Midas-Touch - MILLSTONE...

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26 Mai 2014 Professional audio Erzbösewicht Auric Goldfinger hatte den todbringenden „Midas Touch“. In heilbringender Form hat den auch der Röhrenkompressor Fredenstein F660. VON HARALD WITTIG Z u dem erlesenen Dutzend der be- rühmtesten, legendenumrankten Pro Audio-Geräte aller Zeiten gehört zweifellos der Fairchild Model 660 Limi- ting Amplifier. Sein russischstämmiger Er- finder, der Ingenieur und eingeschworene Liebhaber klassischer Musik, Rein Narma entwickelte das Model 660 und seinen ult- rararen zweikanaligen Bruder namens Modell 670 mit dem hehren Ziel, den best- möglichen, sprich musikalischsten Kom- pressor überhaupt zu bauen. Vor fast 60 Jahren, Ende der 1950er-Jahre, als Stereo- LPs bei Klassik-Liebhabern immer belieb- ter wurden, war das und der Rest ist, wie es so schön heißt, Geschichte. Eine Ge- schichte, die mit zahlreichen Halbwahr- heiten gespickt und zusätzlich mit den Er- fahrungsberichten derer garniert ist, die eines der wenigen Originale besitzen und nach wie vor bei ihrer Arbeit einsetzen. Seit Kurzem sind alle Tonschaffenden, die unbedingt einen Fairchild für Aufnahme, Mix und Mastering haben müssen, nicht mehr auf Software-Nachbauten – da gibt es bekanntlich einige – angewiesen. Neben dem mit fast 15.000 Euro auch nicht eben billigen FairComp 670 von Mode Machines (Test in Ausgabe 7/2013) Midas-Touch bietet der deutsch-taiwanesische Herstel- ler Fredenstein mit dem Modell F660 eine interessante und mit einem Preis von rund 4. 000 – für den Stereobetrieb sind allerdings zwei F660 zum dann doppelten Preis vonnöten – deutlich günstigere Al- ternative an. Im Unterschied zum Fair- Comp, der eine detailgetreue Replik des zweikanaligen Fairchild Model 670 dar- stellt, handelt es sich beim Fredenstein gewissermaßen um eine zeitgemäße In- terpretation von Rein Narmas Model 660. Nach dem Willen von Fredenstein-Grün- der und Chef-Entwickler Fred „Freden- stein“ Schuckert soll sein F660 den Fairchild-Klang im bestmöglichen Sinne ins moderne Tonstudio bringen. Das wol- len wir doch ganz genau wissen, weswe- gen wir den güldenen Dynamiker zum Test geladen haben. Digital kontrollierte Röhren Fred Schuckert, der bereits seit den 1970er-Jahren, teilweise in Partnerschaft mit seinem alten Weggefährten und heu- tigen Vertriebspartner Jürgen „Mühlen- stein“ Meyer Studiogeräte entwickelt, ge- hört zu den wenigen Auserwählten, die TEST | RÖHRENKOMPRESSOR | Fredenstein F660 PA-14-05-11_Fredenstein.indd 26 14.04.2014 15:24:11

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26 Mai 2014Mai 2014 Professional audio

Erzbösewicht Auric Goldfi nger hatte den todbringenden „Midas Touch“. In heilbringender Form hat den auch der Röhrenkompressor Fredenstein F660.

VON HARALD WITTIG

Z u dem erlesenen Dutzend der be-rühmtesten, legendenumrankten Pro Audio-Geräte aller Zeiten gehört

zweifellos der Fairchild Model 660 Limi-ting Amplifi er. Sein russischstämmiger Er-fi nder, der Ingenieur und eingeschworene Liebhaber klassischer Musik, Rein Narma entwickelte das Model 660 und seinen ult-rararen zweikanaligen Bruder namens Modell 670 mit dem hehren Ziel, den best-möglichen, sprich musikalischsten Kom-pressor überhaupt zu bauen. Vor fast 60 Jahren, Ende der 1950er-Jahre, als Stereo-LPs bei Klassik-Liebhabern immer belieb-

ter wurden, war das und der Rest ist, wie es so schön heißt, Geschichte. Eine Ge-schichte, die mit zahlreichen Halbwahr-heiten gespickt und zusätzlich mit den Er-fahrungsberichten derer garniert ist, die eines der wenigen Originale besitzen und nach wie vor bei ihrer Arbeit einsetzen.

