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Miller- und Atkinson-Zyklus am aufgeladenen Dieselmotor Aufgrund verschiedener Ladungswechselstrategien, die sich mit der Anwendung eines vollvariablen Ventiltriebs am Dieselmotor eröffnen, soll in diesem Beitrag auf das Verfahren der Einlassschluss- Verschiebung eingegangen werden. Dieses ist bei Verschiebung nach früh als Miller-Verfahren, bei Verschiebung nach spät als Atkinson-Verfahren bekannt. Beide Verfahren wurden am Institut für Ver- brennungskraftmaschinen und Thermodynamik der TU Graz im Rahmen des Forschungsprojekts „KNET-VKM der Zukunft“ untersucht. Dieses Projekt wird im Rahmen des Programms Industrielle Netzwerke und Kompetenzzentren von der österreichischen öffentlichen Hand gefördert. FORSCHUNG MTZ 06I2007 Jahrgang 68 480 Dieselmotoren

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Miller- und Atkinson-Zyklus am aufgeladenen DieselmotorAufgrund verschiedener Ladungswechselstrategien, die sich mit der Anwendung eines vollvariablen Ventil triebs am Dieselmotor eröffnen, soll in diesem Beitrag auf das Verfahren der Einlassschluss-Verschiebung eingegangen werden. Dieses ist bei Verschiebung nach früh als Miller-Verfahren, bei Verschiebung nach spät als Atkinson-Verfahren bekannt. Beide Verfahren wurden am Institut für Ver-brennungskraftmaschinen und Thermodynamik der TU Graz im Rahmen des Forschungsprojekts „KNET-VKM der Zukunft“ untersucht. Dieses Projekt wird im Rahmen des Programms Industrielle Netzwerke und Kompetenzzentren von der österreichischen öffentlichen Hand gefördert.

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1 Einleitung

Die Verschiebung des Einlassschlusses ist bei ottomotorischen Brennverfahren eine etablierte Technologie, die vereinzelt auch in Serie eingesetzt wird [1, 2]. Der vorliegen­de Beitrag behandelt demgegenüber die Ein­setzbarkeit an einem turboaufgeladenen Pkw­Dieselmotor, bei dem sich die Ziele und Auswirkungen von der ottomotorischen An­wendung teilweise unterscheiden.

Beim Miller­Zyklus und beim Atkinson­Zyklus handelt es sich um zwei prinzipiell eigenständige Verfahren, die eng miteinan­der verwandt sind. Ziel beider ist es, durch ein verringertes effektives Verdichtungsver­hältnis die Prozesstemperatur zu senken, was in der Regel niedrigeren NOx­Emissio­nen gleichzusetzen ist.

In den ersten beiden Kapiteln sollen die Verfahren zunächst idealisiert betrachtet werden, wobei Wandwärmeübergang und Strömungseffekte vernachlässigt werden [3].

Schließt man das Einlassventil im unte­ren Totpunkt, wird die maximale Luftmen­ge angesaugt, und die Kompression findet mit dem maximalen Verdichtungsverhält­nis statt. Schließt man das Einlassventil zu einem anderen Zeitpunkt, so sind die ange­saugte Luftmenge und das Verdichtungs­

verhältnis verringert. Dabei ist es gleichgül­tig, ob man den Einlassschluss nach früh oder spät verschiebt. Ausschlaggebend ist lediglich das Zylindervolumen zu Einlass­schluss, siehe pV­Diagramme, Bild 1. Im Fall von Atkinson wird ein Teil Ladungsmasse wieder ausgeschoben (2­3), im Fall von Mil­ler kommt es zu einer Expansion und Kom­pression (1­2­3). In Punkt 3 (Kompressions­takt) ist der Zustand im Zylinder in beiden Fällen der gleiche.

Da eine Abnahme der Ladungsmasse am Dieselmotor meistens nicht erwünscht ist, muss man das verringerte effektive Hubvo­lumen durch einen erhöhten Ladedruck ausgleichen, Bild 2. Die Erhöhung des Lade­drucks entspricht dabei quantitativ der Ver­ringerung der Zylinder­Kompression, womit die Anwendung von Miller oder Atkinson als Auslagerung von Verdichtung vom Zylin­der zum Lader gesehen werden kann.

2 Thermodynamik

Der Temperaturvorteil des abgesenkten Verdichtungsverhältnisses ginge durch den erhöhten Ladedruck wieder verloren, da die Verdichtung im externen Lader die Tem­peratur natürlich ebenfalls erhöht. Dies

Die Autoren

Dipl.-Ing. Eberhard Schutting ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Verbrennungskraft-maschinen und Thermo-dynamik an der TU Graz.

