Mensch und Säbelzahnkatze in Niedersachsen

2
| TREFFPUNKT FORSCHUNG © 2014 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.biuz.de 3/2014 (44) | Biol. Unserer Zeit | 153 PALÄONTOLOGIE Mensch und Säbelzahnkatze in Niedersachsen Vor rund 300.000 Jahren lebten Menschen am Ufer eines Sees im heuti- gen Niedersachsen, wie die Funde ihrer Speere beweisen. Nun weiß man, dass sie ihre Heimat mit einem zweiten gefährlichen Jäger teil- ten: die Säbelzahnkatze (Homotherium latidens) wurde erstmals in Niedersachsen nachgewiesen. Am Fuße des Elms im östlichen Niedersachsen befindet sich im Braunkohletagebau Schöningen eine der bedeutendsten steinzeit- lichen Fundstellen der Welt. Hier haben sich am Ufer eines ca. 300.000 Jahre alten ehemaligen Sees dank des feuchten Milieus Knochen und Holz aus der Alt- steinzeit so gut erhalten, wie an keinem anderen Fundplatz. Unter Luftabschluss blieben in einer 6 m mächtigen Abfolge von Schichten (Abbildung 1) die Überreste einer ganzen Seeuferlandschaft perfekt erhalten. In diesen Ablagerungen fanden sich Knochen von großen Säugetieren wie Elefanten, Nashör- nern, Wasserbüffeln und Pferden, aber auch von Kleintieren wie Mäusen, Amphibien und Reptilien sowie Reste von Fischen, Mu- scheln, Schnecken und Käferflü- geln (Abbildung 2). Sie zeigen ein breites Spektrum einer warmzeitli- chen Fauna. Sehr gut erhalten sind auch Hölzer und Pflanzenreste wie Blätter, Samen und Pollen. Diese Überreste ermöglichen es, die Ent- wicklung von Landschaft und Klima über mehrere Jahrtausende während dieser Warmzeit genau zu rekonstruieren. Schöningen – Freiluftlabor mit Überraschungen Zahlreiche Steinartefakte, Tau- sende von Knochen mit Schlag- und Schnittspuren, sowie mehrere Holzartefakte, unter denen zehn hervorragend erhaltene Holzwaf- fen hervorzuheben sind, weisen die wiederholte Anwesenheit des Menschen am Seeufer nach. Die neun aus Nadelholz gefertigten Speere und eine Lanze repräsentie- ren die ältesten erhaltenen Waffen des Menschen und lassen keinen Zweifel daran, dass Homo heidel- bergensis schon über bemerkens- werte kulturelle Fähigkeiten ver- fügte und ein geschickter Jäger war. Ziel der archäologischen For- schung ist es, in Schöningen bei- spielhaft zu untersuchen, wie der frühe Mensch die Landschaft der ausgehenden Warmzeit vor 300.000 Jahren als Sammler und Jäger genutzt hat. Da die archäologischen Ausgra- bungen am Fundort fortgesetzt werden, ist Schöningen wie ein La- bor unter freien Himmel, in dem die Interaktion des Menschen mit der Tierwelt weiter erforscht wer- den kann. Inzwischen wissen wir, dass am Seeufer in Schöningen ne- ben dem Menschen auch ein ande- rer gefährlicher Jäger anwesend war. Ende 2012 und im Jahr 2013 wurden in einer Fortsetzung des Fundhorizontes der Speere zwei Schneide- und zwei Reißzähne so- wie eine Rippe, ein Schulterblatt und ein Oberarmknochen der europäischen Säbelzahnkatze (Homotherium latidens) freige- legt (Abbildungen 3 und 4). Bei diesen Funden handelt es sich um einen der spätesten Nachweise für diese Gattung aus Europa und um den ersten Nachweis einer Säbel- zahnkatze aus Niedersachsen. ABB. 1 In Schöningen ist das Ufer eines 300.000 Jahre alten Sees kon- serviert. Die Schichten haben eine Mächtigkeit von über 6 m. Bild: J. Serangeli. ABB. 2 Die Erhaltungsbedingungen sind in Schöningen so gut, dass sogar Teile von Käferflügeln erhalten ge- blieben sind. Bild: J. Serangeli. ABB. 3 Schneidezahn der europäi- schen Säbelzahnkatze (Homotherium latidens). Bild: V. Minkus. ABB. 4 Rekonstruktion der europäischen Säbelzahnkatze. Bild: R. López; www.quagga.cat.

