metoi

taxei ta upo tou kuriou h lecqenta h pracqenta). Denn er hatte den Herrn weder

gehört noch war er ihm nachgefolgt, später aber, wie ich sagte, dem Petrus,

der seine Lehren je nach Bedarf gestaltete, aber nicht, als wollte er die

Jesusgeschichten (touj kuriakouj logouj) (richtig) zusammenstellen. Darum

hat sich Markus nicht verfehlt (ouden hmarten Markoj), als er einiges so

schrieb, wie er sich erinnerte. Denn ihm lag nur an einem: nichts von dem

auszulassen, was er gehört hatte, oder etwas darin falsch darzustellen."7

Einen weiteren Zeugen dieser indirekten Petrus-Autorschaft finden wir bei

Irenäus in seinem Werk adversus haereses (wieder in der Übersetzung Haenchens):

"Matthäus verfasste sein Evangelium bei den Hebräern in hebräischer

Sprache, als Petrus und Paulus in Rom das Evangelium verkündeten und die

Gemeinde gründeten. Nach deren Tod schrieb Markus, der Schüler und

Dolmetscher des Petrus, dessen Predigten für uns auf.8 Ähnlich hat Lukas,

der Begleiter des Paulus, das von diesem verkündete Evangelium in einem

Buch niedergelegt. Zuletzt gab Johannes, der Schüler des Herrn, der an

3 Siehe Carson, D.A./ Moo, Douglas J./ Morris, Leon. An Introduction to the New Testament.

Leicester (Apollos), 1992. Seite 92. Auch H. Günther, Markus/ Evangelium. in: Das Große Bibellexikon. Hrsg. von Helmut Burkardt u.a. Bd. 4. 1. Taschenbuchauflage, Wuppertal/ Giessen (R.Brockhaus Verlag + Brunnen Verlag), 1996. Seite 1446-1450. Seite 1448. Auch Erich Mauerhofer, Einleitung in die Schriften des Neuen Testamentes. Bd. 1, Neuhausen, 1997. Seite 98. Dort auch das gesamte Zitat in Griechisch.

4 "Fünf Bücher der Auslegung der Herrenworte", siehe Haenchen, Ernst. Der Weg Jesu. eine

Erklärung des Markus-Evangeliums und der kanonischen Parallelen.Sammlung Töpelmann, Zweite Reihe, Bd. 6. Berin (Alfred Töpelmann), 1966. Seite 4.

5 Pesch, Seite 5.

6 Zu übersetzen mit "Übersetzer". Guthrie, Seite 83. Siehe auch Pesch, Seite 7.

7 Zitat und Übersetzung nach Haenchen, Seite 7.

8 Text in Griechisch bei Mauerhofer, Seite 99.

6

dessen Brust ruhte, das Evangelium heraus, als er zu Ephesus in Kleinasien

weilte."9

Auch wenn hinter den beiden zitierten Quellen die Absicht stecken mag, zum

einen die fehlende Chronologie des Evangeliums (s.u.), zum anderen die Autorität

der Apostel hinter den Evangelien (bei Lukas entsprechend Paulus, während

Matthäus und Johannes selbst Apostel waren), sind die Aussagen deswegen nicht

unglaubwürdig und durchaus ernst zu nehmen.

Wer nun dieser genannte Markus war, ist im Letzten sicherlich nicht zu

klären, doch liegt der Schluss nahe, den aus der Apostelgeschichte bekannten

Johannes-Markus hinter dem Autoren des Evangeliums zu sehen, wird dieser doch

zum einen als Markus bezeichnet10 und weiter kein anderer Markus (erkennbar) im

Neuen Testament mit dieser Selbstverständlichkeit genannt.

Mit diesen Ausführungen (bezüglich der Berichte des Petrus hinter dem

Evangelium des Markus) deckt sich die Beobachtung Rieneckers am Text selbst, der

feststellt, dass im Markus-Evangelium Petrus zum einen regelrecht im Mittelpunkt

steht und andererseits auf eine auffällige Weise "geschont" wird, indem für ihn

besonders peinliche Szenen entschärft werden.11 Diese Betonung des Petrus stellt

auch Josef Ernst fest.12

Wir können also davon ausgehen, auch wenn sich dies nicht mit letzter

Gewissheit sagen lässt, dass das Markus-Evangelium im Wesentlichen auf die

Berichte des Petrus zurückgeht, eigentlich aber von Johannes-Markus verfasst

wurde.

9 Übersetzung nach Haenchen, Seite 11. In deutscher Übersetzung auch bei Hengel, Martin.

Entstehungszeit und Situation des Markusevangeliums. in: Markus-Philologie. Historische, literargeschichtliche und stilistische Untersuchungen zum zweiten Evangelium. Hrsg. von Hubert Cancik. Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. Begr. von Joachim Jeremias und Otto Michel, hrsg. von Martin Hengel und Otfried Hofius. Bd. 33. Tübingen (J.C.B. Mohr – Paul Siebeck -), 1984. Seite 1-45. Seite 3.

