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  • 7/23/2019 MENKE, Christoph_Die Mglichkeit Der Revolution

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    KRITIK

    Philosophiekolumne

    Die Mglichkeit der Revolution

    Von Christoph Menke

    Die Revolution ist wieder da: in vielen Ver-lagsprogrammen, Feuilletons, Talkshows,Seminardiskussionen, in vielen Theater-programmen und Kunstausstellungen so-wieso. Wimmelte vor einer Generation un-sere Zeit noch von nichts so sehr wie vonsthetikern, so seit fnf Jahren von Revo-lutionren. Dass eine Revolution kommenwerde, weil sie es msse, glauben (und sa-gen und schreiben) jetzt viele.

    Krise und Revolution

    Fr Historiker, die die Begriffsgeschichteseit dem . Jahrhundert im Blick haben,ist das nichts berraschendes. Es erscheintals die Rckkehr zur modernen Norma-litt. Vor dreiig Jahren schrieb ReinhartKoselleck in dieser Zeitschrift: Seit derAufklrung haben das Wort und der Be-griff Revolution Konjunktur wechselnd,aber anhaltend. Revolution also: Re-volution, den Begriff und den Diskurs gab es in der Moderne immer.

    Aber nicht immer auf dieselbe Weise.So geht die gegenwrtige Konjunktur der

    Revolution mit einem grundstzlichen Be-deutungswandel gegenber ihrer letztma-

    1 Reinhart Koselleck, Revolution als Begriff.Zur Semantik eines einst emphatischen

    Worts. In: Merkur, Nr. , Mrz .

    ligen einher. Die lag um das Jahr , alsder Umsturz der sowjetischen Regime inMittel- und Osteuropa aus der Perspek-tive des zweihundertjhrigen Jubilumsder Franzsischen Revolution gedeutetwurde. Von der Revolution war daher auchfr die gegenwrtigen Ereignisse nur rck-blickend die Rede. Die einzig noch mg-liche und legitime Revolution schien dienachholende (Jrgen Habermas): DieRevolution hatte schon stattgefunden. Eswar die brgerliche Verfassungsrevolution,die mit dem Rechtsstaat und der Volks-souvernitt zugleich den Kapitalismusdurchgesetzt hatte.

    Die Revolutionen der Gegenwart er-schienen demgegenber als Versuche derRckkehr, der Wiederanknpfung: alsdie Revolution zum letzten Mal; die Revo-lution, durch die, so die liberale Hoffnung,die Epoche der Revolution beendet wer-den sollte. Nach dieser nachholenden Re-volution, so dachte man , wrde kei-ne weitere, andere mehr ntig sein. Daherihr eigentmlicher Zug: der fast voll-stndige Mangel an innovativen, zukunfts-weisenden Ideen. Genau darin liegt dergroe Unterschied der jngsten Konjunk-tur der Revolution: Das Denken der Revo-lution hat seinen futurischen, progressivenSinn wiedergewonnen, der den Debattenund Ereignissen von so vollstndig

    abging. Der Blick ist wieder nach vornegerichtet. Die Revolution ist im gegenwr-

    2 Jrgen Habermas, Die nachholende Revolu-tion. Frankfurt: Suhrkamp .

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    tigen Denken wieder die Richtung aufeine andere Zukunft.

    Aber eben hier liegt auch das Problem

    der gegenwrtigen Revolutionskonjunk-tur. Sie redet von der Revolution als demSchritt in eine andere Zukunft, aber siebleibt dabei im Bann der schlechten Ge-genwart. Diese Gegenwart erfhrt sie alsKrise. Die Gegenwart steht im Zeichensich zuspitzender, zunehmend unlsbarerscheinender Krisen: finanzieller, ko-nomischer, politischer, kologischer, de-mografischer, moralischer, legitimatori-scher Krisen. Das ist der Grund, aus demdie gegenwrtige Revolutionskonjunktursich speist. Die Revolution soll der Aus-weg aus der Krise sein. Aber dabei bleibtdie Revolution der bloe Ausdruck derKrise. Hier lautet die Definition der Re-volution: das, was die Krise lst. DerGedanke ist: Die Revolution muss kom-men weil sie es muss. Die Revolution er-scheint als die notwendige Folge aus derKrise.