Bild 1: pV-Diagramm von Miller- und Atkinson-ZyklusFigure 1: Pressure/Volume diagram of Miller and Atkinson cycle

Dipl.-Ing. Andreas Neureiter ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Verbrennungskraft-maschinen und Thermo-dynamik an der TU Graz.

Dipl.-Ing. Christian Fuchs ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Verbrennungskraft-maschinen und Thermo-dynamik an der TU Graz.

Dipl.-Ing. Thorolf Schatzberger ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Verbrennungskraft-maschinen und Thermo-dynamik an der TU Graz.

Dr. techn. Manfred Klell ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Verbrennungskraft-maschinen und Thermo-dynamik an der TU Graz.

Univ.-Prof. Dr. techn. Helmut Eichlseder ist Vorstand des Institutes für Verbrennungskraftma-schinen und Thermodyna-mik an der TU Graz.

Dipl.-Ing. Thomas Kammerdiener ist Projektleiter For-schung und Entwicklung bei der AVL List GmbH.

Bild 2: Veränderung im effektiven Hubvolumen, effektiven Verdichtungs-verhältnis und nötigem Ladedruck über Verschiebung des Einlass-schlussFigure 2: Changes in effective swept volume, effective compression ratio and required charging pressure versus shift of IVC

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umso mehr, als ein externer Lader immer einen schlechteren isentropen Wirkungs­grad aufweist als der Zylinder selbst. Es folgt, dass Miller und Atkinson nur dann einen Temperaturvorteil bringen können, wenn ein Ladeluftkühler verwendet wird. Man kann Miller und Atkinson also auch folgendermaßen charakterisieren: Die Kom­pression wird zwischen Lader und Zylinder

aufgeteilt, wodurch eine zwischengeschal­tete Kühlung möglich wird.

In Bild 3 sind die Zustandsänderungen eines konventionellen und eines Miller­/At­kinson­Zyklus („M/A“) im Ts­Diagramm zu sehen (Expansion und Kompression des Miller­Zyklus sind nicht dargestellt). Ausge­hend vom Umgebungsdruck p0 wird die Luft beim konventionellen Zyklus auf p1

und bei Miller/Atkinson auf den höheren Druck p1' verdichtet (0­1 und 0­1'). Dabei wird ein nicht idealer Kompressor ange­nommen. Der nachfolgenden (ideal isoba­ren) Abkühlung im Ladeluftkühler (1­2 und 1'­2') liegen gleiche Wirkungsgrade zugrun­de, durch die höhere Temperaturspreizung erreicht der Kühler bei M/A allerdings eine deutlich höhere Absenkung. Die nachfol­gende Kompression hebt den Druck auf p3 und p3'. Die Forderung nach konstanter Ladungsmasse ist dabei durch das gleiche spezifische Volumen v3 erfüllt. Deutlich zu erkennen ist der Temperaturvorteil von M/A bei Verdichtungsende.

Die erreichbare Temperaturabsenkung ist natürlich abhängig von Kompressor­ und Ladeluftkühlerwirkungsgrad. Ein Tem­peraturvorteil stellt sich nur dann ein, wenn der Ladeluftkühler in der Lage ist, die höhere Verdichteraustrittstemperatur aus­zugleichen. Ist dies erfüllt gilt: je höher die Wirkungsgrade, um so höher das Potenzial. In Bild 4 sieht man das erreichbare Tempe­raturabsenkungspotenzial über der Ver­schiebung des Einlassschlusses aufgetra­gen, links mit dem isentropen Kompressor­wirkungsgrad als Parameter, rechts mit La­deluftkühlerwirkungsgrad als Parameter.

Doch das Potenzial an Temperaturab­senkung von Miller und Atkinson wird nicht nur durch den Frischluftpfad be­stimmt, sondern im Fall der Verwendung von Abgasrückführung (AGR) auch durch diese. Wie oben erläutert, steht der tempe­raturabsenkenden Wirkung der verringer­ten effektiven Verdichtung die erhöhte La­detemperatur entgegen. Wenn der verdich­teten Frischluft rückgeführtes Abgas beige­mengt wird, ist die Ansaugtemperatur nur mehr zu einem Teil von der Ladelufttempe­ratur abhängig, zum anderen Teil von der Abgastemperatur. Dabei zeigt sich, dass der Anstieg der resultierenden Mischtempera­tur niedriger ist, als der Anstieg der Lade­lufttemperatur ohne AGR, Bild 5 (links). Es folgt, dass M/A mit AGR ein größeres Poten­zial haben, da der nachteilige Temperatu­ranstieg geringer ausfällt. In Bild 5 (rechts) kann man das theoretische Potenzial von M/A über Verschiebung des Einlassschlusses aufgetragen sehen, dabei ist die AGR­Rate als Parameter eingetragen.

