Migrationssozialarbeit als Aufgabenfeld der...

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Mathias Hofmann Drogenberatung e.V. in Lippe Sofie nstra ße 6 5, 32 756 Detm old Tel. 05231.21035 Fax ...22813 [email protected] Migrationssozialarbeit als Aufgabenfeld der Drogenprävention Referat zur Fachtagung Aussiedlerintegration 2001 Paritätischer Gesamtverband 4.-6.4.2001 Magdeburg 1. Begrüßung Sehr geehrter Herr Löhlein, sehr geehrte Damen und Herren, Vielen Dank für die Einladung, es freut mich sehr auf Ihrer Fachtagung aus unserer Arbeit berichten zu dürfen. Als Leiter der Drogenberatung e.V. in Lippe bin ich in den vergangenen beiden Jahren mit der Beschäftigung zum Thema Migration und Sucht neben den Kolleginnen und Kollegen aus der Suchthilfe zunehmend auch Kolleginnen und Kollegen aus der Migrationssozialarbeit begegnet, und ich habe diese Begegenungen als sehr ergiebig für unsere Arbeit erlebt. Ich freue mich, an dieser Schnittstelle sozialer Arbeit nun erstmals auf einer Fachtagung zur Aussiedlerintegration unsere Sicht des Problems zur Diskussion stellen zu können und bin gespannt auf Ihre Kommentare aus Ihrer fachlichen Sicht. Unsere Migrationsarbeit wird seit längerem durch Vermittlung von Förderung für kleinere Projekte durch die Fachberatung für Sucht in NRW, Herrn Wedekind, unterstützt. Über die Vermittlung Herrn Heidbrinks und Herrn Löhleins ist nun seit kurzem ein großes Projekt der Drogenberatung e.V. in Lippe in die Förderung des Bundesverwaltungsamtes gekommen. Den Herren des Paritätischen und den Förderern seitens des Bundes hierfür von mir aus meinen allerherzlichen Dank. Ich möchte Ihnen heute etwas erzählen über unseren Arbeitsschwerpunkt Drorgenhilfe für Spätausgesiedelte in Lippe. Ich möchte dabei über den historischen Verlauf deutlich machen, welchen Prozess wir durchlaufen haben, weil es mir ebenso wichtig ist, Ihnen zu vermitteln, was wir heute machen, wie der Weg, den wir dabei gegangen sind. Ich möchte Ihnen dabei einige Parallelen zwischen dem Weg und dem Ziel (oder dem Mittel und dem Zweck) aufzeigen. Unsere Arbeit ist von Landes wie von Kreisseite der Gesundheitsverwaltung zugeordnet ist (in einigen Kommunen auch der Jugendhilfe). In der Drogenberatung e.V. in Lippe sind aber keine Ärzte angestellt und wir arbeiten mit Methoden der Sozialen Arbeit. Wir schätzen die Kooperation mit Medizin und Jugendarbeit (wir brauchen sie), ich möchte mich in meinen Beitrag heute hier aber die Soziale Arbeit in den Mittelpunkt stellen. Ich möchte Ihnen heute zunächst die allgemeinen Prinzipien unserer Arbeit darstellen. Zum einen, damit Sie sehen, aus welcher Richtung (und mit welcher Brille) wir auf die Zielgruppe und auf Probleme schauen. zum anderen ist mir

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Mathias Hofmann

Drogenberatung e.V. in Lippe

Sofie nstra ße 6 5, 32756 Detm old

Tel. 05231.21035 Fax ...22813

[email protected]

Migrationssozialarbeit als Aufgabenfeld der Drogenprävention Referat zur Fachtagung Aussiedlerintegration 2001 ParitätischerGesamtverband4.-6.4.2001 Magdeburg