Seit Kurzem sind alle Tonschaffenden, die unbedingt einen Fairchild für Aufnahme, Mix und Mastering haben müssen, nicht mehr auf Software-Nachbauten – da gibt es bekanntlich einige – angewiesen. Neben dem mit fast 15.000 Euro auch nicht eben billigen FairComp 670 von Mode Machines (Test in Ausgabe 7/2013)

Midas-Touchbietet der deutsch-taiwanesische Herstel-ler Fredenstein mit dem Modell F660 eine interessante und mit einem Preis von rund 4. 000 – für den Stereobetrieb sind allerdings zwei F660 zum dann doppelten Preis vonnöten – deutlich günstigere Al-ternative an. Im Unterschied zum Fair-Comp, der eine detailgetreue Replik des zweikanaligen Fairchild Model 670 dar-stellt, handelt es sich beim Fredenstein gewissermaßen um eine zeitgemäße In-terpretation von Rein Narmas Model 660. Nach dem Willen von Fredenstein-Grün-der und Chef-Entwickler Fred „Freden-stein“ Schuckert soll sein F660 den Fairchild-Klang im bestmöglichen Sinne ins moderne Tonstudio bringen. Das wol-len wir doch ganz genau wissen, weswe-gen wir den güldenen Dynamiker zum Test geladen haben.

Digital kontrollierte RöhrenFred Schuckert, der bereits seit den 1970er-Jahren, teilweise in Partnerschaft mit seinem alten Weggefährten und heu-tigen Vertriebspartner Jürgen „Mühlen-stein“ Meyer Studiogeräte entwickelt, ge-hört zu den wenigen Auserwählten, die

TEST | RÖHRENKOMPRESSOR | Fredenstein F660

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� Edler, sehr wohlklingender Röhrengrund-klang

� Angenehm weiche, musikalische Kompres-sion, die optional auch mal Biss haben darf

� Weitaus vielseitiger und langzeitkonstanter als das Vorbild Fairchild F660

� Dank neuer Zusatzregler sehr gut bedienbar. � Sehr gute Verarbeitung

� Absolut angemessener, aber hoher Preis � Hoher Suchtfaktor

Der Fredenstein F660 ist ein klanglich her-vorragender und technisch innovativer Röh-ren-Kompressor auf den Spuren einer Ton-technik-Legende, der Aufnahmen und Mi-schungen veredeln kann.

Preis: 3999,-

Fredenstein F660

Absolut angemessener, aber hoher Preis

Der Fredenstein F660 ist ein klanglich her-

Preis: 3999,-Preis: 3999,-

Fredenstein F660

professional

Das Magazin für Aufnahmetechnik

Eigentümer und Anwender eines origina-len Fairchild waren. In über drei Jahr-zehnten lernte er den Röhren-Kompressor kennen. Nicht nur seine Klangkompetenz, sondern auch seine weniger angenehmen Tücken und – aus heutiger Sicht – ge-wisse Unzulänglichkeiten wie ein nur mä-ßiger Signal-Rauschabstand oder ein alles andere als weiter Frequenzgang. Das könnte doch besser zu machen sein, dachte sich Schuckert und nahm die Ent-wicklung des F660, der sich wie schon eingangs erwähnt, am Fairchild Model 660 – dem Einkanaler – orientiert, ohne eine Eins-zu-Eins-Replik zu sein. Bevor wir ins Detail gehen, sei die technische Besonderheit des Fredenstein F660 auch sogleich verraten: In den Röhrengeräten von Fredenstein, wozu auch der in Aus-gabe 2/2014 vorgestellte Mikrofon-Vor-verstärker F676 gehört, überwacht ein eingebauter DSP die Anodenströme der Röhrenverstärkerschaltung und regelt diese mit einer Genauigkeit von 10μA. Der Vorteil dieses, soweit wir es überbli-cken, für Seriengeräte einzigartigen Sys-tems: Das bei konventionellen Röhren-schaltungen unverzichtbare Einmessen durch einen erfahrenen Techniker ist ob-

verdanken. Die Doppel-Triodenröhre des Typs 6386, die gemeinhin und auch nach Auffassung Fred Schuckerts klangent-scheidend für die Original Fairchilds waren und sind, gibt es inzwischen als bezahlbaren Nachbau von dem renom-mierten slowakischen Röhrenhersteller JJ Electronic. Zuvor waren mit viel Glück nur Originale auf dem Gebrauchtmarkt zu be-kommen, die wegen ihrer Seltenheit hor-rende Preise aufriefen. Mit fast 100 Euro ist der Nachbau von JJ Electronic nicht gerade kostengünstig, präsentiert sich dafür mit vergoldeten Anschluss-Pins und soll nach Meinung von Röhren-Fachleu-ten eben jenen „ungemein offenen und luftigen“ Klang bieten, der mitverant-wortlich für den begehrten Fairchild-Sound ist.

