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? Da gingen Sie aber erst in die Schweiz.
Ja, um für Peter Zumthor zu arbeiten. Das Büro war extrem interessant, trotzdem war ein kleines Dorf inmitten der Berge nicht gerade mein Lebensziel. Zwei Kollegen aus Venedig luden mich nach Berlin ein, sie nahmen an einem Wettbewerb teil. Ich habe mich von Herrn Zumthor verabschiedet und kam nach Berlin. Ich dachte, ich bleibe für ein paar Jahre.
? Frau Fioretti, seit der Wende wird in Berlin extrem viel gebaut. Kamen Sie deswegen hierher?
Nein, mein Interesse für Deutschland war eher ein literarisches: die ganzen Klassiker, die Sturm undDrangLiteratur. Goethe hat mich quasi nach Deutschland gelockt. Ende der Achtziger Jahre zog ich als Erasmusstudentin nach Kassel. Wir machten auch einen Ausflug nach Berlin, die Mauer stand noch. Ich dachte damals, ich würde sehr gerne ein paar Jahre hier verbringen. Am Ende meines Studiums ist dann die Wiedervereinigung passiert.
Interview mit Donatella Fioretti
Wenn die Berliner Architektin Donatella Fioretti vom Büro Bruno Fioretti Marquez über ihre Projekte spricht, hört man wohlklingendes Deutsch mit italienischschweizerischem Akzent, aber kein Berlinerisch. Im italienischen Savona geboren, hat sie in Venedig studiert und in der Schweiz gearbeitet. Nun lebt sie seit vielen Jahren in der deutschen Hauptstadt und stemmt mit ihren Kollegen bedeutende Projekte. Außerdem ist sie als Professorin für Entwurf und Baukonstruktion an der Technischen Universität Berlin tätig. Geplant war diese Kariere so keineswegs, wie sie im Interview erzählt.
Bruno Fioretti Marquez: Experten für das Bauen in historischer Umgebung
Möglichkeiten ausloten zwischen dem Gewöhnlichen und dem Besonderen
© aller Objektbilder Bruno Fioretti Marquez Architekten
Das Architekturbüro Bruno Fioretti Marquez wurde 1995 in Berlin von den beiden Italienern Piero Bruno und Donatella Fioretti und dem Argentinier Jose Gutierrez Marquez gegründet. Heute hat es seinen Sitz in einem alten Backstein- Gebäude an der Spree, unterhält eine Zweigstelle im schweizerischen Lugano und beschäftigt etwa 15 Mitarbeiter. Alle drei Gründer lehren als Pro-fessoren: an der Hochschule in München, an der Technische Universität in Berlin und an der Bau-haus-Universität in Weimar. Sie werden regelmä-ßig in internationale Preisgerichte eingeladen.
Einen Schwerpunkt setzt das Architekturbüro Bruno Fioretti Marquez beim Bauen im Bestand, der Fokus liegt auf Kulturbauten, Wohnungs- und Bildungsbauten. Besonders erfahren ist das Team mit Bauprojekten, die im Umfeld von Baudenkmälern liegen: Die Wohnbauten am Schillerpark in Berlin-Wedding sind bereits ihr viertes Projekt, das in einem UNESCO-Welter-be-Areal entsteht. Zuvor haben die Architekten bereits die weltberühmten Meisterhäuser in der Bauhausstadt Dessau städtebaulich repariert. Derzeit schließen sie den Umbau des Schlosses in der Lutherstadt Wittenberg ab. Auch der neue Uni-Campus in Potsdam wird direkt an eine Welt-erbestätte anschließen.
Zu ihren Referenzen gehören außerdem die Le-sesäle der Universität Lugano, das Ensemble Ebracher Hof in Schweinfurt, die Mittelpunktbi-bliothek am Alten Markt in Berlin-Köpenick, das Stellwerk für den Gotthard-Basistunnel sowie das „Kinderuniversum“, eine Tagesstätte der Uni-versität Karlsruhe.