    Die Krise und die Revolution fallen abernicht ineins. Sicher: Sie sind aufeinan-der bezogen keine Revolution ohne Kri-se , aber die Krise bringt die Revolutionnicht von selbst hervor. Das ist die nch-terne Einsicht, mit der Wolfgang Streeckall dem Reden ber die kommende Revo-lution in die Parade fhrt. Streeck beant-wortet die Frage, wie der Kapitalismusenden wird, so: Der Kapitalismus kannauch durch seine Krisen untergehen, ohnedass sein Untergang schon die Revoluti-

    on bedeuten msse. Die Revolution soll janicht nur das Ende des Kapitalismus, son-dern der Anfang von etwas Neuem, An-derem sein. Die Annahme jedoch, dassder Kapitalismus als historische Erschei-nung nur dann enden knne, wenn eine

    neue, bessere Gesellschaft in Sicht ist, istblo ein Vorurteil. Die Krise macht dieRevolution dringlich, ja notwendig; aber

    sie macht die Revolution nicht, sie kannsie nicht hervorbringen.Das fhrt auf die blinde Stelle, das Un-

    gedachte, der gegenwrtigen Revolutions-konjunktur: Ihr erscheint die Revoluti-on im Zeichen der Notwendigkeit. Oderihr gilt die Revolution als etwas, das inder Krise notwendig kommen muss. DieRevolution als Notwendigkeit zu denkenheit, sie blo als ein Geschehen zu den-ken: als etwas, das eintritt. Damit erspartman sich aber die entscheidende Frage.Denn wenn die Revolution im modernenVerstndnis nicht mehr den Umlauf derSterne und Verfassungen meint, in demdas immer selbe wiederkehrt, wenn siestattdessen einen neuen Anfang (Han-nah Arendt) setzen, einen neuen Hori-zont (Koselleck) erffnen knnen soll,dann muss die Revolution aber wie undvon wem? gemachtwerden. Die Revolu-tion ist ein Tatwort; Revolution heitRevolutionierung.

    Ein Geschehen kann durch seine Not-wendigkeit (oder Zuflligkeit) bestimmtwerden, Taten aber mssen in ihrer Mg-lichkeit verstanden werden. Bei einemWandel, der geschieht, kann man sich aufdie Frage beschrnken, ob er wnschens-wert, gar notwendig ist. Bei einem Wan-del, der vollzogen oder getan wird den

    3 Wolfgang Streeck, Wie wird der Kapitalis-mus enden? In: Bltterfr deutsche undinternationale Politik, Nr. , .

    4 Reinhart Koselleck, Historische Kriterien desneuzeitlichen Revolutionsbegriffs. In: Ders.,Vergangene Zukunft. Frankfurt: Suhrkamp.

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    es nur gibt, indem er vollzogen oder getanwird , stellt sich die Frage, ob er mglichist; ob und wie und von wem er vollzogen

    oder getan werden kann. Dass der Kapita-lismus (oder wie immer wir unsere Gesell-schaft nennen wollen) in einer Krise ist, javielleicht sogar nach seiner immanentenLogik notwendig enden (Streeck) unduntergehen muss, sagt noch gar nichtsber die Revolution: Es entscheidet nichtber ihre Mglichkeit.