1. BegrüßungSehr geehrter Herr Löhlein, sehr geehrte Damen und Herren,Vielen Dank für die Einladung, es freut mich sehr auf Ihrer Fachtagung ausunserer Arbeit berichten zu dürfen. Als Leiter der Drogenberatung e.V. in Lippe bin ich in den vergangenen beidenJahren mit der Beschäftigung zum Thema Migration und Sucht neben denKolleginnen und Kollegen aus der Suchthilfe zunehmend auch Kolleginnen undKollegen aus der Migrationssozialarbeit begegnet, und ich habe dieseBegegenungen als sehr ergiebig für unsere Arbeit erlebt. Ich freue mich, andieser Schnittstelle sozialer Arbeit nun erstmals auf einer Fachtagung zurAussiedlerintegration unsere Sicht des Problems zur Diskussion stellen zukönnen und bin gespannt auf Ihre Kommentare aus Ihrer fachlichen Sicht.Unsere Migrationsarbeit wird seit längerem durch Vermittlung von Förderung fürkleinere Projekte durch die Fachberatung für Sucht in NRW, Herrn Wedekind,unterstützt. Über die Vermittlung Herrn Heidbrinks und Herrn Löhleins ist nun seitkurzem ein großes Projekt der Drogenberatung e.V. in Lippe in die Förderungdes Bundesverwaltungsamtes gekommen. Den Herren des Paritätischen undden Förderern seitens des Bundes hierfür von mir aus meinen allerherzlichenDank.

Ich möchte Ihnen heute etwas erzählen über unseren ArbeitsschwerpunktDrorgenhilfe für Spätausgesiedelte in Lippe. Ich möchte dabei über denhistorischen Verlauf deutlich machen, welchen Prozess wir durchlaufen haben,weil es mir ebenso wichtig ist, Ihnen zu vermitteln, was wir heute machen, wieder Weg, den wir dabei gegangen sind. Ich möchte Ihnen dabei einige Parallelenzwischen dem Weg und dem Ziel (oder dem Mittel und dem Zweck) aufzeigen.Unsere Arbeit ist von Landes wie von Kreisseite der Gesundheitsverwaltungzugeordnet ist (in einigen Kommunen auch der Jugendhilfe). In derDrogenberatung e.V. in Lippe sind aber keine Ärzte angestellt und wir arbeitenmit Methoden der Sozialen Arbeit. Wir schätzen die Kooperation mit Medizin undJugendarbeit (wir brauchen sie), ich möchte mich in meinen Beitrag heute hieraber die Soziale Arbeit in den Mittelpunkt stellen. Ich möchte Ihnen heute zunächst die allgemeinen Prinzipien unserer Arbeitdarstellen. Zum einen, damit Sie sehen, aus welcher Richtung (und mit welcherBrille) wir auf die Zielgruppe und auf Probleme schauen. zum anderen ist mir

dies wichtig, weil mir diese Prinzipien (oder Leitsätze) gerade beiungewöhnlichen Problemen - unddamit hatten wir es hier zunächst zu tun - zurPlanung und Überprüfen unseres Handelns wichtig sind.Ich möchte Ihnen einige Zahlen zu unserer Klientel aus den vergangenen 4Jahren nennen, in denen sich eine deutliche Entwicklung - parallel zu unsererProjektarbeit zeigt.Anschließend möchte ich Ihnen aufzeigen, warum (aus unserer Sicht) das Risikofür Spätausgesiedelte junge Menschen so besonders hoch ist, aufproblematische Art und Weise Drogen zu konsumieren.Und ich möchte Ihnen - ebenfalls natürlich aus unserer Sicht - schildern, was wiran Ressourcen sehen, mit deren Nutzung die Betroffenen eine Überwindung derProbleme gelingen kann.Denn an diesen Möglichkeiteen orientieren wir unsere Hilfsangebote, die ichIhnen natürlich erläutern möchte, ich wage Standards ambulanterDrogenhilfeangebote für Spätausgesiedelte zu formulieren und ich berichte vonder konkreten Arbeit im Projekt.

2. allgemeine Standards ambulante Drogenhilfe

Die Aufgabe der Drogenberatung e.V. in Lippe ist die Hilfe für lippische Personenmit problematischem Drogenkosnum bei der Verbesserung ihrergesundheitlichen und sozialen Situation, die Beratung und Unterstützung ihrerAngehörigen und Familien sowie die allgemeine Suchtvorbeugung.Damit diese Aufgabe gelingen kann, ist eine Voraussetzung die Begegnuung mitder Klientel, d.h. sie muss wissen, dass es uns gibt, eine allgemeine Vorstellunghaben, dass es hilfreich sein könnte, uns aufzusuchen und uns auch erreichenkönnen.

