Mikrogalvanische Korrosion am Magnesium-Aluminium System - Detaillierte elektrochemische Einblicke...

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Kurzmitteilung Mikrogalvanische Korrosion am Magnesium- Aluminium System – Detaillierte elektrochemische Einblicke mittels FEM-Simulationen Daniel Höche* und Jonas Isakovic DOI: 10.1002/cite.201300033 Die Untersuchungen zeigen, wie galvanische Korrosion am Modellsystem Mg-Al auf mikroskopischer Ebene abläuft. Die benötigten Randbedingungen werden zum einen durch die Oberflächenmorphologie der binären Magnesiumslegierung (Mg-9Al) und zum anderen durch die elektrochemische Kinetik der jeweiligen metallischen Phase bestimmt. Zur Model- lierung werden Querschliffe in eine Modellgeometrie überführt. Die Simulationen zeigen, wie sich u. a. die Leitfähigkeit des Elektrolyten auf den Korrosionsprozess auswirken. Die sich bietenden Möglichkeiten können zukünftig helfen, Legie- rungen am PC maßzuschneidern und liefern Impulse für simulationsbasierte Korrosionsschutzkonzepte. Schlagwörter: Finite Elemente, Freie Oberfläche, Mikrogalvanische Zelle, Werkstoffleichtbau Eingegangen: 27. Februar 2013; revidiert: 17. Juni 2013; akzeptiert: 30. August 2013 Microgalvanic Corrosion of the Magnesium-Aluminum System – Detailed Electrochemical Insights by FEM Simulations The investigations give an insight into micro-galvanic corrosion processes at the model system Mg-Al. Required boundary conditions are determined by the surface morphology of the binary Mg-9Al alloy, and by electrochemical kinetics of the different metallic phases. In order to model the problem micrographs of casted alloys were transformed into a model geo- metry. The computations show how e. g., the conductivity of the electrolyte determines the corrosion process. The arising possibilities of the modeling support the development of alloys with respect to their corrosion properties by simulations. Thus, the work provides impulses for the innovative topic of simulation based corrosion protection. Keywords: Finite elements, Free surface, Microgalvanic cell, Material lightweight construction 1 Einführung Magnesiumlegierungen und speziell die aluminiumhalti- gen A-Systeme sind für ihre Eigenschaften weithin bekannt und deshalb besonders attraktiv für die Automobilindustrie [1 – 3]. Ihre Anwendung ist jedoch durch die minderen Kor- rosionseigenschaften begrenzt. Man kann im Prinzip zwei Hauptgründe definieren: Zum einen die galvanische Korro- sion, die durch Kontakt zu edleren Metallen, metallischen Sekundärphasen oder Verunreinigungen verursacht wird und zum anderen der sich bildende quasipassive Hydroxid- Film in wässriger Umgebung, der weniger stabil ist als auf Metallen wie Aluminium oder auf Edelstählen [4]. Diese Quasipassivität ist zudem auch der Grund für die schlechte Lochfraßbeständigkeit [5]. Bereits die ersten entwickelten Mg-Legierungen erlagen schnell korrosivem Angriff, haupt- sächlich verursacht durch Verunreinigungen, vornehmlich Eisen, Nickel und Kupfer. Diese Elemente und Verbindun- gen treten als winzige Kathoden in einer korrosiven Umge- bung auf und bilden eine Art Mikrozelle in einer umgeben- den Magnesium-Matrix [6]. Von der Gefügeentstehung her gesehen passiert genau das, wenn Sekundärphasen als me- tallische Ausscheidungen entstehen. Sie bilden kathodisch wirkende Mikrozellen. Ein stochastisch verteiltes Netzwerk solcher Mikrozellen ergibt sich aus der Erstarrung in Abhängigkeit des Herstel- Chemie Ingenieur Technik Chemie Ingenieur Technik 2013, 85, No. 12, 1951–1956 © 2013 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.cit-journal.com Daniel Höche ([email protected]), Jonas Isakovic, Helmholtz- Zentrum Geesthacht, Abteilung Korrosion und Oberflächentech- nik, Max-Planck-Straße 1, 21502 Geesthacht, Deutschland. Mikrogalvanische Zelle 1951