    Befhigung und Disziplinierung

    Dass der gegenwrtige Revolutionsdis-kurs die Frage nach ihrer Mglichkeit ver-drngt oder berspringt, ist aber kein blo-es Versumnis. Es ist ein getreuer Aus-druck der Schwierigkeiten, in die alle Ver-suche geraten sind, auf diese Frage eineAntwort zu geben. Hlt man sich an dieTheoriediskussionen auf der Linken (undandere zur Revolution scheint es nicht zugeben), erscheint die Lage ausweglos: Jedepositive Bestimmung der Mglichkeit er-weist sich als unfhig, sie als die Mglich-keit der Revolutionzu denken.

    In klassischer, marxistischer Ausdrucks-weise ist die Frage nach der Mglichkeitder Revolution die Frage nach ihrem Sub-jekt. Und die klassische marxistische Ant-wort auf die Frage nach dem revolutio-nren Subjekt besagt, dass es durch ebendie Gesellschaft hervorgebracht wird, diein der Krise enden wird; das Untergehen-de bringt zugleich den Fortschritt hervor.

    In der Formulierung von Michael Hardtund Antonio Negri: Das Empire, alsodie bestehende Weltordnung, schafft inder dunklen Nacht der Krise selbst dasPotenzial fr Revolution, denn es bie-tet uns, neben der Maschine der Befehls-

    gewalt, eine Alternative. Nach dieser Lo-gik hatte Lenin (in Staat und Revolution)die Post zum Muster sozialistischer Wirt-

    schaft erklrt und als das nchste Zielder Revolution ausgegeben, die gesamteVolkswirtschaft nach dem Vorbild der Postzu organisieren.

    So skurril dies klingt, der Gedanke hin-ter diesem Vorschlag ist einfach und zwin-gend: Die revolutionre Neuorganisationder Gesellschaft kann nur durch das er-folgen, was der Kapitalismus bereits ge-schaffen hat. Der Kapitalismus schafft[selbst] die Voraussetzungen dafr, dawirklich alle an der Leitung des Staatesteilnehmen knnen. Das leistet der Kapi-talismus durch die Schulung und Diszip-linierung von Millionen Arbeitern. DieseDisziplinierung hat zwar die Ausbeutungder Arbeiter zum Ziel, aber List der Ge-schichte ihre Befhigung zur Selbstorga-nisation ihrer Arbeit zur Folge. So bringtder Kapitalismus selbst das Subjekt seinerrevolutionren berwindung hervor.

    Angefangen mit Rosa Luxemburg hatder westliche Marxismus in diesemleninschen Gedanken den Keim fr denspteren Umschlag der Revolution inUnterdrckung gesehen. Um die Nhe,Leichtigkeit und Durchfhrbarkeit (Le-nin) der Revolution zu erweisen, muss Le-nin das revolutionre Subjekt unmittelbarmit demjenigen identifizieren, das diekapitalistische Disziplinierung schon her-vorgebracht hat: Das revolutionre Sub-jekt istdas disziplinierte Subjekt.

    Es kann dann nicht verwundern, dassder Staat, den diese Revolution hervor-bringen wird, mit nichts anderem als der

    5 Michael Hardt / Antonio Negri, Empire. Dieneue Weltordnung. Frankfurt: Campus .

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    Disziplinierung seiner Subjekte beschf-tigt ist. Lenin ist so sehr darauf aus, dieMglichkeit der Revolution im Bestehen-

    den abzusichern, dass sie sich dadurchauflst: Die Revolution ist zwar ge-sichert, aber eben dadurch nicht mehr be-freiend.

