Michel Foucault Uberwachen und Strafen -...

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Michel Foucault l Uberwachen und Strafen Die Geburt des Gefangnisses Ubersetzt von Walter Seitter Michel Foucault (1926-1984) hatte seit 1970 den Lehrstuhl für die I Geschichte der Denksysteme am Collège de France in Paris inne. 1 Von seinen Büchern sind im Suhrkamp Verlag u.a. erschienen: Archaologie des Wissens (stw j 56);Der Mensch ist ein Erfahrungs- tier (stw 1274); Die Ordnung der Dinge (stw 96);Schriften, Dits et Enits, Bde. 1-4 (2004); Vorlesungen am Collège de France: DieAn- ormalen; In Verteidigung der Gesellschaft; Geschichte der Gouver- 1 nementalitut 1 und II; Hermeneutik des Subjekts; Die Macht der Psychiatrie; Die Wahrheit und die juristischen Formen (stw 1645). Uberwachen und Strafen. Die Geburt des Gefüngnisses schlieflt an Foucaults Bücher über die nGeburt. der Klinik und des Irrenhau- ses (Wahnsinn und Gesellschaft. Eine Geschichte des Wahns im Zeitalter der Vernunft = stw 39) an: es zeichnet die Frühentwick- I lung einer anderen totalen Institution nach, die für die liberale bür- gerliche Gesellschaft eine mindestens ebensolche definitorische Macht gewann wie das Irrenhaus. Diese Entwicklung beginnt, nicht unahhangig von einigen groi3en Justizskandalen, um die Wen- de des 18. zum 19. Jahrhundert, als sich die ~Okonomie der Züch- tigunga revolutionierte; es entstand eine neue Theorie des Rechts ~ und des Verhrechens, eine neue moralische und politische Recht- fertigung der Strafe, eine neue Strafpraxis. Die vielleicht entschei- dendste Verinderung ist der Wegfall der korperlichen Züchtigung, ! der hlarter, und die Einführung der Isolierung der Gefarigenen in Zellen - also der Weg zum vollkommenen Ubernrachungs- und 1 Disziplinierungssystem. Die Gefingnisse werden burgerliche 1 Zuchthauser, Zuchtanstalten. Diese verfeinerte Di~ziplinierun~s- technik wird ihrerseits zur ~~Disziplin~~ im Sinne der Wissenschaft, zur selben Zeit übrigens, als auch die experimentelle Psychologie entsteht. Die Kontrolle der Nornialitat korrespondiert der Norma- litat der Kontrolle.

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Michel Foucault

l Uberwachen und Strafen

Die Geburt des Gefangnisses

Ubersetzt von Wal ter Seitter

Michel Foucault (1926-1984) hatte seit 1970 den Lehrstuhl für die I

Geschichte der Denksysteme am Collège de France in Paris inne. 1

Von seinen Büchern sind im Suhrkamp Verlag u.a. erschienen: Archaologie des Wissens (stw j 56); Der Mensch ist ein Erfahrungs- tier (stw 1274); Die Ordnung der Dinge (stw 96); Schriften, Dits et Enits, Bde. 1-4 (2004); Vorlesungen am Collège de France: DieAn- ormalen; In Verteidigung der Gesellschaft; Geschichte der Gouver- 1

nementalitut 1 und II; Hermeneutik des Subjekts; Die Macht der Psychiatrie; Die Wahrheit und die juristischen Formen (stw 1645).

Uberwachen und Strafen. Die Geburt des Gefüngnisses schlieflt an Foucaults Bücher über die nGeburt. der Klinik und des Irrenhau- ses (Wahnsinn und Gesellschaft. Eine Geschichte des Wahns i m Zeitalter der Vernunft = stw 39) an: es zeichnet die Frühentwick- I

lung einer anderen totalen Institution nach, die für die liberale bür- gerliche Gesellschaft eine mindestens ebensolche definitorische Macht gewann wie das Irrenhaus. Diese Entwicklung beginnt, nicht unahhangig von einigen groi3en Justizskandalen, um die Wen- de des 18. zum 19. Jahrhundert, als sich die ~ O k o n o m i e der Züch- tigunga revolutionierte; es entstand eine neue Theorie des Rechts ~ und des Verhrechens, eine neue moralische und politische Recht- fertigung der Strafe, eine neue Strafpraxis. Die vielleicht entschei- dendste Verinderung ist der Wegfall der korperlichen Züchtigung, ! der hlarter, und die Einführung der Isolierung der Gefarigenen in Zellen - also der Weg zum vollkommenen Ubernrachungs- und 1

Disziplinierungssystem. Die Gefingnisse werden burgerliche 1

Zuchthauser, Zuchtanstalten. Diese verfeinerte Di~zipl in ierun~s- technik wird ihrerseits zur ~ ~ D i s z i p l i n ~ ~ im Sinne der Wissenschaft, zur selben Zeit übrigens, als auch die experimentelle Psychologie entsteht. Die Kontrolle der Nornialitat korrespondiert der Norma- litat der Kontrolle.

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Bibliografische Informarion Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikarion in der

Deutschen Nationaibibiiografie htrp://dnb.ddb.de

suhrkarnp taschenbuch wissenschaft r 84 Erste Auflage 1977

O Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1976 Suhrkarnp Taschenbuch Verlag

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des offentlichen Vortrags, der Übcrtragung

durch Rundfunk und Fernsehen sowie der Übersetzung, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes dari in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)

ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Vernrendung

elektronischer Systeme verarbeiret, vervieliairigr oder verbreiret werden.

Druck: Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden Printed in Germany

Urnschlag nach Enrwürfen von Willy Fleckhaus und Rolf Sraudt

ISBN )-~rS-z7784-7

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Tite1 der O ~ i ~ i n a l a u s g a b e : Inhalt Surveiller et punir. La naissance de la

prison. Editions Gall imard 1975

1. Marter

I. Der Korper der Verurteilten 9 2. Das Fest der Martern 44

II. Bestrafung

1. Die verallgemeinerte Bestrafung 93 2. Die Milde der Strafen 133

III. Disziplin

1. Die gelehrigen Korper 173 Die Kunst der Verteilungen 181 Die KontroUe der Tatigkeit 192 Die Organisation von E n t w i c k l ~ n ~ e n 201

Die Zusarnmensetzung der Krafte 209 2. Die Mittel der guten Abrichtung zzo

Die hierarchische Oberwachung 221 Die normierende Sanktion 229 Die Prüfung 238

3. Der Panoptismus 25 I

IV. Gefangnis

I. Totale und asketische Institutionen 295 2. Ge~etzwidri~keiten und Delinquenz 330 3. Das Kerkersystem 380

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i I . Die verallgemeinerte Bestrafung

»Die Strafen sollen mafivol1 und den Vergehen angemessen 1

I sein; die Todesstrafe sol1 nur noch über schuldige Morder verhangt werden; und die der Menschlichkeit ins Gesicht

I schlagenden Martern sollen abgeschafft werden..' Der Protest 1

I gegen die peinlichen Strafen findet sich in der zweiten Halfte , des 18. Jahrhunderts uberall: bei den Philosophen und 1 Rechtstheoretikern; bei den Juristen, den Rechtskundigen

1 und Richtern; in den Beschwerdebriefen und bei den Mitglie- I dern der Verfassunagebenden und Gesetzgebenden Versamm- 1 lungen. Die Bestrafung muB anders werden: die physische 1 Konfrontation zwischen dem Souveran und dem Verurteilten

mu8 ebenso ein Ende finden wie der Nahkampf, den sich vermittels des Gemarterten und des Scharfrichters die Rache

1 des Fürsten und die verhaltene Wut des Volkes liefern. Sehr 1 rasch isi die Marrer unertraglich geworden, welche die Tyran- ( nei, die MaBlosigkeit, den Rachedurst des Souverans und »das

stürzt und von ihm auch noch verlangt, daB es ,,den Himmel 1 und seine Richter, von denen es preisgegeben scheint.3, segne, i welche der Gewalttatigkeit sowohl des Konigs wie des Volkes

I in so gefahrlicher Weise Vorschub leistet. Die souverane Macht muBte ja in der GraBlichkeit ihrer Vergeltungen eine

I Herausforderung sehen, die eines Tages angenommen werden I I konnte: wenn das Volk daran gewohnt ist, »Blut stromen zu I sehena, lernt es schnell, daB .es sich nur mit Blut rachen i kannc.4 In jenen Zeremonien durchkreuzen sich die MaBlosig- 1 ! I So f d t im Jahr 1789 das Justizministerium die allgemeine Linie der Beschwerden

1 über die peinlichen Strafen zusarnmcn. Vgl. E. Seligman, La Justice sous la Révolu- tion, Bd. 1, 1901; A. Desjardin, Les Cahiers des Etats généraux et ln justice

1 criminelle, 1883, S . 13-20, r J. Petion de Villeneuve, Rrde vor der Verfas~un~gebenden Versammlung, Ar- chives parlementaires. Bd. XXVI, S. 641.

Archives parlementaires, Bd. XXVI. 1

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keit der bewaffneten Justiz und die Wut des bedrohten Vol- 1 werden? Wie kam es, daB der Abscheu vor den Martern so kes. In diesem Verhaltnis sollte Joseph de Maistre einen der fundamentalen Mechanismen der absoluten Macht erkennen:

alle und aus jedem zugrunde gerichteten Korper einen Stein i heute findet, da sich wieder einmal das Problem einer Ukono- für den Staat. Was tut's, wenn er Unschuldige trifft? An dieser 1 mie der Züchtigungen stellt. Es scheint, als hatte das 18. Jahr- zugleich gewagten und ritualisierten Gewaltsamkeit setzten hundert die Krise dieser Ukonomie eroffnet, indem es zu ihrer jedoch die Reformer des 18. Jahrhunderts das aus, was auf 1 Oberwindung das Grundgesetz aufgestellt hat, die Züchtigung beiden Seiten über legitime Mach ta~sübun~ hinausging: Ty- I musse die ,,Menschlichkeit« zum »Mafi« haben - ohne daB rannei und Revolie, die einander gegenüberstehen und einan- I dierem doch als unumst~Rlich betrachteten Grundsatz ein der herausfordern. Um dieser zweifachen Gefahr zu begeg- , endgültiger Sinn hatte gegeben werden konnen. Darum ist es nen, muB die Strafjustiz, anstatt zu rachen, endlich be- ! notwendig, von der Entstehung und der anfanglichen Ent- strafen. / wicklung dieser ratselhaften »Milde« zu berichten. Diese N ~ t w e n d i ~ k e i t einer Züchtigung ohne Marter artiku- liert sich zunachst als Schrei des Herzens oder der entrüsteten Natur: im verruchtesten Morder ist zumindest eines noch zu 1 oder Lacretelle, Duport, Pastoret, Target, Bergasse, die Publi- respektieren, wenn man bestraft: seine menschliche Natur. Im 'I zisten oder die Mitglieder der Verfassunggebenden Versamm- 19. Jahrhundert sollte dieser im Verbrecher entdeckte 1 lung, weil sie diese Milde gegen einen Justizapparat und gegen »Mensch. zur Zielscheibe einer bessernden und andernden »klassische« Theoretiker durchgesetzt haben, von denen sie

positiven Wissens der Barbarei der Martern entgegengehalten, I den die Historiker vor kurzem durch das Studium von Ge- sondern als Rechtsschranke, als legitime Grenze der Strafge- ( richtsarchiven aufgedeckt haben: die Milderung des Strafsy- walt. Er ist nicht das, was die Strafgewalt angreifen und i stems im Laufe des 18. Jahrhunderts oder, genauer gesagt, verandern, sondern was sie intakt lassen und respektieren soll. j eine zweifache Bewegung, in der wihrend jener Periode die Noli me tangere. Er markiert den Haltepunkt gegenüber der Rache des Souverans. Der »Mensch«, den die Reformer gegen den Despotismus des Schafotts zur Geltung gebracht haben, ist nicht das MaB der Dinge, sondern das MaB der Macht. eine betrachtliche Abnahme der Blutverbrechen und über- Wie wurde nun dieser Mensch als Grenze der traditionellen haupt der physischen Gewaltsamkeiten zu bernerken; die Praxis der Züchtigungen entgegengesetzt? Wie konnte er zur 5 Vgl . insbesondere die Polemik v o n Muyart de Vouglans gegen Beccaria: ~ é f u t a - groBen moralischen Re~htfer t i~ung der Reformbewegung tion du Traité des délits et des peines, 1766.

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-4 .I

'4 Eigenrumsdelikte scheinen die Gewaltverbrechen abzulosen. ben und als hatten die g e s e t z ~ i d r i ~ e n Praktiken ihren Zugriff

.y Diebstahl und Betrug verdrangen Mord, Korperverletzung auf den Korper gelockert und sich anderen Zielen zugewandt.