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Kurzmitteilung

Mikrogalvanische Korrosion am Magnesium-Aluminium System – Detaillierte elektrochemischeEinblicke mittels FEM-SimulationenDaniel Höche* und Jonas Isakovic

DOI: 10.1002/cite.201300033

Die Untersuchungen zeigen, wie galvanische Korrosion am Modellsystem Mg-Al auf mikroskopischer Ebene abläuft. Die

benötigten Randbedingungen werden zum einen durch die Oberflächenmorphologie der binären Magnesiumslegierung

(Mg-9Al) und zum anderen durch die elektrochemische Kinetik der jeweiligen metallischen Phase bestimmt. Zur Model-

lierung werden Querschliffe in eine Modellgeometrie überführt. Die Simulationen zeigen, wie sich u. a. die Leitfähigkeit

des Elektrolyten auf den Korrosionsprozess auswirken. Die sich bietenden Möglichkeiten können zukünftig helfen, Legie-

rungen am PC maßzuschneidern und liefern Impulse für simulationsbasierte Korrosionsschutzkonzepte.

Schlagwörter: Finite Elemente, Freie Oberfläche, Mikrogalvanische Zelle, Werkstoffleichtbau

Eingegangen: 27. Februar 2013; revidiert: 17. Juni 2013; akzeptiert: 30. August 2013

Microgalvanic Corrosion of the Magnesium-Aluminum System – Detailed ElectrochemicalInsights by FEM Simulations

The investigations give an insight into micro-galvanic corrosion processes at the model system Mg-Al. Required boundary

conditions are determined by the surface morphology of the binary Mg-9Al alloy, and by electrochemical kinetics of the

different metallic phases. In order to model the problem micrographs of casted alloys were transformed into a model geo-

metry. The computations show how e. g., the conductivity of the electrolyte determines the corrosion process. The arising

possibilities of the modeling support the development of alloys with respect to their corrosion properties by simulations.

Thus, the work provides impulses for the innovative topic of simulation based corrosion protection.

Keywords: Finite elements, Free surface, Microgalvanic cell, Material lightweight construction

1 Einführung

Magnesiumlegierungen und speziell die aluminiumhalti-gen A-Systeme sind für ihre Eigenschaften weithin bekanntund deshalb besonders attraktiv für die Automobilindustrie[1 – 3]. Ihre Anwendung ist jedoch durch die minderen Kor-rosionseigenschaften begrenzt. Man kann im Prinzip zweiHauptgründe definieren: Zum einen die galvanische Korro-sion, die durch Kontakt zu edleren Metallen, metallischenSekundärphasen oder Verunreinigungen verursacht wird

und zum anderen der sich bildende quasipassive Hydroxid-Film in wässriger Umgebung, der weniger stabil ist als aufMetallen wie Aluminium oder auf Edelstählen [4]. DieseQuasipassivität ist zudem auch der Grund für die schlechteLochfraßbeständigkeit [5]. Bereits die ersten entwickeltenMg-Legierungen erlagen schnell korrosivem Angriff, haupt-sächlich verursacht durch Verunreinigungen, vornehmlichEisen, Nickel und Kupfer. Diese Elemente und Verbindun-gen treten als winzige Kathoden in einer korrosiven Umge-bung auf und bilden eine Art Mikrozelle in einer umgeben-den Magnesium-Matrix [6]. Von der Gefügeentstehung hergesehen passiert genau das, wenn Sekundärphasen als me-tallische Ausscheidungen entstehen. Sie bilden kathodischwirkende Mikrozellen.

Ein stochastisch verteiltes Netzwerk solcher Mikrozellenergibt sich aus der Erstarrung in Abhängigkeit des Herstel-

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Chemie Ingenieur Technik 2013, 85, No. 12, 1951–1956 © 2013 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.cit-journal.com

–Daniel Höche ([email protected]), Jonas Isakovic, Helmholtz-Zentrum Geesthacht, Abteilung Korrosion und Oberflächentech-nik, Max-Planck-Straße 1, 21502 Geesthacht, Deutschland.