Vier JJ 6386 LGP Gold kommen in der Ver-stärkerschaltung, ausgeführt im Class A Push-Pull Design zum Einsatz. Die Röh-renschaltung verstärkt fest um elf Dezi-bel, die Signalabschwächung am Eingang erfolgt relaisgesteuert in 0,5 dB-Schritten, was einen Regelumfang von -18,5 bis +13 dB ergibt. Der F660 hat auch einen Side-Chain, der allerdings, obschon komplett analog aufgebaut, in Halbleitertechnik ausgeführt ist. Da mag der Purist zwar vor Empörung überkochen, der Hersteller sieht es indes ganz pragmatisch und ver-tritt die Auffassung, dass es alles andere als kosteneffi zient und damit sinnvoll ist, an der überkommenen Röhrentechnik

solet, außerdem sei es nicht mehr not-wendig, vorselektierte Röhren zu verwen-den. Denn die oft auch in unseren Tests erwähnten vorselektierten Röhren sind auch bei Röhrengeräten des 21. Jahrhun-derts unerlässlich. Denn auch bei sorgfäl-tiger Herstellung der Glaskolben ist es un-vermeidbar, dass sich neue Röhren auf-grund von hinzunehmenden Fertigungs-toleranzen unterscheiden. Das Selektieren mit einem speziellen Prüfgerät kann erst garantieren, dass möglichst ähnliche Röh-ren für einen optimalen Betrieb der Schal-tung sorgen. Im F660 garantiert die digi-tale Kontrolle eine bestmögliche Schal-tungsbalance, was mit der besten und teuersten Analogtechnik zumindest über einen längeren Arbeitseinsatz nicht mög-lich wäre. Röhren sind Verschleißteile, die einem natürlichen Alterungsprozess un-terworfen sind, aber schon nach ver-gleichsweise kurzer Zeit nicht mehr in Bestform arbeiten können. Um in diesem Zusammenhang mal einen fachfremden Vergleich zu ziehen: Eine mechanische Uhr mit einem hochpräzise und aufwän-digst gefertigten Uhrwerk erreicht nicht nur nie die Genauigkeit eines Quartz-werks. Mit zunehmenden Betriebsstun-den verliert das Chronometer auch an Se-kundengenauigkeit. Das heißt selbstver-ständlich nicht, dass eine länger dienende Uhr nicht mehr verlässlich genug die Zeit anzeigt. Desgleichen kann ein länger akti-ver Röhrenverstärker oder Röhrenkom-pressor immer noch gut, sogar sehr gut klingen. Er wird nur höchstwahrschein-lich nicht mehr in der ursprünglichen Top-form seine Arbeit verrichten. Im Falle des Fredenstein F660 sorgt jedenfalls die Di-gital-Technik dafür, dass die Röhrenar-beitspunkte stets korrekt justiert sind. Dass etwas im F660 geschieht, kann der Benutzer auch sehen: Ist der Kompressor eingeschaltet und der große Druck-Dreh-geber rechts neben dem LCD gedrückt, erfolgt nämlich zunächst eine Kalibrie-rung, bis die für den erwünschten, sprich optimalen Betrieb benötigten Anoden-ströme anliegen und stabil sind.

Wir werden noch mal auf den Punkt Kalib-rierung zurückkommen. Zuvor wollen wir uns mit dem analogen Schaltungsaufbau befassen. Der orientiert sich nämlich le-diglich am Vorbild, geht aber in einigen Punkten sehr eigene Wege.