Soll ein hilfreicher Kontakt zustande kommen, ist wiederum die gegenseitigeAkzeptanz notwendig, sonst kann es nicht zu einem vertrauensvollenpersönlichen Umgang kommen, der aber zur Hifestellung (und -annahme) indierser sehr persönlichen Notlage unbedingt wichtig ist.Also arbeiten wir Beziehungsorientiert und achten dabei darauf, die einzelnenKlienten mit ihren Wünschen und Vorstellungen zu respektieren und ihnen alsAutonome auch ihre Entscheidung zu lassen. Früher sagte ich - pragmatischorientiert: „Man kann keinen Dackel zur Jagd tragen“. Heute denke ichaußerdem: Wie soll jemand autonom werden (Autonomie als Gegenteil zuAbhängigkeit ist das Ziel unserer Arbeit), wenn jemand anderer als er selbstEntscheidungen für ihn trifft - So kann er nicht lernen Verantwortung für sichselbst zu übernehmen. Hier entsprechen sich zum Beispiel Mittel und Zweck -oder Weg und Ziel unserer Arbeit.Damit unsere Maßnahmen als hilfreich erkannt werden, müssen sie zum einenvon den Eingangsbedingungen her den Vorstellungen der Klientel entsprechen.Außerdem müssen wir ihre Wirksamkeit nach Durchlaufen überprüfen. Zudemmüssen es Angebote sein, die wiedereum von Form und Inhalt unserem Auftragentsprechen, also Wachstumsangebote entsprechend dem Niveau der Klientelzu Verbesserung der sozialer und gesundheitlichen Situation führen.Da wir eine Drehscheibe im Drogenhilfesystem sind und sehr nahe an derKlientel diese vermitteln (ohne sie deswegen loswerden zu wollen), ist es auchunsere Aufgabe, weiche Übergänge in Maßnahmen anderer Anbieter zuschaffen und unsere Angebote mit denen dieser Kooperationspartner

gegenseitig anzupassen. Vernetzung läuft über gemeinsame Praxis mit Klientenund Klientinnen, nicht über Gremienarbeit von Geschäftsführern. Letztere ist nurVoraussetzung. Unter Vernetzung verstehe ich ein aktives Verweben in derkonkreten Zusammenarbeit. Dafür müssen Wege zueinander und gemeinsamzurückgelegt werden, die eine neue gemeinsame Qualität der Arbeit schaffen.(Tschelnok (das Weberschiffchen) als Symbol der Funktion der Seidenstraße)Diese Aussagen können Sie in ähnlicher Formulierung in unserem erstenJahresbericht (1994) nachlesen und sie entsprechen der Einstellung derDrogenberatung e.V. seit 1971.