"2 und Handgreiflichkeiten. Die diffuse, als »Gelegenheitsarbeita Vor der Milderung der Gesetze gab es eine Milderung der i

aber haufig betriebene Delinquenz der armsten Schichten wird Verbrechen. Diese Transformation kann aber nicht von meh- .':

von einer begrenzten und anspruchsvolleren Delinquenz ab- reren sie unterstützenden Prozessen getrennt werden; zu- t gelost. Die Kriminellen des 17. Jahrhunderts sind ~erschopfte, nachst, wie P. Chaunu bemerkt, von einer Veranderung im JI

schlecht genahrte Menschen, jihzornige Manner des Augen- System der okonomischen Zwange, einer allgemeinen Erho- # blicks, Saisonverbrecher«, die des 18. Jahrhunderts hingegen hung des Lebensstandards, einem starken Anwachsen der .a di »Schlaumeier, Schlawiner, gerissene Rechner - A~Benseiterx.~ Bevolkerung, einer Vervielfaltigung der Reichtümer und Gü- 3

Auch die innere Organisation der Delinquenz indert sich: die ter und des »daraus folgenden Sicherheit~bedürfnisses*.~ groBen Banden von Obeltatern (Riuber in kleinen bewaffne- Oberdies ist im Laufe des 18. Jahrhunderts zu bemerken, daB

.("

ten Einheiten; Schmugglerbanden, die auf die Angestellten der die Justiz schwerfalliger und in einigen Punkten strenger .$

Pachthofe schieBen; entlassene Soldaten oder Deserteure, die wird: von den 223 Ka~italverbrechen, die zu Beginn des 1 zusammen herumstreifen) losen sich allmahlich auf; durch die 19. Jahrhunderts kodifiziert waren, waren 156 erst in den .;i wirksamere Verfolgung gezwungen, sich zu verkleinern (hiu- letzten IOO Jahren als solche definiert worden.'" In Frankreich 4

fig auf eine Handvoll Manner), um unbemerkt durchzukom- ' war die Gesetqebung über die Landstreicherei seit dem men, begnügen sie sich mit blitzartigen Operationen, bei 17. Jahrhundert mehrmals erneuert und verscharft worden.

,<

denen Kraftaufwand und Totungsrisiken geringer sind: »Die Eine sorgfaltigere und genauere Justizpraxis beginnt nun, ~hysische Liquidation bzw. die AuseinanderreiBung der gro- auch eine »kleine« Delinquenz zu erfassen, die sie früher $

7" Ben Banden ÜberlaBt nach 1755 das Feld einer gegen das leichter durch~chlü~fen lieB: ,,Sie wird im 18. Jahrhundert ,n Eigentum gerichteten Delinquenz, die sich individualistisch langsamer, überlegter, strenger gegen den Diebstahl, dessen- gibt oder zur Sache ganz kleiner Gruppen (bis zu vier Perso- Haufigkeit zugenommen hat und gegen den sie als bürgerliche

3 nen) von StraBenraubern und Taschendieben wird .~ ' Die Ge- Klassenjustiz auftritt.«I1 In Frankreich und vor allem in Paris 1 setzwidrigkeit wendet sich von der Gewalttatirgkeit gegen wird der Polizeiapparat immer ~mfan~re i che r , was die Ent-

Korper ab und der mehr oder weniger direkten Entwendung , q mngszeit von Ludwig XIV. Ganz allgemein weisen die unter der Anleitung von P. von Gütern zu. Und dieselbe Bewegung führt zu einer Ver- 4 Chaunu entsrandenen Arbeiten nach, daR das Gewalrverbrechen vom Betrug ver-

schiebung von einer »Massenkriminalitat« zu einer »Krimina- dfàngt wird. Vgl. die Arrikel von B. Boutelet, J. Cl. Gégot, und V. Boucheron in: ;% Ltat von AuBenseitern und Randstandkgen«, die zu einem Teil Annales de Normandie, 1962, 1966 und 1971. ~ ü r Paris vgl. P. Petrovitch in: Crime g

Professionellen vorbehalten bleibt. Es scheint also, als hatte es et criminalité en France de aux XVIIe et XVIII' riècles, 1971. Dasselbe scheint auch 4 für England zu gelten; vgl. Ch. Hibberr, The Roots of evil, 1966, S. 72; J. Tobias, eine fortschreitende Senkung des regelstandes - »eine Ent- $ Crime and industrial society, 1967, S. 37 fi.

scharfung der Spannungen in den menschlichen Beziehun- 9 P. Chaunu, Annales de Normandie, 1971, S. 16. 4 gen . . . eine bessere Kontrolle der gewaltsamen Triebe-' gege- IO Thomas Fowell Buxton, Parliamenta7y Debate, I 8 19, XXXIX. 1

I I E. Le Roy-Ladurie, Contrepoint, 1973. A. Farge, Le Vol d'alzments à Paris au g ( 6 P. Chaunu, Annales de Normandie, 1962, S. 236; 1966, S. 107 f. XVIIIe siècle, 1974, bestatigt diese Tendenz: von 1750 bis 1755 werden 5% der "i 7 E. Le Roy-Ladurie, in: Contrepornt, 197). Lebensmitteldiebe zur Galeere verurteilt, von r 775 bis I 790 hingegen sind es I 1 % : 3

8 N. W. Mogensen, Aspects de la sonété augeronne aux XVII' et XVIII' siècles, .Die Strenge der Gerichte verscharft sich mir der Zeit . . . eine Gesellschaft, die ?$ 1971 Diss., S. 326. Der Autor zeigt, daR in Auge die Gewaltverbrechen am geordnet sein mochte und das Eigentum respekriert, verteidigt die ihr nützlichen 4

Vorabend der Revolution viermal weniger zahlreich sind als am Ende der Regie- Werte.. (S. 130-142). 2 1 P

96 1 ij l

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wicklung einer organisierten und unter freiem Himmel prakti- In der Tat ist die Verlagerung des S~hwer~ewichts von den zierten Kriminalitat behindert und die Kriminalitat zu diskre- Gewaltdelikten zu den Betrupdelikten Teil eines komplexen teren Formen zwingt. Diese VorsichtsmaBnahmen werden Mechanismus aus Produktionsentwicklung, Vermehrung der durch den ziemlich allgemeinen Glauben an das standige und ! Reichtümer, rechtlicher und moralischer Aufwertung der Ei- gefahrliche Anwachsen der Kriminalitat erganzt. Wahrend die gentumsbeziehungen, strengeren Ober~achun~smethoden, heutigen Historiker ein Zurückgehen der groBen Verbrecher- ~or~fi l t igerern Durchkammen der Bevolkerung, besseren Er- banden feststellen, sah Le Trosne sie wie Heuschrecken- fassungs-, Ergreifungs- und Ermittlungtechniken: der Ver- schwarme sich über das ganze franzosische Land stürzen: schiebung der gesetzwidrigen Praktiken ents~richt eine Aus- ~ D a s sind gefraBige Insekten, die taglich den Lebensunterhalt weitung und Verfeinerung der Strafpraktiken. der Landwirte verwüsten. Das sind, um es ohne Umschweif Handelt es sich um einen allgemeinen Einstell~n~swechsel, zu sagen, feindliche Truppen, die über das Territorium ver- eine »Veranderung im Bereich des Geistes und des Unterbe- streut sind und dort kaum bemerkt wie in einem eroberten wuBt~eins«? '~ Das mag sein; aber gewisser und unmittelbarer Land leben und unter dem Tite1 von Almosen regelrechte handelt es sich um ein Bemühen, die Machtmechanismen, Abgaben eintreiben~: die armsten Bauern bringen sie um welche die Existenz der Individuen einrahmen, zu verfeinern. mehr als die Steuer und, wo die Besteuerung am hochsten ist, Es handelt sich um eine Anpassung und Verfeinerung der treiben sie noch mindestens ein Drittel davon ein." Die Apparate, die das alltagliche Verhalten der Individuen, ihre

Identitat, ihre Tatigkeit, ihre scheinbar bedeutungslosen Ge- zunimmt. Vor allem die Anhanger einer gr6Beren Strenge sind sten erfassen und überwachen. Es handelt sich um eine andere dieser Meinung. Aber auch diejenigen, die denken, eine in Politik bezüglich der Vielfalt von Korpern und Kraften einer ihren Gewaltanwendungen gemafligtere Justiz sei wirksamer, Bevolkerung. Was sich abzeichnet, ist weniger ein neuer Re- da sie vor ihren eigenen Konsequenzen nicht zurückzuwei- spekt vor dem Menschen im Verurteilten - die Martern sind chen brauche;13 und die Gerichtsbeamten, die behaupten, auch für leichte Verbrechen noch haufig, sondern vielmehr durch die Vielzahl der Prozesse überlastet zu sein: ,,Das Elend eine Tendenz zu einer ~orgfa l t i~eren und verfeinerten Justiz, der Volker und die Verderbnis der Sitten haben die Verbre- , zu einem lückenloseren Durchkammen des Gesellschaftskor- chen und die Schuldigen vervielfacht.~'4 Die Meinung scheint pers. Es handelt sich um eine kreisformige Entwicklung, in durch die wirkliche Praxis der Gerichte bestatigt zu werden: , der sich die Zugangsschwelle zu den Gewaltverbrechen er- >,Die letzten Jahre des Ancien Régime kündigen bereits die hoht, die Unduldsamkeit gegenüber Eigentumsdelikten zu- Ara der Revolution und des Kaisertums an. Das Ansteigen der nimmt, die Kontrollen dichter werden und die StrafmaBnah- Gefahren wird in den Prozessen der Jahre 1782 bis 1789 ganz men früher einsetzen und zahlreicher werden. deutlich: Harte gegen die Armen, Verweigerung der Zeugen- Stellt man diesen ProzeB dem kritischen Diskurs der Refor- aussage, MiBtrauen, HaB und Furcht auf allen Seiten.~" mer gegenüber, so 1aBt sich eine bemerkenswerte strategische

Obereinstimmung bemerken. Was die Reformer an der tradi- 12 G . Le Trosne, Mémoires sur les vagabonds, 1764, S . 4. tionellen Justiz angeifen, bevor sie die Grundlagen zu einem 1 3 Vgl. zum Beispiel C . Dupary, Mémoire jrrstificatifpowr trois hommes condamm- neuen Strafsystem legen, ist das ObermaB der Züchtigungen - nés à 16 roue, 1786, S. 247. aber ein ObermaB, das mehr als Regellosigkeit denn als Mii3- 14 Ein Gerichtsprasident von Toumelle in einern Schreiben an den Konig (2. Augusr 1768), zit. in: A. Farge, loc cit., S. 66. ~j P. Chaunu, Annales de Normandie, 1966, S . 108. 16 Der Ausdruck stammt von N. W. Mogensen, loc. cit.

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brauch der Strafgewalt erscheint. Am 24. Marz 1790 eroffnet seiner gesamten Ausdehnung zu erfassen. Gerade dureh ihr

Thouret in der Verfassunggebenden Versammlung die Dis- Durcheinander wird die Strafjustiz lückenhaft. Lückenhaft

kussion über die neue Organisation der Strafgewalt. Diese aufgrund der verschiedenen Gewohnheitsrechte und Verfah-

Gewalt ist nach seiner Meinung in Frankreich dreifach ndena- rensweisen, die trotz der allgemeinen Verordnung von 1670

turierta. Erstens durch eine private Aneignung: die Richter- bestehen; lückenhaft aufgrund der inneren Kom~etenzkon- flikte; lückenhaft aufgrund der - politischen oder okonomi- amter werden verkauft oder vererbt; sie haben einen Tausch-

wert, und die Rechtsprechung ist kostspielig. Zweitens durch schen - Einzelinteressen, die jeweils eine Instanz zu verteidi-

eine Verquickung zweier Gewalten: der Re~hts~rechung, die gen hat; lückenhaft schlieBlich aufgrund der Eingriffe der

ein Urteil fallt, indem sie das Gesetz anwendet, und der koniglichen Macht, die durch Bepadigungen, Strafmilderun-

Gewalt der Gesetzgebung. Und schlieBlich durch eine Reihe gen, Anrufung einer hoheren Instanz oder unmittelbaren

von Privilegien, welche die Rechtsprechung ungewiB machen: Druck auf die Gerichte den geregelten und nüchternen Ablauf

es gibt privilegierte Gerichte, Prozeduren, ProzeBführer, so- der Justiz storen kann.

gar privilegirrte Delikte, die nicht unter das allgemeine Recht In der Kritik der Reformer geht es weniger um Schwache oder

fallen.'' Dies ist nur eine der zahllosen Kritiken eines halben Grausamkeit als um eine fehlerhafte Okonomie der Macht.

