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DIE IRRTHUMERDESHISTORISMUS IN DER DEUTSCHENNATIONALOKONOMIE. VoN DL CARL MENGER, o. 6. P.o._o. m .**_.I._.A..,_ ..m _,.. _.iv,u,... WIEN,1884. ALFRED H_)LDER, K. K. HOF- UND UNIVERSITA.TS-BUCHHANDLER, ltOTIH_mTIs.UKE_A_ 16.

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  • DIE

    IRRTHUMERDESHISTORISMUS

    IN DER

    DEUTSCHENNATIONALOKONOMIE.

    VoN

    D L CARL MENGER,o.6.P.o._o.m .**_.I._.A..,_..m _,.. _.iv,u,...

    WIEN,1884.

    ALFRED H_)LDER,K. K. HOF- UND UNIVERSITA.TS-BUCHHANDLER,

    ltOTIH_mTIs.UKE_A_ 16.

  • AlleRechte vorbehalte_

  • Vorwort.

    Die Unklarheit der _historischen Schule deutscherVolkswirthe" fiber die Ziele und die Methoden derForschung auf dem Gebiete der politischen Oekonomie,ein Gebrechen, welches bereits bei der ersten Begr_n-dung dieser Schule in unverkennbarer Weise zu Tagetrat, ist auch dutch den Verlauf einer nahezu fiinfI)ecennien andauernden Entwlcklung nicht beseitigtworden.

    Die _historische Schale u war yon allem An_angean nicht das Ergebniss der Vertiefung in die Problemeunserer eigenen Wissenschaft; nicht, wie die histo.rische Jurisprudenz, ist sie aus dem scientifischen Be-diir_i_e der in die Probleme i h r e r Wissenschaft sichvertiefenden Fachgelehrten hervorgegangen_ Sie be-deutete seit ihrem ersten Beginne ein Hineintragenhistorlschen Wissens in unsere theoretisch-praktischeDisciplin. Aeussere Umst_nde haben sie hervorgerufe_;

    [3]

  • IV

    nicht Bearbeiter unserer Wissenschaft,- Historiker

    haben sle ursl0viinglich begriindet. Yon aussen glelch-sam ist die hlstorische Methode in unsere Wissenschaft

    getragen worden.Von dlesen Mi_ngelu des Ursprunges hat die

    historische Schule sich nle wieder zu befreien ver-

    mocht. Die iiusserliche Verbindung gediegenen his t o-r i s c h e n Wissens mit einem sorgf'_]tigen aber f'dhrer-]osen Eklekticismus auf dem Gebietc u n s e r e r Wissen-schaft bildet den Ausgangspunkt, zugleich aber auchden H_hepunkt ihrer Entwick]ung. Mancherlei mitgrossem Ernste unternommene Versuche, die Geschichte

    und die politische Oekonomie in eine innigere, orga-nische Verbindung zu bringen, slnd den obigen Be-strebungen gefolgt, aber die yon den historischenVolkswirthen in Aussicht gestellte Erhebung unsererWissenschaft aus ihrem zuriickgebliebenen Zustandeist nicht erreicht worden; ja sie scheint heute fastferner geriickt, als in den Tagen, da Hermann undR a u lehrten.

    Dass die obigen, zum Theile mit nicht gew_hn-licher Begabung unternommenen Reformversuche nicht

    zu dem angestrebten Ziele geflihrt haben, war keinWerk des Zufalls; sie mussten an dem Irrthume

    scheitern, welcher in der Geschichte den Ausgangs-punkt, in der Verbindung derselben mit der politischen

    Oekonomie den Angelpunkt der beabsichtigten Reformerkaunte. Die irrthiimliche Hypothese, dass die Ver-bindung historischen Wissens mit der politischen Oeko-

    14]

  • i V __

    nomie an sich eine Reform dieser ]etzteren bedeute, dasfalsohe Dogma des Historismus auf dem Gebiete unsorerWissenschaft, konnte yon vornherein nicht die Orund-lage einer Erfolg versprechenden Umgestaltung dieserletzteren sein.

    Die Reform einer Wissensohaft vermag nut ausihr selbst, nut aus den Tiefen ihrer eigenen Ideen-kreise hervorzugehen; sie kaun nut das Work der indie eigensten Probleme ihrer Disciplin sieh vertiefen-den Forscher sein. Die politische Oekonomie wird nichtdurch HiRtoriker, dutch Mathematlker, odor durchPhysiologen, hie auch dutch solohe, die blindlings denSpuren derselben folgen, aus ihrer gegenwgrtigen Ver-sunkenheit emporgehoben werden. Die Reform derpolitischen Oekonomie vermag nur yon uns selbst aus-zugehen, yon uns Fachgenossen, die wir im Dienstedieser Wissenschaft stehen.

    Was andere Wissenschaften und ihre Vertreteruns zu bieten, fiir uns zu leisten verm6gen, ist diefortschreitende Vertiefung in ihre eigenen Probleme,die Vervollkommnung der Resultate ihrer eigenenForschung. Sorgf'_ltig und dankbar woUen wit dieseletzteren beniitzen, so welt sie fiir die Entwickelungunserer Wissenschaft yon Bedeutung sind, die Ergeb-nlsse der Geschichtsforsehung eben so wohl, als jeneder Statistik, der Psychologie, der Logik, der tech-nischen Wissensch_. Die reformatorisohe Ein-mischung anderer Disciplinen, das Hineintragen derpolitischen Oekonomie fremder Gesichtspuukte und

    is]

  • VI

    Methoden in diese letztere, werden wit in Hinkunft aberentschlossen abzuwehren haben, soil die deutsche Natio.nal6konomie nach einer weiteren halbhundertjiihrigenPeriode nicht neuen Enttiiuschungen entgegensehen.

    Was die niichste uud wichtigste auf dem Ge-biete der politischen Oekonomie in Deutschland zul_sende Aufgabe ist, scheint dutch den gegenwiirtigenZustand dieser Disciplin klar vorgezeichnet zu sein.Wie fremde Eroberer haben die Historiker den Bodenunserer Wissenschaft betreten, um uns ih r e Spracheund i hre Gewohnheiten -- ihre Terminologie undihre Methodik _ aufzudriingen, jede ihrer Eigenartnicht entsprechende Richtung der Forschung unduldsamzu bek_mpfen. Diesem Zustande muss ein Ende bereitetwerden. Es gilt die aus der Natur unserer Wissen-schaft sich ergebenden Probleme und Erkenntnisswegewieder zu Ehren zu bringen, diese I)iscil)Hn yon ihrerhistorisirenden Tendenz, yon den Einseitigkeiten desHi_torlsmus zu befreien. Hat die politische Oekonomiein Deutschland nur erst wieder sich selbst, ihren Be-griff und ihre Methoden gefunden, bewahrt sie sichiiberdies den Geist der Universalifiit, welcher die Er-gebnisse fremder Forschung, auch jene anderer Wissens-gebiete, ganz insbesondere abet der Geschichte andder Statisfik, den eigenen Zwecken dienstbar macht:dann daft unsum die weitere Entwickelung dieserWissenschaft nicht bange sein.

    I)em obigen Zwecke sind auch die nachfolgendenmethodologischen Briefe gewidmet. Sie sollen ein wissen-

    [63

  • VII

    schaftlich ganz besonders versumpftes, mit den iiueser-sten Mitteln der Unduldsamkeit und Unziemlichkeit

    vertheidigtes Gebiet des Historismus in der deutschenNational_konomie, den jfingsten Auswuchs des letzteren,-unter das Licht der Kritik stellen, unqualificirbaren,zum mindbsten in solcher Form dutch nichts provo-cirten Angrit_en die gebiihrende Antwort bringen.

    Ich bin auch in dieser hauptsiichlich der Abwehrgewidmeten kleinen Svhrlft der nshe liegenden Ver-suchung ausgewlchen, die eigentliche Methodik derexacten Forschung auf dem Gebiete der theoretischenNstional_konomie zu behandeln. Ich habe in den

    _Untersuchungen iiber die Methode der Sools|w issen-schaften" den Nachweis der yon der historischen Sch uleeifrig bestrittenen Berechtlgung der obigen Richtun gdes theoretischen Erkenntnissstrebens auf dem Qeb ieteder Volkswirthschaft zn erbringen gesucht, die ein-gehende Darstellung der beziiglichen Erkenntnisswegeindess einer besonderen Schrift vorbehalten.*) Die vor-l_ufigen Bemerkungen hieriiber sind nichtsdestowenigersum Gegenstande lebhafter Discussion unter den_Beurtheilern meiner methodologischen Untersuchungengeworden: ein erfreuliches Zeichen des auf dem Ge-biete der deutschen National_konomie, trots desVorherrschens der historischen Schule, vorhandenentnteresses fiir den obigen wichtigen Zweig der theo-retischen Forschung. Ich werde nunmehr die Erf'dllung

    *) A. a. O. 8.43.

    C7]

  • -- VIII

    meiner Zusage zu besch]eunigen suchen, da nut durchvolls_ndige Klarheit iiber die Ziele und die Erkennt-nisswege der exacten National_konomle der Einseitig-keit unserer historischen Volkswirthe in aussahlag-gebender Weise begegnet zu werden vermag. Ichwerde hierbei auch Gelegenheit finden, die sachkundigenBemerkungen zu beriicksichtigen, welche yon E. v.B_hm, EmilSax, W. Lexis, H. Dietzel undAnderen einzelnen Thei]en meiner Aus_hrungen ent-gegengesetzt worden sin&

    Wien, im Januar 1884.

    Oer Verrasser.

    [8]

  • INHALT.

    SeiteVerwort ........................ HI

    _rster Brie Einleitung: Aeussere VeranlaBsung dieserBriefe. Ueber den Nutzen, welcher flir die wissenschaftlicheDiscussion selbst aus den Kritiken flacher, in den behandeltenMaterien nicht gentigend orientirter Beurtheiler gezogen werdenk_nne ........................ 1

    Zweiter Brief. F o r t s e t z u n g : Ueber Entstell ungen auf d emGebiete der wissenschaftlichen Kritik und wie denselben zubegegnen sei ? .................... 6

    ])litter Brief. Ueber die verschiedenen Richtungen des Er-kenntnissstrebens auf dem Gebiete der Volkswirthschaft . . 12

    Vierter Brief. Dass die politische Oekonomie und die.Ge-schichte der Volkswirthschaft streng zu untermcheidendeWissenscbaflen seieu .................. 20

    Fflnfter Brief. Warum Schmoller diese Grenzen zu ver-wischen trachte ? ................... 26

    Sechster Brie Die Uebersch_tzung historischer Studien aufdem Gebiete der poHtischen 0ekonomie. Ihre Ursachen undihre Nachthefle .................... 29

    Blebenter Brie Ueber die Meinung, dass die Wirthschafts-geschicht_ vollends erforscht werden miisse, ehe an die Reformder poHtischen Oekonomie geuchritten werden k_nne .... 34

    Achter Brief. Ueber die Meinung, dass die Wirthschafts-geschichte die ausschliessliche empirische Grundlage der For-schu_g auf dem Gebiete der poHtischen Oekonomie sei . . .

    [9]

  • w X

    SeiteNeEtllter BFlef- Dass ein nach beatimmten wiuenschaftlichen

    Kategorien geordnetes historisch.statistixchu Material mit derpolitischen 0ekonomie nicht verwechselt werden diirfe . . . 47

    Zflhlltsr _Flef. Ueber die Meinung S c h m o l I e r's yon denAufgsben der praktischen Wirthschafls-Wissenschaften . . . 51

    Elfter Brief. Ueber die Idee Schmoller's, die praktischenWissenschaften yon der Volkswirthschaft zu theoretischenerheben zu woUen ................... 56

    7.wOlftor ]_rl6f. Wie Schmoller aich diese Erhebung vor-stellt ? ........................ 60

    I)]_ter _eJ_ l_och eine Ansicht Schmol let's fiberden nitmlichen Gepnxtand ............... 64

    ViM'z_hltter _BI']_[_ Zur Charakteristik der KampfesweiseSchmo ller's .................... 71

    Ft_vz_hnter ]3rie_ Fort_tzung ............ 78Beohzehnter Brie_ Schlusswort ............ 86

    [10]

  • Erster Brief.

    Sie schreiben mir, mein Freund, dass die ebensouniiber]egte als herausfordernde Kritik, welche meine,Untersuchungen tiber die Methode" _) in dem BerlinerJahrbuche fiir Gesetzgebung Seltens des Heraus-gebers gefunden haben *_), am besten mit jenem Stfll-schweigen zu iibergehen sei, welches die wirksamsteAntwort auf Angriffe der obigen Art bride.

    Wet mein Buch auch nut fliichtig gelesen babe,werde yon se]bst entnehmen, inwieweit die AngriffeS e h m o ] ] e r's auf Sachkunde und Unbefangenheitberuhen, und sich darnach sein Urtheil bflden. Abetaueh bei jenen, welche meine _Untersuchungen _ nichtkennen, wiirde seine Kritik der richtigen Wiirdigungbegegnen ; r_hre sie doch yon einem Manve her, dessenwissenschaftUehe Erudition, trotz seiner unabliissigenHinweise auf die historischen und philosophischen

    *) C. M e ng e r, Untersuchungen Uber die Methode dcrSoeialwissensehaften undderpolitisehen Oekonomie insbesondere.Leipzig, bei Duneker & Humblot, 1883.