Transcript of Mensch und Säbelzahnkatze in Niedersachsen

Page 1: Mensch und Säbelzahnkatze in Niedersachsen

| T R E F F P U N K T FO R SC H U N G

© 2014 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.biuz.de 3/2014 (44) | Biol. Unserer Zeit | 153

PA L Ä O N TO LO G I E

Mensch und Säbelzahnkatze in NiedersachsenVor rund 300.000 Jahren lebten Menschen am Ufer eines Sees im heuti-gen Niedersachsen, wie die Funde ihrer Speere beweisen. Nun weißman, dass sie ihre Heimat mit einem zweiten gefährlichen Jäger teil-ten: die Säbelzahnkatze (Homotherium latidens) wurde erstmals inNiedersachsen nachgewiesen.

Am Fuße des Elms im östlichenNiedersachsen befindet sich imBraunkohletagebau Schöningeneine der bedeutendsten steinzeit -lichen Fundstellen der Welt. Hierhaben sich am Ufer eines ca.300.000 Jahre alten ehemaligenSees dank des feuchten MilieusKnochen und Holz aus der Alt-steinzeit so gut erhalten, wie ankeinem anderen Fundplatz. UnterLuftabschluss blieben in einer 6 mmächtigen Abfolge von Schichten(Abbildung 1) die Überreste einerganzen Seeuferlandschaft perfekterhalten. In diesen Ablagerungenfanden sich Knochen von großenSäugetieren wie Elefanten, Nashör-nern, Wasserbüffeln und Pferden,aber auch von Kleintieren wieMäusen, Amphibien und Reptiliensowie Reste von Fischen, Mu-scheln, Schnecken und Käferflü-geln (Abbildung 2). Sie zeigen einbreites Spektrum einer warmzeitli-chen Fauna. Sehr gut erhalten sindauch Hölzer und Pflanzenreste wieBlätter, Samen und Pollen. DieseÜberreste ermöglichen es, die Ent-wicklung von Landschaft undKlima über mehrere Jahrtausende

während dieser Warmzeit genauzu rekonstruieren.

Schöningen – Freiluftlabor mit ÜberraschungenZahlreiche Steinartefakte, Tau-sende von Knochen mit Schlag-und Schnittspuren, sowie mehrereHolzartefakte, unter denen zehnhervorragend erhaltene Holzwaf-fen hervorzuheben sind, weisendie wiederholte Anwesenheit desMenschen am Seeufer nach. Dieneun aus Nadelholz gefertigtenSpeere und eine Lanze repräsentie-ren die ältesten erhaltenen Waffendes Menschen und lassen keinenZweifel daran, dass Homo heidel-bergensis schon über bemerkens-werte kulturelle Fähigkeiten ver-fügte und ein geschickter Jägerwar. Ziel der archäologischen For-schung ist es, in Schöningen bei-spielhaft zu untersuchen, wie derfrühe Mensch die Landschaft derausgehenden Warmzeit vor300.000 Jahren als Sammler und Jäger genutzt hat.