10 Siehe Apg 12,12 + 15,37 und Kol 4,10.

11 Rienecker, Seite 16.

12 Ernst, Seite 20.

7

1.2 Ist das Markus-Evangelium als chronologischer Bericht zu verstehen?

Meine Beobachtungen über die Lehrpraxis Jesu nach dem Markusevangelium

setzen, wie bereits gesagt, voraus, dass Markus keinen chronologischen Bericht der

Ereignisse niederschrieb.

Nach der oben zitierten Kirchengeschichte des Eusebius betonte schon

Papias, dass Markus nicht chronologisch13 aber besonders genau über die

Ereignisse berichtete.14 Carson et al. sind dabei der Meinung, dass Papias wohl am

ehesten die Intention hatte, den Vorwurf, der Bericht des Markus sei nicht

glaubwürdig weil nicht chronologisch, durch die Betonung der Genauigkeit des

Geschilderten zu widerlegen.15

Für unser weiteres Vorgehen ist jedoch wichtig, dass wir hier eine sehr frühe

und wohl recht glaubwürdige Aussage haben, die die im Folgenden vorgestellten

Beobachtungen unterstützt, dass nämlich Markus jenseits der Chronologie eine

andere Absicht mit der Komposition seines Textmaterials verfolgte.

1.3 Ist der Markus-Schluss echt?

Wie wir im Folgenden noch sehen werden, wird es entscheidend für die weiter unten

entwickelten Gedanken sein, dass der Markus-Schluss "echt" in dem Sinne ist, dass

er, wenn auch evtl. später zugefügt, doch aus derselben Hand und demselben

Gedankengang stammt und nicht eine spätere Ergänzung aus dem 2.Jhd. n.Chr.

ist.16

Zunächst der Befund.

Der Codex Sinaiticus sowie der Codex Vaticanus sowie weitere recht alte

Texte17 schließen mit Mk 16,8. Ein "mittellanger" Schluss, der von den Versen 9-20

aber gänzlich abweicht, ist allein in lateinischer Sprache und einer einzigen Quelle

überliefert. Verschiedene andere Texte überliefern diesen "mittellangen" Schluss plus

den Schluss der Verse 9-20.

13 "ou. mentoi taxei" zitiert Guthrie Eusebius. Guthrie, Seite 83.

14 s.o. und Carson, Seite 92.

15 Carson, Seite 93.

16 Siehe hierzu z.B. Dieter, Lührmann, Das Markusevangelium. Handbuch zum Neuen

Testament. Begr. von Hans Lietzmann, hrsg. von Andreas Lindemann. Bd. 3. Tübingen (J.C.B. Mohr – Paul Siebeck -), 3.Aufl., 1987. Seite 268.

17 Eine genaue Auflistung der Quellen bei Mauerhofer, Seite 130. An dieser Stelle soll die

summarische Behandlung genügen.

8

Und dann gibt es den Schluss, wie er in den gängigen Übersetzungen

vorliegt und wie wir ihn in den Codices Alexandrinus, Ephraemi Rescriptus, Bezae,

Claromontanus, verschiedenen Unzialen und Minuskeln vorfinden. Diese Texte

umfassen zwar die Mehrheit der Quellen, sind aber allesamt frühestens aus dem

5.Jhd.

Im Wesentlichen haben wir, was den Schluss des Markus-Evangeliums

angeht, zwei extreme Positionen. Die eine vertritt, wie gesagt, dass der Schluss

deutlich später und somit nicht von Markus angefügt wurde18, die andere betont die

Einheit und Autorschaft des Markus für das ganze Evangelium.19

Rienecker sieht sehr wohl, dass z.B. schon Eusebius sehr wohl wusste, dass

dieser Schluss nicht in allen Handschriften zu finden war20, geht aber davon aus,

dass Markus selbst diesen Schluss zwar später, eventuell sogar nach längerer

Pause, aber eigenhändig anfügte.21 Somit wäre der Schluss zum einen nicht wirklich

mit dem Text verbunden, was erklären würde, warum z.B. Maria Magdalena neu

eingeführt wird und warum hier Vokabeln auftauchen, die man im übrigen (und somit

älteren) Evangelium vergeblich sucht, warum aber auf der anderen Seite der Schluss

sehr wohl dem Ende des Matthäus-Evangeliums entspricht22 und warum wir hiermit

ein Ende vorliegen haben, das dem Evangelium als Ganzem eher entspricht als ein

so abrupter Schluss, wie ihn Vers 9 darstellen würde.

Dieser Position schließe ich mich an, wenn ich im Folgenden das

Markusevangelium als Ganzes bis einschl. 16,20 untersuche.

1.4 Wann und wo wurde das Markus-Evangelium niedergeschrieben und wer waren die Leser?

Die Datierung der Niederschrift des Markus-Evangeliums ist nicht unumstritten.

Es gibt zum einen die Datierung in die 50er Jahre, die im Wesentlichen

darauf fußt, dass Petrus vermutlich Mitte der 50er Jahre in Rom war, wo Markus die

18 Dies meint z.B. auch Guthrie, der ansonsten streng "bibeltreu" argumentiert. Er vermutet,

dass Markus eine Fortsetzung evtl. in Form der Apostelgeschichte geplant hatte und der jetzt vorliegende Schluss aus dem 2.Jhd. stammt. Guthrie, Seite 92f. Als nicht original schätzt auch Carson et al. den Schluss ein. Carson, Seite 103.