Dass es überhaupt einen Fredenstein F660 gibt, ist einem glücklichen Zufall zu

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28 Mai 2014Mai 2014 Professional audio

festzuhalten. Zumal der F660 dem Fairchild überlegen ist, als dass der Aus-gangswiderstand des Side Chain-Verstär-kers variabel gestaltet ist. Im Unterschied zum großen Vorbild offeriert der F660 sei-nem Benutzer die Möglichkeit, die ohne-hin schon schnellen Ansprechzeiten der Fairchilds mit den Einstellungen „Fast“ und „Ultra“ noch zweimal deutlich zu ver-kürzen. Dabei ist zu beachten, dass auch der F660 wie das Original nicht die von anderen Kompressoren bekannte manu-elle Eingabe der Ansprechzeit in Millise-kunden bietet. Stattdessen gibt es nur die sogenannten Time Constant-Voreinstel-lungen. Dabei handelt es sich gewisser-maßen um Werkspresets mit festen An-sprech-/Attack- und Abfall-/Release-Zei-ten. Einstellbar sind die Zeitkonstanten 1 bis 6, Grundsätzlich gilt dabei, dass Num-mer 1 die schnellstmögliche, Nummer 6 demgegenüber die langsamste Kombina-tion aus Ansprech- und Abfallzeit ist. Im Falle des F660 – und nur bei ihm – ist es nunmehr möglich, die Ansprechzeit auch im Langsam-Modus 6 besonders kurz zu halten, während die Abfall-/Release-Zeit vergleichsweise länger ausfällt. Das wirkt sich selbstverständlich hörbar aus und schafft eine erweiterte Flexibilität im praktischen Einsatz. Dass der Hersteller keinerlei Werte angibt – weder das an-sonsten sehr detailverliebte LCD, noch das Handbuch liefert konkrete Angaben – ist durchaus ungewöhnlich, aber unse-res Erachtens verzeihbar. Erstens schwei-gen auch Fairchild Repliken wie der Fair-Comp 670 von Mode Machines zu diesem Punkt beharrlich, zweitens schadet es nie, sich über das Gehör an die Bedienung und das Regelverhalten des F660 heran-zutasten und zu gewöhnen. Nach und nach, was ausweislich unserer eigenen Praxiserfahrung mit dem FairComp 670, aber aktuell auch mit dem F660 ver-

gleichsweise wenig Zeit beansprucht, fi n-den sich gut klingende Standardeinstel-lungen auf diese Weise problemlos.

Mancher Praktiker mag auch bemängeln, dass der F660 nur ein nochmaliges Verkür-zen, nicht aber ein Verlängern der An-sprechzeiten gestattet. Das ist aber nur konsequent, denn auch wenn der Freden-stein keine Replik darstellt, soll er doch eine zeitgemäße Ausführung der Kom-pressor-/Limiter-Legende sein.

Nah am OriginalApropos: Der F660 lässt sich, wie das Ori-ginal, sowohl als Kompressor als auch als Limiter einsetzen. Mit der passenden Zeit-konstanten/Time Constant-Vorwahl ist es tatsächlich möglich, auch ein eher starkes Limiting praktisch unauffällig zu machen. Mit einiger Hörerfahrung lässt sich die passende Einstellung ohne Weiteres fi n-den. Der Fairchild-Erfi nder Rein Narma wollte vor allem einen natürlichen Klang,

was der Grund für die Aussparung langer Attackzeiten ist. Narams Time Constant-Presets waren vom Erfi nder nach rein mu-sikalischen Kriterien gewählt worden und auf die häufi gsten musikalischen Situatio-nen, wie sie vorzugsweise in der Klassik, aber auch im Jazz vorkommen. An Heavy Metal dachte Narma defi nitiv nicht, ver-mutlich konnte er sich aber auch kaum den Lärm, den die Bands der sogenannten „British Invasion“ in den USA populär ma-chen sollten, vorstellen. Dass sein Kom-pressor auch gewinnbringend bei Pop- und Rockproduktionen eingesetzt wurde, steht dazu nicht in Widerspruch. Leo Fen-der, der Erfi nder der populärsten E-Gitarre überhaupt, der Stratocaster konnte mit der Musik von Jimi Hendrix, einem der be-rühmtesten Strat-Spieler, schließlich auch rein gar nichts anfangen.

Wir würden uns allerdings auch wün-schen, dass das ohnehin sehr kryptische Handbuch wenigstens die Attack- und Abfallzeiten für die Time Constant-Ein-

Der Fredenstein F660 ist wie sein berühmtes Vorbild der Fairchild Model 660 ein einkanaliger Kompressor. Dank der praktischen, einfach zu handhabenden “LINK“-Funktion sind zwei F660 kurzerhand stereo-tauglich gemacht.

Der Fredenstein F660 ist jetzt mit drei zusätzlichen Reglern zur Einstellung von Gain, Threshold/Schwellwert und Release/Zeitkonstanten ausgestattet, was den Bedienkomfort beträchtlich erhöht.