Jahrhunderts, die in dieser Denaturierung das Prinzip einer Zuviel Macht liegt bei den unteren Instanzen, die - unter

regellosen Justiz sehen. Die Justiz ist regellos, weil ihre In- Ausnutzung von Unwissenheit und Armut der Verurteilten - Berufungen übergehen und willkürliche Urteile ohne Kon- stanzen so vielfaltig sind, daB sie keine einheitliche Pyramide

bilden.18 Selbst wenn man die kirchlichen Gerichtsbarkeiten trolle vollstrecken lassen konnen. Zuviel Macht liegt bei der

beiseite laBr, sind die Spriinge, Uberschneidungen und Kon- Anklage, deren Verfolgungsmittel praktisch unbegrenzt sind,

flikte zwischen den verschiedenen Rechtsprechungen nicht zu wahrend der Angeklagte ihr gegenüber wehrlos ist; dies ver-

übersehen: da gibt es die der Grundherren, die für die Verfol- leitete die Richter bald zu ÜbermaBiger Strenge und bald zu

gung kleiner Delikte immer noch wichtig sind; die zahlreichen übertriebener Nachsicht. Zuviel Macht liegt bei den Richtern,

Gerichtsbarkeiten des Konigs sind untereinander schlecht die sich mit oberflachlichen Beweisen begnügen konnen,

koordiniert (die souveranen Gerichtshofe sind haufig mit den wenn sie nur »gesetzmaBigc sind, und die bei der Festsetzung

Vogteien und vor allem mit den kürzlich als Zwischeninstan- ' der Strafe über eine betrachtliche Freiheit verfügen. Zuviel

zen geschaffenen Landgerichten in Konflikt); weitere Ge- Macht ist den »Leuten des Konigs. zugestanden, und zwar

richtsbarkeiten werden de jure oder de facto von Verwal- '

nicht nur gegenüber den Angeklagten, sondern auch gegen-

tungs- oder Polizeiinstanzen wahrgenommen (von den Inten- über den anderen Behorden. Zuviel Macht wird schlieBlich

dancen bzw. von den Profosen oder Polizeileutnanten); dazu vom Konig ausgeübt, der das Verfahren suspendieren, die

kommt noch das Recht des Konigs oder seiner Vertreter, Entscheidungen modifizieren, die Richter für unzustandig

auBerhalb jedes geregelten Verfahrens En t~che idun~en über erklaren, absetzen oder verbannen und durch eine konigliche

Internierung oder Verbannung zu fallen. Diese vielfaltigen Kommission ersetzen kann. Die Lahmung der Justiz ist weni-

Instanzen neutralisieren sich gerade durch ihre Uberfülle ge- , ger auf eine Schwache als auf eine falsche Verteilung der

genseitig und sind nicht imstande, den Gesellschaftskorper in Macht zurückzuführen: auf ihre Konzentrierung an mehreren Stellen und den daraus resultierenden Konflikten und Unstim-

17 Archives parlementaires, Bd. XII, S . 344. migkeiten. 18 Vgl. dazu S. Linguer, Nécessité d'une réforme dans l'admrnistratron de la justrce,

1764; A. Boucher d'Argis, Cahaer d'un magistrat, 1789. Diese Dysfunktionalitat der Macht verweist vor allem auf die

1 O0 IO1

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monarchische ~Obermacht., in der das Strafrecht und die ist ais eine Strategie zur Starkung der Strafgewalt aufzufassen personliche Gewalt des Souverans eins sind. Die theoretische und sol1 diese geregelter, wirksamer, bestandiger und praziser Identifikation, die den Konig zur fons iustitide:' macht, hat machen; sie sol1 ihre Wirksamkeit erhohen und ihre okonomi- praktische Konsequenzen, die sich ihrem Absolutismus entge- schen Kosten ebenso senken (durch ihre Ablosung vom Sy- genzusetzen scheinen. Weil sich der Konig aus fiskalischen stem des Eigentums, des Kaufens und Verkaufens, der Kauf- Gründen das Recht zuspricht, die ihm ngehorenden* Justiz- lichkeit von Amtern wie von Entscheidungen) wie ihre politi- amter zu verkaufen, sind seine Beamten unbelehrbare, unwis- schen Kosten (durch ihre Ablosung von der Willkür der sende, gewinnsüchtige, bestechliche .Inhaber« von Amtern. monarchischen Macht). Die neue juristische Theorie des Straf- Weil der Konig standig neue Amter schafft, vervielfaltigt er systems verdeckt tatsachlich eine neue »politische Ukonomiea die Macht- und Kompetenzkonflikte. Weil der Konig seine der Strafgewalt. Man versteht nun, warum diese »Reform- Leute mit zu groBen Ma~htbefu~nissen ausstattet, verscharft nicht von einem einzigen Punkt ihren Ausgang genommen er die Konflikte in den Gerichtsbehorden. Weil der Konig hat. Nicht die A~f~eklar tes ten unter den Opfern der Justiz, allzu viele Eilverfahren (Re~hts~rechung durch Profose oder nicht die Philosophen als Feinde des Despotismus und Polizeileutnante) und VerwaltungsmaBnahmen eingeführt hat, Freunde der Menschheit, nicht einmal die gesellschaftlichen ist die geregelte Justiz gelahmt, ist sie bald zu nachsichtig und Gruppen, die den souverinen Gerichtshofen feindlich gegen- unsicher, bald überstürzt und zu streng.I9 überstanden, - oder vielmehr: nicht sie allein - bildeten den Kritisiert werden weniger die Privilegien der Justiz, ihre Will- Ausgangspunkt der Reform. In dem globalen Projekt einer kür, ihre archaische Arroganz, ihre unkontrollierten Rechte Neuordnung der Strafgewalt und einer Neuverteilung ihrer als vielmehr das Gemisch von Schwachen und MaBlosigkeiten, Wirkungen überschneiden sich viele verschiedene Interessen. O b e r t r e i b ~ n ~ e n und Lücken, und vor allem ihr Prinzip: die Die Reform war nicht auBerhalb des Justizapparats und nicht monarchische Obermacht. Das eigentliche Ziel der Reform gegen alle seine Vertreter, sondern im wesentlichen von innen und ihrer allgemeinsten Fordermgen ist nicht so sehr die her von einer groBen Zahl von Beamten aufgrund von gemein- Begründung eines neuen Strafrechts auf gerechteren Prinzi- samen Zielen und von internen Machtkonflikten vorbereitet pien, sondern vieimehr die Etablierung einer neuen aOkono- worden. GewiB bildeten die Reformer nicht die Mehrheit mieu der Strafgewalt und die Gewahrleistung einer besseren unter den Beamten; aber zahlreiche Juristen haben die Grund- Verteilung dieser Gewalt dergestalt, daB sie weder an einigen linien der Reform gezeichnet: eine Richtgewalt, die nicht von bevorzugten Stellen zu stark konzentriert noch unter gegen- der unmittelbaren Souveranitatsgewalt des Fürsten erdrückt satzlichen Instanzen zu sehr aufgeteilt, sondern in homogenen wird, die vom Anspruch des Gesetzgebens befreit ist, die von Kreislaufen verteilt ist, die den Gesellschaft~kor~er überall Eigent~msbeziehun~en gelost ist, die ausschlieBlich der Auf- gleichmaBig durchdringen.'" Die Reform des Kriminalrechts gabe des Richtens geweiht ihre Macht vol1 ausschopfen kann.

Die richterliche Gewalt soll also nichts mehr mit den vielfalti- z, Quelle der Gerechtigkeit gen, disParaten und gelegentlich widersprüchlichen Privile- 19 Zu dieser Kritik der .Uberrnacht~ und ihrer falschen Verteilung im Justizapparat vgl. bes. C. Dupaty, Lettres sur la procédure n~minelle , 1788; P . L. de Lacretelle, des Regimes beitragenden Willenskrafte, rnuB die Gerichtsgewalt zum Schutz aller Dissertation sur le m~nirtèrepublic, in: Discours sur le préjugé despemes infamantes, Individuen und aller ihrer Rechte über eine solche Macht vedügen, da8 sie zur 1784; G. Target, L'Esprit der cahiers présentés aux Etats généraux, 1789. Verteidigung und Hilfe allrnachtig ist, aber ohnmachtig wird, sobald man versucht, 20 Vgl. N. Bergasse: >~Ausgeschlossen von jedweder Aktivitat gegen das politische ihre Bestimmung zu verandern und sie zur Unterdrückung zu benutzen.. (Rapport Regime des Staates wie auch von jedem EinfluB auf die zur Bildung oder Erhaltung à la Constituante sur le pouvoir judiciaire, 1789, S. I 1 f.).

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gien der Souveranitat zu tun haben, sondern die offentliche damals war diese Ge~etzwidri~keit so tief verankert und so Gewalt in gleichmaBiger Weise zur Wirkung bringen. Dieses notwendig für das Leben jeder gesellschaftlichen Schicht, daB allgemeine Prinzip definiert eine Gesamtstrategie, hinter der sie gewissermagen ihre eigene Kohirenz und Ukonomie hatte. sich zahlreiche verschiedene Kampfe verbergen: die Kampfe Zum einen als institutionalisierte Ausnahme - die Privilegien von Philosophen wie Voltaire und von Publizisten wie Brissot von Individuen und Gemeinschaften; zum andern als massive oder Marat; aber auch die Auseinandersetzungen von Juri- und allgemeine Ni~h tbe fo lgun~ von Verordnungen, die jahr- sten, die sehr verschiedene Interessen hatten: Le Trosne, Rat zehnte-, ja jahrhundertelang immer wieder veroffentlicht und am Landgericht Orléans, und Lacretelle, Generaladvokat am bestatigt werden konnten, ohne jemals zur Anwendung zu souveranen Gerichtshof; Target, der sich mit den Anhingern gelangen. Manchmal war es so, daB Verordnungen allmahlich der Gerichtshofe der Reform von Maupeou widersetzt; aber in Vergessenheit gerieten und plotzlich wieder erneuert wur- auch J. N. Moreau, der die konigliche Gewalt gegen die den. Manchmal handelte es sich um ein stillschweigendes souveranen Gerichtshofe unterstützt; Seman und Dupaty, die Einverstandnis auf seiten der Macht, eine Nachlassigkeit oder beide Justizbeamte sind, aber mit ihren Kollegen in Streit einfach um die tatsachliche Unmoglichkeit, das Gesetz durch- liegen usw. zusetzen und die Gesetzesbrecher zu verfolgen. Die am stark- Im Laufe des 18. Jahrhunderts bildet sich innerhalb und au- sten benachteiligten Schichten der Bevolkerung erfreuten sich Berhalb des Justizapparates, in der alltaglichen Strafpraxis wie im allgemeinen keiner Privilegien: aber an den Randern der in der Kritik der Institutionen, eine neue Strategie zur Aus- Gesetze und Gebrauche verfügten sie über einen Toleranz- übung der Strafgewalt aus. Und die eigentliche »Reform«, die raum, den sie sich durch Gewalt oder Hartnackigkeit erobert sich in den Rechtstheorien und in den Projekten nieder~chla~t, hatten; dieser Raum war für sie eine so unverzichtbare Exi- ist die politische oder philosophische Version jener Strategie, stenzbedingung, daB sie oft bereit waren, ihn notfalls in deren erste Ziele sind: daB aus der Bestrafung und Unterdrük- Aufstanden zu verteidigen. Die immer wieder gemachten kung der Ungesetzlichkeiten eine regelmaBige und die gesam- Versuche, ihn durch Erneuerung der alten Gesetze oder Ver- te Gesellschaft erfassende Funktion wird; daB nicht weniger, feinerung der Unterdrü~kun~sverfahren einzuschranken, sondern besser gestraft wird; daB vielleicht mit einer gemilder- führten regelmaBig zu Volksunruhen - ebenso wie die Versu- ten Strenge, aber jedenfalls mit groBerer Universalitat und che, gewisse Privilegien einzuschranken, den Adel, den Klerus Notwendigkeit gestraft wird; daB die Strafgewalt tiefer im und die Bourgeoisie aufbrachten. Gesellschaftskorper verankert wird. Diese notwendige Ge~etzwidri~keit , die in jeder gesellschaftli-

chen Schicht spezifische Formen annahm, war einer Reihe von Die Gesamtsituation, die Voraussetzung der Reform war, ist Paradoxen verhaftet. In ihren unteren Regionen war sie der also nicht eine neue Empfindsamkeit, sondern eine andere Kriminalitat so nahe, daB sie sich rechtlich und auch moralisch Politik gegenüber den Gesetzwidrigkeiten. nur schwer davon unterscheiden lieB: von den Steuer- und Im Ancien Régime hatte jede gesellschaftliche Schicht ihre Zollvergehen bis zur Schmugglerbande, Plünderung und bis Toleranzschwelle bezüglich der Gesetzwidrigkeit: die Nicht- zum bewaffneten Kampf gegen die Finanzbeamten und danh Anwendung der Regel, die Nicht-Beobachtung der zahllosen gegen die Soldaten selbst und schlieBlich bis zum Aufstand Edikte oder Verordnungen waren eine Bedingung für das gab es ein Kontinuum ohne scharfe Abgrenzungen. Die Land- politische und okonomische Funktionieren der Gesellschaft. streicherei (die nach den Buchstaben der fast nie zur Anwen- GewiB gilt solches nicht nur für das Ancien Régime. Aber dung gekommenen Gesetze strenge Strafen nach sich zog)