Mikrogalvanische Zelle 1951

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lungsprozesses. Vom elektrochemischen Gesichtspunkt ausgesehen, bildet sich ein hochkomplexer elektrischer Strom-kreis für den eine quantitative Beschreibung noch nichtmöglich ist. Nach wie vor stellt die Handhabung von Korro-sion und der dazugehörigen Prozesse eine große Herausfor-derung dar, insbesondere für magnesiumbasierte Systeme.Der hier eingeführte Simulationsansatz liefert die passen-den Angriffspunkte. In der Literatur existieren bereits eini-ge Arbeiten von Desphande [7 – 9], Murer [10], Jia [11, 12]oder Lacroix [13] zur Modellierung galvanischer Korrosionder besagten Systeme. Aufbauend darauf soll im Folgendenam Beispiel des Binärsystems Mg-9Al gezeigt werden, wieanhand von FEM-Simulationen (Finite-Elemente-Methode,FEM) Korrosionsprävention sowie Materialdesign möglichist. Zur Materialmodifizierung und Eigenschafts- bzw. Gefü-geeinstellung werden unterschiedliche Abkühlbedingungenverwendet. Die Abkühlrate ist in diesem Fall der Regelschal-ter, der über die metallurgischen Stellgrößen (Abkühlumge-bung, Temperatur, Elementkonzentration etc.) bedient wird.Damit wird eine direkte Korrelation zwischen Herstellungs-parametern und Korrosionseigenschaften möglich, was einemathematisch basierte Modellierung erlaubt.

2 Simulation und Experiment

2.1 Experimentelles

Zur Herstellung der verschiedenen Gefügestrukturen wur-de 99,5 % reines Magnesium bzw. Aluminium abgewogenund aufgeschmolzen. Mittels Kokillenguss entstanden an-schließend Gussteile, aus denen die Proben extrahiert wer-den konnten. Die Abkühlgeschwindigkeit, bedingt durchdie äußere Kühlung (Wasser oder Ofenluft), wurde parallelmit einem Temperaturmesssystem innerhalb der Schmelzebestimmt. Um die elektrochemischen Eigenschaften derreinen metallischen Phasen zu mes-sen, wurden Polarisationskurven anreinem Mg (> 99,5 %) und an reinerb-Phase (Mg17Al12) aufgenommen.Die sehr spröde b-Probe wurde hier-für im Kokillenguss separat abgegos-sen.

Potenziodynamische Polarisationwurde in 0,5 %iger NaCl-Lösung(Start-pH = 6,5) durchgeführt. DieKorrosionszelle (333 mL) mit einem3-Elektroden-Setup bestand aus einerAg/AgCl-Referenzelektrode, einer Pt-Gegenelektrode und den Magnesium-proben als Arbeitselektrode. Die Elek-trolyttemperatur betrug 22 ± 0,4 °Cund es wurde kontinuierlich gerührt.

2.2 Modellierungsansatz

Die Simulationen wurden mit dem Battery and Fuel CellsModule in COMSOL 4.2a durchgeführt. Die dafür genutzteGeometrie wurde durch Vektorisierung von Querschliff-bildern an den metallografisch behandelten Mg-Al-Binär-systemen erstellt. Für die Randbedingungen wurden dieverschiedenen Areale der a-Matrix Magnesium und derb-Phase Mg17Al12 zugeordnet. Das darüber liegende Gebietdes Elektrolyten wurde mit einem freien Tetraedernetzkomplettiert (s. Abb. 1).

Für die Berechnung der Korrosionsstromverteilung istdie Laplace Gleichung zu lösen. Basierend auf den vereinfa-chenden Annahmen, dass keine Konvektion, Diffusion undKonzentrationsgradienten vorliegen, ergibt die Nernst-Gleichung zur Beschreibung des Elektrolyten die Laplace-Form DU = 0. Somit vereinfacht sich das Modell und folgen-de Gleichungen sind zu lösen:

∇jl�s � Ql�s und jl�s � �r � ∇Ul�s (1)

l, s indizieren jeweils den Elektrolyten bzw. die Elektrode,j beschreibt den Stromdichtevektor, U die Potenziale undr die effektive Leitfähigkeit. Der Quellterm Q für diesesProblem ist Null.