19 So z.B. Pesch, Seite 38.

20 Rienecker, Seite 26.

21 Rienecker, Seite 27.

22 Siehe Rienecker, Seite 29.

9

Predigten hauptsächlich hörte23 (s.o.). Einen Hinweis hierzu finden wir in 1.Pet 5,13,

wo Markus ausdrücklich als Begleiter des Petrus erwähnt wird. Ob das dort genannte

"Babylon" tatsächlich eine Umschreibung für Rom ist, ist nicht ganz unumstritten.24

Unterstützt wird diese Ansicht durch die Forschungsergebnisse des Papyrologen

Carsten Peter Thiede, der den Papyrus p52, einen Fund aus Qumran, als Fragment

des Markus-Evangeliums datiert und damit auf eine Abschriftzeit zwischen 50 und

spätestens 68 n.Chr. kommt.25 Dass damit der originale Bericht, zumal eindeutig

nicht in Palästina verfasst, nochmals Jahre davor geschrieben worden sein muss,

verschiebt die Datierung noch weiter nach vorne.

Wenn man zudem davon ausgeht, dass Markus sein Evangelium vor Lukas

schrieb, der die Apostelgeschichte als zweiten Teil seines Werkes vor 64 n.Chr.

geschrieben haben muss, da der offene Schluss nichts vom Tod des Paulus (und

Petrus), der meist in die Zeit der Christenverfolgung unter Nero 64 n.Chr. datiert wird,

weiß, so bleibt als spätestes Datum das Ende der 50er Jahre.

Eine Alternative wäre die Datierung des Evangeliums nach dem Tod des

Petrus und somit eher gegen Ende der 60er Jahre.26 Diese Datierung geht nach

Hengel auf die genannte Notiz des Irenäus in adversus haereses 3,1,1 zurück (s.o.)

Dass bibelkritische Autoren die Prophetie der Tempelzerstörung

selbstverständlich nicht als echte Prophetie hinnehmen können und daher eine

Abfassungszeit nach 70 n.Chr. annehmen müssen, muss kaum erwähnt werden.27

Erwähnt werden sollte noch die These von Günther Zuntz, das Evangelium

sei schon im Jahre 40 n.Chr. geschrieben worden. Zuntz gründet seine These im

Wesentlichen auf eine redaktionelle Randnotiz in einer Handschrift und auf die

Auslegung, Mk 13,14 sei als verschlüsselter Hinweis auf Caligulas Absicht zu

23 Carson, Seite 97.

24 Für Rom plädiert Günther, Seite 1449.

25 Carsten Peter Thiede, Die älteste Evangelien-Handschrift? Das Markus-Fragment von

Qumran und die Anfänge der schriftlichen Überlieferung des Neuen Testaments. Wuppertal, 1986. Seite 47.

26 Carson, Seite 98.

27 Siehe Collins, Achla Yarbro. Markusevangelium. in: Die Religion in Geschichte und

Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft. 4., völlig neu bearbeitete Auflage. Hrsg. von Hans dieter Betz u.a. Bd. 5. Tübingen (J.C.B. Mohr/ Paul Siebeck), 2002. Seite 842-846. Seite 842. So auch Markus, Markusevangelium. in: Lexikon für Theologie und Kirche. Begr. von Michael Buchberger. 3., völlig neu bearbeitete Auflage. Hrsg. von Walter Kasper u.a. Bd. 6. Freiburg/ Basel/ Wien (Herder), 1997. Seite 1395-1404. Seite 1402. Auch Pesch, Seite 14.

10

verstehen, ein Bildnis von sich selbst im Tempel in Jerusalem aufzustellen.28 Beide

Argumente überzeugen wenig.

Ich persönlich schließe mich der Datierung vor 64 n.Chr. an. Den Hinweis

des Irenäus kann ich nicht verifizieren oder falsifizieren.

Wenden wir uns dem Abfassungsort zu.

Ein altes Vorwort aus dem 2.Jhd. benennt "partibus Italiae"29 als

Abfassungsort. Neben Papias30 waren auch verschiedene andere Kirchenväter

dieser Meinung.31 Zudem sprechen auffällig häufige Latinismen für eine Abfassung in

lateinisch-sprachigem Umfeld.32 Clemens von Alexandrien, wieder von Eusebius

überliefert, erwähnt, dass Markus die Niederschrift in Rom angefertigt habe.33 Andere

Quellen sprechen allerdings von Ägypten als Entstehungsort, was wohl auf eine

spätere Markus-Tradition in Alexandria zurückzuführen ist.34

Als Zielgruppe sehen Carson et al. und Schnelle Heidenchristen an, da sich

zum einen manche Latinismen im Text finden, zum anderen aramäische Begriffe

übersetzt und rituelle Gesetze erklärt werden, die einem jüdischen Publikum

selbstverständlich vertraut wären.35 Pesch formuliert folgendermaßen: Das

Evangelium wurde im Rahmen einer Gemeinde geschrieben, "die den Ursprüngen

des Christentums in Galiläa und Jerusalem (der Urgemeinde) verbunden bleibt, aber

der heidenchristlichen Mission, der Kirche aus Juden und Heiden, verpflichtet ist."36

