(Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

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Birkhäuser

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Mathematik Kompakt

Herausgegeben von:

Martin BrokateKarl-Heinz HoffmannGötz KerstingOtmar ScherzerGernot StrothEmoWelzl

Die neu konzipierte Lehrbuchreihe MathematikKompakt ist eine Reaktion auf die Umstellung derDiplomstudiengänge in Mathematik zu Bachelor-und Masterabschlüssen. Ähnlich wie die neu-en Studiengänge selbst ist die Reihe modularaufgebaut und als Unterstützung der Dozieren-den sowie als Material zum Selbststudium fürStudierende gedacht. Der Umfang eines Bandesorientiert sich an der möglichen Stofffülle einerVorlesung von zwei Semesterwochenstunden.Der Inhalt greift neue Entwicklungen des Fachesauf und bezieht auch die Möglichkeiten der neu-en Medien mit ein. Viele anwendungsrelevanteBeispiele geben den Benutzern Übungsmöglich-keiten. Zusätzlich betont die Reihe Bezüge derEinzeldisziplinen untereinander.

MitMathematik Kompakt entsteht eine Reihe, diedie neuen Studienstrukturen berücksichtigt undfür Dozierende und Studierende ein breites Spek-trum anWahlmöglichkeiten bereitstellt.

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Analysis I

Christiane Tretter

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ChristianeTretterUniversitätBernMathematisches InstitutBern, Schweiz

ISBN 978-3-0348-0348-9 ISBN 978-3-0348-0349-6 (eBook)DOI 10.1007/978-3-0348-0349-6

Bibliografische Information der Deutschen BibliothekDie Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;detaillierte bibliografischeDaten sind im Internet über <http://dnb.ddb.de> abrufbar.

2010Mathematical Subject Classification: 97Ixx

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Gedruckt auf säurefreiem Papier.

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www.birkhauser-science.com

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Vorwort

Aller Anfang ist schwer! J. W. von Goethe

Am Anfang eines Studiums der Mathematik, der Physik oder auch der Informatikstehen die beiden Vorlesungen „Analysis I“ und „Lineare Algebra I“. Jeder, der einesdieser Fächer studiert hat, erinnert sich daran, wie schwer dieser Anfang erschien.Aber auch der steilste Anstieg beginnt mit einem ersten Schritt. Dieses Buch und dernachfolgende zweite Band „Analysis II“ sollen Ihnen helfen, die ersten Schritte in derWelt der Analysis zu machen.

Auch wenn der Stoff der ersten zwei Analysis-Vorlesungen Standard ist und es zahl-reiche gute Bücher zur Einführung gibt, hat die Umstellung von Diplom auf Bachelorund Master zur Folge, dass diese Bücher unter den veränderten Studienbedingungenoft nicht mehr direkt als Vorlesungsvorlage dienen können. Dozierende und Studieren-de müssen selbst entscheiden, worauf verzichtet werden kann; eine oft nicht einfacheEntscheidung, vor allem, weil in der Mathematik alles aufeinander aufbaut!

Das vorliegende Buch umfasst nicht mehr und nicht weniger als den Stoff, der ineiner vierstündigen Vorlesung bei einer Semesterdauer von 14 Wochen an der Tafelvorgetragen werden kann. Praktisch erprobt wurde dies in insgesamt vier Vorlesungen„Analysis I“ (mit doppelt so vielen Klausuren) innerhalb von 10 Jahren, von denen icheine an der Universität Bremen und drei an der Universität Bern gehalten habe.

In dieser Zeit konnte ich Erfahrungen mit ganz unterschiedlichen Studierendensammeln: in Bremen aus der Mathematik einschließlich Lehramt Gymnasium und derTechnomathematik, in Bern aus der Mathematik, der Physik, der Informatik sowie ausanderen Fächern, wie z.B. Volkswirtschaft, Philosophie oder Sport, die Mathematik alsweiteres Fach im Minor gewählt hatten. Dies war ein Ansporn, die schwierige Materieim Detail und in kleinen Schritten zu erklären.

Bei allen Bemühungen ist es aber in der Mathematik wie beim Klavier Spielen oderbeim Ski fahren: Man kann sie nicht passiv durch Zuhören oder Zuschauen erlernen!Lassen Sie sich also nicht täuschen von der schön gedruckten Oberfläche, und fragenSie sich bei jeder Zeile, warum sie aus dem Vorherigen folgt. Nutzen Sie vor allem jedesBeispiel und jede Übungsaufgabe, um selbst etwas zu machen. Dies gilt ganz besondersfür die Übungen, die Sie in Ihrer eigenen Vorlesung erleben werden. Es ist besser (underfordert mehr Mut!), sich selbst eine Lösung auszudenken und eventuell Fehler zumachen, als eine vermeintlich richtige Lösung unverstanden abzuschreiben.

Es würde mich freuen, wenn dieses Buch, jenseits von ECTS und Prüfungen, Inter-esse für mehr Mathematik wecken würde. So wie ich als Autorin können auch Sie bei

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vi Vorwort

Themen, die Sie besonders interessieren, von der vielfältigen Auswahl an Analysis I-Büchern und den fantastischen Suchmöglichkeiten im Internet profitieren. An einigenStellen werden konkrete Literaturhinweise gegeben, ansonsten finden sich, wie beieinem Lehrbuch hoffentlich erlaubt, alle benutzten Materialien global im Literaturver-zeichnis. Die historischen Fußnoten sind mit Informationen aus der Online-Datenbank[20] und dem interessanten Buch von T. Sonar [26] entstanden.

Parallel und weiterführend zu diesem Buch sind die Bücher von O. Forster [14], K.Königsberger [19], H. Amann und J. Escher [2], H. Heuser [17] und W. Walter [29] zuempfehlen. Für Studierende, die sich schwer mit dem Abstrakten tun, hat sich das Buchvon H. Neunzert et al. [22] bewährt. Für ganz Neugierige oder für später eignen sichdie fortgeschrittenen Bücher von W. Rudin [24] und G. Shilov [25]. Für Studierendeder Physik sind die Bücher von H. Fischer und H. Kaul [13] und von K. Meyberg undP. Vachenauer [21] eine gute Ergänzung, da sie verschiedene Gebiete der Mathematikgleichzeitig präsentieren. Falls Sie Antworten auf die Frage „Und was kann man mitMathematik eigentlich später machen?“ suchen, lohnt sich ein Blick in die beiden Büchervon M. Aigner und E. Behrends [1] sowie [7]. Und ganz wichtig: Spaß und Begeisterungfür die Mathematik wecken die Bücher von M. Aigner und G. Ziegler [5] und C. Hesse[16] (letzteres auch als Geschenk für Nicht-Mathematiker!).

Dieses Buch hätte nicht entstehen können ohne die großartige und fortwährendeUnterstützung meiner jeweiligen Mitarbeiter und Studenten: Parallel zur Vorlesungin Bremen hat Dr. Dipl. Psych. Ingo Fründ (damals einer der Hörer) die Vorlesungs-aufzeichnungen in Latex gesetzt. Mein damaliger Doktorand in Bremen, Dr. MarkusWagenhofer, hat das Skript redigiert und weiter ausgefeilt. In Bern hat meine damaligePostdoktorandin Dr. Monika Winklmeier das Skript stetig in eine immer endgültigereForm gebracht. Beiden danke ich neben ihrem großen Engagement auch für viele pro-fessionelle Abbildungen, die den Stoff hoffentlich verständlicher machen. Darüber hin-aus haben die Studierenden aus Bremen und Bern und vor allem meine DoktorandinSabine Bögli mit diversen Listen von Tippfehlern geholfen, selbige auf ein hoffentlichkleines Maß zu reduzieren (ganz wird es wohl nie gelingen!). Schließlich hat meinederzeitige Postdoktorandin Dr. Agnes Radl dieses Buchmanuskript mit großem Sach-verstand Korrektur gelesen. Bei allen Beteiligten bedanke ich mich auch für wertvolleinhaltliche Diskussionen!

Mein besonderer Dank gilt auch dem Herausgebergremium der Reihe„MathematikKompakt“ und Birkhäuser/Springer Basel, vor allem Frau Dr. Barbara Hellriegel undHerrn Dr. Thomas Hempfling, für das Vertrauen, das Sie alle in mich gesetzt haben,und für die verlegerische Unterstützung!

Bern, 30. April 2012 Christiane Tretter

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort v

I Grundlegende Notationen und Beweistypen 11 Mathematische Aussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Logische Struktur gängiger Beweistypen . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Grundlegende mathematische Objekte . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

II Natürliche Zahlen und vollständige Induktion 55 Peano-Axiome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 Vollständige Induktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 Fakultät und Binomialkoeffizienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9Übungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

III Reelle Zahlen 138 Körperstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 Anordnungsaxiome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1610 Vollständigkeit von R . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20Übungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

IV Metrische Räume und Folgen 2311 Konvergenz von Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2312 Rechenregeln für Folgen und Grenzwerte . . . . . . . . . . . . . . . . 2913 Konstruktion von R . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3614 Vergleichssätze, monotone Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38Übungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

V Komplexe Zahlen und Reihen 4515 Definition von C . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4516 Folgen in C . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4817 Reihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5018 Absolute Konvergenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5719 Potenzreihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64Übungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68

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viii Inhaltsverzeichnis

VI Stetige Funktionen 7120 Stetigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7121 Grenzwerte und einseitige Stetigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7822 Sätze über stetige Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83Übungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87

VII Differentialrechnung inR 8923 Differenzierbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8924 Mittelwertsätze und lokale Extrema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98Übungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107

VIII Integralrechnung inR 10925 Das Riemann-Integral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10926 Integration und Differentiation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11727 Integrationsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11928 Uneigentliche Integrale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12229 Gleichmäßige Konvergenz von Funktionenfolgen . . . . . . . . . . . 124Übungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129

IX Taylorpolynome und -reihen 13130 Taylorpolynome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13131 Taylorreihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13732 Iterationsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142Übungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149

Literaturverzeichnis 151

Index 153

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I Grundlegende Notationenund Beweistypen

Die Formulierung mathematischer Aussagen und ihrer Beweise ist zu Beginn oft sehrungewohnt. Sie verwendet eine spezielle Sprache und nur streng logische Argumente.Eine Übersicht wichtiger Notationen und Beweistypen kann hier helfen.

� 1Mathematische Aussagen

Mengen und Aussagen. Eine Menge M ist die Zusammenfassung unterscheidbarerObjekte, die man Elemente von M nennt. Man schreibt:

x ∈ M x ist Element der Menge M.

x /∈ M x ist kein Element der Menge M.

Eine Aussage A ist ein Satz, der einen Sachverhalt beschreibt und dem ein Wahrheits-wert, wahr (w) oder falsch (f), zugeordnet werden kann.

Quantoren. Ist A eine Aussage und M eine Menge, schreibt man:

∀ x ∈ M: A Für alle Elemente x der Menge M gilt A.

∃ x ∈ M: A Es gibt (mindestens) ein x aus M, für das A gilt.

∃! x ∈ M: A Es gibt genau ein x aus M, für das A gilt.

� x ∈ M: A Es gibt kein Element der Menge, für das A gilt.

Statt ∀ x ∈ M: A schreiben wir im Folgenden auch A, x ∈ M.

Junktoren und Negation. Sind A und B Aussagen, so bildet man damit die folgendenweiteren Aussagen:

¬A A gilt nicht.

A ∧ B A und B gelten gleichzeitig.

A ∨ B A oder B gilt (auch beide dürfen gelten).

A �⇒ B Aus A folgt B.

oder: A ist hinreichende Bedingung für B.

oder: B ist notwendige Bedingung für A.

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2 I Notationen und Beweistypen

A ⇐⇒ B A gilt genau dann, wenn B gilt (d.h. (A �⇒ B) ∧ (B �⇒ A)).

oder: A und B sind äquivalent.

oder: A ist hinreichende und notwendige Bedingung für B.

Beachte: Wenn A nicht gilt, ist A �⇒ B immer wahr.

� 2Definitionen

Im Unterschied zu Gleichungen und Implikationen schreiben wir bei Definitionen

:= bzw. :⇐⇒ wird definiert als bzw. durch;

die Symbole =: bzw.⇐⇒: bedeuten, dass das definierte Objekt rechts steht.

N := {1, 2, 3, . . . }, n ∈ N gerade :⇐⇒ ∃ m ∈ N: n = 2m,n ∈ N ungerade :⇐⇒ ∃ m ∈ N: n = 2m − 1.

Beispiel I.1

� 3Logische Struktur gängiger Beweistypen

Um eine Behauptung A �⇒ B zu beweisen, gibt es verschiedene Wege. Einige wichtigeBeweistypen stellen wir hier vor. Das Beweisende bezeichnet man mit (oder auchq.e.d., quod erat demonstrandum, lateinisch für„was zu beweisen war“).

Direkter Schluss. Um A �⇒ B zu zeigen, setze A voraus und folgere daraus B.

Für alle n ∈ N gilt: n gerade �⇒ n2 gerade.Beispiel I.2

Beweis. n gerade �⇒ ∃ m ∈ N: n = 2m �⇒ n2 = (2m)2 = 2 · 2m2

�⇒ n2 = 2m′ mit m′ := 2m2 ∈ N �⇒ n2 ist gerade.

Beweis des logisch Transponierten. Um A �⇒ B zu zeigen, kann man auch ¬B �⇒ ¬Azeigen. Es gilt nämlich:

(A �⇒ B) ⇐⇒ (¬B �⇒ ¬A).

Für alle n ∈ N gilt: n2 gerade �⇒ n gerade.Beispiel I.3

Beweis. Zeige dazu: n ungerade �⇒ n2 ungerade.

n ungerade �⇒ ∃ m ∈ N: n = 2m − 1

�⇒ n2 = (2m − 1)2 = 4m2 − 4m + 1 = 2(2m2 − 2m + 1) − 1

�⇒ n2 = 2m′ − 1 mit m′ := 2m2 − 2m + 1 ∈ N �⇒ n2 ungerade.

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4 Grundlegende mathematische Objekte 3

Indirekter Beweis (Widerspruchsbeweis). Um A �⇒ B zu zeigen, nimmt man an, dassA �⇒ B nicht gilt, d.h., dass A ∧ ¬B gilt, und zeigt, dass dies auf einen Widerspruch(�) C ∧ ¬C für eine dritte Aussage C führt.

a, b ∈ R �⇒ 2ab ≤ a2 + b2. Beispiel I.4

Beweis. Angenommen, die Behauptung gilt nicht:

2ab > a2 + b2 �⇒ 0 > a2 + b2 − 2ab = (a − b)2 �.

Beachte: Es reicht nicht zu zeigen, dass aus der Behauptung eine wahre Aussage folgt.So beweist etwa 2ab ≤ a2 + b2 �⇒ 0 ≤ a2 + b2 − 2ab = (a − b)2 nicht, dass2ab ≤ a2 + b2 gilt, denn logische Schlüsse müssen nicht umkehrbar sein:

−1 = 1 �⇒ (−1)2 = 12 wahr (da − 1 = 1 nicht gilt),

(−1)2 = 12 �⇒ −1 = 1 falsch!!!

Vollständige Induktion. Damit kann man zeigen, dass eine Aussage A(n) für alle natür-lichen Zahlen n ∈ N gilt bzw. für n ≥ n0 mit n0 ∈ N (siehe Kapitel 6).

� 4Grundlegende mathematische Objekte

Mengen. Für Mengen X, Y schreibt man:

X ⊂ Y :⇐⇒ ∀ x ∈ X: x ∈ Y , (X Teilmenge von Y ),

X = Y :⇐⇒ (X ⊂ Y ) ∧ (Y ⊂ X),

und man definiert bzw. nennt:

X \ Y := {x: x ∈ X ∧ x �∈ Y } (Differenz),

X ∪ Y := {x: x ∈ X ∨ x ∈ Y } (Vereinigung),

X ∩ Y := {x: x ∈ X ∧ x ∈ Y } (Durchschnitt),

∅ := {} (leere Menge; beachte: ∅ �= {0}),

P(X) := {M: M ⊂ X} (Potenzmenge),

X × Y := {(x, y): x ∈ X, y ∈ Y } (kartesisches Produkt).

X, Y disjunkt :⇐⇒ X ∩ Y = ∅ (und schreibt dann X ∪ Y ),

#X := Anzahl der Elemente von X, falls X endlich viele Elemente hat.

Die Potenzmenge ist die Menge aller Teilmengen von X, also eine Menge vonMengen; sie enthält immer ∅ und X.

Bemerkung I.5

X = {0, 1} �⇒ P(X) ={∅, {0}, {1}, {0, 1}}. Beispiel I.6

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4 I Notationen und Beweistypen

Für X := {n ∈ N: n gerade}, Y := {n ∈ N: n ungerade} gelten:

X ⊂ N, Y ⊂ N, X ∩ Y = ∅, X ∪ Y = N,

N ×N = {(n, k): n, k ∈ N} (Gitterpunkte im 1. Quadranten).

Beispiel I.7

Funktionen. Eine Funktion (oder Abbildung) zwischen zwei Mengen X und Y ist ei-ne Vorschrift

f : X → Y , x �→ f (x),

die jedem Element x ∈ X ein eindeutiges f (x) ∈ Y zuordnet. Man nennt

Df := X Definitionsbereich von f ,

G(f ) :={(

x, f (x))

: x ∈ X} ⊂ X × Y Graph von f ,

f (X) :={

f (x): x ∈ X}

Wertebereich von f .

Die Funktion f : X → Y heißt

injektiv :⇐⇒ ∀ x, x′ ∈ X:(f (x) = f (x′) �⇒ x = x′),

surjektiv :⇐⇒ f (X) = Y ,

bijektiv :⇐⇒ f injektiv ∧ f surjektiv ⇐⇒ ∀ y ∈ Y ∃! x ∈ X: f (x) = y;

in diesem Fall wird wieder eine Funktion definiert durch

f −1: Y → X, y �→ x =: f −1(y) (Umkehrfunktion von f ).

Injektivität und Surjektivität hängen von X und Y ab: Ist R die Menge der reellenZahlen (siehe Kapitel III, IV) und R+

0 := {x ∈ R: x ≥ 0}, so ist

f :R → R, x �→ x2 weder injektiv noch surjektiv,

f :R+0 → R+

0 , x �→ x2 bijektiv.

Bemerkung I.8

Für Teilmengen A ⊂ X, B ⊂ Y setzt man:

f∣∣

A: A → Y , f

∣∣A

(x) := f (x), x ∈ A (Einschränkung von f auf A),

f (A) := {f (x): x ∈ A} (Bild von A unter f ),

f −1(B) := {x ∈ X: f (x) ∈ B} (Urbild von B unter f ).

Sind X, Y , Z Mengen und f , g : X → Y , h: Y → Z Funktionen, so definieren wir

f ≡ g :⇐⇒ f (x) = g(x), x ∈ X,

h ◦ f : X → Z, (h ◦ f )(x) := h(f (x)), x ∈ X (Komposition von h mit f ).

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II Natürliche Zahlen undvollständige Induktion

Die natürlichen Zahlen scheinen uns von Kind auf vertraut. Mathematisch werdenN = {1, 2, . . .} bzw. N0 = {0, 1, 2, . . .} durch Axiome eingeführt. Ein Axiom ist einunbeweisbarer Grundsatz, der als wahr angenommen wird. Axiomensysteme müssenwiderspruchsfrei sein und möglichst minimal ([30]).

� 5Peano-Axiome

Die charakteristischen Eigenschaften der natürlichen Zahlen {0, 1, 2, . . .} = N0 be-ruhen auf den folgenden Axiomen von Peano1.

(P1) 0 ∈ N0,

(P2) ∀ n ∈ N0 ∃! ν(n) ∈ N0,

(P3) ∀ n ∈ N0: 0 �= ν(n),

(P4) ∀ n, m ∈ N0:(ν(n) = ν(m) �⇒ n = m

),

(P5) ∀ M ⊂ N0:(0 ∈ M ∧ (n ∈ M �⇒ ν(n) ∈ M)

) �⇒ M = N0.

Axiom (P5) wird Induktionsprinzip genannt. Für n ∈ N heißt die Zahl ν(n) derNachfolger von n. Nach (P4) und (P5) ist die Abbildung ν :N0 → N0 \ {0} bijektiv.

Mittels der Abbildung ν und der Axiome (P3), (P4) definieren wir nun die Mengeder natürlichen Zahlen 1, 2, 3, . . . und darauf eine Addition +, eine Multiplikation ·sowie eine Vergleichsrelation ≤.

(i) Definiere die Menge der natürlichen Zahlen N := {1, 2, . . . } als

1 := ν(0), 2 := ν(1) = ν(ν(0)), . . . .

(ii) Für n, m ∈ N0 := N ∪ {0} definiere n + m und n · m sukzessive durch

n + 0 := n,n + 1 := ν(n),

Definition II.1

1Giuseppe Peano, ∗27. August 1858 in Spinetta, Piemont, 20. April 1932 in Turin, italienischer Ma-thematiker, der sich vor allem mit mathematischer Logik, der Axiomatik der natürlichen Zahlen und mitDifferentialgleichungen erster Ordnung beschäftigte.

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6 II Natürliche Zahlen und vollständige Induktion

n + (m + 1) := (n + m) + 1, n, m ∈ N0 (z.B. n + 2 := (n + 1) + 1 usw.),n · 0 := 0,n · 1 := n,n · (m + 1) := (n · m) + n.

(iii) Für n, m ∈ N0 definiere

n ≤ m :⇐⇒ m ≥ n :⇐⇒ ∃ d ∈ N0: n + d = m;

man sagt dann, n ist kleiner gleich m oder m ist größer gleich n.

– Addition + und Multiplikation · sind assoziativ und kommutativ mit neu-tralen Elementen 0 bzw. 1 sowie distributiv (vgl. Kapitel III).

– Die Zahl d in (iii) ist eindeutig und heißt Differenz von m und n; man schreibt

m − n := d.

Bemerkung II.2

Die Menge der natürlichen Zahlen hat einige wichtige Eigenschaften, die hier nicht be-wiesen werden sollen (für die Beweise siehe z.B. [19]).

Euklidischer Algorithmus, Division mit Rest. Zu jedem m ∈ N und n ∈ N0

existieren eindeutige k, l ∈ N0, l < m, mit

n = k · m + l.

Satz II.3

Wohlordnungssatz. Jede nichtleere Teilmenge von N0 besitzt ein kleinstes Element,d.h.

∀ M ⊂ N0, M �= ∅, ∃ m0 ∈ M:(∀ m ∈ M: m0 ≤ m

).

Satz II.4

Die Menge der natürlichen Zahlen ist nicht nach oben beschränkt, d.h.

� N ∈ N0:(∀ n ∈ N0: n ≤ N

).

Satz II.5

� 6Vollständige Induktion

Weil es unendlich viele natürliche Zahlen gibt, kann man eine Aussage A(n) für allenatürlichen Zahlen n ∈ N0 nicht durch das sukzessive Zeigen von A(1), A(2), . . .beweisen. Hier braucht man das Prinzip der vollständigen Induktion.

Um eine Aussage A(n) für alle n ∈ N0, n ≥ n0, ab einem festen n0 ∈ N0 zu beweisen,reicht es nämlich nach Axiom (P5), zwei Behauptungen zu zeigen:

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6 Vollständige Induktion 7

(i) Induktionsanfang : Zeige A(n0).

(ii) Induktionsschritt: Zeige für beliebiges n ∈ N0, n ≥ n0: A(n) �⇒ A(n + 1).

Man wendet dazu (P5) auf die Menge M := {k ∈ N0: A(n0 + k) gilt} an.Im Induktionsschritt nennt man A(n) Induktionsvoraussetzung und A(n + 1) In-

duktionsbehauptung. Für (I) schreiben wir auch n = n0 und für (II) n� n + 1.Formeln für Summen und Produkte beweist man oft mit vollständiger Induktion.

Zum Einstieg formulieren wir den ersten Induktionsbeweis ganz ausführlich.

Bezeichnung. Für m, n ∈ N, m ≤ n, und Zahlen am, am+1, am+2, . . . , an setzen∑

k=m

ak := am + am+1 + . . . + an,

n∏k=m

ak := am · am+1 · . . . · an;

für m > n benutzt man die Konventionenn∑

k=m

ak := 0,

n∏k=m

ak := 1.

n∑k=1

k = 1 + 2 + · · · + n =1

2n(n + 1), n ∈ N.

Satz II.6

Beweis (durch vollständige Induktion nach n, n0 = 1).

(I) Induktionsanfang n = 1:1∑

k=1

k = 1 =1

21(1 + 1).

(II) Induktionsschritt n� n + 1, n ∈ N beliebig: Wir zeigen nun, dass aus A(n) dieBehauptung A(n + 1) folgt. Dazu formulieren wir beide Aussagen explizit:

Induktionsvoraussetzung :n∑

k=1

k =1

2n(n + 1). (Aussage A(n))

Induktionsbehauptung :n+1∑k=1

k =1

2(n + 1)(n + 2). (Aussage A(n + 1))

Wir folgern nun mittels Induktionsvoraussetzung die Induktionsbehauptung:n+1∑k=1

k =( n∑

k=1

k)

+ (n + 1)Ind.vor.

=1

2n(n + 1) + (n + 1)

=(1

2n + 1

)(n + 1) =

1

2(n + 2)(n + 1).

Die MengeR der reellen Zahlen wird erst in Abschnitt IV.13 eingeführt. Wir benutzensie hier vorab für einige weitere wichtige Beispiele.

Geometrische Summenformel. Für alle reellen x ∈ R mit x �= 1 gilt

n∑k=0

xk = 1 + x + · · · + xn =1 − xn+1

1 − x.

Satz II.7

Page 17: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

8 II Natürliche Zahlen und vollständige Induktion

Beweis (durch vollständige Induktion nach n, n0 = 0).

n = 0:0∑

k=0

xk = 1 =1 − x

1 − x.

n� n + 1:n+1∑k=0

xk =n∑

k=0

xk + xn+1 Ind.vor.=

1 − xn+1

1 − x+ xn+1

=1 − xn+1 + (1 − x)xn+1

1 − x=

1 − xn+2

1 − x.

2n > n2, n ∈ N, n ≥ 5.Proposition II.8

Beweis (durch vollständige Induktion nach n, n0 = 5).

n = 5 : 25 = 32 > 25 = 52.

n� n + 1 (n ≥ 5) : Nach Induktionsvoraussetzung ist 2n+1 = 2 · 2n > 2 n2. Für n ≥ 3gilt n2 − 2n + 1 = (n − 1)2 ≥ 2, also n2 ≥ 2n + 1. Damit folgt insgesamt

2n+1 > 2 n2 = n2 + n2 ≥ n2 + 2n + 1 = (n + 1)2.

Der Induktionsschritt kann wie folgt modifiziert werden:

(II’) Zeige für beliebiges n ∈ N0, n ≥ n0:(∀ k = n0, . . . , n: A(k)

) �⇒ A(n+1).

Im Vergleich zu (II) darf man hier außer A(n) auch alle vorherigen Aussagen A(n0),A(n0 + 1), . . . , A(n − 1) zum Beweis von A(n + 1) benutzen.

Bemerkung II.9

Außer für den Beweis durch vollständige Induktion benutzt man das Induktionsprinzipnoch für die rekursive Definition (Definition durch vollständige Induktion):

Um jedem n ∈ N0, n ≥ n0, ein Element f (n) einer Menge X zuzuordnen, reicht esnach dem Induktionsprinzip

(I) f (n0) anzugeben und

(II) für jedes n ∈ N0, n ≥ n0, eine Vorschrift

f (n + 1) = F(f (n0), f (n0 + 1), . . . , f (n)

).

Für eine reelle Zahl x ∈ R definiert man die Potenzen xn, n ∈ N0, durch

(I) x0 := 1,

(II) xn+1 := x · xn, n ∈ N0.

Beispiel

Page 18: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

7 Fakultät und Binomialkoeffizienten 9

� 7Fakultät und Binomialkoeffizienten

In der Wahrscheinlichkeitstheorie spielt die Frage eine Rolle, auf wie viele Weisen mann verschiedene Elemente einer Menge anordnen oder k daraus auswählen kann. Dazubraucht man:

Für n ∈ N0 definieren wir n! ∈ N (gesprochen „n Fakultät“) durch

n! :=n∏

k=1

k = 1 · 2 · · · · · n

oder, äquivalent dazu, rekursiv durch

(I) 0! := 1,

(II) (n + 1)! := (n + 1) · n!, n ∈ N0.

Definition II.10

1! = 1, 2! = 2, 3! = 6, 4! = 24, . . . , 10! = 3 628 800 wird schnell groß! Beispiel

Es sei n ∈ N und M eine Menge mit n Elementen. Eine Anordnung von M ist einebijektive Abbildung von M nach {1, 2, . . . , n}, eine Permutation von M ist einebijektive Abbildung von M in sich.

Definition II.11

– M = {a} besitzt 1 Anordnung a �→ 1 (kurz a),

1 Permutation a �→ a;

– M = {a, b} besitzt

2 Anordnungen a �→ 1, b �→ 2 und a �→ 2, b �→ 1 (kurz ab und ba),

2 Permutationen a �→ a, b �→ b und a �→ b, b �→ a.

Beispiel

Die Anzahl der Anordnungen (Permutationen) einer Menge mit n verschiedenenElementen ist gleich n!.

Satz II.12

Beweis (durch vollständige Induktion nach n, n0 = 1).

n = 1 : Es gibt genau eine Anordnung eines Elements, siehe Beispiel oben.

n� n + 1 : Es sei M eine Menge mit n+1 verschiedenen Elementen. Fixiere eines davon,bezeichnet mit x. Die Anzahl der Anordnungen von M, die x an der 1. Stelle haben, istnach Induktionsvoraussetzung n!. Für die Auswahl von x gibt es n + 1 Möglichkeiten,also gibt es (n + 1) · n! = (n + 1)! Anordnungen von M.

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10 II Natürliche Zahlen und vollständige Induktion

Für k, n ∈ N0, k ≤ n, heißt (n

k

):=

n!

k! (n − k)!

Binomialkoeffizient (gesprochen „n über k“, „k aus n“ oder „n tief k“).

Definition II.13

Aus der Definition folgt sofort, dass für k, n ∈ N0, k ≤ n,(n

k

)=

(n

n − k

),

(n

0

)=

(n

n

)= 1

gilt. Außerdem gibt es eine nützliche Additionsregel für Binomialkoeffizienten:

(n − 1

k − 1

)+

(n − 1

k

)=

(n

k

), k, n ∈ N, k ≤ n − 1.Proposition II.14

Beweis. Nach Definition II.13 der Binomialkoeffizienten folgt(n − 1

k − 1

)+

(n − 1

k

)=

(n − 1)!

(k − 1)! (n − 1 − (k − 1))!+

(n − 1)!

k! (n − 1 − k)!

=(n − 1)!

(k − 1)! (n − 1 − k)!

(1

n − k+

1

k

)︸ ︷︷ ︸

= nk(n−k)=

n!

k! (n − k)!=

(n

k

).

Nach Definition II.13 sind Binomialkoeffizienten scheinbar rationale Zahlen. Einekombinatorische Überlegung zeigt, dass sie tatsächlich natürliche Zahlen sind:

Die Anzahl der k–elementigen Teilmengen einer n–elementigen Menge ist gleich

(n

k

);

insbesondere ist

(n

k

)∈ N.

Satz II.15

Beweis (durch vollständige Induktion nach n, n0 = 0). Zu zeigen ist, dass für alle n ∈ Nfür eine beliebige n–elementige Menge M gilt:

Cnk := #{N ⊂ M: #N = k} =

(n

k

), k = 0, 1, . . . , n.

n = 0 : Die einzige Teilmenge von M = ∅ ist N = ∅, also ist C00 = 1 =

(00

).

n� n + 1 : Es sei k ∈ {0, 1, . . . , n+1}. Für k = n+1 ist M die einzige (n+1)-elementigeTeilmenge von M, also Cn+1

n+1 = 1 =(n+1

n+1

). Für k ≤ n fixiere ein x ∈ M und zerlege

{N ⊂ M: #N = k}︸ ︷︷ ︸=:N

= {N ⊂ M: #N = k, x ∈ N}︸ ︷︷ ︸=:N1

.∪{N ⊂ M: #N = k, x /∈ N}︸ ︷︷ ︸=:N2

.

Da k ≤ n ist, liefert die Induktionsvoraussetzung #N1 =( n

k−1

), #N2 =

(nk

). Weil

N1 ∩ N2 = ∅, folgt dann mit der Additionsregel für Binomialkoeffizienten

Cn+1k = #N = #N1 + #N2 =

(n

k − 1

)+

(n

k

)Prop. II.14

=

(n + 1

k

).

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7 Fakultät und Binomialkoeffizienten 11

„6 aus 49“: Die Anzahl der Möglichkeiten, 6 Zahlen aus den Zahlen 1 bis 49auszuwählen, ist(

49

6

)=

49!

6! 43!=

49 · 48 · 47 · 46 · 45 · 44

1 · 2 · 3 · 4 · 5 · 6= 13 983 816,

die Chance auf einen „Sechser“ im Lotto ist also nur ca. 1 : 14 Millionen!

Beispiel

Binomialkoeffizienten sind auch sehr nützlich, um die n-te Potenz einer Summe zweierZahlen auszurechnen; der Fall n = 2 ist sicher der bekannteste.

Binomischer Lehrsatz. Für alle reellen x, y ∈ R und n ∈ N0 ist

(x + y)n =n∑

k=0

(n

k

)xkyn−k.

Satz II.16

Beweis (durch vollständige Induktion nach n, n0 = 0).

n = 0 : Nach Definition der Potenzen gilt (x + y)0 = 1 =(0

0

)x0y0.

n� n + 1 : Nach Induktionsvoraussetzung ist

(x + y)n+1 = (x + y) · (x + y)n = (x + y)n∑

k=0

(n

k

)xkyn−k

=n∑

k=0

(n

k

)xk+1yn−k +

n∑k=0

(n

k

)xkyn−k+1.

Benutzen wir in der ersten Summe die Indexverschiebung k � k − 1 und dann dasAdditionsgesetz für Binomialkoeffizienten, ergibt sich

(x + y)n+1 =n+1∑k=1

(n

k − 1

)xkyn−(k−1) +

n∑k=0

(n

k

)xkyn−(k−1)

= xn+1 +n∑

k=1

((n

k − 1

)+

(n

k

))︸ ︷︷ ︸

=(n+1k ) nach Prop. II.14

xkyn+1−k + yn+1

=n+1∑k=0

(n + 1

k

)xkyn+1−k.

Speziell für x = y = 1 und x = −1, y = 1 erhält man aus Satz II.16 sofort:

n∑k=0

(n

k

)= 2n, n ∈ N0;

n∑k=0

(−1)k

(n

k

)= 0, n ∈ N.

Korollar II.17

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12 II Natürliche Zahlen und vollständige Induktion

Die Koeffizienten der Potenzen von x und y in

(x + y)0 = 1,

(x + y)1 = x + y,

(x + y)2 = x2 + 2xy + y2,

(x + y)3 = x3 + 3x2y + 3xy2 + y3,

(x + y)4 = x4 + 4x3y + 6x2y2 + 4xy3 + y4,

(x + y)5 = x5 + 5x4y + 10x3y2 + 10x2y3 + 5xy4 + y5, . . .

kann man praktisch im sog. Pascalschen2 Dreieck anordnen:

11 1

1 2 11 3 3 1

1 4 6 4 11 5 10 10 5 1

... ... ... ... ... ... ...

(n − 1

k − 1

)+

(n − 1

k

)=

(n

k

)

Wegen des Additionsgesetzes für Binomialkoeffizienten aus Proposition II.14 ist jedeZahl im Innern des Dreiecks die Summe der beiden darüber stehenden Zahlen.

Bemerkung II.18

Übungsaufgaben

II.1. Beweise für n ∈ N die Summenformeln:

a)n∑

k=1

k3 =n2(n + 1)2

4, b)

2n∑k=1

(−1)k+1 1

k=

n∑k=1

1

n + k.

II.2. Zeige, dass für jedes n ∈ N die Zahl 42n+1 + 3n+2 durch 13 teilbar ist.

II.3. Finde und beweise eine Summenformel für

n∑k=1

1

k(k + 1)=

1

1 · 2+

1

2 · 3+

1

3 · 4+ . . . +

1

n(n + 1), n ∈ N.

II.4. Beweise, dass für alle n, k ∈ Nk∑

j=0

(n + j

j

)=

(n + 1 + k

k

).

Was bedeutet diese Formel im Pascalschen Dreieck?

2Blaise Pascal, ∗19. Juni 1623 in Clermont-Ferrand, 19. August 1662 in Paris, französischer Mathe-matiker und Philosoph, der in Korrespondenz mit Fermat die Grundlagen der Wahrscheinlichkeitstheorielegte.

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III Reelle Zahlen

Die Forderung nach der Lösbarkeit gewisser Gleichungen motiviert die Erweiterungder Menge der natürlichen Zahlen, in diesem Kapitel zunächst auf die ganzen Zahlen,die rationalen Zahlen und die reellen Zahlen.

Problem in N0: Die Gleichung a + x = b mit a, b ∈ N0 muss keine Lösung x ∈ N0

haben, z. B.x + 1 = 0 �⇒ x �∈ N0.

Für n ∈ N definiert man daher −n als die Lösung der Gleichung x + n = 0 und

Z := {±n: n ∈ N0} (ganze Zahlen).

Problem in Z: Die Gleichung a · x = b mit a, b ∈ Z muss keine Lösung x ∈ Zhaben, z. B.

2 · x = 1 �⇒ x �∈ Z.

Für p, q ∈ Z, q �= 0 definiert manp

qals die Lösung der Gleichung x · q = p und

Q :=

{p

q: p, q ∈ Z, q �= 0

}(rationale Zahlen).

Problem inQ: Die Gleichung x2 = a mit a ∈ Qmuss keine Lösung x ∈ Q haben, z. B.

x2 = 2 �⇒ x �∈ Q.

Die Lösungen solcher Gleichungen nennt man algebraische Zahlen ([27, S. 36]).Noch allgemeiner definiert man als Erweiterung der algebraischen Zahlen die Men-

ge der reellen Zahlen R, deren Konstruktion nicht-trivial ist (siehe Kapitel IV).Im Folgenden untersuchen wir zunächst die drei Eigenschaften, die R charakteri-

sieren: Körperstruktur, Anordnung und Vollständigkeit.

� 8Körperstruktur

Die uns geläufigen Rechenregeln für die Addition und Multiplikation von Zahlen lassensich alle aus den folgenden Körperaxiomen herleiten.

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14 III Reelle Zahlen

Ein Körper (K , +, · ) ist eine Menge K , #K ≥ 2, mit zwei Verknüpfungen

+: K × K → K , (x, y) �→ x + y,

· : K × K → K , (x, y) �→ x · y,

die folgende Axiome erfüllen:

Definition III.1

Axiome der Addition:

(A1) x + (y + z) = (x + y) + z, x, y, z ∈ K (Assoziativität),

(A2) x + y = y + x, x, y ∈ K (Kommutativität),

(A3) ∃ 0 ∈ K : x + 0 = x, x ∈ K (Existenz des neutralen Elements 0),

(A4) ∀ x ∈ K ∃ −x ∈ K : x + (−x) = 0 (Existenz des inversen Elements);

man definiert damit x − y := x + (−y), x, y ∈ K .

Axiome der Multiplikation:

(M1) x · (y · z) = (x · y) · z, x, y, z ∈ K (Assoziativität),

(M2) x · y = y · x, x, y ∈ K (Kommutativität),

(M3) ∃ 1 ∈ K : x · 1 = x, x ∈ K (Existenz des neutralen Elements 1),

(M4) ∀ x ∈ K , x �= 0, ∃ x−1 ∈ K : x · x−1 = 1 (Existenz des inversen Elements);

man definiert damitx

y:= x · y−1, x, y ∈ K , y �= 0.

Distributivgesetz:

(D) x · (y + z) = x · y + x · z, x, y, z ∈ K .

Die Axiome (A1) bis (A4) bzw. (M1) bis (M4) kann man kurz auch so formulieren:(K , +) und (K \ {0}, ·) bilden jeweils eine abelsche Gruppe (siehe [12, 1.2]).

– (Q, +, · ) ist ein Körper;

– (R, +, · ) ist ein Körper (siehe Kapitel IV);

– (Z, +, · ) ist kein Körper, da (M4) verletzt ist;

– (N, +, · ) ist erst recht kein Körper, weil (M4) und (A4) nicht gelten;

– (F2, +, · ) mit F2 = {0, 1} und +, · definiert durch

+ 0 1 · 0 10 0 1 0 0 01 1 0 1 0 1

ist ein Körper (der kleinstmögliche).

Beispiele

Aus den Körperaxiomen ergeben sich eine Reihe von Folgerungen und Rechenregelnin Körpern. Viele erscheinen vom Rechnen mit Zahlen her selbstverständlich, sind esaber z. B. im Körper F2 schon weniger:

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8 Körperstruktur 15

Es sei (K , +, · ) ein Körper. Dann gelten:

(i) 0 und 1 sind eindeutig.

(ii) −x und x−1 sind zu jedem x ∈ K eindeutig bestimmt.

(iii) −0 = 0.

(iv) Die Gleichung a +x = b mit a, b ∈ K hat in K die eindeutige Lösung x = b −a.

(v) −(−x) = x, x ∈ K.

(vi) −(x + y) = −x − y, x, y ∈ K.

(vii) Die Gleichung a · x = b mit a, b ∈ K , a �= 0, hat in K die eindeutige Lösung

x = a−1 · b =b

a.

(viii) (x + y) · z = x · z + y · z, x, y, z ∈ K.

(ix) x · 0 = 0 · x = 0, x ∈ K.

(x) x · y = 0 ⇐⇒ x = 0 ∨ y = 0, x, y ∈ K.

(xi) (−x) · y = −(x · y), x, y ∈ K.

(xii) (−x) · (−y) = x · y, x, y ∈ K.

(xiii) (x−1)−1 = x, x ∈ K , x �= 0.

(xiv) (x · y)−1 = x−1 · y−1, x, y ∈ K , x, y �= 0.

Proposition III.2

Beweis. Wir beweisen beispielhaft einige der Behauptungen:(i) Eindeutigkeit der 0: Es sei 0′ ∈ K mit

x + 0′ = x, x ∈ K .

Speziell für x = 0 folgt 0 + 0′ = 0. Nach (A3) mit x = 0′ ist 0′ + 0 = 0′, also

0 = 0 + 0′ (A2)= 0′ + 0 = 0′.

(iv) Existenz der Lösung: x = b − a ist Lösung von a + x = b, denn es gilt

a + (b − a)(A2)= a + (−a + b)

(A1)= (a + (−a))︸ ︷︷ ︸

=0 nach (A4)

+b = 0 + b(A2)= b + 0

(A3)= b.

Eindeutigkeit der Lösung: Angenommen, x′ ∈ K erfüllt a + x′ = b. Dann gilt

x′ (A3),(A2)= 0 + x′ (A2),(A4)

= (−a + a) + x′ (A1)= −a + (a + x′) = −a + b

(A2)= b − a.

(ix) Für x ∈ K gilt

x · 0 + x · 0(D)= x · (0 + 0)

(A3)= x · 0

(A3)= x · 0 + 0.

Wegen der Eindeutigkeit in (iv) folgt x · 0 = 0 und nach (M2) dann 0 · x = x · 0 = 0.

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16 III Reelle Zahlen

(x) „ �⇒ “: Angenommen, es gilt x · y = 0 und x �= 0 (analog für y �= 0). Dann ist nach(M2) auch y · x = 0, und es folgt

y(M3)= y · 1

(M4)= y · (x · x−1)

(M1)= (y · x) · x−1 = 0 · x−1 (ix)

= 0.

„⇐�“: Aus x = 0 ∨ y = 0 folgt x · y = 0 mit (ix).

Ist K ein Körper, definiere für x ∈ K die ganzzahligen Potenzen

x0 := 1,

xn := x · xn−1, n ∈ N,

x−n := (x−1)n, n ∈ N.

Definition III.3

Es sei K ein Körper. Dann gelten für x, y ∈ K und n, m ∈ Z:

(i) xn · xm = xn+m,

(ii) (xn)m = xn·m,

(iii) (x · y)n = xn · yn.

Proposition III.4

Beweis. Wir beweisen z.B. (iii). Für n ∈ N0 benutzen wir vollständige Induktion:

n = 0: Nach Definition III.3 und (M3) gilt:

(x · y)0 = 1 = 1 · 1 = x0 · y0.

n� n + 1: Nach Definition III.3 und Induktionsvoraussetzung gilt:

xn+1 · yn+1 = (x · xn) · (y · yn)(M1),(M2)

= (x · y) · (xn · yn)︸ ︷︷ ︸=(x·y)n

= (x · y) · (x · y)n

= (x · y)n+1.

Ist −n ∈ N, so ist nach Definition III.3, Proposition III.2 (xiv) und der bereits bewie-senen Behauptung, angewendet auf −n:

xn · yn (ii)=(x−1)−n · (y−1

)−n=(x−1 · y−1

)−n=((x · y)−1

)−n (ii)= (x · y)n.

� 9Anordnungsaxiome

Aus dem Alltag sind wir gewohnt, Zahlen miteinander vergleichen zu können. Beiallgemeinen Körpern ist das nicht immer möglich:

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9 Anordnungsaxiome 17

Ein Körper (K , +, · ) heißt angeordnet, wenn darauf eine Eigenschaft positiv (> 0)definiert ist, die die folgenden Axiome erfüllt:

(AO1) Für alle x ∈ K gilt genau eine der Eigenschaften x > 0, x = 0 oder −x > 0.

(AO2) x > 0 ∧ y > 0 �⇒ x + y > 0, x, y ∈ K .

(AO3) x > 0 ∧ y > 0 �⇒ x · y > 0, x, y ∈ K .

Für einen angeordneten Körper schreibt man dann auch (K , +, · , >).

Definition III.5

Bezeichnung. Für x, y, z ∈ K definiert man

(i) x > y :⇐⇒ x − y > 0 (⇐⇒: y < x),

(ii) x ≥ y :⇐⇒ x − y > 0 ∨ x = y (⇐⇒: y ≤ x).

Ein Element x ∈ K heißt

negativ :⇐⇒ x < 0,

nichtpositiv :⇐⇒ x ≤ 0,

nichtnegativ :⇐⇒ x ≥ 0.

(Q, +, · , >) und (R, +, · , >) sind angeordnete Körper, z.B. ist auf Q

p

q> 0 :⇐⇒ (p ∈ N ∧ q ∈ N) ∨ (−p ∈ N ∧ −q ∈ N).

Beispiele

Die Anordnungsaxiome liefern wichtige Regeln zum Rechnen mit Ungleichungen:

Sind (K , +, · , >) ein angeordneter Körper und x, x′, y, y′, z ∈ K, so gelten:

(i) x < y ∧ y < z �⇒ x < z (Transitivität);

(ii) x < y ∧ a ∈ K �⇒ x + a < y + a;

(iii) x < y ∧ x′ < y′ �⇒ x + x′ < y + y′;

(iv) x < y ∧ a ∈ K , a > 0 �⇒ a · x < a · y,

x < y ∧ a ∈ K , a < 0 �⇒ a · x > a · y;

(v) 0 ≤ x < y ∧ 0 ≤ x′ < y′ �⇒ 0 ≤ x′ · x < y′ · y;

(vi) x �= 0 �⇒ x2 > 0;

(vii) x > 0 �⇒ x−1 > 0;

(viii) 0 < x < y �⇒ 0 < y−1 < x−1;

(ix) 1 > 0.

Wegen (i) setzt man dann: x < y < z :⇐⇒ x < y ∧ y < z.

Proposition III.6

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18 III Reelle Zahlen

Beweis. Wir beweisen exemplarisch (i), (vi), (vii) und (ix):

(i) x < y ∧ y < z �⇒ y − x > 0 ∧ z − y > 0(AO2)�⇒ (y − x) + (z − y) > 0

(A1),(A2)�⇒ z − x > 0 �⇒ x < z.

(vi) x > 0 �⇒ x2 = x · x(AO3)> 0,

x < 0Prop. III.2(xii)�⇒ x2 = (−x)︸︷︷︸

>0

· (−x)︸︷︷︸>0

(AO3)> 0.