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brachte Raub, Diebstahl und manchmal Mord mit sich und ten Bevolkeruq gefeierten, in den Schlossern aufgenomme- rekrutierte sich aus Arbeitslosen, Arbeitem, die ihren Unter- nen und von den Gerichtshofen beschützten Mandrin be- nehmern entlaufen waren, Dienstboten, die vor ihren Herren weist, wurde der Schmuggel weithin unterstützt. Das ging so fliehen rnuBten, miBhandelten Lehr!ingen, Deserteuren und weit, daB im 17. Jahrhundert Steuerverweigerungen zu ge- allen jenen, die der Zwangsaushebung entrinnen wollten. meinsamen Aufstanden weit auseinander liegender Bevolke- Somit beruhte die Kriminalitat auf einer diffuseren Gesetz- r~n~ssch ich ten führten. Das Wechselspiel der Gesetzwidrig- widrigkeit, die für die unteren Volksschichten Existenzbedin- keiten gehorte einfach zurn ~olitischen und okonomischen gung war; und gleichzeitig trug diese Ge~etzwidri~keit standig Leben der Gesellschaft. Mehr noch: eine Reihe von Transfor- zur Vermehrung der Kriminalitat bei. Daraus resultiert eine rnationen (das A~Ber~ebrauchkomrnen der Reglements von Zweideutigkeit irn Verhalten dieser Volksschichten: einerseits Colbert, die N i~h tbeach tun~ der Zollschranken im Konig- profitierte der Kriminelle - etwa ein Schmuggler oder ein reich, der Zerfall der Korporationen) wurde von der laufen- durch O b e r f ~ r d e r u n ~ e n zugrundegerichteter Bauer - von ei- den Gesetzwidrigkeit des Volkes vorangetrieben. Die Bour- ner spontanen Wertschatzung, da man in seinen Gewalttaten geoisie aber brauchte diese Transformationen, da sie zum Teil die Wiederaufnahme alter Kampfe sah. Anderseits wurde das okonornische Wachstum darauf piindete. So wurde die derjenige, der als ein vom Volk akzeptierter Gesetzesbrecher Toleranz zur Ermutigung. auf Kosten desselben Verbrechen beging, z. B. als stehlender In der zweiten Halfte des 18. Jahrhunderts aber beginnt der und mordender Landstreicher, leicht zur Zielscheibe eines ProzeB sich umzukehren. Einmal mit der allgemeinen Ver- besonderen Hasses: hatte er doch die Gesetzwidrigkeit gegen mehrung des Reichtums, aber auch mit dem starken Anwach- die gewandt, zu deren Existenzbedingungen sie gehorte. So sen der Bevolkerung, zielt die Gesetzwidrigkeit des Volkes knüpften sich an die Verbrechen Ruhm und Schande; Unter- nicht mehr so sehr auf die Rechte als vielmehr auf die Güter stützung und Furcht begleiteten jenes wandernde Volk, dem ab: Plünderung und Diebstahl verdrangen allmahlich man sich so nahe fühlte und aus dem jederzeit das Verbrechen Schleichhandel und bewaffneten Kampf gegen Steuereintrei- hervorgehen konnte. Die Gesetzwidrigkeit des Volkes legte ber. Somit werden die Bauern, die Pachter, die Handwerker sich urn einen Kern von Krirninalitat, die zugleich deren haufig zu den Hauptopfern. Le Trosne hat sicher nur über- Extremform und innere Gefahr bildete. trieben, wenn er schrieb, die Bauern litten unter den Oberfor- Zwischen der Gesetzwidrigkeit der unteren Volksschichten derungen der Landstreicher mehr als seinerzeit unter den und derjenigen der anderen gesellschaftlichen Gruppen gab es Forderungen der Feudalherren: die heutigen Diebe stürzen weder eine vollige Konvergenz noch einen grundsatzlichen sich auf sie wie Schwirme schadlicher Insekten, indern sie die Gegensatz. Zwischen den Gesetzwidrigkeiten der verschiede- Ernten verschlingen und die Kornkamrnern vernichten." Im nen Gruppen bestanden Beziehungen der Rivalitat, der Kon- 18. Jahrhundert ist die volkstümliche Gesetzwidrigkeit in eine kurrenz, der Interessenkonflikte, der gegenseitigen Unterstüt- Krise geraten, und weder die Volksbewegungen am Beginn zung und der Kornplizenschaft: wenn sich die Bauern weiger- der Revolution (Verweigerung der Herrenrechte) noch die ten, bestirnmte staatliche oder kirchliche Abgaben zu leisten, spateren Unruhen, in denen sich der Karnpf gegen die Rechte so wurde das von den Grundeigentümern nicht unbedingt der Besitzenden, der politische und religiose Protest und die miBbilligt; wenn sich die Handwerker nicht an die Fabrikre- Verweigerung der Aushebung vereinigten, haben diese Ge- glements hielten, wurden sie von den neuen Unternehmern haufig dazu ermuntert; wie die Geschichte des von der gesam- I I Le Trosne, Mémoire sur kr vagabonds, 1764, S . 4 .

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setzwidrigkeit zu ihrer alten und einnehmenden Form zusam- eine systematische und bewaffnete Unduldsamkeit gegenüber mengeschmolzen. Hatte ein betrachtlicher Teil des Bürger- der Ge~etzwidri~keit . Am deutlichsten ist das Phanomen dort, tums die Gesetzwidrigkeit gegen die Rechte geduldet, so war wo die okonomische Entwicklung am intensivsten ist. Colqu- sie weniger duldsam, wenn es um die Rechte des Eigentums oun versuchte, diese N ~ t w e n d i ~ k e i t der Verfolgung der ging. Nichts charakterisiert dieses Problem besser als bauer- zahllosen gesetzwidrigen Praktiken allein für London in Zah- liche Delinquenz am Ende des I 8. Jahrhunderts und vor allem len zu fassen: nach den Schatzungen der Unternehmer und seit dem Beginn der Revolution." Der Clbergang zu einer der Versicherungen belief sich der Diebstahl an Produkten, intensiveren Landwirtschaft übt auf die N ~ t z u n ~ s r e c h t e und die aus Amerika importiert worden und an den Ufern der Duldungen irnmer mehr Druck und Zwang aus. Das Grundei- Themse gelagert waren, im Jahresschnitt auf z~o.ooo Pfund; gentum, das zum Teil von der Bourgeoisie erworben wurde insgesamt wurden allein im Hafen von London jahrlich Waren und von den Feudallasten befreit wurde, wurde zu einem im Wert von annahernd 5oo.000 Pfund entwendet (wobei die absoluten Eigentum: alle Freiheiten, die sich die Bauernschaft Arsenale nicht berücksichtigt sind); für die Stadt selbst kamen erworben oder erhalten hatte (Befreiung von alten Verpflich- noch einrnal 700.000 Pfund dazu. Bei dieser ununterbroche- tungen oder Festigung auBergesetzlicher Praktiken: Recht auf nen Plünderung sind nach Colquhoun drei Phanomene in unentgeltliche Weide, Holzsammeln usw.), werden nun von Betracht zu ziehen: die Komplizenschaft und haufige Mitwir- den neuen Eigentümern verfolgt und schlicht und einfach als kung der Angestellten, Aufseher, Offizianten und Arbeiter: Ge~etzesübertretun~ behandelt (was in der Bevolkeruq zu *Uberall wo eine goBe Vereinigung von Menschen ist, und einer Kettenreaktion von immer illegaleren oder kriminelleren hauptsachlich unter den niedern Volksklassen, findet stets ein Aktionen führt: Aufbrechen von Einfriedungen, Diebstahl gewisses Verhaltnis zwischen gesunkener Moralitat und oder Toten von Vieh, Brandstiftung, Gewalttatigkeit, Mord." schlechtem Lebenswandel statt.«14 Sodann ein organisierter Die Gesetzwidrigkeit gegen die Rechte, die haufig das Oberle- Schleichhandel, der in den Werkstatten und Warenlagern ben der Xrmsten sicherte, richtet sich mit dem neuen Status seinen Ausgang nimmt und über die Hehler - die ~GroBheh- des Eigentums immer mehr gegen die Güter. Darum muB sie ler., die auf bestimmte Warentypen spezialisiert sind, und die bestraft werden. »Kleinhehler*, die in den Auslagen nur ein ~armseliges Wa- Wird diese Gesetzwidrigkeit von der Bourgeoisie beim renlager von altem Eisen, Lumpen oder Trodelkleidern feilbie- Grundbesitz kaum geduldet, so ist sie beim Handels- und ten . . . wahrend sie in den hinteren Gemachern die teuersten Industrieeigentum vollig unertraglich: die Entwicklung der Artikel von Schiffgeraten, ku~fe rnen Bolzen und Nageln, Hafen, die Entstehung der groBen Stapelplatze, wo sich die Messing und anderes Meta11 von Wert, Westindische Produk- Waren haufen, die Organisation der groflen Werkstatten (mit te, Hausrat und Kle id~n~ss tücke , die sie von Handwerkern, einer betrachtlichen Masse von Rohstoffen, Werkzeqen, Dockenarbeitern, Abladern, temporaren Accise- und Zollassi- Werkstücken, die dern Unternehmer gehoren und schwer zu stenten, Hausbedienten, Lehrburschen, Tagelohnern, Tra- überwachen sind) verlangen auch eine strenge Verfolgung der gern, Schottfegern, wandernden Juden und anderen der Art Gesetzwidrigkeit. Die Investitionen des Reichtums in Waren kaufen, fassend - bis zu den StraBenverkaufern geht, die das und Maschinen und in ganz neuen GroBenordnungen fordern Diebsgut auf dem Land vertreiben." Und schlieBlich die 21 Y . M . Bercé, Croquants et nu-pieds, 1974, S . 161. 14 P. Colquoun, Polizer von London. Aus dem Englischen überserzt und mit 13 Vgl. O. Festy, Les Délits ruraux e t leur répression rous la Révolution et le erliuternden Anmerkungen versehen von Volkmann. Leipzig 1800. Bd. II, S. 14. Consulat, 1956; M . Agulhon, La vie sonale en Provence, 1970. 1 5 P . Colquoun, op. cit., 1, S. 14.

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Herstellung von Falschgeld: in ganz England sol1 es 40 bis 50 ihre eigenen Regeln und Gesetze zu urngehen oder durch die Fals~h~eldfabriken gegeben haben, die standig arbeiteten. Gesetzgebung stillschweigend oder ausdrücklich den okono- Dieses ungeheure Unternehrnen von Plünderung, Veruntreu- Kreislauf sicherzustellen und zu erweitern. Diese ung und Konkurrenz wird durch eine Reihe von Duldungen g o B e Neuverteilung der Gesetzwidrigkeiten findet sogar in erleichtert, die zum Teil als erworbene Rechte gelten (etwa das einer Spezialisierung der Gerichtsbarkeiten ihren Nieder- Recht, um die Schiffe herum Eisenstücke und Tauenden zu schlag: für die Gesetzwidrigkeiten gegen Güter - fur den sammeln oder den Zuckerkehricht wiederzuverkaufen), zum Diebstahl - gibt es die ordentlichen Gerichte, die Strafen Teil moralisch gutgeheiBen werden: die khnlichkeit dieser verhingen; für die Gesetzwidrigkeiten gegen Rechte - für Plünderung mit dem Schleichhandel nmacht allmahlich die Betrug, Steuerhinterziehung, unregelmagige Geschaftstatig- Menschen mit Betrug und unerhorten Verfahren, vor welchen keiten - gibt es besondere Rechtsprechungen mit Vergleichen, sie am Anfang sich entsetzten, vertraut.NZ6 Abfindungen, Geldstrafen. Die Bourgeoisie hat sich das Alle diese unerlaubten Praktiken müssen darum kontrolliert fruchtbare Gebiet der Gesetzwidrigkeiten gegen Rechte var- und neu kodifiziert werden. Es ist notwendig, daB die Geset- behalten. Und gleichzeitig mit dieser Spaltung wird es not- zesübertretungen definiert und ausnahmslos bestraft werden, wendig, var allem die Gesetzwidrigkeit gegen Güter bestandig daB in dieser Masse von einerseits tolerierten und anderseits zu überwachen. Es wird notwendig, sich von einer alten übermaBig scharf sanktionierten UnregelmaBigkeiten genau C)konomie der Strafgewalt zu losen, deren Prinzipien waren: bestimmt wird, was eine untragbare Geset~esübertretun~ ist eine verworrene und Iückenhafte Vielfalt von Instanzen; eine und folglich mit einer unentrinnbaren Strafe bedacht wird. Machnrerteilung und -konzentration, die zu Wirkungslosig- Mit den neuen Formen der Kapitalakkumulation, der Produk- keit und faktischer Duldung führen; Strafen, die Aufsehen tionsverhaltnisse und des rechtlichen Status des Eigentums erregen, aber nicht ohne Risiko sind. Es wird notwendig, eine sind alle volkstürnlichen Praktiken, die unauffillig gedul- andere Be~trafun~sstrategie und neue Techniken zu entwik- det oder gewaltsam die Gesetzwidrigkeit gegenüber Rechten keln, um die Okonomie der Verausgabung und des Exzesses verkorperten, in die Gesetzwidrigkeit gegen Güter umge- durch eine Okonomie der Kontinuitat und der Dauer zu schlagen. Im Ubergang von einer Gesellschaft rechtlich-politi- ersetzen. Die Strafreform hat also dort ihren Ausgang genom- scher Unterdrückung zu einer Gesellschaft der Aneignung men, wo sich der Kampf gegen die Ubermacht des Souverans von Arbeitsmitteln und -produkten wird der Diebstahl zur mit dem Kampf gegen die .Untermachta der erkampften und ersten Chance, der Gesetzlichkeit zu entgehen: die Okonomie !gkduldeten Gesetzwidrigkeiten trifft. Und die Reform war der Gesetzwidrigkeiten hat sich der Entwicklung der kapitali- nicht das flüchtige Ergebnis eines rein zufalligen Zusammen- stischen Gesellschaft angepaBt, die Ge~etzwidri~keit gegen treffens, denn zwischen jener Ubermacht und jener »Unter- Güter hat sich von der gegen Rechte getrennt. Diese Teilung machte war ein Netz von Beziehungen geknüpft. Eben die deckt sich mit dem Gegensatz der Klassen, weil die dem monarchische Souveranitat, die dein Souveran eine in die gewohnlichen Volk am leichtesten zugangliche Gesetzwidrig- Augen springende, schrankenlose, personliche, regelIose und keit diejenige gegen die Güter ist - die gewaltsame Ubertra- unstetige Macht auflud, lieB auf seiten der Untertanen den gung von Besitztümern. Anderseits behalt sich die Bourgeoi- Raum für eine stetige Ge~etzwidri~keit offen: diese war sie die Gesetzwidrigkeit gegen Rechte vor: die Moglichkeit, gleichsam jenem Machttyp zugeordnet. Wer darum gewisse