3. Statisitik Aussiedler 1997 - 2000

Die Drogenberatung e.V. in Lippe hat seit ihrem Bestehen 1994 Kontakt zuSpätausgesiedelten, diese einzelnen Kontakte waren 1997 erstmals statistischauffällig. Auffällig war aber nicht nur die Statistik, sondern vor allem diePersonen, die sich anders verhielten als die hier geborenen Klientinnen undKlienten. Sie setzten sich im Kreis auf die Straße vor der Beratungsstelle,nahmen unser kleines Bistro nicht als gemütliches Cafe, sondern als schnellenDurchlauftreffpunkt, sagten nicht Guten Tag und siezten uns, auch wenn wir unslängst auf Du geeinigt hatten. Und alle wollten von uns Remedacen, dann wärealles in Ordnung. Wir waren erstaunt, wir waren manchmal ratlos, manchmalsauer und manchmal fanden wir das alles nur lustig.Ich betone diese Ihnen allen wahrscheinlich bekannten Umstände, um deutlichzu machen, dass nicht nur die Spätausgesiedelten mit Drogenkonsum nichtwussten, was Sie mit uns machen sollten, sondern auch unsere Einstellung undStruktur nicht zum Hilfebedarf passte. Wir haben uns - und daher habe ich sie vorher genannt - auf die Grundlagenunserer Arbeit besonnen und einen Prozess begonnen: wir haben versucht eineBrücke zu bauen. Unsere Ziele waren: Erreichbarkeit herstellen, Kontaktherstellen, akzeptierende Beziehungen herstellen. Wir sind auf die Personenzugegangen, haben Guten Tag gesagt, sie zu uns herein gebeten und sieangefangen auszufragen. Wir haben sie gefragt, was sie gerne hätten, habengesagt, dass wir ihnen gerne unsere Angebote vorstellen könnten, aber vor allemwaren wir interessiert, was mit ihnen los ist, wer sie sind. Dieses Interesse unddie Berichte der Kienten führten letztlich dazu, dass ich mich für das LandKirgistan zu begeistern begann und im Jahr 1999 einen sehr beeindruckendenund großartigen Urlaub dort verbrachte.In diesem Prozess haben unsere Schritte des Hingehens und die Maßnahmender Drogenhilfe ineinandergegriffen. Als wir wussten, dass diesespätausgesiedelten Klienten vor allem aus zwei Stadtteilen in Lippe zu unskamen haben wir uns entschieden, dort Kontaktstellen einzurichten undaufsuchende Sozialarbeit durchzuführen. Damit war unser Veränderungsprozessgleichzeitig eine höchst wirksame Metode der Drogenhilfe und eine Maßnahmezur Integration in das Gesundheitssystem war gleichzeitig eine Veränderung desGesundheitssystems. Ich werde darauf später zurückkommen, zunächst (wennich schon Ziele nenne), was ist passiert:Mit der Einrichtung der Kontaktstellen ging die Anzahl der kontaktiertenSpätausgesiedelten deutlich nach oben. Im Jahr 2000 machen sie fast die Hälfteder Klientel aus. Wir haben eine neue Klientel hinzugewonnen, die alte ist relativstabil geblieben. Damit sagen wir: das Ziel, in Kontakt zu kommen, haben wirerreicht

Ein weiteres Ziel war die Integration in das Suchthilfesystem, also die Zuführungin Maßnahmen der ambulanten und staionären Entzugs- undEntwöhnungsbehandlung und der Substitutionsbehandlung.

Mit den Vermittlungszahlen sind wir zufrieden, interessant sind dieverschiedenen Gewichte: Die Vermittlung in ambulante und stationäreEntzugsmaßnahmen wurde für Spätausgesiedelten überdurchschnitllichdurchgeführt, die in langfristige Substitutionsbehandlung unterdurchschnittlich.Etwas unterdurchscnitlichen Vermittlungszahlen in Entwöhnungsbehandlungsteht eine überdurchschnittliche Anzahl von erfolgreich abgeschlossenenEntwöhnungsbehandlungen gegenüber.

4. Gründe für Drogenkonsum: Risikofaktoren

An besonderen Risikofaktoren bemerken wir durch unseren Kontakt in derGruppe der Spätausgesiedelten folgendes, und Sie erlauben, wenn ich dabeietwas pauschaliere und überdeutlich zeichne:Bis zur frühen Jugend in ländlichen Regionen Zentralasiens aufgewachsen,oftmals in wohlsituierten Elternhaäusern mit berufstätigem Vater und Mutter,Großfamilien mit Landwirtschaft, bedeutet die Migration einen Bruch in einerPhase des Lebens, in der eigenständige Lebensprozesse beginnen. Es fehlthierfür nicht nur die Vorbereitung, gleichzeitig ist die Pubertät ein Alter desÜberschätzens. Die Eltern können ihre eigentliche Funktion des Regulierens oftnicht wahrnehmen, da sie selbst fremd sind und eigene Probleme lösen müssen.Außerdem werden sie von den Kindern nicht als Vorbilder gesehen, oftmalslernen die Jugendlichen schneller als die Eltern, orientieren sich an anderenVorbildern, z.B. älteren JugendliuchenGeringes Wissen zu Drogen und Drogenhilfe: Zeitgemäßepersönlichkeitsorientierte Suchtprävention fehlt völlig, es fehlen häuf ig aucheinfachste Kenntnissse zu illegalen Drogen. Viele wissen nicht, dass Heroinsüchtig macht, viele wissen nicht einmal,d ass sie Heroin konsumieren. Damiteinher geht eine geringe Vorsicht gegenüber starken Wirkungen und hohenDosen, eine hohe Risikobereitschaft, nicht zuletzt eingeübt über den gewohntenKonsum starker Alkoholika. Entsprechend fehlen Kenntnisse über das Drogenhilfesystem und bestehende