Im Schillerpark lassen Bruno Fioretti Marquez ihre Bauten mit der Siedlung nebenan interagieren. Diese wurde von 1924 bis 1930 vom berühmten Berliner Architekten und Stadtplaner Bruno Taut gebaut und gemeinsam mit fünf anderen Sied-lungen der Berliner Moderne im Juli 2008 zum UNESCO-Welterbe ernannt. Tauts Siedlung mu-tet mit ihren klaren Formen heute noch modern an. Die neuen Gebäude haben Bruno Fioretti Marquez so entworfen, dass sie sich nahtlos in dieses Ensemble einfügen. Ihre Gestaltung orien-tiert sich an Tauts Gebäuden. Und wie bei Taut damals musste auch der aktuelle Entwurf günstig geplant werden – es handelt sich um ein genos-senschaftliches Projekt.
Das Architekturbüro
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Fassadendetail
zur Straßenseite
erreichen zwischen einer Gestaltung, die prinzipiell klaren Regeln folgte, und dann wieder lokalen Besonderheiten. So entstand ein gestalterischer Reichtum.Wir haben uns im Sinne Tauts ebenfalls auf die Suche gemacht nach Möglichkeiten zwischen dem Gewöhnlichen und dem Besonderen. Das war der Ausgangspunkt unseres Projektes.
? Und wie haben Sie das nun umgesetzt?
Die großen Gebäude liegen an der Grundstücksgrenze. Sie folgen dem Verlauf der umliegenden Straßen und definieren einen geschützten Hof. So entstand eine eigentlich einfache Figur, die wir dann aber, ähnlich wie bei Taut, durch die Aufnahme örtlicher Besonderheiten gebrochen haben. Beispielsweise am Rand des Blocks: Anstatt dort wie üblich den Blockrand einfach zu schließen, haben wir den Bereich an der Kreuzung als zurückversetzte Ecke ausgebildet. Diese bietet im Erdgeschoss einen großzügigen Durchgang zum Hof an und artikuliert eine klare Eingangssituation.Die Grünanlagen der Umgebung, also des Schillerparks, finden ihre Fortsetzung in der Hofbegrünung. Die von der Straße zum Innenhof durchgesteckten Hauseingänge im Erdgeschoss entschärfen den geschlossenen Charakter des Gebäudes und ermöglichen einen direkten Zugang zum Hof. Gleichzeitig kann der Hof auch als erweiterter Außenwohnraum gelesen werden, als eine Verlängerung der Innenräume ins Freie.
? Wieso interessieren Sie als Architektin sich für Goethe und Schiller?
In Venedig, wo ich studiert habe, hatten wir im Architekturstudium auch viele Philosophie und Literaturseminare. Diese theoretische und konzeptuelle Annäherung an das Entwerfen spielt noch heute in unserer Arbeit eine wichtige Rolle. Es bestimmt unseren Blick auf die Architektur; der humanistische Aspekt ist uns wichtig. Ich lebe und unterrichte wirklich gerne in Deutschland. Aber wenn ich eine Kritik an der Ausbildung vorbringen sollte, wäre es die, dass sie einem eine sehr technische Sicht nahebringt. Die Vorherrschaft der Technik ist in Deutschland Teil der Weltanschauung.
? Ist das schlecht?
Technik ist nicht nur neutral; sie kann oft ideologisch geprägt sein. Dennoch scheint etwas, was technisch begründet wird, stets und automatisch zutreffend zu sein. In Deutschland fehlt oft die Auseinandersetzung damit. Nehmen wir energiesparende Gebäude: Derzeit werden ganze Gebäude mit Kunststoffmaterialien verpackt. In zwanzig Jahren muss dieser Kunststoff dann entsorgt werden, ein Riesenberg von Sondermüll. Den EnergiesparBerechnungen zufolge ist alles perfekt. Aber was beinhalten diese Berechnungen noch? Ist die Zeitspanne enthalten? Sind die Werte, die man hier priorisiert, auch die richtigen?
? Sprechen wir über Ihre Neubauten neben der bestehenden SchillerparkSiedlung von Bruno Taut. Welche Beziehung wollten Sie da herstellen zwischen Altem und Neuem?