Da die archäologischen Ausgra-bungen am Fundort fortgesetzt

werden, ist Schöningen wie ein La-bor unter freien Himmel, in demdie Interaktion des Menschen mitder Tierwelt weiter erforscht wer-den kann. Inzwischen wissen wir,dass am Seeufer in Schöningen ne-ben dem Menschen auch ein ande-rer gefährlicher Jäger anwesendwar. Ende 2012 und im Jahr 2013wurden in einer Fortsetzung desFundhorizontes der Speere zweiSchneide- und zwei Reißzähne so-wie eine Rippe, ein Schulterblattund ein Oberarmknochen der europäischen Säbelzahnkatze (Homotherium latidens) freige-legt (Abbildungen 3 und 4). Beidiesen Funden handelt es sich umeinen der spätesten Nachweise fürdiese Gattung aus Europa und umden ersten Nachweis einer Säbel-zahnkatze aus Niedersachsen.

A B B . 1 In Schöningen ist das Ufereines 300.000 Jahre alten Sees kon-serviert. Die Schichten haben eineMächtigkeit von über 6 m. Bild: J. Serangeli.

A B B . 2 Die Erhaltungsbedingungensind in Schöningen so gut, dass sogarTeile von Käferflügeln erhalten ge-blieben sind. Bild: J. Serangeli.

A B B . 3 Schneidezahn der europäi-schen Säbelzahnkatze (Homotheriumlatidens). Bild: V. Minkus.

A B B . 4 Rekonstruktion der europäischen Säbelzahnkatze. Bild: R. López; www.quagga.cat.

Page 2: Mensch und Säbelzahnkatze in Niedersachsen

T R E F F P U N K T FO R SC H U N G |

154 | Biol. Unserer Zeit | 3/2014 (44) www.biuz.de © 2014 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

Die Zähne weisen an der Kantedie für Säbelzahnkatzen typischefeine, sägeartige Riffelung mit ca.21 Zähnchen pro Zentimeter auf(Abbildung 3). Eine solche Riffe-lung kennen wir beispielsweiseauch von Haifischen, Komodo -waranen und dem TyrannosaurusRex. Dieses besondere Merkmal istals ein gutes Beispiel für konver-gente Evolution zu sehen undkommt beziehungsweise kam völligunabhängig in verschiedenen Tier-klassen und -arten vor. Gemeinsamist diesen, dass sie als ausgespro-chen spezialisierte Jäger anzusehensind. Besonders charakteristisch fürSäbelzahnkatzen sind die Eckzähne,die beim Homotherium bis ca.15 cm lang sein konnten, aber da-mit noch kleiner waren als die Eck-zähne anderer Säbelzahnkatzen wiezum Beispiel des Smilodon fatalisin Nordamerika. Die europäischeSäbelzahnkatze erreichte eineSchulterhöhe von 1,10 m sowieeine Länge von 2 m bei einem Ge-wicht von 200 kg. Einzelne Indivi-duen können auch größer gewesensein und sie sind damit ähnlichgroß wie heutige Löwen oder Ti-ger. Da die Vorderbeine länger alsdie Hinterbeine waren, hatte dieeuropäische Säbelzahnkatze eineabfallende Rückenlinie und eine Silhouette ähnlich wie eine Hyäne.Der kurze Schwanz erinnert anheutige Luchse.

Wer war überlegen – Mensch oder Raubkatze? Reste der Säbelzahnkatze sind inAfrika, Eurasien, Nord- und Süd-amerika nachgewiesen. Währenddie Art in Afrika aber bereits vor500.000 Jahren ausgestorben war,sind die letzen Exemplare der Unterart Homotherium serum inNordamerika noch vor 12.000 Jah-ren auf Beutezug gegangen. Es fälltauf, dass sich der Mensch in dersel-ben Zeit als Jäger zuerst in Afrika,dann in Eurasien und zuletzt inNord- und Südamerika ausgebrei-tet hat. Ob der Mensch schließlichdazu beigetragen hat, dass die Sä-

fürchten. Schöningen mit den fan-tastisch erhaltenen Speeren zeigt,dass es tagsüber eine Begegnungauf Augenhöhe war. In der dunk-len Nacht änderte sich jedoch dasSzenario. Nun übernahmen die Sä-belzahnkatzen, die wie alle Raub-katzen sicher nachts sehr gut se-hen konnten und dem Mensch anKraft und Sinneswahrnehmungweit überlegen waren, das Feld, so wie wir es heute bei Löwen inden Savannen Afrikas beobachtenkönnen.