    Man kann die Entwicklung der linkenTheorie in Frankreich in den letzten zwei,drei Jahrzehnten ihre Entwicklungzum Postmarxismus als Konsequenz ausdiesem Paradox der marxistischen Re-volutionstheorie verstehen. Denn darinwiederholt sich nur das Paradox, das derAufklrung als solcher eingeschrieben ist.Michel Foucault nannte es (in seinemEssay Was ist Aufklrung?) das Para-dox von Freiheit und Fhigkeit. Die opti-mistische Prmisse der Aufklrung besagt,dass das Anwachsen der Autonomie mitdem Anwachsen der Fhigkeiten zu-sammenfllt, dass jene aus dieser folgt:Befhigung, so die Aufklrungsprmisse,die Lenins Bestimmung des revolution-ren Subjekts fortschreibt, bedeutet Be-freiung. Dieses Verhltnis ist aber nichtso einfach (Foucault). Denn es gibt ber-haupt keine Befhigung ohne Disziplinie-rung, Disziplinierung ist aber das Gegen-teil, die Blockade der Befreiung. Die Wirk-lichkeit der Disziplinierung zersprengtdie optimistische Identifizierung von Be-fhigung und Befreiung.

    Dann kann aber auch das Subjekt derRevolution nicht das gegenwrtig bereitsgegebene sein, so wie es durch soziale

    Prozesse der Abrichtung und Disziplinie-rung hervorgebracht wurde. Grundlegen-der noch: Es kann gar nicht das Subjektals Bndel von sozial hervorgebrachtenFhigkeiten sein. Ja es kann berhauptnicht das Subjekt in seiner gesellschaft-

    lich hervorgebrachten, geschichtlich be-stimmten Gestalt sein. Um die Mglich-keit der Revolution, als Befreiung vom

    Bestehenden, zu verstehen, muss der Auf-klrungsbegriff der Subjektivitt selbst inFrage gestellt werden.

    So unterschiedliche Denker wie Mi-guel Abensour, Alain Badiou und JacquesRancire sehen den ersten Schritt zu einemanderen Begriff der Politik daher darin,den Grundfehler des klassischen Marxis-mus zu vermeiden. Dieser Grundfehlerbesteht in nichts anderem als darin, gesell-schaftstheoretisch zu denken; er bestehtin der gesellschaftlichen Einverleibungder politischen Klassen, der Reprsen-tation des Sozialen in der Politik. Diefranzsische linke Theorie zieht aus demScheitern des Marxismus radikale metho-dische Konsequenzen. Die Konsequenzist: Schluss mit der Gesellschaftstheorie.Das (politische) Subjekt ist keine Kate-gorie des Sozialen; das revolutionre Sub-jekt kann nicht als das sozial produzierte,daher auch nicht als ein historisch spezifi-sches Subjekt verstanden werden.

    Das revolutionre Subjekt ist vielmehrnichts anderes als dasSubjekt. Das Poten-zial fr Revolution (Hardt / Negri) fin-det sich nicht in der spezifisch kapitalisti-schen Subjektgestalt Lenins geschultemund diszipliniertem Postbeamten , son-dern im Seindes Subjekts: nicht in der ge-schichtlichen Gestalt der Subjektivitt,sondern in der Subjektivitt berhaupt.Revolutionr sind nicht die bestimmten,

    vom Kapitalismus hervorgebrachten F-

    6 Jacques Rancire, Das Unvernehmen. Politikund Philosophie.Frankfurt: Suhrkamp ;Alain Badiou, Ist Politik denkbar?Berlin:Merve .

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    higkeiten; revolutionr ist vielmehr dieFhigkeit der Subjektivitt als solcher: dieunbestimmte Fhigkeit oder die Fhigkeit

    der Unbestimmtheit, die Kraft der Nega-tivitt, von allem zu abstrahieren und zuallem Nein zu sagen. Revolutionr ist dasSubjekt nur als die Instanz unbestimmterFreiheit und leerer Gleichheit.