(vii) x > 0 �⇒ x−1 =(x · x−1

) · x−1 = x · (x−1)2︸ ︷︷ ︸>0 nach (vi)

(AO3)> 0.

(ix) 1 = 1 · 1 = 12 (vi)> 0.

Nicht jeder Körper besitzt eine Anordnung. Ein Beispiel ist (F2, +, · ). Gäbe es eineAnordnung „ >“ auf F2, so wäre einerseits nach Definition 1 + 1 = 0, andererseitsnach Proposition III.6 (ix) und (AO2) aber

1 > 0 �⇒ 1 + 1 > 0 � zu (AO1).

Beispiel

Bernoullische1 Ungleichung. Ist (K , +, · , >) ein angeordneter Körper, so gilt füralle x ∈ K, x ≥ −1, und n ∈ N0:

(1 + x)n ≥ 1 + n · x. (9.1)

Satz III.7

Beweis. Wir führen vollständige Induktion nach n.n = 0: (1 + x)0 = 1 = 1 + 0 · x.n� n + 1: Da x ≥ −1, ist 1 + x ≥ 0. Mit der Induktionsvoraussetzung folgt dann

(1 + x)n+1 = (1 + x)︸ ︷︷ ︸≥0

·(1 + x)n ≥ (1 + x) · (1 + nx) = 1 + (n + 1) · x + n · x2︸ ︷︷ ︸≥0

≥ 1 + (n + 1) · x.

Bemerkung. Für n ≥ 2 und x �= 0 gilt in (9.1) die strikte Ungleichung (1+x)n > 1+n·x.

Es sei (K , +, · , >) ein angeordneter Körper. Dann definiert man für x ∈ K dasSignum (Vorzeichen) von x als

sign x :=

⎧⎨⎩1, falls x > 0,0, falls x = 0,

−1, falls x < 0,

Definition III.8

1Jakob I. Bernoulli, ∗ 6. Januar 1655 und 16. August 1705 in Basel, Schweizer Mathematiker, Brudervon Johann Bernoulli und Onkel von Jakob II. Bernoulli, studierte gegen den Willen seines Vaters nebenPhilosophie und Theologie autodidaktisch Mathematik und Astronomie.

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9 Anordnungsaxiome 19

und den Absolutbetrag von x als

|x| := (sign x) · x =

{x, falls x ≥ 0,

−x, falls x < 0.

In einem angeordneten Körper (K , +, · , >) gelten für x, y ∈ K:

(i) |x| ≥ 0,

(ii) |x| = 0 ⇐⇒ x = 0,

(iii) | −x| = |x|,(iv) x ≤ |x|, −x ≤ |x|,(v) |x · y| = |x| · |y|,

(vi)∣∣∣x

y

∣∣∣ =|x||y| , y �= 0.

Proposition III.9

Beweis. Eine einfache, aber gute Übung!

Dreiecksungleichung. In einem angeordneten Körper (K , +, · , >) gilt:

|x + y| ≤ |x| + |y|, x, y ∈ K .

Satz III.10

Beweis. Nach Proposition III.9 gilt für x, y ∈ K

x ≤ |x| ∧ y ≤ |y|−x ≤ |x| ∧ −y ≤ |y|

Prop. III.6�⇒ x + y ≤ |x| + |y|,−(x + y) = −x − y ≤ |x| + |y|,

also insgesamt |x + y| ≤ |x| + |y|.

In einem angeordneten Körper (K , +, · , >) gilt:∣∣|x| − |y|∣∣ ≤ |x + y| ≤ |x| + |y|, x, y ∈ K .

Korollar III.11

Beweis. Zu zeigen ist nur noch die linke Ungleichung. Mit der Dreiecksungleichungund Proposition III.9 ergibt sich für x, y ∈ K :

|x| = |x + y − y| ≤ |x + y| + |y| �⇒ |x| − |y| ≤ |x + y|,|y| = |x + y − x| ≤ |x + y| + |x| �⇒ −

(|x| − |y|) = |y| − |x| ≤ |x + y|,also insgesamt

∣∣|x| − |y|∣∣ ≤ |x + y|.

Ein Körper (K , +, · ) heißt archimedisch angeordnet, wenn er angeordnet ist unddarin das sog. Archimedische2 Axiom gilt:

Definition III.12

2Archimedes von Syrakus, vermutlich ∗ 287 v. Chr., 212 v. Chr. in Syrakus, Sizilien, griechischerMathematiker und Physiker, der als einer der bedeutendsten der Antike gilt; das Archimedische Axiomstammt aber eigentlich von Eudoxos von Knidos.

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20 III Reelle Zahlen

(AO4) Für alle x, y ∈ K , x, y > 0, existiert ein n ∈ N0 mit

nx > y.

(Q, +, · , >) und (R, +, · , >) sind archimedisch angeordnet.Beispiel

In einem archimedisch angeordneten Körper (K , +, · , >) gelten:

(i) Ist b > 1, so existiert zu jedem � > 0 ein N ∈ Nmit

bN > �.

(ii) Ist 0 < q < 1, so existiert zu jedem " > 0 ein N ∈ Nmit

qN < ".

Satz III.13

Beweis. (i) Da b > 1, gilt x := b − 1 > 0 und b = 1 + x. Mit der BernoullischenUngleichung folgt

bn = (1 + x)n ≥ 1 + nx, n ∈ N0.

Nach (AO4) existiert nun ein N ∈ Nmit N · x > �, also

bN ≥ 1 + Nx > 1 + � > �.

(ii) folgt direkt aus (i), mit b = q−1 und � = "−1.

� 10Vollständigkeit von R

In diesem Abschnitt führen wir die Eigenschaft ein, die R von Q unterscheidet. InKapitel IV werden wir eine Reihe anderer Charakterisierungen der Vollständigkeitkennenlernen.

Ist (K , +, ·, >) ein angeordneter Körper und M ⊂ K , so heißen

(i) s ∈ K obere (bzw. untere) Schranke von M

:⇐⇒ ∀ x ∈ M: x ≤ s (bzw. x ≥ s);

(ii) M nach oben (bzw. unten) beschränkt, wenn M eine obere (bzw. untere)Schranke besitzt; M heißt beschränkt, wenn es nach oben und unten be-schränkt ist;

(iii) s ∈ K größtes oder maximales (bzw. kleinstes oder minimales) Elementvon M, s = max M (bzw. s = min M), wenn s obere (bzw. untere) Schrankevon M ist und s ∈ M;

Definition III.14

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10 Vollständigkeit vonR 21

(iv) s ∈ K Supremum von M, s = sup M, wenn s die kleinste obere Schrankevon M ist, d.h.

a) ∀ x ∈ M: x ≤ s (s ist obere Schranke von M),

b)( ∀ x ∈ M: x ≤ s′

) �⇒ s′ ≥ s (jede andere obere Schranke ist ≥ s);

analog heißt die größte untere Schranke s von M Infimum von M, s = inf M.

Man kann zeigen, dass sup M, inf M, max M und min M jeweils eindeutig bestimmtsind, falls sie existieren.

Aus den Definitionen ergibt sich sofort, z. B. für Supremum und Maximum,

s = max M �⇒ s = sup M,

aber nicht umgekehrt, denn es kann sup M /∈ M gelten:

s = max M ⇐⇒ s = sup M ∧ s ∈ M.

InQ sind die Teilmengen

Q− := {x ∈ Q: x < 0} (Menge der negativen Elemente inQ),

Q0− := {x ∈ Q: x ≤ 0} (Menge der nichtpositiven Elemente inQ)

nach oben beschränkt, aber nicht nach unten;Q− hat das Supremum 0 = supQ−,aber kein Maximum, da 0 /∈ Q−. Dagegen hat Q0

− sowohl Supremum als auchMaximum, 0 = supQ0

− = maxQ0−.

Beispiel

Eine praktische Charakterisierung von Supremum und Infimum ist die folgende.

Es seien X ⊂ R, X �= ∅, und � ∈ R eine obere Schranke von X. Dann gilt

� = sup X ⇐⇒ ∀" > 0 ∃ x" ∈ X � − " < x" ≤ � ;

eine analoge Aussage gilt für inf X.

Proposition III.15

Beweis. Der Beweis ist eine sehr gute Übung (Aufgabe III.4), um die sperrigen BegriffeSupremum und Infimum besser verstehen zu lernen!

Unser obiges Beispiel Q wird auch zeigen, dass es sogar nach oben beschränkte Teil-mengen geben kann, die nicht einmal ein Supremum besitzen (siehe Korollar IV.43).Dies führt auf folgende Klassifizierung angeordneter Körper:

Ein angeordneter Körper (K , +, · , >) heißt vollständig, wenn darin das Vollstän-digkeitsaxiom gilt:

(V) Jede nichtleere nach oben beschränkte Teilmenge von K hat ein Supremum.

Definition III.16

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22 III Reelle Zahlen

Im nächsten Kapitel werden wir die Menge der reellen Zahlen R konstruieren undsehen, dass R ein archimedisch angeordneter vollständiger Körper ist, d.h.,R erfüllt

– die Körperaxiome (A1)–(A4), (M1)–(M4), (D),

– die Anordnungsaxiome (AO1)–(AO3),

– das Archimedische Axiom (AO4),

– das Vollständigkeitsaxiom (V).

Man kann zeigen, dass R durch diese Eigenschaften „im Wesentlichen“ eindeutig be-stimmt ist, denn je zwei archimedisch angeordnete vollständige Körper K1, K2 sindisomorph ([10, §5.3]), d.h., es gibt eine bijektive Abbildung ': K1 → K2 mit

'(x + y) = '(x) + '(y), '(x · y) = '(x) · '(y), x, y ∈ K .

Übungsaufgaben

III.1. Beweise die folgenden Ungleichungen für n ∈ N:

a) 2n < n! für n ≥ 4.

b)

(n

k

)1

nk≤ 1

k!für k ∈ N0, k ≤ n.

c)(

1 +1

n

)n ≤n∑

k=0

1

k!< 3.

III.2. Die Fibonacci-Zahlen3 an, n ∈ N0, sind rekursiv definiert durch

a0 := 1, a1 := 1, an+1 := an−1 + an, n ∈ N.

Zeige, dass n ≤ an ≤ 2n für alle n ∈ N0 gilt.

III.3. Bestimme, soweit vorhanden, Infimum, Supremum, Maximum und Minimum folgenderTeilmengen von Q:

a){

x ∈ Q: ∃n ∈ N x = n2}

, c){

x ∈ Q: ∃n ∈ N x =1

n+ 1 + (−1)n

},

b){

x ∈ Q: ∃n ∈ N x =1

n3

}, d)

{x ∈ Q: x2 ≤ 2

}.

III.4. Beweise Proposition III.15 und formuliere die analoge Aussage für das Infimum einerMenge.

3Die Fibonacci-Zahlen spielen eine überraschende Rolle in der Natur, z.B. bei Anordnungen in Tannen-zapfen und Sonnenblumen; auch der Goldene Schnitt hängt mit ihnen zusammen (Aufgabe IV.4).

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IV Metrische Räume undFolgen

Metrische Räume sind Mengen, auf denen eine Abstandsfunktion definiert ist. In derEbene kann man sich z.B. auf freiem Feld die „Luftlinie“ als Abstandsfunktion denken;in einer Stadt dagegen würde man eine andere Abstandsfunktion wählen.

� 11Konvergenz von Folgen

Um das Verhalten von Folgen x1, x2, . . . reeller Zahlen zu untersuchen, führen wir dasKonzept der Konvergenz in einem metrischen Raum ein.

Es sei X eine nichtleere Menge. Eine Metrik auf X ist eine Abbildung d: X × X →[0,∞) mit folgenden Eigenschaften:

(i) d(x, y) = 0 ⇐⇒ x = y, x, y ∈ X,

(ii) d(x, y) = d(y, x), x, y ∈ X (Symmetrie),

(iii) d(x, y) ≤ d(x, z) + d(z, y), x, y, z ∈ X (Dreiecksungleichung);

(X, d) heißt metrischer Raum und d(x, y) Abstand von x und y bzgl. der Metrik d.

Definition IV.1

– Eine Menge X mit der diskreten Metrik d(x, y) :=

{0, x = y,

1, x �= y.

– Q und R jeweils mit d(x, y) := |x − y|, x, y ∈ Q bzw. R.

– Rn := R× R× · · · ×R (n-mal) mit der euklidischen Metrik:

d(x, y) :=√

(x1 − y1)2 + · · · + (xn − yn)2, x = (xi)ni=1, y = (yi)

ni=1 ∈ Rn,

wobei die Wurzel√· wie später in Satz IV.42 definiert ist.

Im Spezialfall n = 1 ist die euklidische Metrik genau die oben für R angegebene.

Beispiel IV.2

Zum besseren Verständnis darf man sich im Folgenden als metrischen Raum immerdie Menge der reellen Zahlen Rmit der euklidischen Metrik d wie oben vorstellen.

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24 IV Metrische Räume und Folgen

Eine Folge in einem metrischen Raum (X, d) ist eine Abbildung

N→ X, n �→ xn ∈ X;

man schreibt in diesem Fall (xn)n∈N ⊂ X, (xn)∞n=1 ⊂ X oder (x1, x2, x3, . . . ) ⊂ X.

Definition IV.3

Als Definitionsbereiche von Folgen können stattN auch N0 oder unendliche Teilmen-gen von N0, wie etwa {n ∈ N0: n ≥ n0} oder {2k: k ∈ N}, vorkommen.

Folgen inR.

a) xn := a, n ∈ N, mit a ∈ R: (a, a, a, . . . ) (konstante Folge),

b) xn :=1

n, n ∈ N:

(1, 1

2 , 13 , 1

4 , . . .)

,

c) xn := (−1)n, n ∈ N0:(1, −1, 1, −1, . . .

),

d) xn := xn, n ∈ N0, mit x ∈ R: (1, x, x2, x3, . . . ) (geometrische Folge).

Beispiele IV.4

Die obigen Beispiele zeigen, dass sich Folgen ganz unterschiedlich verhalten können.Stellen Sie sich folgendes Spiel vor. Ein Gegenspieler nennt Ihnen eine beliebig

kleine positive Zahl �, und Sie müssen versuchen, einen Index N zu finden, so dass allefolgenden xn mit n ≥ N dieses � unterbieten.

Mit der Folge aus c) verlieren Sie das Spiel. Mit der Folge aus b) dagegen gewinnenSie; diese Eigenschaft nennt man „gegen 0 konvergieren“:

Eine Folge (xn)n∈N in einem metrischen Raum (X, d) heißt konvergent

:⇐⇒ ∃ a ∈ X ∀ " > 0 ∃ N ∈ N ∀ n ≥ N : d(xn, a) < ". (11.1)

(xn)n∈N heißt dann konvergent gegen a, und a heißt Limes oder Grenzwert von(xn)n∈N ; man schreibt dann

limn→∞ xn = a oder xn → a, n → ∞.

Die Folge (xn)n∈N heißt divergent, wenn sie nicht konvergent ist.

Definition IV.5

Allgemein wird die Zahl N in (11.1) vom jeweiligen � abhängen: je kleiner Ihr Gegen-spieler � macht, desto größer werden Sie N wählen müssen, um ihn zu unterbieten.

Überlegen Sie sich nun, wie es bei unserem Spiel mit der Folge aus d) aussieht!

Bezeichnung. Sind (X, d) ein metrischer Raum, a ∈ X und " > 0, so definiert man

B"(a) := {x ∈ X: d(x, a) < "} ("-Umgebung von a bzgl. d),

K"(a) := {x ∈ X: d(x, a) ≤ "}.

Geometrisch lässt sich damit die Konvergenz einer Folge so beschreiben: (xn)n∈N kon-vergiert gegen a, wenn in jeder beliebig kleinen "-Umgebung von a fast alle, d.h. allebis auf endlich viele Folgenglieder xn liegen.

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11 Konvergenz von Folgen 25

Eindeutigkeit des Limes. Ist (xn)n∈N eine Folge in einem metrischen Raum (X, d)und sind a, a′ ∈ X mit xn → a und xn → a′, n → ∞, so ist a = a′.

Satz IV.6

Beweis. Für beliebiges " > 0 existieren nach Voraussetzung N, N ′ ∈ N, so dass

∀ n ≥ N : d(xn, a) <"

2und ∀ n ≥ N ′: d(xn, a′) <

"

2.

Mit der Dreiecksungleichung und der Symmetrie von d folgt für n ≥ max{N, N ′}0 ≤ d(a, a′) ≤ d(a, xn) + d(xn, a′) = d(xn, a) + d(xn, a′) < ".

Da " beliebig klein gewählt werden kann, muss d(a, a′) = 0 gelten. Nach Eigenschaft(i) in Definition IV.1 folgt dann a = a′.

Für die Folgen aus Beispiel IV.4 gilt:

– limn→∞ a = a für a ∈ R. (Frage: Wie wählt man N zu beliebigem " > 0?)

– limn→∞1

n= 0.

Beweis. Für " > 0 beliebig existiert nach dem Archimedischen Axiom (AO4)ein N ∈ Nmit N = N · 1 > 1

" . Damit folgt für n ≥ N∣∣∣ 1

n− 0∣∣∣ =

1

n≤ 1

N< ".

– xn = (−1)n, n ∈ N0, liefert eine divergente Folge.

Beweis. Angenommen, es gibt ein a ∈ R mit xn → a, n → ∞. Zu " = 1existiert dann ein N ∈ Nmit

|xn − a| < 1, n ≥ N .

Für n ≥ N folgt dann mit der Dreiecksungleichung

2 = |xn+1 − xn| = |(xn+1 − a) − (xn − a)| ≤ |xn+1 − a| + |xn − a| < 2 �.

Beispiele IV.7

Eine Teilmenge M eines metrischen Raums (X, d) heißt beschränkt

:⇐⇒ diam M := sup{d(x, y): x, y ∈ M} < ∞oder, äquivalent dazu und oft leichter nachzuprüfen,

⇐⇒ ∃ a ∈ X ∃ r > 0: M ⊂ Br(a). (11.2)

Eine Folge (xn)n∈N⊂X heißt beschränkt, wenn es die Menge {xn: n ∈ N} ⊂ X ist.

Definition IV.8

Ist X = R mit der euklidischen Metrik, kann man die 0 als speziellen Bezugspunktbenutzen und sich überlegen:

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26 IV Metrische Räume und Folgen

– M ⊂ R ist beschränkt ⇐⇒ ∃ R > 0: M ⊂ BR(0) (⇐⇒ ∀ x ∈ M: |x| < R),

– (xn)n∈N ⊂ R ist beschränkt ⇐⇒ ∃ R > 0 ∀ n ∈ N: |xn| < R.

Jede konvergente Folge (xn)n∈N in einem metrischen Raum (X, d) ist beschränkt.Satz IV.9

Beweis. Es sei a := limn→∞ xn. Zu " = 1 gibt es dann ein N ∈ Nmit

∀ n ≥ N : d(xn, a) < 1.

Setzt man r := max{

d(x1, a), ..., d(xN−1, a), 1}

+ 1, so folgt

d(xn, a) < r, n ∈ N, d.h. (xn)n∈N ⊂ Br(a).

– Eine beschränkte Folge muss nicht konvergieren; ein Beispiel ist

xn := (−1)n, n ∈ N.

– Die Fibonacci1-Folge a0 := 1, a1 := 1, an+1 := an−1 + an, n ∈ N, ist nach SatzIV.9 divergent, weil sie nach Aufgabe III.2 unbeschränkt ist:

∀ n ∈ N: an ≥ n.

– Die geometrische Folge xn := xn, n ∈ N0, mit x ∈ R ist

+ konvergent für |x| < 1 und x = 1 mit limn→∞ xn =

{0 für |x| < 1,

1 für x = 1,

+ divergent für |x| > 1 und x = −1.

Beweis. x = 1, x = −1: Die Behauptungen wurden in Beispiel IV.7 gezeigt.

|x| < 1: Für " > 0 beliebig gibt es nach Satz III.13 (ii) (mit q := |x|) einN ∈ Nmit |x|N < ". Damit folgt |xn − 0| = |x|n ≤ |x|N < " für n ≥ N .

|x| > 1: Für � > 0 beliebig existiert nach Satz III.13 (i) (mit b := |x|) einN ∈ Nmit |x|N > �. Damit ergibt sich |xn| ≥ |x|N > � für n ≥ N . Also ist(xn)n∈N0 unbeschränkt und damit nach Satz IV.9 divergent.

Beispiele

Um zeigen zu können, dass eine Folge konvergiert, muss man einen Kandidaten fürden Limes haben. Die folgende Eigenschaft einer Folge setzt das nicht voraus:

Eine Folge (xn)n∈N in einem metrischen Raum (X, d) heißt Cauchy2-Folge

:⇐⇒ ∀ " > 0 ∃ N ∈ N ∀ n, m ≥ N : d(xm, xn) < ".

Definition IV.10

1Leonardo Pisano, genannt Fibonacci, ∗ um 1170, nach 1240, vermutlich in Pisa, bedeutender italie-nischer Mathematiker des Mittelalters, erzogen in Nordafrika, führte in Europa die arithmetischen Rechen-methoden auf Basis des indisch-arabischen Stellenwertsystems ein.

2Augustin Louis Cauchy, ∗ 21. August 1789 in Paris, 23. Mai 1857 in Sceaux, französischer Mathe-matiker, Pionier der reellen und komplexen Analysis mit nahezu 800 Arbeiten, dessen Namen zahlreichemathematische Sätze tragen.

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11 Konvergenz von Folgen 27

Für eine Folge (xn)n∈N in einem metrischen Raum (X, d) gilt:

(xn)n∈N konvergent �⇒ (xn)n∈N Cauchy-Folge.

Satz IV.11

Beweis. Es sei a := limn→∞ xn und " > 0. Dann existiert ein N ∈ Nmit

∀ n ≥ N : d(xn, a) <"

2.

Nach der Dreiecksungleichung ist dann für n, m ≥ N

d(xm, xn) ≤ d(xm, a) + d(xn, a) < ".

Aber nicht jede Cauchy-Folge in einem metrischen Raum ist konvergent:

Eine Cauchy-Folge (xn)n∈N0 inQ, die nicht konvergiert inQ, ist

xn :=n∑

k=0

(−1)k 1

2k + 1, n ∈ N0.

Beweis. (xn)n∈N Cauchy-Folge in Q: Es sei " > 0 vorgegeben und m, n ∈ N.Für m = n gilt |xm − xn| = 0 < " trivialerweise. Ist m �= n, können wir ohneEinschränkung m > n annehmen und erhalten:

|xm − xn| =∣∣∣ m∑

k=n+1

(−1)k 1

2k + 1

∣∣∣ =∣∣∣ m∑

k=n+1

(−1)k−(n−1) 1

2k + 1

∣∣∣ (11.3)

=∣∣∣ 1

2n + 3−

m∑k=n+2

(−1)k−n 1

2k + 1

∣∣∣. (11.4)

Für l ∈ N, l + 2 ≤ m ist:

m∑k=l+2

(−1)k−l 1

2k + 1=

m−l−1 Summanden︷ ︸︸ ︷1

2l + 5−

1

2l + 7︸ ︷︷ ︸>0

+ · · · + (−1)m−l 1

2m + 1> 0, (11.5)

denn für m − l − 1 gerade (also m − l ungerade) ist die Anzahl der Summandengerade und jedes Paar positiv, und für m − l − 1 ungerade (also m − l gerade) istder letzte Term (−1)m−l 1

2m+1 > 0.Wir wenden nun Ungleichung (11.5) zuerst in (11.3) mit l = n − 1 und dann

in (11.4) mit l = n an und erhalten:

|xm − xn| =∣∣∣ m∑

k=n+1

(−1)k−(n−1) 1

2k + 1︸ ︷︷ ︸>0 ((11.5) für l = n − 1)

∣∣∣ =m∑

k=n+1

(−1)k−(n−1) 1

2k + 1

=1

2n + 3−

m∑k=n+2

(−1)k−n 1

2k + 1︸ ︷︷ ︸>0 ((11.5) für l = n)

<1

2n + 3.

Beispiel IV.12

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28 IV Metrische Räume und Folgen

Nach dem Archimedischen Axiom (AO4) existiert ein N ∈ N mit 2N + 3 > 1" .

Insgesamt folgt für alle m, n ≥ N :

|xm − xn| <1

2n + 3<

1

2N + 3< ".

(xn)n∈N konvergiert nicht in Q: Wir zeigen erst später (Aufgabe VIII.7), wenn wirdie Zahl � ∈ R \Q definiert haben (Aufgabe VI.4):

∞∑k=0

(−1)k 1

2k + 1:= lim

n→∞ xn =�

4.

Ein metrischer Raum (X, d) heißt vollständig, wenn jede Cauchy-Folge in (X, d)konvergiert.

Definition IV.13

Eine äquivalente Version des Vollständigkeitsaxioms für R (vgl. Definition III.16) ist:(V’) In R konvergiert jede Cauchy-Folge.

Für eine Folge (xn)n∈N in einem metrischen Raum (X, d) gilt:

(xn)n∈N Cauchy-Folge �⇒ (xn)n∈N beschränkt.

Satz IV.14

Beweis. Der Beweis ist ähnlich wie der Beweis von Satz IV.9; hier findet man ein r > 0mit (xn)n∈N ⊂ Br(x1).

Für eine Folge (xn)n∈N in einem metrischen Raum (X, d) heißt

(i) (xnk )k∈N Teilfolge, falls (nk)k∈N ⊂ N und n1 < n2 < . . . ,

(ii) a ∈ X Häufungswert, wenn eine Teilfolge (xnk )k∈N von (xn)n∈N existiert mit

limk→∞

xnk = a.

Definition IV.15

xn = (−1)n, n ∈ N, hat die zwei Häufungswerte +1 und −1, denn (x2k)k∈N bzw.(x2k−1)k∈N konvergieren gegen +1 bzw. −1.

Beispiel

Bemerkung. Für die Indexfolge (nk)k∈N ⊂ N einer Teilfolge gilt immer

nk ≥ k, k ∈ N. (11.6)

Hat eine Cauchy-Folge (xn)n∈N in einem metrischen Raum (X, d) eine konvergenteTeilfolge (xnk )k∈N , so konvergiert die Folge (xn)n∈N selbst.

Satz IV.16

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12 Rechenregeln für Folgen und Grenzwerte 29

Beweis. Es sei a := limk→∞ xnk und " > 0 beliebig. Da (xn)n∈N eine Cauchy-Folge ist,existiert ein N ∈ Nmit

d(xn, xm) <"

2, n, m ≥ N .

Da xnk → a, k → ∞, existiert ein K ∈ N, ohne Einschränkung K ≥ N , mit

d(xnk , a) <"

2, k ≥ K .

Für n ≥ K folgt mit Dreiecksungleichung und da nK ≥ K ≥ N (siehe (11.6))

d(xn, a) ≤ d(xn, xnK ) + d(xnK , a) < ".

� 12Rechenregeln für Folgen und Grenzwerte

Spezielle metrische Räume sind normierte Räume. Während eine Metrik auf einerbeliebigen Menge definiert werden kann, setzt eine Norm eine Vektorraumstrukturvoraus. Vektorräume lernt man vor allem in der Linearen Algebra kennen ([12, Ab-schnitt 1.4]):

Es sei K ein Körper. Eine nichtleere Menge V heißt Vektorraum über K , wenn zweiVerknüpfungen

+: V × V → V , (x, y) �→ x + y, x, y ∈ V (Addition),

· : K × V → V , (�, x) �→ � · x, � ∈ K , x ∈ V (Skalarmultiplikation),

existieren, so dass folgende Axiome erfüllt sind:

Axiome für die Vektorraum-Addition:

(VR1) x + (y + z) = (x + y) + z, x, y, z ∈ V ,

(VR2) x + y = y + x, x, y ∈ V ,

(VR3) ∃ 0V ∈ V ∀ x ∈ V : x + 0V = x,

(VR4) ∀ x ∈ V ∃ − x ∈ V : x + (−x) = 0V .

Axiome für die Skalarmultiplikation:

(VR5) � · (x + y) = � · x + � · y, � ∈ K , x, y ∈ V ,

(VR6) (� + �) · x = � · x + � · x, �, � ∈ K , x ∈ V ,

(VR7) � · (� · x) = (� · �) · x, �, � ∈ K , x ∈ V ,

(VR8) 1 · x = x, x ∈ V .

Die Elemente von V heißen Vektoren, die Elemente von K heißen Skalare. Manschreibt oft �x statt � · x für � ∈ K und x ∈ V .

Definition IV.17

Page 39: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

30 IV Metrische Räume und Folgen

Es sei V ein Vektorraum über einem Körper K . Dann gelten:

(i) 0V und −x sind eindeutig,

(ii) 0 · x = 0V , x ∈ V ,

(iii) (−1) · x = −x, x ∈ V .

Korollar IV.18

Beweis. (i) beweist man analog wie die Eindeutigkeit in Korollar III.2 für Körper.

(ii) Nach (VR6) gilt mit � = 1, � = 0 für beliebiges x ∈ V :

x(VR8)

= 1 · x = (1 + 0) · x(VR6)

= 1 · x + 0 · x(VR8)

= x + 0 · x.

Da 0V nach (i) eindeutig ist, folgt 0 · x = 0V .

(iii) Nach (VR6) gilt mit � = 1, � = −1 für beliebiges x ∈ V :

0V(ii)= 0 · x = (1 − 1) · x

(VR6)= 1 · x + (−1) · x

(VR8)= x + (−1) · x.

Da −x nach (i) eindeutig ist, folgt (−1) · x = −x.

– K n = K × K × · · · × K (n-mal) ist ein Vektorraum über K mit

x + y :=(xi + yi

)n

i=1=(x1 + y1, x2 + y2, . . . , xn + yn

)� · x :=

(� · xi

)n

i=1=(� · x1, � · x2, . . . , � · xn

)für x =

(xi

)n

i=1, y =

(yi

)n

i=1∈ K n und � ∈ K .

– K selbst ist Vektorraum über K (siehe oben, n = 1).

– Rn ist Vektorraum über R (siehe oben, K = R).

– K X := {f : X → K Funktion} mit X �= ∅ ist ein Vektorraum über K mit

f + g : X → K , (f + g)(x) := f (x) + g(x), x ∈ X,

� · f : X → K , (� · f )(x) := � · f (x), x ∈ X,

für f , g ∈ KX und � ∈ K .

Beispiele

Ein Vektorraum hat, anders als ein metrischer Raum, ein ausgezeichnetes Element:den Nullvektor 0V. Diesen nutzen wir nun als Bezugspunkt zur Abstandsmessung.

Als Körper betrachten wir im Folgenden nur K = R oder später die komplexen ZahlenC (Abschnitt V.15), wo es jeweils einen Absolutbetrag | · | gibt.

Es sei K = R (oder später C) und V ein Vektorraum über K . Eine Norm auf V isteine Abbildung ‖ · ‖: V → [0,∞) mit folgenden Eigenschaften:

(i) ‖x‖ = 0 ⇐⇒ x = 0, x ∈ V ,

(ii) ‖� · x‖ = |�| · ‖x‖, � ∈ K , x ∈ V ,

(iii) ‖x + y‖ ≤ ‖x‖ + ‖y‖, x, y ∈ V (Dreiecksungleichung);

(V , ‖ · ‖) heißt dann normierter Raum.

Definition IV.19

Page 40: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

12 Rechenregeln für Folgen und Grenzwerte 31

Ist (V , ‖ · ‖) ein normierter Raum, so gilt:∣∣‖x‖ − ‖y‖∣∣ ≤ ‖x + y‖ ≤ ‖x‖ + ‖y‖, x, y ∈ V .

Korollar IV.20

Beweis. Der Beweis ist wie bei Korollar III.11 für den Absolutbetrag in R.

Rn wird ein normierter Raum mit der euklidischen Norm ‖ · ‖:

‖x‖ :=√

|x1|2 + · · · + |xn|2, x =(xi

)n

i=1∈ Rn,

wobei die Wurzel√· wie später in Satz IV.42 definiert ist. Für n = 1 ist die

euklidische Norm ‖ · ‖ gerade der Absolutbetrag | · | auf R.

Beispiel

Die euklidische Norm hängt mit der euklidischen Metrik (Beispiel IV.2) zusammen:

Ein normierter Raum(V , ‖ · ‖) ist ein metrischer Raum mit

d(x, y) := ‖x − y‖, x, y ∈ V ; (12.1)

insbesondere ist ‖x‖ = d(x, 0V ), x ∈ V .

Proposition IV.21

Beweis. Die Eigenschaften einer Metrik folgen direkt aus denjenigen der Norm. Es isteine gute Übung, dies selbst nachzuprüfen!

Damit übersetzt sich die Definition der Konvergenz oder Cauchy-Konvergenz für eineFolge (xn)n∈N in einem normierten Raum

(V , ‖ · ‖) wie folgt:

– (xn)n∈N konvergent ⇐⇒ ∃ a ∈ V ∀ " > 0 ∃ N ∈ N ∀ n ≥ N : ‖xn − a‖ < ".

– (xn)n∈N Cauchy-Folge ⇐⇒ ∀ " > 0 ∃ N ∈ N ∀ n, m ≥ N : ‖xn − xm‖ < ".

Ein normierter Raum (V , ‖ · ‖) heißt Banachraum3, wenn er bezüglich der Metrik(12.1) vollständig ist.

Definition IV.22

Es sei(V , ‖ ·‖) ein normierter Raum über K und � ∈ K. Sind (xn)n∈N , (yn)n∈N ⊂ V

Cauchy-Folgen bzw. konvergent, so auch

(xn + yn)n∈N und (� · xn)n∈N ;

im Fall der Konvergenz gelten:

limn→∞(xn + yn) = lim

n→∞ xn + limn→∞ yn,

limn→∞(� · xn) = � · lim

n→∞ xn.

Satz IV.23

3Stefan Banach, ∗ 30. März 1892 in Krakau, 31. August 1945 in Lvov, jetzt Ukraine, polnischer Ma-thematiker, der als Begründer der modernen Funktionalanalysis gilt und am liebsten in Cafes arbeitete, vorallem gemeinsam mit Kollegen im Schottischen Cafe in Lvov.

Page 41: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

32 IV Metrische Räume und Folgen

Beweis. (xn + yn)n∈N ist Cauchy-Folge: Zu jedem " > 0 existieren nach VoraussetzungN, N ′ ∈ Nmit:

∀ n, m ≥ N : ‖xn − xm‖ <"

2, ∀ n, m ≥ N ′: ‖yn − ym‖ <

"

2.

Dann ist für n, m ≥ max{N, N ′} mit der Dreiecksungleichung (Definition IV.19 (iii))

‖(xn + yn) − (xm + ym)‖ = ‖xn − xm + yn − ym‖ ≤ ‖xn − xm‖ + ‖yn − ym‖ < ".

(� · xn)n∈N ist Cauchy-Folge: Der Fall � = 0 ist klar. Ist � �= 0, so gibt es zu jedem " > 0nach Voraussetzung ein N ∈ Nmit

∀ n, m ≥ N : ‖xn − xm‖ <"

|�| .

Dann folgt für alle n, m ≥ N mit Definition IV.19 (ii):

‖� · xn − � · xm‖ = ‖� · (xn − xm)‖ = |�| ‖xn − xm‖ < |�| "

|�| = ".

Die Beweise im Fall der Konvergenz sind ganz analog.

In (R, | · |) liefern xn := 1 , yn := 1n , n ∈ N, aus Beispiel IV.7 konvergente Folgen

mit limn→∞ xn = 1 und limn→∞ yn = 0, also gilt nach Satz IV.23

n − 1

n= 1 + (−1) · 1

n→ 1 + (−1) · 0 = 1, n → ∞.

Beispiel

Es sei(V , ‖ · ‖) ein normierter Raum. Ist (xn)n∈N eine Cauchy-Folge bzw. konvergent

in V , so ist die Folge(‖xn‖

)n∈N eine Cauchy-Folge bzw. konvergent inR; im letzteren

Fall gilt: ∥∥ limn→∞ xn

∥∥ = limn→∞

∥∥xn

∥∥.Proposition IV.24

Beweis. Ist (xn)n∈N⊂V Cauchy-Folge und ">0 beliebig, so gibt es ein N ∈Nmit

∀ n, m ≥ N : ‖xn − xm‖ < ".

Nach Korollar IV.20 folgt dann für alle n, m ≥ N :∣∣‖xn‖ − ‖xm‖∣∣ ≤ ‖xn − xm‖ < ".

Der Beweis im Fall der Konvergenz ist ganz analog.

Achtung: Die Umkehrung gilt nicht! Zum Beispiel liefert xn = (−1)n, n ∈ N, eine nichtkonvergente Folge, für die aber (‖xn‖)n∈N = (1)n∈N konvergent ist.

Eine Folge (xn)n∈N in einem normierten Raum(V , ‖ · ‖) heißt Nullfolge : ⇐⇒

limn→∞ xn = 0V .Definition IV.25

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12 Rechenregeln für Folgen und Grenzwerte 33

Für eine Folge (xn)n∈N in einem normierten Raum(V , ‖ · ‖) und a ∈ V gelten:

(i) xn → a, n → ∞ ⇐⇒ (xn − a)n∈N Nullfolge in V ,

(ii) (xn)n∈N Nullfolge in V ⇐⇒ (‖xn‖)n∈N Nullfolge in R,

(iii) (xn)n∈N Nullfolge in V ⇐⇒ ∃ (rn)n∈N ⊂ R, limn→∞ rn = 0,

∃n0 ∈ N ∀ n ≥ n0: ‖xn‖ ≤ rn.

Proposition IV.26

Beweis. (i) und (ii) folgen direkt aus der Definition, (iii) ist eine leichte Übung.

xn =n!

nn, n ∈ N, ist eine Nullfolge nach Proposition IV.26 (iii), denn:

|xn| = xn =1 · 2 · 3 · · · · · n

n · n · n · · · · · n=

1

n· 2

n︸︷︷︸≤1

· 3

n︸︷︷︸≤1

· · · · · n

n︸︷︷︸=1

≤ 1

n=: rn, n ∈ N.

Beispiel

Als Nächstes betrachten wir Folgen inRmit der durch den Absolutbetrag | · | induzier-ten Norm bzw. Metrik und später in den komplexen Zahlen C (Abschnitt V.15). Hierist außer der Addition + auch die Multiplikation · zweier Elemente definiert:

Es sei K =R (später auch K =C) mit dem Absolutbetrag | · | als Norm.

(i) Sind (xn)n∈N, (yn)n∈N ⊂ K Cauchy-Folgen bzw. konvergent, so auch

(xn · yn)n∈N ;

im Fall der Konvergenz gilt:

limn→∞(xn · yn) = ( lim

n→∞ xn) · ( limn→∞ yn).

(ii) Ist (xn)n∈N⊂ K eine Nullfolge und (yn)n∈N⊂ K beschränkt, so ist (xn · yn)n∈Neine Nullfolge.

Satz IV.27

Beweis. (i) Es sei " > 0 beliebig. Nach Satz IV.14 sind (xn)n∈N, (yn)n∈N beschränkt.Also existieren R, R′ > 0 mit

∀ n ∈ N: |xn| < R ∧ |yn| < R′.

Da (xn)n∈N, (yn)n∈N Cauchy-Folgen sind, existieren N, N ′ mit

∀ n, m ≥ N : |xn − xm| <"

2R′ , ∀ n, m ≥ N ′: |yn − ym| <"

2R.

Dann gilt für alle n, m ≥ max{N, N ′}:|xnyn − xmym| = |xn(yn − ym) + (xn − xm)ym|

≤ |xn(yn − ym)| + |(xn − xm)ym|= |xn|︸︷︷︸

<R

· |yn − ym|︸ ︷︷ ︸< "

2R

+ |xn − xm|︸ ︷︷ ︸< "

2R′

· |ym|︸︷︷︸<R′

< ".

Der Beweis im Fall der Konvergenz ist ganz analog.

Page 43: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

34 IV Metrische Räume und Folgen

(ii) Es sei " > 0 beliebig. Weil (yn)n∈N⊂ K beschränkt ist, existiert R′ > 0 mit

∀ n ∈ N: |yn| < R′.

Da (xn)n∈N eine Nullfolge ist, existiert N ∈ Nmit

∀ n ≥ N : |xn| <"

R′ .

Damit folgt für alle n ≥ N :

|xnyn| = |xn| · |yn| <"

R′ · R′ = ".

Es sei K = R (später auch K = C) mit dem Absolutbetrag | · | als Norm. Sind(xn)n∈N, (yn)n∈N ⊂ K konvergente Folgen mit b := limn→∞ yn �= 0, dann existiertein n0 ∈ N, so dass yn �= 0 für n ≥ n0, und die Folge(xn

yn

)n∈N, n≥n0

konvergiert mit

limn→∞

xn

yn=

limn→∞ xn

limn→∞ yn.

Satz IV.28

Beweis. Nach Satz IV.27 genügt es, den Fall xn = 1, n ∈ N, zu betrachten. Da nachVoraussetzung yn → b �= 0, n → ∞, gilt, gibt es n0 ∈ Nmit

∀ n ≥ n0: |yn − b| <|b|2

.

Nach der Dreiecksungleichung von unten (Korollar IV.20) gilt dann für n ≥ n0:

|b| − |yn| ≤ ∣∣|b| − |yn|∣∣ ≤ |yn − b| <

|b|2

, also |yn| >|b|2

> 0.

Da limn→∞ yn = b, gibt es zu beliebigem " > 0 ein N ∈ Nmit

∀ n ≥ N : |yn − b| ≤ |b|22

· ".

Insgesamt folgt für alle n ≥ max{n0, N}:∣∣∣ 1

yn−

1

b

∣∣∣ =|yn − b||yn| |b| <

2 |yn − b||b|2 < ".

xn :=1 + 2 + · · · + n

n + 2−

n

2, n ∈ N: Nach Satz II.6 ist

xn =n · (n + 1)

2(n + 2)−

n

2=

n(n + 1) − n(n + 2)

2(n + 2)= −

1

2

n

n + 2= −

1

2

1

1 + 2n

.

Also gilt nach unseren Rechenregeln für Grenzwerte (Satz IV.23, IV.27 und IV.28):

limn→∞ xn = −

1

2

1

1 + limn→∞ 2n

= −1

2.

Beispiel

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12 Rechenregeln für Folgen und Grenzwerte 35

Im angeordneten Körper R kann man noch die Konvergenz von Folgen gegen ∞ oder−∞ definieren und somit verschiedene Formen der Divergenz unterscheiden.

Eine Folge (xn)n∈N ⊂ R heißt bestimmt divergent (oder uneigentlich konvergent)gegen ∞ (bzw. −∞)

:⇐⇒ ∀ R > 0 ∃N ∈ N ∀ n ≥ N : xn > R (bzw. xn < −R);

in diesem Fall schreibt man:

limn→∞ xn = ∞ (bzw. −∞) xn → ∞, n → ∞ (bzw. xn → −∞, n → ∞).

Eine divergente, aber nicht bestimmt divergente Folge heißt unbestimmt divergent.Der Punkt ∞ (bzw. −∞) heißt Häufungswert von (xn)n∈N , wenn es eine Teilfolge(xnk )k∈N von (xn)n∈N gibt mit

limk→∞

xnk = ∞ (bzw. −∞).

Definition IV.29

Bemerkung. Existieren zu (xn)n∈N ⊂ R eine Folge (rn)n∈N ⊂ R+ und n0 ∈ Nmit

∀ n ≥ n0: xn ≥ rn (bzw. xn ≤ −rn) und limn→∞ rn = ∞,

so ist auch limn→∞ xn = ∞ (bzw. −∞).

Ist (xn)n∈N ⊂ R bestimmt divergent gegen ∞ (bzw. −∞), so ist (xn)n∈N nicht nachoben bzw. unten beschränkt. Die Umkehrung gilt aber nicht:

Wegen des Archimedischen Axioms und obiger Bemerkung gilt:

– xn = n, n ∈ N, ist bestimmt divergent gegen ∞.

– Die Fibonacci-Folge (Aufgabe III.2) ist bestimmt divergent gegen ∞.

– (xn)n∈N ist

{bestimmt divergent gegen ∞ für x > 1,

unbestimmt divergent mit Häufungswerten ±∞ für x < −1.

Beispiele

Es sei (xn)n∈N ⊂ R \ {0}. Dann gelten:

(i) limn→∞ xn = ±∞ �⇒ lim

n→∞1

xn= 0,

(ii) limn→∞ xn = 0, ±xn > 0, n ∈ N �⇒ lim

n→∞1

xn= ±∞.

Proposition IV.30

Beweis. Nochmals eine gute Übung zum Thema Konvergenz!

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36 IV Metrische Räume und Folgen

Für das Rechnen mit Grenzwerten ±∞ gelten folgende Regeln:

∞ + ∞ = ∞, −∞ − ∞ = −∞, ∞ · ∞ = ∞, ∞ · (−∞) = −∞,

a ± ∞ = ±∞,a

±∞ = 0, a · (±∞) =

{±∞, a > 0,

∓∞, a < 0,a ∈ R \ {0}.

Achtung: Nicht definiert sind beim Rechnen mit Limites 0·∞, ∞∞ , ∞−∞ oder 1∞!

Bemerkung IV.31

xn := n, yn := 2n, zn := n2, n ∈ N, und a ∈ R: Dann ist für n → ∞:

xn + yn = 3n → ∞; xn · yn = 2n2 → ∞;

a + xn = a + n → a + ∞ = ∞; a·xn = an → a·∞ = (sgn a)·∞, falls a �= 0;

a

xn=

a

n→ 0; aber:

xn

yn=

1

2→ 1

2,

xn

zn=

1

n→ 0.

Beispiel

� 13Konstruktion von R

Es gibt verschiedene Wege, die reellen Zahlen einzuführen. Der folgende geht auf Can-tor4 zurück. Durch einen Vervollständigungsprozess wird dabei R ausQ durch Hinzu-nahme aller möglichen Grenzwerte von Cauchy-Folgen in Q konstruiert.

Eine Äquivalenzrelation auf einer Menge X ist eine Teilmenge R ⊂ X × X, die zweiElemente von X in Beziehung setzt durch

x ∼ y :⇐⇒ (x, y) ∈ R (gesprochen x äquivalent zu y),

so dass für alle x, y, z ∈ X gilt:

(i) x ∼ x (Reflexivität),

(ii) x ∼ y �⇒ y ∼ x (Symmetrie),

(iii) x ∼ y ∧ y ∼ z �⇒ x ∼ z (Transitivität).

Für x ∈ X definiert man die Äquivalenzklasse von x als

[x] := {y ∈ X: y ∼ x};jedes Element y ∈ [x] heißt Repräsentant von [x]. Die Menge aller Äquivalenzklas-sen von X modulo ∼ bezeichnet man mit

X/∼ := {[x]: x ∈ X} ⊂ P(X).

Definition IV.32

4Georg Cantor, ∗ 3. März 1845 in Sankt Petersburg, 6. Januar 1918 in Halle (Saale), deutscher Mathe-matiker, begründete die Mengenlehre und lieferte wichtige Ergebnisse über Kardinalzahlen und trigonome-trische Reihen.

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13 Konstruktion vonR 37

Zwei Äquivalenzklassen sind gleich oder disjunkt: X =⋃

x∈X [x]. Bemerkung IV.33

(i) Für eine beliebige Menge X ist „=“ eine Äquivalenzrelation:

x ∼ y :⇐⇒ x = y.

Hier hat jede Äquivalenzklasse genau ein Element, nämlich [x] = {x}, x ∈ X.

(ii) Für die Menge X der jetzt lebenden Menschen ist eine Äquivalenzrelation

x ∼ y :⇐⇒ x, y haben dieselben Eltern (d.h., x, y sind Geschwister).

(iii) Für festes k ∈ N ist auf X = Z eine Äquivalenzrelation gegeben durch

x ∼ y :⇐⇒ k teilt x − y,

d.h., x, y haben bei Division durch k denselben Rest r ∈ {0, 1, . . . , k − 1}.Nach Satz II.3 gibt es k Äquivalenzklassen (hier auch Restklassen genannt),

nämlich [0], [1], . . . , [k − 1], und es ist Z =⋃k−1

m=0[m]; für k = 2 ist z.B.[0] die Menge der geraden und [1] die Menge der ungeraden Zahlen.