3 Ladungswechsel

Vernachlässigt man, wie bei den bisherigen Betrachtungen, Wandwärmeübergang und Strömungseffekte, sind die Verfahren Miller und Atkinson in ihren Ergebnissen und Auswirkungen identisch. Am realen Motor

Bild 3: Ts-Diagramm eines idealisierten konventionellen Zyklus und idealisierten Miller/Atkinson ZyklusFigure 3: Ts-diagram of idealised conventional and idealised Miller/Atkinson cycle

Bild 4: Theoretisches Potenzial zur Absenkung der Verdichtungstemperatur über Verschiebung des EinlassschlussesFigure 4: Theoretical potential of temperature decrease versus shift of IVC

Bild 5: Miller/Atkinson und EGR: resultierende Ladelufttemperatur und erreichbares Temperaturabsenkungs-Potenzial über Verschiebung des EinlassschlussFigure 5: Miller/Atkinson and EGR: resulting charge temperature and capability of temperature decrease versus shift of IVC

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führen verschiedene Vorgänge dazu, dass sich diese Verfahren unterscheiden.

Einen großen Einfluss hat zweifellos die Saugrohrdynamik. Die Ladungsmasse kann stark variieren, je nach Druck im Einlasska­nal zu Einlassschluss. Die Saugrohrdyna­mik umfasst dabei Druckschwingungen, aber auch die Trägheit der Gassäule. Letzte­re bringt häufig einen Vorteil für das Atkin­son­Verfahren, während die Druckschwin­gungen unabhängig vom Verfahren sowohl günstig als auch ungünstig wirken können, je nach Betriebspunkt und Schließzeit­punkt.

Ein weiterer Unterschied entsteht durch die endliche Schließgeschwindigkeit des Ventils: Kurz vor dem nominellen Schließ­zeitpunkt – dem eigentlichen Auftreffen des Ventils am Sitz – steigt der Strömungs­widerstand bereits so stark an, dass der Durchfluss deutlich eingeschränkt wird. Das bedeutet, dass im Falle des frühen Ein­lassschlusses die Expansion noch früher beginnt, bei späten Einlassschlusses die Kompression aber weniger spät. Es folgt daraus, dass Miller etwas verstärkt wird, Atkinson jedoch abgeschwächt.

Die Berücksichtigung des Wärmeüber­gangs lässt weiters einen Nachteil für das Atkinson­Verfahren erkennen. Beim die­sem wird aufgeheizte Ladung in den Ein­lasskanal zurückgeschoben und dort vorge­lagert. Diese erhöht somit die Ansaugtem­peratur des folgenden Zyklus, was folglich den Effekt der Temperaturabsenkung ver­ringert. In Bild 6 ist die höhere Verdich­tungsendtemperatur bei gleichem Lade­druck zu sehen. Für ausgeprägte Einlass­schluss­Verschiebung wird das aufgeheizte Gas bis ins Saugrohr geschoben, wie an der ansteigenden Temperatur zu erkennen ist.

4 Gesamtsystem

Wie in Kapitel 2 erörtert, kann man die An­wendung von Miller oder Atkinson am auf­geladenen Dieselmotor als eine Art Teilung von Verdichtung zwischen Lader und Zylin­der sehen. Das Potenzial ist daher ganz maßgeblich vom Potenzial des Turboladers abhängig. Der Einlassschluss kann nur so lange verschoben werden, so lange eine Steigerung des Ladedrucks möglich ist. Die Limitierung kann dabei durch den Kom­pressor gegeben sein (Pumpgrenze, Dreh­zahl) oder durch die Turbine (VTG­Position). Eine Beurteilung von M/A kann auf jeden Fall ausschließlich durch eine Betrachtung des Gesamtsystems erfolgen.

Die Beurteilung der Anwendung an einem Pkw­Vollmotor wurde bei den vorlie­

genden Untersuchungen mit den Mitteln der eindimensionalen Strömungssimula­tion durchgeführt, die verwendete Software war BOOST/AVL. In dieser wird das gesamte Luftführungssystem in Form null­ und ein­dimensionaler Elemente abgebildet.

