Mehrgenerationen-Projekt K DAS DORF DER...

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16 BELLEVUE 1/2018 DEUTSCHLAND Mehrgenerationen-Projekt K urz hinter Rosenheim, ein paar Minuten von der Inntalautobahn A 93 entfernt, liegt Brannenburg, eine kleine Ortschaft am Fuß des Wendelsteins. In dieser Idylle des Voralpenlan- des entsteht derzeit ein Neubauprojekt, das die Quartiersplanung in Deutschland revolutionieren könnte. 2011 erwarb der Unternehmer Wolfgang Endler das rund 16 Hektar große Areal der ehema- ligen Karfreitkaserne und startete das 200-Millio- nen-Euro-Projekt „Dahoam im Inntal“. Bis 2020 sollen dort 800 Einwohner ein neues Zuhause finden, auf Bayerisch „Dahoam“. Unter diesem Begriff stellt sich Endler viel mehr vor als reines Wohnen. Das neu benannte Viertel Sägmühle soll für seine Bewohner ein echter Lebensmittel- punkt werden. Alle Generationen sollen sich hier treffen und miteinander leben – sich helfen, sich austauschen, eine echte Dorfgemeinschaft bilden, so wie das früher auf dem Land üblich war und in der Hektik der modernen Gesellschaft vielerorts verloren ging. Mit Geschäftsführer Rupert Voß hat Endler, Gründer des Modelabels Timezone, einen Part- ner an der Seite, der nicht nur seine Visionen teilt, Mehrgenerationen-Projekt DAS DORF DER ZUKUNFT Miteinander statt nebeneinander. Das Quartiers- projekt „Dahoam im Inntal“ bietet seinen Bewohnern nicht nur Wohnraum, sondern fördert aktiv die Gemeinschaft FOTOS: sl-pictures.de (7)

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16 BELLEVUE 1/2018

DEUTSCHLAND Mehrgenerationen-Projekt

K urz hinter Rosenheim, ein paar Minuten von der Inntalautobahn A 93 entfernt, liegt Bran nen burg, eine kleine Ortschaft am Fuß

des Wendelsteins. In dieser Idylle des Voralpenlan-des entsteht derzeit ein Neubauprojekt, das die Quartiersplanung in Deutschland revolutionieren könnte. 2011 erwarb der Unternehmer Wolfgang Endler das rund 16 Hektar große Areal der ehema-ligen Karfreitkaserne und startete das 200-Millio-nen-Euro-Projekt „Dahoam im Inntal“.

Bis 2020 sollen dort 800 Einwohner ein neues Zuhause finden, auf Bayerisch „Dahoam“. Unter diesem Begriff stellt sich Endler viel mehr vor als reines Wohnen. Das neu benannte Viertel Sägmühle soll für seine Bewohner ein echter Lebensmittel-punkt werden. Alle Generationen sollen sich hier treffen und miteinander leben  – sich helfen, sich austauschen, eine echte Dorfgemeinschaft bilden, so wie das früher auf dem Land üblich war und in der Hektik der modernen Gesellschaft vielerorts verloren ging.

Mit Geschäftsführer Rupert Voß hat Endler, Gründer des Mode labels Timezone, einen Part-ner an der Seite, der nicht nur seine Visionen teilt,

Mehrgenerationen-Projekt

DAS DORF DER ZUKUNFTMiteinander statt nebeneinander. Das Quartiers-projekt „Dahoam im Inntal“ bietet seinen Bewohnern nicht nur Wohnraum, sondern fördert aktiv die Gemeinschaft

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Mehrgenerationen-Projekt DEUTSCHLAND

FARBENSPIEL Das Montessori Kinderhaus ist das bunte Zen trum des Quartiers (unten), die Firmenzentrale von Timezone besticht durch ihr futuristisches Design (oben). Durch den Holz-abschluss fügen sich die Wohn-ensembles harmonisch in  die Umgebung ein (links)

sondern diese auch mit viel Liebe zum Detail in die Tat umsetzt. Die InnZeit-Unternehmensgruppe baut nicht nur die 300  Wohnungen in Sägmühle, sondern sorgt auch für eine generationsübergrei-fende Infrastruktur. Mit Kindertagesstätte, Bürger-café und betreutem Wohnen sollen sich Jung und Alt gleichermaßen wohlfühlen.

Damit das Projekt auch langfristig Erfolg hat, bleibt InnZeit auch nach der Fertigstellung im Vier-tel präsent – als Hausverwaltung, Mitbetreiber der Kindertagesstätte und nicht zuletzt als Miteigen-tümer, denn 25 Prozent der Wohneinheiten werden vermietet. So kann Geschäftsführer Voß immer ein Auge auf den angepeilten Altersdurchschnitt haben, den er mit 50 Jahren angibt. Im Herbst 2017 waren 70  Prozent der Wohnungen verkauft, der Alters-durchschnitt betrug 49,8  Jahre  – eine Punktlan-dung, freut sich Voß. Für eine gute Mischung in Bezug auf die Bewohner sorgt InnZeit erst einmal über das Angebot, das vom 1-Zimmer-Apartment über die familienfreundliche 5-Zimmer-Wohnung bis hin zum Dachterrassen penthouse reicht.