28 Zuntz, Günther. Wann wurde das Evangelium Marci geschrieben? in: Markus-Philologie.

Historische, literargeschichtliche und stilistische Untersuchungen zum zweiten Evangelium. Hrsg. von Hubert Cancik. Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. Begr. von Joachim Jeremias und Otto Michel, hrsg. von Martin Hengel und Otfried Hofius. Bd. 33. Tübingen (J.C.B. Mohr – Paul Siebeck -), 1984. Seite 47-71. Seite 48.

29 Übersetzt: "in Teilen (=Provinzen) Italiens".

30 Pesch, Seite 12.

31 So Irenäus nach Günther, Seite 1449. Guthrie plädiert ebenfalls für Rom. Seite 73.

32 Hengel, Seite 44.

33 Mauerhofer, Seite 100.

34 So Johannes Chrysostomus nach RGG, Seite 843.

35 Carson, Seite 99. Guthrie, Seite 71f. Udo Schnelle, Einleitung in das Neue Testament.

Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht), 1994., Seite 240. Schnelle arbeitet gut heraus, wie auffällig Markus die Heiden-Mission betont. Z.B. Seite 240.

36 Pesch, Seite 14.

11

Sicher dürfte sein, dass das Evangelium nicht in Palästina und nicht an

Judenchristen geschrieben wurde.

1.5 Welche Intention hatte Markus bei der Verfassung seines Evangeliums?

Nach Cilliers Breytenbach, einem katholischen Theologen, liegt das Hauptanliegen

Markus' auf der Eschatologie und der Basileia.37 Carson et al. sehen dagegen die

Passion allein schon aufgrund des breiten Raumes, den sie in dem nur 16 Kapitel

umfassenden Evangelium einnimmt, als Hauptthema.38

Das RGG sieht im Markusevangelium vor allem den Versuch, der Gemeinde

eine der Mose-Tradition adäquate "Gründungserzählung" zu geben mit der Intention,

das neue Zeitalter zu begründen.39

Am weitesten verbreitet ist sicher die Auffassung, dass das Markus-

Evangelium insbesondere die Passion Jesu und damit zusammenhängend das

Geheimnis des Messias zum Thema hat.40

Jochen Gnilka sieht den Schwerpunkt des Berichtes gleichfalls auf dem

Reich Gottes, aber unter der besonderen Betonung der Jünger, dem Beginn des

neuen Gottesvolkes. Ihr Versagen, ihre Schwächen und ihre Menschlichkeit werden

seiner Meinung nach besonders hervorgehoben.41 Ähnlich betont auch Guthrie die

menschliche Seite in diesem Evangelium.42

Riesner vertritt die Meinung43, dass Markus Jesus betont als Lehrer darstellt,

der er "das Geheimnis vom Reich Gottes anvertraut".44

37 Breytenbach, Cilliers. Markusevangelium. in: Evangelisches Kirchenlexikon. Internationale

theologische Enzyklopädie. Hrsg. von Erwin Fahlbusch u.a. Bd. 3. 3. Auflage, Neufassung. Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht), 1992. Seite 294-296. Seite 295. Ähnlich urteilt das LTK, Seite 1399f. 38

Carson, Seite 101. So auch Ernst, Josef. Das Evangelium nach Markus. Regensburger Neues Testament. Begr. von Alfred Wikenhauser u.a., hrsg. von Josef Eckert und Otto Knoch. Regensburg (Verlag Friedrich Pustet), 1981. Seite 15

39 RGG, Seite 845.

40 Siehe hierzu Schnelle, Seite 249ff.

41 Gnilka, Joachim. Das Evangelium nach Markus. 1.Teilband, Mk 1-8,26. Evangelisch-

katholischer Kommentar zum Neuen Testament. Hrsg. von Josef Blank. Zürich/ Einsiedeln/ Köln (Benziger Verlag + Neukirchener Verlag), 1978. Seite 26ff.

42 Guthrie, Donald. New Testament Introduction. 4., überarbeitete Ausgabe. Downers Grove,

Illinois (Intervarsity Press), 1990. Seite 62. 43

Er zitiert hierbei einen Artikel Gnilkas, Die Verstockung Israels, in: Studien zur Antike und dem Neuen Testament. 1960. Seite 30.

44 Rainer Riesner, Jesus als Lehrer. Eine Untersuchung zum Ursprung der Evangelien-

Überlieferung. Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2.Reihe. Begründet von Joachim Jeremias und Otto Michel. Herausgegeben von Martin Hengel und Otfried Hofius. Bd. 7. Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 3. erweiterte Auflage 1988. Seite 251.

12

Ich persönlich vertrete die Auffassung, dass Markus betont Jesus als den

Messias predigt und dass sein Augenmerk hierbei sehr deutlich auf der Entwicklung

und der Ausbildung der 12 Apostel liegt45 (also Jesus auch betont der Lehrer, wie

Riesner feststellt – s.o.). Dies möchte ich im Folgenden belegen.