Der betrachtete Motor ist ein Fünfzylin­der­Pkw­Motor, der als Besonderheit ein zweistufiges Turboladersystem aufweist. Wie zuvor beschrieben, ist der Umfang ei­ner M/A­Anwendung hauptsächlich durch das Ladedruckpotenzial der Aufladegrup­pe beschränkt. Ein zweistufiges System ver­fügt, verglichen zur einstufigen Aufladung, über ein deutlich gesteigertes Potenzial, und stellt damit eine besonders günstige Voraussetzung für die Anwendung des Mil­ler­ oder Atkinson­Zyklus dar.

In Bild 7 sieht man die Simulationser­gebnisse einer Einlassschluss­Verschie­bung. Beim beispielhaft ausgewählten Lastpunkt handelt es sich um einen Punkt mit 2000/min und 12 bar IMEP, einem be­sonders emissionsrelevanten Punkt. Ausge­hend von Betriebsparametern, die einer üblichen Serienapplikation entsprechen, nämlich AGR = 15 % λ = 1,5 und ein Lade­druck von 800 mbarrel, wird der Einlass­schluss nach früh und spät verschoben. Um die Ladungszusammensetzung und AGR konstant zu halten, werden AGR­Ven­til und VTG­Position angepasst. Die Ergeb­nisse sind über Einlassschluss aufgetragen, 540° entspricht dem unteren Totpunkt und daher der konventionellen Steuerzeit mit maximalem Liefergrad (gilt nur für ideal trapezförmigen Ventilhub). Alle früheren Schließzeitpunkte entsprechen dem Miller­Zyklus, alle späteren dem At­kinson­Zyklus.

Mit dem verschobenen Einlassschluss ist zunächst der sinkende Luftaufwand zu erkennen. Um die Ladungsmasse konstant zu halten, wird durch Schließen der VTG der Ladedruck erhöht. Als Folge steigt die Ladetemperatur um maximal 15 K an. Trotz dieses Nachteils kann aufgrund der verrin­gerten Zylinderkompression die Tempera­tur zu Verdichtungsende um bis zu 38 K gesenkt werden.

Anders als im konventionellen Betrieb bleibt die Erhöhung des Ladedrucks an­fänglich fast ohne Auswirkung auf den spe­zifischen Verbrauch (ISFC). Grund dafür ist die sich wenig ändernde Abgastemperatur aufgrund des gleichbleibenden Massen­stroms. Erst die deutliche Verschlechterung des Hochdruck­Turbinenwirkungsgrads lässt den ISFC merklich ansteigen. Dieses Verhalten ist natürlich abhängig vom Last­punkt, konnte prinzipiell aber in allen un­

Bild 6: Unterschiede von Miller und Atkinson aufgrund des Vorlagerns von aufgeheizter FrischladungFigure 6: Differences between Miller and Atkinson due to accumulation of heated fresh charge in the intake port

Bild 7: Ergebnisse der Simulation einer Miller- und Atkinson-Anwendung am VollmotorFigure 7: Miller and Atkinson application; results of engine simulation

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tersuchten Punkten gesehen werden. Für Miller­ und Atkinson­Anwendung mit ge­ringer Einlassschluss­Verschiebung wurde außerdem häufig eine günstige Verschie­bung des Turbolader­Betriebspunkts beob­achtet.

Das vorrangige Ziel des Miller­ oder Atkinson­Zyklus ist allerdings nicht die Senkung der Spitzentemperatur, sondern die Senkung der Stickoxidemissionen. Die globale Brennraumtemperatur ist zwar ein wichtiger Faktor bei der Stickoxidbildung,

und wurde daher auch bei der Simulation als aussagekräftiges Ergebnis angesehen, zumindest für konstante Ladungsmasse und ­zusammensetzung, doch sind noch eine Reihe anderer Parameter zu berück­sichtigen, wie Gemischaufbereitung, loka­le O2­Konzentration oder lokale Flammen­temperatur. Da sich aus der Simulation keine absolut zuverlässigen Aussagen über die NOx­Bildung ableiten lassen, wurden parallel Messungen an einem Forschungs­motor durchgeführt.

5 Messung

Bei dem eingesetzten Forschungsmotor handelt es sich um einen Einzylindermo­tor in der Größe eines Pkw­Motors. Neben anderen Merkmalen verfügt dieser Motor insbesondere über einen frei konditionier­baren Ladungszustand und einen vollvari­ablen elektrohydraulischen Ventiltrieb [4].