Vorstellungen (von eher totalitären Einrichtungen) sind kontraproduktiv. DieKultur der Befindlichkeitsdiskussion und persönlichkeitsorientierten Hilfe ist völligfremd und unverständlich.Entsprechend werden Heilungsprozesse gerne deleigiert, am liebsten an Ärzteund verbunden mit Einnahme von Medikamenten. Die Eigenverantwortlichkeit fürHeilung, gerade bei Sucht in der hieisgen Gesundheitskultur ein zentralesMoment, ist wenig bekannt.Mangelnde deutsche Sprachkenntnisse und Sprechübung undunterdurchschnittliche schulische und berufliche Ausbildung gehen vielfacheinher mit Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit.Die migrationsbedingte Cliquenbildung mit anderen Spätaussiedlerinnen undSpätaussiedlern vervielfacht diese Risikofaktoren. Es ist besonders schwer, ineinem Milieu mit vielfachem - und damit üblichem Drogenkonsum abstinent zuleben.Die besonders hohe Diskrepanz zwiswchen den tradiertenEntwicklungsvorstellungen für Mädchen und junge Frauen zur westlichen Kulturheranwachssender Frauen kann zu hochriskanten Lösungsstrategien undAusbruchsversuchen zum Beispiel über Drogenkonsum führen.

5. Ansätze der Behandlung - Resssourcen

tellen wir diesem Blick auf Risiken und aus unserer Sicht betrachtete Mängel diebesonderen Fähigkeiten junger Spätausgesiedelter entgegen, wie wir siekennengelernt haben. Hier muss ich wieder um Erlaubnis zum pauschalen Blickbitten, es gilt natürlich auch hier immer, dass ein genauerer individueller Blick für

eine angemessene Behandlung unabdingbar ist:Wenn ein Kontakt hergestellt ist, verstehen unsere spätausgesiedelten Klientendiesen sehr persönlich, sie sind sehr bemüht, ihn zu halten, zeigen sehr vielAchtung und Ernsthaftigkeit in der Auseinandersetzung, bemühen sich umVerbindlichkeit. Auch lange nach Behandlungen halten sie Kontakt. sie bringenbeste Voraussetzugne für eine Beziehungsorientierte Soziale Arbeit mit.Die Familienstrukturen sind im Vergleich zu hier geborenen Personen in usnererKlientel in der Regel besser, die Familie zeigt einen hohen Zusammenhalt und istum Hilfe bemüht. Auch wenn die Eltern, Ehepartner oder Geschwister oftmalszunächst sehr hilflos und ratlos sind, ist dieses soziale System eine sehr starkeRessource, wenn es entsprechend gestützt (qualifiziert) werden kann.Ähnliches gilt für die Bereitschaft zur Arbeit, die in der Regel sehr hoch ist, auchbei Schichtarbeit und schlechter Bezahlung. Damit erschließt sich mit derAufnahme von Ausbildungen oder auch ungelernten Tätigkeiten eineTagesstruktur, wir wissen schon lange, dass dies ein Schlüssel bei derÜberwindung von Suchterkrankungen ist. Wir beobachten eine gewisse "Härte gegen sich selbst", die Klientel derSpätausgesiedelten zeigt sich vielfach unempfindlich gegen widrige Umstände.So wie dies ein Risikofaktor ist (starker Konsum, Straffälligkeit, Gewalt), so istdies auch eine Ressource auf dem sehr schwierigen Weg eines Entzuges.Der Wunsch nach Veränderung ist entsprechend vergleichsweise radikal.Spätausgesiedelte kommen schneller nach Beginn einer Drogenabhängigkeit inBehandlung und sie wollen schneller einen Erfolg sehen. (34% der in derWesrtfdälischen klinik Warstein behandelnden Aussiedler hatten 1999 wenigerals ein Jahr Heroin konsumiert, aber nur 18% der in Deutschland geborenenPatienten.) Circa 80% der Klienten des Projektes Soforthilfe in Detmold sindAussiedlerEine nicht gering zu schätzende Ressource der spätausgesiedelten Klientel istihre Jugend. Sie konsumieren jung, kommen früh in Behandlung und haben nochvielfache Lebenschancen nach dieser.Es nimmt also nicht wunder, dass die Behandlungserfolge in der Klientel derspätausgesiedelten häufig leichter scheinen als bei den hier geboreneneKlientinnen und Klienten. Wenn wir die behandlungsbedürft igeDrogenabhängigkeit auf eineSozialaistatonsstörung zurückführen, dann ist dieserZusammenhang eventuell auch leichter behandlebar als einePersönlichkeitsstörung mit frühkindllichen Ursachen, wie wir sie häufig in unsererhier geborenene Klientel im kausalen Zusammenhang mit der Suchtproblematikbeobachten. Aber auch hier gilt: Vorsicht vor zu leichten Pauschalierungen.