    Aber mit dieser Konsequenz aus derKritik an Lenins Antwort wird die Fragenach der Mglichkeit der Revolution einzweites Mal verfehlt. Lenin kann nichterklren, wie das kapitalistisch diszip-linierte Subjekt die Verhltnisse vern-dernkann; sein Subjekt ist nicht revoluti-onr, weil es die kapitalistische Disziplinblo fortschreibt. Aber umgekehrt kn-nen die Postmarxisten nicht erklren, wieein Subjekt unbestimmter Freiheit undleerer Gleichheit irgendetwas, gar die Ver-hltnisse verndern kann. Denn welcherpolitischen Tat ist dieses Subjekt fhig? Esist der Aufstand (tienne Balibar), bes-tenfalls: der Aufstand in Permanenz. DerAufstand ist aber nicht die Revolution.Die Revolution ist mehr als der Bruch mitder alten Ordnung: Sie ist die Grndungeiner neuen. Das vermag das Subjekt derleeren, unbestimmten Freiheit nicht, dennes vermag nichts.

    Auch deshalb, so hat Slavoj iek vorein paar Jahren zur Verblffung der einenund Emprung der anderen gefordert,mssen wir heute, nach all der Kritik,doch noch einmal zu Lenin zurckkehren.Genauer: Wir mssen nicht zu Lenin

    zurckkehren, sondern Lenin wieder-holen. Denn die politische Kritik des

    7 Slavoj iek, Die Revolution steht bevor.Dreizehn Versuche ber Lenin. Frankfurt:Suhrkamp .

    Marxismus fhrt, so iek, nur zu ei-ner reinen Politik: zu einer Politik desAufstands, der Rebellion, Subversion oder

    Transgression. Lenin aber wollte die Re-volution denken, und die Revolution zudenken in diesem einen Punkt wrdeiek Hannah Arendt zustimmen heitdie Grndung des Neuen zu denken.

    Lenins Frage lautet nach iek: Wel-che Art Macht wird es geben, wenn wirdie Macht ergriffen haben werden? Wiekann die Revolution als Etablierung einerpolitischen Macht gedacht werden, die dieVerhltnisse nicht nur unterbricht, sondernverndert? Wie sehen die Institutionenprinzipiell anderer Art aus, von denen Le-nin gesprochen hatte? Und wer ist ihr Sub-jekt? Welche Fhigkeiten muss man haben,um sie schaffen und erhalten zu knnen?Das Subjekt der Revolte, das die unbe-stimmte Freiheit und die leere Gleichheitgeltend macht, wird es nicht knnen.

    Das ist die Aporie, in der sich die Ver-suche verstricken, die Revolution nicht nurals Geschehen, sondern als Tat und da-mit in ihrer Mglichkeit zu denken: Ent-weder sie geben eine positive Bestimmungder Fhigkeiten und der Macht, die sich inder Revolution verwirklichen aber dannschreibt die Revolution nur die geschicht-lich gegebene soziale Gestalt des Subjektsfort. Oder das Subjekt wird ber-, auer-oder ungeschichtlich als die Kraft der Ne-gativitt, der Befreiung von seiner sozia-len Gestalt verstanden aber dann ist alles,was es tun kann, nur Bruch, Aufstand und

    Revolte. Unfhig zur Revolution ist dasSubjekt in beiden Versionen. Die Revolu-tion wird als Tat, als Tat eines Subjekts,unmglich. Dann bleibt uns nur nochdie Sehnsucht nach dem Ereignis: Eswird geschehen, geschah einst. Es wird

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    alles anders sein, alles ist schon andersgeworden.

    Revolution und Evolution

    Dass Geschichte und damit Vernderun-gen nur geschehen, nicht gemacht werdenknnen, ist die Behauptung, die in einemder zentralen Begriffe des gegenwrtigenDenkens steckt. Das ist der Begriff derEvolution. Evolution, das Denken derVernderung als evolutionres Geschehen,ist die Grundkategorie, die die Wissen-schaften vom gesellschaftlichen und vomnatrlichen Leben, die Soziologie und dieBiologie, miteinander teilen. Darin istEvolution derantirevolutionre Begriff.