Vorrechte des Souverans anfocht, stellte damit auch das Funk- 26 P. Coiquoun, op. cic., 1, S. 8 3 . tionieren der Gesetzwidrigkeiten in Frage. Die beiden Ziele

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standen in engem Zu~ammenhan~, und die Reformer gaben je der Strafrcchtsreform so bedeutsam war: in der Marrer waren nach den Umstanden oder den besonderen Taktiken dem die schrankenlose Macht des Souverans und die standig dro- einen oder dern anderen den Vorrang. Der Physiokrat Le hende Gesetzwidrigkeit des Volkes sichtbar vereinigt. Beidem Trosne, der Rat am Landgericht Orléans war, mag hier als sollen nun durch die Menschlichkeit der Strafen Schranken Beispiel dienen. Irn Jahre 1764 veroffentlicht er &ne Denk- gesetzt werden: der .Mensch., der in der Strafe geachtet schrift über die Landstreicherei: jene Pflanzschule von Dieben werden sol], ist die rechtliche und moralische Form dieser und Mordern, »die mitten in der Gesellschaft leben, ohne zweifachen Einschrankung. deren Mitglieder zu sein«, die »einen wirklichen Krieg gegen Hat die Reforrn - als Theorie des Strafrechts und als alle Bürger führen und mitten unter uns in jenem Zustand Strategie der Strafgewalt - am Vereinigungspunkt jener beiden Sind, der vielleicht vor der Errichtung unserer bürgerlichen Ziele abgezeichnet, ço verdankt sie ihre Stabilitat doch dem Gesellschafr bestand*. Gegen sie fordert er strengere Sn& Umstand, dan das zweite Ziel lange Zeit vorrangig blieb. Weil (charakteristischerweise wundert er sich daruber, dafi man der Karnpf gegen die Gesetzwidrigkeiten des Volkes wahrend ihnen gegenüber na~hsicht i~er ist als gegenüber den Schleich- der Revolution, irn Kaiserreich und im ganzen 19. ~ahrhun- handlern); er will, dafi die Polizei verstarkt wird, daB die dert ein wesentlicher Imperativ war, wurde aus dem Projekt Gendarmerie sie mit Hilfe der unter ihren Diebstahlen leiden- der Reform eine Institution und eine Gesamt~raxis. Zwar den Bevolkerung verfolgt; er verlangt, dan diese unnützen und zeichnet sich die neue Strafgesetzgebung durch eine Milde- gefahrlichen Leute .dem Staat übereignet werden und ihm rung der Scrafen, eine sorgfaltigere Kodifizierung, eine be- gehoren wie Sklaven ihren H e r r e n ~ ; und daB man notfalls in trachtliche Verringerung der Willkür und einen starkeren den Waldern gemeinschaftlich auf sie Jagd macht, um ihrer Konsens hinsichtlich der Strafgewalt aus (zuungunsten der habhaft zu werden, und daR jeder, der einen Fang macht, G e ~ a l t e n t e i l u n ~ bei der Ausübung der Strafgewalt), aber sie dafür entlohnt wird: rFür den Kopf eines Wolfes zahlt man IO beruht auf einer Umwalzung der traditionellen Okonornie der Pfund. Ein Landstreicher aber ist unendlich vie1 gefiihrlicher Gesetzwidrigkeitcn und einem strengen Zwang zu ihrer neu- für die Gesellschaft.~'7 Irn Jahre 1777 fordert derselbe Le artigen Bewiltigung. Das Strafsystem ist ein Apparat zur Trosne, daB die Vorrechte der Strafverfolgung eingeschrankt differenzierten Behandlung der Gesetzwidrigkeiten, nicht zu werden, daB die Angeklagten bis zu ihrer moglichen Verurtei- ihrer globalen Unterdrückung. lung als unschuldig betrachtet werden, daB der Richter ein

gerechter Schlichter zwischen ihnen und der Gesellschaft sei, Es gilt, das Ziel zu verschieben und den MaBstab zu veran- daB die Gesetze ~ f e s t , bestandig, genauestens bestimrnt* sind, dern; neue Taktiken zu definieren, um einen Gegner zu damit die Untertanen wissen, .womit sie zu rechnen haben*, treffen, der jetzt raffinierter, aber auch verbreiteter im gesell- und die Richter nichts weiter sind als das nOrgan des Geset- schaftlichen K6rper ist. Es gilt, neue Techniken zu finden, un z e ~ ( < . ' ~ Bei Le Trosne (wie bei vielen anderen jener Zeit) die Strafen und ihre Wirkungen dem neuen Ziel anzupassen. schlieBt der Kampf um die Eingrenzung der Strafgewalt un- gilt, neue Prinzipien zur Regulierung, Verfeinerung und mittelbar an die Forderung an, die Gesetzwidrigkeit des Vol- Verallgemeinerung der Strafkunst festzusetzen. Es gilt, die kes einer strengeren und stetigeren Kontrolle zu unterwerfen. Ausübung dieser Kunst zu vereinheitlichen; ihre okonorni- Nun wird verstandlich, warum die Kritik an den Martern in &en und politischen Kosten herabzusetzen, gleichzeitig ihre 27 G. Le Trosne, Mémoire sur les vagabonds, 176+, S . 8, SO, 61 f , Wirksamkeit zu erhohen und ihre Wirkungsbereiche zu ver- 28 G. Le Trosne, Vues sur h i u r t i c e n ~ m r n e P e , 1777, s. 3 i , 37, r 0 3 - ~ ~ 6 . vielfachen. Es geht also uin eine neue Okonomie und um eine

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Technologie der Strafgewalt: dies Sind zweifellos die und wenn man den Schuldigen den Tod erleiden laflt, so stirbt wesentlichen Gründe für die Strafrechtsreform des 1 8 . Jahr- er sowohl ais Bürger, sondern als Feind.«19 Das Recht hunderts. der strafe bat sich von der Rache des Souverans auf die Auf der Ebene der Prinzipien IaBt sich diese neue strategie Verteidigung der Gesellschaft verschoben. Aber es ist nun mit leicht innerhalb der allgemeinen Vertragstheorie formulieren, so Elementen versehen, daB es beinahe noch fürchter- Der Bürger hat darin ein für allemal mit den Gesetzen der licher wird. Man hat den Ubeltater einer Bedrohung entzogen, Gesellschaft auch das Gesetz angenommen, das ibn zu strafen die von Natur sus gewaltig war; doch nun setzt man ibn einer droht. Der Kriminelle erscheint somit rechtlich gesehen als ein Strafe sus, bei der überhaupt keine Begrenzung abzusehen ist. paradoxes Wesen. Er hat den Vertrag gebrochen, ist also der Eine schreckliche Ubermacht kehrt wieder. Und es wird Feind der gesamten Gesellschaft, beteiligt sich aber an der notwendig, der Strafgewalt ein Prinzip der MaBigung entge- Bestrafung, die an ihm vollzogen wird. Das geringste Ver- genzusetzen. S h e n greift die ganze Gesellschaft an; und die ganze Gesell- »Wer sollte nicht bei solchen Mordgeschichten vor Schrecken schaft - einschlieBlich des Kriminellen - ist in der geringsten schaudern, wenn er findet, daB Manner, die sich den N m ~ e n Bestrafung anwesend. Die Bestrafung ist also eine verallgemei- der Weisen Sanftmütigen beigelegt, die Erfinder und nerte Funktion, die mit dem Gesellschaftskijrper und mit Vollzieher der schrecklichsten Martern gewesen?." Oder: jedem seiner Elemente koextensiv ist. Es stellt also das ,,Die Gesetze rufen mich zur Bestrafung des grofiten aller Problem des .Mages« und der Okonomie der Strafgewalt. Verbrechen. ~~h folge dem Gesetz mit al1 den Schaudern, die Die Gesetzesübertretung setzt in der Tat ein Individuum dem mir das Verbrechen einfloBt. Aber nein, sie gehen noch gesamten Gesellschaftskorper entgegen. Die Gesellschaft bat darüber hinaus . . . Gott, der du in unsere Herzen die Abnei- das Recht, sich in ihrer Gesamtheit zur Bestrafung des Indivi- gung gegen Schmerz für uns selbst und unseresgleichen ge- duums zu rüsten. Ein ungleicher Kampf: auf einer einzigen senkt hast, Sind das jene Wesen, die du so schwach und Seite alle Krafte, aile Macht, alle Rechte. Und es mufi so sein, empfindlich geschaffen hast, die so barbarische und raffinierte denn es geht um die Verteidigung eines jeden. Ein unheimli- Martern erfunden haben?«]' Selbst wenn es gilt, den Feind des ches Recht auf Bestrafung konstituiert sich auf diese Weise, da Gesellschaftskorpers zu bestrafen, artikuliert sich das Prinzip der Rechtsbrecher zum gemeinsamen Feind wird. schl. immer der Strafmilderung zunichst als ein Diskurs des Herzens. ais ein Fein4 versetzt er der Gesellschaft seine Schlage sus Oder vielmehr: ais ein Aufschrei des Korpers, der sich deren Innerem heraus: ein Verrater, ein nMonstere. Wie sollte die Gesellschaft über ihn kein absolutes Recht haben? w i e 29 J , J , R ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ , D~~ ~esellschaftsvertrag - Contrat social. Hg. "on H. Weinstock

sollte Sie nicht schlicht und einfach seine Ausloschung verlan- und übers. von H. Denhardt. Stuttgart 1966, Buch 11, Kap. I . Es zu bernerken,

gen? Und wenn das Prinzip der Strafen im Vertrag gebilligt dafi diese ideen Rousseaus in der ~erfassunggebenden Versammlung "on einigen *bgeordneten benutzt worden Sind, die ein sehr strenges Strafsystem aufrechrerhal-

sein muB, muB dann nicht auch jeder Bürger die aufierste wollten, ~i~ Prinzipien des Contrat social konnten sogar dazu dienen, die alte Strafe fur diejenigen unter ihnen bejahen, die sie in ihrer ~ l ~ i ~ h . ~ ~ a ~ l i ~ h k ~ i ~ zwischen ~ e r b r e c h e n und Strafe zu stützen: >,Der den Bürgern Gesamtheit angreifen? nuberdies wird jeder Ubeltgter da- geschuldete çchutz danach, die Strafen an der Grafilichkeit der Verbrechen

durch, daB er das Gesellschaftsrecht verletzt, infolge Seiner zu messen und im Namen der Menschlichkeit die Menschlichkeit zu opfern..

Verbrechen zum Aufrührer und Verrater an çeinem Vater- ( ~ ~ ~ ~ i ~ ~ de Roquefort, der auch den oben angefühnen Abschnitt des Contrat social z;tiert: ~i~~~~~~ à la Constituante, Archives parlementaires, Bd. XXVI, S. 637).

lande; . . . In diesem Falle ist die Erhaltung des Staats mit der 30 Beccaria, op. cit., 5. 130. seinigen unvereinbar; einer von beiden mUB Zugrunde grehen, 3I P. L. de Lacretelle, Discours sur lepréjugé despeines infamantes, 17847 S. 119.

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den Anblick oder die Vorstellung allzu groBer Grausamkeiten ,,Naturwidrigen. menschlich behandeln (wahrend einst die

emport. Der Grundsatz, daB das Strafsystem ,,menschlich« Justiz den »Gesetzwidrigen~ unmenschlich behandelte), so

bleiben mu&, wird von den Reformern in der ersten Person liegt der Grund dafür nicht in einer tief verborgenen Mensch-

formuliert: ais kame die Empfindsamkeit des Sprechenden lichkeit des Ubeltaters, sondern in der notwendigen Regulie-

unmittelbar zum Ausdruck; als würde zwischen der Erbitte- rung der Gewaltwirkungen, Diese ,,okonomische~ Rationali-

rung des Scharfrichters und dem Gemarterten der Korper des tat rnufl die Strafe bemessen und die angemessenen Techniken

Philosophen oder Theoretikers sein eigenes Gesetz behaupten vorschreiben. »Menschlichkeit~ ist der ehrerbietige Name für

und es schliefllich der gesamcen Ukonomie der Strafen aufer- diese ukonomie mit ihren sorgfaltigen Kalkülen. »Das Min-

legen. Offenbaren diese Gefühle die Unmoglichkeit, ein ratio- destmafl der Strafe wird von der Menschlichkeit befohlen und

nales Fundament des Strafkalküls zu finden? Wo lafit sich von der Politik empfohlen.~"

zwischen dem Vertragsprinzip, das den Verbrecher sus der Zum Verstandnis dieser Technopolitik der ~es t rafung diene

Gesellschaft verstoflt, und dem von der Natur verschlungenen als Grenzfall das letzte der Verbrechen, eine entsetzliche

Monster eine Grenze ausfindig machen - wenn nicht in der Untat, welche die heiligsten Gesetze allesamt verletzt. Es

menschlichen Natur, die sich weder in der Strenge des Geset- vollzieht sich unter so auflerordentlichen ~ m s t a n d e n , in ei-

zes noch in der Blutgier des Missetaters zeigt, sondern in der nem so tiefen Geheimnis, mit einer solchen ~nermefilichkeit,

Empfindsamkeit des verstandigen Menschen, der das Gesetz gleichsam an der auflersten Grenze aller Moglichkeit, dafl es

macht und kein Verbrechen ,begeht? nur das einzige und jedenfalls letzte seiner Art sein kann:

Aber diese Berufung auf die .Empfindsamkeitu ist eigentlich niemand wird es nachahmen konnen, niemand kann sich ein

nicht Ausdruck einer theoretischen Unm~~l i chke i t , sondern Beispiel daran nehmen oder auch nur Anstofl an ihm nehmen.

enthalt ein Kalkülprinzip. Bei der Achtung vor dem KGrper, Es kann nur verschwinden, ohne eine Spur zu hinterlassen.

der Einbildungskraft, dem Leiden, dem Herzen gehc es weni- Diese Fabel vom ~Zuflersten Verbrechen.j4 ist im neuen Straf-

ger um den zu bestrafenden Ubeltater als um die Menschen, system etwa das, was einst die Geschichte von der Erbsünde

die aufgrund des Vertrags das Recht haben, sich zur Gewalc- war: der letzte Grund und die reine Form der ~ t rafen .

anwendung gegen jenen zusammenzuschlieflen. Was durch Wie sol1 ein derartiges Verbrechen bestraft werden? Wonach

die Milderung der Strafen ausgeschlossen werden sol], Sind die 33 A. D ~ ~ ~ ~ , Discours à la constituante (22. Dez. 1789), Archiverparlementairer, Schmerzen der Richter oder der Zuschauer mitsamt ihren ~ d , X, S. 744. ~i~~ kijnnre man auch die verschiedenen Preisausschreiben Gelehrrer

Folgen wie Herzens~erhar tun~, Gewohnung an Unmensch- ~ ~ ~ ~ u ~ ~ h ~ f ~ ~ ~ und Akademien V O ~ Ende des 18. Jahrhunderts zitieren: nWie kann

lichkeic oder unbegründetem Mitleid: >,Gna.de für jene zarten die Menschlichkeit der Unrersuchung und der Srrafen mir der GewiBheir einer soforrigen exemplarischen Besrrafung vereinbart werden, so dafi die bürgerliche

und empfindlichen Seelen, auf welche jene schrecklichen Mar- Gese]lschafr die grofitmogliche Sicherheir iür Freiheit und Menschlichkeit finde?. tern wie Foltern wirken!«jl Die R ü c k w i r k ~ n ~ e n der Strafe auf perner C)konomische Gesellschair, 1777; an diesem Preisausschreiben beteiligte

die Trager der Strafgewah gilt es zu kalkulieren und zu sich M~~~~ mir seinem Plan de Législation niminelle). >>Mit welchen Mitteln kann

verringern. die srrenge der Srrafgesetze in Frankreich gemilderr werden, ohne daR die offen[-

Darauf beruht der Grundsatz, dafl man immer nur vmensch- ]iche Sicherheir Schaden leide?" (Académie de Châlons-sur-Marne, 1780; preisge- kronr ~ ~ i ~ s o t und Bernardi) "Vermag aufierste Srrenge der Geserze die Zahl

l i che~ Strafen verhangen darf, mag der Verbrecher auch ein und die Enrsetzlichkeir der Verbrechen bei einer verdorbenen Gesellschaft zu Verrater oder ein Monster sein. MuB das Gesetz jetzt den verringern?q (Académie de Marseille, 1786; den Preis erhielt Eymar).

34 G. Target, Obsewationr srrr le projet du codepénal , in: Locré, La ~égislat ion de

32 P. L. de Lacretelle. op. cit., S. 131. la flance, ~ d . XXIX, S. f . In einer Umkehrung findet sich diese Fabel bei Kant.

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sol1 sich die Strafe bemessen und welchen Nutzen sie in Die Bestrafung wird also eine Kunst der gezielten Wirkungen der Ukonomie der Strafgewalt erbringen? Sie müBte das »der sein müssen: anstatt der Entsetzlichkeit des Vergehens die Gesellschaft zugefügte Ubel.3' wiedergutmachen. Sieht man Entsetzlichkeit der Strafe entgegenzusetzen, gilt es, die Wir- nun m m eigentlich materieilen Schaden ab - der selbst dann, kungen der Bestrafung den Wirkungen des Verbrechens anzu- wenn er wie bei einem Mord nicht mehr wiedergutzumachen passen. Eine Untat ohne Nachfolger verlangt nicht nach ist, für eine ganze Gesellschaft wenig bedeutet, so ist das Strafe. Ebensowenig wie - nach einer anderen Version jener Unrecht, das dem Ge~ellschaftçkor~er durch das Verbrechen Fabel - eine Gesellschaft vor ihrer Auflosung oder ihrem zugefügt worden ist, die Unordnung, die dadurch entsteht: VerschWinden das Recht hatte, Blutgerüste aufzurichten. Das der erregte AnstoB, das Beispiel, der Anreiz zur Wiederho- letzte der Verbrechen kann nur ungestraft bleiben. lung bei Straflosigkeit, die Moglichkeit zur Verallgemeine- Die Vorstellung ist alt, und es bedurfte nicht der Reform des rung. Um nützlich zu sein, muB die Bestrafung auf die Folgen 18. Jahrhunderts, damit diese Abs~hreckun~swirkung der des Verbrechens zielen, d. h. auf die Gesamtheit der rnogli- Strafe zur Geltung kam. DaB die Bestrafung auf die Zukunft cherweise nachfolgenden Storungen. .Das Verhaltnis Zwi- abzielt und mindestens eine ihrer Hauptfunktio'nen die Var- schen der Strafe und der Beschaffenheit des Vergehens be- beugung ist, g h o r t e seit Jahrhunderten zu den gangigsten stimmt sich nach dem EinfluB der Vertragsverletz~n~ auf die Rechtfertigungen des Strafrechts. Der Unterschied aber ist, gesellschaftliche Ordnung.<<j6 daB die Vorbeugung, die man sich als Wirkung von der Dieser EinfluB eines Verbrechens steht aber nicht unbedingt MaBlosigkeit einer aufsehenerregenden Strafe erwartete, nun in direktem Verhaltnis zu seiner GriBlichkeit. Eine Untat, die zum Prinzip ihrer Ukonomie und zum MaB ihrer richtigen das Gewissen emport, ist oft von geringerer Wirkung als ein Proportionen zu werden beginnt. Man ~ u B gerade so vie1 Vergehen, das jedermann toleriert und seinerseits nachzuah- bestrafen, um zu verhindern. Es kommt zu einer Verschie- men bereit ist. Die groBen Verbrechen sind selten; gefahrlich bung in der Mechanik des Exempels: in einem Strafsystem der sind die kleinen Misçetaten, die uns vertraut sind und deren Marter war das Exempei die Erwiderung auf das Verbrechen; Zahl ansteigt. Darum hat es keinen Sinn, zwischen dem Ver- als verdoppelnde Manifestation hatte es das Verbrechen kund- brechen und seiner Bestrafung eine qualitative Beziehung, eine Zumachen wie die souverane Macht, die es überwaltigte. Aquivalenz des Schreckens, herzuçtellen: >>Ka.nn das Geheule In einem seine eigenen Effekte kalkulierenden Strafsystem und BruIlen eines Gequalten seine schon vollbrachten Taten das Exempel mit der groBtmoglichen Diskretion auf das aus der nie zurückkehrenden Zeit vertilgen und herausrei- Verbrechen verweisen, muB es den Eingriff der Macht so

Die Strafe ist nicht nach dem Verbrechen, sondern . sparsam gestalten wie nur moglich und im Idealfa11 jedes nach seiner moglichen Wiederholung zu bemessen. Nicht auf weitere Auftreten von Verbrechen und Strafe verhindern. Das den vergangenen Rechtsbruch, sondern auf die künftige Un- strafexempel ist nicht mehr ein ~anifestationsritual, sondern ordnung sol1 sie gezielt sein: der Ubeltater soli weder den ein verhinderungszeichen. Mit dieser Technik der Strafzei- Wunsch haben konnen, seine Tat noch einmal zu begehen, chen, welche die gesamte Zeitstruktur der Bestrafung um- noch die Moglichkeit, von anderen nachgeahmt zu werden.j8

verhangren Strafen nicht den barbarischen Genufl am Leiden eines menschlichen 31 C. E. de Pasroret, Des loz~pénales, 1790, ~ d , II, S. 21. wesens; sie sieh1 darin eine norwendige VorsichrsmalSnahme zur Vermeidung 36 G. Filangieri, La Science de la légirlation, 1786, ~ d . IV, S. rrq. ahnbcher Verbrechen, um von einer Gesellschaft die Ubel fernzuhalren, die ihr bei 37 Beccaria, op. cit., S. 18. einem ~ ~ ~ ~ h l ~ ~ dr0hen.n (Archiues parlementaires, Bd. XXVII, 6. luni 1791, S. 38 A. Barnave, Discours à la Constituante: >>Die Gesellschaft sieht in den von ihr 9 ) .

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kehrt, wollen die Reformer der Strafgewalt ein okonomisches, hervorholen. Der Korper verschwindet als Subjekt der Strafe,

wirksames und auf den gesamten Ge~ellschaftskor~er auçzu- aber nicht unbedingt als Element in einem Schauspiel. Die

weitendes Instrument an die Hand geben, mit dem Ablehnung der Marter, die an der Schwelle zur Theorie nur Verhaltensweisen kodifizieren lassen und folglich der lyrisch artikuliert wurde, beginnt hier, rational formuliert zu

gesamte diffuse Bereich der Ge~etzwidri~keiten reduzieren werden: nicht die korperliche Wirksamkeit der Strafe mufi auf

IaBt. Die Zeichentechnik, mit der man die Strafgewalt auszu- ein HcchstmaB gesteigert werden, sondern die Vorstellung

statten versucht, beruht auf fünf oder sechs Hauptregeln. davon. Regel der minimalen Quantitat. Ein Verbrechen wird began- Regel der Nebenwirkungen. Die Strafe muB sich am starksten

gen, Weil es Vorteile verschafft. Würde man mit der Idee des bei jenen auswirken, welche die Unrat nicht begangen haben.

Verbrechens die Idee eines etwas groi3eren Nachteils verknijp- Kijnnte man sicher sein, daB der Schuldige nicht rückfallig

fen, so würde es aufhoren, begehrenswert zu sein. DES ist wird, würde es sogar genügen, die anderen nur glauben zu

schon genug, um eine Strafe in ihrer Wirksamkeit zu erhalten, machen, dafi er bestraft wurde. Diese zentrifugale Verstar-

daB das aus der Straie entstandene Ubel den Vortei] übertref- kung der wirkung führt zu dem Paradox, daB im ~ a l k ü l der

fe, welchen das Verbrechen mit sich bringt.«j9 Die STrafe Strafen der Schuldige am wenigsten interessiert (sofern nicht

bleibt auf das Verbrechen bezogen; aber nicht rnehr in der mit Rückfall zu rechnen ist). Beccaria hat dieses Para- '

alten Form, wo die Marter der Untat gleichkommen muate - dox i]lustriert, indem er als Ersatz der Todesstrafe die Sklave-

mit einer Spur der Ubermacht der legitimen Rache des sou- rei auf Lebenszeit vorschlug. 1st diese Strafe physisch grausa-

verans. Jetzt geht es um eine Aquivalenz auf der Ebene der mer der Tod? Keineswegs, sagte er, denn der Schmerz der

Interessen, wobei die Vermeidung der Strafe etwas interessan- Sklaverei ist für den Verurteilten auf alle Augenblicke verteilt,

ter sein mufi als das Risiko des Vergehens. die er noch zu leben hat. Die Strafe ist endlos teilbar - eine

Regel der ausreichenden Idealitat. Liegt das Motiv eines Ver- eleatische Srrafe, die vie1 weniger streng ist als die Todesstrafe,

brechens in der Vorstellung eines Vorteils, so beruht die welche Qua1 auf einen Augenblick konzentriert. Für

Wirksamkeit der Strafe auf der Erwartung eines NachteilS. diejenigen hingegen, die diese Sklaven sehen oder sich vorstel-

Das Qualende in der Bestrafung ist nicht die Empfindung des len, Ziehen sich die erduldeten Leiden zu einer einzigen Idee

Schmerzes, sondern die Idee eines Schmerzes, einer unan- zusammen: alle Augenblicke der Sklaverei verdichten sich zu

nehmlichkeit - Qua1 der Vorstellung der Qual. Die Bestrafung einer Vorstellung, die schrecklicher ist als die Idee des Todes.

ha[ es also nicht mit dem Korper zu tun, sondern mit der Diese Strafe ist okonomisch betrachtet ideal: sie ist minimal

Vorstellung. Oder vielmehr: der Korper ist weniger Leidens- für den, der sic erleidet (und der als Sklave auch nicht mehr

subiekt denn Vorstellungsobjekt. Die Erinnerung an einen rückfallig werden kann), und sie ist maximal für den, der sie

Schmerz kann den Rückfall verhindern, ebenso wie das Schau- vorstellt. »Da nun also die Strafe kein Sühnopfer ist, so

spiel, und sei es künstlich, einer korperlichen Strafe die an- mufi diejenige Art der Züchtigung erwahlt und vorgezogen

sreckende Wirkung eines Vergehens vereiteln kann. Aber werden, welche mit Beobachtung eines richtigen Verhaltnisses

nicht der Schmerz selber ist das Instrument der Bestrafungs- gegen die Grofie des Greuels die kraftigsten und dauerhaftig-

technik. Erst wenn es um die Erzeugung einer wirksamen sten Eindrücke auf die Gemüter macht, aber für die Empfind-

Vorstellung geht, sollte man das Arsenal der Blutgerüste samkeit des Unglücklichen am wenigsten folternd und schmerzhaft ist.a4'