Beispiele

Cantors Konstruktion von R. Auf der Menge CQ aller Cauchy-Folgen in Q führen wireine Äquivalenzrelation ∼ ein durch

(xn)n∈N ∼ (yn)n∈N :⇐⇒ limn→∞ |xn − yn| = 0,

und wir definieren die Menge R der reellen Zahlen als

R := {� = [(xn)n∈N]: (xn)n∈N ∈ CQ}.Addition und Multiplikation werden für [(xn)n∈N], [(yn)n∈N] ∈ R definiert durch

[(xn)n∈N] + [(yn)n∈N] := [(xn + yn)n∈N],

[(xn)n∈N] · [(yn)n∈N] := [(xn · yn)n∈N];

eine Eigenschaft > 0 auf R wird eingeführt durch

[(xn)n∈N] > 0 :⇐⇒ ∃ r ∈ Q, r > 0, ∃n0 ∈ N ∀ n ≥ n0: xn > r.

Man prüft nach, dass die so definierten Verknüpfungen +, · sowie die Relation >auf R wohldefiniert sind und (R, +, · , >) alle Körperaxiome, Anordnungsaxiomeeinschließlich dem Archimedischem Axiom sowie das Vollständigkeitsaxiom erfüllt.

Noch nicht klar ist, wie man eine rationale Zahl q ∈ Q in der Menge der reellenZahlenRwiederfindet! Dazu identifiziert man q ∈ Qmit der Äquivalenzklasse [(q)n∈N ]der konstanten Folge (q)n∈N , die natürlich eine Cauchy-Folge in Q ist.

Es erweist sich oft als praktisch, die reellen Zahlen und die Anordnung darauf umdie Elemente ∞ und −∞ wie folgt zu erweitern.

Man definiert das erweiterte System der reellen Zahlen als

R := R ∪ {−∞,∞}Definition IV.34

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38 IV Metrische Räume und Folgen

und setzt die Ordnungsrelation > von R auf R fort vermöge x > −∞ und ∞ > xfür x ∈ R; außerdem verwendet man die praktischen Konventionen

sup∅ := −∞, sup M := ∞, falls M nach oben unbeschränkt,

inf ∅ := ∞, inf M := −∞, falls M nach unten unbeschränkt.

In R gibt es einige ausgezeichnete Teilmengen, die im Folgenden oft vorkommen.

Für a, b ∈ R, a < b, definiert man die beschränkten Intervalle

[a, b] := {x ∈ R: a ≤ x ≤ b} (abgeschlossenes Intervall),

(a, b) := {x ∈ R: a < x < b} (offenes Intervall),

[a, b) := {x ∈ R: a ≤ x < b} (rechts halboffenes Intervall),

(a, b] := {x ∈ R: a < x ≤ b} (links halboffenes Intervall)

und die unbeschränkten Intervalle

(−∞, b] := {x ∈ R: x ≤ b}, [a,∞) := {x ∈ R: x ≥ a},(−∞, b) := {x ∈ R: x < b}, (a,∞) := {x ∈ R: x > a};

spezieller definiert man noch

R0+ := [0,∞), R+ := (0,∞) (nichtnegative bzw. positive reelle Zahlen),

R0− := (−∞, 0], R− := (−∞, 0) (nichtpositive bzw. negative reelle Zahlen).

Ist " > 0, hat man noch spezielle Bezeichnungen für die Intervalle

B�(a) := (a − ", a + ") = {x ∈ R: |x − a| < �} ("-Umgebung von a in R),

K"(a) := [a − ", a + "] = {x ∈ R: |x − a| ≤ �}.

Definition IV.35

Bemerkung. Es ist a = inf (a, b) = inf (a, b] = inf [a, b) = inf [a, b] = min [a, b) =min [a, b]; wegen a �∈ (a, b) ⊂ (a, b] haben aber (a, b) und (a, b] kein Minimum.

� 14Vergleichssätze, monotone Folgen

In diesem Abschnitt betrachten wir Folgen in angeordneten Körpern, z.B. in R mitdem Absolutbetrag | · |. Speziell stellen wir die Frage, wie sich Ungleichungen beiGrenzwertbildung verhalten.

Es seien K ein angeordneter Körper und (xn)n∈N, (yn)n∈N ⊂ K konvergente Folgen.Gibt es ein n0 ∈ N mit

∀ n ≥ n0: xn ≤ yn, (14.1)

Satz IV.36

Page 48: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

14 Vergleichssätze, monotone Folgen 39

so folgtlim

n→∞ xn ≤ limn→∞ yn.

Achtung: Gilt sogar xn < yn in (14.1), so folgt für die Grenzwerte trotzdem nur ≤:

xn := −1

n, yn :=

1

n, xn < yn, n ∈ N, aber lim

n→∞ xn = limn→∞ yn = 0.

Beweis (von Satz IV.36). Angenommen a := limn→∞ xn > limn→∞ yn =: b. Dann ist" := (a − b)/2 > 0, und es gibt dazu N, N ′ ∈ Nmit

∀ n ≥ N : |xn − a| < " ∧ ∀ n ≥ N ′: |yn − b| < ".

Nach Wahl von " ist a − " = b + ". Mit n ≥ max{N, N ′} ergibt sich der Widerspruch

a − " < xn ≤ yn < b + " �.

Die beiden nächsten Korollare sind direkte Folgerungen aus Satz IV.36.

Es seien K ein angeordneter Körper und (xn)n∈N ⊂ K konvergent. Existieren˛, ˇ ∈ K und n0 ∈ Nmit

∀ n ≥ n0: ˛ ≤ xn ≤ ˇ,

so folgt˛ ≤ lim

n→∞ xn ≤ ˇ.

Korollar IV.37

Sandwich-Lemma. In einem angeordneten Körper K seien Folgen (xn)n∈N ,(yn)n∈N, (zn)n∈N ⊂ K gegeben. Gibt es ein n0 ∈ Nmit

∀ n ≥ n0: xn ≤ yn ≤ zn,

so gilt:lim

n→∞ xn = limn→∞ zn = a �⇒ lim

n→∞ yn = a.

Korollar IV.38

xn =n2 + 3n

n3 + 2n2 + 1, n ∈ N, ist eine Nullfolge nach Korollar IV.38, denn:

0 ≤ n2 + 3n

n3 + 2n2 + 1=

1n + 3

n2

1 +2

n+

1

n3︸ ︷︷ ︸≥1

≤ 1

n+

3

n2→ 0, n → ∞.

Beispiel

Page 49: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

40 IV Metrische Räume und Folgen

Eine Folge (xn)n∈N in einem angeordneten Körper K heißt

(i) monoton wachsend :⇐⇒ xn ≤ xn+1, n ∈ N,

(ii) monoton fallend :⇐⇒ xn ≥ xn+1, n ∈ N,

und monoton, wenn (i) oder (ii) gilt. Sie heißt streng monoton wachsend (bzw.fallend), wenn in (i) (bzw. (ii)) die strikten Ungleichungen < (bzw. >) gelten.

Definition IV.39

Eine notwendige Bedingung für Konvergenz ist die Beschränktheit einer Folge (sieheSatz IV.9); für monotone Folgen ist sie sogar hinreichend:

Jede beschränkte monotone Folge (xn)n∈N in einem vollständigen angeordneten KörperK (z.B. in R) konvergiert, und zwar gegen

(i) sup {xn: n ∈ N}, falls (xn)n∈N monoton wachsend ist,

(ii) inf {xn: n ∈ N}, falls (xn)n∈N monoton fallend ist.

Satz IV.40

Beweis. (i) Es sei (xn)n∈N beschränkt und monoton wachsend. Dann ist die MengeX = {xn: n ∈ N} ⊂ K beschränkt und nichtleer. Da K vollständig ist, existiert x :=sup X ∈ K . Für beliebiges " > 0 gibt es nach Proposition III.15 ein N ∈ Nmit

x − " < xN ≤ x.

Wegen der Monotonie von (xn)n∈N und der Definition von x folgt für alle n ≥ N :

x − " < xN ≤ xn ≤ x < x + ", d.h. |xn − x| < ".

(ii) folgt, indem man (i) auf die monoton wachsende Folge (−xn)n∈N anwendet.

Für eine monotone Folge (xn)n∈N in einem vollständigen angeordneten Körper K(z.B. in R) gilt:

(xn)n∈N konvergent ⇐⇒ (xn)n∈N beschränkt.

Korollar IV.41

Anwendungen. Mit Hilfe des speziellen Konvergenzverhaltens monotoner Folgen kön-nen wir nun einige wichtige Zahlen aus R und sogar R \Q einführen:

(a) Quadratwurzeln inR:

Es sei a ∈ R, a > 0. Dann konvergiert für einen beliebigen Startwert x0 ∈ R, x0 > 0,die Folge (xn)n∈N0 , definiert durch

xn+1 :=1

2

(xn +

a

xn

), n ∈ N0, (14.2)

gegen die eindeutige positive Lösung der Gleichung x2 = a, bezeichnet mit√

a odermit a

12 .

Satz IV.42

Page 50: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

14 Vergleichssätze, monotone Folgen 41

Beweis. Wir beweisen die Behauptung in vier Schritten.

Behauptung 1: xn > 0, n ∈ N0.

Beweis (durch Induktion): n = 0: Nach Voraussetzung ist der Startwert x0 > 0.

n� n + 1: Da a > 0 nach Voraussetzung und xn > 0 nach Induktionsvoraussetzung,folgt xn+1 > 0 direkt aus der Definition (14.2).

Behauptung 2: x2n ≥ a, n ∈ N.

Beweis: Nach Definition (14.2) gilt für alle n ∈ N:

x2n − a =

1

4

(xn−1 +

a

xn−1

)2

− a =1

4

(xn−1 −

a

xn−1

)2

≥ 0.

Behauptung 3: (xn)n∈N ist monoton fallend.

Beweis: Für n ∈ N0 folgt mit Definition (14.2) und den Behauptungen 1 und 2:

xn − xn+1 = xn −1

2

(xn +

a

xn

)=

1

2

(xn −

a

xn

)=

1

2xn︸︷︷︸>0 (Beh. 1)

≥0 (Beh. 2)︷ ︸︸ ︷(x2

n − a) ≥ 0.

Behauptung 4: (xn)n∈N ist beschränkt, 0 <a

x1≤ xn ≤ x1, n ∈ N.

Beweis: Da a > 0, folgt mit den Behauptungen 1, 2 und 3 (hier speziell x1 ≥ xn)

0 <a

x1≤ a

xn=

a

xn− xn + xn = xn −

≥0︷ ︸︸ ︷x2

n − a

xn︸︷︷︸>0

≤ xn ≤ x1.

Die Behauptungen 3 und 4 liefern dann nach Satz IV.40, dass (xn)n∈N konvergiert unddass nach Korollar IV.37 für den Grenzwert gilt x := limn→∞ xn ≥ a

x1> 0. Mit den

Rechenregeln aus Satz IV.23 und IV.28 ergibt sich dann:

x = limn→∞ xn+1 = lim

n→∞1

2

(xn +

a

xn

)=

1

2

(lim

n→∞ xn +a

limn→∞ xn

)=

1

2

(x +

a

x

).

Multipliziert man mit 2x > 0, ergibt sich 2x2 = x2 + a oder x2 = a.

Eindeutigkeit der Lösung : Ist x′ > 0 eine weitere Lösung von x2 = a, so ist

0 = x2 − x′2 = (x − x′)(x + x′) x+x′>0⇐⇒ x = x′.

Q ist nicht vollständig. Korollar IV.43

Beweis. Dazu zeigen wir√

2 /∈ Q. Denn dann ist die Cauchy-Folge (xn)n∈N ⊂ Q ausSatz IV.42 mit a = 2 in Q nicht konvergent. Wäre

√2 ∈ Q, so gäbe es teilerfremde

p, q ∈ N mit√

2 = pq . Dann wäre 2q2 = p2, d.h. p2 und damit p gerade, p = 2r mit

r ∈ N, nach Beispiel I.3. Also wäre 2q2 = 4r2, d.h. auch q2 und damit q gerade, imWiderspruch zur Teilerfremdheit von p und q.

Page 51: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

42 IV Metrische Räume und Folgen

Bemerkung. Die Folge in Satz IV.42 liefert einen effizienten Algorithmus zur numeri-schen Berechnung von

√a. Die Zahl der gültigen Stellen nach dem Komma verdoppelt

sich in jedem Schritt, z.B. schon auf 23 nach der 5. Iteration!

So wie Quadratwurzeln approximiert man auch k-te Wurzeln durch Folgen inQ:

Es sei a ∈ R, a > 0, und k ∈ N, k ≥ 2. Dann konvergiert für einen beliebigenStartwert x0 ∈ R, x0 > 0, die Folge (xn)n∈N , gegeben durch

xn+1 :=1

k

((k − 1)xn +

a

xk−1n

), n ∈ N0,

gegen die eindeutige positive Lösung der Gleichung xk = a, bezeichnet mit k√

a odermit a

1k .

Proposition IV.44

Einige wichtige Grenzwerte, in denen Wurzeln auftreten, sind:

limn→∞

n√

n = limn→∞

n√

a = limn→∞

n√

nk = 1, a ∈ R, a > 0, k ∈ N.

Beweis. Für xn := n√

n − 1, n ∈ N, gilt nach Binomischem Lehrsatz (Satz II.16)

n = (xn + 1)n =n∑

k=0

(n

k

)xk

n ≥ 1 +

(n

2

)x2

n = 1 +n(n − 1)

2x2

n, n ∈ N,

also 0 ≤ xn ≤ √2/n → 0, n → ∞. Also ist (xn)n∈N eine Nullfolge nach dem

Sandwich-Lemma (Korollar IV.38). Die zweite Behauptung folgt, da n√

a ≤ n√

n fürn ≥ a. Für die dritte Behauptung benutzt man den Fall k = 1 und Satz IV.27.

Beispiel IV.45

(b) Die Eulersche5 Zahl e:

Die Folge (xn)n∈N ⊂ R, gegeben durch

xn :=(

1 +1

n

)n, n ∈ N, (14.3)

konvergiert, ihr Grenzwert heißt Eulersche Zahl:

e := limn→∞

(1 +

1

n

)n(= 2,71828182845904523536028747 . . . ).

Satz IV.46

Beweis. Nach Satz IV.40 reicht es wieder zu zeigen, dass die Folge monoton und be-schränkt ist:

5LeonhardEuler, ∗ 15. April 1707 in Basel, 18. September 1783 in Sankt Petersburg, SchweizerMathe-matiker, der auch lange in St. Peterburg wirkte und der zu den bedeutendsten und produktivsten Mathema-tikern aller Zeiten zählt. Fast die Hälfte seiner über 850 Arbeiten (siehe www.eulerarchive.org) entstandnach seiner Erblindung im Alter von 59 Jahren.

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14 Vergleichssätze, monotone Folgen 43

Behauptung 1: (xn)n∈N ist monoton wachsend.

Beweis: Für n ∈ N, n ≥ 2, ist nach Definition (14.3)

xn

xn−1=

(1 +

1

n

)n (1 +

1

n − 1

)−(n−1)

=(n + 1)n

nn

(n − 1)n−1

nn−1

=(n2 − 1)n

n2n

n

n − 1=

(1 −

1

n2

)n

· n

n − 1.

Den ersten Faktor schätzen wir mit der Bernoullischen Ungleichung (Satz III.7) ab:

xn

xn−1≥(

1 − n · 1

n2

)· n

n − 1= 1.

Behauptung 2: 2 ≤ xn < 3, n ∈ N.

Beweis: Nach Behauptung 1 ist xn ≥ x1 = 2; in Aufgabe III.1 c) wurde xn < 3 für n ∈ Ngezeigt.

Bemerkung. Die Folge in Satz IV.46 ist nicht zur numerischen Berechnung von egeeignet, sie konvergiert extrem langsam! Bei n = 1000 hat man erst 2 gültige Stellennach dem Komma, bei n = 30.000 erst 4!

Viel besser dazu geeignet ist die nächste Folge, auf die wir später in Kapitel IX überTaylor-Reihen (Beispiel IX.12 und Tabelle 30.1) nochmal zu sprechen kommen:

Gegen e konvergiert auch die Folge (yn)n∈N ⊂ R gegeben durch

yn :=n∑

k=0

1

k!, n ∈ N0.

Proposition IV.47

Beweis. Der Beweis ist eine gute Übung zur Eulerschen Zahl. Die Behauptung folgtauch aus dem späteren allgemeinen Satz IX.1 von Taylor (Beispiel IX.12).

(c) Intervallschachtelung:

Ist In =: [an, bn] ⊂ R, n ∈ N, eine Folge von Intervallen mit

I1 ⊃ I2 ⊃ · · · ⊃ In ⊃ In+1 ⊃ . . . ,

und gilt limn→∞(bn − an) = 0, so existiert genau ein c ∈ R, so dass c ∈⋂n∈N

In.

Satz IV.48

Beweis. Der Beweis ist eine gute Übung für monotone Folgen (Aufgabe IV.5).

Bemerkung. Satz IV.48 ist äquivalent zum Vollständigkeitsaxiom (V’), liefert also eineweitere Variante (V”) desselbigen.

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44 IV Metrische Räume und Folgen

Übungsaufgaben

IV.1. Untersuche,ob die folgenden Grenzwerte existieren (auch uneigentlich), und berechne sieallenfalls:

a) limn→∞

(n + 1)(n2 − 1)

(2n + 1)(3n2 + 1), c) lim

n→∞n2

2n, b) lim

n→∞ n −n2 + 4n

n + 2, d) lim

n→∞2n

n!.

IV.2. Zeige, dass die Folge(√

1 + n−1)

n∈N⊂ Q eine Cauchy-Folge ist.

IV.3. Es seien (xn)n∈N, (yn)n∈N ⊂ R Folgen und a ∈ R mit limn→∞ xn = a = limn→∞ yn. Zeige,dass dann limn→∞ |xn − yn| = 0 ist. Gilt die Umkehrung?

IV.4. Es seien an, n ∈ N0, die Fibonacci-Zahlen (vgl. Aufgabe III.2),

xn :=an

an−1, n ∈ N,

und � < die Lösungen der Gleichung x2 − x − 1 = 0 ( heißt Goldener Schnitt). Zeige,dass gilt:

a) an =1√5

(n+1 − � n+1), n ∈ N0, b) limn→∞ xn = .

IV.5. Beweise Satz IV.48 über die Intervallschachtelung und zeige, dass die Intervalle In =[an, bn], n ∈ N, mit an, bn wie folgt eine solche bilden:

an :=(

1 +1

n

)n, bn :=

(1 +

1

n

)n+1, n ∈ N.

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V Komplexe Zahlen und Reihen

Während man natürliche, rationale und reelle Zahlen aus dem Alltag vom Zählenund Messen zu kennen glaubt, scheinen die komplexen Zahlen rein mathematischeKonstrukte zu sein. Dennoch braucht man sie in Anwendungen, z.B. in der komplexenWiderstandsrechnung der Elektrotechnik (siehe z.B. [6, Abschnitt 10.9]).

� 15Definition von C

Die mathematische Motivation zur Einführung der Menge der komplexen Zahlen, inAnalogie zur Erweiterung von N auf Q und weiter auf R (vgl. Kapitel IV), ist:

Problem inR: Die Gleichung x2 = −1 hat keine Lösung in x ∈ R.

Eine komplexe Zahl ist ein Element

z = (x, y) ∈ R× R.

Die Menge der komplexen Zahlen wird mit C bezeichnet und mit Addition + undMultiplikation · versehen, indem man für (x, y), (u, v) ∈ C definiert:

(x, y) + (u, v) := (x + u, y + v),

(x, y) · (u, v) := (xu − yv, xv + yu).

Definition V.1

(C, +, · ) ist ein Körper mit Nullelement (0, 0) und Einselement (1, 0). Die Gleichung

z2 = −1

hat genau zwei Lösungen in C,

i := (0, 1) und −i = (0, −1);

die so definierte komplexe Zahl i heißt imaginäre Einheit1.

Satz V.2

1Die imaginäre Einheit und das Symbol i dafür wurden 1777 von Leonhard Euler eingeführt.

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46 V Komplexe Zahlen und Reihen

Beweis. Die Körperaxiome weist man durch Nachrechnen und Anwenden der obigenDefinitionen nach. Für z = (x, y) ∈ C gilt:

z2 = −1 ⇐⇒ (x, y) · (x, y) = (−1, 0) ⇐⇒ (x2 − y2, 2xy) = (−1, 0)

⇐⇒ x2 − y2 = −1 ∧ 2xy = 0 ⇐⇒ x2 − y2 = −1 ∧ (x = 0 ∨ y = 0

)⇐⇒ x = 0 ∧ y2 = 1 ⇐⇒ z = (0, 1) ∨ z = (0, −1).

Bei der vorletzten Äquivalenz kann der Fall y = 0 nicht mehr auftreten, denn sonstfolgte der Widerspruch x2 = −1 < 0 für das Element x ∈ R.

Bemerkung. Für komplexe Zahlen der Form (x, 0), (u, 0) gelten:

(x, 0) + (u, 0) = (x + u, 0),

(x, 0) · (u, 0) = (x · u, 0).

So identifiziert man (x, 0) ∈ Cmit x ∈ R und fasst R ⊂ C als Teilmenge auf. Wegen

z = (x, y) = (x, 0) + (0, 1) · (y, 0) = (x, 0) + i · (y, 0)

schreibt man komplexe Zahlen auch in der Form

z = x + i y mit x, y ∈ Rund kann dann wie gewohnt rechnen, wenn man i2 = −1 beachtet (überzeugen Siesich, dass man so dasselbe Ergebnis wie mit Definition V.1 erhält!).

Für z = (x, y) = x + iy mit x, y ∈ R definiert man:

(i) Re z := x (Realteil von z),

(ii) Im z := y (Imaginärteil von z),

(iii) z := x − iy (zu z konjugiert komplexe Zahl),

(iv) |z| :=√

x2 + y2 (Absolutbetrag von z).

Definition V.3

Bemerkung. – z = Re z + i Im z heißt Zerlegung in Real- und Imaginärteil.

– z ∈ R ⇐⇒ Im z = 0.

– z heißt rein imaginär, z ∈ iR ⇐⇒ Re z = 0.

– | · | stimmt auf Rmit dem Absolutbetrag auf R überein.

Rechenregeln. Für z, w ∈ C gelten:

(i) |Re z| ≤ |z|, |Im z| ≤ |z|.(ii) Re z =

1

2(z + z), Im z =

1

2i(z − z).

(iii) |z| = |z| =√

z · z, |z| = 0 ⇐⇒ z = 0.

(iv) z−1 =1

z=

z

|z|2 =Re z

|z|2 − iIm z

|z|2 , z �= 0; insbesondere1

i= −i.

Proposition V.4

Page 56: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

15 Definition von C 47

(v) (z + w) = z + w, zw = z · w,( z

w

)=

z

w, w �= 0.

(vi) |z · w| = |z| · |w|,∣∣∣ z

w

∣∣∣ =|z||w| , w �= 0.

(vii)∣∣|z| − |w|∣∣ ≤ |z + w| ≤ |z| + |w| (Dreiecksungleichung).

Beweis. Wir beweisen eine Auswahl der Behauptungen:

(i) |z| =√

(Re z)2 + (Im z)2 ≥ √(Re z)2 = |Re z|.

(ii)1

2(z + z) =

1

2(Re z + i Im z + Re z − i Im z) = Re z.

(iii) Für z = x + iy, x, y ∈ R, ist zz = (x + iy)(x − iy) = x2 − (iy)2 = x2 + y2 = |z|2.

(iv)z

|z|2 · z(iii)=

|z|2|z|2 = 1 �⇒ z−1 =

z

|z|2 .

(v) Für z = x + iy, w = u + iv mit x, y, u, v ∈ R hat man:

zw = (x + iy)(u + iv) = xu − yv + iyu + ixv

= xu − yv − iyu − ixv = (x − iy)(u − iv) = z w.

(vi) |z · w|2 = z · w · z · w = z · w · z · w = zz · ww = |z|2 · |w|2.(vii) Es gilt

|z + w|2 (v),(iii)= (z + w)(z + w) = zz + ww + zw + zw = |z|2 + |w|2 + zw + zw.

Aus

zw + zww=w= zw + zw

(ii)= 2 · Re(zw) ≤ 2 · |Re(zw)| (i)≤ 2|zw| (iii),(v)

2 |z||w|folgt dann

|z + w|2 ≤ |z|2 + |w|2 + 2|z||w| = (|z| + |w|)2.

Aus Proposition V.4 (iii), (vi) und (vii) folgt sofort (vgl. Definition IV.19):

(C, | · |) ist ein normierter Raum. Korollar V.5

Bislang haben wir R als Teilmenge von C betrachtet und viele Gemeinsamkeiten vonR undC festgestellt, etwa bei Rechenregeln und Absolutbetrag. Es gibt allerdings einenganz wesentlichen Unterschied zwischen C und R:

Es gibt keine Anordnung auf C. Satz V.6

Beweis. Angenommen, es gäbe eine Anordnung (> 0) auf C mit (AO1), (AO2), und(AO3). Dann wäre nach Korollar III.6 z2 > 0 für z �= 0. Nach (AO2) gilt aber

0 < i2 + 12 = −1 + 1 = 0 �.

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48 V Komplexe Zahlen und Reihen

� 16Folgen in C

Nachdem C, genau wie R, mit dem Absolutbetrag ein normierter Raum ist, gelten alleResultate aus Abschnitt IV.12 auch für Folgen inC! Jetzt leiten wir weitere Eigenschaftenvon Folgen in C her, die sich umgekehrt auf Folgen in R übertragen.

Für (zn)n∈N ⊂ C ist

(i) (zn)n∈N Cauchy-Folge inC ⇐⇒ (Re zn)n∈N, (Im zn)n∈N Cauchy-Folgen in R.

(ii) (zn)n∈N konvergent in C ⇐⇒ (Re zn)n∈N , (Im zn)n∈N konvergent in R; dann:

limn→∞ zn = lim

n→∞ Re zn + i limn→∞ Im zn.

Satz V.7

Beweis. Wir beweisen (i); ganz ähnlich zeigt man (ii).

„⇐�“: gilt nach den Rechenregeln für Folgen aus Satz IV.23.

„�⇒“: Ist " > 0 beliebig, so gilt nach der Definition einer Cauchy-Folge:

∃ N ∈ N ∀ n, m ≥ N : |zn − zm| < ".

Nach Proposition V.4 (i) folgt dann für n, m ≥ N

|Re zn − Re zm| = |Re(zn − zm)| ≤ |zn − zm| < ",

|Im zn − Im zm| = |Im(zn − zm)| ≤ |zn − zm| < ".

Ist (zn)n∈N ⊂ C konvergent, so ist auch (zn)n∈N konvergent und

limn→∞ zn = lim

n→∞ zn.

Korollar V.8

Beweis. Die Aussage folgt aus Satz V.7 und Re zn = Re zn, Im zn = − Im zn.(C, | · |) ist ein vollständiger normierter Raum.Satz V.9

Beweis. Es sei (zn)n∈N ⊂ C eine Cauchy-Folge. Nach Satz V.7 (i) sind (Re zn)n∈N und(Im zn)n∈N Cauchy-Folgen in R und konvergieren damit in R, weil R vollständig ist.Nach Satz V.7 (ii) konvergiert dann (zn)n∈N in C.

von Bolzano2-Weierstraß3. Jede beschränkte Folge in C enthält eine konvergenteTeilfolge.

Satz V.10

2Bernhard Bolzano, ∗ 5. Oktober 1781, 18. Dezember 1848 in Prag, böhmischer Mathematiker undTheologe, der einige der von Cauchy wenige Jahre später unabhängig entwickelten Begriffe bereits verwen-dete.

3Karl Weierstraß, ∗31. Oktober 1815 in Ostenfelde/Westfalen, 19. Februar 1897 in Berlin, bedeu-tender deutscher Mathematiker und zuerst als Lehrer tätig, legte mit seiner mathematischen Strenge denGrundstein der heutigen Analysis und war einer der Begründer der komplexen Funktionentheorie.

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16 Folgen inC 49

Zum Beweis benötigen wir einige Vorbereitungen; wir betrachten dazu Folgen in R.

Es sei (xk)k∈N ⊂ R. Dann sind die Folgen (yn)n∈N und (yn)n∈N ⊂ R, definiert durch

yn := sup {xk : k ≥ n},yn := inf {xk : k ≥ n},

monoton fallend bzw. monoton wachsend; ihre (evtl. uneigentlichen) Grenzwerte

lim supk→∞

xk := limn→∞ yn = inf {yn: n ∈ N},

lim infk→∞

xk := limn→∞ yn = sup {yn: n ∈ N}

heißen Limes superior bzw. Limes inferior von (xn)n∈N .

Proposition V.11

Beweis. Für n, m ∈ N, n ≥ m, ist {xk: k ≥ n} ⊂ {xk : k ≥ m} und damit

yn = sup{xk : k ≥ n} ≤ sup{xk : k ≥ m} = ym.

xk = (−1)k, k ∈ N: lim supk→∞ xk = 1, lim inf k→∞ xk = −1. Beispiel

Ist (xk)k∈N ⊂ R beschränkt, so ist lim supk→∞ xk der größte und lim inf k→∞ xk derkleinste Häufungswert von (xk)k∈N.

Lemma V.12

Beweis. Wir zeigen die Behauptung für den Limes superior. Mit (xk)k∈N ist auch die inProposition V.11 definierte Folge (yn)n∈N beschränkt. Aus Satz IV.40 folgt

x∗ := lim supk→∞

xk = limn→∞ yn = inf {yn: n ∈ N} < ∞.

x∗ ist größtmöglicher Häufungswert: Es sei x > x∗. Da x∗ Infimum der yn ist, gibt esnach Proposition III.15 ein n0 ∈ Nmit x∗ ≤ yn0 < x. Nach Definition von yn0 ist dannxk ≤ yn0 < x, k ≥ n0, also ist x kein Häufungswert von (xn)n∈N .

x∗ ist Häufungswert: Da x∗ = limn→∞ yn, gibt es für jedes m ∈ N ein nm ∈ Nmit

x∗ +1

m> ynm = sup {xk : k ≥ nm} ≥ x∗ > x∗ −

1

m. (16.1)

Wieder nach Proposition III.15 existiert dann ein km ≥ nm mit xkm > x∗ − 1m . Mit

(16.1) folgt insgesamt

x∗ +1

m> xkm > x∗ −

1

m.

Da m ∈ N beliebig war, folgt limm→∞ xkm = x∗, also ist x∗ Häufungswert.

Beweis von Satz V.10. Es sei (zn)n∈N ⊂ C eine beschränkte Folge.

Page 59: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

50 V Komplexe Zahlen und Reihen

Ist (zn)n∈N ⊂ R, so folgt die Behauptung direkt aus Lemma V.12, weil man mindestenseinen Häufungswert mit dagegen konvergenter Teilfolge hat.

Ist allgemein (zn )n∈N ⊂ C, so sind nach PropositionV.4 (i) auch (Re zn)n∈N , (Im zn)n∈N ⊂R beschränkt. Damit besitzt die reelle Folge (Re zn)n∈N eine konvergente Teilfolge(Re znk )k∈N . Als Teilfolge einer beschränkten Folge ist die reelle Folge (Im znk )k∈N be-schränkt und hat wiederum eine konvergente Teilfolge (Im znkm

)m∈N . Insgesamt ist nachSatz V.7 (ii) dann (znkm

)m∈N eine konvergente Teilfolge von (zn)n∈N .

Bemerkung. Der Satz von Bolzano-Weierstraß in R ist eine weitere äquivalente For-mulierung der Vollständigkeit von R.

Für eine Folge (xn)n∈N ⊂ R gilt:

(xn)n∈N konvergent ⇐⇒ lim supn→∞

xn = lim infn→∞ xn;

in diesem Fall istlim

n→∞ xn = lim supn→∞

xn = lim infn→∞ xn.

Proposition V.13

Beweis. Der Beweis ist eine gute Übung, da man hier die sperrigen Begriffe Limessuperior bzw. inferior mit dem vertrauteren Begriff des Limes zu verbinden lernt.

� 17Reihen

In diesem Abschnitt betrachten wir Folgen in normierten Räumen, insbesondere Folgenin (R, | · |) oder (C, | · |). Anders als in metrischen Räumen hat man darin auch eineAddition, und wir können unendliche Summen x1 + x2 + x3 + · · · betrachten.

Es sei (V , ‖ · ‖) ein normierter Raum und (xk)k∈N0 ⊂ V . Definiere

sn :=n∑

k=0

xk, n ∈ N0.

Dann heißt die Folge (sn)n∈N0 Reihe in V , formal bezeichnet mit∑∞

k=0 xk; mannennt sn die n-te Partialsumme und xk den k-ten Summanden der Reihe. DieReihe

∑∞k=0 xk heißt konvergent (divergent), wenn die Folge (sn)n∈N0 der Parti-

alsummen konvergent (bzw. divergent) ist; ist s := limn→∞ sn, so schreibt man

s =∞∑

k=0

xk.

Definition V.14

Indem man die ersten Folgenglieder 0 setzt, können Reihen auch erst bei k = 1 oderk = n0 mit einem beliebigen n0 ∈ N beginnen.

Page 60: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

17 Reihen 51

–∞∑

k=0

1

k!ist konvergent, denn nach Proposition IV.47 ist

∞∑k=0

1

k!= e.

–∞∑

k=1

(1 +

1

k

)ist divergent, weil (sn)n∈N unbeschränkt ist:

sn =n∑

k=1

(1 +

1

k

)≥

n∑k=1

1 = n, n ∈ N.

Beispiele

Es ist scheinbar ein Widerspruch, dass man unendlich viele Zahlen aufsummieren unddennoch ein endliches Ergebnis erhalten kann. Das Geheimnis dahinter ist, dass diesnur unter starken Bedingungen für diese Zahlen gilt.

Es sei (V , ‖ · ‖) ein normierter Raum und (xk)k∈N ⊂ V . Dann gilt:

∞∑k=0

xk konvergent �⇒ (xk)k∈N Nullfolge.

Satz V.15

Beweis. Nach Voraussetzung konvergiert (sn)n∈N mit sn :=∑n

k=0 xk, ist also nach SatzIV.11 eine Cauchy-Folge. Daher existiert zu beliebigem " > 0 ein N ∈ Nmit

∀ n, m ≥ N : |sn − sm| < ".

Mit n = m + 1 gilt dann speziell

∀ n ≥ N : |xm+1| = |sm+1 − sm| < ".

Da " > 0 beliebig war, ist limk→∞ xk = 0 gezeigt.

Die Bedingung, dass die Folgenglieder (xk )k∈N eine Nullfolge bilden, ist zwar notwendigfür die Konvergenz der Reihe, aber nicht hinreichend! Ein Beispiel dafür ist:

Harmonische Reihe.∞∑

k=1

1

kist divergent. Beispiel V.16

Beweis. Für die Partialsummen sn :=∑n

k=11k , n ∈ N, gilt:

|s2n − sn| =2n∑

k=n+1

1

k≥

2n∑k=n+1

1

2n= n · 1

2n=

1

2, n ∈ N.

Damit ist (sn)n∈N keine Cauchy-Folge, also nach Satz IV.11 nicht konvergent.

Geometrische Reihe. Es sei z ∈ C. Dann ist

∞∑k=0

zk konvergent für |z| < 1,

∞∑k=0

zk =1

1 − z,

∞∑k=0

zk divergent für |z| ≥ 1.

Beispiel V.17

Page 61: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

52 V Komplexe Zahlen und Reihen

Beweis. |z| < 1: Dann ist (|z|k)k∈N0 Nullfolge, also nach Proposition IV.26 (ii) auch

(zk)k∈N0 . Man überlegt sich leicht, dass die geometrische Summenformel aus Satz II.7auch für komplexe Zahlen gilt. Zusammen mit den Rechenregeln aus Satz IV.23 undSatz IV.28 folgt dann für n ∈ N:

sn :=n∑

k=0

zk =1 − zn+1

1 − z−→ 1 − limn→∞ zn+1

1 − z=

1

1 − z, n → ∞.

|z| ≥ 1: Dann ist |z|k ≥ 1, k ∈ N0, also ist (zk)k∈N0 keine Nullfolge. Damit folgt dieBehauptung aus Satz V.15.

Da Reihen spezielle Folgen sind, gelten die üblichen Rechenregeln; z.B. gilt nach SatzIV.23 für (xk)k∈N , (yk)k∈N ⊂ V und � ∈ K (wenn V Vektorraum über K ist)

∞∑k=0

(xk + yk) =∞∑

k=0

xk +∞∑

k=0

yk,

∞∑k=0

(�xk) = �∞∑

k=0

xk,

falls die Reihen auf den beiden rechten Seiten konvergieren.

Bemerkung V.18

Wie stellt man nun allgemein fest, ob eine Reihe konvergiert oder nicht? Der erste undeinfachste Test ist zu prüfen, ob die Summanden überhaupt eine Nullfolge bilden.Wenn ja, braucht man weitere Kriterien.

Cauchy-Kriterium. Es sei (V , ‖ · ‖) ein vollständiger normierter Raum und(xk)k∈N ⊂ V . Dann ist

∑∞k=0 xk genau dann konvergent, wenn

∀ " > 0 ∃ N ∈ N ∀ n, m ≥ N, m > n:∣∣∣ m∑

k=n+1

xk

∣∣∣ < ". (17.1)

Satz V.19

Beweis. Die Behauptung folgt aus Satz IV.11, angewendet auf die Folge der Partialsum-men (sn)n∈N , weil V vollständig ist.

Speziell für Reihen nichtnegativer Zahlen inR kann man ein sehr praktisches Kriteriummit Hilfe der Monotonie der Partialsummen herleiten.

Es sei (xk)k∈N0 ⊂ [0,∞). Dann gilt mit sn :=∑n

k=0 xk, n ∈ N:

∞∑k=0

xk konvergent ⇐⇒ (sn)n∈N0 beschränkt;

dann gilt∑∞

k=0 xk = sup {sn: n ∈ N0}.

Satz V.20

Beweis. Da xk ≥ 0, k ∈ N0, ist die Folge (sn)n∈N0 der Partialsummen monotonwachsend. Wendet man Satz IV.40 auf (sn)n∈N0 an, folgt die Behauptung.

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17 Reihen 53

∞∑k=1

1

k2ist konvergent nach Satz V.20, da

1

k2> 0 für k ∈ N und

sn = 1 +n∑

k=2

1

k2≤ 1 +

n∑k=2

1

k(k − 1)= 1 +

n∑k=2

( 1

k − 1−

1

k

)= 1 +

n−1∑k=1

1

k−

n∑k=2

1

k= 1 + 1 −

1

n< 2, n ∈ N;

auf den Wert der Reihe, der sich als �2

6 herausstellen wird, kommen wir späterzurück (Beispiel VIII.39), wenn wir die Zahl � eingeführt haben (Aufgabe VI.4).

Beispiel V.21

Auch für Reihen reeller Zahlen mit wechselnden Vorzeichen gibt es ein einfaches Kon-vergenzkriterium.

Eine alternierende Reihe ist eine Reihe in R, in der je zwei aufeinanderfolgendeSummanden verschiedene Vorzeichen haben, d.h. eine Reihe der Form

±∞∑

k=0

(−1)kxk mit xk ≥ 0, k ∈ N0.

Definition V.22

Leibniz4 -Kriterium für alternierende Reihen. Ist (xk)k∈N0 ⊂ [0,∞) eine mono-ton fallende Nullfolge, so ist

∞∑k=0

(−1)kxk (17.2)

konvergent (gegen s ∈ R); für die Partialsummen sn :=∑n

k=0(−1)kxk, n ∈ N, giltdann die Abschätzung

|s − sn| ≤ xn+1, n ∈ N0. (17.3)

Satz V.23

Beweis. Wir zeigen zunächst zwei Hilfsbehauptungen.

Behauptung 1: (s2m)m∈N0 ist monoton fallend, (s2m+1)m∈N0 monoton wachsend.

Beweis: Zum Beispiel gilt für m ∈ N0, da (xk)k∈N0 monoton fallend ist,

s2m+2 − s2m = (−1)2m+1x2m+1 + (−1)2m+2x2m+2 = x2m+2 − x2m+1 ≤ 0.

Behauptung 2: s1 ≤ s2m ≤ s0, s1 ≤ s2m+1 ≤ s0, m ∈ N0.

Beweis: Nach Behauptung 1 gilt s2m ≤ s0, s1 ≤ s2m+1 für m ∈ N0. Außerdem ist

s2m − s2m+1 = −(−1)2m+1x2m+1 = x2m+1 ≥ 0.

Also ist insgesamt s1 ≤ s2m+1 ≤ s2m ≤ s0 für beliebiges m ∈ N0.

4Gottfried Wilhelm Freiherr von Leibniz, ∗ 1. Juli 1646 in Leipzig, 14. November 1716 in Hanno-ver, deutscher Universalgelehrter und Begründer der Differential- und Integralrechnung in Konkurrenz mitNewton.

Page 63: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

54 V Komplexe Zahlen und Reihen

Nach den Behauptungen 1 und 2 sowie nach Satz IV.40 existieren dann

s := limm→∞ s2m, t := lim

m→∞ s2m+1. (17.4)

Damit ist nach Satz IV.23 und weil (xk)k∈N0 Nullfolge ist

s − t = limm→∞(s2m − s2m+1) = lim

m→∞ x2m+1 = 0.

Nun sei " > 0 beliebig vorgegeben. Wegen (17.4) existieren N1, N2 ∈ Nmit

∀ m ∈ N, 2m ≥ N1: |s2m − s| < ",

∀ m ∈ N, 2m ≥ N2: |s2m−1 − s| = |s2m−1 − t| < ".

Insgesamt folgt |sn − s| < " für n ≥ max{N1, N2}. Also ist (sn)n∈N und damit diealternierende Reihe (17.2) konvergent. Nach Satz IV.40 und (17.4) ist

s = inf {s2m: m ∈ N}, s = t = sup {s2m−1: m ∈ N}.Damit und mit Behauptung 1 folgt schließlich für m ∈ N:

0 ≤ s2m − s ≤ s2m − s2m+1 = x2m+1,

0 ≤ s − s2m+1 ≤ s2m − s2m−1 = x2m.

Mit Hilfe des Leibniz-Kriteriums können wir jetzt sofort die Konvergenz der beidenfolgenden Reihen ablesen, deren Grenzwerte wir erst nach der Definition von Loga-rithmus und Arcus Tangens berechnen können (Korollar IX.19, Aufgabe VIII.7).

Alternierende harmonische Reihe.∞∑

k=1

(−1)k−1 1

kist konvergent in R.Beispiel V.24

∞∑k=0

(−1)k 1

2k + 1ist konvergent in R (vgl. Beispiel IV.12).

Beispiel V.25

Reihen mit viel einfacheren Grenzwerten begegnen wir unbewusst laufend im Alltag,z.B. wenn man in einen Taschenrechner auf einem Handy 1/3 eingibt und die Ziffern-folge 0.333333333 . . . angezeigt bekommt. Wir erkennen darin die ersten Stellen derDezimaldarstellung von 1/3, die tatsächlich eine unendliche Reihe ist.

Es sei b ∈ N, b ≥ 2 fest. Ein (unendlicher) b-adischer Bruch ist eine Reihe derGestalt

±(

a−lbl + a−(l−1)b

l−1 + · · · + a−1b +∞∑

k=−0

akb−k)

=: ±∞∑

k=−l

akb−k (17.5)

mit l ∈ N0, ak ∈ {0, 1, . . . , b − 1} für k ∈ Z, k ≥ −l. Für (17.5) schreibt manauch

a−la−(l−1) . . . a0 , a1a2 . . . . (17.6)

Gilt ak = 0 für k ≥ l0 mit einem l0 ≥ −l, so heißt der b-adische Bruch endlich.

Definition V.26

Page 64: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

17 Reihen 55

Die Babylonier verwendeten in ihrem Rechensystem b = 60. Für die uns vertrauteDezimaldarstellungen ist b = 10. Im elektronischen Zeitalter mindestens so wichtigsind dyadische Darstellungen mit b = 2, wo man nur die Ziffern 0, 1 braucht.

Jeder b-adische Bruch konvergiert gegen ein reelle Zahl. Satz V.27

Beweis. Es reicht, in (17.5) + zu betrachten und zu zeigen, dass die Partialsummen

sn :=n∑

k=−l

akb−k, n ∈ Z, n ≥ −l,

eine Cauchy-Folge bilden. Dazu sei " > 0 beliebig. Da b ≥ 2 > 1, existiert nachSatz III.13 (i) ein N ∈ N mit b−N < ". Dann gilt für m > n ≥ N , wenn wir0 ≤ ak ≤ b − 1 und die Formel für die geometrische Reihe (Beispiel V.17) benutzen,

|sm − sn| =∣∣∣ m∑

k=−l

akb−k −n∑

k=−l

akb−k∣∣∣ =

m∑k=n+1

akb−k

≤m∑

k=n+1

(b − 1) b−k �=k−(n+1)= (b − 1) ·

m−(n+1)∑�=0

b−(�+n+1)

≤ (b − 1) b−(n+1)∞∑

�=0

b−� Bsp.V.17= (b − 1) b−(n+1) 1

1 − 1b

= b−n ≤ b−N < ".

Noch wichtiger ist die Umkehrung von Satz V.27, die uns die so abstrakt eingeführtenreellen Zahlen wieder vertrauter macht.

Jede reelle Zahl lässt sich als b-adischer Bruch darstellen. Satz V.28

Beweis. Es genügt, den Fall x ∈ R, x ≥ 0, zu betrachten. Da b ≥ 2 > 1, existiert nachSatz III.13 (i) ein N ∈ Nmit

0 ≤ x < bN+1, (17.7)

und wir wählen das kleinste N mit dieser Eigenschaft. Die Behauptung folgt, wenn wirdurch Induktion zeigen, dass Zahlen ak ∈ {0, 1, . . . , b − 1}, k = −N, −N + 1, . . . , undeine Folge (n)n∈N mit 0 ≤ n < b−n existieren mit

x =n∑

k=−N

akb−k + n, n ∈ N;

denn dann ist 0 ≤ limn→∞ n ≤ lim

n→∞ b−n = 0 und damit x =∞∑

k=−N

akb−k.

n = −N : Nach (17.7) ist 0 ≤ xb−N < b, also existieren a−N ∈ {0, 1, . . . , b − 1} und0 ≤ ı−N < 1 mit

xb−N = a−N + ı−N .

Page 65: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

56 V Komplexe Zahlen und Reihen

Setze −N := ı−NbN . Dann ist 0 ≤ −N < bN und

x = a−NbN + −N .

n� n + 1: Nach Induktionsvoraussetzung gilt 0 ≤ nbn+1 < b. Folglich gibt es an+1 ∈{0, 1, . . . , b −1} und 0 ≤ ın+1 < 1 mit

nbn+1 = an+1 + ın+1.

Setze n+1 := ın+1b−(n+1). Dann ist 0 ≤ n+1 < b−(n+1) und nach Induktionsvorausset-zung

x =n∑

k=−N

akb−k + n =n∑

k=−N

akb−k + an+1b−(n+1) + n+1.

– Nach Satz V.28 lässt sich jede reelle Zahl beliebig genau durch rationale Zahlenapproximieren (denn die Partialsummen sind inQ!).

– Die b-adische Darstellung (17.5) ist nicht eindeutig, z.B. ist für b = 10:

0.999 . . . =∞∑

k=1

9 · 10−k =9

10

∞∑k=0

(1

10

)kgeom. Reihe

=9

10

1

1 − 110

= 1,

also 0.9999 . . . = 1.0000 . . .. Die Darstellung wird eindeutig, wenn man aus-schließt, dass ak = 9 für alle bis auf endlich viele k ∈ N.

Bemerkung V.29

Die b-adische Darstellung reeller Zahlen lässt sich auch benutzen, um einen wichtigenUnterschied zwischen den rationalen und den reellen Zahlen herauszufinden. Beidessind ja unendliche Mengen, aber wie unendlich?

Es seien X und Y Mengen. Dann heißen

(i) X, Y gleichmächtig, X ∼ Y :⇐⇒ es gibt eine bijektive Abbildung f : X → Y ,

(ii) X abzählbar :⇐⇒ ∃ W ⊂ N: X ∼ W ,

(iii) X abzählbar unendlich :⇐⇒ X ∼ N,

(iv) X überabzählbar :⇐⇒ X nicht abzählbar.