    Evolution und Revolution unterschei-den sich nicht vor allem durch ihre Zeit-lichkeit und Geschwindigkeit. Sie un-terscheiden sich vielmehr durch ihreModalitt durch ihre Ontologie. Siesind entgegengesetzte Verstndnisse ge-schichtlicher Vernderung. Auch evolutio-nr kann sich alles, und manchmal auchalles ganz schnell, verndern. Evolutionheit Kontingenz: Alles knnte ganz an-ders sein und war es und wird es werden.Antirevolutionr ist der Begriff der Evo-lution aber, weil er die verndernde Tatausschliet. Die Soziologie und die Biolo-gie sagen uns: Wir waren anders, und wirwerden anders werden, aber wir knnennichts verndern. Alles knnte anderssein und fast nichts kann ich ndern,lautet nach Luhmann die resignative Ein-

    sicht, die sie hervorbringen. Die Soziolo-gie und die Biologie arbeiten daran, durch

    8 Peter Trawny, Medium und Revolution.Berlin: Matthes & Seitz .

    das Denken der Evolution die Mglich-keit der Revolution zu verschlieen.

    Entscheidend an der Revolution ist

    nicht, was, sondern wie sie verndert.Oder was die Revolution zuallererst, vordiesem und jenem, verndert, ist, wie sichgeschichtliche Vernderungen vollziehen.Die Revolution verndert das Verndern:Sie macht aus dem bloen Geschehen dieeigene Tat. Die Revolution steht daherweder in der Geschichte noch auerhalbder Geschichte, sondern sie ist der Akt,der uns in ein anderes Verhltnis zurGe-schichte stellt. Die Revolution verndertvor allem anderen, wie wir geschichtlichsind: Sie verndert unsere Geschichtlich-keit. In der Sprache der Philosophie heitdas: Die Revolution ist eine ontologischeTat. Sie verndert nicht nur, was die Din-ge sind, sondern wiesie sind: ihre Seins-weise.

    Das erklrt ein merkwrdiges, sonder-bares Phnomen, auf das Heinrich Heinein seiner Geschichte der Religion und Phi-losophie in Deutschlandhingewiesen hat:das Phnomen, dass zwischen der politi-schen Revolution in Frankreich und derphilosophischen Revolution in Deutsch-land, die mit Kant beginnt, die son-derbarsten Analogien und der merk-wrdigste Parallelismus herrschen. Manversteht sie nach Heine nur, wenn mansieht, dass sie in verschiedener Weise das-selbetun. Denn die politische Revolutionist niemals nur materiell. Es gibt diepolitische Revolution nur als eine Um-

    kehrung der Denkungsart (Kant).Deshalb nannte Friedrich Schlegel die

    Franzsische Revolution, Fichtes Wissen-schaftslehre und Goethes Meister zu-sammen die grten Tendenzen desZeitalters. Wilhelm Meister ist Poesie

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    der Poesie (Schlegel), so wie die Wissen-schaftslehrePhilosophie der Philosophieist. Sie sind transzendental oder kri-

    tisch. Transzendental oder kritisch zusein heit, so Schlegels berhmte Defini-tion, auch das Produzierende mit demProdukt darzustellen; im fertigen Pro-dukt das, was es produziert hat, freizule-gen und zu entfalten.

    Die Philosophie wird kritisch odertranszendental, wenn sie Gedanken aufAkte des Denkens zurckfhrt. Die Trans-zendentalpoesie zeigt im Gedicht zugleichdas Dichtungsvermgen, das es hervor-gebracht hat. Ebenso kann die Franzsi-sche Revolution nicht als Produkt alsonicht durch die institutionellen, struk-turellen Vernderungen, die sie hervor-bringt definiert werden. So wie es Trans-zendentalphilosophie und -poesie gibt,so ist die Revolution Transzendentalge-schichte. Sie verhlt sich transzendental oder kritisch zurGeschichte. Sie lsstdas Produzierende erscheinen, das in derGeschichte wirkt und durch ihre Pro-dukte, ihre Evolutionen und Vernde-rungen, verdeckt wird. Die Revolution istdie politische Tat, die sich selbst hervor-bringt, indem sie die Geschichte in diepolitische Tat zurckverwandelt, die sieeinmal war.