    **) G. 8ehmoller, .Zur Methodologie der Stute- undSoeialwissensehaften" innJahrbueh flit Gesetzgebung, Vm-wal-tung und Volkswlrthsehafl im deutschemReiehe. Leipzig beiDuncker & Humblot_ 1883_ pag. 239_258.

    [11]

  • -- 2 --

    Studien, denen er slch hingebe, auf die Vorlesungeniiber Methodik ,zu welchen er sich eben riiste u u. dgl. m.,in ernsten Gelehrtenkreisen bereits seit ]angem nachGebiihr gewiirdigt werde. Recensionen yon jener Art,wie sie S c h mo 11e r seit Jahren ohne geniigendeOrientirung, yell Invectiven und oiFenbar ohne dasgeringste Gefdhl der erantwortlichkeit der Oeffent-keit iibergebe, seien bei jenen sachkundigen Lesern,welche wir bei wissenschaftlichen Publicationen doehzuniichst im Auge haben, unschiidlich, jede Erwiderungauf dieselben unter der Wiirde eines ernsten Ge-lehrten.

    Erlauben Sic mir, mein Freund, in der obigenRiieksieht denn doch in etwas anderer Meinung zusein. Zwar dariiber, ob dergleichen Kritiken fiir dieAutoren der reeensirten Werke schiidlieh oder unschiid-lich seien, miichte ich in keine Discussion treten.Fassen sic dieselben fiir den Autor immerhin als un-schiidlich, ja geradezu als erheiternde Zwischenfiille desGelehrtenlebens auf. Daraus scheint mir indess _ochkeineswegs zu folgen, dass man dieselben giinzlich un-beachtet lassen solle. Was fiir den Autor einer Sch_riftnicht schiidlich ist, kann unter Umstiinden der yon ihmvertretenen Sache abtriiglich sein ; und wiire selbst diesnicht der Fal], warum sollten wit es verschmiihen, das,was einer uns am Herzen liegenden Saehe unschiidliehist, im Dienste derselben zu verwerthen ? Kritiken sach-kundiger Autoren niitzen uns, indem sie uns berichtigenund belehren und dadurch die wissenschaftliche Dis-cussion vertiefen. Warum sollten Kritiken yon derArt jener, die S c h m o11e r ver_iiFentlicht, nur unschiid-lieh sein und nicht auch einen Nutzen gewiihren, wenn-gleieh, wie selbstverstiindlich, einen solchen ganzanderer Art ?

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    Ein jedes Werk hat ein gewisses geistiges Nivean,unter welches der Autor nur mit Widerstreben herab-steigt. In mathematischen Schriften wird nicht jedeFormel aufgel_st, in jurlstischen Werken die Kenntnissdes positiven Reehtes, in wlssenschaftlichen Schriften/iberhaupt leicht maneherlei Fertigkeit und Wissenvorausgesetzt. Hierin liegen indess yon jedem ein-sichtigen Autor peinlieh genug empfundene Schrankenf/Jr das VersC_ndniss und die Verbreitung seiner Ideen.Flache, Yon unkundigen Kritikern gegen uns gerlchteteAngriffe bieten uns nun abet die erwiinschte Gelegen-heir, jene Schranken zu erweitern, und zwar in umso wirksamer Weise, je niiher unser Beurtheiler in denbehande]ten Fragen dem hierin minder orientirten Lese-publikum steht und je riicksichtsloser derselbe gegenuns aufzutreten vermeint.

    In Recensionen dieser Art werden gegen die Er-gebnisse unserer Forschung Einw_inde erhoben, die demAutor wohl selbst vorgeschwebt, welche er indess, umihrer fur den Sachkundigen augenf'dlligen Unriehtigkeitwillen, zu beantworten unterlassen hat. Werden die-selben indess yon einem Kritiker, und zwar, wie diemzumeist der Fall zu sein pflegt, mit nicht geringemNachdrucke vorgetragen, so sind wir in der Lage, unsmit ihrer Wider]egung befassen zu k6nnen, ohne doehder Achtung, welche wit den Lesern gelehrter Schriftenschuldig sind, allzu nahe zu treten. Einwendungen undAngritfe der obigen Kategorie bieten uns soleher Artdie Gelegenheit, unsere Ideen his zu einem Grade derGemeinverstiindlichkeit zu erheben, welcher in wissen-schaftlichen Schriften sonst nieht gebr'duehlich undfdr das eigentlich gelehrte Publikum auch iiberfltisslg ist,in Riieksicht auf einen Theil des Leserkrcises wiesen-schaftlicher Werke indess nicht jedes Nutzens entbehrt.

    [13]

  • 4Aber noch einen anderen, ungleich gr_sseren Diensterweisen uns Kritiken yon jener Art, yon welchen ichbier spreche. Es werden in denselben Eiuwiinde er-hoben, we]che so fern ab yon den Gedankenkreisenernster Gelehrter liegen, dass Niemand_ welcher in derSache einigermassen orientirt ist, am wenigsten derAutor eines Werkes se]bst auf dieselben zu veffallenverm_chte, welche indess durch eine merkwiirdige Zu-sammenstimmung der Geister in den K6pfen aller ober-flY,lichen und mit den behandelteh Materlen nichtgeniigend vertrauten Leser wissenschaftlicher Wexkezu entstehen pflegen.

    I)urch Kritiken dieser Art gelangen wir indankenswerthester Weise zur Kenntniss der gr_bstenMiasverstiindnisse, welchen unsere Schriften in gewissenLeserkreisen ausgesetz_ sind and erlangen auf dieseArt die erwiinschte Gelegenheit, denselben wirksamzu begegnen. Kritiken yon _ener Kategorle, yon welchenich bier spreche, spie]en in der wissenschaftlichen Dis-cussion solcherart gleichsam die Rolle jener gewissenFigur in der italienischen Kom_die, welche durch ihrehalb missverstiindlichen, halb bSsartigen Einwiirfe dieEntwicklung der Handlung zu hemmen scheint, siejedoch in eben so wirksamer als erheiternder Weisef'6rdert.

    Freilich, dass ein Schriftsteller yon bekannteremNamen, und in mehr als einer Riicksicht auerkennens-werthem Verdienste, dem auf die Verbreitung seinerIdeen bedachten Autor eines Werkes dadurch hilfreichbeispringt, dass er in der wissenschaftlichen Discussioneine Rolle so secundiirer Natur tibernimmt, ist nichteben h_ufig; geradezu ein Gliichsfall, wenn unserGegner durch die iiusseren Machtmittel, die er in seinenHiinden vereinigt, and durch die Art, in welcher er

    [14]

  • -- 5 m

    sich derselben 1)_ient, .ein yon den Kleinen und Farcht-samen gepriesener, yon den St_rkeren klug be-schwiegener Gelehrter ist; denn mit dem Interessean der FSrderung unserer wissenschaftlJchen Bestre-bungen verbindet sich dA_nnjenes an der S_uberungder Literatur yon dem Einflusse eines flachen, fiir diehohen Aufgaben wissenschafl_ioher Kritik nicht be-rufenen Recensententhums.

    Und diese yon dem Herausgeber der BerlinerJahrbiicher in so unbeabsichtigter Weise mir darge-botene Gelegenheit zur Beseitigung einer Reihe yonMissverstiindnissen und Irrthiimern iiber die grund"]egenden Probleme unserer Wissenschaft, vieUeichtauch zur Behebung mancher anderer _historisoh ge-wordener_ Hindernisse einer sachgemi_ssen wissen-schaftlichen Discussion auf dem Gebiete der National-_konomie in Deutschland, sollte ich so v_llig unbeniitztan mir voriibergehen ]assen?

    [is]

  • Zweiter Brief.

    Sie machen in freundlicher Besorgniss mich daraufaufmerksam, dass ein Streit mit Schmoller nichtnut eine wissenschaftliche, sondern auch noch eine ganzandere Seite habe. Es gebe keinen zweiten Gelehrtenin Deutschland, kaum irgendwo, welcher so riicksichtslosin der Wahl der Mittel sei, wenn es, einen Gegner zubekiimpfen, gelte. Ich m_ge auf jede m_gliche und un-m_gliehe Entstellung meiner Worte gefasst seiu, unddass S c h m o1] e r Meister einer ebenso pers6nliehenals vu]g_ren Sehreibweise sei -- nebenbei gesagt, dieeinzige Meisterschaft, welche diesem Manne in Riick-sicht auf sein Deutseh nachgeriihmt werden k_ane mdavon hiitte ich selbst geradezu erschreckende Probenerhalten.

    Sie haben Recht, mein Freund, wenn Sie einewissenschaftliche Discussion mit S e h m ol 1er fiir keinebless scientifische Angelegenhelt ansehen; ist dochdieser Mann nur all zu bekannt wegen seiner ausge-sprochenen Neigung zur Missdeutung fremder Meinun-gen und ebenso bckannt, als Vertreter der Unziem-lichkeit auf dem Gebiete wissenschaftllcher Polemik. _)

    *) S c h m o11er l/isstes in der RecensionmeinerSchriftnicht bei KraftansdrUeken,wie ,welttlflehfige stubengelehrteNaivetit", ,seholastische Denktlbungen", ,,Scheuklappen

    [16]

  • Wahrlich, nicht ohne sin gewisses Z_gern frets ich andie Bekitmpfung dieser SeRe selner gegen reich ge-

    wissenschaftlicher Arbeitsleistungu , ,abstracts Schemenc_,,,geistige Sehwindsucht" u. dgl. m., bewenden, sondern gibtmir, offenbar um die Wucht dieser Argumente zu verstttrken,sogar zu verstehen, dass ich, um meiner methodisehen An-sichten willen, aus jedem Kreise exacter Forscher _soforthinausgeworfen c_ werden wtirde. Die betreffende 8telleseincr Kritik, welche den Beweis liefert, dass Sc h m o I1e rnicht ohne Nutzen for seine Schreibweise sich die erstenSporen seiner wissenschaftlichen Laufbahn in Handwerker-vereinen erworbcn bat (vgl. Schmoller: Zur Geschichteder deutschen Kleingewerbe S. VI)_ lautet w_rtlich: _DerChemiker daft wagen, yon den physikalischen Eigensehafleneines ehemischen Gegenstandes zu abstrahiren, aber, wenn erdie atmosphirischeLuft untersuchte und nach dem Grund-satze Menger'scher Isolirung sagte: ich ziehe dabeinur den Stickstoff in Betracht_ weft er vorherrscht_ s o w/i r deman ihn sofort aus dem Laboratorium hinaus-werfen. _ Wer auch nut die Elements der Logik kennt_weiss , dass man unter dcm Isolirungsverfahren bur die Isolirungyon den einer Erscheinung a cc i de n t i e11e n Momenten ver-steht_ and wer mein Buch gelesen hat, weiss_ dass ich nirgendsauch nut die cntfernteste Veranlassung u der uneinnigenMeinung gebe 7 dass untcr dem Isolirtmgsverfahren die Iso-lirung yon den einer Erscheinung e es e n t i e 11e n Momentenzu verstehcn sei. Die Bemerkung 8 c h m o 11er's ist denmachnicht nut eine unziemliehe, ja _eradezu an Rohheit streifende,sondern zugleich eine vollstAndig deplacirte. Ich wage dieseBemerkung_ selbst auf die Gefahr hin, class Sc h m o 11er_iu einem Moments des Vergessens, dass er gegenwgrtig Mit-glied einer der iilustersten Gelehrtencorporationen sei_ etwapl0tzHch seine Aermel emporzustreifen und seine entsetzliehenArguments ,sofort u m vorzutragen die Minne mache_ kSnnte.

    Dus die Entstellung fremder AnRichtenund die ltuMersteUnziemliehkeit der Ausdrucksweise tibrigens yon S e hm o I le rnicht nut gegen mtch_ sondern geradezu gewohnheltsma_iggeUbt wird, dart"ieh wohl als bekannt vorauuetJum. 8ehonvor nahe_u zehn Jahren sah sich Prof. Treitschke genSthigt,

    [17]

  • -- $ --

    richteten Angriffe. Doeh es gibt Zust_ude, gegeuiiberwe]then zu schweigen Verrath an der eigenen Sachewiire. Nut zu gerne iiberliesse ich das unerquicktieheGeschiift, das ich bier zu besorgen babe, einem Andern_f_nde sich bei der Art der Kritik, welche Sohmollerauf dem Gebiete unserer Wissenschaft iibt, nur soleieht dieser Andere. Gerade das, was Sie mir alsGrund dafiir anf'tihren, gegeniiber den AngrltrenSchmo]ler's zu schweigen, muss fiir reich ein Motivmehr sein, meine Stimme gegen denselben zu erheben.