Definition V.30

N undQ sind abzählbar unendlich (Aufgabe V.4).Beispiel

R ist überabzählbar.Satz V.31

Beweis. Es genügt zu zeigen, dass das Intervall [0, 1) überabzählbar ist. Angenommen,[0, 1) wäre abzählbar. Dann existiert eine Folge (xn)n∈N ⊂ [0, 1), so dass

[0, 1) = {xn: n ∈ N}. (17.8)

Page 66: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

18 Absolute Konvergenz 57

Nach Satz V.28 und Bemerkung V.29 hat jedes xn, n ∈ N, eine eindeutige Dezimaldar-stellung, d.h., es existieren ank ∈ {0, 1, . . . , 9}, k ∈ N, n ∈ N, mit

xn =∞∑

k=1

ank10−k = 0. an1an2an3 . . . , n ∈ N.

Definiere y ∈ [0, 1) durch

y :=∞∑

k=1

yk10−k = 0. y1y2y3 . . . , yk :=

{1, falls akk �= 1,

2, falls akk = 1.

Dann ist nach Konstruktion yk �= akk, k ∈ N. Da y ∈ [0, 1), existiert nach (17.8)ein n0 ∈ N mit y = xn0 . Da die Dezimaldarstellung nach Bemerkung V.29 eindeutiggewählt war, folgt yk = an0k, k ∈ N, also der Widerspruch yn0 = an0n0 .

Die Menge der irrationalen Zahlen R \Q ist überabzählbar. Korollar V.32

Beweis. Wäre R \ Q abzählbar, so wäre R = (R \ Q) ∪Q als endliche Vereinigungabzählbarer Mengen abzählbar, im Widerspruch zu Satz V.31.

� 18Absolute Konvergenz

Im Unterschied zu Folgen gibt es bei der Konvergenz von Reihen unterschiedlicheQualitäten. Ist etwa (xk)k∈N ⊂ R oder C, dann gilt immer

(xk)k∈N konvergent �⇒ (|xk|)k∈N konvergent;

für die entsprechende Reihe muss das aber nicht gelten:

∞∑k=0

xk konvergent �⇒/∞∑

k=0

|xk| konvergent.

Das beste Beispiel dafür ist, dass die alternierende harmonische Reihe konvergiert,während die harmonische Reihe divergiert!

Es seien (V , ‖ · ‖) ein normierter Raum und (xk)k∈N0 ⊂ V . Dann heißt die Reihe∑∞k=0 xk absolut konvergent in V , wenn die Reihe

∞∑k=0

‖xk‖ in R konvergiert.

Definition V.33

Page 67: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

58 V Komplexe Zahlen und Reihen

Ist (V , ‖ · ‖) ein vollständiger normierter Raum und (xk)k∈N0 ⊂ V , so gilt

∞∑k=0

xk absolut konvergent �⇒∞∑

k=0

xk konvergent.

Satz V.34

Beweis. Es sei " > 0 beliebig. Dann gibt es nach Voraussetzung ein N ∈ Nmit

∀ m > n ≥ N :m∑

k=n+1

‖xk‖ < ".

Mit der Dreiecksungleichung folgt dann sofort für alle m > n ≥ N∥∥∥ m∑k=n+1

xk

∥∥∥ ≤m∑

k=n+1

‖xk‖ < ".

Verallgemeinerte Dreiecksungleichung. Es seien (V , ‖ · ‖) ein normierter Raumund (xk)k∈N0 ⊂ V . Ist

∑∞k=0 xk absolut konvergent, so gilt∥∥∥ ∞∑

k=0

xk

∥∥∥ ≤∞∑

k=0

‖xk‖.

Proposition V.35

Beweis. Benutze die übliche Dreiecksungleichung für die Partialsummen!

Für die absolute Konvergenz einer Reihe gibt es drei wichtige Kriterien, das Majoranten-,das Quotienten- und das Wurzelkriterium. Welches am besten geeignet ist, hängt vonder speziellen Reihe ab. Man kann auch eines nach dem anderen testen (nachdem mangeprüft hat, dass die Summanden eine Nullfolge bilden!).

Majorantenkriterium. Es seien (V , ‖ · ‖) ein vollständiger normierter Raum und(xk)k∈N0 ⊂ V . Gibt es eine Folge (ck)k∈N0 ⊂ [0,∞) und k0 ∈ N mit

∀ k ≥ k0: ‖xk‖ ≤ ck,

∞∑k=0

ck konvergent in R, (18.1)

so ist∑∞

k=0 xk absolut konvergent(mit Majorante

∑∞k=0 ck

).

Satz V.36

Beweis. Es sei " > 0 beliebig. Nach Voraussetzung (18.1) gibt es ein N ∈ Nmit

∀ m > n ≥ N :m∑

k=n+1

‖xk‖︸︷︷︸≤ck

≤m∑

k=n+1

ck < ".

Also ist∑∞

k=0 ‖xk‖ konvergent nach dem Cauchy-Kriterium (Satz V.19).

Page 68: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

18 Absolute Konvergenz 59

∞∑k=1

k!

kkist absolut konvergent, da für k ∈ N

k!

kk=

1 · 2 · 3 · · · k

k · k · k · · · k≤ 2

k2

gilt und∑∞

k=11k2 nach Beispiel V.21 konvergiert.

Beispiel V.37

Wurzelkriterium. Es seien (V , ‖ · ‖) ein vollständiger normierter Raum und(xk)k∈N0 ⊂V mit

˛ := lim supk→∞

k√‖xk‖.

(i) Ist ˛ < 1, so ist∑∞

k=0 xk absolut konvergent.

(ii) Ist ˛ > 1, so ist∑∞

k=0 xk divergent.

Ist ˛ = 1, kann man keine Aussage über die Konvergenz der Reihe machen.

Satz V.38

Beweis. (i) Ist ˛ < 1, so gibt es ein q ∈ R mit ˛ < q < 1. Da ˛ als Limes superiorgrößter Häufungswert der Folge ( k

√‖xk‖)k∈N0 ist (Lemma V.12), existiert K ∈ N mitk√‖xk‖ < q und damit ‖xk‖ < qk , k ≥ K . Da 0 ≤ q < 1, ist

∞∑k=0

qk

eine konvergente Majorante für∑∞

k=0 xk, und die Behauptung folgt mit Satz V.36.

(ii) Es sei ˛ > 1. Da ˛ Häufungswert der Folge ( k√‖xk‖)k∈N0 ist (Lemma V.12), gibt

es eine Teilfolge (xkm )m∈N0 mit km√‖xkm‖ ≥ 1, m ∈ N0. Dann ist aber (xk)k∈N keine

Nullfolge, und die Behauptung folgt aus Satz V.15.

Ist ˛ = 1, so ist für die Reihen∑∞

k=11ks mit s = 1, 2 jeweils ˛ = lim

k→∞k√

ks = 1 (Bei-

spiel IV.45); während für s = 1 die (harmonische) Reihe divergiert, konvergiert dieReihe für s = 2 (Beispiele V.16 und V.21)

Quotientenkriterium. Es seien (V , ‖ · ‖) ein vollständiger normierter Raum und(xk)k∈N0 ⊂ V mit xk �= 0 für k ≥ k0 mit einem k0 ∈ N0.

(i) Existieren 0 < q < 1 und K ∈ N0, K ≥ k0, mit:

∀ k ≥ K :‖xk+1‖‖xk‖ ≤ q,

so konvergiert∑∞

k=0 xk absolut.

(ii) Existiert ein K ∈ N0, K ≥ k0, mit

∀ k ≥ K :‖xk+1‖‖xk‖ ≥ 1,

so divergiert∑∞

k=0 xk.

Satz V.39

Page 69: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

60 V Komplexe Zahlen und Reihen

Beweis. (i) Nach Voraussetzung gilt ‖xk+1‖ ≤ q‖xk‖ für k ≥ K , also folgt induktiv:

‖xk‖ ≤ qk−K‖xK‖ =‖xK‖

qKqk =: c · qk, k ≥ K .

Da q < 1, ist c ·∑∞k=0 qk eine konvergente Majorante für

∑∞k=0 xk . Damit ist

∑∞k=0 xk

nach dem Majorantenkriterium (Satz V.36) absolut konvergent.

(ii) Nach Voraussetzung ist ‖xk‖ ≥ ‖xK‖ > 0 für k ≥ K . Also ist (‖xk‖)k∈N keineNullfolge, und die Behauptung folgt aus Satz V.15.

Die Bedingung in Satz V.39 (i) ist äquivalent zu limk→∞

‖xk+1‖‖xk‖ < 1. Dafür reicht es

nicht zu zeigen:

∀ k ≥ K :‖xk+1‖‖xk‖ < 1, (18.2)

weil man im Limes die strikte Ungleichung verlieren kann. Zum Beispiel erfülltdie harmonische Reihe

∑∞k=1

1k Bedingung (18.2), ist aber nicht konvergent (Bei-

spiel V.16).

Bemerkung V.40

–∞∑

k=1

k2

2kist (absolut) konvergent nach Quotientenkriterium und nach Be-

merkung V.40, denn

|xk+1||xk| =

(k + 1)2

2k+1

2k

k2=

1

2

(1 +

1

k

)2−→ 1

2, k → ∞;

in Satz V.39 (i) kann man q ∈ ( 12 , 1) beliebig wählen, z.B. q = 3

4 .

–∞∑

k=0

1

2k+(−1)k ist (absolut) konvergent nach Wurzelkriterium, denn

lim supk→∞

k√|xk| = lim sup

k→∞1

2k

√1

2(−1)k︸ ︷︷ ︸2(−1)k

=

⎧⎪⎨⎪⎩

2, k gerade,12 , k ungerade.

=1

2

=1 (Beispiel IV.45)︷ ︸︸ ︷lim

k→∞k√

2 =1

2< 1.

Das Quotientenkriterium liefert hier nicht die gewünschte Aussage, denn

|xk+1||xk| =

2k+(−1)k

2k+1+(−1)k+1 = 2(−1)k−1−(−1)k+1

=

{2, k gerade,18 , k ungerade.

Beispiele

Für alle z ∈ C konvergiert∞∑

k=0

zk

k!absolut. Die so definierte Funktion

exp:C→ C, z �→∞∑

k=0

zk

k!, (18.3)

heißt Exponentialfunktion.

Satz V.41

Page 70: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

18 Absolute Konvergenz 61

Beweis. Eine gute Übung für die Konvergenzkriterien (siehe Aufgabe V.6)!

Bis jetzt haben wir Reihen immer in der vorgegebenen Reihenfolge summiert. Aberwas passiert, wenn wir eine andere Reihenfolge wählen? Wie wirkt sich eine solcheUmordnung auf das Konvergenzverhalten aus? Es stellt sich leider heraus, dass nichtjede Umordnung einer konvergenten Reihe wieder konvergent sein muss.

Ist (V , ‖·‖) ein normierter Raum, (xk )k∈N ⊂ V und � :N0 → N0 eine Permutation,so heißt

∑∞k=0 x�(k) Umordnung von

∑∞k=0 xk .

Definition V.42

Eine mögliche Umordnung der alternierenden harmonischen Reihe

s :=∞∑

k=1

(−1)k−1 1

k= 1 −

1

2+

1

3−

1

4+ · · ·

erhält man, wenn man je einen positiven Term und dann zwei negative summiert:

1 −1

2−

1

4+

1

3−

1

6−

1

8+ · · · +

1

2k − 1−

1

4k − 2−

1

4k+ · · · .

Man kann zeigen, dass die obige Umordnung gegen s2 konvergiert und dass es

sogar Umordnungen gibt, die divergieren (siehe [19, Abschnitt 6.3], [14, (7.9)]).

Beispiel V.43

Dieser Effekt kann bei absolut konvergenten Reihen nicht auftreten:

Umordnungssatz. Es seien (V , ‖ · ‖) ein vollständiger normierter Raum und(xk)k∈N0 ⊂ V . Ist

∑∞k=0 xk absolut konvergent, so konvergiert jede Umordnung gegen

denselben Grenzwert.

Satz V.44

Beweis. Setze s :=∑∞

k=0 xk. Es seien � :N0 → N0 eine Permutation und " > 0 beliebig.Da die Reihe absolut konvergiert, existiert ein N ∈ Nmit

∀ n ≥ N :∞∑

k=n

‖xk‖ <"

2. (18.4)

Für n ≥ N ist dann nach verallgemeinerter Dreiecksungleichung (Proposition V.35)∥∥∥s −n∑

k=0

xk

∥∥∥ =∥∥∥ ∞∑

k=n+1

xk

∥∥∥ ≤∞∑

k=n+1

‖xk‖ <"

2. (18.5)

Wir wählen nk ∈ N so, dass k = �(nk) für k = 0, 1, . . . , N und setzen damit N :=max{nk: k = 0, 1, . . . , N} ≥ N . Dann ist {0, 1, . . . N} ⊂ {�(0), �(1), . . . , �(N)},und für n ≥ N ≥ N folgt mit (18.4), (18.5)∥∥∥s −

n∑k=0

x�(k)

∥∥∥ ≤∥∥∥s −

N∑k=0

xk

∥∥∥ +∥∥∥ N∑

k=0

xk −n∑

k=0

x�(k)

∥∥∥<

"

2+

n∑k=0

�(k)/∈{0,1,...,N}

‖x�(k)‖ ≤ "

2+

∞∑k=N+1

‖xk‖ < ".

Page 71: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

62 V Komplexe Zahlen und Reihen

Doppelreihensatz. Es seien (V , ‖ · ‖) ein vollständiger normierter Raum, xkl ∈ V ,k, l ∈ N0, und es gelte

M := sup{ n∑

k=0

n∑l=0

‖xkl‖: n ∈ N0

}< ∞. (18.6)

Dann konvergieren

∞∑k=0

( ∞∑l=0

xkl

),

∞∑l=0

( ∞∑k=0

xkl

),

∞∑n=0

( n∑k,l=0k+l=n

xkl

)absolut und haben denselben Grenzwert; man schreibt dann auch

∑∞k,l=0 xkl.

Satz V.45

Beweis. Für jedes k ∈ N0 ist die Reihe sk :=∑∞

l=0 xkl absolut konvergent nachSatz V.20, denn (‖xkl‖)l∈N0 ⊂ [0,∞), und die zugehörige Folge der Partialsummen(∑m

l=0 ‖xkl‖)

m∈N0ist beschränkt nach Voraussetzung (18.6).

Analog zeigt man, dass für jedes l ∈ N0 die Reihe tl :=∑∞

k=0 xkl absolut konvergiert;für jedes n ∈ N0 ist vn :=

∑nk,l=0k+l=n

xkl eine endliche Summe. Also sind

∞∑k=0

sk,

∞∑l=0

tl und∞∑

n=0

vn (18.7)

wohldefinierte Reihen. Wir zeigen nun, am Beispiel von∑∞

k=0 sk, dass alle drei Reihenabsolut konvergent sind.

Für beliebige K , L ∈ N0 gilt nach Dreiecksungleichung und Voraussetzung (18.6)

K∑k=0

∥∥∥ L∑l=0

xkl

∥∥∥ ≤K∑

k=0

L∑l=0

‖xkl‖ ≤ M < ∞.

Nach Korollar IV.37 gilt die Ungleichung dann auch für den Grenzwert L → ∞:

K∑k=0

‖sk‖ =K∑

k=0

∥∥∥ ∞∑l=0

xkl

∥∥∥ ≤ M < ∞.

Die Behauptung folgt wieder aus Satz V.20, da (‖sk‖)k∈N0 ⊂ [0,∞). Das schon Bewie-sene, angewendet mit (V , ‖ · ‖) = (R, | · |) und ‖xkl‖, k, l ∈ N0, zeigt, dass auch

∞∑n=0

( n∑k,l=0k+l=n

‖xkl‖)

absolut konvergiert. Es bleibt noch zu zeigen, dass

S :=∞∑

k=0

sk =∞∑

n=0

vn =: V ;

daraus folgt die analoge Aussage für die Reihe∑∞

l=0 tl aus Symmetriegründen. Es seialso " > 0 beliebig. Wegen der absoluten Konvergenz der jeweiligen Reihen gibt es

Page 72: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

18 Absolute Konvergenz 63

k0, n0 ∈ N0, k0 > n0, und dazu l0 ∈ N0, l0 > n0, so dass∞∑

k=k0

‖sk‖ <"

4,

∞∑n=n0

( n∑k,l=0k+l=n

‖xkl‖)

<"

4,

∞∑l=l0

‖xkl‖ <"

4k0, k = 0, 1, . . . , k0 − 1.

Mit der verallgemeinerten Dreiecksungleichung (Proposition V.35) folgt dann auch∣∣∣V −n0 −1∑n=0

vn

∣∣∣ ≤ ∞∑n=n0

‖vn‖ ≤∞∑

n=n0

( n∑k,l=0k+l=n

‖xkl‖)

<"

4

und damit

|V − S| =∣∣∣V −

k0 −1∑k=0

sk +∞∑

k=k0

sk

∣∣∣ ≤∣∣∣V −

k0−1∑k=0

sk

∣∣∣ +∞∑

k=k0

‖sk‖

≤∣∣∣V −

k0−1∑k=0

( l0−1∑l=0

xkl +∞∑

l=l0

xkl

)∣∣∣ +"

4

≤∣∣∣V −

k0−1∑k=0

( l0−1∑l=0

xkl

)∣∣∣ +∣∣∣k0−1∑

k=0

( ∞∑l=l0

xkl

)∣∣∣ +"

4

≤∣∣∣V −

k0−1∑k=0

( l0−1∑l=0

k+l≤n0−1

xkl

)−

k0−1∑k=0

( l0−1∑l=0

k+l≥n0

xkl

)∣∣∣ +k0−1∑k=0

( ∞∑l=l0

‖xkl‖)

+"

4

≤∣∣∣V −

n0−1∑n=0

vn

∣∣∣ +k0−1∑k=0

( l0−1∑l=0

k+l≥n0

‖xkl‖)

+ k0"

4k0+

"

4

≤ 3

4" +

k0+l0−2∑n=n0

( n∑k,l=0k+l=n

‖xkl‖)

≤ 3

4" +

∞∑n=n0

( ∞∑k,l=0k+l=n

‖xkl‖)

< ".

Es sei K = R oderCmit dem Absolutbetrag | · | als Norm und (xk)k∈N0 , (yl)l∈N0 ⊂K.Sind

∑∞k=0 xk,

∑∞l=0 yl absolut konvergent, so ist ihr Cauchy-Produkt

∞∑n=0

( n∑k=0

xkyn−k

)absolut konvergent mit( ∞∑

k=0

xk

)·( ∞∑

l=0

yl

)=

∞∑n=0

( n∑k=0

xkyn−k

).

Satz V.46

Beweis. Setze xkl := xk · yl, k, l ∈ N0. Dann ist für beliebiges n ∈ N0

n∑k=0

n∑l=0

|xkl| =n∑

k=0

n∑l=0

|xk|·|yl | =( n∑

k=0

|xk|)( n∑

l=0

|yl|)

≤( ∞∑

k=0

|xk|)( ∞∑

l=0

|yl|)

=: M < ∞,

und die Behauptung folgt aus dem Doppelreihensatz (Satz V.45).

Page 73: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

64 V Komplexe Zahlen und Reihen

Für |z| < 1 ist nach der Formel für die geometrische Reihe (Beispiel V.17)

1

(1 − z)2=( ∞∑

k=0

zk)( ∞∑

l=0

zl)

=∞∑

n=0

( n∑k=0

zkzn−k︸ ︷︷ ︸=zn

)=

∞∑n=0

(n + 1)zn.

Beispiel

Mittels Cauchy-Produkt können wir folgende Eigenschaften der in Satz V.41 definiertenExponentialfunktion zeigen; dabei ist e die Eulersche Zahl aus Satz IV.46.

Eigenschaften von exp. Für exp:C→ C, exp(z) :=∞∑

k=0

zk

k!ist

(i) exp(z) = exp(z), z ∈ C,

(ii) exp(z + w) = exp(z) exp(w), z, w ∈ C,

(iii) exp(n) = en, n ∈ Z,

(iv) exp(z) �= 0, z ∈ C,

(v) |exp(ix)| = 1, x ∈ R.

Satz V.47

Beweis. Der Beweis ist eine gute Übung für die Reihendarstellung von exp, die unsgleich im nächsten Abschnitt wieder begegnen wird (Aufgabe V.7).

� 19Potenzreihen

Die Exponentialreihe in (18.3) ist ein Beispiel einer Potenzreihe. Dabei hängen dieSummanden in einer speziellen Weise von einem komplexen Parameter z ab.

Es seien (an)n∈N0 ⊂ C und a ∈ C. Dann heißt∞∑

n=0

an(z − a)n, z ∈ C, (19.1)

Potenzreihe im Punkt a.

Definition V.48

Eine Potenzreihe kann für manche z ∈ Ckonvergieren und für andere nicht.Wie„wild“kann die Menge der z ∈ C sein, für die eine Potenzreihe nicht konvergiert?

Es seien (an)n∈N0 ⊂ C und a ∈ C. Konvergiert die Reihe in (19.1) für ein z0 ∈ C\{a},dann konvergiert sie absolut für alle z ∈ C mit

|z − a| < |z0 − a|.

Lemma V.49

Page 74: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

19 Potenzreihen 65

Beweis. Da∑∞

n=0 an(z0 − a)n konvergiert, ist(an(z0 − a)n

)n∈N0

eine Nullfolge, alsoinsbesondere beschränkt. Folglich existiert C > 0 mit

∀ n ∈ N0: |an(z0 − a)n| < C.

Es sei nun z ∈ Cmit |z − a| < |z0 − a|. Setze q := z−az0−a . Dann ist |q| < 1 und

|an(z − a)n| = |an(z0 − a)n|︸ ︷︷ ︸<C

∣∣∣∣ z − a

z0 − a

∣∣∣∣n︸ ︷︷ ︸=qn

< Cqn, n ∈ N0.

Also ist C∑∞

n=0 qn eine konvergente Majorante für die Reihe in (19.1), und die Be-hauptung folgt aus dem Majorantenkriterium (Satz V.36).

Die Konvergenzgebiete von Potenzreihen sind also Kreise um den jeweiligen Entwick-lungspunkt:

Es seien (an)n∈N0 ⊂ C und a ∈ C. Setze

R := sup{

r ≥ 0:∞∑

n=0

anrn konvergent}.

Dann ist die Potenzreihe

∞∑n=0

an(z − a)n

{absolut konvergent für |z − a| < R,

divergent für |z − a| > R,

R heißt Konvergenzradius von∑∞

n=0 an(z − a)n.

Satz V.50

Beweis. Es sei z ∈ C mit |z − a| < R. Nach Definition von R als Supremum existiertein r ≥ 0, |z − a| < r < R, so dass

∑∞n=0 anrn konvergent ist. Lemma V.49 mit z0 = r + a

liefert die erste Behauptung.Es sei z ∈ C mit |z − a| > R. Wäre

∑∞n=0 an(z − a)n konvergent, dann wäre nach

Lemma V.49 auch∑∞

n=0 an( − a)n mit ∈ C so, dass | − a| = r, R < r < |z − a|,konvergent, im Widerspruch zur Supremumseigenschaft von R.

Bemerkung. – R = 0 und R = ∞ sind möglich.

– Für |z − a| = R ist keine Aussage möglich!

Um den Konvergenzradius zu bestimmmen, gibt es zwei Möglichkeiten:

Der Konvergenzradius R einer Potenzreihe∑∞

n=0 an(z − a)n ist gegeben durch

(i) R =(

lim supn→∞

n√|an|

)−1,

(ii) R = limn→∞

|an||an+1| , falls dieser Limes in R existiert.

Proposition V.51

Page 75: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

66 V Komplexe Zahlen und Reihen

Beweis. (i) Die Behauptung folgt aus dem Wurzelkriterium (Satz V.38), denn

lim supn→∞

n√|an(z − a)n| = |z − a|

=:L︷ ︸︸ ︷lim sup

n→∞n√|an|

{< 1, für |z − a| < 1

L = R,

> 1, für |z − a| > 1L = R,

mit der Konvention 1L = 0 für L = ∞, 1

L = ∞ für L = 0 (vgl. Bemerkung IV.31).

(ii) Der Beweis ist analog zu (i) mit dem Quotientenkriterium (Satz V.39).

– Für∞∑

n=0

nnzn ist R = 0, denn(lim sup

n→∞n√

nn)−1

=( =∞︷ ︸︸ ︷

limn→∞ n

)−1= 0.

– Für∞∑

n=1

zn

nist R = 1, denn∣∣∣∣ an

an+1

∣∣∣∣ =n + 1

n→ 1, n → ∞;

auf dem Rand des Konvergenzkreises gibt es sowohl Konvergenz als auchDivergenz:

z = 1: Divergenz (harmonische Reihe),

z = −1: Konvergenz (alternierende harmonische Reihe).

– Für die Exponentialreihe∞∑

n=0

zn

n!ist R = ∞ (Satz V.41 und Aufgabe V.6).

Beispiel

Auf ihren Konvergenzgebieten haben Potenzreihen viele schöne Eigenschaften, z.B. hatman für die Addition und Multiplikation die folgenden Rechenregeln:

Es seien (an)n∈N0 , (bn)n∈N0 ⊂ C, a ∈ C und Ra, Rb die Konvergenzradien derPotenzreihen

∑∞n=0 an(z − a)n bzw.

∑∞n=0 bn(z − a)n. Dann gilt für z ∈ C mit

|z − a| < min{Ra, Rb}:∞∑

n=0

an(z − a)n +∞∑

n=0

bn(z − a)n =∞∑

n=0

(an + bn)(z − a)n,

( ∞∑n=0

an(z − a)n

)·( ∞∑

n=0

bn(z − a)n

)=

∞∑n=0

( n∑k=0

akbn−k

)(z − a)n.

Satz V.52

Beweis. Für die Summe folgt die Behauptung direkt aus den Rechenregeln für Grenz-werte von Reihen (Bemerkung V.18 und Satz IV.23).

Für das Produkt folgt die Behauptung aus Satz V.46, da beide Reihen nach Lem-ma V.49 absolut konvergieren und die rechte Seite ihr Cauchy-Produkt ist.

Polynome sind spezielle Potenzreihen mit nur endlich vielen Summanden. Mit ele-mentaren Methoden kann man zeigen, dass ein Polynom eindeutig durch seine Koef-fizienten bestimmt ist. Gilt dies auch allgemeiner für Potenzreihen?

Page 76: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

19 Potenzreihen 67

Es seien (an)n∈N0 ⊂C, a ∈ C, R > 0 der Konvergenzradius von∑∞

n=0 an(z − a)n undm ∈ N0. Dann existiert zu jedem r ∈ (0, R) ein C > 0, so dass für alle z ∈ C mit|z − a| ≤ r gilt: ∣∣∣ ∞∑

n=m

an(z − a)n∣∣∣ ≤ C|z − a|m.

Lemma V.53

Beweis. Für |z − a| ≤ r gilt nach Lemma V.49 und verallgemeinerter Dreiecksunglei-chung (Proposition V.35):

∣∣∣ ∞∑n=m

an(z − a)n∣∣∣ ≤ |z − a|m

∞∑n=m

|an||z − a|︸ ︷︷ ︸≤r

n−m ≤ |z − a|m∞∑

n=m

|an|rn−m

= |z − a|m∞∑

n=0

|an+m|rn

︸ ︷︷ ︸=:C<∞, da r<R

.

Es seien (cn)n∈N0 ⊂C, a ∈C, und R >0 der Konvergenzradius von∑∞

n=0 cn(z − a)n.Gibt es eine Nullfolge (zj)j∈N0 ⊂ C mit |zj | < R, j ∈ N0, und

∀ j ∈ N0:∞∑

n=0

cnznj = 0, (19.2)

und existiert eine Teilfolge (zjk )k∈N0 mit zjk �= 0, k ∈ N0, dann ist cn = 0, n ∈ N0.

Satz V.54

Beweis. Ohne Einschränkung können wir annehmen, dass zj �= 0, j ∈ N.Angenommen,es existiert ein n0 ∈ N mit c0 = c1 = · · · = cn0−1 = 0 und cn0 �= 0. Da (zj)j∈N Nullfolgeist und |zj | < R gilt, existiert r ∈ (0, R) mit

∀ j ∈ N0: |zj | ≤ r.

Nach Lemma V.53 (mit m = n0 + 1) gibt es C > 0, so dass für z ∈ C, |z − a| ≤ r,

∣∣∣ ∞∑n=0

cn︸︷︷︸=0

für n<n0

(z − a)n − cn0 (z − a)n0

∣∣∣ =∣∣∣ ∞∑

n=n0 +1

cn(z − a)n∣∣∣ ≤ C|z − a|n0+1

gilt. Speziell für z = zj + a ist |z − a| = |zj | ≤ r, also ergibt sich mit (19.2)

∣∣cn0 zn0j

∣∣ =∣∣∣ ∞∑

n=0

cnznj − cn0 zn0

j

∣∣∣ ≤ C|zj|n0+1

und damit |cn0 | ≤ C|zj| für alle j ∈ N0. Da (zj )j∈N0 eine Nullfolge ist, muss cn0 = 0 sein,im Widerspruch zur Wahl von n0.

Page 77: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

68 V Komplexe Zahlen und Reihen

Identitätssatz für Potenzreihen. Es seien (an)n∈N0 , (bn)n∈N0 ⊂ C, a ∈ C, undRa, Rb > 0 die Konvergenzradien der Potenzreihen

∑∞n=0 an(z−a)n,

∑∞n=0 bn(z−a)n.

Existiert ein r ∈ (0, min{Ra, Rb})

mit

∞∑n=0

an(z − a)n =∞∑

n=0

bn(z − a)n, |z − a| ≤ r,

so gilt an = bn, n ∈ N0.

Satz V.55

Beweis. Die Behauptung folgt aus Satz V.54 mit cn = an − bn, n ∈ N0; die Nullfolge(zj)j∈N0 erhält man aus einer Folge (zj)j∈N0 mit |zj − a| < r und zj → a, j → ∞, indemman zj := zj − a setzt.

Eine wichtige Anwendung des Identitätssatzes ist das Bestimmen der Koeffizienten vonPotenzreihen durch Koeffizientenvergleich:

Um 11−z als Potenzreihe darzustellen, macht man den Ansatz

1

1 − z=

∞∑n=0

anzn = a0 + a1z + a2z2 + a3z3 + · · · , |z| < 1.

Multiplikation mit 1 − z liefert für alle |z| < 1

1 = (a0 + a1z + a2z2 + a3z3 + · · · )(1 − z)

= a0 + (a1 − a0)z + (a2 − a1)z2 + · · · + (ak − ak−1)zk + · · · .

Nach dem Identitätssatz müssen die Koeffizienten der beiden Potenzreihen linksund rechts übereinstimmen (Koeffizientenvergleich), also folgt

a0 = 1, a1 − a0 = 0, . . . , ak − ak−1 = 0, . . . �⇒ ak = 1, k ∈ N0,

und so erhält man wieder die geometrische Reihe (vgl. Beispiel V.17):

1

1 − z= 1 + z + z2 + z3 + · · · =

∞∑n=0

zn, |z| < 1.

Beispiel

Übungsaufgaben

V.1. Stelle folgende komplexe Zahlen in der Form x + iy mit x, y ∈ R dar:

a)1 + i

1 − i, b)

1

i + 1i+ 1

i+1

, c)(1 + i

1 − i

)2− 3(1 − i

1 + i

)3, d)

1

in, n ∈ N.

V.2. Wo liegt die Menge der Punkte z ∈ Cmit∣∣∣ z − 1

z + 1

∣∣∣ = c für c = 1, 2?

V.3. Stelle 23 als 2- und 5-adischen Bruch dar!

Page 78: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

19 Potenzreihen 69

V.4. Zeige, dassQ abzählbar ist und dass es zu jeder reellen Zahl a ∈ R Folgen (xn)n∈N ⊂ Q und(yn)n∈N ⊂ R \Q gibt mit limn→∞ xn = a = limn→∞ yn.

V.5. Untersuche das Konvergenzverhalten der folgenden Reihen:

a)∞∑

k=1

(k + 1)k

kk+1, b)

∞∑k=1

(k!)2

(2k)!, c)

∞∑k=1

(a +

1

k

)kfür a ∈ R.

V.6. Zeige, dass für jedes z ∈ C die Reihen

exp(z) :=∞∑

k=0

zk

k!, cos(z) :=

∞∑k=0

(−1)k z2k

(2k)!, sin(z) :=

∞∑k=0

(−1)k z2k+1

(2k + 1)!

absolut konvergieren und dass gilt:

cos(z) =1

2(exp(iz) + exp(−iz)), sin(z) =

1

2i(exp(iz) − exp(−iz)).

V.7. Beweise die Eigenschaften der Exponentialfunktion aus Satz V.47.

V.8 (Kochsche5 Kurve, Schneeflockenkurve). Über den mittleren Dritteln der Seiten einesgleichseitigen Dreiecks mit Seitenlänge a > 0 wird je ein gleichseitiges Dreieck errichtet.Über jedem mittleren Drittel der Seiten des so entstandenen Polygons wird jeweils wie-der ein gleichseitiges Dreieck errichtet. Die Kochsche Schneeflockenkurve entsteht als Limes,wenn man diese Vorschrift unendlich oft wiederholt:

Finde Umfang und Flächeninhalt der Kochschen Schneeflocke!

5Helge von Koch, ∗ 25. Januar 1870, 11. März 1924 in Stockholm, schwedischer Mathematiker, derdie nach ihm benannte Kurve als eines der ersten Fraktale formal konstruierte.

Page 79: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

VI Stetige Funktionen

Von diesem Abschnitt an beschäftigen wir uns mit Funktionen einer reellen Variablenund deren Eigenschaften. Wir beginnen mit der Stetigkeit, wo wir feststellen werden,dass dazu mehr gehört als „keine Sprünge zu haben“.

� 20Stetigkeit

Im Folgenden sei f eine Funktion zwischen metrischen Räumen (X, dX) und (Y , dY ).Dabei sind vor allem die Fälle X = Rn, Y = R oder X = Y = C wichtig. In diesemBuch geht es hauptsächlich um Funktionen

f :R ⊃ Df → R,

wobei X = Y = Rmit der euklidischen Metrik dX (x, y) = dY (x, y) = |x − y| versehenund Df meist ein Intervall ist.

Es seien (X, dX ) und (Y , dY ) metrische Räume. Eine Funktion f : X ⊃ Df → Yheißt f stetig in x0 ∈ Df

:⇐⇒ ∀ " > 0 ∃ ı > 0 ∀ x ∈ Df :(dX(x, x0) < ı �⇒ dY

(f (x), f (x0)

)< "

);

f heißt stetig in Df , wenn f in jedem x0 ∈ Df stetig ist.

Definition VI.1

Bemerkung. Speziell für X = Y = R oder Y = C ist f stetig in x0

⇐⇒ ∀ " > 0 ∃ ı > 0 ∀ x ∈ Df :(|x − x0| < ı �⇒ ∣∣f (x) − f (x0)

∣∣ < ").

Erinnern Sie sich an das Spiel bei der Konvergenz von Folgen von Seite 24? Hier ist esganz ähnlich: Ein Gegenspieler gibt Ihnen ein beliebiges " vor, und Sie gewinnen, wennSie immer ein ı finden können, so dass die Differenz der Funktionswerte in Punktenmit Abstand kleiner ı kleiner als dieses vorgegebene " ist.

Im Allgemeinen wird es so sein, dass Sie ı um so kleiner machen müssen, je kleinerIhr Opponent sein " macht, d.h., ı hängt von " ab.

Geometrisch heißt Stetigkeit in x0, dass es zu jedem Streifen S" um f (x0) ein IntervallIı um x0 gibt, so dass der Graph Gf von f über Iı im Streifen S" liegt.

Page 80: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

72 VI Stetige Funktionen

Gf

x0

Iδ x0 + δx0 − δ

f(x0)

f(x0) + ε

f(x0) − ε

Abb. 20.1: Stetigkeit von f in x0 ∈ Df

(i) f :R → R, f (x) = x, ist stetig in R:

Sind x0 ∈ R und " > 0 beliebig, so gilt für alle x ∈ Rmit |x − x0| < " =: ı:

|f (x) − f (x0)| = |x − x0| < ".

(ii) f :R → R, f (x) = |x|, ist stetig in 0 (und in ganz R):

Es sei x0 = 0, und " > 0 sei beliebig. Dann gilt für alle x ∈ Rmit |x| < " =: ı:

|f (x) − f (0)︸︷︷︸=0

| =∣∣|x| − 0

∣∣ = |x| < ".

(iii) Ist (X, ‖ · ‖) ein normierter Raum, so ist f : X → R, f (x) = ‖x‖, stetig in X:

Sind x0 ∈ X und " > 0 beliebig, so gilt für alle x ∈ X mit ‖x − x0‖ < " =: ınach der Dreiecksungleichung von unten (Korollar IV.20):

|f (x) − f (x0)| =∣∣‖x‖ − ‖x0‖

∣∣ ≤ ‖x − x0‖ < ".

(iv) f :R → R, f (x) = x2, ist stetig in R:

Es seien x0 ∈ R und " > 0 beliebig. Setze ı := min{

1, "1+2|x0 |

}. Dann gilt

für alle x ∈ Rmit |x − x0| < ı:

|f (x)−f (x0)| = |x2−x20 | = |x − x0||x + x0| ≤|x − x0|︸ ︷︷ ︸

<ı≤ "1+2|x0|

(|x − x0| + 2|x0|)︸ ︷︷ ︸

<ı+2|x0|≤1+2|x0 |

< ".

(v) [x] := max{k ∈ Z: k ≤ x}, x ∈ R (Gauß-Klammer):

Die Funktion x �→ [x] ist stetig auf R \ Z, aber nicht stetig in k ∈ Z. Dennsonst existierte zu " = 1

2 ein ı > 0 mit

∀ x ∈ R:(

|x − k| < ı �⇒ ∣∣[x] − [k]∣∣ =

∣∣[x] − k∣∣ <

1

2

);

speziell für x ∈ (k − ı, k) ist [x] = k − 1, also wäre 1 =∣∣[x] − k

∣∣ < 12 �.

Beispiele VI.2

Page 81: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

20 Stetigkeit 73

(vi) f :R → R, f (x) =

{sin

(1x

), x �= 0,

0, x = 0,ist nicht stetig in 0:

Dieses Beispiel zeigt, dass die Vorstellung, „nicht stetig“ heißt „keine Sprün-ge“, nicht zutreffend ist. Hier geht etwas anderes schief (Aufgabe VI.1)!

(vii) D:R → R, D(x) :=

{1, x ∈ Q,

0, x ∈ R \Q,(Dirichlet1-Funktion):

D ist nirgends stetig inRnach AufgabeV.4; tatsächlich zeigt D das schlimmst-mögliche Unstetigkeitsverhalten überhaupt (siehe [4, Beispiel 1.11]).

x

f(x)

x

f(x)

Beispiel VI.2 (ii): f (x) = |x| Beispiel VI.2 (iv): f (x) = x2

x

1

x

h(x)

Beispiel VI.2 (v): Gauß-Klammer Beispiel VI.2 (vi): h(x) = sin(x−1)

Abb. 20.2: Zwei in 0 stetige und zwei in 0 unstetige Funktionen

In Anwendungen, z.B. bei Differentialgleichungen, spielt der folgende stärkere Stetig-keitsbegriff eine wichtige Rolle.

Es seien (X, dX ) und (Y , dY ) metrische Räume. Eine Funktion f : X ⊃ Df → Yheißt Lipschitz-stetig in Df

:⇐⇒ ∃ L ≥ 0 ∀ x, y ∈ Df : dY

(f (x), f (y)

) ≤ L dX(x, y);

L heißt dann Lipschitz2-Konstante von f .

Definition VI.3

1Peter Gustav Lejeune Dirichlet, ∗ 13. Februar 1805 in Düren, damals Frankreich, 5. Mai 1859 inGöttingen, deutscher Mathematiker, der bedeutende Ergebnisse in Analysis, Zahlentheorie und Mechanikerzielte.

2Rudolf Lipschitz, ∗ 14. Mai 1832 in Königsberg, Preußen, 7. Oktober 1903 in Bonn, deutscherMathematiker, Schüler von Dirichlet, arbeitete auf vielen Gebieten der Mathematik.

Page 82: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

74 VI Stetige Funktionen

– f :R → R, f (x) = ax + b mit festen a, b ∈ R ist Lipschitz-stetig mit L = |a|,denn für x, y ∈ R ist∣∣f (x) − f (y)

∣∣ = |ax − ay| = |a| · |x − y|.

– f :C → C, f (z) = |z|, Re z, Im z, z, sind alle Lipschitz-stetig mit L = 1,denn für z1, z2 ∈ C gilt z.B. nach Proposition V.4 (i):

| Re z1 − Re z2| = | Re(z1 − z2)| ≤ |z1 − z2|.

Beispiele

Jede Lipschitz-stetige Funktion ist stetig.Proposition VI.4

Beweis. Es seien (X, dX ), (Y , dY ) metrische Räume, f : X ⊃ Df → Y Lipschitz-stetigmit Lipschitz-Konstante L und x0 ∈ Df . Ist " > 0 beliebig, so gilt mit ı := "

L für allex ∈ Df mit dX(x, x0) < ı:

dY (f (x), f (x0)) ≤ L dX(x, x0)︸ ︷︷ ︸<ı

< L · "

L= ".

Ein äquivalentes Kriterium für die Stetigkeit in einem Punkt x0 ist:

Folgenkriterium für Stetigkeit. Es seien (X, dX), (Y , dY ) metrische Räume. EineFunktion f: X ⊃ Df → Y ist stetig in x0 ∈ Df

⇐⇒ ∀ (xn)n∈N ⊂ Df :(xn

n→∞−−−−→ x0 �⇒ f (xn)

n→∞−−−−→ f (x0)

). (20.1)

Satz VI.5

Beweis. „�⇒“: Es sei f stetig in x0 und (xn)n∈N ⊂ Df eine Folge mit xn → x0, n → ∞.Zu beliebigem " > 0 existiert dann ein ı > 0 mit

∀ x ∈ Df :(dX(x, x0) < ı �⇒ dY

(f (x), f (x0)

)< "

).

Da xn → x0, n → ∞, existiert zu diesem ı ein N ∈ Nmit

∀ n ≥ N : dX(xn, x0) < ı

und somit dY

(f (xn), f (x0)

)< " für n ≥ N , also f (xn) → f (x0), n → ∞.

„⇐�“: Angenommen, (20.1) gilt, aber f ist nicht stetig in x0. Dann gilt:

∃ "0 > 0 ∀ ı > 0 ∃ x ∈ Df :(dX(x, x0) < ı ∧ dY

(f (x), f (x0)

) ≥ "0

).

Insbesondere ergibt sich, wenn man ı = 1n , n ∈ N, setzt:

∀ n ∈ N ∃ xn ∈ Df :(dX(xn, x0) <

1

n∧ dY

(f (xn), f (x0)

) ≥ "0

),

d.h., xn → x0, n → ∞, aber f (xn) �→ f (x0), n → ∞, im Widerspruch zu (20.1).

Page 83: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

20 Stetigkeit 75

Stetige Funktionen vertauschen mit dem Limes:

limn→∞ f (xn) = f

(lim

n→∞xn

), falls lim

n→∞xn existiert.

Korollar VI.6

Damit wir den Nachweis der Stetigkeit einer Funktion auf die Stetigkeit elementarerFunktionen zurückführen können, sind die folgenden Regeln nützlich.

Es seien X eine Menge, Y ein Vektorraum über einem Körper K (z.B. X = Y = R).Für f : X ⊃ Df → Y , g : X ⊃ Dg → Y und � ∈ K definiere

(i) f + g : X ⊃ Df +g → Y und � · f : X ⊃ D�·f → Y durch

Df +g := Df ∩ Dg , (f + g)(x) := f (x) + g(x), x ∈ Df +g ,

D�·f := Df , (� · f )(x) := � · f (x), x ∈ Df ,

(ii) und für Y = K speziell f · g : X ⊃ Df ·g → Y undf

g: X ⊃ D f

g→ Y durch

Df ·g := Df ∩ Dg , (f · g)(x) := f (x)g(x), x ∈ Df ·g,

D fg

:= {x ∈ Df ∩ Dg : g(x) �= 0},( f

g

)(x) :=

f (x)

g(x), x ∈ D f

g.

Definition VI.7

Bemerkung. Die Menge Y X := {f : X → Y , f Funktion} aller Funktionen von X nachY mit + und · wie oben definiert ist ein Vektorraum über K .

Es seien (X, dX ) ein metrischer Raum, (Y , ‖ · ‖Y ) ein normierter Raum über einemKörper K (z.B. X = Y = R), f : X ⊃ Df → Y , g : X ⊃ Dg → Y , � ∈ K, x0 ∈ Df ∩Dg

(bzw. nur x0 ∈ Df ). Sind f und g stetig in x0, dann sind

(i) f + g und � · f stetig in x0;

ist speziell Y = K, sind außerdem

(ii) f · g stetig in x0,

(iii)f

gstetig in x0, falls g(x0) �= 0.

Satz VI.8

Beweis. Eine gute Übung für die �, ı-Definition der Stetigkeit (Aufgabe VI.2)!

Die Menge aller stetigen Funktionen von X nach Y ,

C(X, Y ) := {f : X → Y , f stetige Funktion},ist ein Untervektorraum des Vektorraums Y X aller Funktionen von X nach Y .

Korollar VI.9

Ist Y = R oder Y = C, schreibt man auch C(X) statt C(X,R) bzw. C(X,C).

Page 84: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

76 VI Stetige Funktionen

Es sei K (= R oder C) ein Körper und n ∈N, m ∈N0. Eine Funktion p: K n → Kheißt Polynom vom Grad ≤ m, wenn es ck1...kn ∈K gibt mit

p(x1, . . . , xn) =∑

(k1,...,kn)∈Nn0

k1+···+kn≤m

ck1...kn xk11 · · ·xkn

n , (x1, . . . , xn) ∈ K n;

die ck1...kn heißen Koeffizienten von p. Der Grad von p �≡ 0 ist definiert als

deg(p) := max{

� ∈ N0: ∃ (k1, . . . , kn) ∈ Nn0 mit ck1...kn �= 0,

n∑j=1

kj = �},

und man setzt deg(p) := −∞, falls p ≡ 0. Eine Funktion r: K n ⊃ Dr → K heißtrational, wenn es Polynome p, q gibt mit

r =p

q, Dr = {x ∈ K n: q(x) �= 0}.

Definition VI.10

Bemerkung. Polynome p: K → K (also n = 1) vom Grad ≤ m haben die Form

p: K → K , p(x) =m∑

k=0

ckxk, x ∈ K , mit ck ∈ K , k = 0, 1, . . . , m.

p:R2 → R, p(x1, x2) = x31 + 2x3

1x2 + x1 + 1, ist ein Polynom vom Grad 4.Beispiel

Aus Satz VI.8 ergibt sich nun sofort, indem man ihn z.B. für K = R und n = 1wiederholt anwendet auf die stetigen Funktionen f (x) = 1, g(x) = x, x ∈ R:

Es sei K = R oder C.

(i) Jedes Polynom p: K n → K ist stetig auf K n.

(ii) Jede rationale Funktion r: K n ⊃ Dr → K ist stetig auf Dr .

Korollar VI.11

Es seien (X, dX ), (Y , dY ), (Z, dZ ) metrische Räume (z.B. X = Y = Z = R) undf : X ⊃ Df → Y , g : Y ⊃ Dg → Z sowie x0 ∈ Df mit f (x0) ∈ Dg . Dann gilt:

f stetig in x0, g stetig in f (x0) �⇒ g ◦ f stetig in x0.

Satz VI.12

Beweis. Es sei " > 0 vorgegeben. Da g stetig in f (x0) ist, existiert ı > 0 mit

∀ y ∈ Dg :(dY (y, f (x0)) < ı �⇒ dZ(g(y), g(f (x0))) < "

).

Da f stetig in x0 ist, existiert zu ı ein � > 0 mit

∀ x ∈ Df :(dX(x, x0) < � �⇒ dY (f (x), f (x0)) < ı

).

Also folgt für x ∈ Dg◦f = {x ∈ Df : f (x) ∈ Dg } mit dX(x, x0) < � :

dZ

((g ◦ f )(x), (g ◦ f )(x0)

)= dZ

(g(f (x)), g(f (x0))

)< ".