Die Bewohner identifizieren sich sehr mit ihrer bestehenden Siedlung. Manche leben in der fünften Generation da – in Mietwohnungen! Tatsächlich haben die von Taut geprägten Bauten einen starken Charakter. Auch die Außenräume dort sind beispielhaft organisiert. Taut beschäftigte sich bewusst und intensiv damit, wie der Übergang zwischen privaten, gemeinschaftlichen und öffentlichen Räumen gestaltet wird. Taut hat es außerdem geschafft, trotz des großen Maßstabs seines Projektes, ein feines Zusammenspiel zu
Modellstudie zur
Möblierung der
Wohnungen
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? Warum haben Sie für die Erweiterung der BrunoTautSiedlung Ziegel gewählt?
Die alte SchillerparkSiedlung hat Bruno Taut sehr schlicht gehalten, sie besteht aus einfachen Putzgebäuden mit Lochfassaden. Fenster und Farben sind präzise eingesetzt. Es war uns wichtig, diese konzentrierte Einfachheit zu erhalten. Unsere Fassade ist als monolithische, verputzte Mauerwerkskonstruktion gestaltet, wir haben dafür gefüllte Porenziegel vorgesehen. Dieses Material ist unserer Meinung nach eine interessante Alternative zur StandardAusführung mit Wärmedämmverbundsystem.
? Würden Sie sagen, dass Ziegel ein ursprüngliches Material sind?
Gibt es überhaupt ursprüngliche Materialien? Ich würde sagen, dass Baumaterialien per Definition künstlich sind. Selbst Holz wird mittlerweile stark verarbeitet, zersägt, wieder zusammengeklebt. Die PorotonZiegel, die wir für unser Bauprojekt benutzt haben, sind fast schon ein HighTech Produkt.
? Wie kommt Materialauswahl generell zustande?
Heutzutage kommt es immer öfters vor, dass ein Architekt nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkt in den Bauprozess involviert wird. In Deutschland und der Schweiz kann man noch als Architekt ein Projekt von der Idee bis zur Realisierung verfolgen. Für uns ist das Material von Anfang an ein wichtiger Bestandteil der architektonischen Konzeption: Schon mit der ersten Idee ist ein Gebäude aus Ziegeln, Holz oder Beton.
? Lesen Sie eigentlich heute noch so viel?
Natürlich, ich bin eine Leseratte. Seit ich 18 bin, habe ich keinen Fernseher mehr. Wobei inzwischen der Computer eine große Versuchung ist, mit diesen gut gemachten Serien. Meistens lese ich aber bis drei Uhr nachts, sonst kann ich nicht schlafen. Gerade lese ich zum dritten Mal die „Suche nach der verlorenen Zeit“ von Marcel Proust. Dazu kommt ein sehr schönes Buch eines englischen Architekturhistorikers, Adrian Forty: „Concrete and Culture“, es geht um die kulturellen Aspekte des Betons.
Das Baugebiet ist Tag wie Nacht stark lärmbelastet: zum einen durch Bushaltestellen und Last-wagenverkehr auf der Barfusstraße, andererseits auch durch Flugverkehr. Denn die Gebäude liegen in der Einflugschneise des Flughafens Tegel. Der sollte zwar eigentlich längst stillgelegt und der neue Hauptstadtflughafen BER in Betrieb sein. Doch die Inbetriebnahme des BER verzögert sich auf unbe-stimmte Zeit, und so lange wird Tegel weiter angeflogen.
Lärmschutz
Offen bleiben, Lebensraum schaffen:eine Oase im Lärm
Die Architekten kombinierten daher Poroton-Ziegel mit Lärmschutzfenstern, um das Problem in den Griff zu bekommen. Im Bebauungsplan wurde der Lärmschutz zwar forciert, doch der Wettbewerb stand unter der Maßgabe, dass der Tegeler Flugbetrieb bereits eingestellt sei. BFM lehnte zum Innen-hof hin die Lärmschutzfenster ab, denn die Wohnungen sollten nicht hermetisch sein. Vielmehr sollen sich die Häuser zu dem Grün hin öffnen und auch nicht den Eindruck vermitteln, die halböffentliche Gartenanlage sei eine Bedrohung. Jede Wohnung hat Zugang zum Hof, zudem sollen Loggias die Verbindung mit der Gemeinschaftsfläche weiter fördern.