3 Wie Jesus lehrte – Beobachtungen anhand des Markusevangeliums

Wie bereits angekündigt, möchte ich im Folgenden vier Beobachtungen vorstellen,

die sich in dieser Zusammenstellung und Intensität nur bei Markus finden.

1.6 Entdecken statt Erzählen

Wenden wir uns zunächst nochmals ausführlicher der Frage zu, was das

Thema des Markus-Evangeliums ist.

Ich persönlich vertrete, wie gesagt, die Meinung, dass Markus uns Jesus als

den Messias vorstellt. Und zwar auf zweierlei Weise bzw. in zwei Schritten (siehe

Abb. 1 sowie Faltblatt in der Anlage).

Wenn Gnilka feststellt, dass Markus Wunder und Exorzismen betont aber

wenig Worte Jesu überliefert46, dann stimmt dies nur für die erste Hälfte des

Evangeliums. Hier, so meine Meinung, legt Markus gerade dadurch, dass er die

Werke ausführlich schildert, das Reden Jesu aber nur als solches erwähnt, nicht

jedoch inhaltlich wiedergibt (mit Ausnahme von Kap. 4), größten Wert darauf, dass

Jesus sich durch seine Zeichen als Messias zu erkennen gibt, nicht jedoch selbst

ausspricht, der Messias zu sein. Das bedeutet, dass insbesondere die Jünger

sozusagen selbst darauf kommen müssen, von Jesus aber keinerlei wörtliche

Hinweise darauf bekommen.

Schauen wir uns diese wichtige Struktur bei Markus genauer an.

Insbesondere in Mk 1,14-2,12 und 6,30-8,30 schildert Markus so dicht gedrängt

Zeichen und Wunder, dass nicht zu übersehen ist, dass er zeigen will, wie sehr

Jesus sich (fast) ausschließlich über sein Tun offenbarte.

Gerade der Block in Kap 6 bis 8 (siehe Punkt 3.3) zeigt zudem eine deutliche

Wiederholung bzw. Parallelität in der Struktur (Abb. 2).

45 "... dass Markus im Vergleich mit den anderen Evangelien die dwdeka am häufigsten als

festumrissene, von Jesus eingesetzte 'Jüngerelite' erwähnt..."Hengel, Seite 16. 46

Gnilka, Seite 20.

13

Ein weiteres Beispiel für dieses Vorgehen Jesu außerhalb des Markus-

Evangeliums: Als Johannes aus dem Gefängnis Boten zu Jesus sendet (Mt 11,1ff; Lk

7,18ff), um von ihm selbst zu hören, ob er wirklich der Messias sei, antwortet Jesus

wiederum nicht mit einem einfachen "Ja" sondern weist die Boten auf das hin, was

sie sehen!

Dieses sich offenbaren als der von Gott gesandte Messias läuft auf den

Wendepunkt ziemlich genau in der Mitte des Evangeliums zu – Kap 8,29, wo Petrus

auf eindringliches Fragen und Nachhaken Jesu bekennt: "Du bist der Christus!" Wie

Jesus dieses Bekenntnis regelrecht "provoziert" lässt vermuten, dass er es an der

Zeit hält, jetzt endlich das Wesentlich auszusprechen, damit er dann das Folgende

(s.u.) nachschieben kann. Aber wieder verzichtet Jesus darauf, dieses Bekenntnis

selbst auszusprechen! Vielmehr führt er die Jünger dahin, dass sie selbst (bzw.

Petrus) den wesentlichen Schritt tun, sich bewusst werden, was sie die ganze Zeit

gesehen haben, die Schlussfolgerung selbst ziehen und aussprechen.

Danach erst, da die Jünger endlich erfasst haben, wer Jesus ist, zeigt

Markus eine gänzlich andere Strategie – nun beginnt er die Reden Jesu ausführlich

wiederzugeben, schildert aber nur noch drei Machttaten Jesu (9,14-29; 10,46-52 und

11,12-14 + 20-21).47

Dieses Reden Jesu ist am ehesten unter dem Gesichtspunkt zu verstehen,

dass Jesus nun, da ihn seine Jünger als Messias erkannt haben, sich ihnen als der

"andere" Messias vorstellt. Dies ist umso mehr nötig, als sie ganz in politischen und

militärischen Begriffen vom Messias gefangen sind. Wie oft er im Folgenden immer

wieder dasselbe wiederholt, zeigt, wie sehr die Jünger Schwierigkeiten hatten, ihr

Konzept zu verlassen und Jesus unvoreingenommen zu sehen. Letztlich zeigt sich

dies noch im letzten Gespräch in Apg 1, wo die Jünger immer noch nach dem

(sichtbaren) Reich fragen, von Jesus aber ein letztes Mal auf das (zunächst

unsichtbare) Reich in Kraft hingewiesen werden.