Bemerkung. Aus g ◦ f stetig folgt nicht, dass g und f stetig sind; dies sieht man, wennman f unstetig (z.B. die Gauß-Klammer) und g ≡ 0 wählt.

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20 Stetigkeit 77

Jede Potenzreihe mit Konvergenzradius R > 0 um a ∈ C definiert auf ihrem Konver-genzkreis {z ∈ C: |z − a| < R} = BR(a) eine stetige Funktion.

Satz VI.13

Beweis. Sind (an)n∈N0 ⊂ C die Koeffizienten der Potenzreihe, so setzen wir

f :C ⊃ BR(a) → C, f (z) :=∞∑

n=0

an(z − a)n, z ∈ BR(a).

Es seien z0 ∈ BR(a) und " > 0 beliebig. Wähle r > 0 mit |z0 − a| < r < R. NachSatz V.50 konvergiert die Reihe

∑∞n=0 an(z − a)n absolut für z ∈ BR(a), also existiert ein

N ∈ Nmit ∞∑n=N+1

|an| rn <"

4.

Damit definieren wir

p(z) :=N∑

n=0

an(z − a)n, z ∈ C.

Nach Korollar VI.11 ist p als Polynom stetig in z0, also existiert ein ı > 0 so, dass

∀ z ∈ C:( |z − z0| < ı �⇒ |p(z) − p(z0)| <

"

2

).

Für |z − z0| < min{ı, r − |z0 − a|} ist dann |z − a| ≤ |z − z0| + |z0 − a| < r und damitinsgesamt, mittels verallgemeinerter Dreiecksungleichung (Proposition V.35):

|f (z) − f (z0)| =∣∣∣ ∞∑

n=0

an(z − a)n −∞∑

n=0

an(z0 − a)n∣∣∣

≤ ∣∣p(z) − p(z0)∣∣∣︸ ︷︷ ︸

< "2

+∞∑

n=N+1

|an| ·≤rn︷ ︸︸ ︷

|z − a|n︸ ︷︷ ︸< "

4

+∞∑

n=N+1

|an| ·≤rn︷ ︸︸ ︷

|z0 − a|n︸ ︷︷ ︸< "

4

< ".

exp, sin und cos. Stetig aufCund damit auf ganzR sind die Exponentialfunktionund die trigonometrischen Funktionen Sinus und Cosinus:

– exp:C→ C, exp(z) =∞∑

k=0

zk

k!,

– sin:C→ C, sin(z) :=1

2i(exp(iz) − exp(−iz)) =

∞∑k=0

(−1)k z2k+1

(2k + 1)!,

– cos:C→ C, cos(z) :=1

2(exp(iz) + exp(−iz)) =

∞∑k=0

(−1)k z2k

(2k)!;

für später merken wir uns, dass nach Definition sofort die Eulersche Formel folgt:

exp(ix) = cos(x) + i sin(x), x ∈ R. (20.2)

Beispiele VI.14

Page 86: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

78 VI Stetige Funktionen

� 21Grenzwerte und einseitige Stetigkeit

Der Begriff des Grenzwertes einer Funktion ist eng mit der Stetigkeit verwoben. Zu sei-ner Definition benötigen wir den Begriff des Häufungspunktes einer Menge; darunterversteht man Punkte, die im folgenden Sinn nicht isoliert sind.

Es sei (X, d) ein metrischer Raum (z.B. X = R) und A ⊂ X. Ein Punkt x0 ∈ Xheißt Häufungspunkt von A

:⇐⇒ ∀ " > 0 ∃ x" ∈ A, x" �= x0: d(x", x0) < ".

Definition VI.15

Bemerkung. – Häufungspunkte müssen keine Elemente der Menge sein.

– Häufungswerte einer Folge (an)n∈N unterscheiden sich von Häufungspunktender Menge A = {an: n ∈ N} der Folgenglieder durch die Bedingung x" �= x0; z.B.sind für

an :=

{1n , n ungerade,

1, n gerade,

0 und 1 Häufungswerte der Folge (an)n∈N , 0 ist auch Häufungspunkt der MengeA = {an: n ∈ N}, aber 1 ist kein Häufungspunkt von A.

Es seien (X, dX), (Y , dY ) metrische Räume (z.B. X = Y = R), f : X ⊃ Df → Yeine Funktion und x0 ∈ X ein Häufungspunkt von Df . Ein Punkt a ∈ Y heißtGrenzwert oder Limes von f in x0

:⇐⇒ ∀ " > 0 ∃ ı > 0 ∀ x ∈ Df \ {x0}:(dX(x, x0) < ı �⇒ dY (f (x), a) < "

).

Der Grenzwert a ist eindeutig bestimmt, und man schreibt dann:

limx→x0

f (x) = a oder f (x) → a, x → x0.

Definition VI.16

Ist x0 ∈ Df , so gilt (vgl. die Definition VI.1 der Stetigkeit):

f stetig in x0 ⇐⇒ limx→x0

f (x) = f (x0).

Bemerkung VI.17

Es seien (X, dX), (Y , dY ) metrische Räume (z.B. X = Y = R), f : X ⊃ Df → Ystetig und x0 /∈ Df Häufungspunkt von Df . Eine stetige Fortsetzung von f auf

Df ∪ {x0} ist eine Funktion f: X ⊃ Df ∪ {x0} → Y mit

f stetig auf Df ∪ {x0}, f |Df = f .

Definition VI.18

f (x) =x2 − 1

x + 1, x ∈ R \ {−1}, hat die stetige Fortsetzung f (x) = x − 1, x ∈ R.Beispiel VI.19

Page 87: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

21 Grenzwerte und einseitige Stetigkeit 79

Es seien (X, dX ), (Y , dY ) metrische Räume, f : X ⊃ Df → Y eine stetige Funktionund x0 �∈ Df Häufungspunkt von Df . Existiert ein a ∈ Y mit

limx→x0

f (x) = a,

so besitzt f eine eindeutige stetige Fortsetzung f : X ⊃ Df ∪ {x0} → Y , nämlich

f (x) =

{f (x), x ∈ Df ,

a, x = x0.

Satz VI.20

Beweis. Nach Konstruktion ist f stetig. Angenommen, es gibt eine weitere stetige Fort-

setzung f von f auf Df ∪ {x0}. Dann gilt

∀ x ∈ Df : f (x) = f (x) = f (x).

Da f und f in x0 stetig sind und f |Df = f |Df = f , folgt mit Bemerkung VI.17:

f (x0) = limx→x0

f (x) = limx→x0

f (x) = limx→x0

f (x) = f (x0).

Die nächsten beiden Sätze liefern Kriterien, um mit Hilfe von Folgen zu entscheiden,ob eine Funktion in einem Punkt einen Grenzwert hat.

Folgenkriterium für die Existenz eines Limes. Es seien (X, dX) und (Y , dY )metrische Räume, f : X ⊃ Df → Y eine stetige Funktion und x0 �∈ Df Häufungspunktvon Df . Dann hat f in x0 den Grenzwert a ∈ Y

⇐⇒ ∀ (xn)n∈N ⊂ Df :(

limn→∞ xn = x0 �⇒ lim

n→∞ f (xn) = a).

Satz VI.21

Beweis. Die Behauptung folgt aus Satz VI.5, angewendet auf die stetige Fortsetzung fvon f aus Satz VI.20.

Wie bei Folgen muss man den Limes nicht kennen, um seine Existenz zu zeigen. Dazumuss aber der Raum Y vollständig sein, wie z.B. Y = R oder Y = C.

Cauchy-Kriterium für die Existenz eines Limes. Es seien (X, dX ), (Y , dY ) metri-sche Räume, Y vollständig, f : X ⊃ Df → Y eine Funktion und x0 ∈ X Häufungs-punkt von Df . Dann hat f einen Grenzwert in x0

⇐⇒ ∀ " > 0 ∃ ı > 0 ∀ x, y ∈ Df \ {x0}:(dX(x, x0) < ı ∧ dX(y, x0) < ı �⇒ dY

(f (x), f (y)

)< "

).

Satz VI.22

Beweis. „�⇒“: Es sei a := limx→x0 f (x). Zu jedem ">0 gibt es dann ein ı > 0 mit

∀ x ∈ Df :(

dX(x, x0) < ı �⇒ dY (f (x), a) <"

2

).

Mit der Dreiecksungleichung folgt für x, y ∈ Df mit dX(x, x0) < ı, dX(y, x0) < ı:

dY (f (x), f (y)) ≤ dY (f (x), a) + dY (f (y), a) <"

2+

"

2= ".

Page 88: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

80 VI Stetige Funktionen

„⇐�“: Es sei " > 0 vorgegeben. Nach Voraussetzung existiert ein ı > 0 mit

∀ x, y ∈ Df :(

dX(x, x0) < ı ∧ dX(y, x0) < ı �⇒ dY

(f (x), f (y)

)<

"

3

).

Da x0 Häufungspunkt von Df ist, existiert eine Folge (xn)n∈N ⊂ Df mit xn �= x0 undxn → x0, n → ∞. Also existiert ein N ∈ Nmit

∀ n ≥ N : dX(xn, x0) < ı.

Damit ergibt sich

∀ n, m ≥ N : dY (f (xn), f (xm)) <"

3, (21.1)

d.h.,(f (xn)

)n∈N ⊂ Y ist eine Cauchy-Folge. Da Y vollständig ist, existiert der Grenzwert

a := limn→∞ f (xn), und mit der Dreiecksungleichung folgt

∀ n ≥ N : dY (f (xn), a) <2"

3.

Insgesamt gilt für x ∈ Df mit dX(x, x0) < ı:

dY (f (x), a) ≤ dY (f (x), f (xN ))︸ ︷︷ ︸< "

3

+ dY (f (xN ), a)︸ ︷︷ ︸< 2"

3

< ".

Für Funktionen auf X = R kann man auch einseitige Grenzwerte betrachten. Dabeinähert man sich x0 ∈ Df nur von einer Seite:

Es seien (Y , dY ) ein metrischer Raum, f :R ⊃ Df → Y eine Funktion und x0 ∈ Rein Häufungspunkt von Df . Dann heißt a ∈ Y linksseitiger Grenzwert von f in x0

:⇐⇒ ∀ " > 0 ∃ ı > 0 ∀ x ∈ Df :(x ∈ (x0 − ı, x0) �⇒ dY (f (x), a) < "

)bzw. rechtsseitiger Grenzwert, wenn man (x0 − ı, x0) durch (x0, x0 + ı) ersetzt; manschreibt dann:

limx�x0

f (x) = f (x0−) = a bzw. limx�x0

f (x) = f (x0+) = a.

Ist x0 ∈ Df , so heißt f linksseitig stetig (bzw. rechtsseitig stetig) in x0

:⇐⇒ limx�x0

f (x) = f (x0)(bzw. lim

x�x0

f (x) = f (x0)).

Definition VI.23

– f (x) = [x] := max{k ∈ Z: k ≤ x}, x ∈ R (Gauß-Klammer):

f ist rechtsseitig stetig in x0 ∈ Z, aber nicht linksseitig (Abb. 20.2):

limx�x0

[x] = x0 = [x0], limx�x0

[x] = x0 − 1 �= [x0], x0 ∈ Z.

– f (x) =x2 − 1

x + 1, x ∈ R \ {−1}, ist links- und rechtsseitig stetig in −1 mit

limx�−1

x2 − 1

x + 1= lim

x�−1(x − 1) = −2 = lim

x�−1

x2 − 1

x + 1.

Beispiele

Page 89: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

21 Grenzwerte und einseitige Stetigkeit 81

Ist (Y , dY ) metrischer Raum, f :R ⊃ Df → Y und x0 ∈ Df , so gilt:

f ist stetig in x0 ⇐⇒ f ist links- und rechtsseitig stetig in x0.

Proposition VI.24

Beweis. Die Äquivalenz folgt direkt aus den Definitionen der Stetigkeit und der links-bzw. rechtsseitigen Stetigkeit.

Die Existenz von einseitigen Grenzwerten für Funktionen von R nachR kann man mitHilfe ihres Wachstumsverhalten untersuchen.

Eine Funktion f :R ⊂ Df → R heißt monoton wachsend (bzw. fallend),

:⇐⇒ ∀ x, y,∈ Df :(x < y �⇒ f (x) ≤ f (y) (bzw. f (x) ≥ f (y))

),

und streng monoton wachsend (bzw. fallend)

:⇐⇒ ∀ x, y,∈ Df :(x < y �⇒ f (x) < f (y) (bzw. f (x) > f (y))

),

f heißt (streng) monoton, wenn f (streng) monoton wachsend oder fallend ist.

Definition VI.25

Bemerkung. f (streng) monoton fallend ⇐⇒ −f (streng) monoton wachsend.

– f (x) = x2, x ∈ [0,∞), ist streng monoton wachsend;

– f (x) = x2, x ∈ R, ist weder streng monoton noch monoton;

– f (x) = [x], x ∈ R, ist monoton wachsend, aber nicht streng (Abb. 20.2).

Beispiele

Es seien (X, dX ), (Y , dY ) metrische Räume. Eine Funktion f : X ⊃ Df → Y heißtbeschränkt

:⇐⇒ f (Df ) = {f (x): x ∈ Df } beschränkt in Y ;

speziell ist eine Funktion f :R ⊃ Df → R oder f :C ⊃ Df → C beschränkt

⇐⇒ ∃ M > 0 ∀ x ∈ Df : |f (x)| ≤ M.

Definition VI.26

Eine monotone beschränkte Funktion f :R ⊃ (a, b) → R besitzt in jedem x0 ∈ [a, b]einseitige Grenzwerte.

Proposition VI.27

Beweis. Wir beweisen z.B. für monoton wachsendes f und x0 ∈ (a, b], dass der links-seitige Grenzwert in x0 existiert. Dazu sei " > 0 beliebig. Setzt man

s := sup {f (x): x ∈ (a, x0)},

Page 90: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

82 VI Stetige Funktionen

so existiert nach Proposition III.15 ein x" ∈ (a, x0) mit s − " < f (x") ≤ s. Wegen derMonotonie von f und der Supremumseigenschaft von s folgt für x ∈ (x", x0):

s − " < f (x") ≤ f (x) ≤ s,

also |f (x) − s| < ". Daher ist s linksseitiger Grenzwert von f in x0.

Als Nächstes betrachten wir für Funktionen auf R Grenzwerte bei ±∞ und für Funk-tionen nach R uneigentliche Grenzwerte, d.h., ±∞ als Grenzwerte.

Es seien (Y , dY ) ein metrischer Raum, f :R ⊃ Df → Y eine Funktion und Df nachoben (bzw. unten) unbeschränkt. Dann heißt a ∈ Y Grenzwert von f bei ∞ (bzw.bei −∞)

:⇐⇒ ∀ " > 0 ∃R > 0 ∀ x ∈ R:(x > R (bzw. x < −R) �⇒ dY

(f (x), a

)< "

);

man schreibt dann:

limx→∞ f (x) = a

(bzw. lim

x→−∞ f (x) = a).

Definition VI.28

Bemerkung. Grenzwerte bei ±∞ sind einseitige Grenzwerte bei 0 vermöge

limx→∞ f (x) = lim

��0f( 1

)bzw. lim

x→−∞ f (x) = lim��0

f( 1

).

Uneigentliche Grenzwerte. Es seien (X, dX ) ein metrischer Raum sowief : X ⊃ Df → R eine Funktion und x0 ∈ X ein Häufungspunkt von Df . Dann hatf in x0 den Grenzwert ∞ (bzw. −∞)

:⇐⇒ ∀ R ≥ 0 ∃ ı > 0 ∀ x ∈ Df :(dX (x, x0) < ı �⇒ f (x) ≥ R (bzw. ≤ −R )

);

man schreibt dann:

limx→x0

f (x) = ∞ (bzw. limx→x0

f (x) = −∞)

und definiert analog limx�x0 f (x) =±∞, limx�x0 f (x) =±∞, limx→±∞f (x) =±∞.

Definition VI.29

limx→∞ exp(x) = ∞, limx→−∞ exp(x) = 0, denn für x > 0 ist:

exp(x) ≥ 1 + x → ∞, x → ∞, exp(−x) =1

exp(x)→ 0, x → ∞.

Beispiel VI.30

Wegen des Folgenkriteriums für die Existenz des Limes (Satz VI.21) gelten fürGrenzwerte von Funktionen analoge Rechenregeln wie für Folgen.

Bemerkung VI.31

Page 91: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

22 Sätze über stetige Funktionen 83

� 22Sätze über stetige Funktionen

Für stetige Funktionen von R nach R beweisen wir nun zwei zentrale Sätze, den Zwi-schenwertsatz und den Satz vom Minimum und Maximum.

Zwischenwertsatz. Es seien a, b ∈ R, a < b, und f : [a, b] → R stetig. Dannexistiert zu jedem � ∈ R zwischen f (a) und f (b) ein c ∈ [a, b] mit

f (c) = � ,

d.h., f nimmt auf [a, b] jeden Wert � ∈ R zwischen f (a) und f (b) an.

Satz VI.32

Beweis. Ohne Einschränkung sei f (a) ≤ f (b) (sonst betrachte −f ). Dann ist � ∈[f (a), f (b)

]. Definiere eine Folge von Intervallen In := [an, bn] , n ∈ N0, durch

[a0, b0] := [a, b] , [an+1, bn+1] :=

{[an,

an+bn

2

], � ≤ f

(an+bn

2

),[

an+bn

2 , bn

], � > f

(an+bn

2

).

Dann ist f (an) ≤ � ≤ f (bn), n ∈ N0, und bn − an = 2−n(b − a) → 0, n → ∞. NachSatz IV.48 über die Intervallschachtelung gibt es genau ein c ∈ Rmit

c ∈⋂

n∈N0

[an, bn] ,

also limn→∞ an = limn→∞ bn = c. Da f stetig ist, folgt nach Satz VI.5:

f (c) = limn→∞ f (an)︸ ︷︷ ︸

≤�

≤ � , f (c) = limn→∞ f (bn)︸ ︷︷ ︸

≥�

≥ � , also f (c) = � .

Ist f : [a, b] → R eine stetige Funktion mit f (a) < 0 und f (b) > 0, so hat f in[a, b] eine Nullstelle, d.h., es gibt ein c ∈ [a, b] mit f (c) = 0.

Korollar VI.33

Jedes Polynom ungeraden Grades auf R hat eine reelle Nullstelle. Korollar VI.34

Beweis. Es seien n ∈ Nund p(x) = a2n+1x2n+1+a2nx2n+· · ·+a0 ein Polynom mit ak ∈ R,k = 0, 1, . . . , 2n + 1, so dass a2n+1 �= 0. Da sich die Nullstellen von p nach Divisiondurch a2n+1 nicht ändern, können wir ohne Einschränkung a2n+1 = 1 annehmen,

p(x) = x2n+1 + a2nx2n + · · · + a0 = x2n+1(

1 +a2n

x+ · · · +

a0

x2n+1

), x ∈ R \ {0}.

Wegen limx→∞ 1/x = 0, kann R > 0 so groß gewählt werden, dass

1 +a2n

(±R)+ · · · +

a0

(±R)2n+1≥ 1 −

|a2n|R

− · · · −|a0|

R2n+1≥ 1

2und damit

p(R) ≥ R2n+1 · 1

2> 0, p(−R) ≤ (−R)2n+1 · 1

2< 0.

Da p als Polynom stetig ist, liefert Korollar VI.33 die Behauptung.

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84 VI Stetige Funktionen

Die folgende Eigenschaft von Teilmengen metrischer Räume benutzen wir hier nur fürR oder C; wir kommen in Analysis II ([28, Abschnitt I.2]) allgemeiner darauf zurück.

Eine Teilmenge K ⊂X eines metrischen Raums (X, dX ) heißt kompakt, wenn jedeFolge (xn)n∈N ⊂ K eine in K konvergente Teilfolge (xnk )k∈N hat.

Definition VI.35

Ein Intervall I ⊂ R ist kompakt ⇐⇒ I = [a, b] mit a, b ∈ R, a ≤ b.Proposition VI.36

Beweis. „⇐�“: Ist I = [a, b] und (xn)n∈N ⊂ I , so ist wegen a ≤ xn ≤ b, n ∈ N, die Folge(xn)n∈N beschränkt. Nach Satz V.10 von Bolzano-Weierstraß existiert eine konvergenteTeilfolge (xnk )k∈N . Setzt man x := limk→∞ xnk , so gilt wegen a ≤ xnk ≤ b, k ∈ N, nachKorollar IV.37 auch a ≤ x ≤ b, also x ∈ I = [a, b].

„�⇒“: Angenommen, es wäre z.B. I = (a, b]. Dann hat die Folge xn := a + 1n , n ∈ N,

keine in I konvergente Teilfolge, da a /∈ I .

Intervalle sind sehr spezielle kompakte Teilmengen. Sehr viel exotischer ist:

Cantorsches Diskontinuum. Definiere

C0 := [0, 1], C1 := C0 \ ( 13 , 2

3

), C2 := C1 \ (( 1

9 , 29

) ∪ ( 79 , 8

9

)), . . . ,

d.h., man entfernt in jedem Schritt jeweils die mittleren offenen Drittel der vorigenIntervalle (siehe Abb. 22.1). Das Cantorsche Diskontinuum C ist definiert als

C :=⋂

n∈N0

Cn.

Man kann zeigen, dass C kompakt ist, weil es beschränkt ist und der Durchschnittder abgeschlossenen Mengen Cn (siehe [28, Satz I.34 von Heine-Borel]).

Beispiel

C0

C1

C2

C3

C4 etc.

Abb. 22.1: Cantorsches Diskontinuum

vom Minimum und Maximum. Ist K ⊂ R kompakt und f : K → R stetig, sonimmt f auf K Minimum und Maximum an, d.h., es gibt x∗, x∗∈ K mit

f (x∗) ≤ f (x) ≤ f (x∗), x ∈ K .

Satz VI.37

Beweis. Es reicht, die Existenz des Maximums zu zeigen (sonst betrachte −f ). Setze

s := sup f (K) = sup {f (x): x ∈ K}.

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22 Sätze über stetige Funktionen 85

Zu zeigen ist, dass s < ∞ und dass es ein x∗ ∈ K gibt mit f (x∗) = s. Da s Supremumist, gibt es nach Proposition III.15 zu jedem n ∈ N ein xn ∈ K mit{

s − 1n < f (xn) ≤ s, falls s < ∞,

n < f (xn), falls s = ∞.

Dann ist limn→∞ f (xn) = s. Da K kompakt ist, gibt es eine in K konvergente Teilfolge(xnk )k∈N , und wir setzen

x∗ := limk→∞

xnk ∈ K .

Da f stetig ist, folgt s = limk→∞ f (xnk ) = f (x∗) < ∞.

(i) Es seien K ⊂ R kompakt und f : K → R stetig. Ist f (x) > 0, x ∈ K , danngilt sogar inf f (K) > 0, d.h., es existiert ein ˛ > 0 mit

f (x) ≥ ˛ > 0, x ∈ K .

(ii) Ist f : (a, b) → R stetig, x0 ∈ (a, b) und f (x0) > 0, so gibt es ı, ˛ > 0 mit

f (x) ≥ ˛ > 0, x ∈ [x0 − ı, x0 + ı] ⊂ (a, b).

Korollar VI.38

Zusammengenommen liefern der Zwischenwertsatz und der Satz vom Minimum undMaximum die folgende Strukturaussage für stetige Funktionen:

Es seien I ⊂ R und f : I → R stetig. Dann gilt:

I (kompaktes) Intervall �⇒ f (I) (kompaktes) Intervall.

Korollar VI.39

Neben Stetigkeit und Lipschitz-Stetigkeit gibt es noch eine weitere Verschärfung desStetigkeitsbegriffs, die sog. gleichmäßige Stetigkeit.

Es seien (X, dX ), (Y , dY ) metrische Räume. Eine Funktion f : X ⊃ Df → Y heißtgleichmäßig stetig auf Df

:⇐⇒ ∀ " > 0 ∃ ı > 0: ∀ x, y ∈ Df :(dX (x, y) < ı �⇒ dY (f (x), f (y)) < "

).

Definition VI.40

Bemerkung. Der Unterschied zur Stetigkeit besteht darin, dass ı hier nur von " ab-hängt und nicht von einem speziellen Punkt x0 in Df !

– Lipschitz-stetige Funktionen sind gleichmäßig stetig (vgl. Beweis von Pro-position VI.4).

– f (x) =√

x, x ∈ [0, 1], ist gleichmäßig stetig (obwohl nicht Lipschitz-stetig).

– f (x) = 1x , x ∈ (0, 1], ist stetig, aber nicht gleichmäßig stetig;

Abb. 22.2 illustriert, dass im letzten Fall für " > 0 fest ı → 0 für x0 → 0 gilt!

Beispiele VI.41

Page 94: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

86 VI Stetige Funktionen

Abb. 22.2: f (x) = 1x , x ∈ (0, 1], ist nicht gleichmäßig stetig

Ist K ⊂R kompakt und f : K → R stetig, so ist f gleichmäßig stetig.Satz VI.42

Beweis. Angenommen, f ist nicht gleichmäßig stetig auf K . Dann gilt:

∃ "0 > 0 ∀ n ∈ N ∃ xn, yn:(|xn − yn| <

1

n∧ |f (xn) − f (yn)| ≥ "0

).

Da K kompakt ist, enthält(xn)n∈N⊂K eine in K konvergente Teilfolge (xnk )k∈N. Wegen|xnk − ynk | < 1

nk→ 0, k → ∞, ist dann

� := limk→∞

xnk = limk→∞

ynk .

Da f stetig ist, folgtf (�) = lim

k→∞f (xnk ) = lim

k→∞f (ynk )

und damit der Widerspruch 0 < "0 ≤ |f (xnk ) − f (ynk )| → 0, k → ∞ �.

Zum Schluss des Abschnitts sehen wir noch, dass sich Stetigkeit und Monotonie aufdie Umkehrfunktion übertragen, falls diese existiert.

Es seien I ⊂ R ein Intervall und f : I → R eine stetige streng monotone Funktion.Dann ist f : I → f (I) bijektiv, und die Umkehrfunktion

f −1: f (I) → I

ist stetig und streng monoton im selben Sinn wie f .

Satz VI.43

Beweis. Der Beweis ist eine gute Übung, um die Definition der Stetigkeit und derMonotonie zu festigen (Aufgabe VI.6).

Bemerkung. Die Notation f −1 wird sowohl für die Umkehrfunktion benutzt als auchmanchmal für 1

f ; die Unterscheidung muss jeweils der Zusammenhang liefern.

Page 95: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

22 Sätze über stetige Funktionen 87

und Beispiel. Die Funktion exp:R→ (0,∞) ist stetig, streng monoton wachsendund bijektiv. Ihre Umkehrfunktion

ln := (exp)−1: (0,∞) → R,

der natürliche Logarithmus, ist stetig und streng monoton wachsend mit

(i) ln(x · y) = ln(x) + ln(y), ln(xn) = n ln(x), x, y ∈ (0,∞), n ∈ N;

(ii) ln(1) = 0, ln(e) = 1;

(iii) limx↘0 ln(x) = −∞, limx→∞ ln(x) = ∞.

Satz VI.44

Beweis. Als Potenzreihe ist exp:R → R stetig (Beispiel VI.14). Weiter gilt:

x > 0 �⇒ exp(x) = 1 +∞∑

n=1

xn

n!> 1, x < 0 �⇒ exp(x) =

1

exp(−x)< 1.

Damit folgt mit Hilfe der Funktionalgleichung (Satz V.47 (ii)) für x, y ∈ R:

x < y �⇒ x − y < 0 �⇒ exp(x) = exp(y)︸ ︷︷ ︸>0

· exp(x − y)︸ ︷︷ ︸<1

< exp(y).

Als streng monotone Funktion ist exp injektiv auf R. Aus dem Zwischenwertsatz(Satz VI.32) und limx→−∞ exp(x) = 0, limx→∞ exp(x) = ∞ (Beispiel VI.30) folgtexp(R) = (0,∞). Die Behauptungen ergeben sich dann alle aus Satz VI.43 und denEigenschaften der Exponentialfunkion (Satz V.47, Beispiel VI.30).

Bemerkung. Der natürliche Logarithmus ln (logarithmus naturalis, auch log) ist derSpezialfall des Logarithmus loga zu einer Basis a > 0, wenn man als Basis e wählt;dabei ist loga die Umkehrfunktion der Funktion

R→ (0,∞), x �→ ax := exp(x ln(a)). (22.1)

Übungsaufgaben

VI.1. Für welche k ∈ N0 sind die Funktionen fk :R→ R definiert durch

fk(x) :=

{xk sin

(1x

), x �= 0,

0, x = 0,

stetig? Skizziere die Graphen für ein stetiges und ein unstetiges fk!

VI.2. Beweise die Stetigkeitsregeln aus Satz VI.8.

VI.3. Zeige, dass für alle x, y ∈ R folgende Identitäten gelten:

a) exp(ix) = cos(x) + i sin(x);

b) sin2(x) + cos2(x) = 1;

c) sin(x + y) = cos(x) sin(y) + cos(y) sin(x);

d) cos(x + y) = cos(x) cos(y) − sin(x) sin(y).

Page 96: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

88 VI Stetige Funktionen

VI.4. Beweise die Aussagen

a) {x ∈ (0, ∞) : cos(x) = 0} �= ∅;

b) 1 − x2

2 ≤ cos(x) ≤ 1 − x2

2 + x4

24 , x ∈ (0, 3].

Setze� := 2 · inf{x ∈ (0,∞) : cos(x) = 0},

und zeige die Äquivalenzen:

c) sin(x) = 0 ⇐⇒ ∃ k ∈ Z: x = k�;

d) cos(x) = 0 ⇐⇒ ∃ k ∈ Z: x = k� + �2 .

VI.5. Zeige, dass gilt:

a) 7.8mmf (x) =√

x, x ∈ [0, 1], ist gleichmäßig stetig, aber nicht Lipschitz-stetig;

b) f (x) = 1x, x ∈ (0, 1], ist nicht gleichmäßig stetig.

VI.6. Beweise Satz VI.43 über die Stetigkeit und Monotonie der Umkehrfunktion.

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VII Differentialrechnung inR

In diesem Kapitel wird der Begriff der Differenzierbarkeit von Funktionen einer (meist)reellen Variablen eingeführt. Differenzierbar bedeutet, dass man lokal die Funktion li-near, also durch eine Gerade, approximieren kann. Je öfter eine Funktion differenzier-bar ist, desto genauer kann man sie lokal nicht nur durch eine Gerade, sondern durchPolynome höheren Grades approximieren (siehe Kapitel IX).

� 23Differenzierbarkeit

Wir formulieren die Differenzierbarkeit für Funktionen auf K = R oder Cmit Wertenin einem normierten Raum Y ; die Definition ist in diesem allgemeineren Fall identischmit der für Funktionen von R nach R.

Es seien K = R oder C, (Y , ‖ · ‖) ein normierter Raum über K , f : K ⊃ Df → Yeine Funktion und x0 ∈ Df Häufungspunkt von Df . Dann heißt f differenzierbarin x0

:⇐⇒ es existiert limx→x0

f (x) − f (x0)

x − x0=: f ′(x0); (23.1)

ist f in jedem x ∈ Df differenzierbar, so heißt f differenzierbar in Df . Man nenntf ′(x0) ∈ Y Ableitung von f in x0 und bezeichnet als Ableitung von f die Funktion

f ′: K ⊃ Df → Y , x �→ f ′(x).

Definition VII.1

Bemerkung. – Der Grenzwert in (23.1) heißt Differentialquotient und ist gleich

limh→0

f (x0 + h) − f (x0)

h.

– Statt f ′ schreibt man auch dfdx oder Df .

Geometrisch ist für reellwertige Funktionen f der Differenzenquotient

f (x) − f (x0)

x − x0

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90 VII Differentialrechnung inR

die Steigung der Sekanten des Graphen von f in den Punkten (x0, f (x0)) und (x, f (x)).Für x → x0 geht die Sekante in die Tangente an den Graphen von f im Punkt (x0, f (x0))über; die Ableitung f ′(x0) ist die Steigung dieser Tangente.

x

f(x)

f(x0)

|f(x0) − f(x)|

x x0

|x0 − x|

f(x)

Abb. 23.1: Geometrische Deutung des Differenzenquotienten für K = R = Y

– f (x) = xn, x ∈ R, mit n ∈ N0 ist differenzierbar in Rmit

f ′(x) = (xn)′ =

{0, n = 0,

nxn−1, n �= 0,x ∈ R.

Beweis. Ist n = 0, so ist f ≡ 1 und damit der Differenzenquotient immer 0,also gilt (23.1) mit f ′(x0) = 0. Ist n ≥ 1 und x0 ∈ R, x ∈ R \ {0}, x �= x0, sofolgt mit der geometrischen Summenformel (Satz II.7)

xn − xn0

x − x0=

xn

x

1 −(

x0

x

)n

1 − x0

x

= xn−1n−1∑k=0

(x0

x

)k=

n−1∑k=0

xk0 xn−1−k

= xn−1 + x0xn−2 + · · · + xn−20 x + xn−1

0︸ ︷︷ ︸n Summanden

x→x0−−−−−→ nxn−10 .

– f (x) =1

xn, x ∈ R \ {0}, mit n ∈ N ist differenzierbar in R \ {0} mit

f ′(x) =( 1

xn

)′= (x−n)′ = −n x−n−1 = −n

1

xn+1, x ∈ R \ {0}.

Beweis. Für n ≥ 1, x0 ∈ R, x ∈ R \ {0}, x �= x0, gilt nach erstem Beispiel:

1xn − 1

xn0

x − x0= −

→x−2n0︷ ︸︸ ︷

1

xnxn0

→ nxn−10︷ ︸︸ ︷

xn − xn0

x − x0−→ −n x−2n

0 xn−10 = −n x−n−1

0 .

– f (x) = |x|, x ∈ R, ist differenzierbar in R \ {0}, aber nicht in x0 = 0.

Beweis. Man überlegt sich leicht, dass f ′(x) = sign x, x ∈ R\{0}. Für x0 = 0existiert der Limes in (23.1) nicht, denn

limx�0

|x| − |0|x − 0

= limx�0

x

x= 1 �= −1 = lim

x�0

−x

x= lim

x�0

|x| − |0|x − 0

.

Beispiele VII.2

Page 99: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

23 Differenzierbarkeit 91

– f (x) =√

x, x ∈ [0,∞), ist differenzierbar in (0,∞), aber nicht in 0, mit

f ′(x) =(√

x)′

=(x

12)′

=1

2x− 1

2 =1

2√

x, x ∈ (0,∞).

Beweis. Eine gute Übung! Was geht bei 0 schief? (Aufgabe VII.2).

Die Funktion exp:C→ C ist differenzierbar in C, und es gilt:

(i) limz→0

exp(z) − 1

z= 1,

(ii) exp′ = exp.

Beispiel VII.3

Beweis. (i) Es sei z ∈ C, 0 < |z| < 1. Wegen der absoluten Konvergenz der Exponenti-alreihe (Satz V.41) liefern die verallgemeinerte Dreiecksungleichung (Proposition V.35)und die Formel für die geometrischen Reihe (Beispiel V.17):∣∣∣exp(z) − 1

z− 1∣∣∣ =

∣∣∣1z

∞∑n=1

zn

n!− 1∣∣∣ =

∣∣∣ ∞∑n=2

zn−1

n!

∣∣∣ ≤ ∞∑n=2

|z|n−1

=∞∑

n=1

|z|n =1

1 − |z| − 1 =

→0︷︸︸︷|z|

1 − |z|︸ ︷︷ ︸→1

z→0−−−−→ 0.

(ii) Für beliebiges z0 ∈ C und h ∈ C, h �= 0, folgt mit der Funktionalgleichung(Satz V.47 (ii)) und mit Behauptung (i):

exp(z0 + h) − exp(z0)

h= exp(z0) · exp(h) − 1

h︸ ︷︷ ︸→1

h→0−−−−→ exp(z0).

Das Fazit des folgenden Satzes ist: Differenzierbar heißt linear approximierbar!

Es seien K = R oder C, (Y , ‖ · ‖) normierter Raum über K, f : K ⊃ Df → Y eineFunktion und x0 ∈ Df Häufungspunkt von Df . Äquivalent sind:

(i) f ist differenzierbar in x0 .

(ii) Es existieren mx0 ∈ Y und eine in x0 stetige Funktion r: K ⊃ Df → Y mitr(x0) = 0, so dass

f (x) = f (x0) + mx0 (x − x0) + r(x)(x − x0), x ∈ Df ; (23.2)

in diesem Fall ist mx0 = f ′(x0).

Satz VII.4

Beweis. „(i) ⇒ (ii)“: Setze mx0 := f ′(x0). Dann gilt (23.2) mit

r(x) :=

⎧⎪⎨⎪⎩f (x) − f (x0)

x − x0− mx0 , x �= x0,

0, x = x0.

Page 100: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

92 VII Differentialrechnung inR

Die Funktion r ist stetig in x0 mit limx→x0 r(x) = f ′(x0) − mx0 = 0 = r(x0).

„(ii) ⇒ (i)“: Für x �= x0 folgt aus (23.2), weil r stetig ist in x0 und r(x0) = 0,

f (x) − f (x0)

x − x0= mx0 + r(x)︸︷︷︸

→ r(x0) = 0

x→x0−−−−−→ mx0 .

Also existiert der Grenzwert in (23.1), und es ist f ′(x0) = mx0 .

Bemerkung. Die Differenzierbarkeit von f in x0 ist also äquivalent dazu, dass f linearapproximierbar ist, d.h., es existiert eine lineare Funktion (die Tangente!)

L: K ⊃ Df → Y , L(x) = f (x0) + f ′(x0)(x − x0),

so dass f (x) − L(x) → 0 für x → x0, sogar „schneller“ als x − x0:

limx→x0

f (x) − L(x)

x − x0= 0.

Ist f differenzierbar in x0, so ist f stetig in x0.Korollar VII.5

Beweis. Die Behauptung folgt mit Bemerkung VI.17, weil nach Satz VII.4 gilt:

limx→x0

f (x) = limx→x0

(f (x0) + mx0

→0︷ ︸︸ ︷(x − x0) +

→0︷︸︸︷r(x)

→0︷ ︸︸ ︷(x − x0)

)= f (x0).

Bemerkung. Die Umkehrung gilt nicht! Die Funktion f (x) = |x|, x ∈ R, etwa ist stetigin 0, aber nicht differenzierbar in 0.

Es gibt sogar überall stetige und nirgends differenzierbare Funktionen, z.B. die KochscheSchneeflockenkurve (Aufgabe V.8) oder die Weierstraß-Funktion ([26, Abschnitt 9.6.2,Abb. 9.6.3])

f (x) =∞∑

k=0

4k cos(4k�x), x ∈ R.

Die folgenden Ableitungsregeln sind überaus nützlich, um die Differenzierbarkeit kom-plizierterer Funktionen zu untersuchen und ihre Ableitungen zu berechnen.

Sind (Y , ‖ · ‖) normierter Raum über K = R oderC, f , g : K ⊃ D → Y Funktionen,x0 ∈ D Häufungspunkt von D und f , g differenzierbar in x0, so gilt:

(i) Linearität: Sind ˛, ˇ ∈ K, so ist ˛f + ˇg in x0 differenzierbar mit(˛f + ˇg

)′(x0) = ˛f ′(x0) + ˇg ′(x0).

(ii) Produktregel: Ist Y = K, so ist f · g differenzierbar in x0 mit

(f · g)′(x0) = f ′(x0) · g(x0) + f (x0) · g ′(x0).

Satz VII.6

Page 101: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

23 Differenzierbarkeit 93

(iii) Quotientenregel: Ist Y = K und g(x0) �= 0, so istf

gin x0 differenzierbar mit(

f

g

)′(x0) =

f ′(x0)g(x0) − f (x0)g ′(x0)

g(x0)2.

Beweis. (i) Die Behauptungen folgen direkt aus der Definition VII.1 der Ableitung undden Rechenregeln für Grenzwerte.

(ii) Da g differenzierbar in x0 ist, ist g auch stetig in x0 (Korollar VII.5), also giltlimx→x0 g(x) = g(x0). Damit folgt für x ∈ D, x �= x0:

(fg)(x) − (fg)(x0)

x − x0=

f (x) − f (x0)

x − x0︸ ︷︷ ︸→f ′(x0)

· g(x)︸︷︷︸→ g(x0)

+f (x0) · g(x) − g(x0)

x − x0︸ ︷︷ ︸→g ′(x0 )

x→x0−−−−−→ f ′(x0)g(x0) + f (x0)g ′(x0).

(iii) Da g stetig ist in x0 (siehe oben) und g(x0) �= 0, gibt es ı > 0 mit g(x) �= 0,x ∈ Bı(x0) = {x ∈ D: |x − x0| < ı} (sonst gäbe es eine Folge (xn)n∈N ⊂ D mitg(xn) = 0 und xn → x0, n → ∞). Dann ist für x ∈ Bı(x0), x �= x0,( f

g

)(x) −

( fg

)(x0)

x − x0=

1

g(x)︸︷︷︸→ g(x0)

g(x0)

( f (x) − f (x0)

x − x0︸ ︷︷ ︸→f ′(x0)

· g(x0) − f (x0) · g(x) − g(x0)

x − x0︸ ︷︷ ︸→g ′(x0)

)

x→x0−−−−−→ f ′(x0)g(x0) − f (x0)g ′(x0)

g(x0)2.

(i) Die Menge der differenzierbaren Funktionen f : K ⊃ D → Y bildet einenVektorraum über K .

(ii) Polynome sind auf ganz R bzw. C differenzierbar.

(iii) Rationale Funktionen sind auf ihrem Definitionsbereich differenzierbar.

Korollar VII.7

Kettenregel. Es seien K = R oderC, f : K ⊃ Df → K, g : K ⊃ Dg → K Funktionenmit f (Df ) ⊂ Dg , x0 ∈ Df Häufungspunkt von Df und f (x0) Häufungspunkt von Dg .Ist f differenzierbar in x0 und g differenzierbar in f (x0), so ist g ◦ f differenzierbar inx0 mit

(g ◦ f )′(x0) = g ′(f (x0)) · f ′(x0).

Satz VII.8

Beweis. Für den Beweis benutzen wir die Äquivalenz der Differenzierbarkeit mit derlinearen Approximierbarkeit (Satz VII.4). Nach Voraussetzung und Satz VII.4 gibt esin x0 bzw. f (x0) stetige Funktionen rf : K ⊃ Df → K , rg : K ⊃ Dg → K mit rf (x0) = 0,

Page 102: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

94 VII Differentialrechnung inR

rg (f (x0)) = 0 und

f (x) = f (x0) + f ′(x0)(x − x0) + rf (x)(x − x0), x ∈ Df ,

g(y) = g(f (x0)) + g ′(f (x0))(

y − f (x0))

+ rg(y)(

y − f (x0)), y ∈ Dg .

Einsetzen der ersten Gleichung in die zweite mit y = f (x) für x ∈ Df liefert:

(g ◦ f )(x) = g(f (x0)

)+ g ′(f (x0)

)(f (x) − f (x0)

)+ rg

(f (x)

)(f (x) − f (x0)

)= g

(f (x0)

)+ g ′(f (x0)

)(f ′(x0)(x − x0) + rf (x)(x − x0)

)+ rg

(f (x)

) (f ′(x0)(x − x0) + rf (x)(x − x0)

)= (g ◦ f )(x0) + g ′(f (x0)

)f ′(x0)(x − x0) + rg◦f (x)(x − x0),

wobei

rg◦f (x) := g ′(f (x0))

rf (x) + rg(f (x))(

f ′(x0) + rf (x)), x ∈ Df .

Als Summe und Komposition stetiger Funktionen ist rg◦f stetig in x0 mit

rg◦f (x0) = g ′(f (x0))

rf (x0)︸ ︷︷ ︸=0

+ rg(f (x0))︸ ︷︷ ︸=0

(f ′(x0) + rf (x0)

)= 0.

Die Behauptung folgt nun wiederum aus Satz VII.4.

– sin, cos:R→ R sind differenzierbar (Beispiel VI.14) mit:

sin′(x) =1

2i(i exp′(ix) − (−i) exp′(−ix)) =

1

2(exp(ix) + exp(−ix)) = cos(x),

cos′(x) =1

2(i exp′(ix) + (−i) exp′(−ix)) =

i

2(exp(ix) − exp(−ix)) = − sin(x).

– tan(x) :=sin(x)

cos(x), x ∈R\

{(2k + 1)

2: k ∈Z

}(vgl. Aufgabe VI.4), ist diffe-

renzierbar mit

(tan)′(x) =sin′(x) cos(x) − sin(x) cos′(x)

cos2(x)=

cos2(x) + sin2(x)

cos2(x)=

1

cos2(x).

– f (x) = exp2(x), g(x) = exp(x2), x ∈ R, sind differenzierbar mit

f ′(x) = 2 · exp(x) · exp′(x) = 2 exp2(x);

g ′(x) = exp′(x2) · (x2)′ = 2x exp(x2).

Beispiele

Ableitung der Umkehrfunktion. Es seien K = R oderC, f : K ⊃ Df → K injektiv,x0 ∈ Df Häufungspunkt von Df , f differenzierbar in x0 und f −1: K ⊃ f (Df ) → Kstetig in y0 := f (x0). Dann ist

f −1 differenzierbar in y0 ⇐⇒ f ′(x0) �= 0;

in diesem Fall ist

(f −1)′(y0) =1

f ′(f −1(y0)) . (23.3)

Satz VII.9

Page 103: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

23 Differenzierbarkeit 95

Beweis. „�⇒“: Aus (f −1 ◦ f )(x) = x, x ∈ Df , folgt nach Differentiation mit derKettenregel (Satz VII.8):

1 = (f −1 ◦ f )′(x0) =(f −1)′

(f (x0)) · f ′(x0) =(f −1)′

(y0) · f ′(x0);

insbesondere folgt f ′(x0) �= 0 und(f −1)′

(y0) = 1f ′(x0) , also (23.3).

„⇐�“: Wir zeigen erst, dass y0 Häufungspunkt von Df −1 = f (Df ) ist. Da x0 Häu-fungspunkt von Df ist, gibt es eine Folge (xn)n∈N ⊂ Df , xn �= x0, mit xn → x0,n → ∞. Weil f nach Korollar VII.5 stetig in x0 ist, gilt yn := f (xn) → f (x0) = y0,n → ∞. Da f injektiv ist, ist wegen xn �= x0 auch yn = f (xn) �= f (x0) = y0.

Um zu zeigen, dass f −1 differenzierbar in y0 ist, sei (yn)n∈N ⊂ f (Df ), yn �= y0, eineFolge mit yn → y0, n → ∞. Da f −1: f (Df ) → Df bijektiv ist, folgt aus yn �= y0 dannxn := f −1(yn) �= f −1(y0) = x0. Weil f −1 nach Satz VI.43 stetig ist, folgt xn → x0, n → ∞.Nach Voraussetzung und Definition der Ableitung gilt dann

0 �= f ′(x0) = limn→∞

f (xn) − f (x0)

xn − x0.

Damit folgt, dass der Grenzwert

limn→∞

f −1(yn) − f −1(y0)

yn − y0=

1

limn→∞ f (xn)−f (x0)xn−x0

=1

f ′(x0)=

1

f ′(f −1(y0))

existiert, d.h., f −1 ist differenzierbar in y0.

(i) ln: (0,∞) → R ist differenzierbar mit

ln′(x) =1

exp′(ln(x))=

1

exp(ln(x))=

1

x, x ∈ (0,∞).

(ii) sin: [− �2 , �

2 ] → [−1, 1], cos:[0, �] → [−1, 1] sind bijektiv mit Umkehr-funktionen

arcsin: [−1, 1] →[

−�

2,

2

], arccos: [−1, 1] → [0, �],

die differenzierbar auf (−1, 1) sind mit

arcsin′(x) =1

sin′(arcsin(x))=

1

cos(arcsin(x))=

1√1 − (sin(arcsin(x)))2

=1√

1 − x2,

arccos′(x) = . . . = −1√

1−x2,

aber nicht differenzierbar in den beiden Randpunkten −1 und 1, dasin′(±�

2 ) = cos(±�2 ) = 0.