    ,Unverdiente Lobspriiehe- sagt L essing-kann man Jedem g_nnen ..... Nur wenn ein so pre-carlo .... beriihmt gewordener Mann sich mit dem stillen

    in einem offenen Briefe an Schmoller (_Der Socialismusc_und seine GSnner. Berlin 1875_ S. 102 if.) unter Anftlhrungzahlreicher Belegstellen darauf hinzuweisen_ dass die PolemikS c hm o 11e r's ,mit persSnlichen Ausfltllen reichlich geziertsei" und ihn (T re i t s e h k e) nSthige, gegen seine Neigungund Gewolmheit aueh seiner Erwiderung einige persSnlicheBemerkungen vorauszuschieken". --Bemerkungen_ welchedarin gipfein_ ,dass Sehmoller fast allen seinenG.egnern Worte zuschleudert, welche die Ver-stitndigung nieht f_rdern". Was die WahrheitsliebeSehmoller's betritft_ so gusserst sieh Treitschke gegendenselben folgendermassen: ,[ch mttsste wie Sie, zehnBogen _llen, wollte ich nachweisen_ wie Sie meine Be-hauptungen hier libertreiben_ dort in alas Gegentheil ver-wandein, bald alas Bedingte als ein Unbedingtes hinstellen,bald mir gar meine eigenen Gedanken zflrnend entgegenhalten_als ob ich sie bestritten hitte_ und dutch solebe dialektiseheKtinste sehliesslich ein Bild zu Stande bringen, in dem ichkeinen Zug yon meiner wirk!ieh'en Meinungwieder erkenne. _

    Der Ruhm, den Gipfelpunkt tier missbrituchliehen Schreib-weise Schmoller's zu bilden_ dflrfte indess jedenfalls seinerKritik meiner ,Untersuehungen" zufallen.

    [_8]

  • m 9 m

    Besitze selner unverdienten Ehren *) nicht begniigen will,wenn das Irrllcht*), das man hat znm Meteor aufsteigenlassen_ nunmehr auch lieber sengen und brennen m_chte,wenigstens iiberall um slch her giftige DJlmpfe ver-breitet; wet kann sich des Unwillens enthalten ? undwelcher Gelcln_e, dessen Umst_inde es erlauben, is_nlcht verbunden, seinen Unwillen 6iTentllch zu be-zeugen ?u

    Nun denn, meine Umsf_nde erlauben es mir, denMissverst_ndnissen, den Entstellungen und Unziemlich-keiten Sehmoller's auf dem Gcbiete der na_ional-_konomischen Kri_ik entgegenzutreten.

    Nur bitte ich Sic, mein Freund, hierln ja keinenBewels auch nur des geringsten Heroismus zu erkennen ;denn einerseits bin ieh der Melnung, dass meine ,welt-fliichtige stubengelehrte Naivet_t _ hnmer noch einemauch noch so weltllchen und ungelehr_en S_reberthumauf dem Geblete der Wiesenschaft gewachsen _ei, undandererseits glaube ich auch noch manchen snderenGrund zu haben, meinen Gegner nicht all' zu sehrf'drchten zu miiesen. MEnner wie S c h m o ] 1e r verm_gennur in Fo]ge geradezu desolater Zust_inde einer Wissen-schaf_ an die Oberflgche zu gelangen. Nur wenn dieHgup_r wissenschaftlicher l_chtungen ihrcr Sachenich_ ganz sicher sind, tiefc Zweifel an ihren grund-legenden Ansichten sie bekiimmern, und dieselben inmehr als einer Beziehung der Nachsicht untergeordneterGeister bediirfen, verm_gen diese letzteren gegen dieVer_reter anderer Meinungen einen halb widerw_rtlgen,halb liicherlichen Terrorismus zu organisiren, wie ergegenw_rtig in einem TheHe unserer fachwissenschaft-lichen Zeitschriften geiibt wird. Indess ich verlange

    *) Lessing gebraucht bier elnen anderen Aumiruck.

    [19]

  • 10

    nicht die Nachsicht dieser Miinner, ja ieh habe nichtsunterlassen, um selbst den Sehein zu vermeiden, alsob ich die Nachsicht sines Schmoller wiinschte.Welchen Grand kiinnte ich also haben, ihn zu f'tirchten,9

    Etwa, dass er mir Irrthiimer nachweise 7 Iehwiinschte diese Gefahr bestttnde, bestttnde im reich-lichsten Masse; wie dankbar wollte ieh ihm fdr jedeBelehrung sein, wiire eine solche bei SchriftsteUernseiner Art nur auch zu finden, bei einem Sehriftsteller,welchem ich Seite flit Seite Missverstiindnisse nach-weiss, welche -- doch ich m_chte nicht in den Tonmeines Gegners verfallen.

    Oder soil ich davor zuriickschrecken, dassSchmoller meine Ansichten entstellen, missdeutenwerde,9 Ich gestehe, dass dergleichen einem Autor niehteben zum Vergniigen gereicht. An erft, _ yells rec_useto._ po_dl _w_isse._ Wie ]eicht wird durch solche,Berichterstattung" dem Autor sin Theft des loyalenErfolges ehrlicher Arbeit entzogen,9 Wie leicht? Jawohl! Indess doch nut dann, wenn wir den Heldendieses Treibens das Feld tiberlassen und unser gutesRecht auf eine objective Berichterstattung nicht gel-tend machen.

    Was ist der Herausgeber einer wissensehaftlichenZeitschrift, dass wir schweigend die Ergebnisse unsererwissenschaftlichen Forsehung yon ihm entstellen lassensollten .9 Was anderes ist er, a]s ein Mann, der imDienste der Wahrheit und der wissenschaftliehen Be.diirfnisse des Leserkreises seiner Zeitechrift steht, einMann, welcher in dem Programme ehrliche und un-befangene Berichterstattung zugesichert hat und gegenseine Pflicht handelt, wenn er, anstatt dieser seinerZusicherung nachzukommen, die Wahrheit entstellt.Und gegen einen solehen sollte es kein Mittel der

    [20]

  • Abwebr geben ? Kein Mittel der Abwehr gegen denMissbrauch wissenschaftlicher Organe, _eren Exlstenzdie Gelehrtenwelt, und nur diese, dutch ihre geistigeund materielle Unterstiitzung erm_glicht?

    Das Mittel ist ebenso einfach als wirksam. Esgilt, Entstellungen der Ergebnisse unserer wissenschaft-lichen Untersuehungen nicht ruhig hinzunehmen, son-dern dieselben zu constatiren. Thun wir dies in einerReihe yon Fiillen, so wird das Lesepublikum sich ge-w6hnen, nicht blindlings mehr der Berichterstattunggewisser Recensenten zu vertrauen, sondern zum min-desten bei besonders aufflilligen Behauptungen sichselbst die Ueberzeugung vonder StichMiltigkeit der-selben zu verschaffen suchen. Damit ist aber miteinem Schlage die Macht jener Miinner gebrochen,welche 'an die Stelle objectiver Berichterstattung dieEntstellung fremder _Ieinungen setzen. Thue nut jederim obigen Sinne seine Pflicht und wir werden dieSchmoller bald nicht mehr zu Fdrchten haben. Ja sicwerden sich bald gen_thigt sehen, entweder die kritischeFeder niederzulegen, oder aber bei der Berichterstattungin Hinkunft in besonders gewissenhafter Weise zuWerke zu gehen. Ist niimlich einmal das Misstrauengegen dergleichen Kritiker erwacht, dann bleibt ihnen,schon im eigenen Interesse, nichts iibrig, als ganz be-sondcrs gewissenhafte Berichte zu erstatten. Welchegrausamere Strafe dieser Miinner l/isst sich aberdenken, als wenn wir sic n6thigen, objective Kritikzu iiben?

    [21]

  • Dritter Brief.

    Sowoh] der Geschichtsschrelber und Statistiker,als auch der Socialtheoretiker besch_iftigen sioh mitGesellschaftserschelnungen; wodurch unterscheidet sichihre wissensehaftliche Th_itigkeit? Wodurch unter-scheiden sich die historischen yon den theoretischenSocialwlssenschaften ? Diese fiir die Wissenschaftslehrean sich bedeutungsvolle Frage hatte fiir reich eine be-sondere Wichtigkeit gewonnen. In der neuern national-_konomischen Literatur Deutschlands waren, nebenmanchen andern Irrthiimern, yon welchen ich welterunten zu handeln gedenke, Ansichten zu Tage getre_n,welche auf dem Gebiete tier Volkswirthschaft jedestrengere Trennung yon Geschichtsschreibung undStatistik einerseits und der Theorie andererseits ver-missen liesse_ Es war eine Schule yon Volkswirthenentstanden, welche sich um die Geschichte und dieStatistik der Volkswirthschaft yon Niemand bereit-wiUiger, a]s yon mir, anerkannte Verdienste erworbenhatte, welche die obigen Wissenschaften und die theo-retische NationalSkonomie indess vielfach mit einanderverwechselte, ja, in Folge der Auffassung der letzterenals eine historische Wissenschaft, die se]bststiindigeBedeutung derselben geradezu in Frage stellte. *)

    *) Vgl. hiezu H. Di e tz e 1: Ueber alasVerh_tniss derVdlkswirthschaftslehrezur Socialwirthschaftslehre.Berlin 1882.S. 4ff, 7if.

    [22]

  • 13 w

    Dieser flit die Entwicklung der Theorle derVolkswirthsehaft verderblich gewordenen Einseitigkeitentgegenzutreten, hatte ich mir zur Aufgabe gestellt.Nicht als ob ich den l_utzen und die Bedeutunghistorlscher und statistischer Forschungen auf demGebiete der Volkswirthschaft an s_ch, oder sis Hilfs-wissenschsften der theoretischen Volkswir_hschaftslehrejemals verkannt oder such nur unterschtttzt htttte; imGegentheile, ich babe die Wichtigkei_ dieser Richmngeudes Erkenntniss_rebens auf nationsl_konomischemGebiete mit nicht misszuverstehender Riickhaltlosigkei_anerkannt. Was ich an den Bestrebungen jener grossenGruppe deutscher Fachgenossen, welche unter demColleetivnamen der historischen Schule deutscherNational_konomen eine so hervorragende Stellung inder neueren vo]kswirthschaftlichen Literatur Deutsch-lands einnehmen, zu bemllngein fand, war die Einseitig-keit, mit welcher dieselben ihre geistige Kraft zumTheile nur historischen und stmtistischen Studien, alsoder Bearbeitung yon _ilfswlssenschaften der politischenOekonomie, zuwenden, die einer Reform dringend be-diirftige Theorie uuserer Wissensehaft jedoch auf dasBedauerlichste vernaehliissigen, zum Theile sogar dertheoretischen Forschung auf dem Gebiete der Yolks.wlrthsehafc mit missverstiindlicher Geringschii_zungentgegent_eten, als wttre die hls_orische Forschungs]lein berechtigt auf dem Gebiete der Volkswirthschaft.

    Die historisch_ Sehule deutscher Vo|kswirthegab such in einer andelen verwandten Riicksicht zumsncherlei Bedenken Anlsss. Hervorragende Vertreterderselben ]lessen jede strengere Trennung der theoreti.schen und praktischen Wissenschaften yon der Volks.wirthschaf_ vermissen ; nieht nut in den meisten neuerenLehrgebEuden unserer Wissenschaft, also in der Praxis

    [23]

  • 14

    der Darstellung, aueh in den grundlegenden methodi-schen Er_;rterungen wurden nut zu oft die Grenzen derbeiden obigen fundamental verschiedenen Richtungender Forschung verkannt, ja diese Verirrung ale einepochemachender Fortschritt unserer Wissenschaftgekennzelchnet.

    Noch i_ einer dritten Beziehung glaubte ich inden methodisehen Grunds_itzen der historischen Schuleeinen Irrthum zu erkennen. Selbst diejenigen Anhiingerdieser Scliule, welche die selbststiindige Bedeutung dertheoretisehen Volkswlrthschaftslehre nicht schlechtwegleugnen, also neben historisch-statistischen Studien andsocialpolitischen Forseh'ungen die Berechtigung einerWissensehaft yon den ,Gesetzen" der Volkswirthschaftzugestehen, selbst diese Anhiinger der historischenSehule deutscher Volkswlrthe schienen mir yon groberEinseitigkeit in ihrer Auifassung der theoretischenVolkswirthsehaftslehre nieht v6lllg frei zu sein, indemsie nicht allen dem Gebiete der Volkswirthschaftadiiquaten, sondern nut gewissen mit historiseh-statistischen Studien in engerer Beziehung stehendenRiehtungen der theoretisehen Forschung (der Philoso-phie der Wirthschaftsgeschichte u. s. f.) die Bereehtigungzuerkannten*), allen iibrigen abet, darunter soichenyon der fundamentalsten Bedeutlmg, mit unbegriindeterGeringschiitzung entgegentraten. **)

    *) Vgl. hiezu die saehgemttssenAu_hrungen yonH. Dietzel a. a. O. 8. 31 if.

    **).Beide Eiehtungen(diehistoriseheend die organisehe),besondersabet die historisehe,gewannenin DeutsehlandrasehBodenund heutzutagedom|nlrensie die deutscheWiMensehaftfast ganz. Die Art, in der sie ihre Herreehaftaustlben, ist,was man nieht _ugnen kann, wenig dal&utm.Jede yon derherrsehendeneinjgermassen abweiehendeRiehtung tier For-

    [24]

  • 15 m

    Die historische Schule deutscher Volkswirtheschien mir solcher Art den Begritf der politischen0ekonomie und ihrer Theile, das Verstiindniss desVerhiiltnisses dieser letzteren zu einander und zu ihrenHilfswissenschaften, vor Allem abet die Uebersieht tiberdie versehiedenen berechtigten Richtungen der theore-tischen Forschung auf dem Gebiete der Volkswirthsehaft-- kurz den Einblick in das System der Aufgaben ver-loren zu haben, deren L_sung der wissenschaftlichenForschung auf dem Gebiete der Volkswirthsehaft ob-]iegt. Ein Theil ihrer Vertreter beschiiftigte sich aus-sctdiesslich mlt der Geschiehte und der Statistik derVolkswirthschaft, also mit Hilfswissensehaften derpolltischen Oekonomie, wiihrend er doch, sei es nunmittelbar oder unmittelbar, an dem Ausbaue der letzterenzu arbeiten wiihnte, ein anderer mit der L_sung prakti-scher, zumal socialpolitischer Probleme, in der Meinung,die Theorle der Volkswirthsehaft umzugestalten, nochein anderer endlich ersch_pfte seine geistige Kraft inder Verfolgung gewisser mit historisch-statistischenStudien in engster Beziehung stehenden besonderenRichtungen der theoretisehen Forsehung, jede andereRichtung des theoretisehen Erkenntuissstrebens aufdem Gebiete der Volkswlrthschaft als Missverstiindnissder wahren Ziele national_konomischer Forschung zu-rlickweisend.