Markus betont die Schwerfälligkeit der Jünger, das Messias-Konzept Jesu zu

erfassen, dadurch, dass er in einer dreifachen Parallelität z.B. die

Leidensankündigungen schildert (Abb. 3 – siehe hierzu auch Punkt 3.3). Dieser

14

dreifachen Leidensankündigung stellt Markus dann die dreifach gegliederten

Konflikte Jesu mit seinen Gegnern in 11,27 – 12,44 gegenüber (Abb. 4).

Zurück zum Messias. Nachdem seine Jünger diesen wesentlichen Punkt

(dass er der Messias ist) verstanden haben, geht Jesus nun mehr dazu über, sie

intensiv zu lehren und zu schulen hinsichtlich seines Wesens und des Wesens

seines Reiches bzw. seines eigentlichen Auftrages. Fast 3 Kapitel widmet Markus

diesem Thema (8,31 – 11,14).

Und am Ende des Markus-Evangeliums (Kap 16,20) predigen diese Jünger,

die ihn schrittweise erkannt und dann kennen gelernt haben, das Evangelium von

Jesus, dem Messias!

Das daraus erkennbare Prinzip Jesu ist so zu verstehen, dass er

offensichtlich mehr Wert darauf legte, dass die Jünger ihn selbst erkannten, als dass

es ihm wichtig gewesen wäre, sie möglichst schnell über seine Messianität und

Mission aufzuklären.

Selbst langwierige Prozesse sind ihm wichtiger als ein schnelles Ergebnis.

Dass die Menschen selbst dahinter kommen ist ihm mehr wert, als dass sie schnelle

und gute Antworten erhalten, die nicht tief eindringen.

1.7 Fragen statt Antworten

Beginnen wir unsere nächste Untersuchung zum Markus-Evangeliums mit einem

Text aus dem Lukas-Evangelium. In Lk 2,46+47 finden wir die Szene, wo seine

Eltern den 12Jährigen im Tempel finden. Der Text ist es wert, wörtlich zitiert zu

werden:

"Und es begab sich nach drei Tagen, da fanden sie ihn im Tempel sitzen, mitten

unter den Lehrern, wie er ihnen zuhörte und sie fragte. Und alle, die ihm zuhörten,

verwunderten sich über seinen Verstand und seine Antworten."48

47

Siehe hierzu auch Günther, der zudem herausstellt, dass mit Kap 8,26 der nördlichste Punkt der Reise Jesu erreicht ist und die Reise von nun an nach Süden und auf Jerusalem zu geht – somit ein auch räumlicher Wendepunkt. Seite 1446.

48 Luther-Text, 1984.

15

Wird im Vers 46 noch betont, dass Jesus zuhört und fragt, so wundern sich

im nächsten Vers die Anwesenden doch über seine Antworten. Der Schlüssel liegt in

Vers 46, wo Lukas berichtet, dass Jesus sitzt. Zusammen mit Lk 4,16-21 wird

deutlich, dass nicht nur Schüler wortwörtlich zu Füßen ihrer Lehrer saßen, sondern

dass es gerade auch zum Lehren an sich gehörte, dass der Lehrer saß (Vers 21).

Wenn dies nun bedeutet, dass Jesus als 12Jähriger lehrte (worauf hindeutet, dass

die Anwesenden seine "Antworten" bewundern), stellt sich die Frage, weshalb dann

hier so sehr betont wird, dass Jesus fragte?

Die Antwort liegt darin, dass Fragen bzw. Gegenfragen nicht nur Teil des

jüdischen Diskussionsstils waren (und sind), sondern auch wesentlich für eine

ehrerbietige Haltung gegenüber Älteren. Antworten werden nicht nur in Frageform

gepackt, vielmehr wird mit gezielten Fragen gezeigt, dass man verstanden hat bzw.

die Richtung der Antwort angedeutet.

Ausgehend von dieser Beobachtung habe ich nun zuerst das gesamte

Lukas-Evangelium und danach das Markus-Evangelium durchsucht, ob sich hier eine

Struktur findet. Und ich denke, ich bin fündig geworden. Zwar nicht bei Lukas, dafür

umso mehr bei Markus!

Ich habe das Markus-Evangelium auf die Frage nach dem "Fragen" Jesu hin

untersucht; dazu habe ich das gesamte Evangelium zunächst graphisch dargestellt

und dann überall dort ein "F" hingeschrieben, wo im Gespräch Jesus eine Frage

äußert, ein "K", wo sich ein Konflikt zeigt, und ein "J", wo er ausdrücklich seine

Jünger anspricht.

Das Ergebnis ist in Abb. 5 zu sehen.

Auf den ersten Blick fällt zweierlei auf. Zum einen sieht man, dass Markus

deutlich jeweils zwei Blöcke mit Auseinandersetzungen/ Konflikten schildert

(Schwerpunkte in den Kap. 2+3 und 11+12) sowie zwei Blöcke, in denen Jesus sich

mehr seinen Jüngern zuwendet (in den Kap. 4 und 8-14).

Das Zweite ist, dass Jesus in den Kapiteln 1 und 15 keinerlei Fragen stellt.

Dort aber findet zum Einen die Auseinandersetzung mit Satan statt (Kap 1) und zum

Anderen der Prozess (Kap 15)!