(iii) tan: (− �2 , �

2 ) → R is bijektiv mit differenzierbarer Umkehrfunktion

arctan:R →(

−�

2,

2

), arctan′(x) =

1

1 + x2.

Beispiele VII.10

Page 104: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

96 VII Differentialrechnung inR

1 2 3 4−1−2−3−4−5

π

π2

−π2

Abb. 23.2: Graphen der Funktionen arcsin, arccos und arctan

Rekursiv definieren wir nun Ableitungen f (n) höherer Ordnung einer Funktion. Dazusetzen wir für eine differenzierbare Funktion f (0) := f , f (1) := f ′.

Es seien K = R oder C, (Y , ‖ · ‖) ein normierter Raum über K , f : K ⊃ Df → Yeine Funktion und x0 ∈ Df Häufungspunkt von Df . Für n = 2, 3, . . . definiertman dann rekursiv: f heißt n-mal differenzierbar in x0

:⇐⇒ f , f ′, . . . , f (n−2) differenzierbar in Df , f (n−1) differenzierbar in x0;

ist f in jedem x ∈ Df n-mal differenzierbar, heißt f n-mal differenzierbar in Df .Man nennt f (n)(x0) := (f (n−1))′(x0) die n-te Ableitung von f in x0 und bezeichnetals n-te Ableitung von f die Funktion

f (n): K ⊃ Df → Y , x �→ f (n)(x) = (f (n−1))′(x).

Definition VII.11

Bemerkung. – In den Fällen n = 2, 3, 4 schreibt man auch f ′′, f ′′′, f ′′′′.

– Ist f n-mal differenzierbar, so sind f , f ′, . . . f (n−1) stetig nach Korollar VII.5.

Es seien K = R oder C, (Y , ‖ · ‖) ein normierter Raum über K , f : Df → Y undn ∈ N0. Dann f heißt n-mal stetig differenzierbar in D

:⇐⇒ f n-mal differenzierbar in Df , f (n) stetig in Df .

Ist D ⊂ K , so definieren wir die Vektorräume von Funktionen

Cn(D) := Cn(D, Y ) := {f : D → Y , f n-mal stetig differenzierbar},C∞(D) :=

⋂n∈N0

Cn(D, Y ).

Definition VII.12

Bemerkung. – Cn(D) und C∞(D) sind Untervektorräume von C(D);

– C∞(D) ⊂ . . . ⊂ Cn+1(D) ⊂ Cn(D) ⊂ . . . ⊂ C1(D) ⊂ C0(D) = C(D).

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23 Differenzierbarkeit 97

Leibniz-Regel. Es seien K = R oder C, f , g : K ⊃ D → K Funktionen, x0 ∈ DHäufungspunkt von D und n ∈ N0. Sind f und g n-mal differenzierbar in x0, so istauch f · g n-mal differenzierbar in x0 mit(

f · g)(n)

(x0) =n∑

k=0

(n

k

)f (k)(x0)g (n−k)(x0).

Satz VII.13

Beweis. Wir führen Induktion nach n. Der Fall n = 0 ist offensichtlich.

n� n + 1: Nach Induktionsvoraussetzung, Produktregel und der Summenformel fürBinomialkoeffizienten (Proposition II.14) gilt:

(f · g)(n+1)(x0) =((f · g)(n)

)′(x0)

=

( n∑k=0

(n

k

)f (k)g (n−k)

)′(x0)

=n∑

k=0

(n

k

)f (k+1)(x0)g (n−k)(x0) +

n∑k=0

(n

k

)f (k)(x0)g (n−k+1)(x0)

=n+1∑k=1

(n

k − 1

)f (k)(x0)g (n−(k−1))(x0) +

n∑k=0

(n

k

)f (k)(x0)g (n−k+1)(x0)

= f (n+1)(x0)g(x0) +n∑

k=1

((n

k−1

)+

(n

k

))︸ ︷︷ ︸

=(n+1k )

f (k)(x0)g (n+1−k)(x0)+f (x0)g (n+1)(x0)

=n+1∑k=0

(n + 1

k

)f (k)(x0)g (n+1−k)(x0).

Speziell für K = R hat man noch den Begriff einseitiger Ableitungen:

Es sei (Y , ‖ · ‖) ein normierter Raum über R, f :R ⊃ Df → Y eine Funktion,x0 ∈ Df Häufungspunkt von Df ∩ [x0,∞) bzw. Df ∩ (∞, x0]. Man nennt frechtsseitig bzw. linksseitig differenzierbar in x0,

:⇐⇒ es existiert limx�x0

f (x) − f (x0)

x − x0=: f ′

+(x0) bzw. limx�x0

f (x) − f (x0)

x − x0=: f ′

−(x0);

dann heißen f ′+(x0) bzw. f ′

−(x0) rechts- bzw. linksseitige Ableitung von f in x0; f heißtrechts- bzw. linksseitig differenzierbar in Df , wenn dies in jedem x ∈ Df gilt, undeinseitig differenzierbar, wenn f rechts- oder linksseitig differenzierbar ist.

Definition VII.14

f (x) = |x|, x ∈ R, ist links- und rechtsseitig differenzierbar in Rmitf ′−(x) = f ′

+(x) = −1, x ∈ (−∞, 0) , f ′−(0) = −1,

f ′−(x) = f ′

+(x) = 1, x ∈ (0,∞) , f ′+(0) = 1.

Beispiel

Bemerkung. f ist genau dann differenzierbar in x0, wenn f links- und rechtsseitigdifferenzierbar in x0 ist mit f ′

+(x0) = f ′−(x0); dann ist

f ′(x0) = f ′−(x0) = f ′

+(x0).

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98 VII Differentialrechnung inR

� 24Mittelwertsätze und lokale Extrema

Der Mittelwertsatz ist das zentrale Hilfsmittel, um notwendige und hinreichende Be-dingungen für lokale Extrema von Funktionen f :R ⊂ Df → R herzuleiten; dabei istDf immer ein Intervall mit Randpunkten a, b ∈ R, −∞ < a < b < ∞.

Es seien (X, d) ein metrischer Raum, f : X ⊃ Df → R eine Funktion und x0 ∈ Df .Man sagt, f hat in x0 ein lokales Minimum bzw. Maximum

:⇐⇒ ∃ " > 0 ∀ x ∈ Df , d(x, x0) < ": f (x0) ≤ f (x) bzw. f (x0) ≥ f (x)

und ein globales Minimum bzw. Maximum

:⇐⇒ ∀ x ∈ Df : f (x0) ≤ f (x) bzw. f (x0) ≥ f (x).

Der Punkt x0 heißt lokale bzw. globale Extremstelle von f , wenn f in x0 ein lokalesbzw. globales Minimum oder Maximum hat.

Definition VII.15

Es seien f :R ⊃ (a, b) → R eine Funktion und x0 ∈ (a, b). Hat f in x0 eine lokaleExtremstelle und ist f in x0 differenzierbar, so folgt

f ′(x0) = 0.

Satz VII.16

Beweis. Es sei etwa x0 ein lokales Minimum (sonst betrachte −f ). Dann existiert ein" > 0 mit (x0 − ", x0 + ") ⊂ (a, b) und

∀ x ∈ (x0 − ", x0 + ") : f (x0) ≤ f (x).

Da f differenzierbar in x0 ist, folgt damit

f ′+(x0) = lim

x�x0

≥0︷ ︸︸ ︷f (x) − f (x0)

x − x0︸ ︷︷ ︸>0

≥ 0, f ′−(x0) = lim

x�x0

≥0︷ ︸︸ ︷f (x) − f (x0)

x − x0︸ ︷︷ ︸<0

≤ 0,

also insgesamt f ′(x0) = f ′−(x0) = f ′

+(x0) = 0.

Bemerkung. – Punkte x ∈ Df mit f ′(x) = 0 heißen auch kritische Punkte.

– f ′(x0) = 0 ist notwendig für lokale Extremstellen, aber nicht hinreichend; z.B.hat f (x) = x3, x ∈ R, in x0 = 0 kein lokales Extremum, aber f ′(0) = 0.

– Kandidaten für lokale Extremstellen einer Funktion f : [a, b] → R sind also:

– die Randpunkte a, b,

– die Punkte in (a, b), in denen f nicht differenzierbar ist,– die kritischen Punkte von f in (a, b).

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24 Mittelwertsätze und lokale Extrema 99

Aus Satz VII.16 folgt mit Satz VI.37 vom Minimum und Maximum sofort:

Es sei f :R ⊃ [a, b] → R stetig in [a, b] und differenzierbar in (a, b). Dann nimmtf sein (globales) Minimum und Maximum entweder auf dem Rand des Intervalls[a, b] oder in einem kritischen Punkt an:

maxx∈[a,b]

f (x) ∈ {f (a), f (b), max{f (x): x ∈ (a, b) , f ′(x) = 0}}und analog für min

x∈[a,b]f (x).

Korollar VII.17

Satz von Rolle. Es sei f :R ⊃ [a, b] → R stetig in [a, b] und differenzierbarin (a, b). Ist f (a) = f (b), dann existiert ein � ∈ (a, b) mit

f ′(�) = 0.

Satz VII.18

Beweis. 1. Fall: f konstant. Dann ist f ′ = 0 nach Beispiel VII.2 mit n = 0, also giltf ′(�) = 0 für beliebiges � ∈ (a, b).

2. Fall: f nicht konstant. Dann existiert x0 ∈ (a, b) mit

f (x0) < f (a) = f (b) oder f (x0) > f (a) = f (b).

Weil f stetig auf [a, b] ist, nimmt es nach Satz VI.37 sein Minimum bzw. Maximumdann in einem Punkt � ∈ (a, b) an. Also ist � ∈ (a, b) eine Extremstelle, und da f in(a, b) differenzierbar ist, folgt f ′(�) = 0 aus Satz VII.16.

Aus dem Satz von Rolle ergibt sich durch eine einfache Transformation sofort derfolgende zentrale Satz der Differentialrechnung (vgl. Abb. 24.1):

Mittelwertsatz. Es sei f :R ⊃ [a, b] → R stetig in [a, b] und differenzierbarin (a, b). Dann existiert ein � ∈ (a, b) mit

f ′(�) =f (b) − f (a)

b − a.

Satz VII.19

Beweis. Wir wollen den Satz von Rolle anwenden auf die Hilfsfunktion:

h(x) := f (x) −f (b) − f (a)

b − a(x − a), x ∈ [a, b] .

Genau wie f ist h stetig auf [a, b] und differenzierbar auf (a, b) mit

h(a) = f (a), h(b) = f (b) −f (b) − f (a)

b − a(b − a) = f (a) = h(a),

erfüllt also die Voraussetzungen von Satz VII.18. Folglich gibt es ein � ∈ (a, b) mit

0 = h′(�) = f ′(�) −f (b) − f (a)

b − a.

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100 VII Differentialrechnung inR

ξa b

f(a)

f(x) = 1x

ξa b

h(a) = f(a)h(x) = 1

x + 1ab (x − a)

Abb. 24.1: Mittelwertsatz und Transformation auf den Satz von Rolle

Geometrisch bedeutet der Mittelwertsatz, dass es einen Punkt � ∈ (a, b) gibt, in demdie Tangentensteigung gleich der Sekantensteigung in a und b ist.

Aus dem Mittelwertsatz lassen sich eine ganz Reihe wichtiger Folgerungen ziehen:

Ist f :R ⊃ [a, b] → R stetig auf [a, b] und differenzierbar auf (a, b) oder istf :R→ R stetig differenzierbar, so gilt:

f konstant ⇐⇒ f ′ = 0.

Korollar VII.20

Beweis. „�⇒“: Diese Implikation haben wir in Beispiel VII.2 gezeigt.

„⇐�“: Es seien x1, x2 ∈ [a, b] (bzw. R) beliebig, ohne Einschränkung x1 < x2. Nachdem Mittelwertsatz (Satz VII.19) existiert ein � ∈ (x1, x2) mit

f (x2) − f (x1) = (x2 − x1)f ′(�) = 0,

da f ′ = 0, also f (x2) = f (x1). Da x1, x2 beliebig waren, muss f konstant sein.

Lineare Differentialgleichungen erster Ordnung mit konstanten Koeffizienten beschrei-ben in der Natur Zerfalls- oder Wachstumsprozesse. Mit Hilfe von Korollar VII.20können wir jetzt alle Lösungen solcher Gleichungen angeben.

Es sei � ∈ R und I ⊆ R ein Intervall. Jede stetig differenzierbare Lösung y: I → Rder Differentialgleichung

y′(x) = � y(x), x ∈ I, (24.1)

ist von der Form y(x) = C exp(�x), x ∈ I, mit einem C ∈ R. Insbesondere ist dieExponentialfunktion exp die eindeutige Lösung des „Anfangswertproblems“

y′ = y, y(0) = 1.

Satz VII.21

Beweis. Für f (x) := y(x) · exp(−�x), x ∈ I , gilt nach Produkt- und Kettenregel:

f ′(x) = y′(x) exp(−�x) + y(x)(−�) exp(−�x) = (y′(x) − �y(x))︸ ︷︷ ︸=0 nach (24.1)

exp(−�x) = 0.

Nach Korollar VII.20 ist dann f konstant, d.h., es gibt C ∈ Rmit f (x) = C, x ∈ I .Für � = 1 folgt aus der Bedingung y(0) = 1, dass C = C exp(0) = y(0) = 1.

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24 Mittelwertsätze und lokale Extrema 101

Als Nächstes benutzen wir die Ableitung einer Funktion, um Informationen über ihreMonotonie und Kriterien für die Klassifikation lokaler Extrema zu erhalten.

Ist X eine Menge und f: X → R eine Funktion, schreiben wir

f > 0 :⇐⇒ ∀ x ∈ X: f (x) > 0,

und analog definieren wir f ≥ 0, f < 0, f ≤ 0.

Bezeichnung VII.22

Es sei f :R ⊃ (a, b) → R differenzierbar. Dann gilt:

(i) f ′ > 0 �⇒ f auf (a, b) streng monoton wachsend.f ′ < 0 �⇒ f auf (a, b) streng monoton fallend.

(ii) f ′ ≥ 0 ⇐⇒ f auf (a, b) monoton wachsend.f ′ ≤ 0 ⇐⇒ f auf (a, b) monoton fallend.

Lässt sich f stetig auf [a, b] fortsetzen, so gelten alle Aussagen rechts auf [a, b].

Satz VII.23

Beweis. „�⇒“ in (i) und (ii): Nach dem Mittelwertsatz (Satz VII.19) gibt es für beliebigex1, x2 ∈ (a, b), x1 < x2, ein � ∈ (x1, x2) mit

f (x2) − f (x1) = f ′(�) (x2 − x1)︸ ︷︷ ︸>0

.

Daraus ergeben sich alle Behauptungen; z.B. folgt aus f ′ > 0, dass f ′(�) > 0 und damitf (x2) > f (x1), also ist f streng monoton wachsend.

„⇐�“ in (ii): Aus der Definition der Ableitung folgt für beliebiges x0 ∈ (a, b):

f ′(x0) = limx�x0

f (x) − f (x0)

x − x0︸ ︷︷ ︸>0

. (24.2)

Daraus ergeben sich alle Behauptungen; z.B. folgt aus f monoton wachsend, dassf (x) − f (x0) ≥ 0, also f ′(x0) ≥ 0.

Bemerkung. In (i) gelten die Rückrichtungen nicht. Auch wenn f streng monotonwachsend ist und daher f (x) − f (x0) > 0 in (24.2) gilt, folgt im Limes nur f ′(x0) ≥ 0;z.B. ist f (x) = x3, x ∈ R, streng monoton wachsend, aber f ′(0) = 0.

Kriterien für lokale Extrema. Es seien f :R ⊃ (a, b) → R differenzierbar undx0 ∈ (a, b) mit f ′(x0) = 0. Dann gilt:

(i) f hat in x0 ein lokales Minimum, falls ˛, ˇ ∈ R, ˛ < x0 < ˇ existieren mit

f ′(x) ≤ 0, x ∈ (˛, x0) ∧ f ′(x) ≥ 0, x ∈ (x0, ˇ),

und ein lokales Maximum, falls

f ′(x) ≥ 0, x ∈ (˛, x0) ∧ f ′(x) ≤ 0, x ∈ (x0, ˇ)

;

Satz VII.24

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102 VII Differentialrechnung inR

(ii) ist f zweimal stetig differenzierbar in (a, b), so hat f in x0 ein{lokales Minimum, wenn f ′′(x0) > 0,

lokales Maximum, wenn f ′′(x0) < 0.

Beweis. (i) Die Behauptungen folgen direkt aus der Charakterisierung der Monotoniemit Hilfe der Ableitung in Satz VII.23.

(ii) Es sei etwa f ′′(x0) > 0 (sonst betrachte −f ). Dann existieren nach KorollarVI.38 (ii),da f ′′ stetig in (a, b) vorausgesetzt ist, ˛, ˇ ∈ R, ˛ < x0 < ˇ mit

f ′′(x) > 0, x ∈ (˛, ˇ),

d.h., f ′ ist nach Satz VII.23 streng monoton wachsend auf(˛, ˇ

). Da f ′(x0) = 0, folgt

f ′(x) ≤ 0, x ∈ (˛, x0), und f ′(x) ≥ 0, x ∈ (x0, ˇ

). Also sind die Voraussetzungen aus

dem ersten Fall in (i) erfüllt, und die Behauptung folgt daraus.

Eine Funktion f:R ⊂ I → R heißt konvex auf einem Intervall I

:⇐⇒ ∀ x1, x2 ∈ I ∀ � ∈ (0, 1) : f (�x1 + (1 − �)x2︸ ︷︷ ︸∈(x1,x2)

bzw.(x2,x1)

) ≤ �f (x1) + (1 − �)f (x2)︸ ︷︷ ︸∈(f (x1),f (x2))

bzw.(f (x2),f (x1))und konkav, wenn −f konvex ist.

Definition VII.25

Die Konvexität einer Funktion kann man mit der zweiten Ableitung prüfen:

Ist I ⊂ R ein offenes Intervall und f : I → R zweimal differenzierbar, so gilt

f konvex ⇐⇒ f ′′ ≥ 0.

Satz VII.26

Beweis. „⇐�“: Weil f ′′ ≥ 0, ist f ′ monoton wachsend auf I (Satz VII.23). Es seiennun x1, x2 ∈ I beliebig, ohne Einschränkung x1 < x2, und � ∈ (0, 1). Dann istx := �x1 + (1 − �)x2 ∈ (x1, x2). Nach dem Mittelwertsatz (Satz VII.19) gibt es�1 ∈ (x1, x) , �2 ∈ (x, x2) mit

f (x) − f (x1)

x − x1= f ′(�1) ≤ f ′(�2) =

f (x2) − f (x)

x2 − x, (24.3)

wobei wir die Monotonie von f ′ benutzt haben. Mit

x − x1 = �x1 + (1 − �)x2 − x1 = (1 − �)(x2 − x1),x2 − x = x2 − �x1 − (1 − �)x2 = �(x2 − x1)

(24.4)

und x2 − x1 > 0 folgt aus (24.3)

f (x) − f (x1)

1 − �≤ f (x2) − f (x)

�.

Da �, 1 − � > 0 sind, ergibt sich schließlich f (x) ≤ �f (x1) + (1 − �)f (x2).

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24 Mittelwertsätze und lokale Extrema 103

„�⇒“ : Es seien x1, x2 ∈ I , x1 < x2, und x ∈ (x1, x2) beliebig. Dann existiert � ∈ (0, 1)mit x = �x1 + (1 − �)x2 (siehe oben). Da f konvex ist, gilt

0 ≤ �f (x1) + (1 − �)f (x2) − f (x).

Multiplizieren wir mit x2 − x1 (> 0) und beachten (24.4), so folgt

0 ≤ �(x2 − x1)︸ ︷︷ ︸=x2−x

f (x1) + (1 − �)(x2 − x1)︸ ︷︷ ︸=x−x1

f (x2) − (x2 − x1)︸ ︷︷ ︸=x2−x+x−x1

f (x)

= (x2 − x)︸ ︷︷ ︸>0

(f (x1) − f (x)

)+ (x − x1)︸ ︷︷ ︸

>0

(f (x2) − f (x)

).

Also ergibt sich für beliebiges x ∈ (x1, x2):

f (x) − f (x1)

x − x1≤ f (x2) − f (x)

x2 − x.

Da f differenzierbar und damit auch stetig auf I ist, folgt damit

f ′(x1) = limx�x1

f (x) − f (x1)

x − x1≤ lim

x�x1

f (x2) − f (x)

x2 − x=

f (x2) − f (x1)

x2 − x1,

f ′(x2) = limx�x2

f (x2) − f (x)

x2 − x≥ lim

x�x2

f (x) − f (x1)

x − x1=

f (x2) − f (x1)

x2 − x1,

also f ′(x1) ≤ f ′(x2). Folglich ist f ′ monoton wachsend. Da f zweimal differenzierbarist, folgt f ′′ ≥ 0 (Satz VII.23 für f ′).

– exp:R→ R ist konvex, denn exp′′ = exp > 0.

– ln:R+ → R ist konkav, denn ln′′(x) =(

1x

)′= − 1

x2 < 0, x ∈ (0,∞).

Beispiele

Die Konkavität des Logarithmus liefert einige fundamentale Ungleichungen:

Youngsche1 Ungleichung. Sind p, q ∈ (1,∞) mit 1p + 1

q = 1, so gilt:

� · � ≤ 1

p· �p +

1

q· �q, �, � ≥ 0.

Satz VII.27

Beweis. Ist � · � = 0, ist nichts zu zeigen. Also sei � · � > 0. Da ln konkav ist, folgt mit� = 1

p , 1−� = 1− 1p = 1

q , der Funktionalgleichung für ln (Satz VI.44) und der Definition

der Potenzen mit reellen Exponenten (Kapitel VI, (22.1)), z.B. �p = exp(p ln(�)):

ln(1

p�p +

1

q�q)

≥ 1

pln(�p) +

1

qln(�q) = ln(�) + ln(�).

Wendet man darauf die (streng) monoton wachsende Funktion exp an, ergibt sich:

1

p�p +

1

q�q ≥ exp

(ln(�) + ln(�)

)= exp(ln(�)) · exp(ln(�)) = � · �.

1William Henry Young, ∗ 20. Oktober 1863 in London, 7. Juli 1942 in Lausanne, englischer Mathe-matiker, der vor allem orthogonale Reihen und Integrationstheorie studierte.

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104 VII Differentialrechnung inR

Höldersche2 Ungleichung. Es seien K = R oder C, p, q ∈ (1,∞) mit 1p + 1

q = 1.

Für x = (xi)ni=1 ∈ K n definiere

‖x‖p :=( n∑

i=1

|xi|p) 1

p.

Dann gilt für x = (xi)ni=1 , y =

(yi

)n

i=1∈ K n:

n∑i=1

|xiyi| ≤ ‖x‖p · ‖y‖q.

Satz VII.28

Beweis. Ist x = 0 oder y = 0, ist nichts zu zeigen. Sind x, y �= 0, so liefert die YoungscheUngleichung (Satz VII.27) mit

� =|xi|‖x‖p

, � =|yi|‖y‖q

für i = 1, 2, . . . , n sofort|xi| |yi|

‖x‖p ‖y‖q≤ 1

p

|xi|p‖x‖p

p

+1

q

|yi|q‖y‖q

q.

Summiert man über i = 1, 2, . . . , n, so ergibt sich nach der Definition von ‖ · ‖p:

1

‖x‖p ‖y‖q

n∑i=1

|xiyi| ≤ 1

p

1

‖x‖pp

n∑i=1

|xi|p +1

q

1

‖y‖qq

n∑i=1

|yi|q =1

p+

1

q= 1.

Sind p, q ∈ (1,∞) mit 1p + 1

q = 1, so ist q = pp−1 und heißt zu p konjugierter Exponent

zu p, auch oft mit p′ bezeichnet. Ein Spezialfall ist das Paar p = 2 und q = 2.In diesem Fall wird die Höldersche Ungleichung zu einer Ungleichung, die Sie

vielleicht schon aus der Linearen Algebra kennen:

Cauchy-Bunyakovsky3 -Schwarzsche4 Ungleichung. Es sei K =R oder C. Be-zeichnet für x = (xi)n

i=1, y = (yi)ni=1 ∈ K n

〈x , y〉 :=n∑

i=1

xi · yi

das euklidische Skalarprodukt in K n, so gilt:

|〈x , y〉| ≤ ‖x‖2 ‖y‖2.

Korollar VII.29

2Otto Ludwig Hölder, ∗ 22. Dezember 1859 in Stuttgart, 29. August 1937 in Leipzig, deutscherMathematiker, der über Fourierreihen und Gruppen arbeitete.

3Victor Yakovlevich Bunyakovsky, ∗16. Dezember 1804 in Bar, Ukraine, 12. Dezember 1889 in St.Petersburg, Russland, Schüler von Cauchy, arbeitete in Zahlentheorie und Geometrie und entdeckte die –oft nicht nach ihm benannte – Ungleichung 1859, 25 Jahre vor Schwarz.

4Hermann Amandus Schwarz, ∗ 25. Januar 1843 in Hermsdorf, jetzt Polen, 30. November 1921in Berlin, deutscher Mathematiker, Schüler von Weierstraß, arbeitete über konforme Abbildungen undMinimalflächen.

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24 Mittelwertsätze und lokale Extrema 105

Minkowskische5 Ungleichung. Es seien K = R oder C und p ∈ (1,∞) . Danngilt für x, y ∈ K n:

‖x + y‖p ≤ ‖x‖p + ‖y‖p.

Satz VII.30

Beweis. Ist x + y = 0, so ist nichts zu zeigen. Es sei nun x + y �= 0. Mit Hilfe der Drei-ecksungleichung für den Betrag in K und der Hölderschen Ungleichung (Satz VII.28),angewendet auf x und x + y sowie y und x + y, folgt mit q = p

p−1 :

‖x + y‖pp =

n∑i=1

|xi + yi| · |xi + yi|p−1 ≤n∑

i=1

|xi| |xi + yi|p−1 +n∑

i=1

|yi| |xi + yi|p−1

≤ ‖x‖p

( n∑i=1

|xi + yi|=p︷︸︸︷

(p−1)q) 1

q + ‖y‖p

( n∑i=1

|xi + yi|=p︷︸︸︷

(p−1)q) 1

q

=(‖x‖p + ‖y‖p

) ‖x + y‖pq

p .

Wegen p − pq = 1 folgt nach Division durch ‖x + y‖

pq

p (�= 0) die Behauptung.

Die Minkowskische Ungleichung zeigt, dass für ‖ · ‖p die Dreiecksungleichung gilt:

Für p ∈ (1,∞) definiert ‖ · ‖p: K n → [0,∞) eine Norm auf K n. Korollar VII.31

Eine Verallgemeinerung des Mittelwertsatzes ist der folgende Satz, den wir verwenden,um im Folgenden die Regeln von L’Hopital6 zur Grenzwertberechnung zu bewei-sen.

Verallgemeinerter Mittelwertsatz. Sind f , g :R ⊃ [a, b] → R stetig in [a, b],differenzierbar in (a, b) und g ′(x) �= 0, x ∈ (a, b), so gibt es � ∈ (a, b) mit

f ′(�)

g ′(�)=

f (b) − f (a)

g(b) − g(a).

Satz VII.32

Bemerkung. – Im Spezialfall g(x) = x, x ∈ [a, b], erhält man wieder den Mittel-wertsatz (Satz VII.19).

– Der verallgemeinerte Mittelwertsatz folgt nicht durch „Quotientenbildung“ ausdem Mittelwertsatz; dieser liefert nur die Existenz von �1, �2 ∈ (a, b) mit

f ′(�1)

g ′(�2)=

f (b) − f (a)

g(b) − g(a).

5Hermann Minkowski, ∗ 22. Juni 1864 in Aleksotas, Litauen, 12. Januar 1909 in Göttingen, legte durchein neues Raum-Zeit-Konzept die mathematische Basis der Relativitätstheorie.

6Guillaume Francois Antoine Marquis de L’Hopital,∗1661, 2. Februar 1704 in Paris, französischerMathematiker, der zuerst Hauptmann der Kavallerie war, und später das erste Lehrbuch in Analysis nachden Aufzeichnungen von Johann Bernoulli schrieb.

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106 VII Differentialrechnung inR

Beweis. Es ist g(b) �= g(a), sonst gäbe es nach dem Satz von Rolle ein � ∈ (a, b) mitg ′(�) = 0. Analog wie im Beweis des Mittelwertsatzes definiere eine Funktion

h(x) := f (x) −f (b) − f (a)

g(b) − g(a)

(g(x) − g(a)

), x ∈ [a, b] ,

die die Voraussetzungen des Satzes VII.18 von Rolle erfüllt. Also gibt es � ∈ (a, b) mit

0 = h′(�) = f ′(�) −f (b) − f (a)

g(b) − g(a)g ′(�)︸︷︷︸

�=0

.

L’Hopitalsche Regeln. Es seien f , g :R ⊃ (a, b) → R differenzierbar in (a, b),g(x) �= 0, x ∈ (a, b), so dass eine der Bedingungen

(i) f (x) → 0, g(x) → 0 für x � a,

(ii) f (x) → ∞, g(x) → ∞ für x � a,

gilt. Existiert dann der Grenzwert limx�af ′(x)g ′(x) , so existiert auch limx�a

f (x)g(x) und

limx�a

f (x)

g(x)= lim

x�a

f ′(x)

g ′(x).

Analoge Aussagen gelten für x � b oder x → ±∞.

Satz VII.33

Beweis. Gilt (i), so sind f und g in x = a stetig fortsetzbar durch 0; wir bezeichnendiese Fortsetzungen wieder mit f und g . Nach dem verallgemeinerten Mittelwertsatz(Satz VII.32) existiert für jedes x ∈ (a, b) ein � ∈ (a, x) mit

f ′(�)

g ′(�)=

f (x) − f (a)

g(x) − g(a)=

f (x)

g(x).

Da x � a auch � � a impliziert, folgt daraus die Behauptung.

Gilt (ii) und setzt man � := limx�af ′(x)g ′(x) , so gibt es zu beliebigem " > 0 ein ı > 0 mit

∀ � ∈ (a, a + ı) :

∣∣∣∣ f ′(�)

g ′(�)− �

∣∣∣∣ <"

2.

Wieder mit dem verallgemeinerten Mittelwertsatz (Satz VII.32) folgt daraus

∀ x, y ∈ (a, a + ı) :

∣∣∣∣ f (x) − f (y)

g(x) − g(y)− �

∣∣∣∣ <"

2. (24.5)

Für festes y ∈ (a, a + ı) gilt wegen Voraussetzung (ii)

f (x)

g(x)=

f (x) − f (y)

g(x) − g(y)· g(x) − g(y)

f (x) − f (y)· f (x)

g(x)=

f (x) − f (y)

g(x) − g(y)·

→1, x→a︷ ︸︸ ︷1 − g(y)

g(x)

1 − f (y)f (x)︸ ︷︷ ︸

→1, x→a

,

also existiert ein ı0 > 0 mit

∀ x ∈ (a, a + ı0) :

∣∣∣∣ f (x)

g(x)−

f (x) − f (y)

g(x) − g(y)

∣∣∣∣ <"

2. (24.6)

Insgesamt folgt aus (24.5), (24.6) und der Dreiecksungleichung schließlich

∀ x ∈ (a, a + min{ı, ı0}) :

∣∣∣∣ f (x)

g(x)− �

∣∣∣∣ < ".

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24 Mittelwertsätze und lokale Extrema 107

– limx�0

xn ln(x) = 0, n ∈ N:

Denn mit f (x) = ln(x), g(x) = x−n, x ∈ (0,∞), gilt (ii) in Satz VII.33 und

limx�0

f ′(x)

g ′(x)= lim

x�0

1x

−nx−n−1= lim

x�0

(−

1

nxn)

= 0;

die umgekehrte Wahl f (x) = xn, g(x) = (ln(x))−1, x ∈ (0,∞), ist sinnlos!

– limx→∞

ln(x)n√

x= lim

x→∞

1x

1n x

1n −1

= limx→∞

n

x1n

= 0, n ∈ N:

Der Logarithmus wächst also langsamer gegen ∞ als jede Wurzel!

– limx→∞

exp(x)

xn= ∞, n ∈ N:

Die Exponentialfunktion wächst also schneller gegen ∞ als jede Potenz!

Denn n-malige Anwendung der L’Hopitalschen Regel liefert:

limx→∞

exp(x)

xn= lim

x→∞exp(x)

nxn−1= · · · = lim

x→∞exp(x)

n!= ∞.

– limx�0

( 1

sin(x)−

1

x

)= 0:

Für f (x) = x − sin(x), g(x) = x sin(x), x ∈ (0,∞), gilt

f ′(x) = 1 − cos(x)x�0−−−→ 0, g ′(x) = sin(x) + x cos(x)

x�0−−−→ 0,

f ′′(x) = sin(x)x�0−−−→ 0, g ′′(x) = 2 cos(x) − x sin(x)

x�0−−−→ 2.

Also folgt nach zweimaliger Anwendung der L’Hopitalschen Regel:

0 = limx�0

f ′′(x)

g ′′(x)= lim

x�0

f ′(x)

g ′(x)= lim

x�0

f (x)

g(x)= lim

x�0

( 1

sin(x)−

1

x

).

Beispiele

Übungsaufgaben

VII.1. Für a ∈ (0,∞) fest definiere die Funktion

pa:R → R, pa(x) := exp(x ln(a)).

a) Zeige, dass pa(q) = aq für jedes q ∈ Q (beachte ars := (ar)

1s für r, s ∈ N).

b) Untersuche pa auf Differenzierbarkeit und bestimme allenfalls die Ableitung.

VII.2. Untersuche, wo folgende Funktionen differenzierbar sind, und bestimme dort ihre Ab-leitung:

a) f (x) =√

x, x ∈ [0, ∞); b) f (x) = |x|3, x ∈ R;

c) f (x) = (1 + 2x)n, x ∈ R, n ∈ N; d) f (x) = ln(| ln(x)|), x ∈ (0,∞);

e) f (x) = xx , x ∈ [0,∞); f) f (x) = arctan(x), x ∈ R.

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108 VII Differentialrechnung inR

VII.3. Beweise, dass die folgende Funktion beliebig oft differenzierbar ist:

f :R→ R, f (x) =

{exp(

− 1|x|), x �= 0,

0, x = 0.

Zeige, dass f (n)(x) = pn−1(x)x2n exp

(− 1

x

)für x > 0 mit einem Polynom pn−1 vom Grad n − 1

und dass f (n)(0) = 0 für alle n ∈ N0.

VII.4. Wo liegt der Fehler in der folgenden Rechnung:

limx→0

x5

sin(x) − x= lim

x→0

5x4

cos(x) − 1= · · · = lim

x→0

f (5)(x)

g(5) (x)=

5!

cos(0)= 120 ?

Was ist das richtige Ergebnis?

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VIII Integralrechnung inR

Die Integration ist der inverse Prozess zur Differentiation. Es gibt verschiedene Integral-begriffe. Der elementarste für Funktionen einer reellen Variablen geht auf BernhardRiemann1 zurück. Ein allgemeinerer Integralbegriff wird später etwa für die Wahr-scheinlichkeitstheorie benötigt (siehe z.B. [8]).

Problem: Ist f : [a, b] → R, f ≥ 0, eine Funktion, wie bestimmt man die Fläche Af

unter dem Graphen von f ?

a b

Gf

Af

Abb. 25.1: Geometrische Veranschaulichung des Integrals von a bis b über f

In sehr speziellen Fällen ist dies leicht:

f konstant, f ≡ c �⇒ Af := c (b − a),

f stückweise konstant �⇒ Af :=∑n

i=1Afi mit fi konstant.

Wie definiert man Af allgemein, und für welche Funktionenklassen ist dies möglich?Im Folgenden seien immer a, b ∈ Rmit a < b und K = R (später auch C).

� 25Das Riemann-Integral

Das Riemann-Integral erhält man in einem Grenzübergang, bei dem man das Inter-vall [a, b] in immer kleinere Teilintervalle teilt und die Funktion f durch stückweisekonstante Funktionen approximiert.

1Bernhard Riemann,∗ 17. September 1826 in Breselenz (Niedersachsen), 20. Juli 1866 in Selasca (Ita-lien), deutscher Mathematiker, wirkte bahnbrechend auf vielen Gebieten der Analysis, Differentialgeometrie,mathematischen Physik und analytischen Zahlentheorie. Die nach ihm benannte Riemannsche Vermutungist eines der größten ungelösten Probleme der Mathematik (siehe Beispiel VIII.31).

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110 VIII Integralrechnung inR

(i) Eine Menge von Punkten P = {x0, x1, . . . , xn} ⊂ [a, b] mit n ∈ N heißtPartition von [a, b]

:⇐⇒ a = x0 < x1 < x2 < · · · < xn = b.

(ii) Sind P, P′ Partitionen von (a, b) mit P ⊂P′, so heißt P′Verfeinerung von P.

Definition VIII.1

Für jede Partition P = {x0, x1, . . . , xn} ⊂ [a, b] gilt offenbarn∑

i=1(xi − xi−1) = b − a.

Eine Funktion ': [a, b] → R heißt Treppenfunktion, wenn es eine Partition P ={x0, x1, . . . , xn} ⊂ [a, b] und Konstanten c1, c2 . . . , cn ∈R gibt mit

'(x) = ci, x ∈ (xi−1, xi) , i = 1, . . . , n.

Wir schreiben dann zur Abkürzung ' =

(x0 x1 . . . . . . xn

c1 c2 . . . cn

).

Definition VIII.2

Bemerkung. Die Werte einer Treppenfunktion in den Punkten xi werden bewusstnicht festgelegt. Die Menge T [a, b] aller Treppenfunktionen bildet einen Vektorraumüber Rmit der für Funktionen üblichen Addition und Skalarmultiplikation.

Es seien P = {x0, x1, . . . , xn} ⊂ [a, b] eine Partition des Intervalls [a, b] undf : [a, b] → R eine beschränkte Funktion. Wir setzen

mi := inf {f (x): x ∈ (xi−1, xi)}, i = 1, . . . , n,

Mi := sup{f (x): x ∈ (xi−1, xi)}, i = 1, . . . , n,

und definieren die Unter- bzw. Obersummen von f zur Partition P als

s(P, f ) :=n∑

i=1

mi(xi − xi−1),

S(P, f ) :=n∑

i=1

Mi(xi − xi−1).

Damit definiert man das Unter- bzw. Oberintegral von f über [a, b] als∫ b

∗ af (x) dx := sup{s(P, f ): P Partition von [a, b]},∫ ∗ b

af (x) dx := inf{S(P, f ): P Partition von [a, b]}.

Definition VIII.3

Ist m ≤ f ≤ M mit m, M ∈ R, so gilt

m(b − a) ≤↑

m≤mi

s(P, f ) ≤↑

mi≤Mi

S(P, f ) ≤↑

Mi≤M

M(b − a)

und damit

−∞ < m(b − a) ≤∫ b

∗ af (x) dx,

∫ ∗ b

af (x) dx ≤ M(b − a) < ∞.

Bemerkung VIII.4

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25 Das Riemann-Integral 111

xab

Abb. 25.2: Ober- und Untersumme einer Funktion

Um auch eine Ungleichung zwischen Ober- und Unterintegral zu erhalten, genügt dieAbschätzung in Bemerkung VIII.4 für eine feste Partition P noch nicht:

Es sei f : [a, b] → R beschränkt. Dann gilt

(i) s(P, f ) ≤ s(P′, f ) ≤ S(P′, f ) ≤ S(P, f ) für Partitionen P ⊂ P′ von [a, b];

(ii)

∫ b

∗ af (x) dx ≤

∫ ∗ b

af (x) dx.

Lemma VIII.5

Beweis. (i) Die mittlere Abschätzung ist klar nach Bemerkung VIII.4. Falls P = P′, sosind auch die anderen beiden Abschätzungen klar. Für P � P′ zeigen wir die Abschät-zung für die Untersummen; für die Obersummen ist der Beweis analog.1. Fall: P′ \ P = {x′}. Dann gibt es ein j0 ∈ {1, . . . , n} mit xj0−1 < x′ < xj0 . Setze

m′j0 := inf{f (x): x ∈ (xj0−1, x′)} ≥ mj0 ,

m′′j0 := inf{f (x): x ∈ (x′, xj0

)} ≥ mj0 .

Damit folgt:

s(P′, f ) − s(P, f ) = m′j0 (x′ − xj0−1) + m′′

j0 (xj0 − x′) − mj0 (xj0 − xj0−1)

= (m′j0 − mj0 )︸ ︷︷ ︸

≥0

(x′ − xj0 −1)︸ ︷︷ ︸>0

+ (m′′j0 − mj0 )︸ ︷︷ ︸

≥0

(xj0 − x′)︸ ︷︷ ︸>0

≥ 0.

2. Fall: P′ \ P = {x′1, . . . x′

k}, k ∈ N: Die Behauptung folgt induktiv aus dem 1. Fall.

(ii) Sind P1, P2 beliebige Partitionen von [a, b], so folgt nach (i):

s(P1, f )P1⊂P1∪P2≤ s(P1 ∪ P2, f ) ≤ S(P1 ∪ P2, f )

P1⊂P1∪P2≤ S(P2, f ).

Die Behauptung folgt, indem man auf der linken Seite das Supremum über alle P1 undauf der rechten Seite das Infimum über alle P2 bildet.

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112 VIII Integralrechnung inR

Riemann-Integral reellwertiger Funktionen. Eine beschränkte Funktionf : [a, b] → Rheißt Riemann-integrierbar, wenn ihr Unter- und Oberintegral über-einstimmen: ∫ b

∗ af (x) dx =

∫ ∗ b

af (x) dx =:

∫ b

af (x) dx;

dieser gemeinsame Wert heißt Riemann-Integral von f über [a, b].

Definition VIII.6

– ' ∈ T [a, b], ' =

(x0 x1 . . . . . . xn

c1 c2 . . . cn

), ist Riemann-integrierbar mit

∫ b

a'(x) dx =

n∑i=1

ci(xi − xi−1);

hier ist das Riemann-Integral von ' über [a, b] die Summe der Flächen derRechtecke unter dem Graphen von ' über der x-Achse minus die Summeder Flächen der Rechtecke über dem Graphen von ' unter der x-Achse:

a b a b

++

+

+

Abb. 25.3: Graph und Riemann-Integral einer Treppenfunktion

– D(x) =

{1, x ∈ [a, b] ∩Q,

0, x ∈ [a, b] \ ([a, b] ∩Q), (Dirichlet-Funktion);

D ist beschränkt, aber nicht Riemann-integrierbar, denn es gilt:∫ b

∗ aD(x) dx =↑

mi=0

0,

∫ ∗ b

aD(x) dx =↑

Mi =1

(b − a) > 0.

Beispiele

Kriterium von Riemann. Eine beschränkte Funktion f : [a, b] → R ist Riemann-integrierbar

⇐⇒ ∀ " > 0 ∃ Partition P" ⊂ [a, b] : S(P", f ) − s(P", f ) < ". (25.1)

Satz VIII.7

Beweis. „⇐�“: Es seien " > 0 beliebig und P" wie in (25.1). Mit Lemma VIII.5 (ii) undder Definition des Ober- und Unterintegrals als Infimum bzw. Supremum folgt

0 ≤∫ ∗ b

af (x) dx −

∫ b

∗ af (x) dx ≤ S(P", f ) − s(P", f ) < ".

Im Grenzübergang " → 0 folgt die Gleichheit von Ober- und Unterintegral.

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25 Das Riemann-Integral 113

„�⇒“: Ist f Riemann-integrierbar und " > 0 beliebig, so gibt es nach Definition desOber- und Unterintegrals Partitionen P1, P2 ⊂ [a, b] mit

S(P1, f ) −

∫ ∗ b

af (x) dx <

"

2,

∫ b

∗ af (x) dx − s(P2, f ) <

"

2. (25.2)

Mit Lemma VIII.5 (i), (25.2) und da f Riemann-integrierbar ist, folgt

S(P1 ∪ P2, f ) − s(P1 ∪ P2, f ) ≤ S(P1, f ) − s(P2, f )

<

∫ ∗ b

af (x) dx +

"

2−

∫ b

∗ af (x) dx +

"

2= ".

Also gilt (25.1) mit P" := P1 ∪ P2.

Jede stetige Funktion f : [a, b] → R ist Riemann-integrierbar. Satz VIII.8

Beweis. Ist f : [a, b] → R stetig, so ist f beschränkt auf [a, b] und sogar gleichmäßigstetig nach Satz VI.42. Also existiert zu beliebigem " > 0 ein ı > 0 mit

∀ x, y ∈ [a, b] , |x − y| < ı:∣∣f (x) − f (y)

∣∣ <"

b − a. (25.3)

Wähle n ∈ Nmit b−an < ı und definiere damit

xi := a + i · b − a

n, i = 0, 1, . . . , n, P" := {x0, x1, . . . , xn}. (25.4)

Dann gilt xi − xi−1 = b−an < ı, i = 1, . . . , n. Da f stetig ist, nimmt f auf jedem Intervall

[xi−1, xi] Minimum mi und Maximum Mi an. Zusammen mit (25.3) folgt dann

S(P", f ) − s(P", f ) =n∑

i=1

(Mi − mi)︸ ︷︷ ︸<"/(b−a)

(xi − xi−1)︸ ︷︷ ︸=(b−a)/n

<

n∑i=1

"

n= n · "

n= ".

Nach dem Kriterium von Riemann (Satz VIII.7) ist f Riemann-integrierbar.

Jede beschränkte Funktion f : [a, b] → R, die nur endlich viele Unstetigkeitsstellenhat, ist Riemann-integrierbar.

Korollar VIII.9

Bemerkung. Tatsächlich darf die Menge der Unstetigkeitsstellen von f noch viel all-gemeiner sein (siehe z.B. [8, Satz V.10]), insbesondere abzählbar unendlich!

Jede monotone Funktion f : [a, b] → R ist Riemann-integrierbar. Satz VIII.10

Beweis. Ohne Einschränkung sei f monoton wachsend (sonst betrachte −f ); dann istf (b) − f (a) ≥ 0. Zu " > 0 beliebig existiert dann n ∈ N so, dass

b − a

n(f (b) − f (a)) < ".

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114 VIII Integralrechnung inR

Definiere damit eine Partition P" wie in (25.4). Da f monoton wachsend ist, gilt

mi = inf {f (x): x ∈ (xi−1, xi)} ≥ f (xi−1),

Mi = sup{f (x): x ∈ (xi−1, xi)} ≤ f (xi).

Damit folgt nach der Wahl von n:

S(P", f ) − s(P", f ) =n∑

i=1

(Mi − mi)︸ ︷︷ ︸≤f (xi )−f (xi−1)

=(b−a)/n︷ ︸︸ ︷(xi − xi−1) ≤ b − a

n

n∑i=1

(f (xi) − f (xi−1)

)︸ ︷︷ ︸

=f (xn)−f (x0)=f (b)−f (a)

< ".

Nach dem Kriterium von Riemann (Satz VIII.7) ist f Riemann-integrierbar.

Riemann-Integral komplexwertiger Funktionen. Eine Funktion f : [a, b] → Cheißt Riemann-integrierbar, wenn Re f und Im f Riemann-integrierbar sind; dannsetzt man ∫ b

af (x) dx :=

∫ b

a(Re f )(x) dx + i

∫ b

a(Im f )(x) dx.

Definition VIII.11

Zum Rechnen mit Integralen gibt es einige wichtige Regeln; dabei sei K =R oder C.

Es sei f : [a, b] → K beschränkt und c ∈ (a, b). Dann ist f Riemann-integrierbar auf[a, b] genau dann, wenn die Einschränkungen f |[a,c] und f |[c,b] auf [a, c] bzw. [c, b]Riemann-integrierbar sind; dann gilt:∫ b

af (x) dx =

∫ c

af (x) dx +

∫ b

cf (x) dx.

Proposition VIII.12

Sind f , g:[a, b]→K Riemann-integrierbar und ˛,ˇ ∈K, so ist

(i) ˛f + ˇg Riemann-integrierbar und∫ b

a(˛f + ˇg)(x) dx = ˛

∫ b

af (x) dx + ˇ

∫ b

ag(x) dx (Linearität); (25.5)

(ii) f · g Riemann-integrierbar;

(iii) falls K = R: f (x) ≤ g(x), x ∈ [a, b] �⇒∫ b

af (x) dx ≤

∫ b

ag(x) dx.