    Diese Verirrungen einee namhaften Theiles derdeutschen Volkswirthe zu bekiimpfen, erschien mir aberum so .wichtiger, als die deDselben zu Orunde liegendeVerkennung wiehtiger Aufgaben der politisehen 0eko-

    sehung wird als ,abstraet_, _unhistoriseh"oder ,_atomistiseh_verurtheilt oder ignorirt." E. v. BShm-Bawerk in der,Zeitsehrift fer das Privat- und 8ffentliehel_eeht tierGegen-wart". Wien 1883, XL B., 8. 209.

    [25]

  • 16

    nomie in hohem Masse verderblich auf die Entwick-lung unserer ganz vorzugsweise in ihrem theoretischenTheile reformbediirftigen Wissensehaft einwirken musste.Ich glaubte wahrzunehmen, dass in Deutschland dietheoretische Forsehung auf dem Gebiete der Volks-wirthschaft in Folge der obigen Irrthiimer, d. i. seitder Begriindung der historisehen Sehule, iiberhauptunterschiitzt werde, in manehen Zweigen geradezuausser Uebung gekommen sei, zum grossen Nachtheileunserer Wissenschaft.

    Der Weg den ich zur Bekiimpfung der obigenEinseitigkeiten und Irrthiimer der historischen Schu]eeinzusehlagen hatte, konnte flit reich kein zweife]haftersein. Der Irrthum der in Rede stehenden Gruppedeutseher Volkswirthe liegt in ihren Anschauungenfiber die Natur der politisehen Oekonomie uncl ihrerTheile, iiber das Verhiiltniss dieser letzteren zu einanderund zu gewissen Hilfswissensehaften der politischenOekonomie, endlich in ihren einseitigen Lehrmeinungenfiber die Natur des theoretischen Erkenntnissstrebensauf dem Gebiete der Volkswirthsehaft. So sehwierigund umfassend aueh die Untersuehung sieh gestaltenmoehte: es musste die Natur der obigen Diseiplinenund ihre Ste]lung im Kreise der Wissenschaftsn iiber-haupt klargestellt werden, ehe ieh die flit die Ent-wicklung der politischen 0ekonomie verderbliehen Irr-thiimer der historlsehen Sehule zu widerlegen vermoehte.

    Es hiesse nun einen namhaften Theft meinerEr_rterungen fiber diesen Gegenstand in einer fiberden Rahmen dieser Sehrift hinausreiehenden Weisewiederholen, wollte ich die obigen f'dr die Forsehungauf dem Gebiete der Socialwissenschaften fiberhauptund der politischen Oekonomie insbesondere, grund-]egenden Fragen, an dieser Stelle neuerdings eingellend

    [26]

  • 17 m

    behandeln. Was ich hier beabsichtige, ist, den An-griffen zu begegnen, welche meine ,Untersuchungen _Seitens einiger namhafter Vertreter der historischenSchule deutscher Volkswirthe gefunden haben. Nutdie letzten Ergebnisse meiner Forschung, und seibstdiese nur insoweit, a]s sie Gegenstand der wissen-schaftlichen Discussion geworden sind, m_gen bier, inwenige Worte zusammengefasst, ihre Stelle finden.

    Es sind die Thaten, Schicksale, Institutionen be-stimmter Staaten und _lker, welche der G e s c h i c h t s-schreiber und Statistiker, der erstere unter demGesichtspunkte der Entwickelung, der letztere unterjenem der ZustKndlichkeit zu erforschen und darzustellenhaben ; der Theoretiker auf dem Gebiete der Staats-und Socialerscheinungen hat dagegen die Aufgabe, uns-- nicht die concreten Erscheinungen und die concretenEntwickelungen, sondern _ die ,Erscheinungsformen"und die _Gesetze _ der beziiglichen Menschheitsphiino-mene zum Bewusstsein zu bringen; der Forscher aufdem Gebiete der p r a k t i s c h e n Staats- und Social-wissenschaften abet soll uns die ,Grunds_itze _ zumzweckmiissigen Eingreifen in die staatlichen und'gesell-schaftlichen Zust_nde ]ehren, die Grundsiitze, nachwelchen gewisse Absichten, z.B. die Pflege der Volks-wirthsehsft, die Verwaltung des Staatshaushaltes u. s. f.am zweckmKssigsten verwirklicht werden kSnnen.

    In dieeem Sinne sagte ieh, dass der G e s c h i c h t s-schreiber und Statistiker die concreten Er-scheinunge_ des ]Kenschenlebens und ihre concretenBeziehungen in Raum und Zeit (der erster_ unter demGesichtspunkte der Entwickelung, der letztere unterjeuem der Zustiindlichkeit!), der Theoretiker dieErscheinungsformen des Menschenlebens und die Ge-setze der Erscheinungen des ]etzteren (die Typen and

    [27]

  • die typischen Relationen der Menschheitserscheinungen),der Bearbeiter der p r a k t i s c h e n Staats- mad Social-wissenschaften abet die Grundsiitze zum zweckmiissigenHandeln auf dem Gebiete der Staats und der Gesell-schaftserseheinungen zu erforschen nnd darzustellenbabe.

    Ich blieb bei dieser Classification und ihrer An-wendung auf die Wirthsehaftswissenschaften nichtstehen. Die hauptsiichlichen Irrthiimer der historischenSchule der deutschen Vollmwirthe betl_ifen ihre Auf-fassung vom Wesen der theoretisehen National_konomie,ihre einseltige Hinneigung zu e in z e 1n e n mit histo-rischen Studien eng verbundenen Riehtungen der theore-tisehen Forsohung. Hatte ieh mir die Aufgabe gestellt,in seinen Grundziigen zuniichst das ganze System derProbleme darzulegen, welche der mensehliehe Geistauf dem Gebiete der Soeialforschung iiberhaupt und derpolitisehen Oekonomie insbesondere zu ]_issL hat, sotrat an reich nunmehr die engere Aufgabe heran, dasSystem der bereehtigten Riehtungen der t h e or e-t i s c h e n Forsohung auf dem Gebiete der Volkswirth-sehaft festzustellen. In diesem Sinne babe ieh ansge-flihrt, class es zwei Hauptriehtungen der theoretisehenForschung gebe. Beide haben den Zweek, die Er-seheinungsformen und die Gesetze der volkswirthschaft-lichen Phiinomene festzustellen. Die erstere (diee mp i r i s c h e) soil die Erscheinungsformen der realenPhiinomene der Volkswirthsehaft ,in ihrer v o 11e n empi-rischen Wirklichkeit a und die zu beobachtenden Regel-m_sigkeiten in der Aufeinanderfolge und derCo_xistenz,(die _empirischen Gesetze") (_er volkswirthsehaftliclienErscheinungen feststellen, wlihrend tier andexen (derexacten Richtung der _eore_hen Forsehung), ineiner den exaeten Naturwimmschaften an a 1o g e n, wenn

    [28]

  • 19

    such keineswegs identisehen Weise, die Aufgabe zu-f_iit, die reales Erseheinungen der Volkswlrthschaftauf ihre einfachsten streng typisehen Elemente zuriiek-zuFdhren und uns, auf der Grundlage des Isolirungs-verfahrens, die (exacten)Gesetze darzu]egen, nachwelchen sich complicirtere Erscheinungen der Volks-wirthsehaft aus den obigen Elementen entwiekeln, umuns auf diesem Wege, zwar nleht das Verstiindniss dersoeialen Ersebeinungen in _ihrer vollen empi-risehen Wirkliehkeit _, wold abet jenes derwirthsehaftliehen Seite derselben zu versehatfen.

    Dem Naehweise der yon der historisehen Schuledeutseher NationalGkonomeu eifrig bestrittenen Be-rechtigung dieser letzteren Richtung des theoretisehenErkenntnissstrebens auf dem Gebiete der Volkswirth-sehaft _ babe ieh abet meine besondere Sorgfa]t zuge-wandt.

    Nun weiss ich sehr wold, dass dutch die Zu-sammenfsssung der Ergebnisse eines Theiles meinerUntersuchungen in so wenige Worte ich meinen Lesernnur ein hGchst unvoHkommenes Bild derselben zu bietenvermag. Liegt doch der hauptsiiehliche Werth wissen-sehaft]icher Ergebnisse in der genetisehen Entwleklungund der methodiseben Begrfindung derseiben. Indessse]bst die sehematlsehe Form, in weleher ieh diese]ben _bier wiedergebe, wird, wie icti glaube, genfigen, ummeine Leser fiber den Werth der Angrit_e zu orientiren,welche meine ,Untersucbungen fiber die Methode derForsehung _ seitens eines Theiles der nstiona]-Gkono-misehen Kritik Deutseh]ands erfahren babes.

    [29]

  • Vierter Brief.

    Der Gegensatz zwischen den historischen undden theoretischen Socia]wissenschaften, wie ich ihn inmeinem letzten Briefe gekennzeichnet und in raeinen_Untersuchungen iiber die Methode der Socia]wissen-schaf_en_ eines Weitercn ausgefdhrt babe *), wird yon:Sc h m o11e r nicht bestrittcn, sondern in seiner Weiseanerkannt. Er gibt zu**), dass die Scheidung der Er-kenntnissrichtungen, yon denen ich ausgehe -- be-rechtigt? -- nein! -- dieser Ausdruck fctdt offenbarin dem eigenthiimlichen Recensenten-Argot S c h m o1-] e r's -- sondern ,,yon einer gewissen Bereehtigungsei". _Aber dieser Gegensatz diirfe nichtals eine uniiberbrlickbareKluft aufgefasstwerden." ,Die Wissenschaft yore IndividueUen" --Schmoller m_chte ,lieber ssgen% die descriptiveWissenschaft *_) -- _liefere die Vorarbeiten fdr die all-

    *) 8. 3 if. mad 252 ft.**) Jahrbucha. a. O. S. 241.

    ***) Ich, flir meine Person, mSchte dies keineswegs,iicber sagen". Die Botanik_die Zoologie_die Petrographicu. s. f. sind doch sicherlich keineWissenschaftenyoreI nd i-

    [3o]

  • 21

    gemeine Theorie; dieseVorarbeitenseienum so voll-endeter,alsdieErscheinungen naeh allenwesentliehenMerkmalen, Vergnderungen,Ursaehen und Folgen be-schriebenseien.Die vollendeteBeschreibungseizeaberwiedereinevollendeteClassificationderErsehelnungen,einevolleudeteBegriffsbildung,eineriehtlgeEinreihungdes Einzelnen unter die beobachtetenTypen, einev_lligeUebersiehttiberdiem_gliehenUrsachen voraus.J'edevolhndete Beschreibungalso seieinBeitragzurFeststellung,des generellen Wesens der be-treffenden Wissensehaft."

    _Des generellenWesens der betreffendenWissen-sehaft!u Was selldas heissenPWas ist,dasgenerelleWesen einerWissensehaft_? Meint S ehmoller viel-

    leiehtdieErkenntnissdesGenereUen,(derErscheinungs-formen!) auf irgend elnem Gebiete der Forschung?Doeh ieh willihm mit dergleiehenFragen nichtallzul_tigwerden. [ndess,was williiberhauptdieobigeDar-legung mit ihrerseltsamenTerminologie?

    Wenn S ehm o11er in den obigenAusfdhrungensagen wollte,dass historlscheStuclienfiirden Theore-tiker,und umgekehrt die Kenntniss der TheoriederVolkswirthsehaftfdr den Historikeryon Wichtigkeitseienund deshalb jederFortsehrittauf dem GebietederGeschiehtssehreibungder Theorie,und umgekehrt

    viduellen und doch descriptive Wissenschaften. Iehhabe nieht ohne triftigen Grend die are Terminologie, welchcdie obigen Diseiplinen zur _historia naturalis", zu den,historisehen Wissensehaften" in ganz anderem, als demmodernen Verstande des Wortes zlthlt_ verlassen end diehistorischen Wissenschaften im heutigen Sinne als die,Wissen-schaflen veto Individuellen" bezeichnet. S c hm o 11er miss-versteht reich hier_ wie an zablreichen anderen 8tellen 7 indemer mleh zu berichtiges vermeint.

    [31]

  • -- 22

    jeder Fortschritt der ]etzteren der Geschichtsschreibungzu Gute komme, so hat er Recht, vo]lkommen Recht,und es k_nnte nur die Frage entstehen, weshalb esS c h m o] ] e r, eine so selbstverstiindliche Wahrheit ineine so unverstiindliche Sprache zu hiillen, beliebt?Schmoller wird doch nicht etwa seinen Lesern zu-muthen, den obigen Satz, und wiire er in eine nochseltsamere Sprache gekleidet, f'dr eine neue, erstnoch zu beweisende Wahrheit zu nehmen, oder ihnenglauben machen wollen, dass m ir dergleichen unbe-kannt sei?