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stellungen 1 bis 6 angeben würde. Mög-lich sollte das schon sein, denn das Origi-nal-Handbuch spart diese keineswegs aus. Unter www.historyofrecording.com/fairchild670.html fi ndet sich das Original-Handbuch zum Herunterladen und einige praktische Tipps und Hinweise zur Arbeit mit dem Fairchild – oder seinen Nachbau-ten auf Hard- oder Softwarebasis. Jeden-falls kann der Fredenstein als Kompressor oder Limiter arbeiten. Das ist reine Ein-stellungssache: Soll er komprimieren, empfi ehlt sich eine Ratio von 2 : 1 und eine Threshold-Einstellung von -5 dBu. Als Peak Limiter arbeitet der F660 in der Extremeinstellung mit einer Ratio von 20 : 1 bei einem Schwellenwert von +10 dBu. Abweichende Feineinstellungen sind selbstverständlich jederzeit möglich.

Mehr BedienkomfortInzwischen sogar sehr viel komfortabler als noch bei der allerersten F660-Genera-tion: Anstatt der Ein-Knopf-Bedienung der ersten Inkarnation des Fredenstein-Kompressors hat der Hersteller die Kritik der Anwender ernst genommen und bie-tet den F660 jetzt mit drei zusätzlichen Reglern für den geschwinden Zugriff auf „Gain“, „Threshold“ und „Realase“, ge-nauer „Time Constant“. Auch diese Reg-ler sind gleichzeitig als Druckgeber aus-geführt, weswegen sich das Gerät über den Gainregler auch auf Bypass schalten lässt, über den Schwellwert-Regler ist auch der Side Chain-Eingang aktivierbar, über „Realase“ lässt sich mit einem Fin-gerdruck die beispielsweise im Stereo-Be-trieb praktische Link-Funktion aktivieren. Gerade wenn mehrere F660 zum Einsatz kommen, sind die neuen Regler Gold wert

und wirken dem vormals unvermeidbaren Einstellumstand, wenn beispielsweise jedes einzelne Gerät über den Zentralreg-ler und das Display auf Bypass geschaltet werden musste, entgegen. Ein wenig muss gleichwohl immer noch mit dem Hauptregler gefummelt werden, es ist aber letztlich eine Sache der Eingewöh-nung, damit klar zu kommen. Nach wie vor kommt der F660, insoweit dem Vorbild folgend, ohne Make-Up Gain aus, was das Vergleichen von naturbelassenem und komprimiertem Signal via Bypass schwie-rig macht. Geht wohl nicht anders, denn der F660 folgt dem Fairchild-Design, das auf die Verwendung von Ausgangsstufen verzichtet.

Neben dem LC Display als zentralem An-zeige-Instrument fi nden sich auf der gold-farbenen Frontplatte aus gebürstetem Aluminium auch die LED-Anzeigen für den Ausgangspegel und die Gain Reduk-tion. Die Ausgangspegel-Anzeige ist auf +4 dBu kalibriert und zeigt in der Werkseinstellung Spitzenpegel/Peak und RMS-Werte gleichzeitig an, es ist aber möglich über das „Meter Menu“ die Aus-gangspegelanzeige auf Dreh und Druck des Hauptreglers als reinen Spitzenwert-messer (PPM) einzurichten. Zur Wahl über das Meter Menu stehen zwei Darstel-lungsmodi: entweder als 60dB-Anzeige, wo eine LED pro Dezibel aufglimmt, oder als 30dB-Anzeige – dann stellt eine LED stets 0,5 Dezibel dar. Auch bei Vollaus-schlag der Ausgangspegelanzeige bleibt ein Headroom von sechs Dezibel. Die Peak Haltezeit lässt sich praktischerweise ein-stellen: 0s, 2,5 s oder „indefi nitely“/unbe-grenzt. Ist „indefi nitely“ gewählt, ist der Spitzenpegel durch eine rot leuchtende