Proposition VIII.13

Beweis (der Propositionen VIII.12, VIII.13). Alle Behauptungen prüft man mit Hil-fe der Definition des Riemann-Integrals (Definitionen VIII.6 und VIII.11) oder desKriteriums von Riemann (Satz VIII.7) nach (Aufgabe VIII.1).

Vorsicht: Für

∫ b

a(f · g)(x) dx gibt es keine Formel!

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25 Das Riemann-Integral 115

Verallgemeinerter Mittelwertsatz der Integralrechnung. Sind f : (a, b) → Rstetig, ': [a, b] → R Riemann-integrierbar und ' ≥ 0, so gibt es ein � ∈ [a, b] mit∫ b

af (x)'(x) dx = f (�)

∫ b

a'(x) dx.

Satz VIII.14

Bemerkung. Der klassische Mittelwertsatz der Integralrechnung ist der Fall ' ≡ 1:∫ b

af (x) dx = f (�)(b − a),

d.h., die Fläche zwischen dem Graphen vonf und der x-Achse ist gleich der Fläche einesRechtecks über [a, b] mit Höhe f (�)!

Zum Beispiel ist für f (x) = x2, x∈ [−1, 1]:

� =1√3

∼ 0.58.0

0.5

1

y

–1 1

Beweis. Da f stetig ist, ist f Riemann-integrierbar und f ([a, b]) =: [m, M] nachKorollar VI.39 zum Zwischenwertsatz. Da ' ≥ 0 nach Voraussetzung, folgt dannm '(x) ≤ f (x)'(x) ≤ M'(x), x ∈ [a, b]. Integriert man über [a, b], ergibt sichdaraus nach Proposition VIII.13 (iii):

m

∫ b

a'(x) dx ≤

∫ b

af (x)'(x) dx ≤ M

∫ b

a'(x) dx.

Folglich existiert ein � ∈ [m, M] mit∫ b

af (x)'(x) dx = �

∫ b

a'(x) dx.

Da [m, M] = f ([a, b]), gibt es dann ein � ∈ [a, b] mit f (�) = �.

Sind f: [a, b] → R Riemann-integrierbar, f ([a, b]) ⊂ [m, M] und g: [m, M] → Rstetig, so ist g ◦ f Riemann-integrierbar.

Proposition VIII.15

Beweis. Es sei " > 0 beliebig. Da g stetig auf dem kompakten Intervall [m, M] ist,existiert K := max{|g(y)|: y ∈ [m, M]}, und g ist gleichmäßig stetig auf [m, M]. Alsogibt es ein ı > 0, ohne Einschränkung ı < "

4K , mit

∀ y1, y2 ∈ [m, M] , |y1 − y2| < ı: |g(y1) − g(y2)| <"

2(b − a).

Weil f Riemann-integrierbar ist, existiert nach dem Kriterium von Riemann(Satz VIII.7) eine Partition Pı2 = {x0, x1, . . . , xn} mit

S(Pı2, f ) − s(Pı2 , f ) < ı2.

Page 124: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

116 VIII Integralrechnung inR

Für Pı2 seien mi , Mi zu f und m′i , M ′

i zu h := g ◦ f wie in Definition VIII.3. Setze

I := {i ∈ {1, 2, . . . , n}: Mi − mi < ı}.Da ı ≤ Mi − mi für i /∈ I , folgt

n∑i=1i �∈I

(xi − xi−1) ≤n∑

i=1i �∈I

Mi − mi

ı(xi − xi−1) ≤ 1

ı

n∑i=1

(Mi − mi)(xi − xi−1)

=1

ı

(S(Pı2, f ) − s(Pı2 , f )

)< ı.

Weiter gilt nach Definition der Menge I und von K als Maximum von g auf [m, M]:

M ′i − m′

i <"

2(b − a), i ∈ I,

M ′i − m′

i ≤ |M ′i | + |m′

i| ≤ 2K , i �∈ I.

Insgesamt ist dann wegen ı < "4K

S(Pı2, h) − s(Pı2, h) =n∑

i=1i∈I

< "2(b−a)︷ ︸︸ ︷

(M ′i − m′

i)(xi − xi−1) +n∑

i=1i �∈I

≤2K︷ ︸︸ ︷(M ′

i − m′i)(xi − xi−1)

<"

2(b − a)

n∑i=1i �∈I

(xi − xi−1)

︸ ︷︷ ︸≤b−a

+ 2Kn∑

i=1i �∈I

(xi − xi−1)

︸ ︷︷ ︸<ı

<"

2+ 2Kı < ".

Mit P" := Pı2 liefert das Kriterium von Riemann (Satz VIII.7) die Behauptung.

Ist f : [a, b] → K Riemann-integrierbar, so auch |f |, und es gilt:∣∣∣ ∫ b

af (x) dx

∣∣∣ ≤∫ b

a|f (x)| dx. (25.6)

Satz VIII.16

Beweis. Nach Proposition VIII.13 (ii) und (i) ist |f |2 = (Re f )2 + (Im f )2 Riemann-integrierbar. Nach Proposition VIII.15 mit g =

√· ist |f | Riemann-integrierbar. Umdie Ungleichung (25.6) zu zeigen, setzen wir

z :=

∫ b

af (x) dx ∈ C.

Ist z = 0, ist nichts zu zeigen. Ist z �= 0, setze ˛ := |z|z ∈ C. Dann ist |˛| = 1 und

Re(˛f ) ≤ |Re(˛f )| ≤ |˛f | = |f |. Dann folgt nach Proposition VIII.13 (i) und (iii):∣∣∣ ∫ b

af (x) dx

∣∣∣ =

∫ b

af (x) dx =

∫ b

a˛f (x) dx︸ ︷︷ ︸

∈R

=

∫ b

aRe(˛f (x)) dx ≤

∫ b

a|f (x)| dx.

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26 Integration und Differentiation 117

Damit man nicht immer aufpassen muss, ob die obere Integrationsgrenze größer istals die untere, trifft man die folgende Konvention. Überlegen Sie sich dabei, dass dieseFestlegung für Treppenfunktionen genau das Richtige liefert!

Es sei f : [a, b] → K Riemann-integrierbar. Man definiert∫ a

af (x) dx := 0,

∫ a

bf (x) dx := −

∫ b

af (x) dx.

Definition VIII.17

� 26Integration und Differentiation

Differentiation und Integration haben beide die Eigenschaft der Linearität (Satz VII.6und Proposition VIII.13). Jetzt wollen wir untersuchen, in welchem Sinn die beidenOperationen zueinander invers sind.

In diesem Abschnitt seien wieder a, b ∈ R, a < b, und K = R oder C.

Es sei f : [a, b] → K Riemann-integrierbar. Definiert man

Fa(x) :=

∫ x

af (t) dt, x ∈ [a, b] , (26.1)

so ist Fa stetig in [a, b]; ist f stetig in x0 ∈ [a, b], so ist Fa differenzierbar in x0 mit

F ′a(x0) = f (x0).

Satz VIII.18

Beweis. Als Riemann-integrierbare Funktion ist f beschränkt, also gibt es M ≥ 0 mit|f | ≤ M. Dann gilt für x, y ∈ [a, b], a ≤ y < x ≤ b, nach Satz VIII.16:

|Fa(x) − Fa(y)| =

∣∣∣∣∫ x

yf (t) dt

∣∣∣∣ ≤ ∫ x

y

∣∣f (t)∣∣︸ ︷︷ ︸

≤M

dt ≤ M · (x − y) = M · |x − y|.

Also ist Fa Lipschitz-stetig und damit insbesondere stetig nach Proposition VI.4. Ist fstetig in x0 und " > 0 beliebig, so existiert ein ı > 0 mit

∀ t ∈ [a, b] , t ∈ [x0, x0 + ı]: |f (t) − f (x0)| < ".

Dann gilt für x ∈ [a, b] , x ∈ (x0, x0 + ı), nach Satz VIII.16:∣∣∣Fa(x) − Fa(x0)

x − x0− f (x0)

∣∣∣ =1

x − x0

∣∣∣ ∫ x

x0

(f (t) − f (x0)

)dt∣∣∣

≤ 1

x − x0

∫ x

x0

∣∣f (t) − f (x0)∣∣︸ ︷︷ ︸

<"

dt <1

x − x0(x − x0)" = ",

analog für x ∈ (x0 − ı, x0). Also ist Fa differenzierbar in x0 mit F ′a(x0) = f (x0).

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118 VIII Integralrechnung inR

Bemerkung. Nach der Konvention in Definition VIII.17 gilt Satz VIII.18 auch für das

Integral Gb(x) :=∫ b

x f (t) dt, x ∈ [a, b], dann mit G′b(x0) = −f (x0).

Es sei I ⊂ R ein Intervall und K = R oder C. Eine differenzierbare FunktionF : I → K heißt Stammfunktion einer Funktion f : I → K

:⇐⇒ F ′ = f ;

man nennt F auch unbestimmtes Integral von f und schreibt F(x) =∫

f (x) dx.

Definition VIII.19

Bemerkung. Ist f stetig, so ist Fa aus (26.1) Stammfunktion von f mit Fa(a)= 0.

Es seien f : [a, b] → K Riemann-integrierbar, F : [a, b] → K Stammfunktion von fund G: [a, b] → K. Dann gilt:

G Stammfunktion von f ⇐⇒ F − G konstant.

Proposition VIII.20

Beweis. „⇐�“: Ist F − G ≡ c mit c ∈ K , so ist G differenzierbar und

G′ = (F − c)′ = F ′ − c′ = F ′ = f .

„�⇒“: Ist G′ = f , so ist (F − G)′ = F ′ − G′ = f − f = 0, also F − G konstant nachKorollar VII.20.

Fundamentalsatz der Differential- und Integralrechnung. Ist f : [a, b] → Kstetig und F : [a, b] → K eine Stammfunktion von f , so gilt:∫ b

af (x) dx = F(b) − F(a).

Satz VIII.21

Beweis. Es sei Fa die Stammfunktion von f aus (26.1). Nach Proposition VIII.20 gibtes dann c ∈ K mit F = Fa + c (nämlich c = F(a), da Fa(a) = 0). Damit folgt

F(b) − F(a) =(Fa(b) + c

)−(Fa(a) + c

)= Fa(b) − Fa(a)︸ ︷︷ ︸

=0

=

∫ b

af (x) dx.

Bemerkung. Man schreibt auch: F(b) − F(a) =: [F(x)]ba =: F(x)

∣∣ba.

Ist F : [a, b] → K stetig differenzierbar, so gilt

F(x) = F(a) +

∫ x

aF ′(t) dt, x ∈ [a, b].

Korollar VIII.22

Eine Übersicht der wichtigsten Stammfunktionen, die man sich merken sollte, gibt Ta-belle 27.1. Eine umfassende systematische Aufstellung bekannter Stammfunktionen(gut zum Suchen geeignet!) enthält die Formelsammlung [9, 21.7].

Page 127: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

27 Integrationsmethoden 119

� 27Integrationsmethoden

Wir lernen nun drei Methoden kennen, um Integrale auszurechnen bzw. Stammfunk-tionen zu bestimmen. Es gibt kein Rezept, wann welche Methode funktioniert. Aufjeden Fall helfen Probieren, Erfahrung (vgl. Tabelle 27.1) und Kreativität!

Substitution. Es seien f : [a, b] → C stetig,[˛, ˇ

] ⊂ [a, b], ':[˛, ˇ

] → R und'([˛, ˇ

]) ⊂ [a, b]. Dann gilt:∫ ˇ

˛(f ◦ ')(x) · ' ′(x) dx =

∫ '(ˇ)

'(˛)f (t) dt.

Satz VIII.23

Beweis. Ist F eine Stammfunktion von f , so ist nach Kettenregel (Satz VII.8)

(F ◦ ')′(x) = F ′('(x)) · ' ′(x) = f ('(x)) · ' ′(x), x ∈ [a, b],

also ist F ◦ ' Stammfunktion von (f ◦ ') · ' ′. Nach dem Fundamentalsatz derDifferential- und Integralrechnung (Satz VIII.21) folgt dann:

Tabelle 27.1: Einige wichtige Stammfunktionen

Funktion f Stammfunktion F Definitionsbereich

xs, s �= −11

s + 1xs+1

x ∈ R, falls s ∈ N0

x ∈ R \ {0}, falls s ∈ (−N)x ∈ (0, ∞), falls s ∈ R \ Z

1

xln(x) x ∈ (0, ∞)

exp(�x), � ∈ C \ {0} 1

�exp(�x) x ∈ R

sin(x) − cos(x) x ∈ Rcos(x) sin(x) x ∈ R

1

cos2(x)tan(x) x ∈

(−

2,

2

)1

sin2(x)− cot(x) := −

cos(x)

sin(x)x ∈ (0, �)

1√1 − x2

arcsin(x) x ∈ (−1, 1)

1

1 + x2arctan(x) x ∈ R

f ′(x)

f (x), f (x) �= 0, x ∈ R ln |f (x)| x ∈ R

Page 128: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

120 VIII Integralrechnung inR

∫ ˇ

˛(f ◦ ')(x) · ' ′(x) dx = (F ◦ ')(ˇ) − (F ◦ ')(˛)

= F('(ˇ)) − F('(˛)) =

∫ '(ˇ)

'(˛)f (t) dt.

Berechne das Integral

∫ 1

−1

√1 − y2 dy !

Für f (y) :=√

1 − y2, y ∈ [−1, 1], und '(x) := cos(x), x ∈ [0, �], ist

f ('(x)) =√

1 − cos2(x) = sin(x), ' ′(x) = − sin(x), '(0) = 1, '(�) = −1.

Damit folgt nach der Substitutionsregel (Satz VIII.23):∫ 1

−1

√1 − y2 dy =

∫ 0

�(− sin2(x)) dx =

∫ �

0sin2(x) dx.

Das Additionstheorem für cos (Aufgabe VI.3) liefert für x ∈ R:

cos(2x) = cos2(x) − sin2(x) = 1 − 2 sin2(x) �⇒ sin2(x) =1

2

(1 − cos(2x)

).

Damit ergibt sich∫ 1

−1

√1 − y2 dy =

∫ �

0

1

2

(1 − cos(2x)

)dx =

2−

1

2

=0︷ ︸︸ ︷[1

2sin(2x)

]�

0

=�

2.

Zeichnen Sie sich den Graphen von f auf und überlegen Sie, dass wir eben dieFläche eines Halbkreises mit Radius 1 berechnet haben!

Beispiel

Partielle Integration. Für stetig differenzierbare f , g : [a, b] → C ist∫ b

af (x)g ′(x) dx =

[f (x)g(x)

]b

a−

∫ b

af ′(x)g(x) dx.

Satz VIII.24

Beweis. Nach der Produktregel (Satz VII.6 (ii)) ist (f · g)′ = f ′g + f g ′, also f · gStammfunktion von f ′g + f g ′. Nach dem Fundamentalsatz der Differential- und Inte-gralrechnung (Satz VIII.21) ist dann∫ b

a

(f (x)g ′(x) + f ′(x)g(x)

)dx =

[f (x)g(x)

]b

a.

Bemerkung. Für das unbestimmte Integral hat die partielle Integration die Form∫f (x)g ′(x) dx = f (x)g(x) −

∫f ′(x)g(x) dx.

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27 Integrationsmethoden 121

Finde eine Stammfunktion des Logarithmus, d.h., berechne für a > 0∫ x

aln(t) dt, x ∈ [a,∞)!

Mit f (t) = ln(t), g(t) = t, t ∈ (a,∞), in Satz VIII.24 folgt für x ∈ [a,∞):∫ x

aln(t) dt = [t ln(t)]x

a −

∫ x

a

1

t· t dt = x ln(x) − a ln(a) − (x − a)

= x(ln(x) − 1) − a(ln(a) − 1).

Also ist F(x) = x(ln(x)− 1), x ∈ (0,∞), eine Stammfunktion des Logarithmus ln.

Beispiel

Eine spezielle Integrationsmethode für rationale Funktionen liefert die sog. Partial-bruchzerlegung , die nur noch Terme enthält, die man elementar integrieren kann.

Partialbruchzerlegung. Es seien P und Q Polynome mit Koeffizienten in K = Roder C. Dann existiert eine eindeutige Zerlegung

P

Q(z) = T(z) +

r∑j=1

mj∑k=1

cjk

(z − zj)k, (27.1)

wobei T ein Polynom ist, r ∈ N0, m1, . . . , mr ∈ N, z1, . . . , zr ∈ C und cjk ∈ C.Speziell für K = R hat (27.1) die Form

P

Q(x) = T(x) +

r∑k=1

mk∑�=1

ck�

(x − xk)�+

s∑l=1

nl∑ν=1

dlν + dlνx

ql(x)ν, (27.2)

wobei x1, . . . , xr ∈ R, dlν , dlν , ck� ∈ R, und q1, . . . , qs reelle Polynome zweitenGrades ohne reelle Nullstellen sind.

Satz VIII.25

Beweis. Der Beweis erfolgt mit Hilfe des Fundamentalsatzes der Algebra, der die Zer-legung von Q in Linearfaktoren liefert (siehe z.B. [19, Abschnitt 4.3]).

Ein Rezept zur Berechnung der Partialbruchzerlegung lautet:

1. Schritt: Ist deg P < deg Q, so ist T ≡ 0. Ist deg P ≥ deg Q, bestimme T durch

Polynomdivision mit Rest; der Rest hat die Form PQ mit deg P < deg Q.

2. Schritt: Bestimme die Linearfaktorzerlegung von Q: dann ist r die Anzahl derverschiedenen (komplexen) Nullstellen von Q, zj sind die Nullstellen von Q undmj ihre Vielfachheiten.

3. Schritt: Bestimme aus dem Ansatz (27.1) bzw. (27.2) die Koeffizienten cjk bzw.

ck� , dlν , dlν nach Multiplikation mit Q durch Koeffizientenvergleich.

Bemerkung VIII.26

Page 130: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

122 VIII Integralrechnung inR

Berechne

∫ 0

−1

x2(x − 2)

(x − 1)2dx !

1. Schritt: Da deg P = 3 ≥ 2 = deg Q, führen wir Polynomdivision durch:

(x3 − 2x2): (x2 − 2x + 1) = x +−x

x2 − 2x + 1x3 − 2x2 + x

Rest: − x

2. Schritt: Für Q(x) = (x − 1)2 ist r = 1, z1 = 1, m1 = 2.

3. Schritt: Aus dem Ansatz

x2(x − 2)

(x − 1)2= x +

c11

x − 1+

c12

(x − 1)2=

x3 − 2x2 + x + c11(x − 1) + c12

(x − 1)2

folgt durch Koeffizientenvergleich im Zähler c11 = −1, c12 = c11 = −1, also:∫ 0

−1

x2(x − 2)

(x − 1)2dx =

∫ 0

−1

(x −

1

x − 1−

1

(x − 1)2

)dx

=[x2

2− ln(1 − x) +

1

x − 1

]0

−1= −1 + ln 2.

Beispiel

� 28Uneigentliche Integrale

Es gibt zwei Fälle von uneigentlichen Integralen: Entweder kann das Integrationsin-tervall unendlich sein, oder das Integrationsintervall ist beschränkt, aber die Funktiondarauf ist unbeschränkt.

Es sei I ⊂ R ein Intervall. Eine Funktion f : I → C heißt lokal Riemann-integrierbar, wenn für jedes Intervall

[˛, ˇ

] ⊂ I die Einschränkung f∣∣

[˛,ˇ]

Riemann-integrierbar ist. Definiere dann das uneigentliche Integral∫

I f (x) dx

(i) für I = [a, b) oder [a,∞) bzw. I = (a, b] oder (−∞, b] durch∫ b

af (x) dx := lim

ˇ�b

∫ ˇ

af (x) dx,

∫ b

af (x) dx := lim

˛�a

∫ b

˛f (x) dx,

(ii) für I = (a, b) oder (−∞,∞) durch

∫ b

af (x) dx :=

in (i) definiert︷ ︸︸ ︷∫ c

af (x) dx +

in (i) definiert︷ ︸︸ ︷∫ b

cf (x) dx mit c ∈ (a, b).

Man nennt das uneigentliche Integral konvergent, falls die Grenzwerte jeweils exis-tieren, andernfalls divergent, und absolut konvergent, wenn das uneigentliche Inte-gral

∫I |f (x)| dx konvergent ist.

Definition VIII.27

Page 131: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

28 Uneigentliche Integrale 123

Bemerkung. – Es gelten die gleichen Rechenregeln wie für Riemann-Integrale(Proposition VIII.13); insbesondere folgt, dass Definition VIII.27 (ii) unabhängigvon der Wahl von c ist.

– Für eine Riemann-integrierbare Funktion f : [a, b] → C stimmt das unei-gentliche Integral mit dem Riemann-Integral überein (denn die Abbildungx �→ ∫ x

a f (t) dt ist stetig nach Satz VIII.18).

–∫ ∞

1

1

xsdx

⎧⎨⎩=1

s − 1, s > 1,

ist divergent, s ≤ 1.

Beweis. Für ˇ > 1 gilt:∫ ˇ

1

1

xsdx =

⎧⎪⎪⎨⎪⎪⎩[

1−s+1x−s+1

1= 1

1−s

(ˇ1−s − 1

) ˇ→∞−−−−−−→

{1

s−1 , s > 1,

∞, s < 1,

[ln(x)]ˇ1 = ln(ˇ)

ˇ→∞−−−−−−→ ∞, s = 1.

∫ ∞

−∞1

1 + x2dx = �.

Beweis. Für ˇ > 0 gilt:∫ ˇ

0

1

1 + x2dx = [arctan(x)]

ˇ0 = arctan(ˇ)

ˇ→∞−−−−−→ �

2

und damit aus Symmetriegründen (mittels Substitution x �→ −x):

� = 2

∫ ∞

0

1

1 + x2dx =

∫ ∞

−∞1

1 + x2dx.

Beispiel VIII.28

Es seien I ⊂ R ein Intervall und f : I → C, g : I → R beide lokal Riemann-integrierbar. Dann gilt:

|f | ≤ g,

∫ b

ag(x) dx konvergent �⇒

∫ b

af (x) dx absolut konvergent.

Proposition VIII.29

Beweis. Die Behauptung folgt mit den Rechenregeln für Integral und Limes (Proposi-tion VIII.13 und Satz IV.36).

Integralvergleichskriterium für Reihen. Ist f : [1,∞) → [0,∞) monoton fal-lend, so gilt:

∞∑n=1

f (n) konvergent ⇐⇒∫ ∞

1f (x) dx konvergent.

Satz VIII.30

Beweis. Da f monoton fallend ist, folgt:

∀ n ∈ N ∀ x ∈ [n, n + 1] : f (n) ≥ f (x) ≥ f (n + 1),

Page 132: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

124 VIII Integralrechnung inR

also ergibt sich nach Integration von n bis n + 1:

∀ n ∈ N: f (n) ≥∫ n+1

nf (x) dx ≥ f (n + 1).

Summation liefert für beliebiges N ∈ N:N∑

n=1

f (n) ≥∫ N+1

1f (x) dx ≥

N∑n=1

f (n + 1) =N+1∑n=2

f (n).

Nun folgt „�⇒“ aus der ersten und „⇐�“ aus der zweiten Ungleichung.

∞∑n=1

1

ns

{konvergent für s > 1,

divergent für s ≤ 1,

folgt sofort aus dem Integralvergleichskriterium (SatzVIII.30) und BeispielVIII.28.

Diese Reihe kann man auch für komplexe s ∈ C definieren, und sie konver-giert dann für Re s > 1; durch „analytische Fortsetzung“ erhält man daraus dieRiemannsche Zeta-Funktion :C \ {1} → C. Die noch immer nicht bewieseneRiemannsche Vermutung2 sagt ([3, Abschnitt VI.6]):

Alle komplexen Nullstellen der Riemannschen Zeta-Funktionmit Re s > 0 liegen auf der Geraden Re s = 1

2 .

Beispiel VIII.31

� 29Konvergenz von Funktionenfolgen und -reihen

Funktionen müssen oft durch einfachere Funktionen (z.B. Polynome) approximiertwerden. Wie misst man die Güte einer solchen Approximation, und wie verhalten sichAbleitung, Stetigkeit und Integral bei einer solchen Approximation:

fn???

−−−−→n→∞ f �⇒

⎧⎪⎪⎪⎪⎨⎪⎪⎪⎪⎩

∫ b

afn(x) dx −−−−→

n→∞

∫ b

af (x) dx ?

fn stetig �⇒ f stetig ?

f ′n(x) −−−−→

n→∞ f ′(x) ?

und Bemerkung. Sind X eine Menge und (E, ‖ · ‖) ein normierter Raum, so setztman

B(X, E) := {f : X → E: f beschränkt},‖f ‖∞ := sup

{‖f (x)‖: x ∈ X}, f ∈ B(X, E).

Dann ist ‖·‖∞ eine Norm auf B(X, E) und heißt Supremumsnorm. Ist E vollständig,so ist auch B(X, E) vollständig (Aufgabe VIII.8).

Definition VIII.32

2Sie ist eines der sieben „Millenium Prize Problems“ des Clay Mathematics Institute, das für ihren Beweis1.000.000 US $ ausgeschrieben hat! (siehe www.claymath.org/millennium).

Page 133: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

29 Gleichmäßige Konvergenz von Funktionenfolgen 125

Es seien X eine Menge, (E, ‖·‖) ein normierter Raum und fn , f : X → E Funktionen,n ∈ N. Die Folge (fn)n∈N heißt

(i) punktweise konvergent gegen f , fnpktw.

−−−−−→n→∞ f

:⇐⇒ ∀ " > 0 ∀ x ∈ X ∃ N = N(x, ") ∈ N ∀ n ≥ N : ‖fn(x) − f (x)‖ < ";

(ii) gleichmäßig konvergent gegen f , fnglm.

−−−−→n→∞ f

:⇐⇒ ∀ " > 0 ∃ N = N(") ∈ N ∀ n ≥ N ∀ x ∈ X: ‖fn(x) − f (x)‖ < ".

Definition VIII.33

Geometrisch heißt gleichmäßige Konvergenz, dass es für jedes " > 0 ein N ∈ N gibt, sodass für alle n ≥ N die Graphen der fn im "-Streifen um den Graphen der Grenzfunk-tion f liegen (Abb. 29.1).

ε

εf(x)

fn(x)

x

Abb. 29.1: Gleichmäßige Konvergenz anschaulich

(i) Damit sind auch punktweise und gleichmäßige Konvergenz von Funktio-

nenreihen∞∑

k=1

fk definiert (mittels Partialsummenfolge);

(ii) fnglm.

−−−−→n→∞ f �⇒ fn

pktw.−−−−→n→∞ f (aber nicht umgekehrt);

(iii) fnpktw.

−−−−→n→∞ f ⇐⇒ ∀ x ∈ X: ‖fn(x) − f (x)‖ −−−−→

n→∞ 0;

(iv) fnglm.

−−−−→n→∞ f ⇐⇒ ‖fn − f ‖∞ −−−−→

n→∞ 0.

Bemerkung VIII.34

Gleichmäßige Konvergenz und Stetigkeit. Betrachte die Funktionen

fn(x) := xn, x ∈ [0, 1] , n ∈ N, f (x) :=

{0, x ∈ [0, 1) ,

1, x = 1.

Alle fn sind stetig, und es gilt fnpktw.

−−−−→n→∞ f . Trotzdem ist f nicht stetig! Der Grund ist, dass

die Folge (fn)n∈N nicht gleichmäßig konvergiert auf [0, 1]:

Page 134: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

126 VIII Integralrechnung inR

Es seien (X, d) metrischer Raum, (E, ‖ · ‖) normierter Raum und fn, f : X → E,n ∈ N. Dann gilt:

fnglm.

−−−−→n→∞ f , fn stetig �⇒ f stetig.

Satz VIII.35

Beweis. Es seien x0 ∈ X und " > 0 beliebig. Wegen der gleichmäßigen Konvergenz derFolge (fn)n∈N existiert ein N ∈ Nmit

∀ n ≥ N : ‖fn − f ‖∞ <"

3.

Da fN stetig in x0 ist, existiert ein ı > 0 mit

∀ x ∈ X, d(x, x0) < ı: ‖fN (x) − fN (x0)‖ <"

3.

Damit folgt für x ∈ X mit d(x, x0) < ı:

‖f (x) − f (x0)‖ ≤ ‖f (x) − fN (x)‖︸ ︷︷ ︸≤‖f −fN ‖∞< "

3

+ ‖fN(x) − fN (x0)‖︸ ︷︷ ︸< "

3

+ ‖fN (x0) − f (x0)‖︸ ︷︷ ︸≤‖fN −f ‖∞< "

3

< ".

Gleichmäßige Konvergenz und Integration. Betrachte die Funktionen

fn(x) :=

⎧⎪⎨⎪⎩2n2x, x ∈ [0, 1

2n

],

2n − 2n2x, x ∈ [ 12n , 1

n

],

0, x ∈ [ 1n , 1

],

n ∈ N.

Dann ist fnpktw.

−−−−→n→∞ 0, aber

∫ 10 fn(x) dx = 1

2 �→ 0 (skizzieren Sie die Graphen für mehre-

re n)! Auch hier ist der Grund wieder die fehlende gleichmäßige Konvergenz:

Für fn, f : [a, b] → K (= R oder C), n ∈ N, fn stetig, gilt:

fnglm.

−−−−→n→∞ f �⇒

∫ b

afn(x) dx −−−−→

n→∞

∫ b

af (x) dx.

Satz VIII.36

Beweis. Nach Satz VIII.35 ist f stetig, also sind f und fn Riemann-integrierbar. MitProposition VIII.13 (i), Satz VIII.16 und der gleichmäßigen Konvergenz folgt:∣∣∣∣∣∫ b

afn(x) dx −

∫ b

af (x) dx

∣∣∣∣∣ ≤∫ b

a

∣∣fn(x)−f (x)∣∣ dx ≤ ‖fn − f ‖∞(b − a)

n→∞−−−−→ 0.

Gleichmäßige Konvergenz und Differentiation. Betrachte die Funktionen

fn(x) =sin(nx)√

n, f ′

n(x) =√

n cos(nx), x ∈ [0, 2�] , n ∈ N.

Dann ist ‖fn‖∞ = 1√n

, also fnglm.

−−−−→n→∞ 0, aber (f ′

n)n∈N nicht punktweise konvergent!

Page 135: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

29 Gleichmäßige Konvergenz von Funktionenfolgen 127

Es seien fn, f : [a, b] → C, fn stetig differenzierbar, n ∈ N. Ist fnpktw.

−−−−→n→∞ f und (f ′

n)n∈Ngleichmäßig konvergent, so ist f stetig differenzierbar mit

f ′n

pktw.−−−−→n→∞ f ′.

Satz VIII.37

Beweis. Nach Satz VIII.35 ist f := limn→∞ f ′n stetig. Nach Korollar VIII.22 zum Funda-

mentalsatz der Differential– und Integralrechnung gilt:

fn(x) = fn(a) +

∫ x

af ′n(t) dt, x ∈ [a, b].

Die Integrale rechts konvergieren nach Satz VIII.36. Da fnpktw.

−−−−→n→∞ f , folgt

f (x) = f (a) +

∫ x

af (t) dt, x ∈ [a, b],

und nach Differentiation

f ′(x) = f (x) = limn→∞ f ′

n(x), x ∈ [a, b].

Speziell für Funktionenreihen gibt es einen recht einfachen Test auf absolute undgleichmäßige Konvergenz:

Kriterium von Weierstraß. Es seien X eine Menge, (E, ‖ · ‖) ein vollständigernormierter Raum (z.B. E = R oder C) und gk: X → E beschränkt, k ∈ N. Gilt

∞∑k=1

‖gk‖∞ < ∞, (29.1)

so konvergiert∑∞

k=1 gk absolut und gleichmäßig in E.

Satz VIII.38

Beweis. Wegen ‖gk(x)‖ ≤ ‖gk‖∞ < ∞, x ∈ X, und nach Voraussetzung (29.1) kon-vergiert

∑∞k=1 gk(x) absolut nach dem Majoranten-Kriterium (Satz V.36). Setze

fn(x) :=n∑

k=1

gk(x), f (x) :=∞∑

k=1

gk(x), x ∈ X, n ∈ N.

Zu zeigen ist fnglm.

−−−−→n→∞ f . Für beliebiges " > 0 gibt es wegen (29.1) ein N ∈ Nmit

∀ n ≥ N :∞∑

k=n+1

‖gk‖∞ < ".

Dann folgt für alle n ≥ N und alle x ∈ X mit der verallgemeinerten Dreiecksunglei-chung (Proposition V.35):

∥∥fn(x) − f (x)∥∥ =

∥∥∥ ∞∑k=n+1

gk(x)∥∥∥ ≤

∞∑k=n+1

∥∥gk(x)∥∥ ≤

∞∑k=n+1

‖gk‖∞ < ".

Page 136: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

128 VIII Integralrechnung inR

B2(x) :=1

�2

∞∑k=1

cos(2k�x)

k2konvergiert absolut und gleichmäßig auf R, da nach

Beispiel V.21 gilt:

∞∑k=1

1

k2< ∞.

Tatsächlich ist B2(x) = x2 − x + 16 das zweite der Bernoulli-Polynome Bn, die z.B. bei

der Berechnung der Werte der Riemannschen Zeta-Funktion (Beispiel VIII.31) angeradzahligen Stellen auftreten ([18, Abschnitt 41]):

(2n) =∞∑

k=1

1

k2n=

(2�)2n

2(2n)!|B2n(0)|, n ∈ N; speziell:

∞∑k=1

1

k2=

�2

6.

Beispiel VIII.39

Die wichtigste Anwendung für das Kriterium von Weierstraß sind Potenzreihen.

Der folgende Satz ist eine wichtige Vorbereitung für die Funktionentheorie oder Kom-plexe Analysis, in der es um Funktionen von C nach C geht (siehe z.B. [11, Ab-schnitt III.2]):

Für eine Potenzreihe f (z) :=∑∞

k=0 ak(z − a)k mit Koeffizienten ak ∈ C, k ∈ N, undKonvergenzradius R > 0 gilt für jedes 0 < < R:

(i) z �→∞∑

k=0

ak(z−a)k konvergiert absolut und gleichmäßig auf B (a) gegen f ,

(ii) z �→∞∑

k=1

kak(z−a)k−1 konvergiert absolut und gleichmäßig auf B (a) gegen f ′.

Satz VIII.40

Beweis. Setze gk(z) := ak(z − a)k, z ∈ C, k ∈ N. Wähle z0 ∈ C mit < |z0 − a| < R.Dann gilt für z ∈ B (a) mit q :=

|z0 −a| < 1 (vgl. Beweis von Lemma V.49):

∣∣gk(z)∣∣ =

∣∣ak(z0 − a)k∣∣︸ ︷︷ ︸

=:C

∣∣∣∣ z − a

z0 − a

∣∣∣∣k ≤ Cqk �⇒ ‖gk‖∞ ≤ Cqk .

Behauptung (i) für f folgt mit Hilfe der geometrischen Reihe aus dem Kriterium vonWeierstraß (Satz VIII.38). Analog zeigt man, dass die Potenzreihe in (ii) absolut undgleichmäßig auf B (a) konvergiert; dass die Grenzfunktion f ′ ist, folgt aus Satz VIII.37,weil g ′

k(x) = kak(z − a)k−1, z ∈ C, k ∈ N.

Potenzreihen dürfen im Innern ihres Konvergenzkreises gliedweise differenziertund integriert werden.

Korollar VIII.41

Beweis. Die Behauptung folgt aus den Sätzen VIII.40, VIII.36 und VIII.37.

Page 137: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

29 Gleichmäßige Konvergenz von Funktionenfolgen 129

Die Potenzreihen

sinh(z) :=∞∑

k=0

z2k+1

(2k + 1)!, cosh(z) :=

∞∑k=0

z2k

(2k)!, z ∈ C,

definieren die hyperbolischen trigonometrischen Funktionen Sinus hyperbolicusund Cosinus hyberbolicus, die auf C unendlich oft differenzierbar sind mit

sinh′(z) =∞∑

k=0

(2k + 1)z2k

(2k + 1)!=

∞∑k=0

z2k

(2k)!= cosh(z), cosh′(z) = sinh(z), z ∈ C.

Beispiel VIII.42

Übungsaufgaben

VIII.1. Beweise die Eigenschaften des Riemann-Integrals aus Proposition VIII.12 und VIII.13.

VIII.2. Bestimme mit Hilfe von Ober- und Untersummen

∫ 1

−1x2 dx!

VIII.3. Zeige, dass die Funktion f (x) = x√

1 + x, x ∈ [0, 1], Riemann-integrierbar auf [0, 1] ist,und berechne ihr Riemann-Integral auf drei Weisen:

a) mit den Substitutionen '1(x) =√

1 + x und '2(x) = tan2(x);

b) mit partieller Integration.

VIII.4. Für welche s ∈ R konvergiert das Integral

∫ 1

0

1

xsdx und warum?

VIII.5. Zeige, dass die folgenden uneigentlichen Integrale konvergieren:

a)

∫ ∞

0

sin2(x) dx; b)

∫ 1

0

1

xsin( 1

x

)dx; c)

∫ ∞

0

sin(x)

xsdx, s > 0.

Konvergieren die Integrale in c) auch absolut?

VIII.6. Bestimme das unbestimmte Integral

∫x3 + x2 + x + 2

x4 + 3x2 + 2dx!

VIII.7. Leite mit Hilfe von Satz VIII.40 die Potenzreihe von arctan her (denke an die Ablei-tung von arctan ....) und daraus den Wert der alternierenden harmonischen Reihe (Bei-spiel IV.12 und Aufgabe VI.4):

∞∑k=0

(−1)k 1

2k + 1=

4.

VIII.8. Beweise, dass der Raum der beschränkten Funktionen B(X, E) auf einer Menge X mitWerten in einem vollständigen normierten Raum E mit der Supremumsnorm ‖ · ‖∞(Definition VIII.32) ein vollständiger normierter Raum ist.

VIII.9. Zeige, dass für die hyberbolischen Funktionen sinh und cosh für x, y ∈ R folgendeIdentitäten gelten:

Page 138: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

130 VIII Integralrechnung inR

a) sinh(x) = 12

(exp(x) − exp(−x)

), cosh(x) = 1

2

(exp(x) + exp(−x)

);

b) cosh2(x) − sinh2(x) = 1;

c) sinh(x + y) = cosh(x) sinh(y) + cosh(y) sinh(x);

d) cosh(x + y) = cosh(x) cosh(y) + sinh(x) sinh(y).

Wie hängen sinh und cosh mit sin und cos zusammen?

VIII.10. Bestimme jeweils eine Stammfunktion für den Tangens hyperbolicus und den Cotan-gens hyberbolicus:

tanh:R→ R, tanh :=sinh

cosh, coth:R \ {0} → R, coth :=

cosh

sinh.

Skizziere die Graphen der hyperbolischen Funktionen sinh, cosh, tanh, coth auf R!

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IX Taylorpolynome und -reihen

Wann kann man Funktionen lokal durch Polynome approximieren? Um physikalischeGleichungen zu vereinfachen, wird z.B. gerne sin(x) ≈ x für „kleine“ x angenom-men. Aber wie klein muss x sein, damit die Näherung noch akzeptabel ist? AnalogeFragen entstehen, wenn man Funktionswerte mit einem Computer mit vorgegebenerGenauigkeit approximieren will.

� 30Taylorpolynome

Die Grundidee der Taylorapproximation versteht man am besten, wenn man die er-sten beiden Schritte „zu Fuß“ überlegt. Dazu sei I ⊂ R ein abgeschlossenes Intervall,f : I → R eine Funktion und x0 ∈ I fest.

(1) Ist f einmal stetig differenzierbar, liefert der Fundamentalsatz der Differential-und Integralrechnung (Korollar VIII.22):

f (x) = f (x0)︸ ︷︷ ︸=:P0(x)

(Polynom 0. Grades)

+

∫ x

x0

f ′(t) dt,︸ ︷︷ ︸=:R0(x) („Rest“)

(30.1)

und mit K1 := max{|f ′(x)|: x ∈ I} gilt

|R0(x)| ≤ K1 |x − x0|, x ∈ I.

(2) Ist f zweimal stetig differenzierbar, ergibt partielle Integration in (30.1):

f (x) = f (x0) +[

− f ′(t)(x − t)]t=x

t=x0−

∫ x

x0

(− f ′′(t)(x − t)

)dt

= f (x0) + f ′(x0)(x − x0)︸ ︷︷ ︸=:P1(x)

(Polynom 1. Grades)

+

∫ x

x0

f ′′(t)(x − t) dt︸ ︷︷ ︸=:R1(x) („Rest“)

,

und mit K2 := max{|f ′′(x)|: x ∈ I} gilt, z.B. für x ≥ x0 (analog für x ≤ x0):

|R1(x)| ≤ K2

∫ x

x0

| x − t︸︷︷︸≥0

| dt = K2

[−

(x − t)2

2

]t=x

t=x0

= K2|x − x0|2

2.

Page 140: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

132 IX Taylorpolynome und -reihen

Tangente von f in x0

P1(x)

f(x)

R1(x)

x0 x

Abb. 30.1: Der Rest R1 hängt von der Krümmung f ′′ von f ab

Im Folgenden sei wieder K = R oder C und I ⊂ R immer ein Intervall.

Taylorsche1 Formel. Sind n ∈ N0, f ∈ Cn+1(I, K) und x0 ∈ I, so ist

f (x) = f (x0) + f ′(x0)(x − x0) + · · · +f (n)(x0)

n!(x − x0)n + Rn(x)

für x ∈ I, wobei

Rn(x) =1

n!

∫ x

x0

f (n+1)(t)(x − t)n dt (Cauchysche Form des Restgliedes).

Satz IX.1

Beweis (durch vollständige Induktion nach n). Der Fall n = 0 war in (30.1) gezeigt. ImInduktionsschritt gehen wir genau wie in Schritt (2) oben vor:

n� n + 1: Nach Induktionsvoraussetzung und mit partieller Integration folgt:

Rn(x) =1

n!

∫ x

x0

f (n+1)(t)(x − t)n dt

=1

n!

([−f (n+1)(t)

(x − t)n+1

n + 1

]t=x

t=x0

+

∫ x

x0

f (n+2)(t)(x − t)n+1

n + 1dt

)

=f (n+1)(x0)

(n + 1)!(x − x0)n+1 +

1

(n + 1)!

∫ x

x0

f (n+2)(t)(x − t)n+1 dt︸ ︷︷ ︸=Rn+1(x)

.

Für n ∈ N0, f ∈ Cn(I,C) und x0 ∈ I ist das Taylorpolynom der Ordnung n von f inx0 definiert als

Pn(x) := f (x0) + f ′(x0)(x − x0) + · · · +f (n)(x0)

n!(x − x0)n

=n∑

k=0

f (k) (x0)

k!(x − x0)k, x ∈ I.

Definition IX.2

1Brook Taylor, ∗ 18. August 1685 in Edmonton, 29. Dezember 1731 in Somerset House, London, eng-lischer Mathematiker, der neben der erst Jahrzehnte später durch Lagrange gewürdigten Taylorentwicklungdie Finite-Differenzen-Methode erfand.

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30 Taylorpolynome 133

Wir wissen bereits, dass f ′ = 0 genau dann gilt, wenn f konstant, also ein Polynom vomGrad 0, ist (Korollar VII.20). Jetzt können wir allgemeiner zeigen:

Ist n ∈ N0 und f ∈ Cn+1(I,C), so gilt:

f ist Polynom vom Grad ≤ n ⇐⇒ f n+1 = 0.

Korollar IX.3

Beweis. „�⇒“: Diese Implikation ist offensichtlich.

„⇐�“: Mit der Cauchyschen Form des Restglieds in der Taylorschen Formel (Satz IX.1)folgt aus der Voraussetzung Rn = 0, also f = Pn.

Es seien n ∈ N0, f ∈ Cn(I,C) und x0 ∈ I. Dann existiert genau ein Polynom P vomGrad ≤ n mit

P(k)(x0) = f (k)(x0), k = 0, 1, . . . , n,

nämlich das Taylorpolynom Pn der Ordnung n von f in x0.

Proposition IX.4

Beweis. Eine gutes Training für Taylorpolynome (Aufgabe IX.1)!

Speziell für reellwertige Funktionen gibt es noch eine weitere Form des Restterms:

Es seien n ∈ N0, f ∈ Cn+1(I,R) und x0, x ∈ I. Dann existiert ein � ∈ (x0, x) bzw.(x, x0) mit

Rn(x) =f (n+1)(�)

(n + 1)!(x − x0)n+1 (Lagrangesche2 Form des Restgliedes).

Satz IX.5

Beweis. Da Rn = f − Pn für n ∈ N, folgt aus Proposition IX.4 und P(n+1)n = 0:

R(k)n (x0) = f (k)(x0) − P(k)

n (x0) = 0, k = 0, 1, . . . , n, R(n+1)n = f (n+1).

Nach dem verallgemeinerten Mittelwertsatz (Satz VII.32) (dafür braucht man f reell-wertig!) existieren sukzessive �1, . . . �n+1 ∈ (x0, x) bzw. (x, x0) mit

Rn(x)

(x − x0)n+1=

Rn(x) −

=0︷ ︸︸ ︷Rn(x0)

(x − x0)n+1 − (x0 − x0)n+1︸ ︷︷ ︸=0

=R′

n(�1)

(n + 1)(�1 − x0)n

=1

(n + 1)

R′n(�1) −

=0︷ ︸︸ ︷R′

n(x0)

(�1 − x0)n − (x0 − x0)n︸ ︷︷ ︸=0

=1

(n + 1)

R′′n(�2)

n(�2 − x0)n−1

= · · · =R(n+1)

n (�n+1)

(n + 1)!=

f (n+1)(�n+1)

(n + 1)!.

Die Behauptung folgt dann mit � := �n+1.

2Joseph-Louis Lagrange, ∗25. Januar 1736 in Turin, 10. April 1813 in Paris, brillierte in allen Gebietender Analysis, der Zahlentheorie und der analytischen Mechanik.

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134 IX Taylorpolynome und -reihen

Aus der Lagrangeschen Form folgen sofort konkrete Restgliedabschätzungen:

Sind I ⊂ R Intervall, f ∈ Cn+1(I,R), x0 ∈ I , und gibt es K ≥ 0 mit

| f (n+1)(t)| ≤ K , t ∈ I, (30.2)so gilt

|Rn(x)| ≤ K

(n + 1)!|x − x0|n+1, x ∈ I.

Korollar IX.6

Bemerkung. Ist I ein abgeschlossenes Intervall, gilt (30.2) nach Satz VI.37 vomMinimum und Maximum immer; insbesondere gilt für jedes ı > 0 mit K :=max

{| f (n+1)(t)|: t ∈ [x0 − ı, x0 + ı]}

:

|Rn(x)| ≤ K

(n + 1)!ın+1, x ∈ [x0 − ı, x0 + ı].

In Satz VII.24 (ii) haben wir lokale Extrema x0 mit Hilfe des Vorzeichens von f ′′(x0)klassifiziert, falls f ′′(x0) �= 0 war. Die Lagrangesche Restgliedformel erlaubt uns nuneine Verallgemeinerung auf den Fall f (n+1)(x0) �= 0 für ein beliebiges n ∈ N.

Es seien I ⊂ R Intervall, n ∈ N0, f ∈ Cn+1(I,R) und x0 ∈ I . Gilt

f ′(x0) = f ′′(x0) = · · · = f (n)(x0) = 0, f (n+1)(x0) �= 0, (30.3)

so ist x0

(i) lokales Minimum, wenn n ungerade ist und f (n+1)(x0) > 0,

(ii) lokales Maximum, wenn n ungerade ist und f (n+1)(x0) < 0,

(iii) keine lokale Extremstelle, wenn n gerade ist.

Korollar IX.7

Beweis. Es sei etwa f (n+1)(x0) > 0 (sonst betrachte −f ). Da f (n+1) nach Voraussetzungstetig ist, existiert ein ı > 0, so dass

∀ x ∈ (x0 − ı, x0 + ı): f (n+1)(x) > 0.