    Ich babe (in meinen ,Untersuchungen") daraufhingewiesen, dass die theoretische Forschung auf demGebiete der Volkswirthschaft in der Geschichte derletzteren eine h_chst werthvolle empirische Grundlsgvflnde, babe hervorgehoben _), dass eine h_her ent-wickelte Theorie der Wirthschaftserscheinungen ohnedas Studium der Geschichte der Volkswirthschaft nichtdenkbar sei, auch fdr die praktischen Wissenschaftenyon der Volkswirthschaft (die Volkswirthschaftspo]itikund die Finanzwissenschaft) die Bedeutung des Ge-schichtsstudinms in nicht misszuverstehender Weisebetont. _) [ch babe ausdriicklich die historisehenWissenschaften yon der Volkswirthschaft a]s Hilfs-wissenschaften der politischen Oekonomie, und umge-kehrt diese letztere als eine Hilfswissenschaft derersteren bezeichnet_ _)

    Was will also S c h m o 11e r mit den obigen imTone der Belehrung vorgetragenen Bemerkungen?

    Was will er damit in einer Kritik meines Buches ?

    *) A.a.O. 8.123._) A. a. O. 8. 187.

    ***) Bbend. 8. 18.

    [32]

  • -- 2B

    Doeh wohl nur seinen Lesern die Meinung beibringen,dass mlr die Trivia]i_ten, welehe er in einer halbunverst_ndliehen Sprache vortr_g_, unbekannt seien ?Er wil! reich fiber Dinge belehrem yon denen ieh umdes Humors wiilea, welcher in gewissen Pr_tensionender historisehen National6konomen ]iegt, naehgewiesenhabe *),dass sie seit P 1 a t o n und A r i s t o t e1 e s yonden Sehriftstellern fiber ,praktisehe Philosophie _ wieder-holt wurden und wiederholt werden!

    Indess selbst wenn die obigen Bemerkungenoriginell w_ren, wenn nieht die Patina yon zwei Jahr.tausenden auf ihnen l_ge, was haben sic mit der Fragenach den G r e nz e n zwisehen Gesehichtssehreibung undTheorie auf dem Gebiete der Volkswirthschaft zu thun ?Dass die Gesehichte der Volkswirthsehaft und niehtnur diese, sondern aueh zahlreiehe andere Diseiplinenals Hilfswis_ensehaften der theoretischen National-5konomie bezeiehnet werden kSnnen und jeder Fort-sehritt derselben demnaeh der theoretisehen National-5konomie zu Gute komme, ja dass alle Wissensehaftenin einem gewissen Zusammenhange stehen, wer wirddies ]eugnen, wer hat dies je geleugnet? Nur einganz unkundiger Beurtheiler vermSchte indess darausden Schluss zu ziehen, dass zwisehen den ein-zelnen Wissenschaften iiberhaupt keinefesten Grenzen bestehen und dass insbesonderedie historisehen Wissenschaften yon der Volkswirth-schaft und die theoretische National6konomie miteinan-der verwechselt werden diirfen. Und nur dagegen, gegendie Irrthiimer, in welche unsere historisehen National-5konomeu in dieser Riieksieht veffallen sind, babe iehreich gewendet. _"'*)

    *) Ebeud. S. 187.**) El}end. S. 11 ft.

    [33]

  • -- 24 --

    Keine unUberbrfickbareKluft trennt die Geschichteyon der Theorie der Volkswirthschaft, so wenig alsdie Anatomie yon der Physlologie, die Mathematik yonder Physik und der Chemie; zwlschen der theoretlschenNationalSkonomie und der Geschichte der Volkswirth-schaft, ja zwischen den Wissenschaften iiberhaupt bestehtseibstverstgndlich keine so nniiberbriickbare Kluft, wieetwa zwischen der transcendentalen Philosophie andeiner dgnischen Dogge; indess doch in jedem FaUe e i n eganz bestimmte Grenze, wie eine solche zwischenWissenschaften eben zu .bestehen vermag. Der Physio-log verfolgt andere wissenschaflaiche Ziele als derAnatem, auch wenn er sich fdr seine Zwecke mit denErgebnissen der Anatomie beschgftigt, der Physikerandere Ziele als der Mathematiker, auch wenn er sichder Ergebnisse der Mathematik flit seine Zwecke be-dient, und das Zie], welches sich der Bearbeiter derTheorie der Volkswirthschaft setzt, ist ein durchausverschiedenes yon jenem des Histerikers auf demGebiete der Volkswirthschaft, aueh wenn er fiir seinenZweck historische Studien betreibt. _Es sind c on c r e t eThaten, Schicksale, Institutionen etc. bestimmter V_lkerand Staaten, es sind concrete Ctflturentwicklangen undZustgnde, deren Erforschung die Aufgabe der Gesckichte,beziehtmgsweise der (historischen!) Statistik bfldet,wghrend die theoretischen Socialwissenschaften ans dieE r s c h e i n u n g s f or m e n der socialen Phgnomene anddie Ge s e t z e ihrer .Aufeinanderfolge, Co_xistenz u. s. f.darzulegea die Aufgabe haben. _ _)

    Kier, in Rficksicht auf die Aufgaben und dieZiele der Forschung, bestehen jene strengen Grenzenzwischen den obigen Wissenschaften, welche nicht vet-

    *) ,Untersuehungen" S. 12 ft.

    [34]

  • wischt werden diirfen, ohne der Verwirrung und demflachsten Dilettantismus Thiir uud Thor zu _ffnen.Was ich der historischen Schule deutscher National-_konomen zum Vorwurfe mache, ist nicht, dass sie dieGeschichte der Volkswirthschaft a 1s H i 1fs w i s s e n-schaft der politischen 0ekonomie betreibt,sondern, dass ein Theft ihrer Anhiinger iiber histori-schen Studien die politische 0ekonomie selbst aus demAuge verloren hat.

    [3s]

  • Fiinfter Brief.

    Sie fragen reich, mein Freund, warum dennS c h m o 11e r eigentlieh den selbstverst_ndliehen Satz,dass die historischen Wissenschaften vonder Volks-wirthschaft (die Gesehichte und dieStatistik der ]etztern)lediglich im VerhKltnisse yon Hilfswissenschaften zuder politischen Oekonomie stehen, nieht riickhaltloszugebe, sein Bestreben vielmehr dahin gehe, die Grenzenzwischen den beiden obigen Wissensgebieten nachMSglichkeit zu verwirren ? Die Erkl_rung hierfiir, oderum reich der edlen Ausdrueksweise S e h m o11e r's zubedienen, die Erkl_rung ffir seine Abneigung ,gegendie S c h e ul e d e r wissenschaftlicher Arbeitstheilung"liegt ziemlich nahe. Kein Verniinftiger leugnet dieWichtigkeit historischer Studien fiir die Forschungauf dem Gebiete der politischen Oekonomie. Niemand]eugnet auch den Nutzen, welchen die Gesehichte derVolkswirthschaft an sich fiir das Verst_indniss dervolkswirthschaftliehen Erscheinungen hat. Indess diesvermag dem Herausgeber des Berliner Jahrbuches niehtzu geniigen. Er will seine historiseh-_tatistisehe Klein-malerei welter bgtreiben, und doch die Pr_itension nicht

    [36]

  • -- 27 --

    aufgeben, fiir einen Bearbeiter der politischen Oekonomieund speeiell der Theorie derVolkswirthschaft zu gelten,und deshalb sein Widerwille gegen die .Scheulederwissenschaftlicher Arbeitstheilung", in Wahrheit abergegen jede sachgemi/sse Bestimmung der Grenzenzwisehen Geschichte und Theorie der Volkswirthschaft,deshalh auch die van ibm ziih festgehaltene Meinung, classdie Geschichte der Volkswirthschaft der d e s c r i p t i v eT h e i 1der politiscben Oekonomie sei _), w_ihrend sic dochiiberhaupt kein Theil der politischen Oekonomie, sonderneine Hilfswissenschaft der letzteren ist. Um fiber dieseallerdings schwer fiberbriickbare Kluft zu gelangen,stellt er die Theorie yon der keineswegs unfiber-brfiekbaren Kluft zwischen der Geschichtsschreibungund der Theorie auf dem Gebiete der Volkswirthschaftauf.. Der Gegensatz zwischen den obigen Wissenschaftendarf nicht als eine unfiberbriickbare Kluft aufgefasstwerden." Die Frage nach den Grenzen zwischen denhistorischen trod theoretischen Wissenschaften ist damiterledigt! so recht im Geiste Schmoller's erledigt!

    Bienheureux le,_Ecrivoins --m_chte ich bier mitBalzac ausrufen -- fui se contentent si facilement.Damit S eh m o 11e r seine historisch siatistische Mikro-graphic ruhig fortsetzen k_nne, sollen historisch ge-wordene, allgemein anerkannte wissenschaftliehe Classifi-cationen umgeworfen worden, damit er auch ffirder-bin sich seinen Strassburger historischen Spaziergiingenungest_rt widmen k_nne and doch fiir einen Bearbeiterder politischen Oekonomie gelte, sollen alle wissen-sehaftlichen Kategorien auf den Kopf gestellt werden !Wahrhaftig! das wiire der Miihe werth! Und datumnoeh einmal :Wer die Ergebnisse der Gesehichtsforschung

    *) Jahrbuch a. a. O. S. 241.

    [37]

  • -- 28 --

    i'dr die Zwecke der Forschung auf dem Gebiete derpolitischen Oekonomie verwerthe_, ist allerdi_gs einpolitischer Oekonom, wer aber die Gesohichte der Volks-wirthschaft selbst erforscht, ist in dieser seiner Functionein Geschichtssohreiber der Volkswirthschaft, ein wissen-schaft)icher Historiker, nebenbei gesagt, natiirlich nutdann, wenn er mit den Quellen und der Tecknik derGeschiehtsforschung geniigend vertraut ist. So ist es,und so wird es hotfentlich bleiben, wenn auch dariiberk]ar wiirde, dessSchmol]er die Aufgabe der politi-schen Oekonomie aus dem Grunde verkannt babe.

    [3S]

  • Sechster Brief.

    HKtte S c h m o 11 e r die fundamentale Verschieden-belt der hlstorischen Wissenschaften yon der Volks-wirthschaft einerseits Und der politischen 0ekonomieandererseits, und insbesondere jene Verschiedenheit,welche zwischen den historischen Wissenschaftenyon der Volkswirthschaft und der theoretischen

    Volkswirthschaftslehre besteht, olme Umschweife zuge-standen und nicht vlelmehr eine offenliegende Wahrheitdutch allerhand Ausfliichte zu verdunkeln versucht, sowiirde sich allerdings auch d_n_ noch eine Ditferenzzwischen meinen Ansichten iiber das Verldiltniss derGeschichte zu der politischen 0ekonomie uud denseinen herausgeste]lt haben.

    ])ass die Geschichte und die Statisti_ der Volks-wirthschaft _ur politischen Oekonomie iiberhaupt undzu dem theoretischen Theile der ]etzteren insbesondereledigUchim Verh'_ltnisse von Hilfswissenschaften stehen,yon dlesen letztarn streng zu unterscheidende Wissen-schaflen seien, dariiber vermag unter einigermusen sach-kundigen BeurtheUern allerdings kein verntinftigerZweifel zu bestehen; ebensowenig abet auch darliber,

    [39]

  • -- 30 --

    dass die historischen Wissenschaften yon der Volkswirthsehaft, nicht nut an und fdr sich, sondern auch inder oblgen Riicksicht, das ist a|s Hilfswissen-s e h a fte n der politisehen Oekonomie yon Wiehtlgkeitseien. Es gibt keine Hilfswissenschaft, deren Nutzbar-maehung f_r die Zwecke der Forsehung auf dem Ge-biete jener Diseiplin, zu welcher sie sich in d_m bierin Rede stehenden Verh_ltnisse befindet, nicht yon einergewissen Bedeutung w_re. Dies liegt schon in der An-erkennung derselben als Hilfswissenschaft derbetreffenden Diseip|in. So wenig Jemand den Charakterder historischen Wissenschaften yon der Volkswlrth-schaft als Hilfswissensehaften der politisehen Oekonomiezu leugnen vermag, so wenig wird er die Bedeutungderselben fiir die Forschung auf dem Gebiete dieser]etztern in Abrede stellen kSnnen.

    Eine wesenflieh andere Frage ist jedoch die-jenigenaeh dem re]ativenMasse der BerechtigungeinzelnerRiehtungender Forsehung auf einem be-stimmten Gebieteder Erseheinungswelt.Kein Ver-niinftigerwird bezweifeln,dass in dieserRiicksiehtdieM_glichkeitder Unterschiitzung,aber auch einesoicheder Uebertreibnngvorhandensei.

    Nun weissiehsehrwohl,dassunterallenAuf-gaben,welchediewissenschaftlicheDiscussiondarbietet,keinesehwierigerist,alsdierichtigenGrenzenwissen-schaftlicherBestrebungenfestzustellen.AlleWissen-schaftistihrerIdeenach unendlich;jede,wenn auchnochso einseitigeUebertreibungeinerwissensehaftlichenRichtung hat ihrenNutzen und deshalb,yon einemgewissenStandpunkte,ihre Berechtigung.Niemandliilltes demnaeh aueh bei, zu behaupten,dassselbst die einseitigste Hingabe der Ver-treter unsererWissenschaftan historisehe

    [4o]

  • Studien fiir die Forschung auf demGebieteder politisehenOekonomiejedes wie immergearteten mittelbaren Nutzens entbehre.All' dies steht, wie gesagt, fiir keinen in der wissen.schaft|iehen Forsehung auch nur einlgermassen Er-fahrenen in Frage.

