Mit dem Rollstuhl auf die Berge - Deutsche Bahn · Stefan Graf vom Tourismusverband Ferienland...

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Mit dem Rollstuhl auf die Berge „BARRIEREFREI Austria“ bietet individualisierte Pauschalreisen nach Österreich im Baukastensystem mit Bahnanreise • Start mit fünf touristischen Regionen Die Deutsche Bahn (DB) hat gemeinsam mit den Kooperationspartnern von „BARRIE- REFREI Austria“ Mobilitätspakete entwickelt, die sowohl die An- und Abreise mit mög- licher Ein-, Um- und Ausstiegshilfe, die Anschlussmobilität am Urlaubsort und die Übernachtung, als auch ein mögliches Ausflugs- und Kulturprogramm beinhalten. Die Reiseangebote richten sich vorzugsweise an Rollstuhlfahrer sowie seh- und hörbehin- derte Personen, aber auch an ältere Menschen sowie Familien mit kleinen Kindern. Fünf Ferienregionen in Tirol sind derzeit Partner: das Ferienland Kufstein, Ellmau am Wilden Kaiser, die Naturpark & Gletscherregion Kaunertal, Kitzbühel Tourismus sowie Innsbruck und seine Feriendörfer. Christoph Rieker ist ein leidenschaftlicher Bergfan. Seit der Kindheit erwanderte und erklet- terte er unzählige Gipfel. Mit 19 dann der schlimme Motorradunfall. Querschnittslähmung. Rollstuhl. Aber auf die Berge will der heute 37-Jährige auch jetzt nicht verzichten. Es war Zufall, dass es ihn in die Heimat des Tiroler Fernseh-„Bergdoktors“ zog. Im Internet stieß er auf eine angeblich „barrierefreie“ Wohnung in Ellmau am Wilden Kaiser, passend für seine fünfköpfige Familie. Doch Stufen, kein Sitz in der Dusche, Küchen-Arbeitsflächen, die nicht unterfahrbar waren, oder Spiegel, die zu hoch hängen, trüben ein wenig die Urlaubs- freude. Christoph Rieker weiß aus langjähriger Erfahrung: „Es sind nicht nur die großen Hür- den, sondern oft kleine Unzulänglichkeiten, die Menschen mit Handicap das Leben erschwe- ren können.“

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Mit dem Rollstuhl auf die Berge „BARRIEREFREI Austria“ bietet individualisierte Pauschalreisen nach Österreich im Baukastensystem mit Bahnanreise • Start mit fünf touristischen Regionen

Die Deutsche Bahn (DB) hat gemeinsam mit den Kooperationspartnern von „BARRIE-REFREI Austria“ Mobilitätspakete entwickelt, die sowohl die An- und Abreise mit mög-licher Ein-, Um- und Ausstiegshilfe, die Anschlussmobilität am Urlaubsort und die Übernachtung, als auch ein mögliches Ausflugs- und Kulturprogramm beinhalten. Die Reiseangebote richten sich vorzugsweise an Rollstuhlfahrer sowie seh- und hörbehin-derte Personen, aber auch an ältere Menschen sowie Familien mit kleinen Kindern. Fünf Ferienregionen in Tirol sind derzeit Partner: das Ferienland Kufstein, Ellmau am Wilden Kaiser, die Naturpark & Gletscherregion Kaunertal, Kitzbühel Tourismus sowie Innsbruck und seine Feriendörfer.

Christoph Rieker ist ein leidenschaftlicher Bergfan. Seit der Kindheit erwanderte und erklet-terte er unzählige Gipfel. Mit 19 dann der schlimme Motorradunfall. Querschnittslähmung. Rollstuhl. Aber auf die Berge will der heute 37-Jährige auch jetzt nicht verzichten. Es war Zufall, dass es ihn in die Heimat des Tiroler Fernseh-„Bergdoktors“ zog. Im Internet stieß er auf eine angeblich „barrierefreie“ Wohnung in Ellmau am Wilden Kaiser, passend für seine fünfköpfige Familie. Doch Stufen, kein Sitz in der Dusche, Küchen-Arbeitsflächen, die nicht unterfahrbar waren, oder Spiegel, die zu hoch hängen, trüben ein wenig die Urlaubs-freude. Christoph Rieker weiß aus langjähriger Erfahrung: „Es sind nicht nur die großen Hür-den, sondern oft kleine Unzulänglichkeiten, die Menschen mit Handicap das Leben erschwe-ren können.“