Grundlage für die Messungen bildeten die vorab durchgeführten, oben beschrie­benen Simulationen. Die Einstellwerte für Ladedruck, Abgasgegendruck und insbe­sondere Ladelufttemperatur wurden direkt aus der Simulation des Vollmotors abgelei­tet. Dadurch wurde sichergestellt, dass Randbedingungen angenommen werden, die im praktischen Betrieb erreichbar sind. Die Übertragbarkeit dieser Randbedingun­gen konnte dabei durch einen Vergleich von Luftaufwand und spezifischem Ver­brauch nachgewiesen werden.

Die Messergebnisse für den in Kapitel 4 beschriebenen Lastpunkt sind in Bild 8 dar­gestellt. Diese sind über einem auf die Si­mulation bezogenen Einlassschluss aufge­tragen, was aufgrund des Unterschieds zwischen theoretischer und tatsächlicher Ventilhubkurve vorteilhaft ist.

Interessantestes Messergebnis ist zwei­fellos der Verlauf der Stickoxidemissionen. Hier konnte festgestellt werden, dass sich eine deutliche Reduktion einstellte. Ausge­hend von einem NOx­Niveau von 3,4 g/kWh konnte dieses auf minimal 2,4 g/kWh ge­senkt werden. Mit einem annähernd neu­tralen ISFC sind immerhin noch 2,5 g/kWh möglich. Das entspricht einer Reduktion von 25 %. Dabei konnte die höhere Redukti­on mit dem Miller­Verfahren erreicht wer­den. Rauch und Kohlenmonoxid bleiben näherungsweise konstant, bei den Kohlen­wasserstoffen konnte eine deutliche Verrin­gerung gemessen werden.

6 Simulation der Zylinderinnenströmung

Die Zylinderinnenströmung leistet einen wesentlichen Beitrag zur Funktion eines modernen Dieselbrennverfahrens. Ein Ein­fluss einer Miller­ oder Atkinson­Anwen­dung auf diese Zylinderinnenströmung muss berücksichtigt werden.

Um Aufschluss über die Einflüsse zu er­halten, wurden die Strömungsverhältnisse des Ansaugtakts mit den Mitteln der dreidi­mensionalen Strömungssimulation (CFD) untersucht. Basis dafür waren die oben er­wähnten Messungen am Forschungsmotor, aus denen auch die entsprechenden Rand­bedingungen abgeleitet wurden. Das Rechen­

Bild 9: Verteilung von turbulenter kinetischer Energie und Betrag der Geschwindigkeit im oberen Totpunkt – CFD-SimulationFigure 9: Distribution of turbulent kinetic energy and velocity in the TDC – CFD-Simulation

Bild 8: Miller- und Atkinson-Anwendung; Messergebnisse am ForschungsmotorFigure 8: Miller and Atkinson application; measurement results from research engine

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modell umfasste den gesamten Brennraum sowie die Ein­ und Auslasskanäle, jeweils bis zur Position der Niederdruckindizierung.

In Bild 9 sind die Ergebnisse der CFD­Si­mulation dargestellt, jeweils als Längs­schnitt durch den Brennraum und für den oberen Totpunkt (Zünd­OT). Zu sehen sind die Verteilung der turbulenten kinetischen Energie und die Verteilung des Betrags der örtlichen Geschwindigkeit. Eindeutig zu er­kennen ist, dass durch das Miller­Verfahren eine deutliche Verringerung beider Größen bewirkt wird. Durch das Atkinson­Verfahren kommt es hingegen zu keiner sichtbaren Änderung. Dieser Unterschied könnte unter anderem eine Erklärung für das in der Mes­sung beobachtete Emissionsverhalten sein.

7 Vergleich von Miller und AGR

Da die Verfahren Miller und Atkinson zum Ziel haben, die NOx­Emissionen zu senken, müssen sie sich an der gebräuchlichsten al­ler Methoden zur NOx­Verringerung messen, nämlich der externen Abgasrückführung.

