Mathe, Märkte und Millionen || Ein fairer Deal? Oder: Früh übt sich

2
6 Mathe, Märkte und Millionen 2 Ein fairer Deal? Oder: Früh übt sich ... Das Geld ist ja nicht weg, es ist nur woanders. Börsenweisheit F reitagnachmittag. Zwei Viertklässler, die auf eine Bahn warten, beschließen, bis zur Ankunft derselben noch schnell ein Eis zu essen. Leider reicht bei einem, nennen wir ihn Max, das Geld nicht. Der andere, Clemens, ist gern bereit, Max die fehlenden 60 Cent zu borgen. »Dann gibst du mir einfach am Montag 80 Cent wieder zurück«, meint Clemens zu Max. »Wieso denn 80 Cent, du hast mir doch nur 60 Cent gegeben?«, wi- derspricht Max. »Na, du musst mir doch Zinsen dafür zahlen, dass ich dir das Geld bis Montag leihe«, erklärt Clemens, »das ist so üblich.« Max sieht das ein und das Geschäft ist abgemacht. »Moment mal«, überlegt Max zu Hause, als er in Ruhe noch einmal das Gespräch Revue passieren lässt, »das ist aber ganz schön viel: 20 Cent Zinsen für 60 Cent.« »Moment mal!«, meinen auch wir, »ist das nicht Wucher? Die Zeit zwischen Kapitalüberlassung und Rückzahlung beträgt ja nur drei Tage.« Ehe wir den (indirekt vereinbarten) Zinssatz berechnen wollen, soll zu- nächst geklärt werden, was eigentlich Wucher ist. Von Wucher spricht man – vor allem im Zusammenhang mit Kreditverträgen –, wenn deren Zinsen und Gebühren im Vergleich zu marktüblichen deutlich überhöht sind. Allerdings gibt es in Deutschland keine genauen Vor- gaben über die zulässige Höhe von Zinssätzen. Auch im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) findet sich nichts Konkretes, jedoch wird die freie Gestaltung von Zinshöhe und Berechnungsmethoden durch den Be- griff der »Sittenwidrigkeit« eingeschränkt. In § 138 BGB heißt es: »Ein B. Luderer, Mathe, Märkte und Millionen, DOI 10.1007/978-3-658-02774-2_2, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2013

Transcript of Mathe, Märkte und Millionen || Ein fairer Deal? Oder: Früh übt sich

Page 1: Mathe, Märkte und Millionen || Ein fairer Deal? Oder: Früh übt sich

6 Mathe, Märkte und Millionen

2 Ein fairer Deal? Oder: Früh übt sich ...

Das Geld ist ja nicht weg, es ist nur woanders.Börsenweisheit

Freitagnachmittag. Zwei Viertklässler, die auf eine Bahn warten,beschließen, bis zur Ankunft derselben noch schnell ein Eis zu essen.Leider reicht bei einem, nennen wir ihn Max, das Geld nicht. Derandere, Clemens, ist gern bereit, Max die fehlenden 60 Cent zu borgen.

»Dann gibst du mir einfach am Montag 80 Cent wieder zurück«, meintClemens zu Max.

»Wieso denn 80 Cent, du hast mir doch nur 60 Cent gegeben?«, wi-derspricht Max.

»Na, du musst mir doch Zinsen dafür zahlen, dass ich dir das Geldbis Montag leihe«, erklärt Clemens, »das ist so üblich.«

Max sieht das ein und das Geschäft ist abgemacht. »Moment mal«,überlegt Max zu Hause, als er in Ruhe noch einmal das GesprächRevue passieren lässt, »das ist aber ganz schön viel: 20 Cent Zinsenfür 60 Cent.«

»Moment mal!«, meinen auch wir, »ist das nicht Wucher? Die Zeitzwischen Kapitalüberlassung und Rückzahlung beträgt ja nur dreiTage.«

Ehe wir den (indirekt vereinbarten) Zinssatz berechnen wollen, soll zu-nächst geklärt werden, was eigentlich Wucher ist. Von Wucher sprichtman – vor allem im Zusammenhang mit Kreditverträgen –, wennderen Zinsen und Gebühren im Vergleich zu marktüblichen deutlichüberhöht sind. Allerdings gibt es in Deutschland keine genauen Vor-gaben über die zulässige Höhe von Zinssätzen. Auch im BürgerlichenGesetzbuch (BGB) findet sich nichts Konkretes, jedoch wird die freieGestaltung von Zinshöhe und Berechnungsmethoden durch den Be-griff der »Sittenwidrigkeit« eingeschränkt. In § 138 BGB heißt es: »Ein

B. Luderer, Mathe, Märkte und Millionen, DOI 10.1007/978-3-658-02774-2_2, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2013

Page 2: Mathe, Märkte und Millionen || Ein fairer Deal? Oder: Früh übt sich

Zinsen, Kurse und Renditen 7

Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig. Nich-tig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Aus-beutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteils-vermögen ... sich ... für eine Leistung Vermögensvorteile versprechenoder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu derLeistung stehen.« Dabei wird i. Allg. von einem auffälligen Missver-hältnis ausgegangen, wenn der vereinbarte Zinssatz den marktübli-chen um 100 % oder absolut um 12 Prozentpunkte übersteigt.

Zurück zur Frage, welchem jährlichen Zinssatz das zwischen den bei-den Schülern vereinbarte Geschäft entsprechen würde.

Ein Jahr ist die am häufigsten anzutreffende Zinsperiode, also derZeitraum, für den Zinsen zu zahlen sind. Auch bei der Beurteilungvon Zinssätzen (»niedrig«, »hoch«) bezieht man sich in aller Regelauf ein Jahr, denn nur dafür hat man ein Gefühl. Da die für einenZeitraum der Länge t zu zahlenden Zinsen Zt direkt proportional zumeingesetzten Kapital K, dem Zinssatz i und der Laufzeit t (gemessenals Teil des Jahres) sind, gilt die Formel

Zt = K · i · t.

Für das Beispiel mit Max und Clemens gilt: Zt = 0,2, K = 0,6,t = 3

360 = 1120 (meist wird das Jahr zu 360 Zinstagen gerechnet,

jeder Monat zu 30 Zinstagen). Aus der obigen Formel ergibt sich nachUmstellung zunächst i = Zt

K·t und nach Einsetzen der konkreten Werte

i =0,2

0,6 · 1120

=2 · 120

6= 40 = 4 000%.

Wenn das kein Wucher ist! Damit ist nach der geltenden Rechtslagedie getroffene Zinsvereinbarung hinfällig und Max muss überhauptkeine Zinsen bezahlen.Literatur:Bürgerliches Gesetzbuch BGB, 70. Aufl., Dt. Taschenbuch Verlag, München 2012