Die Elektrodenkinetik kann durch die Tafel-Beschreibung(Gl. (2)) dargestellt werden, da die Reaktionen ausreichendweit entfernt vom Ruhepotenzial, d. h. bei großen Über-spannungen, ablaufen. Die benötigten Simulationspara-meter werden durch Anpassungen an den experimentellbestimmten Graphen im Abschn. 3.1 generiert.

log i � log i0 �zaa�kF

2�303RTg → g � a�b log i (2)

z ist die Ladungszahl, F die Faraday-Konstante, T die Raum-temperatur, R die molare Gaskonstante, g beschreibt das

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Abbildung 1. Beispielgeometrie mit Tetraedernetz des Mg-9Al Systems (ca. 1,5 × 1,2 × 0,1 mm).Gekennzeichnete Areale entsprechen der b-Phase.

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Überpotenzial, i0 die Austauschstromdichte and aa,k denanodischen bzw. kathodischen Koeffizienten (Maß für denDurchtritt an der Grenzfläche). Für die Geradengleichunggilt a = –b(log i0) und b = ba = 2,303RT/zaaF (anodisch) bzw.b = bk = –2,303RT/zakF (kathodisch).

2.2.1 Freie Oberfläche

Um den Korrosionsabtrag zu visualisieren, wird das Glei-chungssystem auf bewegten Netzen gelöst. Der Geschwin-digkeitsvektor u der Oberflächendeformation wird durchdie Korrosionsrate bestimmt. Für das sich anodisch auf-lösende a-Magnesium ergibt sich aus dem FaradayschenGesetz:

ucorrosionn � MzFq

icurrent (3)

M ist die molare Masse (M = 23,98 g mol–1), z dieLadungszahl der gelösten Ionen (z= 2), F ist die Faraday-Konstante (F = 96 485,34 C mol–1) und q die Dichte(q = 1770 kg m–3) für die degradierende a-Phase, während nder Normalenvektor ist. Für die oberste Grenze z= 2 gilt:

ucorrosionn � 7�3 � 10�11icurrent �m s�1� (4)

Durch den negativen Differenzeneffekt (NDE) und die Pas-sivierung sinkt allerdings die effektive gemessene Ladung, sodass die Auflösungsgeschwindigkeit real immer niedrigersein wird. Zu diesem Punkt herrscht nach wie vor Uneinig-keit in der Literatur. Es existieren sowohl Betrachtungenmit monovalentem Magnesium [14] als auch ein Ansatz[15], der zeff < 2 mit bivalentem Magnesium erklärt. In die-ser Untersuchung wird der Betrag der effektiven Ladungder chemisch involvierten Ionen durch die semi-empirischeTafel-Betrachtung aus den Messungen übernommen.

Die Bewegung des Netzes (des KoordinatensystemsX = (X,Y,Z) wird nun mittels ALE-Methode (Arbitrary Lagran-ge Euler) berechnet. Dazu ist die folgende Gleichung paral-lel zu den Korrosionsberechnungen zu lösen:

ucorrosion � ∂X∂t

n (5)

Die Deformation der Oberfläche kann somit über denVektor DX = (x-X,y-Y,z-Z) abgebildet werden. Da dies durchdie Größe der finiten Elemente beeinflusst wird, sind dieSimulationen nur bis zu einem bestimmten Grad der Ver-formung sinnvoll. Für große Verformungen der Geometriemuss auf adaptives Neuvernetzen zurückgegriffen werden(hier nicht betrachtet).