6. Standards ambulanter Drogenhilfe undKooperationsstrukturen mit stationärer Drogenhilfe undMigrationssozia larbeit

Die Drogenberatung e.V. hat für diese Zielgruppe kein grundlegend neuesKonzept entwickelt, sondern im wesentlichen die allgemeinen Prinzipien derArbeit auch auf diesen Bereich übertragen und dabei neue methodische Ansätzeevaluiert.Aus den Erfahrungen der letzten Jahre haben wir folgende Standards zurGestaltung des ambulanten Hiifesystems entwickllt

• • Da die Spätausgesiedelten das Drogenhilfesystem nicht kennen, mussdieses auf sie zugehen und sich vorstellen. Ambulante Suchtkrankenhilfe mitSpätausgesiedelten muss sich mit Straßensozialarbeit, Kontakten zuSchlüsselpersonen und Beratung vor Ort bekannt machen.

• • Ressourcenorientierte Sozialarbeit bedeutet hohe Beziehungsorientierungund Kontaktbereitschaft, Neugier und Interesse an den Menschen wie siesind mit ihren biografischen Erfahrungen, also auch mit Interesse an ihrer(anderen) Kultur. Es ist die Aufgabe der Sozialarbeit, die Ressourcen zuwürdigen und die Hilfsangebote entsprechend diesen zu konzipieren.

• • Angesichts der in der Regel sehr jungen Klientel und ihrer vorhandenenengen Famiiienstrukturen ist die Einbeziehung der Eltern (oft auch

Ehepartner) sehr hilfreich und außerdem notwendig, da diese in derbestehenden Situation mit drogenkonnsumierenden Angehörigen sehr hilflossind und selbst Rat und Unterstützung benötigen.

• • Bei bestehenden Sprachschwierigkeiten ist muttersprachliche Beratung sehr

hilfreich. Das Sprachproblem ist auch ein Sprachkulturproblem, die Beratungdurch im gleichen Kulturraum geborene Personen schafft Vertrauen,Verstehen und Verständnis. Wir beobachten dies insbesondere beiAngehörigen.

• • Die Situation drogenkonsumierender Frauen ist angesichts tradierter

Geschlechterroilen besonders durch Rollenkonflikte undAuseinandersetzungen in der Familie gekennzeichnet. Fürdrogenkonsumierende Aussiedlerinnen sind Sozialarbeiterinnen geeignetereKontaktpersonen.

• Für die Jugendliche Klientei ist die Zusammenarbeit mit Jugendhilfe und

Bildungsträgern unabdingbar, soziale Reintegration ist ohne dieseKooperation schwierig möglich, mit entsprechenden Angeboten oftmalsüberraschend leicht.

• Besondere Klienten/-innen benötigen besondere Maßnahmen. Die

ambulanten Angebote sind zu überprüfen und eventuell zu ergänzen: nachder Erfahrung der Drogenberatung e.V. werden zum BeispielSoforthilfemaßnahmen besonders gerne von spätausgesiedeltenDrogenabhängigen in Anspruch genommen. Es ist auch Aufgabe derambulanten Drogenhilfe - die den Bedarf als erste sieht - im Dialog diesen indie weiteren Angebote hinein zu kommunizieren und bei der Gestaltunghilfreicher stationärer Angebote zu unterstützen. Dabei kommt der Gestaltungder Schnittstellen und Übergänge besondere Bedeutung zu.