    Was dagegen nicht minder feststeht, ist derUmstand, dass die Zahl der Bearbeiter einer Wissen-schaft in jedem Volke und in jedem Zeitalter einebegrenzte ist, und der Unendlichkeit wissensehaftlicherAufgaben keine g|eieh unendliche F_thigkeit zurLSsung derselben gegeniibersteht. Jede einseitige Ueber-treibung einzelner, wenn auch berechtigter Richtun-gender Forschung ist demnaeh mit einer ebenso ein-seitigen Vernaehl_ssigung anderer gleichbedeutend, undin diesem Sinne m_isste die nahezu aussehliesslieheHingabe vieler deutseher Volkswlrthe an historiseheForsehungen unter allen Umst_tnden, d.i. selbst dannals eine verderbliehe Einseitigkeit betraehtet werden,wenn die ,Gesehiehte der Volkswlrthsehaft" in derThat ein T h e i 1 der .politischen Oekonomie _ w_re ; die-selbe milsste auch unter der obigen Voraussetzungals eine Einseitigkeit, und zwar als eine verderblieheEinseitigkeit bezeichnet werden, well sie mit einerebenso einseitigen Vernaehliissigung der theoretisehenForschung auf dem Gebiete unserer Wissenschaft noth-wendig parallel ]iiuft, w_ihrend doch eben die theore-tlsche NationalSkonomie, um ihres zuriickgebliebenenZustandes willen, dringend der Reform bedarf.

    Nun ist abet die Gesehiehte der Volkswirthsehaftkein Theil, sondern eine Hilfswissensehaft derpolitischen Oekonomie -- eine niitzliche, eine unent_behrliehe Hilfswissensehaft, indess doeh nur eine Hilfs-wissensehaft, und die nahezu aussehliessliche Hin.gabe

    [41]

  • -- 82 --

    der gelehrten deutschen Volkswirthe an die Bear-beitung derselben demnach eine so klar in die Augenfallende Einseitigkeit, dass es unbegreiflich ist, wiehier auch nur ein Gegensatz der Meinungen zu ent_stehen vermochte.

    Glauben Sie, dass nach dem bier Gesagten nochirgend ein verntinftiger Zweifel tiber meine Stellungzu der obigen Frage mi_gHchsei? Ftir denjenigen, demes um die Wahrheit zu thun ist, sicherlich nieht.

    Lassen wit, mein Freund, indem wir die Ein-seitigkeiten der historischen Schule deutscher Volks-wirthe bekiimpfen, unsere Gegner deshalb immerhintiber Verkennung ihrer Verdienste auf dem Gebieteder Geschichtsforschung, ja dariiber klagen, dassuns die Bedeutung der letztern fdr unsere Wissen.schaft nicht klar sei; kein irgendwie besonnener undunbefangener Beurtheiler wird indess flirderhin dar_berim Zweifel sein kSnnen, dass Schmoller dutch der-gleichen Behauptungen nut den eigentlichen Gegenstandder Discussion zu umgehen sucht

    Was ich bekgmpfe, ist die obige Einseitigkeitder historischen Schule; woftir ich eintrete, di'eWiedereinsetzung aller berechtigten Rich-tungen menschlichen Erkenntnissstrebensauf dem Gebiete der Volkswirthschaft.Nicht ich trage die . S c h e u 1e d e r wissenschaftlicherArbeitstheilung'.*)

    ,Wet unbefangen, inebesondere nicht ale Ver-,treter einer eiMeitigen ]_ichtungengagirt, Me n g r's,Darlegtmg auf sich wirken l_sst, wird aus derselben,die voile Wtirdigung der wechseleeitigen

    *) Vgl. meine Untersuehuugen8. XVIII. ft.

    [42]

  • ,Bedingtheit aller ForschungsrichCangen,als Ausfluss der Veranlagung unseres_Geistes entnommen haben. "_)

    Wer dagegen eben so unbefangenen GeistesS e h m o 11e r's literarischer Th_tlgkeit fo]gt, wird ausdem halben Dutzend Schriften, das er bisher iiberdie Entwieklung der Strassburger Gewerbsverhiiltnissever_trentlioht hat, sicherlich nlchts weniger, als denEindruek der Universalitiit, gewonnen haben.

    *) E. Sax, Das Wesen end die Aufgaben der Nat.-Oek.Wien71884. S. 32.

    [4_]-

  • Siebenter Brief.

    Nicht der wieder und immer wieder betontemittelbare Nutzen historischer Studien fdr dieForschungund die Lehre auf dem Gebiete der politischen Oeko-nomie, sondern die Yerwechslung yon Theorie und Ge-schichtsschreibung, die einseitige Hingabe eines nichtgerlngen Theiles der deutschen Vertreter unserer Wissen-schaft an die Bearbeitung einer Hilfswissenschaft dieserletzteren, ist, was ich in meinen ,Untersuchungen"bekiimpft babe.

    Was ist der Grand dieser Einseitigkeit? Wieso,fragen Sie reich, ist der obige, fdr die Entwicklung derpolitischen Oekonomie iiberhaupt, und des theoretischenTheiles dieser letzteren insbesondere, so verderblichgewordene Irrthum entstanden2

    Ich will bier nicht ausschliesslich yon S c h m o11e rund den geistesverwandten Genossen dieses Autorssprechen. Ueber die speciellen Ursachen des Historismusdieser Schriftsteller habe ich reich bereits ge_ussert.Indess die hier angedeuteten Verldiltnisse sind denn dochnut zu_lllge; eine so weir verbreitete Erscheinung, wieder Historismus auf dem Gebiete der deutschen National-

  • b 35 --

    _konomie, kann nur das Ergebnlss viel universellererUrsaehen sein. Die eiuseitige Ueberseh_itzung geschieht-lieher Studieu Seitens eines Theiles uuserer deutsehenVolkswir_he wurzel_ denn aueh in der That in einerReihe yon Irrthtimern tiber das Wesen der politise,henOekonomie und iiber das Verhiiltniss historiseher Studienzu dieser letzteren, in einer Reihe falscher Grund-auffassungen, welehe unter unseren historischen Volks-wirthen vorherrsehen und bei tiiiehtiger Betrachtungallerdings geeignet sind, dem einseitigen Historismusin unserer Wissenschaft den Sehein der Bereehtigungzu verleihen.

    Ich m5ehte hier vor allem der unter den deutsehenNational_konomen welt verbreiteten Meinung gedenken,dass der Weg zu einer Reform der Politisehen Oeko-nomie, zum mindesten der n_iehste zu unter-nehmende Schritt zu einer solehen, die Er-farsehung der Wirthsehaftsgeschichte sei.

    ,Es ist u, sehreibt S e h m o11e r'_),, keineswegs eineVernaehl_ssigung der Theorie, sondern der nothwendigeUnterbau fiir sie, wenn in einer Wissensehaft zeitweiseiiberwiegend deseriptiv verfahren wird... Dass durchsolehe Arbeiten zeitweise ein Theil der Kr_ifte ab-gehalten wird, an der Theorie fortzuarbeiten, liegt imWesen wissensehaftlieher Arbeitstheilung."

    Dass die Geschichte und die Statistik wiehtigeHilfswissenschaften der politisehen Oekonomie und indiesem Sinne ein ,Unterbau" der letzteren seien, babeieh, wie ich hoffe, in mehr als geniigendem Masse bereitshervorgehoben. Aus der Bedeutung der Geschichteund Statistik als Hilfswissensehaften der politisehen

    *) Jahrbueh7a. a. O. S. 241 if.

    [45]

  • m 36 --

    Oekonomie, und wiirde diese Bedeutung auch in nochso einseitiger Weise fibertrieben, ergeben sioh ]ndessdoch keineswegs die yon S c h m o11e r gezogenen Con-sequenzen. Sind die historischen Wissenschaften yonder Volkswirthsehaft wichtige, ja unentbehrliehe Hilfs.wiesenschaften fiir die theoretische National6konomie,so kann daraus verniinftigerweise doch nut derSchluss gezogen werden, dass die Forsehang auf demGebiete dieser letzteren die Ergebnisse der Geschichts-forschang und der Statistik zu sammeln und f'dr ihreZwecke zu beniitzen habe. Es wiirde daraus folgen,dass die Bearbeiter der politischen Oekonomie des yonden Historikern und Statistikern erforschte his_orisoheand statistische Material auf das eifrigste and sorg-fdltigste fiir ihre Zwecke- fiir die Feststellung der,Gesetze" der volkswirthschaftlichen Erscheinungenu. s. f. -- zu sammeln und zu verwerthen haben.

    Nie wurde yon den Historikern aller V61ker derCulturgeschichte und der Cultur-Statistik iiberhaupt,und der Geschichte und S tatistik der wirthsohaftlichenSeite des Volkalebenm insbesondere, eine gr_ssere Auf-merksamkeit zugewandt, als in unseren Tagen; hie warnooh der Umfang des yon den Theoretikern auf demGebiete der Volkswirthsohaft zu bewiiltigenden historisch-statistisehen Materials ein gr_sserer, hie die Sacldage,se]bst fiirjene Zweige der volkswirthschaftliehen Theorie,welche sich vorwiegend auf die Ergebniese der Geschichteund der Statistik stiitzen, eine so gKustige, als inder Gegenwart. Wahr]ich, an historisch-statistischemMaterial fitr die theoretische Forschung auf dem Gebieteder Volkswirthschaft fehlt es in unseren Tagen denSocialphilosophen weniger, ale je, und zwar selbst jenen,welche die ohengedachten Zweige der volkswirthschaft-lichen Theorie cultiviren.

    [46]

  • -- 37 --

    Darum ist es den liistorisehen V01kswirthen yonder strengen Observanz S e h m oI1e r's indess keineswegszu than. Nieht die Nutzbarmaehung der Ergebnissehistoriseher Forsehang f'dr die politische Oekonomie,sondern die historisehe Forsehung selbst, insbesonderedie historiseh-statistische Klelnmalerei auf dem Gebieteder Volkswirthschaft ist, was die Geister der obigenGruppe yon Gele_ gefangen h_lt, ohne dass sis dochauf den Ansprueh verziehten wollen, f'dr Bearbeiterder politisehen Oekonomie zu gelten. Sie wollen yonihrer historisehen Mikrographie nicht lessen --da-.gegen wKre niehts einzuwenden; -- sis wollen .nichtsodestoweniger fiir Bearbeiter der politischen Oekonomie,nicht fdr solche einer Hilfswlssenschaf_ dieser letztern.gelten -- selbst dazu k6nnte man schweigen; -- siewollen aber iiberhaupt, oder doch fiir ungez/ihlteMensehenalter die ausschliessliche, bezw. die nahezuausscldiessliehe Herrsehaft der Wirthsehaftsgeschichteauf dem Gebiete der politischen Oekonomie, -- dagegenmuss aich jeder Besonnene verwahren!

    Um den obigen vollstiindig unhaltbaren Stand-punkt mit dem Scheine einer gewissen Bereehtigungsu umgeben, miissen die Gesehichte und Statistik derVolkswirthschaft zum deseriptiven _Theile _ derpolitischen 0ekonomie gestempelt werden, wiillrend sisin Wahrheit gar keine Theile, sondern nut Hilfs-wissenschaften der letztern sind; zu demselben Zweckemuss an der Ides festgehalten werden, dass, zummindesten zuniiehst, nut, oder dooh vorwiegend andiesem rdescriptiven Theile" zu arbeiten sei.

    _In der_Zukanft -- meint Schmoller-- wirdflit die Nationsl_konomie sine neue Epochs kommen,

    aber nut dureh Verwerthung des ganzen historiseh-descriptiven and statistischen Msteriales, des jetzt ge-

    [47]

  • B8

    schaffen wird" ; inzwisehen nsei es keine Vernaohl_ssigungder Theorie, sondern der nothwendige Unterbau fiirsie, wenn in unserer Wissenschaft iiberwiegend de-scriptiv verfahren werde, u *)

    Mit Recht protestiren A. W a g n e r und H. D i etz e 1,gegen diesen Wechsel mit etwas langer Verfallszeit" **)und eben so richtig bemerkt hlerzu E. Sax***), ,dasses ein durehaus schiefer Gedanke sei, unserer Zeit denBeruf zur Gewinnung einer befriedigenden Theorie derVolkswirthschaft auf so lange abzusprechen, bis ersteifie unabsehbare Zahl yon Forschungen auf dem Ge-biete der Wirthschaftsgeschichte voltbracht sein werde".Nur scheint es mir, dass S ax immer noeh viel zuoptimistisch sel, wenn er den hierzu erforderlichenZeitraum nach M e n s c h e n a 1t e r n berechnen will.Sollte die Wirthschaftsgeschichte, ehe wieder an dieBearbeitung der theoretischen l_ationalGkonomie ge-schritten werden kGnne, im Geiste der hist_rischen_[ikrographie S c h m o 11e r's vollendet werden -- mandenke nur an die Fleischpreise yon Elberfeld! yonPforzheim! yon Miihlheim! yon Hildesheim! yon Oer-mersheim! yon Zwickau! u. s. f. -- so wfirden hierzunur Aeonen ausreichen. Wie die /_stronomen zurBerechnung ihrer gewaltigen Entfernungen den Be-griff yon Lichtjahren in ihre Wissenschaft einFdhrenmussten: so wiirden wir Volkswirthe zum Mindestennach Lebensaltern der Sonnensysteme zu reehnen be-ginnen miissen, um auch nur einen ann_herungsweisenBegriff yon den ZeitrKumen zu erhalten, die n6thigw_ren, um eine vollst_indige historisch- stat_stisehe

    *) Jahrbueh, a. a. O. S. 241 if.**) Vgl. H i Id e b ra n d's Jahrb_lcher_ herausg, yon

    J. Conrad_ 1884_ N. F._ VIII. S. 109.***) E. Sax, a. a. O, S. 3.

    [48]

  • 89 m

    Grundlage fiir die theoretlsche Forschung im SinneS c h m o 11e r's zu gewinnen.