Meine Schlussfolgerung ist nun, dass Markus wohl ausdrücklich Wert darauf

legt, zu zeigen, wie Jesus die Menschen lehrte. Und ein ganz wichtiger Aspekt

16

hierbei ist, dass er immer wieder Fragen stellte (– mit, wie gesagt, nur zwei

Ausnahmen!).

Dieses sich immer wiederholende Fragen bedeutet, dass Jesus sein

Gegenüber erstens sehr ernst und als echten Gesprächspartner annahm, und dass

er zweitens offensichtlich Hoffnung auf Einsicht bzw. Veränderung seitens seiner

Gesprächspartner hatte. Wo er auf keine Einsicht mehr hoffen konnte, scheint er

keine Fragen gestellt zu haben – in unserem Fall gegenüber Satan sowie gegenüber

dem Hohepriester bzw. dem Sanhedrin.

Wie also lehrte Jesus? – Er stellte Fragen bzw. Gegenfragen und bezog

damit sein Gegenüber in einen Prozess innerer Entwicklung mit ein. Und er nahm

sein Gegenüber ernst, zeigte ihm seine Hochachtung und legte ihm die

Entscheidung und Verantwortung für die Reaktion offen vor, bevormundete den

Anderen nicht.

1.8 wiederholen – wiederholen - wiederholen

Wie wir insbesondere im Abschnitt 3.1 gesehen haben, gehört hierzu auch das

Konzept der Wiederholungen.

Hierzu schauen wir uns nochmals die Wiederholung z.B. des Speisewunders

an (5000 und 4000 – Abb. 2) sowie die dreifache Leidensankündigung (Abb. 3).

Ich meine, diese Methode ist in allen Evangelien zu finden, z.B. wenn

Johannes offensichtlich eine Tempelreinigung am Anfang des öffentlichen Wirkens

Jesu schildert, die Synoptiker jedoch eine (zweite) am Ende seines Lebens. Auch

wie gewisse Gleichnisse geschildert werden (z.B. das Gleichnis vom Hochzeitsmahl)

oder auch die Bergpredigt und ihre Wiedergabe/ Wiederholung in Lk 6 macht

deutlich, dass Jesus offenbar wichtige Inhalte mehrfach bzw. immer wieder lehrte

und keineswegs nur einmal.

Bekannt ist, dass das regelrechte und wortwörtliche Auswendiglernen bei

den Rabbinen jener Zeit zur geläufigen und selbstverständlichen Praxis gehörte.49

Auch wenn die umfangreiche Diskussion zur Frage, ob auch Jesus seine Jünger

regelrecht auswendig lehrte, nicht abschließend zu beantworten ist, steht doch fest,

49 Guthrie, S. 1032. Siehe auch Günter Krallmann, Leidenschaftliche Leiterschaft. Der

Auftrag Jesu zur Mission. Wuppertal/ Wittenberg, 1995. Seite 42.

17

dass er häufig wichtige Reden und Taten wiederholte, um das Einprägen zu

erleichtern und die Bedeutung des Ausgedrückten zu verdeutlichen.

1.9 Lernen und umsetzen

Werfen wir nun noch einen Blick auf die Praxis.

Markus schildert in Kap 1,4, dass Johannes der Täufer die "Taufe der Buße

zur Vergebung der Sünden" predigte. In 1,15 berichtet er, dass auch Jesus Buße

predigte und den Glauben an das Evangelium. Und in Kap 6,12 schließlich sendet

Jesus die Jünger aus – und sie predigen Buße!

Wenn man nun den Schluss des Evangeliums anschaut und beachtet, dass

die Apostel am Ende das Evangelium (16,15) predigen und die Taufe praktizieren

und "in meinem Namen" (16,17), also dem Namen Jesu, Wunder erleben sollen, und

wenn man hinzunimmt, dass sie dies nach Vers 20 auch genau so taten, wird

deutlich, dass dies mehr ist als "nur" Buße (Abb 6).

Bedenkt man ferner, dass die Jünger Jesus nach der Schilderung des

Markus ja erst in Kap 8 als Messias erkannten, müssen wir zu dem Schluss

kommen, dass Buße zwar immer noch ein wesentliches Element der Predigt war und

ist, dass die Jünger aber, als Jesus sie das erste Mal aussendet, sicherlich nicht in

diesem Sinn das Evangelium und "den Namen Jesu" predigten.

Und dies wiederum bedeutet, dass Jesus seine Jünger durchaus mit einer

"vorläufigen" oder "Teilbotschaft" losschickte und eben nicht wartete, bis sie alles

verstanden und eine hieb- und stichfeste Theologie entwickelt oder auch nur

(auswendig) gelernt hatten.

