Mein Jahr in Brasilien 2015- 2016 - rotary-jd.de · Ich weiß eigentlich gar nicht wirklich wo ich...

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Mein Jahr in Brasilien 2015- 2016 „Learning how to pack one room, one year and one life in one bag “

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Mein Jahr in

Brasilien 2015-2016

„Learning how to pack one room, one year and one life in one bag “

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Ich weiß eigentlich gar nicht wirklich wo ich anfangen soll. Immer, wenn mich jemand in meiner Umgebung mit einem erwartungsvollem Lächeln “Und, wie war es so in Brasilien?” fragt, antworte ich meistens nur mit einem knappen “Richtig gut”. Ich meine das nicht böse und ich möchte eigentlich auch anders antworten; aber es ist schwer, ein ganzes Jahr, in dem man so viel gesehen, gelernt und erlebt hat, fernab von allem aus Deutschland bekanntem in einer kurzen, aber ausführlichen Antwort zusammenzufassen. Man kann so ein Jahr noch nicht einmal in einen mehrseitigen Bericht zusammenfassen, aber ich werde einfach versuchen einen möglichst guten Überblick darüber zu verschaffen.

Als ich in Brasilien am 1. August 2015 ankam, war ich müde und aufgeregt. Ich kam aus den Flugzeug und in dem winzigen Flughafen, der nur aus einem Raum bestand, standen so ungefähr 15 Leute, die mich alle strahlend umarmten und willkommen hießen. Auf dem Weg zu meinem neuen Zuhause starrte ich aus dem Fenster. Die Stadt sah so anders aus. Die Häuser waren alle mit einer Mauer geschützt und man sah Pferde mit Anhängern, die mit Waren beladen waren, die an der Straße überall verkauft wurden. Mein neues Zuhause war ein kleines aber schickes Haus, bewohnt von meiner Gastmutter, die nur eine Tochter hatte, die auch ins Ausland gefahren ist und ich so mit ihr zusammen meine ersten fünf Monate erlebt habe.

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Die Stadt heißt Vitoria da Conquista, eine relativ große Stadt für brasilianische Verhältnisse, im Staat Bahia, der für seine reiche Kultur und als Geburtsort Brasiliens bekannt ist.Ich hatte eine unglaubliche erste Woche. Wir sind in das 9 Stunden entfernte Salvador geflogen und haben dort sehr viel besichtigt und es war für mich das schönste Wochenende meines Lebens. An den folgenden Tagen bin ich dann zum ersten Mal zur Schule gegangen und habe dort sehr viele Leute auf einmal kennengelernt, die mich alle so gut aufgenommen haben. Meine Lehrer waren ungewohnt locker drauf und besonders mein Geschichtslehrer war ein absolutes Genie, da er alle historischen Szenen in Form eines Ein-Mann Theaters vorgeführte und mich direkt fragte, ob ich ein Referat über die DDR halten könnte, aus der Perspektive meiner Familie. Einziger Nachteil meiner Schule war dass ich später in das "dritte" (also das letzte) Schuljahr gegangen bin und dort die ganze Lehrart umgekrempelt wurde. Niemand durfte reden, ich hatte Montags und Dienstags 12 Stunden und auch am Samstag Schule, wodurch ich teilweise ziemlich geschafft war, da ich mich noch mehr konzentrieren musste als die anderen, um überhaupt etwas zu verstehen.

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Glücklicherweise habe ich in der Schule auch schnell eine Gruppe von Freunden gefunden, die mir sehr ans Herz gewachsen sind und mich das ganze Jahr durch dick und dünn begleitet haben.Es gab zwei größere Veranstaltungen von der Schule: Super Series und Oficina in Concert. Super Series war ein Sportwettkampf in allen Disziplinen von Just Dance bis Schwimmen. Wir waren die erste Klasse die eine höhere Klasse besiegte und das haben wir natürlich auch richtig gefeiert.Oficina in Concert war eine Tanzveranstaltung, bei der jede Klasse einen Tanz einstudierte und den dann vor ungefähr 1000 Menschen vorführte. Dadurch habe ich dann auch meine brasilianische beste Freundin Kayanne kennengelernt.An meiner neuen Schule traf ich zwei andere Austauschschüler von Rotary: Daniella und Selena. Ich verstand mich auf Anhieb gut mit den beiden und die zwei sind im Laufe des Jahres wirklich wie meine Familie für mich geworden sind. Auch wenn es kitschig klingt, wir waren immer füreinander da und ich weiß auch nicht, was ich ohne sie getan hätte.