    Dabei wiire noch zu beriicksichtigeu, dass das zuerforschende historische Material in Folge des Um-standes, dass die Wirthschaftsgeschichte nicht stillsteht, sich unabliissig erneuert, ja mit Riicksicht aufden Aufschwung der wirthsehaftlichen Seite des Volks-]ebens sich in gewissem Sinne in quadratischem Ver-hitltnisse vermehrt, wiihrend die echte S c h m o11e r'scheGeschichtsschreibung derselben doch bestenfalls kaumin arithmetischer Progression zu folgen verm_chte, undsolcherart der abenteuerliche Gedanke S c h m o 11e r'snut noch abenteuerlicher erscheint.

    Doch wenn wit yon der besonderen FormS c h mo 11e r'scher Geschichtsschreibung auf dem Ge-biers der Volkswirthschaft auch absehen, so bleibt nochimmer so viel Naivet_t in dem obigen Gedanken, dasses schwer wird, denselben ernst zu nehmen. DerGedanke S c h m o 11e r's ist so unqualitlcirbar, als jenereines Historikers oder Statistikers, welcher seinen Fach-genossen den Rath ertheilen wiirde, fiir ungemessene Zeit-r_ume die historischen und statistischen Studien rubenzu lassen und inzwischen ausschliesslich, oder doch vor-wiegend, auf dem Gebiete der Socialphilosophie zudilettantiren -- u. zw. aus dem Grunde, weil die theoreti-schen Socialwissenschaften wichtige Hilfswissenschaf-ten der Geschichtsforschung, die Ergebnisse derselbenjedoch noch mangelhafte seien! Naeh Schmollermiisste eigentlich der gegenwiixtige zuriickgebliebeneZustand dcr Wissenschaften yon dsr Voikswirthschaftf'dr die Historiker und Statistiker eine Autforderungsein, sich mit der Theorie, und flir die Theoretiker sichmit Geschichte und Statistik zu befassenl Natiirlich!Nur nicht auf dem eigenen Geifiete der Fore.hung

    [49]

  • 40 !

    arbeiten,t Dies ist viel zu eommun, nebenbei gessgt,auch viel zu mlihselig und schwierig, wiihrend dasDilettsntiren auf fremden Gebieten, eben so vornehm

    als leicht ist. Niehts in der Welt ist bequemer alsdies ,ut aliquid fecisse videstur" auf dem Gebiete einerWissenschaft.

    Und selbst dsgegen wiirde sich kaum Jemandwenden, wiirde S e h m o l l e r nur nicht mit der merk-wiirdigen Priitension suftreten, seine historisehe Mikro-graphie sei, ob nun iiberhaupt, oder doch zunllehst, diehauptsiiehlieh berechtigte Richtung der Forschungnicht etwa auf dem Gebiete der historisehen Wissen-schaften yon der o]kswirthschaft,- selbst dariiberliesse sieh noch streiten -- sondern auf dem Gebiete derpoHtisehen Oekonomie !

    Schmoller hat -- ieh weiss nicht, aus welehemGrunde -- offenbar keine Ahnung davon, wie viel auf demGebiete der politisehen Oekonomie, selbst auf der Grund-lage unserer heutigen Hilfsmittel, zu thun, und um wievie] wichtiger es fiir unsere Wissenschaft ist, dass dasyon den Historikern und Ststistikern erforsehte Materialfiir die Zwecke der Theorie und der praktisohen Wissen-sehaften yon der Volkswirthsehaft verwerthet, als dassiiber irgend welehe Speeialissima der Volkswirthsehaft,etwa iiber die Strassburger Fleisehpreise oder gewisseTuchmaeherziinfte, (Seitens der Vertreter unsererWissensehaft !)neues Material zu Tage gefdrdert werde.

    Glaubt iibrigens S e h m o 11 e rim Ernste, (lassein Theoretiker, weleher es mit seiner Aufgabe strengnimmt, sieh um historisehe oder statistisehe Belehrungan die Ergebnisse s e i n e r Porschung wenden werde ?Ieh will bier nieht davon spreehen, ob S e h m o 11 e r'swissenschaftliehes Temperament der unbefangenen Ge-schiehtsforschung und objectiven Gesehiehtsdarstellung

    [50]

  • -- 41

    besonders f_rderlich sei. Ja ieh m_ehte seine historischenArbeiten sogar in ihrer Art als recht schiitzenswerthbezeiehnen. S c h m o 11 e r wird sieh indess wohl selbstnicht dem Glauben hingeben, dass dieselben jene Btirg-sehaften der Verliiss]ichkeit gewilhren, welehe derTheoretiker yon historisehen und statistisehen Arbeitenbeansprueht, Biirgschaften, wie sie doch nur Historikerund Statistiker veto Faehe zu bieten verm_gen. S c h m o_l-let's historisehe und statistisehe Arbeiten sind jeden-falls sehr wackere Leistungen; indess unser Lob desAutors k_nnte ein viel uneingesehriinkteres sein, wenndiese Arbeiten yon einem Handelskammer-SecretKr, demRedacteur einer Gewerbe-Zeitung, oder abet dem histo-risehen Vereine irgend einer preussischen Provlnzstadtherriihren wiirden. Historlsche und statistische Arbeitenyon soleher Provenienz werden yon den Theoretikernyon vornherein mit jener Vorsieht beniitzt, welche denBiirgschaften ihrer Verliisslichkeit und der Sachkundeihrer Urheber entsprieht. Dass indess ein Professorder politischen Oekonomie auf Gebieten, derenTeohnik er nicht volls_ndig beherrscht, nahezu aus-schliesslich dergleichen schiitzenswerthe Arbeiten zuTage fdrdert, ist jedenfaUs eine ungew_hnliche Er-scheinung; sie wiirde iudess an das Liicherliehe streifen,wiirde sieh S e h m o11e r, um der obigen Arbeiten wi|len,im Ernste fiir einen Gesohichtsschreiber halten.

    Wahrlich, das Beispiel S c h m o 11e r's ist nichtso verloekend, dass irgend ein Vertreter der politischenOekonomie hierdurch veranlasst werden k_nnte, daseigenste Gebiet wissensehaftlicher Forsehung zu ver-lassen, um sieh dem Dilettantenthum auf dem Gebieteder Geschichtssehreibung zu widmen!

    [51]

  • Achter Brief.

    Ich wiirde glauben, die Einwiirfe der historischenSchule gegen melnen Standpunkt in der Frage nachdem Verh_iltnisse der politischen Oekonomie zu denhistorischen Wissenschaften yon der Volkswirthschaftnicht zu ersch_pfen, wenn ich nicht einer eigenthiim-lichen Form des Historismus in unserer Wissensehaftged_iehte, welehe in nicht geringerem Masse, als die inmeinem vorigen Schreiben gekennzeichnete, zur Ueber-schiitzung historischer Studien und zur einseitigenHingabe der deutschen Volkswirthe an diese ]etzterenbeigetragen hat: ieh meine die unter den deutschenVo]kswirthen welt verbreitete Ansicht, d a s s d i eGeschichte dieausschliesslieheempiriseheGrundlage, sowohl der theoretisehenVolks-wirthschaftslehre, alsauchderpraktischenWissenschaften von der Volkswirthsehafts ei. Die Irrthiimlichkelt dieser Ansieht, sowohl riick-sichtlich der theoretischen Volkswirthschaftslehre, alsaueh der praktischen Wissenschaften yon der Volks-wirthschaft, klar zu stellen, scheint mir abet tun sowichtiger, als die in Rede stehende Lehrmeinung f'drdie ganze Stellung der historischen Volkswirthe zu denFragen der Methodik unserer Wissenschaft von ent-seheidender Bedeutung ist.

    [52]

  • -- 43 --

    Die Anhiinger der obigen Meinung seheinen mir-- um zuniichst yon dem Historismus in der

    theoretisohen National_konomie zu sprechen-- vor Allem zu iibersehen, dass ueben der Gesehichteaueh die gemeine Lebenserfahrung (die Kenntniss derMotive, der Ziele, der den Erfolg bestimmenden Um-stiinde und der Erfolge individualwirthschaftlicherThRtigkeit) eine nothwendige Grundlage der theoreti-schen Volkswirthschaftslehre sei. Die complieirtea Er-scheinungen der Volkswirthsehaft sind vorwiegenddas Ergebniss des Contactes individualwirthschaftlicherBestrebungen +:), das Vers_ndniss dieser letzterenund ihrer Wechselbeziehungen ist somit die noth-wendige Voraussetzung jenes der ersteren. Die Ge-schiehtederYolkswirthschaft.bietetuns aber niehtdie

    Kenntnissder individualwirthsehaftlichenVorg_inge_':_)

    *) Uutersuchungeu_ S. 232 if.+_*)Die theoretisehe Volkswirthschaftslehre hat nicht nur

    das generelle Wesen und den generellen Zusammenhang jenerErscheinungen der meuschliehen Wirthschaft zu erforschen,welche, wie beisl,ielsweise die Marktpreise, die Wechsel-undEffeeteneurse, die Geldw_ihrung_die Banknoten, die Handels-krisen u. s. t: Erseheinungen der ::Volkswirthsehaft"_die l_esultantc des C

  • -- 44

    zumal ihrer psychologlschen Motivirung, ja sie vermaguns, aus Griinden, deren ich an anderer Stelle in aus-fiihr]icher Weise gedaeht habe, eine solehe gar niohtzu gewiihren. _) Nur wer das Wesen der Gesehichts-schreibung v_llig verkennt, vermag die Geschichte alsdie aussch]iess]iche empirische Grundlage der theoreti-schen National_konomie zu bezeiehnen.

    Noch viel weniger kann die Geschiehte als dieausschliessliche empirische Grundlage der p r a k t i-schen Wissenschaften yon der Volks-w i r t h s c h a f t bezeichnet werden ; es ist vielmehryon selbst einleuchtend, dass eine auch noch so griind-liche Kenntniss der Vergangenheit der V_lker an undfiir sleh uns nieht zu befiihigen verm_ehte, die Grund-siitze zum zweckm_ssigen Eingreifen in die Volks-wirthschaft, zum zweckmiissigen Handeln auf dem Ge-biete dieser letztern festzustellen. ])as wirthsehaftlicheLeben der V_lker f6rdert unabl_ssig neue Aufgabender Vo]kswirthsehaftspflege und der Finanzverwa]tungzu Tage, deren LSsung doeh nieht ausschliesslieh aufGrundlage des Studiums der Vergangenheit, sondernlediglieh auf der Grund|age einer weir tiber blos histo-ris'ches und statistisehes Wissen hinausreiehenden Er-kenntniss der jeweiligen Exigenzen des Staatslebens,der weehselnden Auffassung yon den Aufgaben staat-licher Tll_itigkeit, des Standes der technischen Wissen-

    sind. Wie verm0ehtesie die Erkenntnissdes Wesens dieserErscheinungenundihresZusammenhangesmit den PhAnomenender ,Volkswirthsehaft" ausschliessliehaus der Geschiehte zuscht_pfen? Die Meinung_die Geschichtesei die aussehliesslieheempirischeGrundiageder Soeialwissenschaften_ist eine in dieAugen fallende Einseitigkeit. (Vgl. S. 121 ft. meiner Unter-suehungen.)

    _') Ebend. S. 122.

    [54]

  • 45

    schaften u. s. . gel6st zu werden vermag. Der Histo-riker, ,der r_ickwilrts gekehrte Prophet% kann nichtder allein Massgebende auf dem Gebiete der praktischenWirthschafts-Wissenschaften sein. Der Historismus imobigen Sinne let auch in Riicksieht auf die Volkswirth-schaflspolitik und die Finanzwissenschaft eine augen-F_llige Einseitigkelt. I)erselbe ist b'ei einer einiger-massen den Anforderungen des Lebens an die Wissen-schaft entsprechenden Auffassung der Theorie der Volks-wirthschaft und der praktisehen Wirthschafts-Wissen-schaften iiberhaupt ganz unhaltbar und nur aus denIrrthiimern unserer historischen Vo]kswirthe iiber das_tTesen und die Aufgaben der politischen Oekonomleerkliirlieh.