    Anfangen anfangen

    Was sagt uns dieses Verstndnis des Aktsder Revolution ber ihre Mglichkeit? Die

    Revolution ist immer neu, und zugleichkommt sie immer nur spt. Weil die Revo-lution nicht nur einzelne Verhltnisse undEinrichtungen verndert; weil die Revolu-tion vielmehr verndert, wie es Verhlt-nisse und Einrichtungen gibt weil sie sie

    in unsere Taten verwandelt, beginnt dieRevolution eine neue, andere Geschich-te. Die Revolution ist nicht die Lsung ir-

    gendeiner Krise. Sie ist nichts anderes alsder Neuanfang einer Geschichte, in deres Neuanfnge gibt. Die Revolution fngtdas Anfangen an.

    Aber anfangen kann man nicht am An-fang. Die Revolution kommt immer erstspt in der Geschichte. Nur wenn Vern-derungen schon geschehen sind, das evo-lutionre Geschehen sich schon vollzogenhat, knnen wir selbst darangehen, etwaszu verndern. Weil die Revolution nichtsals ein neues, kritisches oder trans-zendentales Verhltnis zur Geschichteist, setzt sie die Geschichte als geschehenevoraus. Die Arbeit der Geschichte mussschon geleistet sein. Materialistisch ge-sprochen: Die Geschichte der Arbeit mussschon weit fortgeschritten sein, damit esdie politische Tat geben kann, durch diewir die Verhltnisse verndern.

    Lenin hatte also recht, als er die kapita-listische Disziplinierung, durch Arbeit, dieVoraussetzung fr die Revolution nannte.Nur wer Fhigkeiten aller Art erworbenhat, indem er befhigt, also diszipliniert,wurde, kann dann auch die Tat vollziehen,in der er, zum ersten Mal, selbst die Din-ge verndert. Man kann sich nicht selbstdazu befhigt haben zu handeln. Selbst zuhandeln, die eigene Tat des Vernderns,setzt voraus, befhigt wordenzu sein.

    Aber Lenin hatte unrecht, als er des-halb, weil die geschichtliche Evolution die

    Voraussetzung der Revolution ist, die Re-volution als die Folge der geschichtlichenEvolution beschrieb. Die Revolution kannnicht erarbeitet werden. Die Revolutionreflektiert das Erarbeitete; sie verhlt sichkritisch oder transzendental dazu, wie

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    und wozu die Disziplin der Arbeit uns be-fhigt hat.

    Die Revolution ist das politische Hin-

    ausgehen ber die gesellschaftliche Ar-beit. Das hat Hans-Peter Krger (im An-schluss an eine Bemerkung von Marx imAchtzehnten Brumaire) den Heroismusder Revolution genannt: Fr Marx be-stand historisch Heroismusdarin, in derpolitischen Praxis dem konomischenEntwicklungsniveau bis zur Selbstaufop-ferung vorauszueilen. Ohne Heroismus

    9 Hans-Peter Krger, Heroismus und Arbeit inder Entstehung der Hegelschen Philosophie

    (). Berlin: Akademie .

    gibt es keine Revolution: ohne dass man politisch mehr tut, als man kono-misch, gesellschaftlich vermag. Die Re-

    volution ist eine Selbstberforderung.Die Mglichkeit der Revolution ist un-gesichert, weil sie weder in der Geschichtenoch auerhalb der Geschichte, sonderndazwischen steht. Sie ist das Verhltniszur Geschichte, das selbst nicht rein ge-schichtlich sein kann (sondern transzen-dental). Darin ist die Revolution wie dasKunstwerk. Der Knstler muss es machenknnen, aber er kann es nicht machen.Die Revolution ist wie die Kunst: Knnen des Nichtknnens.

    Christoph Menke

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