Und – gegenüber dem Ansatz des "learning by doing" gehen die Jünger in

Kap 6 erst dann hinaus in den eigenen Dienst, nachdem sie sowohl Johannes den

Täufer als auch Jesus gründlich kennen lernen und beobachten und von ihnen

lernen konnten. Danach aber werden sie als vollgültige Boten losgeschickt! Auch

wenn sie, wie gesagt, noch lange nicht die volle Botschaft erfasst hatten.50

50 Es wird deutlich, dass ich nicht den dispensationalistischen Ansatz vertrete, die Jünger

hätten –wie auch Jesus selbst- zu jener Zeit eine andere Botschaft weil an die Juden allein gerichtet gehabt als gegen Ende, wo nach dem Verwerfen des Königs und nach Tod und Auferstehung Jesu die Mission sich auf alle Nationen und im Rahmen der Gemeinde (= der neuen Heilszeit) erstrecke.

18

Der Ansatz, den Jesus hier wählte, kann vielleicht so beschrieben werden,

dass er seinen Jüngern Zeit ließ, zu beobachten und zu lernen und sie dann sandte,

das Gelernte auszuüben und einzusetzen – auch wenn es erst eine "vorläufige"

Botschaft war, die sie weitergeben konnten.

Was sie aber auf alle Fälle weitergeben konnten, waren die Wunder in der

Kraft Gottes, von denen sie, wie insbesondere Markus betont, im ersten Teil des

Dienstes Jesu ja besonders viele beobachten konnten.

1.10 Die Kraft der Gruppe nutzen

Bleibt ein Letztes – die Gruppe an sich. Dass Jesus gerade kein "Mentoring-Konzept"

mit gezieltem Training Einzelner verfolgt, sondern vielmehr immer wieder die ganze

Gruppe und die immanente Dynamik nutzt, ist nun kein spezielles Thema von

Markus, sondern wird in allen Evangelien berichtet und soll daher an dieser Stelle

nur als ergänzender fünfter Punkt erwähnt, nicht aber ausführlicher diskutiert werden.

Für unsere heutige Lehrpraxis aber eine wesentliche Beobachtung.

4 Schlussfolgerungen für unsere Lehrpraxis heute

Bleibt, die Konsequenzen für unsere Lehrpraxis heute kurz anzudenken.

Entdecken statt Erzählen

Erstens sollten auch wir uns darauf besinnen, den Menschen mehr Zeit zu lassen.

Entwicklungen brauchen Zeit. Und eine eigene Entwicklung und Entdeckung ist

allemal besser als das "Lernen" durch Frontalunterricht oder gar durch

"Nachplappern". Von bleibendem Wert ist letztlich nur, was die Menschen selbst

entdecken und erkennen.

Von daher kommt den Grundlagen (wie z.B. Bibelstudium) mehr Gewicht zu

als konkreten Inhalten (z.B. "was steht im Pentateuch?"). Was anderswo längst

erkannt wurde (Stichwort: "Hilfe zur Selbsthilfe"), muss sich auch in der Gemeinde

durchsetzen. Wir müssen vielleicht die Selbständigkeit der Geschwister wichtiger

nehmen als die Gleichförmigkeit der Glaubensbekenntnisse.

19

Fragen statt Antworten

Zweitens wollen wir die Menschen ganz neu ernst nehmen. Und dazu gehört, dass

wir nicht vorschnelle Antworten geben, sondern zunächst die Frage verstehen!51 Und

unsererseits die entscheidenden Fragen stellen, so dass echte Denkprozesse

stattfinden.

Das aber bedeutet auch, dass wir von kanzelgestützten Monologen

wegkommen müssen, hin zu echten Dialogen in kleinen Gruppen, die flexibel auf die

jeweiligen Bedürfnisse, Fragen und Nöte eingehen können.

wiederholen – wiederholen – wiederholen

Diese Prozesse brauchen, wie bereits gesagt, Zeit und immer wieder

Wiederholungen.

Lernen und umsetzen

Und diese Prozesse können nur Schritt um Schritt erfasst werden. Wesentlich ist

aber, dass die Menschen die Gelegenheit haben, diese Schritte auch gleich in die

Praxis umzusetzen und zu vertiefen, ehe sie die nächste Stufe angehen. Und dass

wir nicht erwarten, dass man erst theoretisch Meister sein muss, ehe man in der

Praxis Lehrling werden kann...

Lehre muss aus der Ecke der Predigten, Seminare und Fernkurse heraus in

die lebendige Gemeinschaft und die Praxis des Lebens. Das bedeutet aber auch

(siehe auch den nächsten Punkt), dass Lehrer und Schüler tatsächlich ein Stück weit

ihr Leben und nicht nur einen Abend in der Woche teilen müssen.

Die Kraft der Gruppe

Und wir wollen ganz neu die Kraft der Gemeinschaft für diese Lernprozesse nutzen

lernen. Mentoring ist sicher sehr gut – besser ist vielleicht tatsächlich, ein echtes

Team zusammenzustellen, das miteinander lernt und auf Entdeckungsreise geht.

Sicher fordert das noch viel mehr persönlichen Einsatz von uns sowohl als

Lehrern als auch als Schüler, aber die Dürftigkeit der Ergebnisse bei unserem

bisherigen Vorgehen, meine ich, macht jede Alternative attraktiv!

51 Wie definiert man landläufig "Predigt"? Eine Predigt ist eine langatmige Antwort auf eine

Frage, die ich nie im Leben gestellt habe!

20

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