Vergleicht man diese Verfahren, dann muss dabei besondere Sorgfalt auf die Wahl der Randbedingungen verwenden werden, um keines der Verfahren durch den Ver­gleich an sich zu benachteiligen. Zwei Kri­terien sind dabei bestimmend, nämlich die Tatsache, dass M/A und AGR keine isolier­ten Methoden sind, sondern kombiniert werden können, und dass beide Verfahren in ihrem Potenzial ganz maßgeblich vom Potenzial des Aufladesystems bestimmt sind. Aus letzterem folgt, dass beiden die­selbe Turboladercharakteristik zugrunde

gelegt werden muss, also in diesem Fall ei­ne konstante VTG­Position. Aus dieser Fest­legung ergab sich folgendes Vorgehen in der Simulation am Vollmotormodell: Aus­gehend von einem Lastpunkt mit konventi­oneller Steuerzeit und ohne AGR wurde kontinuierlich das AGR­Ventil geöffnet, während VTG konstant gehalten wurde. Die Folge sind eine steigende AGR­Rate und ein sinkender Ladedruck. In zwei der sich einstellenden Punkte wurde dann die Ein­lassschluss­Steuerzeit variiert. Dabei blieb die VTG weiter konstant, jedoch wurde mit­hilfe des AGR­Ventils die AGR­Rate auf dem ursprünglichen Wert gehalten. Die Ergeb­nisse der Simulation dienten wie zuvor als Randbedingungen für die nachfolgenden Messungen am Forschungsmotor. Da die vorausgehenden Untersuchungen ein hö­heres Potenzial für das Miller­Verfahren zeigten, wurde der Einlassschluss hier nur nach früh verschoben.

In Bild 10 kann man die Auswirkungen der beschriebenen Variation auf Ladungs­wechsel und Schadstoffemissionen sehen. Im Diagramm links ist zu erkennen, wie der Ladedruck mit steigender AGR­Rate im­mer weiter absinkt (1­4). Bei den Lastpunk­ten mit 4 % AGR und mit 11 % AGR wurde dann eine Einlassschluss­Verschiebung durchgeführt (2­2' und 3­3'). Die Folge ist ein weiter sinkender Ladedruck, die AGR­Rate wurde konstant gehalten. Eine kons­tante Ladungsmasse, wie in Kapitel 4 be­schrieben, ist hier nicht mehr gegeben.

Im Diagramm rechts sind die gemes­senen CO­ und Partikel­Emissionen und der spezifische Verbrauch jeweils über gemes­senen NOx aufgetragen. Für die Emissionen

zeigen sich bei der AGR­Variation die be­kannten Zusammenhänge: Sie steigen mit sinkendem NOx. Der spezifische Verbrauch bleibt annähernd konstant. Der Vergleich mit dem Miller­Verfahren zeigt, dass bei diesem die Emissions­Trade­offs ungünsti­ger zu liegen kommen. Sowohl CO­ als auch Partikel­Emissionen sind höher für gleiches NOx. Lediglich im Verbrauch ist das Miller­Verfahren neutral.

8 Zusammenfassung

Die Verschiebung des Einlassschluss ist am turboaufgeladenen Dieselmotor ein geeig­netes Mittel, die NOx­Emissionen zu senken, ohne Nachteile in Verbrauch, Rauch, HC und CO hinnehmen zu müssen. Das Poten­zial ist dabei fast ausschließlich durch die Leistungsfähigkeit des Aufladesystems be­grenzt.

Misst man das Verfahren allerdings an der gebräuchlichen externen Abgasrück­führung, zeigen sich unter keinem Gesichts­punkt Vorteile, sondern fast nur Nachteile. Eine Ergänzung oder gar ein Ersatz der Ab­gasrückführung ist nicht zielführend. Ein Einsatz des Miller­ oder Atkinson­Zyklus am Dieselmotor erscheint daher aus heutiger Sicht nicht sinnvoll, wenn ein AGR­System zum Einsatz kommt.

Literaturhinweise[1] Herdin, G.; Gruber, F., Klassner, J.; Matsumura, s.;

Kudo, s.; Ippommatsu, M.: Miller cycle-Efficiency Potentials for Gas Engines. cimac Paper 197, Kyoto, 2004

[2] http://www.toyota.co.jp/en/tech/environment/ths2/engine

[3] neureiter, A.: Untersuchungen von frühem und spätem Einlassschluss zur spitzentemperaturabsenkung bei aufgeladenen Dieselmotoren. TU Graz, Diplomarbeit, 2006

[4] Kammerdiener, T.; Fürhapter, A.; Unger, E.; Ducellari, r.: Ein einfaches variables Ventiltriebssystem zur rea-lisierung alternativer Verbrennungssysteme bei otto und Diesel. Haus der Technik in Essen, 14.03.2004

Bild 10: Vergleich zwischen Miller und externer AbgasrückführungFigure 10: Vergleich zwischen Miller und externer Abgasrückführung

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