LED solange markiert, bis der Freden-stein-Anwender die Anzeige manuell zu-rücksetzt. Die Pegelreduktions-Anzeige löst in 0,5dB/LED-Schritten auf, liefert al-lerdings systembedingt keine exakten Werte. Tatsächlich kann die Pegelreduk-tion über dem angezeigten Wert liegen, was aus praktischen Gründen aber nicht sinnvoll ist. Wir haben es im Falle des F660 mit einem „Variable Mu“ zu tun, bei dem das Verhältnis zwischen Anodenströ-men und Kompression fast quadratisch ist. Deswegen sind die Anodenströme nur noch sehr klein bei sehr starker Kompres-sion, was starke Artefakte, sprich Verzer-rungen entstehen lässt. Folglich empfi ehlt der Hersteller, keine Pegelreduktion von mehr als maximal -10 dB zuzulassen. Am Besten arbeite der F660 bei Werten um fünf Dezibel Pegelreduktion. Das hat der Fredenstein übrigens mit dem Fairchild gemeinsam. Dank der Digital-Steuerung des F660 ist diese konstruktionsbedingte Eigenart sogar sichtbar: Im sogennanten Utility-Menü sind die aktuellen Anoden-ströme, welche der DSP während des Be-triebs misst und ohne Zeitversatz anzeigt, ablesbar. Komprimiert der F660 besonders stark – also um mehr als zehn Dezibel – fallen die Anodenströme von den ur-sprünglichen und optimalen 24 mA auf unter 0,1 mA. Effekt: Es zerrt heftig.

Wie bereits erwähnt, hat der F660 keine Ausgangsstufe, via „Gain“ steuert der Anwender deswegen den Eingangspegel in die Röhren-Schaltung. „AC Threshold“ und „Ratio“ regeln Schwellwert und Kom-pressionsverhältnis, die Fairchild-Beson-derheit der „Time Constants„ haben wir schon ausführlich behandelt. Anders als beim Fairchild – und auch beim FairComp

Nach wie vor das Haupt-Bedienelement: Der große Druck-/Drehgeber rechts neben dem LCD.

Der LCD mit dem Hauptmenü, das Zugriff auf alle Parameter des digital kontrollierten Röhren-Kompressors bietet.

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30 Mai 2014Mai 2014 Professional audio

670 – wo über THRESHOLD AC der Kom-pressionsgrad, also die Ratio bestimmt wird, geht Fredenstein einen anderen Weg. Mit Threshold DC, im Falle des Fair-Comp 670 der eigentliche Schwellenwert-regler, lässt sich die Verstärkung variie-ren: Beim Vorbild ist diese auf zwei Volt festgelegt, im Falle des F660 sind Abwei-chungen von diesem fi xen Wert in 0,5 Volt-Schritten in einem Bereich von 0,5 bis fünf Volt möglich. Der Clou dabei: Damit ist die Kompressor-Kennlinie direkt beeinfl uss-bar, die Fairchild-typische S-Kurve, die eine besonders weiche Kompression re-präsentiert, wird bei steigendem DC Threshold eckiger, der Kompressor geht aggressiver zu Werke, während er bei niedrigen Werten noch weicher kompri-miert. Die Bezeichung „DC Threshold“ kommt auch insoweit nicht von ungefähr, da sich mit derlei Manipulationen gleich-zeitig auch der über AC Threshold einge-stellte Schwellenwert verschiebt. Folglich muss manuell und unter Zuhilfenahme des Gehörs für entsprechenden Ausgleich gesorgt werden.

KlangvergolderAlles in allem ist der F660 ein mit gehöri-gem Raffi nement konzipierter und konst-ruierter Röhren-Kompressor. Allein die Tatsache, dass der Fredenstein dank der präzisen digitalen Kalibrierung nicht warm laufen muss, weist ihn als Röhren-gerät des 21. Jahrhunderts aus. Die Verar-beitung ist dem Preis angemessen, also sehr gut. Von außen gibt es nichts zu be-mängeln, aber auch im Geräteinneren herrscht eitel Sauberkeit. Die zu erkennen-den Klebereste wollen wir anders als noch im Rahmen des Fredenstein F676 Tests in Ausgabe 2/2014 nicht beklagen. Jürgen

Meyer vom deutschen Vertrieb Millstone Sound erklärt: „Die Bauteile müssen bom-benfest sitzen, da darf sich nichts lösen. Das ist so gewährleistet. Es mag nicht immer schön aussehen, aber ein defektes Gerät ist weitaus unschöner.“ Der nahezu geräuschfrei arbeitende Lüfter ist unseres Erachtens ein feines Ausstattungsdetail, immerhin ist eine Class A-Schaltung alles andere als ökologisch unbedenklich – es wird heiß im Inneren des Güldenen. Dank des Lüfters ist einem Hitzekollaps des Ge-räts vorgebeugt.