39 Beccaria, op. cir., S. 127. 40 Beccaria, op. cit., S. 19.

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Regel der vollkommenen Gewqheit. Mit der Idee eines jeden strafe herstellen, wenn es einen Unsicherheitskoeffizienten Verbrechens und der davon erwarteten Vorteile mufi die Idee gibt? Müflte man nicht die Strafe um so furchtbarer aufgrund einer bestimmten Züchtigung und der daraus folgenden Un- ihrer Gewaltsamkeit machen, je weniger sie âufgrund ihrer annehmlichkeiten verknüpft sein; die Verbindung Zwischen Gewiflheit ~ I J fürchten ist? Anstatt solchermaflen alte beiden mufl ais notwendig und unlosbar betrachtet werden. System nachzuahmen und mrenger zu sein, sol1 man wachsa- Dieses allgemeine Element der GewiBheit, das dem Strafsy- mer seina.44 Daher die Idee, daB an den Justizapparat ein stem seine Wirksamkeit verleihen muB, enthalt eine Reihe uberwachungsorgan anzuschlieflen ist, mit dem Verbrechen bestimmter MaBnahmen. Die Gesetze, welche die Verbrechen verhindert oder Verbrecher festgenommen werden k&nen. definieren, und die Strafen festsetzen, müssen vollig klar sein, Polizei und Jus& sollen gemeinsam marschieren und einander d a m i t jedes Glied der Gesellschaft die verbrecherischen erganzen: die Polizei sol1 .das Handeln der Gesellschaft ge- Handlungen von den tugendhaften Handlungen unterschei- genüber jedem Individuum si ch ers tell en^, die Justiz sol1 »die den kann~.4' Diese Gesetze müssen veroffentlicht sein, jeder- Rechte der Individuen gegen die G e ~ e l l s c h a f t ~ ~ ' garantieren. r-nann mufl zu ihnen Zugang haben konnen. An die Stelle der so wird jedes Vergehen ans Tageslicht kommen und mit mündlichen Ober l i e f e r~n~en und Gewohnheitsrechte mufi vollkommener GewiBheit bestraft werden. Zudem ist notwen- eine schriftliche Gesetzgebung treten, die »das stabile Manu- dig, dafl die Verfahren nicht geheim bleiben, daB die Grunde ment des Gesellschaftsvertrages« iç t - gedruckte Texte, die für eine Verurteilung oder einen Freispruch allen bekannt jedermann zuganglich sind. »Die Druckerei . . . içt es, welche werden und die Grunde für eine Strafe von jedem anerkannt das Publikum, und nicht einige wenige zu Aufsehern und werden konnen. wDas Gericht verkünde seinen Urteilsspruch Beschützern der heiligen Gesetze macht.«4' Der Monarch mit lauter stimme; es sol1 verpflichtet sein, in seinem Urteil verzichte auf sein Gnadenrecht, damit die Gewalt, die in der den Text des Gesetzes zu nennen, das den Schuldigen VerUr- Idee der Strafe liegt, nicht durch die Hoffnung auf Begnadi- teilt . . . die Prozesse, die sich in der geheimnisvollen Dunkel- gung geschwacht werde: ~Laf l t euch nur einigermaflen mer- heit von Gerichtskanzleien abspielen, müssen allen Bürgern ken, dafl die Verbrechen Vergebung erhalten konnen und die zugang]ich werden, die sich für das Schicksal der Verurteilten Strafe nicht allemal deren unausbleibliche Folge Sei; so interessieren. K~~

ihr dadurch den Zunder d e r . . . Hoffnung, . . . dafl die Regel der gemeinen Wahrheit. Hinter diesem recht ba- Verbrechen unbestraft bleiben . . . Die Gesetze müssen dem- nalen Prinzip verbirgt sich eine bedeutungsvolle Transforma- nach wie Felsen stehen, und diejenigen, die sie vollziehen, tien. Das alte System der legalen Beweise, die Anwendung der unerbittlich . . . sein.«" Vor allem darf kein Verbrechen dem Folter, die Erpressung des Gestandnisses, der Gebrauch der Blicke jener entgehen, die Recht zu sprecher, haben. Nichts Marter, des Korpers, des Schauspiels für die Ermittlung der n~acht den Apparat der Gesetze brüchiger als die Hoffnung Wahrheit hatten die Gerichtspraxis für lange Zeit von den auf Straflosigkeit. Wie lafit sich im Geiste der Bürger die gemeinen Formen der Beweisführung isoliert: Halb-Beweise unauflosliche Verbindung zwischen einer Untat und einer führten zu Halb-Wahrheiten und zu Halb-Schuldigen, durch

41 J. P. Brissot, Théorie der lois niminelles, 1781, Bd. 1, S. 24. 44 G. de Mably, D e la législation, Euvrescomplètes, 1789, Bd. IX, S. 317. Vgl. auch 42 Beccaria, op. cir., S. 17. vartel: , , ~ ; c h r so sehr die GraBlichkeir der Srrafen als vielmehr die GewiBheir ihres 43 Beccaria, op. cir., S. 136 f . ; vgl. auch Brissot: nWenn Gnade angemessen ist, isr ~ ~ l l ~ ~ g s halt die Leute in der Pflicht f e s t . ~ (Le Droit des gens, ~768. S. 163). das Geserz schlechr; wo die Geserzgebung gur isr, sind Begnadigungen nur Verge- 41 D ~ ~ ~ ~ ~ , Discours à la Constituante, Archives parlementaires, Bd. XXI, s. 41. hen gegen das Geserz.. (Théorie des lois nztnznelles, 1781, Bd. 1, S. zoo). 46 G . de Mably, op. cir., S. 348.

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Folter erpreBten Aussagen wurde Glaube geschenkt, bloBer beschaffen sein mussen, oder mit welchen Anzeigen wird man Verdacht führte bereits zu einer bestimmten strafe. Dieser sich begnügen konnen? Weder ich noch sonst jemand hat sich Gegensatz zur üblichen Beweisführung erregte erst dann An- bisher getraut, dieses überhaupt zu bestimmen. Da die Um- stofl, als die Strafgewalt für ihre eigene Okonomie das Ele- stande der Verbrechen fast unendlichen Abwechslungen un- ment unabweisbarer GewiBheit brauchte. Wie soli sich im terworfen da die Beweise und Anzeigen aus diesen Geiste der Menschen die Idee des Verbrechens mit der Idee Umstanden hergeleitet werden müssen: so müssen auch net- der Züchtigung unlosbar verbinden, wenn die Wirklichkeit wendig die hellsten Beweise und Anzeigen abwechselnd und der Züchtigung nicht in jedem Fa11 auf die Wirklichkeit des veranderlich sein.«48 Verbrechens folgt? Diese mit voller GewiBheit und mit den Nunmehr unterliegt die Gerichtspraxis einer gemeinsamen fur alle gültigen Methoden zu ermitteln, wird zur ersten Herrschaft der Wahrheit - einem komplexen System, worin Aufgabe. Die Feststellung des Verbrechens mua den al]gemei- die »innere TJberzeugung. des Richters aus den heteroge- nen Kriterien aller Wahrheit unterliegen. Das Gerichtsurteil rien Elementen des wissenschaftlichen Beweises, der sindi- mufi in seinen Argumenten und Beweisen dem Urteil chen Gewiflheit und des gemeinen Menschenverstandes bil- schlechthin entsprechen. Legale Beweise und Folter Sind det. Halt die Strafjustiz an ihren Formen fest, kann sic sich darum abzuschaffen; eine vollstandige Beweisführung zur allen Wahrheiten offnen, wenn sie nur gewiB, bewiesen und Feststellung einer gerechten Wahrheit ist notwendig; jede für jedermann annehmbar sind. Das Gerichtsritual ist nicht ; Beziehung zwischen Verdacht und StrafausmaB ist zu beseiti- rnehr selber Erzeuger einer Teilwahrheit, sondern in das Be- gen. Ebenso wie eine mathematische Wahrheit kann die zugsfe]d der allgemeinen Beweisführung hineingestellt. Mit Wahrheit des Vergehens erst nach vollstandigem aner- der vielfalt der wissenschaftlichen Beweise knüpfen sich nun

' kannt werden; folglich muB der Angeklagte bis zur endgülti- schwierige und endlose Beziehungen an, die von der Strafju- gen Uberführung ais unschuldig gelten. Und zur Beweisfüh- stiz heute gar nicht mehr kontrolliert werden konnen. Der rung darf sich der Richter keiner Rituale bedienen, sondern Gerichtsherr ist nicht mehr Herr seiner Wahrheit. der allgemeinen Werkzeuge, jener gemeinen Vernunft, welche Regel dey optimalen Spezifizieyung. Damit die Semiotik des auch die der Philosophen und Gelehrren ist: *,In der Theorie Strafsystems das gesamte Feld der zu bewaltigenden Gesetz- betrachte ich den Richter als einen Philosophen, der sich widrigkeiten abdecken kann, müssen alle Rechtsbrüche quali- vornimmt, eine interessante Wahrheit zu entdecken . . . ~ ~ f . . fiziert werden; sie müssen so klassifiziert und in Arten verei- grund seines Scharfsinns wird er alle Umsfinde und nigt werden, dafl keiner ausgelassen wird. Darum ist ein Beziehungen erfassen, wird er alles gehorig verbinden und Strafgesetzbuch notwendig, das hinreichend genau ist, um trennen, um ein richtiges Urteil zu fallen.«47 Als Vollzug der jede Art von Rechtsbruch eindeutig anzuführen. Es darf kein allgemeinen Vernunft streift die Untersuchung das alte ModeIl Schweigen des Gesetzes geben, in das sich Hoffnung auf der Inquisition ab, um das vie1 geschmeidigere der empiri- Straflosigkeit stürzen konnte. Also bedarf es eines erschopfen- schen Nachforschung anzunehmen, das sowohl durch die den und ausführlichen Gesetzbuches, welches die Verbrechen 1

Wissenschaft wie durch den gemeinen Menschenverstand sus- gewiesen ist. Der Richter wird wie »ein Steuermann Zwischen den Felsklippen segeln . . .: Wie aber werden diese &Weise 48 pau] ~ i ~ i , Abhandlungen über einige Gegensrande des peinlichen Rechrs. Eine

Ubersetzung. Mietau und Leipzig 1771. S. 60 f .

49 vg], dazu S. ~ i ~ ~ ~ ~ ~ , Nécessité d'une réforme de l'admrnistration de la justice 47 G. Seigneux de Correvon, Essai sur l'usage de la torture, 1768, S. 49. mminelle, 1764, S . 8 .

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die Zeichen-Wirkungen der Bestrafuq vollstandig ab- bedingen und entsprechen. Die Individualisierung erscheint gedeckt werden, so mufi man noch weiter gehen. Die Idee ein als die eigentliche Absicht einer exakten Kodifizierung. und derselben Bestrafung hat namlich nicht die gleiche Wir- Diese Individualisierung unterscheidet sich wesentlich 'von kung auf jedermann: die GeldbuBe ist für den Reichen den Straf-Abstufungen der alten Rechtsprechung. Diese be- abschreckend, ebensowenig die .Ehrlosigkeit für den, der be- nutzte - in Ubereinstimmung mit der christlichen Bufipraxis - reits am Pranger gestanden ist. Zudem hangen die Schadlich- zur Bemessung der Züchtigung zwei Variablen: die ~Umstan - keit und die Ansteckungskraft eines Deliktes vom Rang des de« und die .Intention«, d. h. Elemente, die zur Qualifizie- Rechtsbrechers ab: das Verbrechen eines Adeligen ist fir die rung der Tat selber beitrugen. Die Modulierung der Strafe war Gesellschaft schadlicher als dasjenige eines gemeinen Man- also Sache einer »Kasuistik« im weitesten Sinn." Was sich neS.'" Da schlieBlich die Züchtigung den Rückfall verhindern aber jetZr abzuzeichnen beginnt, ist eine Modulierung, die sich soli, mufl sie darauf Riicksicht nehmen, was der Verbrecher in auf den Tater selbst bezieht: auf seine Natur, seine Lebens- seiner inneren Natur ist: auf den vermutlichen Grad Denkweise, seine ~ e r ~ a n ~ e n h e i t , die ~Quali tatq und Bosheit, auf die innere Qualitat seines Willens. »wenn zwei nicht rnehr die ~ntention seines Willens. Man entdeckt den Menschen den gleichen Diebstahl begangen haben, inwieweit art in der strafpraxis, an dem spater die kasuistische Jurispru- ist dann derjenige, der kaum das Notigste batte, weniger denz durch das psychologische Wissen abgelost werden sollte. schuldig ais der andere, der von UberfluB strotzte? lnwieweit Davon ist man am Ende des 18. Jahrhunderts noch weit ist von zwei Meineidigen derjenige ein grofierer Verbrecher, entfernt. Die Verbindung zwischen Kodifizierung und Indivi- dem man von Kindheit an Ehrgefühle einzupflanzen versucht dualisierung wird in den wissenschaftlichen Modellen der Zeit bat, im Vergleich zum anderen, welcher, der Natur ausgelie- gesucht. Das geeignetste Schema wurde zweifellos von der fert, niemais eine Erziehung genossen hat?«ll Mit der ~ ~ t - Naturgeschichte angeboten: die Taxinomie der Arten in einer wendigkeit einer parallelen Klassifizierung von Verbrechen kontinuierlichen Abstufung. Gesucht wird ein Linné der Ver- und Strafen entsteht gleichzeitig die Notwendigkeit einer brechen und Strafen dergestalt, daB jede einzelne Gesetzes- Individualisierung der Strafen, die dem besonderen Charakter übertretung und jedes straffallige Individuum ohne irgendeine

jeden Verbrechers gerecht wird. Die Individualisierung, Willkür unter ein allgemeines Gesetz fallen konnen. >>Man die in der gesamten Geschichte des modernen Strafrechts von mufi ein Tableau aller Gattungen von Verbrechen ammen- men- grofiem Gewicht sein sollte, hat hier ihren Ursprung. Unter stellen, die man in verschiedenen Landern beobachtet. Dazu dem Blickwinkel der Rechtstheorie sowie der Anforderungen bedarf es der Aufzahlung der Verbrechen einer Eintei- der taglichen Praxis widerspricht sie zweifellos dem Prinzip lung in Arten. Die beste Regel für diese Unterteilung scheint der Kodifizierung. Geht man aber von der neuen CJkonomie mir zu sein, dafl man die Verbrechen nach ihren unterschiedli- der Strafgewalt aus, die im gesamten Gesellschaftskorper ge- chen Gegenstanden einteilt. In dieser Aufteilung mufi jede Art nau bemessene Straf-Zeichen - ohne Uberschwang und ohne von der andern scharf unterschieden sein und jedes besondere Lücken, ohne unnütze Macht~erausgabun~ und ohne Angst- Verbrechen muB in al1 seinen Beziehungen zum vorangéhen- lichkeit - in Umlauf setzen will, so sieht man, dafl die Kodifi- den und zum nachfolgenden Verbrechen erfaBt sein. Dieses zierung des Systems VerbrechedStrafen und die individu- Tableau mufi schlieBlich so beschaffen sein, daB es auf ein elle Modulierung des Paares Verbrecher/Bestrafung einander anderes Tableau, namlich das der Strafen, abgestimmt ist und