Nach Abschluss der wissen-schaftlichen Untersuchungen sol-len die Funde der Säbelzahnkatzemit einer Sonderausstellung vorge-stellt werden und im Forschungs-und Erlebniszentrum paläon ihreHeimat finden.

[1] M. Antón, Sabertooth. Indiana UniversityPress, 2013.

[2] K.-E. Behre (Hrsg.), Die chronologischeEinordnung der paläolithischen Fundstel-len von Schöningen. Forschungen zur Ur-geschichte im Tagebau von Schöningen,2012.

[3] H. Thieme (Hrsg.), 2007. Die SchöningerSpeere – Mensch und Jagd vor 400.000Jahren, 2007.

[4] J. Serangeli, Th. van Kolfschoten, N. J. Conard, 300.000 Jahre alte Funde einerSäbelzahnkatze aus Schöningen – Die ge-fährlichste Raubkatze der Eiszeit erstmalsfür Norddeutschland belegt. Berichte zurDenkmalpflege in Niedersachsen 1/2014,10–12.

Jordi Serangeli, Universität Tübingen,

[email protected]

belzahnkatzen ausgestorben sind,ist eine offene Frage.

Der Fund aus Schöningen zeigterstmals in dieser Deutlichkeit,dass sich Mensch und Säbelzahn-katze vor ca. 300.000 Jahren sicherbegegnet sind. Aber wie darf mansich die Art dieser Begegnung vor-stellen? Der Mensch ist von derNatur körperlich nicht besondersgut ausgestattet: Wir sind nicht be-sonders schnell, wir sehen, hörenund riechen nicht besonders gut,wir haben weder Krallen noch an-dere Körperteile, die wir als effek-tive Waffe einsetzen können. Nurdurch unsere kulturellen Fähigkei-ten konnten wir uns mit der Ent-wicklung von Werkzeugen, vonKleidung, Speeren und auch derNutzung von Feuer in der Naturdurchsetzen. Es ist daher gut vor-stellbar, dass ein einzelner Menschohne Waffen für eine Säbelzahn-katze eine willkommene Beutewar. Als Gruppe und mit Speerenund Lanzen bewaffnet konntensich die Menschen jedoch nichtnur gegen dieses Raubtier verteidi-gen, sondern für eine Säbelzahn-katze gefährlich werden und ihrgelegentlich auch die Beute streitigmachen. Man kann davon ausge-hen, dass der Mensch als eine inder Nahrungskette hoch angesie-delte Art und die Säbelzahnkatzeals hoch spezialisierter Jäger,schnell gelernt haben, sich gegen-seitig zu respektieren und zu

M O M E N T M A L !

Qualifikation„Herzlichen Glückwunsch Dr. B zu Ihrer bestandenenHabilitation! Mit einer Vielzahl von (inoffiziell) betreu-ten MSc- Arbeiten und Promotionen, mit Publikationen,die zum guten Ruf Ihres Fachbereichs und der ganzen Univer-sität beigetragen haben und mit beachtlichen Drittmitteln, die Sie einwerben konnten, haben Sie Ihre wissenschaftliche Qualifikation bewiesen. Ihre Qualifi -kationsstelle an unserer Universität ist mit diesen eindrucksvollen Leistungen beendet. Um die Wertschätzung der Universität zu zeigen, bieten wir Ihnen einenunbezahlten Lehrauftrag an, der es Ihnen erlaubt, den Titel Privatdozent weiterhinzu führen. Finanziell sollten Sie ja keine Probleme haben, denn Ihre Frau hat schließ-lich eine unbefristete Verwaltungsstelle in der Abteilung ‚Förderung des wissen-schaftlichen Nachwuchses‘.“

Herzlichst, Ihr Wolfgang Nellen, Universität Kassel

Bild

: Pet

e Pa

hham

– F

otol

ia.c

om.