• Neben einer strukturellen Kooperation ist die beziehungsorientierte

Sozialarbeit auch im Übergang zu anderen Angeboten für die Zielgruppebesonders wichtig. Bei vielfach fehlenden Kenntnissen über die stationärenAngebote bis hin zu völlig abwegigen Vorstellungen ist es besonders wichtig,die Klienten/-innen intensiv vorzubereiten und in die Maßnahme (weg von zuHause) zu begleiten. Dies muss nicht persönlich erfolgen, es wirkt sichbereits sehr positiv für die weitere Entwicklung der Klientinnen und Klientenaus, wenn von den Sozialarbeitern/-innen der Drogenberatung ein Kontaktzumindest telefonisch und brieflich während der Entzugsbehandlung oderEntwöhnung gehalten wird. Besondere Medien zur Therapievorbereitung(Video über die Einrichtung) und ein Kontakt im Vorfeld über einVorstellungsgespräch sind ebenfalls wichtig für die Entwicklung realistischerVorstellungen zu stationären Maßnahmen.

• In der ambulanten Arbeit tauchen vielfältige Probleme jenseits der

Suchtproblematik auf. Die enge Vernetzung mit anderen Beratungsstellenund insbesondre der Migrationsberatung und Migrationssozialarbeit istunabdingbar.

• Angesichts der in den Herkunftsländern nicht stattgefundenen Prävention und

des technisch-medizinischen Suchtverständnisses ist eine intensiveflächendeckende Suchtprävention bei heranwachsenden Spätausgesiedeltendringend erforderlich. Dabei sind die sprachorientierten Methoden (aus derüblichen Arbeit mit einheimischen Jugendlichen) wenig geeignet.Kreativtechniken und Bewegungs- oder Körperübungen sind dagegenhervorragende Methoden in der persönlichkeitsorientierten Prävention, DieInformation und Schulung der Multiplikatoren ist dabei selbstverständlicherBestandteil. Diese Schulung des Gesundheitsverständnisses muss auch zurSuchtprävention verwandte Themen aufgreifen, etwa die Hepatitis und AIDS -Prävention .

7. Das Integrationsprojekt der Drogenberatung e.V. in Lippe

Nach diesen vielen Erläuterungen ist die Praxis schnell berichtet:Ein Mitarbeiter und (optimal) eine Mitarbeiterin sind gemeinsam in einemStadtteil in einer Kontakt- oder Anlaufstelle zu festen Sprechzeiten mehrmals dieWoche erreichbar. Damit das alle potentiellen Kunden wissen und die Kollegenals Personen bekannt sind, ist aufsuchende Sozialarbeit das wesentlicheseElement. Diese findet auf der Straße statt, aber auch bei Kooperationspartnernwie dem Jugendzentrum oder dem Haus der Kirche. Aber Beratung zuDrogenfragen kann man nicht auf der Straße oder irgendwo machen, dazubraucht es ein Rückzugsraum - und ein Büro, denn da muss auch viel Bürokratiebewegt werden. Manchmal ist es auch sinnvoll, sich an einem anderen Ort als ander allen bekannten Stelle mit Ratsuchenden zu treffen, wegen der gewünschtenAnonymität. Ein weitereres Medium, um sich bekannt zu machen, ist offene Jugendarbeit,zum Beispiel monatliche Streetballturniere. Erstens passiert dann im Stadtteilabends etwas, es macht Spaß Basketball zu spielen, vor allem, wenn es umetwas geht. Es ist aber auch ein Treffpunkt für die Nicht-Spieler, die Zuschauermit der Wodkaflasche sind öfters hier eher die Zielgruppe für den Sozialarbeiter