Kommen wir zur Praxis: Wir haben das Glück, dass Jürgen Meyer von Millstone Sound gleich zwei der aktuellen Freden-stein F660 Modelle zur Verfügung hatte und auch gleich persönlich in der Redak-tion abgegeben hat. So haben wir die Möglichkeit, mit zwei Kompressoren die Summensignale einiger aktueller Aufnah-men/Produktionen zu bearbeiten. Wir wählen das Gitarrenduo-Arrangement von Egberto Gismontis berühmtem „Água e Vinho“, das im Rahmen des Tests des Schoeps V4 U für die Ausgabe 3/2014 ent-standen ist, die Live-Studioaufnahme des Stückes „Sternenbahn“, das wir mit der fantastischen Sängerin, Flötistin, Gitarris-tin und Performance Künstlerin Akampita Steiner (www.akampitasteiner.de) produ-ziert haben und ein kleines Akustik-/E-Gitarren-Instrumental namens „Andacht“. „Sternenbahn“ und „An-dacht“ sind interessanterweise mit Röh-ren-Equipment aufgenommen worden, weswegen die Bearbeitung mit einem Röhrenkompressor sich besonders anzu-bieten scheint. „Röhre wem Röhre ge-bührt“ sozusagen. Der Fredenstein F660 gehört zu den Kompressoren, die auch, wenn sie keine Pegelreduktion vorneh-

men, also gerade nicht komprimieren, den Klang anreichern. Es ist das typisch röh-rige Element, allerdings in seiner vorneh-men Ausprägung, die auch der Goldene dem Originalsignal beigibt. Es ist sehr schwer, diesen Klang zu beschreiben, denn röhrenähnliche Artefakte können heute auch die Software-Architekten der vielen Röhren-Emulationen erstaunlich le-bensnah nachbauen. Wir wollen mal einen sehr subjektiven Vergleich wagen, um das Hörbare mit dem Fühlbaren zu beschrei-ben: Sie wissen bestimmt, wie es sich an-fühlt, wenn Sie mit dem befeuchteten Fin-ger ein edles Kristallglas zum Schwingen bringen? Versuchen Sie mal, dieses Gefühl auf den Klang zu übertragen und Sie be-kommen eine Ahnung, was der Freden-stein aktiv tut. Der zuvor glatte, vielleicht ein wenig langweilige Klang bekommt eine neue Dimension, wird konturierter, „fühlt“ sich für die Ohren mit einem Male strukturierter und dreidimensionaler an.

Damit ist die allgemeine Wirkung des Fre-denstein beschrieben und es gibt sicher-lich einige Tonschaffende, die den Kom-pressor wegen dieser Klangschönfärbung beispielsweise fürs analoge Summieren verwenden werden. Aber auch als Kom-pressor kann der F660 überzeugen, da er dank seiner Schnelligkeit und Musikalität dem Material in erster Linie dient. Wir haben die Stereo-Summe der drei Beispiel-stücke bei gleicher AC Threshold-Einstel-lung von -4.0 dBu jeweils unterschiedlich komprimiert. Für „Sternenbahn“ wählen wir eine Ratio von 2:1, Time Constant 3, DC Threshold steht –ganz Fairchild – auf 2 Volt. Da ist sie dann zu hören, diese ange-nehm weiche, dem Original dienende Kompression. Tatsächlich ist dem F660 der „Midas Touch“, mit dem der Kompres-

Im „Utilities“-Menu lassen sich Feineinstellungen vornehmen, außerdem wird der Anwender in Echtzeit über die aktuellen Anodenströme informiert.

Über zwei R11-Buchsen lassen sich mehrere Fredenstein F660 verlinken.

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MODELL F660 MOD.2

Hersteller Fredenstein

Vertrieb Millstone-SoundTurmstraße 1A66459 AltstadtTel.: 06841 [email protected]

Typ Einkanaliger Röhrenkompressor

Preis [UVP, Euro] 3.999

Abmessungen BxTxH [mm]

480 x 245 x 134

Gewicht [kg] 7,7

AUSSATTUNG

Kanäle 1

Analog-Eingänge 2, 1 x Main, 1 x Side Chain

Analog-Ausgänge 2, 1 x Main, 1 x Side Chain

Physikalische Bedienelemente

1 Haupt-Dreh-/Druckge-ber,1 Gain/Bypass Dreh-/Druckgeber, 1 Threshold S(die)C(hain) Dreh-/Druck-geber, 1 Release (Time Constant) Link Dreh-/Druckgeber