    Wer in der theoretisehenVolkswirth-s e h a f t s 1 e h r e, gleieh den hier in Rede stehendenVolkswirthen, eine ,Wissenschaft yon den Parallelismender Wirthschaftsgeschiehte", wet in den p r ak t i e c h e nWissenschaften yon der Volkswirthschaft ]ediglich einesystematische Darsteilung der yon den haupts/ich|ichenCulturv_lkern in der Vergangenheit angestrebten wirth-sehaftliehen Ziele, der zur Erreichung derselben in derVergangenheit ergri_enen Massregeln und der biererzielten Erfolge erkennt: vermag in der obigen Riiek-sicht allerdings in his_orisehen Studien sein Geniigenzu linden. Wet in den bier gekennzeichneten Bestre-bungen unserer historischen Volkswirthe dagegen nutbesondere, wenn auch in hohem Grade schKtzbareZweige der Forschung auf dem Gebiete der politischenOekonomie, wer in der theoretischeu Volkswirthschafts-lehre: die Wissenschaft yon den Erscheinungsformeuund den Gesetzen der volkswirthschaftlichen Phiino-mene ; in den praktisehen _Vissensehaften yon der Volks-wirthsehaft: die Wissenschaften yon den Grunds/itzen

    [ss]

  • -- 46

    zur zweckmiissigen Pflege der Volkswlrthschaft, be-ziehungsweise zur zweckmiissigen Regelung des Staats-haushaltes erkennt, wird die Geschichte und die Sta-tistik der Volkswirthschaf_ zwar als wichtige Hilfs-wissenschaften, nlemals abet als die ausschliesslicheempirische Grundlage der Forschung auf dem Gebieteder politischen Oekonomie zu bezeichnen verm_gen.

    Indem unsere historischen, zumal unsere neu-historischen Volkswirthe sich nahezu ausschliesslichhistorlschen Studien hingeben, verfallen sie demnachnicht nur in die Einseitigkeit, an Stelle jener Wissen-schaft, deren Bearbeitung ihnen zuniichst obliegt, eineHilfswissenschaft derselben zu setzen, d. i. anstattdie ,Gesetze der Volkswir_hschaft" und die ,Grund-siitze zum zweckmiissigen Handeln auf dem Gebieteder Vo]kswirthschaft uzu erforschen, empirisches Materialzur Feststellung der obigen wissenschaftlichen Wahr-heiten festzustellen; ihre Einseitigkeit ist vielmehreine ungleich gr_ssere. Sie beschiiftigen sich nutmit Einer yon den zahlreichen Hilfswissenschaftender politischen Oekonomie und zwar noch iiberdies miteiaer solchen, welche uns nut einen Theil des zurFeststellung der Wahrheiten dieser ]etzteren n_thigenempirischen Materials darzubieten vermag, wiihrendsie doch die politische Oekonomie selbst zu bearbeitenwKhnen.

    Die obige Ansicht ist jener des Kiirrners ver-gleichbar, welcher flit den Architekten gelten wollte,well er einige Karren Steine und Sand zum Bauwerkegefiihrt hatte.

    [56]

  • Neunter Brief.

    Glauben Sie iibrigens ja nicht, mein Freund, dassdie Meinung, die Geschichte sei die ausschliess]icheempirische Grundlage der politischen Oekonomie, derletzte Trumpf sei, welchen der Historismus in unsererWissenschaft ausgespielt hat. Wie jede Einseitigkeithis in ihre iiusserste Consequenz verfolgt werden, sichgleichsam ausleben muss, um endlich als solche all-gemein erkannt zu werden, so ist auch der Historismusauf dem Gebiete der politischen Oekonomie bei derobigen Auffassung nicht stehen geblieben. Hat dochein Theil unserer historischen Volkswirthe die Ideetheoretischer und praktischer Wissenschaften vonderVolkswirthschaft tiberhaupt preisgegeben, um in histo-rischen Darstellungen die einzig berechtigte Aufgabeder Forschung auf dem Gebiete der Volkswirthschaftzu erkennen. Indess selbst jene, welche an der Ideetheoretischer und praktischer Wissenschaften auf demobigen Gebiete yon Erscheinungen mit gr_sserer odergeringerer Consequenz festhalten, haben es verstanden,den Historismus in der politischen Oekonomie nocheinen Schritt tiber den vorhin gekennzeichneten Stand-punkt zu ftihren.

    [57]

  • -- 48 m

    Wet die Ergebnisse der historischen Forschungals die ausschliessliche empirlsche GruncUage der theo-retischen Nationa|_konomie und der praktisohen Wissen-schaften yon der Volkswirthschaft auffasst, verkenntdie Bedeutung aller iibrigen empirischen, iiberdies abetjene der rationellen Grundlsgen der theoretischen undpraktischen Richtung des Erkenntnissstrebens auf demGebiete der olkswirthsohaft, Er wird in den ,Gesetzender volkswirthschaftlichen Erscheinungen" ledig]ich,Entwlckelungsgesetze _ , ,Parallelismen der Wirth-schaftsgeschichte" _ in der theoretischen National-_konomie, nicht eine Wissenschaft yon den ,Gesetzender volkswirthschaftlichen Erscheinungen _, sondern eineWissenschaft dieser ,Paral]elismen der Wirthschafts-geschichte" erkennen; er wird dutch die obige ein-seitige Aufl_assurg dazu gefilhrt werden, die praktlschenWissenschatten yon der Volkswirthschaft, nicht alsDarstellungen der Grunds_tze zum zweckmiissigen, derBesonderheit der Verhiiltnisse a_gemesssenen Handelnauf dem Gebiete der Volkswirthschaft, sondern ledig-]ich als Darstellungen der Wirthschaftsgeschichte ent-]ehnter Erfahrungen iiber die Ziele, die Massregeln undEffolge der Wirthschaftspolitik und der Fiuauzver-waltung, zu betrachten u. dgl. m.

    So einseitig sein Standpunkt in Folge der obigenAuirassungen aber aucil sein mag, er wlrd doch, wederdie Existenz yon ,Gesetzen" der Erscheinungen, nochabet auch v,on ,Grundsiitzen zum zweckmiissigen Han-de]n" auf dem Gebiete der Volkswirthschaft iiberhaupt]eugnen. Die Geschichte und die Statistik werden auchFdr ihn nut die empirische G r un d 1a g e sein, aufwelcher die, wenn aueh noch so einseitig aufgefasstenWahrheiten der theoretisohen National6konomie und derpraktischen Wissenschaften yon der Volkswirthsehaft

    [58]

  • 49

    erst noch efforscht werden miissen. Die theoretischenund praktischen Erkenntnisse werden, aueh noch nachdieser Auffassung, ein yon dem historisch-statistischenMaterial, auf dessen Grundtage sie gewonnen werdensollen, Versehiedenes sein.

    Selbst diese Ansicht yore Wesen unserer _rissen.schaf_ scheint dem einseitigen Historismus einer Reihedeu_scher Volkswir_he indess nich_ geniigt zu haben.Diese]ben stellen vielmehr als Pos_ulat der Forsahungden Grundsatz auf, dass auch in der politischen Oeko-nomie, u. zw. sowohl in dem theoretischen als auch in denpraktischen Theilen derselben, eigent|ich ,die Gesohichtefiir sich selbs_ zu sprechen habe, u an die Stelleyon Gese_ze_ der volkswir_hschaf_liehenErscheiuungen undandie S_ellevonGrund.siitzen zur zweckm_issigen F_rderung derVolkswir_hschaf_, beziehungsweise zurzweckmiissige n Einrieh_ung desStaa_sh.aus-haltes, ein nach. gewissen Kategoriengeordnetes his_orisch-sta_istisches Ma-t e r i a 1 _reten solle. Wenn S c h m o 11 e r ver|angt, dassdie ,Nationa]_ikonomie wesent]ich desoriptiv verfahren,und dem Studirenden ein concretes individuelles Bild,abet geordnet nach Begriffen, Typen und Rela_ionen e_c.,specia|isirt bis zur Verfolgung in das Einze]ne der Er-seheinungen und Ursachen u bie_en solle*), so documentir_er sich hler lediglich als einen Ver_reter dieser iiusser-sten_ mit der Idee der politischen Oekonomie noeh ver-einbarlichen Form des Historismus, als Vertreter einer/_nsich_, welche, an die Stelle der Theorie und derprak_ischen Wissenschaften yon der Volkswirthschaft,,wesentlich _ oin nach gewissen wissenschaftlichen Kate-

    *) Jahrbuch, a. a. O. S. 246.

    [59]

  • 50

    gorien geordne_s historisch-statistisches Material setzenm6chte, _ ohne Zweifel so ziemlich der niedrigste Standpunkt,auf den eineSocialwissenschaftgestelltzuwerden vermag.

    Was war der Gang der Entwicklungin derhistorischenSchuleder deutschenNational_konomie?

    Theorie!--Theorieverbrgmtmithlstorisch-stati-stisohenNotizenund darehbrochenyon historischenExcursen!-- BlosseNotizenund historischeExcursemit dem Anspruche,ftireineTheoriezu gelten!

    Ein weiterer,Fortschritt"in dieserRichtungistallerdingsschwerm_glich.

    [60]

  • Zehnter Brief.

    Auch meine Ausfiihrungen iiber das V e r h _ 1t-hiss der theoretischen NationalSkonomlezudenl_raktischen_rissenschaftenvonderolkswirthschaft haben Schmoller's Zustim-mung nicht zu finden vermoch_. Ich hatLe die theore-tische Nationa|Skonomie als die Wissenschaft gekenn-zeichnet, welche das generelle Wesen (die Erscheinungs-formen I) und den generellen Zusammenhang (die Regel-m_sslgkeiten in der Co_xis_enz und der Aufeinander-fo]ge -- die Gese_ze !) der volkswirthschaftlichen Ph_no-mene zu erforschen und darzustellen babe; die olks-wlrthschaftspolitik und die Finanzwissenschaft aber alsdie Wissenschaften yon den Grunds_zen, den Maximen,nach welchen, je nach der Besonderheit der Yerh_l_-nisse, die Volkswirth_chaft am zwect:m_ssigsten ge-f'drdert, beziehungsweise der Staatshaushal_ am zweck_m_ssigsten eingerichtet werden kSnne. '':) ])as Ver-hRttnlss zwischen der ersteren und den beiden le_zt-

    _) Unterm_unge_ S. 9 and 245 if.

    [61]

  • 52 m

    genannten Wissenschaften bezeichnete ich der niiherenErkl_rung willen abet als ein solches, wie etwa jenesder Anatomie und Physiologie zur Chirurgie und Thera-pie. *) Die theoretische Volkswlrthschaftslehre sei iniihnlicher Weise die theoretische Grundlage der prak-tisehen Wissenschaften yon der Volkswirthschaft, wiedie Anatomie und die Physiologie die theoretische Grund-lage jener Wissenschaften, welche uns die Gruadsiitzeand Vorgangsweisen zum zweekmiissigen Eingreifenin den menschliehen Organlsmus lehren.

    Ich glaubte nach dem Gesagten reich Fdr Alle,Ffir welche wissensehaftliche Werke iiberhaupt ge-schrieben sind, verstiindlieh genug ausgedriickt zuhaben. Zum Ueberflusse fiigte ich indess zu den obigenAusf'dhrungen noch die Bemerkung hinzu, dass diepraktlschen Wissenschaften yon der olkswirthschaftselbst wieder praktischer Anwendung f_ihig seien, und dieobigen Wissenschaften und die Praxis der Volkswirth-sehaftspolitiker und der Finanzmiinner desshalb nichtverwechselt werden diirfen, zwischen welchen vielmehrder n_imllche Unterschied bestehe, wie etwa zwisehen derChirurgie und der Therapie, (welche ja auch praktiseheWissenschaften seien!) und der Praxis wissenschaft-]ich gebildeter Aerzte, oder wie zwischen der chemi-schen und aer mechanischen Technologie und der Th_itig-keit der praktischen Chemiker und Mechaniker. _)

    H_ren wir nun, was Schmoller gegen dieseAusfiihrungen zu bemerken hat.

    Derselbe schreibt w_rtlich: ,Gewiss wollen dieseDisciplinen (die Volkswirthschaftspolitik und die Finanz-wissenschaft), so wie sie gewShnlich vorgetragen werden

    _) A. a. O. S. 246._) Ebend._ S. 245 if.

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    und in iilteren Lehrbiichern be- und misshandelt werden,zugleieh praktisehe Anweisungen seln ; die iilteren theil-weise noch gebrauehten Biieher waren niehts als social-politisohe, verwaltungsrechtliche und finanzwlssen-sehaftliehe Receptsammlungen. Aber es ist ein Fort-sehritt der neueren Zeit, class sie dariiber hinaus ge-kommen ist; gerade R o s e h e r's zweiter und dritterBand, Stein's und Wagner's FinanzwissensehaftreprKsentiren die gelungensten Versuche diese Disci-plinen (die Volkswirthsehaftspolitik und die Finanz-wissenschaft!) zum Range yon theoretischenWissensehaften zu erheben."*)

    S c h m o1] e r hKlt es somit fiir einen Mangelder Volkswirtbschaftspolitik und der Finanzwissen-schaft, fdr eine M i s s h a n d ] u n g dieser Wissenschaften,wenn sie, wie dies in iilteren Lehrbiichern thatsiiehliehder Fall sei, ,zugleieh praktische Anweisungen seinwollen" ? Was soil, mit Verlaub, eine praktische Wissen-sebaft**) denn iiberhaupt anders, als eine praktischeAnweisung im obigen Sinne ,seiu wollen" ? Es gibt keinepraktische Wissenschaft, welche an sieh etwas anderes,als eine 9raktische Anweisung in dem obigen Verstandedes Wortes ist, und die praktiscben Wissenschaftenyon der Volkswirthsehaft machen hiervon selbstver-stiindlich keine Ausnahme. Sie sollen uns, nieht nut,zugleieh", son