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Meine erste Gastmutter heißt Valeria Andrade und ich war insgesamt fünf Monate bei ihr. Zuerst hatten wir einige Sprachprobleme, da sie gar kein Englisch sprach und ich war öfters frustriert, weil wir eben nicht direkt kommunizieren konnten, aber wir haben uns irgendwie doch zu verständigen gewusst. Sie ist eine abenteuerlustige, fröhliche und witzige Person. Ich wohnte mit ihr alleine und sie weil sie von Natur aus einfach eine positive Person ist, konnte ich gar nicht anders, als sie einfach auf Anhieb sehr sympathisch zu finden und mich wohl zu fühlen. Wir hatten sehr witzige Momente zusammen und sind dadurch, dass wir “nur”

zu zweit waren wirklich zu einen Team geworden. Sie hat immer viel gearbeitet, aber sie nahm sich am Wochenende Zeit für mich und fuhr mit mir manchmal einfach nur durch die Stadt oder wir gingen zusammen mit der Familie essen.An meinen Geburtstag organisierte sie sogar eine große Feier und es war einer meiner schönsten Tage in meinem Auslandsjahr. Zu ihrem Geburtstag, zwei Monate, vorher hatte ich versucht Bacon und Ei zum Frühstück zu

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kochen, habe aber den Bacon samt Pfanne prompt auf meinen Zeh fallen lassen.Bei meiner zweiten Gastfamilie hat es einfach nicht gepasst. Schon am dritten Tag habe ich mich aus verschiedenen Gründen konstant einfach nur unwohl gefühlt. Die anderen beiden Austauschschüler hatten auch extrem viele Probleme mit dieser Familie; ich habe zwar immer wieder versucht, das Gespräch zu suchen, das hat aber nicht besonders viel geholfen.Deswegen war ich dann auch froh, dass ich nach 2 ½ Monaten ein bisschen früher zu meiner dritten Gastfamilie gewechselt habe, deren Mutter auch meine Councelerin war.Bei dieser dritten Familie habe ich mich auch wirklich wie zu Hause gefühlt. Meine erste Gastmutter war eher wie eine sehr gute Freundin für mich, aber die Gasteltern in meiner dritten Familie waren fast schon wie richtige Eltern für mich und auch deren Kinder wie Geschwister. Wir sind oft in das Naturschutzgebiet in der Nähe gefahren und haben in deren Ferienhaus abseits von Internet und Fernsehen zusammen gekocht, sind gewandert oder haben einfach nur geredet. Die Atmosphäre war wunderschön und teilweise ich habe dort stundenlang mit meinen Gasteltern sehr tiefe Gespräche geführt.Besonders unser Ausflug nach Mucuge wird mir wohl immer im Gedächtnis bleiben. Dort wurde anlässlich des Festes Sao Joao das ganze Dorf wunderbar bunt dekoriert.

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Es war einfach unfassbar schön und zeigte mir eine ganz andere, bis dahin für mich noch unbekannte Seite Brasiliens. Ich und meine Brüder hatten für unser Ferienhaus schon Wochen vorher Papiergirlanden gebastelt und dann zusammen das Essen vorbereitet, sodass wir geschafft, aber zufrieden dann beim Festessen saßen, was ich so noch nie in Deutschland erlebt habe. Der Gastbruder aus der dritten Familie nahm mich auch

zu verschiedenen Feste einer Religion, die Candomble heißt, mit. Diese Religion wird von vielen Christen in Brasilien dämonisiert, da sie auch Praktiken wie Trance und und den Glauben an mehrere Götterwesen beinhaltet. Ich hatte wirklich sehr viel Glück, dass ich die Möglichkeit hatte, an diesen Festen dank meines Gastbruders teilzunehmen, besonders, da diese Religion einen so grossen Aspekt der Kultur Brasiliens und gerade Bahias darstellt. Es wurde hauptsächlich nur getanzt und gesungen, die Menschen trugen Kleidung, die zu ihren Orixas (Götterwesen) passten. Die Gäste sollten schwarze Kleidung möglichst vermeiden, da schwarz eine negative Farbe in der Religion präsentiert. Die Menschen, die ich dort traf, waren sehr offen, erklärten viel und waren einfach extrem gastfreundlich. Es war eine unglaubliche Erfahrung, die mir sehr lebhaft in Erinnerung geblieben ist.In meiner Zeit in Brasilien machte ich drei verschiedenen Reisen: die Südtour, die Amazonastour und die Nordosttour. Alle drei Touren waren unvergesslich. Ich war an so vielen Orten, dass

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ich gar nicht wirklich Konkretes erzählen könnte, weil das einfach den Rahmen hier sprengen würde. Einer der Höhepunkte der Reisen war auf jeden Fall der Besuch von Olinda. Die Reise wurde von Belo Brasil so organisiert, dass sogar in einem Stadtteil eine Band samt Unterhalter in der typischen Karnevalskleidung auf uns wartete um mit uns ein bisschen Party zu machen; wir waren erst ein wenig enttäuscht, da wir uns ursprünglich eine Party mit Brasilianern erhofft hatten, doch kurz nachdem die Band loslegte, kamen die Brasilianer auch schon aus den Häusern hinterher gestürmt. Auf dem Weg gab es dann auch noch einen kräftigen Regenschauer, doch wir rannten einfach tanzend und jubelnd weiter. Ich habe noch nie etwas derartiges erlebt und soweit ich weiß war von allen 5 Reisegruppen, die zur gleichen Zeit die Nordosttour gemacht haben, das auch das einzige Mal ,dass alle Brasilianer mitgefeiert haben.