3 Ergebnisse und Diskussion

3.1 Experimente als Simulationsbasis

Die im Kokillenguss metallurgisch hergestellten Testprobenzeigen das typische Ausscheidungsverhalten der b-Phaseunter verschiedenen Abkühlbedingungen. Probe A wurdeunter Ofenluft mit einer mittleren Rate von 0,1 K s–1 kon-trolliert abgekühlt, während bei der wassergekühlten ProbeB ein Wert von 10 K s–1 gemessen wurde. Die resultierendeKornfeinung sowie die veränderten dendritischen Erstar-rungsmorphologien sind in Abb. 2 dargestellt. Die hellenBereiche der primären a-Phase sind von der mit Al angerei-cherten a-Phase (Übergang fließend) und der in dieser ein-gebetteten b-Phase umschlossen. Für die im Ofen erstarrteProbe ist zusätzlich die eutektische a-Phase an der Grenz-fläche Ausscheidung/Matrix zu erwarten. Für die hierdurchgeführten Simulationen wird der gesamte a-Bereichelektrochemisch äquivalent betrachtet, da die kathodischeReaktion der b-Ausscheidungen den galvanischen Korro-sionsprozess dominiert. Für die jeweiligen Abkühlbedin-gungen wurde der mittlere Korndurchmesser der a-Phasezu ca. 160 lm (0,1 K s–1) bzw. 60 lm (10 K s–1) bestimmt.

Die Polarisationskurven der reinen Phasen sind in Abb. 3dargestellt. Vor den Messungen wurden zunächst die freienKorrosionspotenziale solange aufgenommen, bis sich einquasistatisches Ruhepotenzial von –1,77 V für reines Mgbzw. –1,16 V für die reine b-Phase ausbildete (Ref. Ag/AgCl).Die Herstellung dieser sehr spröden Phase stellte sehr gro-ße Anforderungen an die Probenpräparation. Es wird inFolge davon ausgegangen, dass die Probe die b-Phase elek-trochemisch adäquat abbildet. Relativ zu den Ruhepotenzia-len wurde polarisiert. Das typische Auflösungsverhalten desreinen Magnesiums in der 0,5 %igen NaCl-Lösung zeigte

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Abbildung 2. Gefüge zweierunterschiedlich abgekühlterMg-9Al-Binärsysteme (Abkühl-rate links 0,1 K s–1, rechts 10 K s–1)hergestellt im Kokillenguss.

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sowohl Wasserstoffentwicklung auf der kathodischen Seiteals auch den durch den negativen Differenzeneffekt be-schriebenen anodischen Wasserstoff. Die Alkalisierung derLösung wurde durch die Bildung der Hydroxidionen kine-tisch bestimmt. Die Summe aller Reaktionen resultierteletztendlich in einem anodischen Tafel-Anstieg von 288 mVbei einer Austauschstromdichte von 0,4 A m–2. Diese Grö-ßenordnung ist durchaus normal und Gegenstand aktuellerkontroverser Diskussionen [16, 17].

Das Korrosionsverhalten der b-Proben war wesentlich ru-higer. Vor den Messungen musste jedoch lange auf ein sta-biles Ruhepotenzial gewartet werden, da dem Verhaltennach Reste von a-Magnesium das elektrochemische Ver-halten bestimmten. Die kathodische Polarisation zeigt an-schließend einen relativ konstanten Tafel-Bereich miteinem Anstieg von –198 mV und einer Austauschstrom-dichte von 0,07 A m–2.

Die so ermittelten Kennwerte wurden nun auf die Simu-lationen projiziert, wobei die elektrochemischen Größen zuden jeweiligen mathematischen Randbedingungen entspre-

chend Butler-Volmer und der Tafel-Näherung formuliertwurden.

3.2 Modellierung und Simulation

Anhand von Simulationen wurde zunächst überprüft, wiedie Leitfähigkeit des Elektrolyten den galvanischen Korro-sionsprozess bestimmt. In Abb. 4 ist das sich einstellendeElektrolytpotenzial über einen Schnitt sowie die im Versuchvorliegende Stromdichte dargestellt. Für die hohe Leitfähig-keit erkennt man das sich einstellende mixed Potenzial, dassich aus den jeweiligen Ruhepotenzialen sowie den jewei-ligen Oberflächenanteilen entsprechend der Flächenregelergibt. Bei der niedrigen Leitfähigkeit sind Wechselwir-kungsreichweiten viel geringer. Hier ist die Degradation viellangsamer und sie tritt unter örtlichen Gesichtspunktenlokal verstärkt an den Korngrenzen auf. Für den Vergleichzum Experiment wird die Leitfähigkeit der verwendeten0,5 %igen NaCl-Lösung benötigt. Die Messung ergab einenmittleren Wert von 9,2 mS cm–1. Diese wird für die Simu-lationen und den zugehörigen Experimentvergleich alskonstant angenommen