Nach der Taylorschen Formel (Satz IX.1) und mit Voraussetzung (30.3) folgt:

f (x) = f (x0) + Rn(x), x ∈ (x0 − ı, x0 + ı).

n ungerade (d.h. n + 1 gerade): Nach Satz IX.5 gibt es ein � ∈ (x0 − ı, x0 + ı) mit

Rn(x) =1

(n + 1)!f (n+1)(�)︸ ︷︷ ︸

>0

(x − x0)n+1︸ ︷︷ ︸≥0

≥ 0 �⇒ x0 lokales Minimum. (30.4)

n gerade (d.h. n + 1 ungerade): Dann wechselt in (30.4) der Faktor (x − x0)n+1 in (30.4)das Vorzeichen auf (x0 − ı, x0 + ı) in x0, also folgt jetzt

Rn(x) =

{≥ 0, x ∈ (x0, x0 + ı)

< 0, x ∈ (x0 − ı, x0)�⇒ x0 keine lokale Extremstelle.

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30 Taylorpolynome 135

Zur qualitativen Formulierung der Taylorschen Formel (d.h. ohne genaue Konstantenin den Restgliedabschätzungen) ist die folgende Schreibweise nützlich.

Landausche3 Symbole. Es seien (X1, ‖ · ‖1), (X2, ‖ · ‖2) normierte Räume (z.B.Roder C), D ⊂ X1, f , g : D → X2 und a Häufungspunkt von D. Dann schreibt manfür x → a:

(i) f (x) = O(g(x)) :⇐⇒ ∃ ı > 0 ∃ C > 0 ∀ x ∈ D, ‖x − a‖1 < ı:‖f (x)‖2 ≤ C‖g(x)‖2,

(ii) f (x) = o(g(x)) :⇐⇒ limx→a‖f (x)‖2

‖g(x)‖2= 0.

Definition IX.8

Bemerkung. Offenbar gilt f (x) = o(g(x)) �⇒ f (x) = O(g(x)) für x → a.

Zur Veranschaulichung der Landau-Notation seien X1 = X2 = Rmit ‖ · ‖ = | · |,a = 0 und m ∈ N.

– xm =

{O(xk) für k = 0, 1, . . . , m,

o(xk) für k = 0, 1, . . . , m − 1,für x → 0.

Denn mit ı := 1 und C := 1 gilt

k ≤ m �⇒ |xm||xk | = |x|

≥0︷︸︸︷m−k ≤ C = 1 für 0 < |x| < ı = 1,

k < m �⇒ |xm||xk | = |x|

>0︷︸︸︷m−k → 0 für x → 0.

– P(x) = 1 + x + x2 + 3x3 = 1 + x + O(x2) = 1 + x + x2 + o(x2), x → 0.

Beispiele IX.9

Nach Korollar IX.6 gilt Rn(x) = O((x − x0)n+1) = o((x − x0)n), x → x0, also lässtsich die Taylorsche Formel qualitativ schreiben als

f (x) = f (x0) + f ′(x0)(x − x0) + · · · +f (n)(x0)

n!(x − x0)n +

{O((x − x0)n+1),o((x − x0)n).

Bemerkung IX.10

Wir wollen die Restgliedabschätzungen aus Korollar IX.6 jetzt bei unserem anfängli-chen Beispiel sin(x) ≈ x für „kleine“ x testen:

3Edmund Landau, ∗ 14. Februar 1877, 19. Februar 1938 in Berlin, deutscher Mathematiker, im DrittenReich bereits 1933/34 von seiner Professur aus Göttingen vertrieben, machte sich sehr um die analytischeZahlentheorie verdient.

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136 IX Taylorpolynome und -reihen

Betrachte f (x) = sin(x), x ∈ R, in x0 = 0. Es gilt für k ∈ N0:

f (2k)(x) = (−1)k sin(x), f (2k+1)(x) = (−1)k cos(x), x ∈ R.

Damit sind die Taylorpolynome von sin in x0 = 0 gegeben durch

P2k−1(x) = P2k(x) = x −x3

3!+

x5

5!− · · · + (−1)k−1 x2k−1

(2k − 1)!=

k∑l=1

(−1)l−1

(2l − 1)!x2l−1.

Die Restglieder Rn(x) = sin(x) − Pn(x) für n = 2k − 1, 2k können mit Hilfe von|sin(x)|, |cos(x)| ≤ 1, x ∈ R, nach Korollar IX.6 abgeschätzt werden durch

|R2k−1(x)| = |R2k(x)| ≤ 1

(2k + 1)!|x|2k+1.

Also gilt z.B. für I = [−0.1, 0.1]:

| sin(x) − x| = |R1(x)| ≤ 1

3!|x|3 ≤ (0.1)3

3!= 0.000166666 . . . , x ∈ [−0.1, 0.1] .

Beispiel IX.11

Berechne die Eulersche Zahl e auf 6 Nachkommastellen genau!

Für f (x) = exp(x), x ∈ R, gilt für jedes k ∈ N0:

f (k)(x) = exp(x), f (k)(0) = 1.

Damit sind die Taylorpolynome von exp in 0 gegeben durch

Pn(x) = 1 + x +x2

2+

x3

3!+ · · · +

xn

n!=

n∑k=0

xn

k!. (30.5)

Die Restglieder Rn(x) = exp(x) − Pn(x) schätzt man für x ∈ I = [−1, 1] mit Korol-lar IX.6 ab. Da exp streng monoton wächst (Satz VI.44), folgt mit Aufgabe III.1 c):

| exp(x)| ≤ | exp(1)| = e = limn→∞

n∑k=1

1

k!≤ 3, x ∈ [−1, 1], (30.6)

also folgt

|Rn(x)| ≤ 3

(n + 1)!|x|n+1 ≤ 3

(n + 1)!, x ∈ [−1, 1]. (30.7)

Wir benutzen zur analytischen Approximation von e = exp(1) das TaylorpolynomPn(1) und als numerische Näherung für Pn(1) eine endliche Dezimalzahl Pn(1).Gesucht ist also n ∈ N so, dass

| exp(1) − Pn(1)| ≤ | exp(1) − Pn(1)|︸ ︷︷ ︸Analysis

+ |Pn(1) − Pn(1)|︸ ︷︷ ︸Numerik

< 10−6︸ ︷︷ ︸Forderung!

. (30.8)

Es ist

Pn(1) = 1 + 1 +1

2+

1

3!+ · · · +

1

n!=

n! + n! + n!2 + n!

3! + · · · + 1

n!︸ ︷︷ ︸Der Zähler dieses Bruches ist inN

.

Beispiel IX.12

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31 Taylorreihen 137

Ist Pn(1) auf 6 Nachkommastellen genau, ist |Pn (1)−Pn(1)| < 0.5·10−6 (dazu mussPn(1) mindestens 7 Nachkommastellen haben, und die 6. und 7. Stelle dürfen nicht0 sein; z.B. kann 3.0123400 durch Rundung 3.012339988 �→ 3.0123400 entstehen).Wegen der Abschätzung (30.7) gilt dann (30.8), wenn n ∈ N so groß ist, dass auch

|Rn(1)| = | exp(1) − Pn(1)| ≤ 3

(n + 1)!< 0.5 · 10−6.

Man prüft leicht nach, dass das kleinste n mit dieser Eigenschaft n = 10 ist. WegenP10(1) = 2.71828180114 ist dann P10(1) = 2.7182818 eine auf mindestens 6(tatsächlich sogar 7) Nachkommastellen genaue Darstellung von e.

Tabelle 30.1: Approximationen von e (auf 10 Stellen gerundet)

n yn =∑n

k=01k! xn = (1 + 1

n )n e

1 2.0000000000 2.00000000004 2.7083333333 2.44140625005 2.7166666666 2.4883200000...

......

10 2.7182818011 2.5937424601100 2.7182818284 2.70481382942 2.7182818284590...

Die sehr unterschiedliche Konvergenzgeschwindigkeit der beiden gegen e konvergie-renden Folgen yn = Pn(1) =

∑nk=0

1k! und xn = (1+ 1

n )n (vgl. Satz IV.46 und PropositionIV.47) zeigt Tabelle 30.1. Die Folge xn hat für n = 100 erst eine gültige Nachkommastelle.

� 31Taylorreihen

Das vorige Beispiel zeigt, dass die Taylorpolynome der Ordnung n von exp in 0 nichtsanderes sind als die n-ten Partialsummen der Potenzreihe, die exp definiert:

exp(x) =∞∑

k=0

xk

k!= lim

n→∞ Pn(x), x ∈ R,

(siehe (30.5) und Satz IX.1). Gilt dies auch für andere Funktionen?

Ist I ⊂ R ein Intervall, f ∈ C∞(I, K) und x0 ∈ I , so heißt

Tf ,x0 (x) :=∞∑

k=0

f (k)(x0)

k!(x − x0)k, x ∈ I,

Taylorreihe von f in x0. Gibt es ein ı > 0 mit Tf ,x0 (x) → f (x), x ∈ (x0 − ı, x0 + ı),so sagt man, f besitzt eine Taylorentwicklung in x0.

Definition IX.13

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138 IX Taylorpolynome und -reihen

Der Konvergenzradius der Taylorreihe kann 0 sein (Aufgabe IX.4). Auch wenn dieTaylorreihe konvergiert, muss sie nicht gegen f konvergieren:

Bemerkung IX.14

Für die Funktion

f :R → R, f (x) =

{exp

(− 1

|x|), x �= 0,

0, x = 0,

gilt f ∈ C∞(R) und f (k)(0) = 0, k ∈ N0 (Aufgabe VII.3). Damit folgt Tf ,0(x) = 0für alle x ∈ R, aber

| f (x) − Pn(x)︸ ︷︷ ︸=0

| =

{exp

(− 1

|x|) n→∞

−−−−−→� 0, x �= 0,

0, x = 0.

Beispiel

Es seien I ⊂ R ein Intervall, f ∈ C∞(I,C), x0 ∈ I und ı > 0. Dann gilt fürx ∈ (x0 − ı, x0 + ı):

Tf ,x0 (x)n→∞−−−−→ f (x) ⇐⇒ Rn(x)

n→∞−−−−→ 0.

Proposition IX.15

Beweis. Die Behauptung folgt direkt aus der Taylorschen Formel (Satz IX.1) im Grenz-wert n → ∞, denn danach gilt:

f (x) −n∑

k=0

f (k)(x0)

k!(x − x0)k = Rn(x), n ∈ N.

Es sei I ⊂ R ein Intervall, und f : I → C besitze eine Potenzreihenentwicklung inx0 ∈ I mit Konvergenzradius R, also

f (x) =∞∑

k=0

ak(x − x0)k, x ∈ (x0 − R, x0 + R), (31.1)

mit ak ∈ C. Dann stimmt die Potenzreihe mit der Taylorreihe überein, d.h., es gilt

ak =f (k)(x0)

k!, k ∈ N0.

Proposition IX.16

Beweis. Gliedweises Differenzieren der Potenzreihe (31.1) liefert (Korollar VIII.41):

f ′(x) =∞∑

k=1

k ak(x − x0)k−1,

...

f (m)(x) =∞∑

k=m

k (k − 1) · · · (k − m + 1) ak (x − x0)k−m, m ∈ N.

Einsetzen von x = x0 liefert dann f (m)(x0) = m! am, m ∈ N0.

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31 Taylorreihen 139

Schon bekannte Taylorreihen sind (Satz V.41 und Aufgabe V.6):

exp(x) =∞∑

k=0

xk

k!, sin(x) =

∞∑k=0

(−1)k x2k+1

(2k + 1)!, cos(x) =

∞∑k=0

(−1)k x2k

(2k)!.

Beispiel IX.17

Logarithmusreihe. Für x ∈ (−1, 1] gilt:

ln(1 + x) =∞∑

k=1

(−1)k−1

kxk.

Satz IX.18

Beweis. Für x∈ (−1, 1) liefern Integration und geometrische Reihe (Beispiel V.17):

ln(1 + x) =[ln(1 + t)

]t=x

t=0=

∫ x

0

1

1 + tdt =

∫ x

0

∞∑k=0

(−1)ktk dt.

Da der Konvergenzradius der geometrischen Reihe 1 ist, dürfen wir nach Korol-lar VIII.41 gliedweise integrieren und erhalten

ln(1 + x) =∞∑

k=0

(−1)k

∫ x

0tk dt =

∞∑k=0

(−1)k xk+1

k + 1=

∞∑k=1

(−1)k−1 xk

k.

Für x = 1 folgt Gleichheit aus dem folgenden Abelschen Grenzwertsatz (Satz IX.20),weil die alternierende harmonische Reihe konvergiert (Beispiel V.24).

Die alternierende harmonische Reihe (Beispiel V.24) hat den Wert

ln(2) =∞∑

k=1

(−1)k−1

k= 1 −

1

2+

1

3−

1

4+ · · · .

Korollar IX.19

Abelscher4 Grenzwertsatz. Sind (ak)k∈N0 ⊂ R und∑∞

k=0 ak konvergent, so kon-vergiert die Potenzreihe

∞∑k=0

akxk =: f (x) (31.2)

für x ∈ [0, 1] und stellt eine auf [0, 1] stetige Funktion f dar.

Satz IX.20

Beweis. Nach Voraussetzung und Lemma V.49 ist der Konvergenzradius von (31.2)mindestens 1, also folgt die Behauptung für alle x ∈ [0, 1) nach Satz VI.13. Da derPunkt x = 1 auf dem Rand des Konvergenzkreises liegen kann, ist noch zu zeigen, dass

4Niels Henrik Abel, ∗ 5. August 1802 auf der Insel Finnøy, 6. April 1829 in Froland, norwegischerMathematiker, der sich mit elliptischen Integralen beschäftigte und zeigte, dass es für algebraische Gleichun-gen 5. Ordnung keine Lösungsformel geben kann; der nach ihm benannte Abel-Preis ist der „Nobelpreis derMathematik“ (siehe www.abelprize.no).

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140 IX Taylorpolynome und -reihen

limx→1 f (x) = f (1) gilt. Dazu setzen wir

rn :=∞∑

k=n+1

ak , n = −1, 0, 1, . . . .

Aus der Definition und der Konvergenz von∑∞

k=0 ak folgt

r−1 = f (1), rn − rn−1 = −an, limn→∞ rn = 0.

Als Nullfolge ist (rn)n∈N insbesondere beschränkt, also existiert ein K > 0 mit

|rn| ≤ K , n = −1, 0, 1 . . . .

Da die geometrische Reihe für |x| < 1 konvergiert, konvergiert nach dem Majoranten-kriterium (Satz V.36) auch

∑∞n=0 rnxn für |x| < 1, und für 0 ≤ x < 1 ist:

(1 − x)∞∑

n=0

rnxn =∞∑

n=0

rnxn −∞∑

n=0

rnxn+1 =∞∑

n=0

rnxn −∞∑

n=1

rn−1xn

=∞∑

n=0

=−an︷ ︸︸ ︷(rn − rn−1

)xn +

=f (1)︷︸︸︷r−1 = f (1) −

∞∑n=0

anxn = f (1) − f (x).

Ist nun " > 0 beliebig, so gibt es ein N ∈ N, ohne Einschränkung N > "2K , mit

∀ n ≥ N : |rn| <"

2.

Setze ı := "2NK . Dann gilt für x ∈ (1 − ı, 1):

|f (1) − f (x)| ≤ (1 − x)︸ ︷︷ ︸<ı

N−1∑n=0

|rn|︸︷︷︸≤K

xn︸︷︷︸<1

+ (1 − x)∞∑

n=N

|rn|︸︷︷︸<"/2

xn

< ıNK +"

2(1 − x)

∞∑n=N

xn ≤ "

2+

"

2(1 − x)

=1/(1−x)︷ ︸︸ ︷∞∑

n=0

xn = ".

Allgemeine Binomialkoeffizienten. Für ˛ ∈ R und k ∈ N0 setze(˛

k

):=

k∏l=1

˛ − l + 1

l.

Definition IX.21

Der Spezialfall ˛ = n ∈ N0 und k = 0, 1, . . . , n ist genau unsere frühere Definiti-on II.13; für ˛ = n ∈ N0, und k ≥ n + 1 ist(

n

k

)=

k∏l=1

n − l + 1

l= 0,

da im Produkt rechts dann für l = n + 1 der Faktor 0 auftritt.

Bemerkung IX.22

Page 149: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

31 Taylorreihen 141

0

)= 1,

1

)= ˛,

2

)=

˛(˛ − 1)

2.

(−1

k

)=

k∏l=1

−1 − l + 1

l=

k∏l=1

(−1) = (−1)k, k ∈ N0.

Beispiele IX.23

Binomische Reihe. Für ˛ ∈ R und |x| < 1 gilt:

(1 + x)˛ =∞∑

k=0

k

)xk.

Satz IX.24

Bemerkung. Für ˛ = n ∈ N0 ist nach Bemerkung IX.22 die Summe in der binomi-schen Reihe endlich und reduziert sich auf den binomischen Lehrsatz (Satz II.16).

Beweis von Satz IX.24. Nach obiger Bemerkung ist nur für den Fall ˛ /∈ N0 etwas zubeweisen. Für f (x) := (1 + x)˛ , x ∈ R, und beliebiges k ∈ N0 gilt:

f (k)(x) = ˛(˛ − 1) · · · (˛ − k + 1)(1 + x)˛−k = k!

k

)(1 + x)˛−k.

Also ist die Taylorreihe von f in 0 gegeben durch

Tf ,0(x) =∞∑

k=0

f (k)(0)

k!xk =

∞∑k=0

k

)xk =:

∞∑k=0

akxk.

Behauptung 1: Tf ,0(x) hat Konvergenzradius 1.

Beweis: Wegen ˛ /∈ N0 gilt ak �= 0, k ∈ N0. Nach der Quotientenformel für denKonvergenzradius R (Proposition V.51 (ii)) folgt für k �= 0:∣∣∣ ak

ak+1

∣∣∣ =

∣∣∣∣(˛

k

)( ˛k+1

) ∣∣∣∣ =|k + 1|

|˛ − (k + 1) + 1| =1 + 1

k∣∣˛k − 1

∣∣ k→∞−−−−−→ 1 = R.

Behauptung 2: Tf ,0(x) → f (x) für |x| < 1.

Beweis: Nach Proposition IX.15 ist Rn(x) → 0, n → ∞, zu zeigen. Mit TaylorscherFormel (Satz IX.1) und den oben berechneten Ableitungen von f gilt:

Rn(x) =1

n!

∫ x

0f (n+1)(t)(x − t)n dt

= (n + 1)

n + 1

)∫ x

0(1 + t)˛−(n+1)(x − t)n dt.

Wir betrachten den Fall 0 ≤ x < 1; der Fall −1 < x < 0 ist zur Übung empfohlen(Aufgabe IX.5). Setze

Cx := max{1, (1 + x)˛} ≤ max{1, 2˛} =: C.

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142 IX Taylorpolynome und -reihen

Dann gilt für 0 ≤ t ≤ x:

0 ≤ (1 + t)︸ ︷︷ ︸≥1

˛−(n+1) ≤ (1 + t)˛ ≤ (1 + x)˛ ≤ Cx,

also folgt

|Rn(x)| ≤ (n + 1)

∣∣∣∣( ˛

n + 1

)∣∣∣∣Cx

∫ x

0(x − t)n dt ≤ C

∣∣∣∣( ˛

n + 1

)∣∣∣∣ xn+1.

Nach Behauptung 1 konvergiert∑∞

n=0

( ˛n+1

)xn+1, also muss

(( ˛n+1

)xn+1

)n∈N eine Null-

folge sein (Satz V.15), und es folgt Rn(x) → 0, n → ∞.

Mit Hilfe von Beispiel IX.23 sieht man jeweils für |x| < 1:

– ˛ = −1:1

1 + x=

∞∑k=0

(−1)kxk,

1

1 − x=

∞∑k=0

(−1)k(−x)k =∞∑

k=0

xk (geometrische Reihe),

– ˛ =1

2:

√1 + x = 1 +

1

2x −

1

8x2 + O(x3),

– ˛ = −1

2:

1√1 + x

= 1 −1

2x +

3

8x2 + O(x3).

Beispiele IX.25

� 32Iterationsverfahren

Im „wirklichen Leben“ ist es eher selten, dass man Lösungen von Gleichungen wieetwa Nullstellen explizit ausrechnen kann. Zum Beispiel können wir mit Hilfe desZwischenwertsatzes zwar zeigen, dass die Funktion (vgl. [2, Abschnitt IV.4])

g(x) = x5 e|x| −1

�x2 sin(ln(x2)) + 2012, x ∈ R \ {0},

eine Nullstelle hat (finden Sie ein Intervall, wo diese liegen muss!). Wie aber bestimmtman diese Nullstelle, zumindest näherungsweise?

Es seien X, Y Mengen, X ⊂ Y und f : X → Y eine Funktion. Ein Element a ∈ Xheißt Fixpunkt von f

:⇐⇒ f (a) = a.

Definition IX.26

Bemerkung. Es seien X = Y = R und g :R → R eine Funktion. Definiert manf (x) := g(x) + x, x ∈ R, so gilt:

a Fixpunkt von f ⇐⇒ a Nullstelle von g .

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32 Iterationsverfahren 143

Methode der sukzessiven Approximation: Es seien (X, d), (Y , d) metrische Räume,X ⊂ Y und f : X → Y eine Funktion mit f (X) ⊂ X. Definiere die Folge (xn)n∈N0 ⊂ Xdurch einen Startwert x0 ∈ X und rekursiv durch

xn+1 := f (xn), n ∈ N0.

Frage: Wann konvergiert die Methode der sukzessiven Approximation?

x1x3x5x4x2x0

x1 = f (x0)

x2 = f (x1)

x3 x1 x0 x2 x4x5

x2 = f (x1)

x1 = f (x0)

Abb. 32.1: Konvergenz und Divergenz der sukzessiven Approximation

Es seien (X, dX ), (Y , dY ) metrische Räume. Dann heißt eine Funktion f : X → YKontraktion

:⇐⇒ ∃ � ∈ [0, 1) ∀ x1, x2 ∈ X: dY

(f (x1), f (x2)

) ≤ � dX(x1, x2).

Definition IX.27

(i) Jede Kontraktion ist stetig.

(ii) f ist Kontraktion ⇐⇒ f ist Lipschitz-stetig mit Lipschitz-Konstante < 1(siehe Definition VI.3).

(iii) Ist Df ⊂ R ein Intervall und f: Df → R differenzierbar, so gilt

supx∈Df

|f ′(x)| < 1 �⇒ f Kontraktion.

Beweis. Es seien x1, x2 ∈ Df , ohne Einschränkung x1 < x2 (der Fall x1 = x2

ist trivial). Nach dem Mittelwertsatz existiert ein � ∈ (x1, x2), so dass

∣∣∣ f (x1) − f (x2)

x1 − x2

∣∣∣ = |f ′(�)| ≤=:�︷ ︸︸ ︷

supx∈Df

|f ′(x)| < 1.

Bemerkung IX.28

Banachscher Fixpunktsatz. Es seien (X, d), (Y , d) vollständige metrische Räume,X ⊂ Y , f : X → X eine Kontraktion mit Konstante � und f (X)⊂X. Dann gilt:

(i) f hat genau einen Fixpunkt a ∈ X.

Satz IX.29

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144 IX Taylorpolynome und -reihen

(ii) Die Folge (xn)n∈N0 ⊂ X, definiert durch xn+1 := f (xn), n ∈ N0, konvergiert fürjeden Startwert x0 ∈ X gegen a.

(iii) Es gilt die Fehlerabschätzung

d(xn, a)(1)≤ 1

1 − �d(xn+1, xn)

(2)≤ �n

1 − �d(x1, x0).

Die Voraussetzung f (X) ⊂ X kann entfallen, falls für den Startwert x0 gilt, dassf({xn: n ∈ N0}

) ⊂ X, d.h. die Folge (xn)n∈N0 in X bleibt.Bemerkung IX.30

Beweis. Wir zeigen zuerst zwei Behauptungen; die erste ist Ungleichung (2) aus (iii):

Behauptung 1: d(xn+1, xn) ≤ �nd(x1, x0), n ∈ N0.

Beweis (durch vollständige Induktion): Der Fall n = 0 ist offensichtlich.

n� n + 1: Weil f eine Kontraktion ist, gilt nach Definition von (xn)n∈N0 und Indukti-onsvoraussetzung:

d(xn+2, xn+1) = d(f (xn+1), f (xn)) ≤ � d(xn+1, xn) ≤ �n+1d(x1, x0).

Behauptung 2: d(x, y) ≤ 1

1 − �

(d(x, f (x)) + d(y, f (y))

), x, y ∈ X.

Beweis: Zweimalige Anwendung der Dreiecksungleichung liefert für x, y ∈ X:

d(x, y) ≤ d(x, f (x)) + d(f (x), f (y))︸ ︷︷ ︸≤� d(x,y)

+ d(f (y), y),

also

(1 − �) d(x, y) ≤ d(x, f (x)) + d(y, f (y)) .

Da 1 − � > 0, folgt die behauptete Ungleichung.

(i) Eindeutigkeit des Fixpunkts: Es seien x, y ∈ X mit x = f (x), y = f (y). Aus Behaup-tung 2 folgt d(x, y) = 0, also x = y.

Existenz des Fixpunkts und (ii): Aus Behauptung 2 mit x := xn+k und y := xn, n, k ∈ N0,und mit Behauptung 1 ergibt sich, da � < 1:

d(xn+k, xn)Beh. 2≤ 1

1 − �

(d(xn+k, f (xn+k)) + d(xn, f (xn))

)=

1

1 − �

(d(xn+k, xn+k+1) + d(xn, xn+1)

)Beh. 1≤ 1

1 − �

(�n+k︸︷︷︸≤�n

+�n)d(x1, x0)

≤ 2�n

1 − �d(x1, x0) −→ 0, n → ∞.

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32 Iterationsverfahren 145

Also ist (xn)n∈N eine Cauchy-Folge in X. Da X vollständig ist, existiert der Limesa := limn→∞ xn ∈ X. Nach Bemerkung IX.28 ist f als Kontraktion stetig, also gilt:

limn→∞ f (xn) = f (a)

limn→∞ f (xn) = lim

n→∞ xn+1 = a

}�⇒ f (a) = a.

(iii) Zu zeigen ist noch Ungleichung (1). Behauptung 2 mit x := xn, y := a liefert:

d(xn, a) ≤ 1

1 − �

(d(xn, f (xn)) + d(a, f (a))︸ ︷︷ ︸

=0

)=

1

1 − �d(xn, xn+1).

Die Frage, wie „gut“ ein Iterationsverfahren konvergiert, ist eine der zentralen Fragender Numerik (siehe z.B. [23]), die wir hier nur streifen:

Bemerkung. Die Methode der sukzessiven Approximation konvergiert linear, d.h., esgilt eine Abschätzung der Form

d(xn+1, a) = d(f (xn),

=a︷︸︸︷f (a)) ≤ � d(xn, a).

Newton5-Verfahren. Darunter versteht man einen speziellen Fall der Methode dersukzessiven Approximation zur Nullstellenbestimmung (Newtons Originalbeispiel von1704 war x3−2x−5 = 0). Dabei benutzt man die lineareApproximierbarkeit (TaylorscheFormel mit n = 1) für die Konstruktion der approximierenden Folge:

Es seien dazu a, b ∈ R, a < b, und g ∈ C2([a, b],R) mit

– g ′(x) �= 0, x ∈ [a, b],

– es existiert ein � ∈ (a, b) mit g(�) = 0.

Dann hat g genau eine Nullstelle in [a, b], denn weil g ′ stetig ist, ist entweder g ′ > 0 oderg ′ < 0 auf [a, b]. Wählt man xn+1 als die (eindeutige) Nullstelle des TaylorpolynomsP1 in xn,

P1(x) = g(xn) + g ′(xn)(x − xn), x ∈ R,

also xn+1 = f (xn) mit

f (x) := x −g(x)

g ′(x), x ∈ [a, b],

so ist das Newton-Verfahren die Methode der sukzessiven Approximation. Allerdingsmuss die Funktion f hier im Allgemeinen keine Kontraktion sein! Es hängt vom Start-wert x0 ab, ob die Folge (xn)n∈N0 gegen die Nullstelle � konvergiert:

5Sir Isaac Newton, ∗ 4. Januar 1643 in Woolsthorpe-by-Colsterworth, England, 31. März 1727 inLondon, englischer Physiker und Mathematiker und einer der größten Wissenschaftler überhaupt, Begründerder Differential- und Integralrechnung in Konkurrenz mit Leibniz und bekannt für seine Entdeckungen inOptik und Gravitation.

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146 IX Taylorpolynome und -reihen

ξa

g

b

P1 in x0

P1 in x1

x1 x0x2

ξ

g

ba x0x1

P1 in x1

P1 in x0

Abb. 32.2: Konvergenz und Divergenz des Newton-Verfahrens

Es sei g ∈ C2([a, b],R) mit g ′(x) �= 0, x ∈ [a, b], und es existiere ein � ∈ (a, b) mitg(�) = 0. Dann gibt es ein ı > 0, so dass für jedes x0 ∈ (� − ı, � + ı) = Bı(�) dieFolge (xn)n∈N0 , gegeben durch

xn+1 := xn −g(xn)

g ′(xn), n ∈ N0, (32.1)

gegen die Nullstelle � konvergiert.

Satz IX.31

Es seien x0 ∈ R, r > 0 und f : Kr(x0) = {x ∈ R: |x − x0| ≤ r} → R eine Kontraktionmit Konstante �. Gilt

|f (x0) − x0| ≤ (1 − �) r,

so hat f genau einen Fixpunkt, und die Methode der sukzessiven Approximation ausSatz IX.29 mit Startwert x0 konvergiert.

Lemma IX.32

Beweis. Wir wenden den Banachschen Fixpunktsatz (Satz IX.29) und die nachfolgendeBemerkung IX.30 mit X = Kr(x0), Y = R an. Dazu ist zu zeigen:

Behauptung 1: (Kr (x0), d), d(x, y) := |x − y|, ist ein vollständiger metrischer Raum.

Beweis: Dazu sei (yn)n∈N0 ⊂ Kr(x0) eine Cauchy-Folge. Weil (R, d) vollständig ist,existiert � := limn→∞ yn ∈ R. Noch zu zeigen ist, dass � ∈ Kr(x0). Wegen x0 − r ≤yn ≤ x0 + r folgt aus Korollar IV.37 sofort

x0 − r ≤ � = limn→∞ yn ≤ x0 + r.

Behauptung 2: f({xn: n ∈ N0}

) ⊂ Kr(x0).

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32 Iterationsverfahren 147

Beweis: Nach Behauptung 1 aus dem Beweis von Satz IX.29 und mit der geometrischenSummenformel (Satz II.7) ergibt sich:

|f (xn) − x0| = |xn+1 − x0|≤ |xn+1 − xn| + |xn − xn−1| + · · · + |x2 − x1| + |x1 − x0|≤ (�n + �n−1 + · · · + � + 1)|x1 − x0|=

1 − �n+1

1 − �|f (x0) − x0|︸ ︷︷ ︸≤(1−�)r n.Vor.

≤ (1 − �n+1) r ≤ r.

Nach Satz IX.29 und Bemerkung IX.30 folgt dann die Behauptung.

Beweis von Satz IX.31. Ziel ist es zu zeigen, dass es ein ı > 0 gibt, so dass für allex0 ∈ (� − ı, � + ı) ein r > 0 existiert, so dass die Funktion

f (x) := x −g(x)

g ′(x), x ∈ [a, b],

die Voraussetzungen von Lemma IX.32 erfüllt. Nach Satz VI.37 vom Minimum undMaximum und wegen g ′ �= 0 existieren Konstanten C1, C2, c > 0 mit

0 < c ≤ |g ′(x)| ≤ C1, |g ′′(x)| ≤ C2, x ∈ [a, b]. (32.2)

Da f ∈ C1([a, b],R) ist, können wir Bemerkung IX.28 (iii) benutzen, um zu zeigen,dass f eine Kontraktion ist. Nach Definition von f und Quotientenregel gilt:

f ′(x) = 1 −g ′(x)2 − g(x)g ′′(x)

g ′(x)2=

g(x)g ′′(x)

g ′(x)2, x ∈ [a, b].

Damit und mit (32.2) folgt

|f ′(x)| ≤ C2

c2|g(x)|, x ∈ [a, b].

Mit g(�) = 0, dem Mittelwertsatz und mit (32.2) ergibt sich

|g(x)| = |g(x) − g(�)| ≤ C1|x − � |, x ∈ [a, b]. (32.3)

Wähle nun " > 0 so klein, dass

K"(�) = [� − ", � + "] ⊂ [a, b] undC1C2

c2" ≤ 1

2.

Dann folgt insgesamt

|f ′(x)| ≤ C1C2

c2|x − � | ≤ C1C2

c2" ≤ 1

2, x ∈ [� − ", � + "].

Nach Bemerkung IX.28 (iii) ist dann f Kontraktion auf [� − ", � + "] = K"(�) mitKontraktionskonstante � = 1

2 .

Page 156: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

148 IX Taylorpolynome und -reihen

Um Lemma IX.32 anwenden zu können, müssen wir noch r > 0 und ı > 0 finden, sodass für alle x0 ∈ Bı(�) gilt Kr(x0) ⊂ K"(�) und |f (x0) − x0| ≤ r/2.

Setze r := "2 und ı := cr

2C1. Wegen 0 < c ≤ C1 ist ı ≤ r

2 = "4 , und für jedes beliebige

x0 ∈ Bı(�) und x ∈ Kr(x0) folgt:

|x − � | ≤ |x − x0|︸ ︷︷ ︸≤r

+ |x0 − � |︸ ︷︷ ︸<ı

< r + ı ≤ "

2+

"

4< ",

also ist Kr(x0) ⊂ K"(�). Weiter gilt nach Definition von f für x0 ∈ Bı(�):

|f (x0) − x0| =

∣∣∣∣ g(x0)

g ′(x0)

∣∣∣∣ (32.3), (32.2)≤ C1

c|x0 − � | ≤ C1ı

c=

r

2.

Insgesamt erfüllt f für jedes x0 ∈ Bı(�) die Voraussetzungen von Lemma IX.32 aufKr(x0), also hat f genau einen Fixpunkt ˛ ∈ Kr(x0) und limn→∞ xn = ˛. Da

f (x) = xg ′(x) �= 0⇐⇒ g(x) = 0,

gilt g(˛) = 0. Weil g wegen g ′ �= 0 auf [a, b] nur eine Nullstelle hat, folgt ˛ = � .

Bemerkung. Das Newton-Verfahren konvergiert quadratisch, d.h., es gibt c > 0 mit

|xn+1 − � | ≤ c |xn − � |2,

denn für n ∈ N0 existiert nach Satz IX.5 (Lagrangesche Form des Taylorschen Rest-glieds) ein �n ∈ (�, xn) bzw. (xn, �), so dass

0 = g(�) = g(xn) + g ′(xn)(� − xn) +g ′′(�n)

2(� − xn)2.

Mit den Bezeichnungen aus dem Beweis von Satz IX.31 folgt dann:

|� − xn+1| =∣∣∣� −

(xn −

g(xn)

g ′(xn)

)∣∣∣ =1

2

∣∣∣∣ g ′′(�n)

g ′(xn)

∣∣∣∣ |� − xn|2 ≤ C2

2c|� − xn|2.

Im Spezialfall, dass g konvex oder konkav ist, kann man die Konvergenz der Newton-Iteration aus Satz IX.31 auch direkt zeigen:

Ist in Satz IX.31 zusätzlich g konvex (bzw. konkav) und x0 ∈ (a, b) mit g(x0) > 0(bzw. g(x0) < 0), so konvergiert die Folge aus (32.1) gegen � .

Proposition IX.33

Beweis. Die Behauptung kann ohne Satz IX.31 gezeigt werden (Aufgabe IX.6)!

Anwendung. Approximation von Wurzeln k√

a = a1k mit a > 0, k ≥ 2:

Nach Definition ist k√

a die (eindeutige) positive Nullstelle der Funktion

g(x) = xk − a, x ∈ [0,∞).

Page 157: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

32 Iterationsverfahren 149

Es ist g ∈ C2([0,∞),R) und g ′(x) = k · xk−1 > 0, x ∈ (0,∞). Wegen g(0) = −a < 0und limx→∞ g(x) = ∞ existieren nach dem Zwischenwertsatz 0 < ˛ < ˇ < ∞ und� ∈ (˛, ˇ) mit g(�) = 0. Weiter ist g ′′(x) = k(k − 1)xk−2 > 0, x > 0, also g konvex auf(0, ∞) ⊃ [˛, ˇ].

Damit erfüllt g alle Voraussetzungen von Proposition IX.33. Ist also x0 > max{1, a}und damit g(x0) = xk

0 − a > 0, so konvergiert die Folge (xn)n∈N definiert durch

xn+1 := xn −xk

n − a

kxk−1n

=(

1 −1

k

)xn +

a

kxk−1n

, n ∈ N0,

gegen k√

a (vgl. Proposition IV.44). Speziell für k = 2 konvergiert

xn+1 =1

2

(xn +

a

xn

), n ∈ N0,

gegen√

a (vgl. den direkten Beweis in Satz IV.42 und Tabelle 32.2 für a = 2).

Tabelle 32.2: Konvergenz der Newton-Iteration gegen√

a für a = 2

n xn |√2 − xn|0 1 0.414213562373095048801688724211 1.5 0.085786437626904951198311275792 1.4166666666666666666666666666 0.002453104293571617864977942453 1.4142156862745098039215686274 0.000002123901414755119879903244 1.4142135623746899106262955788 0.000000000001594861824606854685 1.4142135623730950488016896235 0.000000000000000000000000899296 1.4142135623730950488016887242 0.00000000000000000000000000000

Übungsaufgaben

IX.1. Zeige die Charakterisierung der Taylorpolynome in Proposition IX.4!

IX.2. Berechne sämtliche Taylorpolynome der Funktionen

a) f :R→ R, f (x) = (x2 − 3x + 1)(x − 2) um x0 = 2,

b) g:R → R, g(x) = sin(x) um x0 =�

2,

c) h:R→ R, h(x) = 1 −2

exp(2x) + 1um x0 = 0,

d) tanh:R→ R, tanh(x) =sinh(x)

cosh(x)um x0 = 0;

was folgt aus c) und d)?

IX.3. Betrachte die drei Funktionen

f1(x) = ln(cos(x)), f2(x) = cosh(x), f3(x) =x2

2,

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150 IX Taylorpolynome und -reihen

auf ihren Definitionsbereichen. Zeige

∣∣ f1(x) − f2(x)∣∣ ≤ 2

3|x|3, x ∈

[−

4,

4

]und finde eine analoge Abschätzung für die Differenz von f2 und f3. Einer der Graphen derdrei Funktionen hat die Form einer (frei hängenden) Kettenlinie. Plotte die drei Graphenund rate welcher!

IX.4. Zeige, dass die Funktion

g:R→ R, g(x) =∞∑

k=0

cos(k2x)

2k,

beliebig oft differenzierbar ist und ihre Taylorreihe in x0 = 0 nur in 0 konvergiert.

IX.5. Zeige, dass die Taylorreihe Tf ,0(x) von f (x) =1

(1 + x)˛für ˛ /∈ N0 auch für −1 < x < 0

gegen f (x) konvergiert.

IX.6. Zeige die Konvergenz der Newton-Iteration in Proposition IX.33 für den Fall einer kon-vexen Funktion g direkt!

Page 159: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

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Page 161: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

Index

[·] 36, 72, 80‖ · ‖p 104| · ‖∞ 124∧ 1∨ 1× 3∼ 36∩ 3⊂ 3∪ 3\ 3∅ 3√ 40

k√ 42< 17> 17≥ 6≤ 6(n

k

)10

[f (x)]ba 118

inf 21lim 24lim inf 49lim sup 49sup 21C 45N 2, 5N0 5P(X) 3Q 13R 13, 37R+,R−,R0

+,R0− 38

R 37Rn 23Z 13B(X, E) 124

B"(a) 24C(D) 96C(X, Y ) 75Cn(D) 96C∞(D) 96K X 30K"(a) 24s(P, f ), S(P, f ) 110T[a, b] 110Y X 75e 42f ′ 89f (n) 96f ′± 97f (A) 4i 45o(·), O(·) 135� 28, 88, 149arccos 95arcsin 95arctan 95cos 69, 77, 87, 94, 95cosh 129cot 119coth 130deg 76diam 25exp 60ln 87, 95loga 87sign 18sin 69, 77, 87, 94, 95sinh 129tan 94, 95tanh 130

Page 162: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

154 Index

Abbildung 4Ableitung 89

höhere 96Kettenregel 93linksseitige, rechtsseitige 97Produkt- und Quotientenre-

gel 92Absolutbetrag 19, 90

einer komplexen Zahl 46Abstand 23abzählbar 56abzählbar unendlich 56Addition 14Anfangswertproblem 100Anordnung 9, 17

archimedische 19Approximation

sukzessive 143approximierbar

linear 92Äquivalenzklasse 36Äquivalenzrelation 36arccos 95arcsin 95arctan 95Axiom 5

-e von Peano 5Archimedisches 19

beschränkt-e Funktion 81-e Menge 20, 25-e Folge 25nach oben, unten 20

bijektiv 4Bild einer Menge 4Binomialkoeffizient 10, 140binomischer Lehrsatz 11, 141Bolzano 48

Cantors Konstruktion von R 37Cantorsches Diskontinuum 84Cauchy-Produkt 63Cosinus 69, 77, 87, 94, 95, 139Cosinus hyperbolicus 129Cotangens 119Cotangens hyperbolicus 130

Definitionsbereich 4deg 76diam 25Differentialgleichung 100Differentialquotient 89Differenz 6Differenzenquotient 89, 90differenzierbar 89

n-mal 96-e Funktion 89einseitig 97linksseitig, rechtsseitig 97stetig 96

disjunkt 3Distributivgesetz 14divergent 24, 50

bestimmt 35unbestimmt 35

Doppelreihensatz 62

e 42Einschränkung einer Funktion 4Element

größtes, maximales 20kleinstes, minimales 20

"-Umgebung 24, 38Euklidischer Algorithmus 6euklidisches Skalarprodukt 104Eulersche Formel 77Eulersche Zahl 42, 136exp siehe ExponentialfunktionExponentialfunktion 60, 64, 69, 77, 91,

100, 103, 107, 139Extremstelle

globale 98lokale 98

Fakultät 9Fixpunkt 142Folge 24

beschränkte 25Cauchy- 26divergente 24Fibonacci- 22, 26, 35, 44geometrische 24Häufungswert einer 28konstante 24konvergente 24monotone 40Null- 32Teil- 28

Page 163: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

Index 155

Funktion 4beschränkte 81differenzierbare 89Dirichlet- 73, 112gleichmäßig stetige 85hyberbolische 129, 130konkave 102konvexe 102Lipschitz-stetige 73, 74, 85rationale 76, 93Riemann-integrierbare 112(Riemannsche) Zeta- 124Stamm- 118stetige 71Treppen- 110Umkehr- 4, 94

Gauß-Klammer 72, 80, 81geometrische Summenformel 7gleichmächtig 56Goldener Schnitt 44Grad

eines Polynoms 76Graph 4Grenzwert 24

einer Funktion 78einer Funktion bei ∞ 82linksseitiger 80rechtsseitiger 80uneigentlicher 82

harmonische Reihe 51alternierende 54, 61, 139

Häufungspunkt 78Häufungswert 28, 35, 78

imaginäre Einheit 45Imaginärteil 46Induktionsprinzip 5Infimum 21injektiv 4Integral 109

Ober-, Unter- 110Riemann- 109, 112unbestimmtes 118uneigentliches 122

Integrationdurch Substitution 119partielle 120

integrierbar 112

Intervall 38kompaktes 84

Intervallschachtelung 43

kartesisches Produkt 3kompakt 84Komposition von Funktionen 4konjugierter Exponent 104Kontraktion 143konvergent 24, 50

absolut 57, 122gleichmäßig 125punktweise 125uneigentlich 35

Konvergenzradius 65Körper 14

angeordneter 17archimedisch angeordneter 19vollständiger 21

KriteriumLeibniz- 53Majoranten- 58Quotienten- 59von Leibniz 53von Riemann 112von Weierstraß 127Wurzel- 59

kritischer Punkt 98

Landausche Symbole 135Limes 24

inferior 49superior 49

Limes einer Funktion 78linear approximierbar 92Lipschitz-Konstante 73ln 87loga 87Logarithmus 87, 95, 103, 107

Stammfunktion des 121lokal Riemann-integrierbar 122

Mächtigkeit 56Majorante 58Maximum

globales 98lokales 98

Menge 3beschränkte 20, 25kompakte 84Mächtigkeit 56

Page 164: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

156 Index

Metrik 23diskrete 23euklidische 23

Minimumglobales 98lokales 98

Mittelwertsatz 99der Integralrechnung 115verallgemeinerter 105

modulo 36monoton

streng ∼ fallend 101fallend 40, 81, 101streng ∼ wachsend 101wachsend 40, 81, 101

Multiplikation 14

Nachfolger von n 5negativ 17Newton-Verfahren 145nichtnegativ 17nichtpositiv 17Norm 30

euklidische 31Supremums- 124

Obersumme 110

Partialbruchzerlegung 121Partialsumme 50Partition 110Pascalsches Dreieck 12Permutation 9� 88Polynom 76, 83, 93

Bernoulli- 128Potenz

ganzzahlige 8, 16rationale 40, 42, 107reelle 87, 107

Potenzmenge 3

Quadratwurzel 40, 148

RaumBanach- 31metrischer 23normierter 30Vektor- 29vollständiger metrischer 28

Realteil 46

RegelKetten- 93Leibniz- 97-n von L’Hopital 106Produkt- 92Quotienten- 92Substitutions- 119

Reihe 50absolut konvergente 57alternierende 53alternierende harmonische 54,

61, 139binomische 141divergente 50Exponential- 60, 137geometrische 51, 68, 142harmonische 51konvergente 50Logarithmus- 54, 139Potenz- 64, 128Taylor- 137

rekursive Definition 8Repräsentant 36Restglied

Cauchysche Form 132Lagrangesche Form 133

Riemann-Integral 109, 112komplexwertiges 114

Riemann-integrierbar 112lokal 122

Riemannsche Vermutung 124

s(P, f ), S(P, f ) 110Satz

Abelscher Grenzwertsatz 139Banachscher Fixpunktsatz 143Fundamentalsatz der

Differential- und Integral-rechnung 118

Identitätssatz für Potenzrei-hen 68

Mittelwertsatz (MWS) 99MWS der Integralrechnung 115Umordnungs- 61verallgemeinerter MWS 105vom Minimum und Maxi-

mum 84von Bolzano-Weierstraß 48von Rolle 99von Taylor 132

Page 165: (Mathematik Kompakt) Christiane Tretter (Auth.)-Analysis I-Birkhäuser Basel (2013)

Index 157

Wohlordnungssatz 6Zwischenwertsatz 83

Schrankegrößte untere 21kleinste obere 21obere 20untere 20

Signum 18Sinus 69, 77, 87, 94, 95, 139Sinus hyperbolicus 129Skalar 29Skalarprodukt 104stetig 71

gleichmäßig 85linksseitig, rechtsseitig 80Lipschitz- 73, 74, 85

stetige Fortsetzung einer Funktion 78streng monoton 81

fallend 40, 81, 101wachsend 40, 81, 101

Supremum 21surjektiv 4

Tangens 94, 95Tangens hyperbolicus 130Taylorentwicklung 137Taylorpolynom 132Taylorsche Formel 132

überabzählbar 56Umgebung 38Umkehrfunktion 4, 94

Ableitung der 94

Stetigkeit und Monotonieder 86

Umordnung 61Ungleichung

Bernoullische 18Cauchy-Bunyakovsky-

Schwarzsche 104Dreiecks- 19, 23, 47Höldersche 104Minkowskische 105verallgemeinerte Dreiecks- 58Youngsche 103

Untersumme 110Urbild einer Menge 4

Vektor 29Verfeinerung einer Partition 110vollständige Induktion 6Vollständigkeit 21, 28, 37, 43, 50Vorzeichen 18

Wertebereich 4Wurzel 40, 148

k-te 42, 148

Zahlenganze 13gerade, ungerade 2komplexe 45konjugiert komplexe 46natürliche 2, 5rationale 13reelle 37