Zweite Stellschraube ist der Preis. Die Qua drat-meterpreise bewegen sich zwischen 3.100  Euro

und 5.200  Euro, laut Voß keine Spitzenpreise in der Region. Ein Investment, das auch Kapitalanle-ger locken würde, doch die sind in Sägmühle eher nicht erwünscht – hier stehen klar Eigennutzer im Fokus. Damit hier kein elitärer Klub der Besserver-diener entsteht und auch der Altersdurchschnitt stimmt, hat InnZeit ein Rabattsystem entwickelt: Familien, Alleinerziehende, Einheimische und Ge-ringverdiener erhalten einen Nachlass, zum Beispiel 15.000 Euro für jedes minderjährige Kind, das mit einzieht. Der maximale Rabatt ist auf 15 Prozent der Kaufsumme beschränkt.

Ein Geschenk eines mildtätigen Unternehmers? Dies verneint Geschäftsführer Voß vehement: „So-ziales Handeln und Wirtschaftlichkeit müssen sich nicht widersprechen.“ Eigenvertrieb und zentrales Marketing reduzieren die Kosten, was die Rabatte mehr als deckt. Überhaupt macht Rupert Voß viele Dinge lieber selbst. Damit spart er nicht nur Geld, sondern kann auch seine hohen Qualitätsansprüche erfüllen – sogar die Außenanlagen ließ er von einem Imker auf Bienenfreundlichkeit prüfen. 50 Mitar-beiter beschäftigt die InnZeit momentan, darun-ter fällt unter anderem auch das Montessori

MACHER Rupert Voß ist für das Projekt „Dahoam im Inntal“ verantwortlich

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AUTORIN Ulrike Eschenbecher KONTAKT [email protected]

Kinder haus, das als Joint Venture betrieben wird. Von 6.30 Uhr bis 22 Uhr inklusive Samstagsgrup-pe wird hier eine Kinderbetreuung geboten, die im Landkreis ihresgleichen sucht. Über die Beteiligung an der infrastrukturellen Versorgung stellt InnZeit sicher, dass „die Projekte langfristig den Bewohnern dienlich sind“.

Die Liebe zum Detail begegnet einem in Säg-mühle auf Schritt und Tritt. Schon von der Haupt-straße aus weist der Zwiebelturm mit dem goldenen Zifferblatt den Weg in das neue Viertel. Das auf-wendig restaurierte Uhrturmgebäude beherbergte früher die Küche für die Gebirgspioniere, heute befindet sich dort das Herz der neuen Communi-ty, die InnZeit-Zentrale. In einem Glaskasten sind Ausdrucke aus dem Online-Portal „Nachbarschafts-forum“ zu lesen, das dafür sorgt, dass die neuen Be-wohner schnell zu einem Miteinander finden. Hier bietet einer Gassigehen mit dem Hund an, eine an-dere fragt nach Interessenten für einen gemeinsa-men Brotbackofen, ein Dritter fragt nach Nachbarn, die an einer Auffrischung ihrer Spanischkenntnisse interessiert sind.

Die Gemeinde Brannenburg ist glücklich, hier einen Investor gefunden zu haben, der so auf das Gemeinwohl achtet. So übernimmt der Bauträger auch Gemeindeaufgaben wie den sozialen Woh-nungsbau mit circa 28 Wohneinheiten. Für InnZeit eine Win-win-Situation, weil so sichergestellt wird,

dass in Sägmühle auch wirklich alle Gesellschafts-schichten integriert werden. Das nächste Projekt ist ein Pflegeheim, ebenfalls ein Joint Venture.

Im September erlebte das Viertel mit dem groß gefeierten „Türmefest“ seine erste Bewährungs-probe. Für diesen Tag der offenen Tür wurde fleißig gebacken, und man merkte den Bewohnern an, dass sie auf ihr Viertel stolz sind und bereit, die Vision von Wolfgang Endler und Rupert Voß auch mit Le-ben zu erfüllen. Denn trotz akribischer Planung ist den Machern von „Dahoam im Inntal“ klar: „Wir können nur die Rahmenbedingungen schaffen.“ Doch vielleicht sind es genau diese planerischen Feinheiten, die ein Neubauviertel in Ghetto und Gemeinschaft teilen. Viele Gemeinden in Deutsch-land beobachten das Geschehen in Oberbayern, und Rupert Voß führt schon erste Sondierungsgesprä-che für weitere Projekte. Und wer weiß, vielleicht braucht es heutzutage nur die richtige Weichen-stellung, damit das Realität wird, wonach sich viele sehnen  – nämlich nicht nur Wohnraum, sondern eine neue Heimat zu finden  – einen Ort, an dem man „dahoam“ ist.

Mehr Infos unter www.dahoam-im-inntal.de

BRANNENBURG Die oberbayerische Gemeinde liegt im Land-kreis Rosenheim und ist eine knappe Autostunde von München entfernt

DORF-IDYLL 2020 soll das Quartiersprojekt „Dahoam im Inntal“ fertiggestellt sein, im Herbst 2017 waren drei der fünf Bauabschnitte abgeschlossen und die ersten 150 Bewohner eingezogen

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