Die weiteren Untersuchungen am Modell zeigen dasDegradationsverhalten. Dieses variiert lokal und ist haupt-sächlich abhängig von den galvanischen Wechselwirkungenzu den direkt umgebenden kathodischen Oberflächenarea-len der b-Phase. Aufgrund der Flächenregel, die die Strom-dichten zwischen Elektroden bestimmt, ist die lokale Korro-sionsrate für das schnell abgekühlte Legierungssystemhöher. Das bedeutet unter anwendungstechnischen Aspek-ten, dass dieses System schneller seinen durch Mg17Al12

bestimmten, stabilisierten elektrochemischen Zustand er-reicht. Dieser ist dann maßgeblich für das Langzeitkorro-sionsverhalten verantwortlich. Die folgenden Simulationengeben Einblicke in den Korrosionsprozess der experimentelldurchgeführten Versuche in 0,5 %iger NaCl-Lösung.

Modelle bedingen jedoch auch Fehler und getroffeneAnnahmen müssen kritisch diskutiert werden. Da drei-

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Abbildung 3. Potenziodynamische Polarisationkurven gemessenmit dem 3-Elektroden-Setup (Referenzelektrode Ag/AgCl) dereinzelnen metallischen Phasen mit den dazugehörigen Tafel-Betrachtungen.

Abbildung 4. Fallstudie: Einfluss der Leitfähigkeit auf die Korrosion. Stromdichteverteilung (links) für das experimentellbenutzte Setup sowie Elektrolytpotenzial (rechts) im Querschnitt über der Legierung für verschiedene Leitfähigkeiten.

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dimensionale Daten des Gefüges für die vollständige Be-rechnung nötig wären, lassen sich in diesem Zusammen-hang nur die initialen Korrosionsbedingungen simulativdarstellen, da der Oberflächenanteil an b-Phase im realenVersuch ansteigt (analog [9]). Des Weiteren sind nichtfara-daysche Reaktionen nicht integriert, so dass je nach Inten-sität der Korrosionsreaktion eine Veränderung der Strom-dichten abhängig von der Oberflächenbedeckung (hierMg(OH)2) auftritt. Die Abweichung bzw. Divergenz derSimulation von der Realität ist also direkt proportional zurIntensität der Reaktion – also auch zum NaCl-Gehalt – unddie Rechnung versagt dementsprechend früher (hier wirdvon ca. 50 h ausgegangen). Für moderate Bedingungen wiehier, wo das Ruhepotenzial über längere Zeit Konstanz er-reicht, bildet die Simulation das System adäquat ab. Sobaldjedoch Lochfraß und lokale Phänomena auftreten, versagtdas Modell.

Abb. 5 zeigt die Korrosionsstromdichte in z-Richtung, diesich ändernde Oberflächenmorphologie nach 50 Stundenund die nach einiger Zeit vollständig durch die b-Verteilungbestimmte Oberflächenstruktur (REM nach 200 h). Aus denRechnungen lassen sich auch die mittleren Korrosionsratenermitteln. Für die langsam abgekühlte Probe ergibt sich einWert von 7 mm a–1, während bei der anderen Probe16 mm a–1 berechnet wurde. Diese Werte gelten allerdingsnur für den Anfangszeitraum der Korrosion. In der Realitätsinkt die Korrosionsrate bereits nach wenigen Stunden unter1 mm a–1. Die Darstellung der Deformationen durch denALE-Ansatz impliziert ebenfalls Abweichungen, die durchNetzeffekte sichtbar werden. So ist eine Oberflächendeforma-tion auf der b-Phase vom Modell her nicht vorgesehen. Daaufgrund von Konvergenzproblemen (Aspektverhältnis) aberentsprechende Glättungsmethoden genutzt werden, wird eintheoretischer Wert ausgegeben. Zusammenfassend ergeben