10 P. L. de Lacretelle, Dlscours sur les peines itifamanres, 1784, S. 1 4 ~ . 12 zum nichr.indiyidualisierenden Charakrer der Kasuisrik ~ g l . P. Cariou, Les 1 1 J.-P. Marat, Plata de législation niminelle, 1780, S. j4. Idéalirés casuistiques (Verv. Ms.).

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zweifache Taxinomie der Strafen und der Verbrechen das Problem zu losen, wie sich feststehende Gesetze auf besonde- re Individuen anwenden lassen. Unabhangig von diesem spekulativen Mode11 gab es damals einige wenn auch sparliche Ansatze zur anth~opologischen verraten." Individualisierung. Einer davon ist der Begriff des Rückfalls, der zwar in den alten Strafgesetzen keineswegs unbekannt Regeln, welche die »Milde. als eine kalkulierte Ukonomie der war,I4 nun aber zu einer Qualifizierung des &linquenten Strafgewalt erlauben, ja fordern. Aber sie verlangen auch eine selbst wird und zur Modifizierung der Strafe beitragen kann. Verschiebung des Zielpunktes dieser Gewalr: es geht nicht Nach der Gesetzgebung von 1791 stand auf Rückfall fast mehr um den Korper in einem Ritual der ÜbermaBigen durchweg die doppelte Strafe, nach dem Gesetz vom Floréal Schmerzen, in einem Spiel der brandmarkenden Martern; es des Jahres X wurden Rückfallige mit dem Buchstaben R geht um den Geist oder vielmehr um ein Spiel von Vorstellun- gebrandmarkt, und das Strafgesetzbuch von 1810 setzte ent- gen und Zeichen, die diskret, aber mit zwingender Gewifiheit weder das HochstmaB der Strafe oder die nachsthohere strafe im Geiste aller zirkulieren. Nicht mehr der Korper, sondern fest. Mit dem Rückfall zielt man nicht auf den Urheber einer die Seele, sage Mably. Nun wird sichtbar, was unter ~Seele* durch das Gesetz definierten Tat ab, sondern auf das sich zu verstehen ist: das Korrelat einer Machttechnik. Man gibt vergehende Subjekt, auf einen bestimmten Willen, der den alten ~estrafun~s->>Anatomienx den Abschied. Aber ist zuinnerst verbrecherischen Charakter offenbart. Je rnehr die man damit wirklich ins Zeitalter der korperlosen Züchti- Kriminalitat anstelle des Verbrechens Gegenstand der Strafin- gungen eingetreten? tervention wird, um so wichtiger wird der Gegensatz zwi- An den Ausgangspunkt kann man also den politischen Plan schen Ersttater und Rückfalligem. Verstarkt wird dieser Un- stellen, die ~esetzwidrigkeiten genau zu erfassen, die Bestra- terschied durch einen Begriff, der sich in derselben Zeit ber- fung 2" verallgemeinern und die Strafgewalt zu kontrollieren ausbildet: den Begriff des nleidenschaftlichen. Verbrechens, und einzugrenzen. Daraus ergeben sich zwei Linien der Ob- des unfreiwilligen, unreflektierten, an auBerordentliche um- jektivierung von Verbrechen und Verbrecher. Einerseits wird stande gebundenen Verbrechens, das zwar nicht die Entschul- der Verbrecher als Feind aller bezeichnet, den zu verfolgen digung des Wahnsinns für sich hat, das aber verspricht, nie- alle ein Interesse haben, er fallt aus dem Vertrag heraus, mals ein Gewohnheitsverbrechen zu sein. Schon ~e peletier disqualifiziert sich als Bürger und wird zu einem, der ein n~achte 179 1 darauf aufmerksam, daB die feine Abstufung der wildes Stück Natur in sich tragt. Er erscheint als Ruchloser, Strafen, die er in der Verfassunggebenden Versammlung var- Monster, vielleicht als Wahnsinniger, als Kranker und bald ais 53 P. L. de Lacretelle, op. cir., S. j1 I f . »Anormaler«. In dieser Eigenschaft sollte er eines Tages zum 14 Im Gegensatz zu den Aussagen von Carnot, F. Helie und Chauveau ist festzu- Gegenstand einer Wissenschaft werden - und einer entspre- halten, daB der Rückiall in vielen Geserzen des Ancien Régime mir Sanktionen chenden .Behandlung<. Auf der anderen Seite folgen am der bedachr wurde. SO erklart die Verordnung von 1149, dan der Misseriter, der ,.on

neuem beginnt, ein ~~abscheuliches, infames, für die Cl)ffentlichkeit besonders gefahr. I I L~ peleiier de Saint-Fargeau, Archiz'espariementa~res, Bd. XXVI, S. 3 2 1 f . Ein liches Wesen. ist. Rückfallige Gorreslasrerer, Diebe, Landsrreicher wurden mit jahr darauf - im FaU Gras - hilt Bellart zum ersten Mal e h Pl'adoyer fur ein besonderen Srrafen bedrohr. Verbrechen aus Leidenschafr.

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Notwendigkeit, die Wirkungen der Strafgewalt von innen zu Struktion von Reihen und Entwicklungen, eine Art Generalre- messen, Vorschriften für die Interventi~nstaktike~ gegenüber zept für die Ausübung von Gewalt über Menschen: der Verbrechern, den wirklichen und den moglichen: die Organi- »Geista als Schrifttafel in der Hand der Macht, mit der sation der Vorbeugung, der Kalkül der Interessen, der Einsatz von Vorstellungen und Zeichen, die K~ns t i t u i e run~ eines Horizonts von GewiBheit und Wahrheit, die AnpasSung der Strafen an irnmer subtilere Variablen. Al1 das führt gleicher- maBen zu einer Ob jek t iv i e r~n~ der Verbrecher und der Ver- war nicht nur eine Theorie des Individuums und der Gesell- brechen. In beiden Fallen beginnt die Machtbeziehung, auf der die Bestrafung beruht, durch eine Erkenntnisbeziehung erg'anzt zu werden, die sowohl das Verbrechen ais eine gemeinsamen Norrnen zu ermittelnde Tatsache wie den Verbrecher als ein nach spezifischen Kriterien zu erkennendes Individuurn erfaBt. Diese Gegenstandsbeziehung legt sich nicht b10B von auBen auf die Strafpraxis - etwa als Verbot, welches das Rasen der Marter in die Schranken der Empfind- samkeit weist, oder als rationale, »wissenschaftliche« Frage, was dieser Mensch sei, den man bestraft. Die Prozesçe der Vergegenstandlichung entwickeln sich in den Taktiken und Verfahren der Macht selber. Ordnung der Vernunft fest. Dieses Band ist um so starker, ais Die beiden Objektivier~ngst~pen, die sich mit den Projekten wir seine Zusammensetzung nicht kennen und es für unser der Strafreform abzeichnen, unterscheiden sich allerdings eigenes Werk halten. Verzweiflung und Zeit nagen an Ketten recht deutlich voneinander: durch ihre Chronologie und sus Eisen und Stahl, sie vermogen aber nichts gegen die durch ihre Wirkungen. Die Vergegenstandli~hu~g des Recht- gewohnheitsmaBige Vereinigung der Ideen, sondern binden losen, des Naturwesens, ist noch nicht rnehr als eine Moglich- sie nur noch fester zusarnmen. Auf den weichen Fasern des k i t , eine Fluchtlinie, in der sich die Gedanken der politischen Gehirns beruht die unerschütterliche Grundlage der starksten Kritik und Gestalten der Einbi ld~n~skraf t treffen. wird Reiche.«j6 noch lange Zeit dauern, bis der homo criminalis ein bestimm- Diese Zeichentechnik der Bestrafungen, diese »ideologische ter Gegenstand in einem Erkenntnisfeld wird. Die andere Gewalt«, bleibt, jedenfalls zu einern Teil, in der Schwebe. An Objektivierungsweise hat vie1 raschere und entscheidendere ihrer Stelle setzt sich eine neue politische Anatomie durch, in Wirkungen gezeitigt, da sie direkt mit der Reorganisation der der der Korper, allerdings in ganz neuer Weise, zur Haupt- Strafgewalt verbunden war: K~dif iz ierun~, Definition der person wird. Diese neue politische Anatomie wird es moglich

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Vergehen, Festsetzung der Strafen, ProzeBvorschriften, Defi- machen, daB sich die beiden divergierenden Objektivierungs- nition der Rolle der Gerichtsbeamten. AuBerdern konnte sie linien, die sich irn 1 8 . Jahrhundert bilden, kreuzen: diejenige, sich auf den bereits konstituierten Diskurs der Ideologen die den Verbrecher aus der Gesellschaft ausschliefit - auf die stützen. Dieser lieferte tatsachlich durch die Theorie der Inter- essen, der Vorstellungen und der Zeichen, durch die Rekon- $6 J. M. seman, Discourr sur i'admin~srration de lu justice niminelle, 1767, S . 3 j .

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Seite einer Natur wider die Natur; und die andere, welche die Delinquenz durch eine kalkulierte Okonomie der ~ ~ ~ ~ ~ ~ f ~ ~ -

2. Die Milde der Strafen

gen zu kontrollieren sucht. Ein Blick auf die neue K~~~~ des Strafens zeigt die Ablosung der Zeichen-Straftechnik durch Die Kunst des Strafens mui3 also auf einer Technologie der eine neue Politik des Korpers. Vorstellung beruhen. Das Unternehmen kann nur gelingen,

wenn es sich in eine natürliche Mechanik integriert. »Die Kraft, welche die Menschen ohne Unterlai3 zu Lüsten und Begierden hinreiBt, ist der Schwerkraft ahnlich, welche alle Korper nach dem Mittelpunkte des Erdbodens unaufhorlich zieht, und die sich durch nichts anderes als durch Hindernisse, die man ihr entgegensetzt, aufhalten 1aBt. Die ganze Folge menschlicher Handlungen ist eine Wirkung dieser morali- schen Schwerkraft.«' Für ein Verbrechen die passende Züchti- gung finden bedeutet, den Nachteil ausfindig zu machen, dessen Idee so beschaffen ist, daB sie der Idee der Untat für immer die Anzieh~n~skraf t nimmt. Es handelt sich um eine Kunst der Energien, die sich bekam~fen, um eine Kunst der Bilder, die sich verknüpfen, um die Herstellung dauerhafter Verbindungen, welche der Zeit trotzen. Es geht darum, Ge- gensatzpaare in der Vorstellung zu etablieren, quantitative Differenzen zwischen den wirkenden Kraften einzurichten, ein-System von Hemmzeichen aufzubauen, welche die Bewe- gung der Krifte einem Machtverhaltnis zu unterwerfen ver- mogen. .Also müssen die gedachten Hemmnismittel . . . un- aufhorlich vor Augen schweben, wenn sie den- starken Ein- drücken der stürmenden Leidenschaften das Gle i~h~ewicht halten sollen.«' Haben einst Brandmale das Wesen der Mar- tern ausgemacht, so konstituieren nun Hemmzeichen das neue Arsenal der Strafen. Dazu müssen sie aber mehreren Bedingungen gehorchen. I. Sie müssen so wenig willkürlich sein wie nur moglich. Zwar definiert die Gesellschaft aufgrund ihrer eigenen Interessen, was als Verbrechen zu betrachten ist: dieses ist -also nichts Natürliches. Will man aber, daR die Bestrafung ohne Schwie- rigkeit im Geiste gegenwartig werde, wenn man ans Verbre-

I Beccaria, op. cir., S. 29.

2 Beccaria, op. cit., S. I I .

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