gewesen als die sportiven Jugendlichen. Ein besonderes Medium für Suchtprävention ist Sport m.E. nicht. Nicht dass ichetwas gegen Sportangebote hätte, ich habe selbst Sport studiert und in meinerArbeit immer gerne Sportangebote eingesetzt. Ich halte ein Streetballturnier abernicht für besonders spezifisches Mittel der Suchtprävention.Wir haben die vergangenen beiden Jahre neben Streetball auch etwas anderesversucht: Bewegungstheater. Mit 50 Jugendlichen aus Beschäftigungsprojjektendes Stadteiles haben 7 Künstler und Künstlerinnen des ALARM!THEATERSBielefeld Szenarien entwickelt, die sich nicht aus einem Drehbuch entwickelten,sondern aus dem, was die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an (teilsunbewußten) Fertigkeiten mitbrachten. Auf die Frage was sie könnten kamzunächst wenig, dann zum Beispiel der Hinweis, mehr als sich Prügeln könntensie nicht. Aus diesem "Ansatz" wuchs dann im Laufe der Woche eineakrobatische Szene einer Schlägerei für das Theaterstück; und analogentstanden Szenen mit Feuer, mit Tanz, mit Trommeln, Masken usw. Ein wesentlicher Bestandteil ist mittlerweile die Familienarbeit, zum Teil alseigenes Angebot der Kontaktstelle, zum Teil in Zusammenarbeit mit derAngehörigengruppe der Drogenberatungsstelle, zum Teil aber auch mit anderenInstituionen im Stadtteil, die besonderen Kontakt zu den Müttern der Klientenhaben. Wirkungsvolle Instrumente zur vertrauensvollen Kontaktaufnahme sinddie russiche Sprache und das Kulturverständnis. Die Sozialarbeiterin derDrogenberatung, die selbst Aussiedlerin ist, übernimmt dabei dieSchlüsselfunktion. Die Kontaktstelle übernimmt nicht alle Arbeiten einer Drogenberatungsstele, siehat die Funktion Klienten zu suchen, aufzunehmen und im alltag zu begeleiten.Die Clearingsstelle Substitution, die Fachprävention, die JVA-Arbeit, derSchwerpunkt berufliche Integration, die Soforthilfe, diese Angebote derDrogenberatung werden nicht dupliziert, sondern die Mitarbeiterin derKontaktstelle vermittelt in diese und begleitet die Klienten eventuell dorthin. Die Kontaktstelle übernimmt so nicht nur die Brücken- und Integrtionsfunktion fürdie Klientinnen und Klienten zur Drogenberatungsstelle und ins gesamteDrogenhilfesystem, sie verbindet auch Institutionen. Es entsteht ein gangbarerWeg von den Kooperationspartnern vor Ort (z.B. aus der Jugendarbeit) bis hinzuden Kooperationspartnern des Fachdienstes (wie speziellen Entzugs- undEntwöhnungsbehandlungen) - und auch wieder zurück in die ambulanteNachsorgegruppe vor Ort.Über diese zielgruppenorientierte Verbindungen hinaus sind durch die engeZusammenarbeit auch weitere Kooperationseffekte erreicht worden: ZumBeispiel gibt es in Blomberg auch ein sehr lebendiges Präventionsnetzwerk unddie Stadt ist eine Schwerpunktregion für die Arbeit der Fachpräventionsstelle.Dazu hat die jahrelange intensive Zusammenarbeit wesentlich beigetragen.Netzwerk bedeutet hier nicht, die Arbeit an andere Kompetente weiterzugeben,sondern gemeinsam bessere Ergebnisse zu erzielen als in der Summe einzelner

Tätigkeiten.

8. SchlußIntegration erleben wir als einen gemeinsamen Prozess, der Veränderungensowohl bei den Personen bedeutet, die einwandern, als auch bei deraufnehmenden Gesellschaft. Das Drogenhilfesystem ist durch die besondereNachfrage zu Veränderungen angeregt, die auch dazu zwingen, das Ziel derArbeit und die verwendeteten Methoden allgemein zu überprüfen. Daraus hatsich in unserem Fall aus meiner Sicht eine positive Fortentwicklung ergeben. DasAngebot der Drogenberatung e.V. in Lippe hat sich dank der besonderenAnforderungen der Klientel der Spätausgesiedelten in den letzten drei Jahrenausdifferenziert und verbessert.