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Abbildung 5. a), b) Korrosionsstromdichte in z-Richtung zu Beginn der Simulation; c), d) Deformation der Gefügestruktur durch den Korro-sionsprozess simuliert nach 50 h sowie e), f) real nach 200 h in 0,5 % NaCl-Lösung und einer Cr-VI-Reinigung zweier unterschiedlich abge-kühlter Mg-9Al-Binärsysteme (links 0,1 K s–1, rechts 10 K s–1) hergestellt im Kokillenguss.

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sich im Wesentlichen folgende Gründe für die Abweichungvom Modell:– bereits nach wenigen Stunden liegt nur noch b-Phase an

der Oberfläche vor,– die effektive Ladung zeff der Reaktion ist kleiner 2 (NDE),– die Elektrolyteigenschaften (pH-Wert, r) ändern sich

durch die Alkalisierung mit der Zeit, und– veränderte Oberflächeneigenschaften durch autoinduzier-

te Konversion bzw. Mg(OH)2-Bildung führen zu starkvariierender elektrochemischer Antwort des Systems.Perspektivisch wird, basierend auf den interdisziplinären

Wechselwirkungen, folgende Gleichung zu bestimmensein, um in Zukunft genauere Vorhersagen zum Korro-sionsverhalten treffen zu können:

g(t) = a(t) + b(t) log i(t) (6)

Es wird deutlich, dass für eine weitere Anpassung desModells im Wesentlichen zeitabhängige Funktionale elek-trochemischer Kenngrößen entwickelt werden müssen.Dazu sind weitreichende Experimente als auch statistischeUntersuchungen nötig, da die beeinflussenden Parameter(Oberflächenbeschaffenheit, Verunreinigungslevel, Gefüge-struktur, pH-Wert des Elektrolyten usw.) die Reproduzier-barkeit stark erschweren.

4 Zusammenfassung

Die vorgestellten Untersuchungen geben Einblicke in dasAnwendungspotenzial solcher Simulationen hinsichtlicheines korrosionsoptimierten Materialdesigns. Mittels realabgebildeter Werkstoffmorphologien lassen sich für denKorrosionsprozess bestimmende elektrochemische Größenschnell und direkt am Modell untersuchen. Durch Optimie-rung von Parametersätzen in verschiedenen numerischenRechnungen sind so direkte Aussagen zur Wichtung vonEinflussgrößen wie z. B. der Leitfähigkeit, der metallischenAusscheidungsdichte oder zukünftig auch des konvektivenFlussverhaltens möglich. Wie jedes Modell wird es durchseine Annahmen begrenzt. Die wichtigsten nächstenSchritte hin zur Modelloptimierung sind:– 3D-Gefügegeometrie (aus Synchrotron-Tomografie)– Implementierung autoinduzierter Schichtbildung– Vollständige Lösung der Nernst-Gleichung (mit Diffusion

und Konvektion)Dem immer wichtiger werdenden Feld der Prozessmodel-

lierung werden mit den vorgestellten Ansätzen Impulse imBereich Korrosion und Materialdesign gegeben. ZukünftigeKorrosionsschutzkonzepte werden darauf basieren.

Formelzeichen

F [C mol–1] Faraday-Konstante, 96 485,34i, j [A m–2] Stromdichte-(vektor)

M [g mol–1] molare Massen [–] NormalenvektorQ [A m–3] LadungsquelltermU [V] elektrisches Potenzialu [m s–1] Geschwindigkeitsvektor

(Korrosionsrate)X [m] Transformationsmatrix

Koordinatensystemz [–] Ladungszahl

Griechische Symbole

aa,k [–] anodischer bzw. kathodischerDurchtrittskoeffizient

ba,k [mV] anodischer bzw. kathodischerTafel-Anstieg

g [V] Überpotenzialq [kg cm–3] Dichter [S m–1] Leitfähigkeit

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