Compressor Gain (Eingangsempfi ndlichkeit)

1, Bereich -18,5 bis +13 dB

Compression AC Threshold 1, zur Einstellung des Schwellenwertes, ab dem der Kompressor komprim-iert. Einstellung in dBu, Bereich -16 bis +24,5 dBu

Compression Ratio 1, zur Einstellung des Kompressionsgrades (Ratio), Bereich von 1,5 : 1 bis 20 : 1

Timeconstant 1, regelt das Zeitverhalten bei eingestellter Attack, 6 Einstellungen zur Auswahl

Fast Attack 1, wechselt zwischen "normaler" und "schneller" Attack im Rahmen aller 6 Zeitkonstanten

DC Threshold 1, optional 0,5 bis 5 Volt (Original Fairchild hatte einen festen DC Threshold von 2 Volt)

Bypass 1, bei Aktivierung keine Kompression

Sonstiges Verlinkungsmöglichkeit von zwei F660 über RJ-11-/Telefonanschlusslei-tungs-Buchsen ("LINK" muss bei beiden Geräten im Menü aktiviert sein)

Anzeige LCD, 1 Hauptmenu, zwei Submenus (Meter und Utilities)

ZUBEHÖR

Netzkabel, 2 Link-Kabel, Bedienungsanleitung

BESONDERHEITEN

Zeitgemäße Interpretation des historischen Fairchild Modell 660 Limiting Amplifi er mit DSP-kontrollierter Röhrenschaltung und verbesserten/modernisierten Einstellmöglichkeiten. F660 Mod. 2 mit mehr physika-lischen Bedienelementen.

BEWERTUNG

Verarbeitung sehr gut

Ausstattung sehr gut

Bedienung sehr gut

Klang sehr gut

Gesamtnote Spitzenklasse sehr gut

Preis/Leistung sehr gut

STECKBRIEF

sor die Musik mit einem feinen Goldüber-zug versieht zu eigen. Steht hingeben DC Threshold auf 4 Volt und steht Time Con-stant auf 4 – das ist die „langsamste“ At-tackzeit – geht der Kompressor etwas ag-gressiver zu Werke, die Aufnahmen wir-ken kerniger. Das probieren wir bei der „Água e Vinho“-Aufnahme und tatsäch-lich bekommt der Sound mehr Biss, wird aber auch etwas kantiger und rauer, was nicht ganz nach unserem Geschmack ist. Das liegt aber keineswegs am Freden-stein. Wir mögen eben die kompressor-freie Aufnahme lieber, da diese den fan-tastischen Klang des Schoeps V4 U in rei-ner Form repräsentiert. Toll dagegen das Ergebnis beim dritten Stück: Hier sorgt der „Midas Touch“ des F660 für den pas-senden Goldschimmer, die Musik be-kommt mehr Glanz, dem rein gar nichts Plastikhaft-Ordinäres anhaftet.

Alle drei Beispiele haben wir mit 24Bit/96 kHz-Aufl ösung mit dem Tascam DA-3000 Master-Recorder (ausführlicher Test in der kommenden Ausgabe) aufgezeichnet. Die Ergebnisse können sie sich auszugs-weise online auf unserer Website unter http://www.professional-audio.de/klang-beispiele-2/ anhören. Da sich auf unserer Klangbeispielseite auch die ursprüngli-chen Mischungen fi nden, können Sie sehr gut vergleichen – und danach den Freden-stein F660 vielleicht mal selbst antesten.

FAZIT

Der Fredenstein F660 ist ein feiner Röh-renkompressor auf den Spuren des legen-dären Fairchild Model 660. Ob er wie das Original klingt, sei mal dahin gestellt. Er klingt absolut gesehen richtig klasse,

überzieht die Signale immer mit einer fein röhrigen Goldaufl age, klingt als Kompres-sor mal weich und sehr angenehm, kann

aber auch zupacken, ohne jemals grob-schlächtig das Ausgangsmaterial zu zer-fetzen. Das ist, summa summarum, Spitze.

Essentiell für den Fredenstein-Klang sind die vier Röhren des Typs 6386 LGP, aktuelle Nachbauten der historischen Doppeltrioden vom Spezialisten JJ Electronic.

Praktisch bei einer Class A-Röhrenschaltung: Der eingebaute, zudem fast unhörbare Lüfter.

TEST | RÖHRENKOMPRESSOR | Fredenstein F660

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