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Die Zeit verging rasend und ehe ich mich versah, war leider auch schon der Zeitpunkt der Abreise erreicht. Ich wollte nicht gehen, weil meine Gastfamilie perfekt war und ich auch durch die Ferien noch mehr mit meinen Freunden machen konnte. Als dann die Mexikanerin als Erste flog, haben wir am Flughafen Rotz und Wasser geheult, weil uns bewusst wurde, dass nun unser Austauschjahr endgültig vorbei war. Ich weiß, dass viele sagen, die Zeit vergeht schneller als man denkt, aber keiner weiß das wirklich, bis sie es erlebt haben. An meinem letzten Tag hatte ich noch eine Abschlussfeier mit meinen besten Freunden. Ich habe die Runde ziemlich klein gehalten doch trotzdem wurde es einfach ein wunderschöner Abend, an dem ich mich so richtig am Platz gefühlt habe. Die Fahrt zum Flughafen war ein einziges Starren aus dem Fenster, um mir noch die letzten Blickfetzen der Stadt einzuprägen. Die Stadt war vielleicht nicht besonders schön, aber sie hatte diese Imperfektion, die jede Ecke interessant macht, und die mir in Deutschland oft fehlt. Am Flughafen angekommen, habe ich einfach weinen müssen und nach dem tränenreichen Abschied war ich sogar so aufgewühlt, dass ich auf der Flugzeugtreppe bemerkte, dass ich meinen zweiten Rucksack in der Gepäckkontrolle vergessen hatte.

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Nach 24 Stunden fliegen, umsteigen und warten warten warten war ich schließlich wieder in Deutschland angekommen. Es war sehr surreal und ich habe, als wir durch meine Heimatstadt Soest gefahren sind, immer nur daran gedacht, dass sich einfach gar nichts in der gesamten Stadt verändert hatte. Das Wetter war perfekt und beim Grillen mit meiner Familie und Freunden wurde mir von meinen Bruder eine Mantaplatte gebracht die ich das ganze Jahr über schmerzlich vermisst hatte.Seit meiner Rückkehr fällt mir öfters auf, was mir an Brasilien so fehlt. Ich bin sofort wieder voll ins Leben gestartet, mit einen Nebenjob und Fahrschule, was mich die meiste Zeit abgelenkt hat, aber wenn ich mal länger in mich gehe, merke ich einfach, dass ich einfach sehr viele Dinge aus Brasilien vermisse. Die Menschen, die Gastfamilien und die Art zu leben. Ich nehme oft wahr, dass die meisten Leute das einfach gar nicht richtig verstehen oder den Sinn dahinter sehen können; wenn ich mit Rebounds spreche, dann ist das eine ganz andere Art von Gespräch. Ich möchte mich mit meinen Geschichten über mein Auslandsjahr niemandem aufdrängen, und erzähle dann öfters weniger als es zu erzählen gibt, denn das ist eine ganze Menge.Generell würde ich nicht sagen, dass ich mich extrem verändert habe, doch ich bin lockerer und auch offener geworden und habe einfach so viel über dieses Jahr gelernt, das mir im Leben weiterhelfen wird. Ich habe Familie und Freunde ganz am anderen Ende der Welt oder auf der ganzen Welt verteilt gefunden und das auch trotz vieler Momente, in denen ich mich verloren in einem großen fremden Land fühlte oder der Frust, darüber durch die Sprachbarriere oft nicht einfach so losplappern zu können, ein bisschen Überhand gewann. Einen Austausch machen ist nicht einfach nur Feiern, Freude und Spaß. Manchmal ist es einfach ein ganzes Stück Arbeit und man muss über die eigene “Comfort Zone” hinausgehen. Natürlich ist es oft auch einfach nur Alltag,

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aber ich finde, das macht das Ganze erst wirklich zu dieser Erfahrung des kompletten Eintauchend in eine andere Kultur.Und mein Jahr in Brasilien war auch definitiv viel mehr und viel besser als nur ein überlanger Urlaub, wie es auch viele frei titulieren.Ein Riesengroßes Dankeschön an alle, die mir dieses Jahr ermöglicht haben!