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In Ellmau zu Hause ist Kornelia Grundmann (61). Die Wiesbadener Architektin ist wegen ihrer fortgeschrittenen Multiple Sklerose (MS) auf den Rollstuhl angewiesen. Fachwissen und persönliche Erfahrung setzt sie inzwischen ein, „damit Leben und Reisen in Österreich für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen erleichtert wird.“ Sie gründete „gabana“ – eine Agentur für barrierefreies und nachhaltiges Management. Als Botschafterin und Beraterin für Barrierefreiheit besucht sie Hoteliers, Tourismusverbände und Ausflugsveranstalter. Sie ent-wickelt gemeinsam mit der DB und der ÖBB Reisen nach einem Baukastensystem für Roll-stuhlfahrer, Familien mit Kinderwagen, gehbehinderte und ältere Menschen. Und sie sagt immer wieder: „Der Abbau von Hindernissen bietet letztlich auch allen anderen Gästen mehr Komfort.“ „Der Focus des Kooperationsprojektes „BARRIEREFREI Austria“ liegt auf der Förderung eines Tourismusangebotes für alle“, so Ellen Engel-Kuhn, Leiterin Kontaktstelle für Behin-dertenangelegenheiten bei der Deutschen Bahn (DB), „wir wollen es ermöglichen, dass Menschen mit und ohne Mobilitätseinschränkungen gemeinsam verreisen und auf Erlebnis-touren gehen können.“ Die unternehmungslustigen und sportlichen Eheleute Rieker (37 und 38 Jahre) mit ihren drei Kindern (5, 9 und 10 Jahre) erweisen sich dabei als ideale Testgrup-pe. Die Anreise mit der Bahn aus Baden-Württemberg, organisiert von der Mobilitätsservice-Zentrale der DB, verlief „völlig problemlos“, so Rieker. In Kufstein hilft ihm der Servicemitar-beiter der ÖBB Martin Rohm mit dem Hublift beim Ausstieg. Bahnsteige und Eingangshalle haben Aufzüge, vor dem Gebäude wartet ein Kleinbus mit Rampe und Sicherungstechnik für Rollstühle und „normale“ Sitze. Kornelia Grundmann: „Schon ab acht Teilnehmern organisie-ren wir Erlebnistouren.“ Rieker besuchte eine Reihe von Tiroler Hotels, Restaurants und Berggasthöfen, schaute sich barrierefreie Zimmer an, genoss den Service in Gaststuben und Berghütten. In vielen Fällen hat Kornelia Grundmann die erforderlichen Umbauten im Haus mitgeplant. „Natürlich muss man erst einmal investieren“, sagt sie, „aber die Ausgaben amortisieren sich oft schneller als gedacht.“ So suchen neben Privatreisenden auch Firmen für ihre Seminare und Events nach Unterkünften für Angestellte mit und ohne Handicap. Der Druck auf die gastronomischen und touristischen Betriebe werde wachsen, mahnt Kor-nelia Grundmann. Denn ab Januar 2016 drohen in Österreich auch Anbietern touristischer Leistungen Strafen, wenn sich ein behinderter Mensch diskriminiert fühlt: „Die Beweislast, dass keine Barrierefreiheit möglich ist, liegt dann nicht beim Gast, sondern beim Betrieb.“ Auch Bergbahnen und Ausflugsziele haben sich z. B. auf Rollstuhlfahrer eingerichtet. So können an die Kabinen der Gondelbahn aufs Kitzbüheler Horn (1996 Meter) Rampen ange-legt werden. In Gipfelnähe sind Aussichtsplattformen, Restaurant oder behindertengerechte Toilette über Aufzüge und Schrägen problemlos erreichbar. Christoph Rieker, der vor sei-nem folgenschweren Unfall noch 4000er in den Berner Alpen erklomm, ist zugleich wehmütig und begeistert: „Es ist eine andere Art Bergerlebnis gegenüber früher. Aber es ist toll, dass ich trotz Rollstuhl hier oben sein kann!“ Mit seinem Rollstuhl ist er auch schon über Wirtschafts-, Wald- und Wanderwege ins Tal zurück gefahren. „Manchmal mussten meine Frau und die Kinder schieben oder bremsen.“ Gleich mehrere starke Männer halfen ihm in Ellmau bei der Verwirklichung eines lang geheg-ten Traums: Gleitschirmfliegen. Als er schließlich mit einem Fluglehrer am Tandemschirm zwischen Himmel und Erde schwebte, seien ihm „Gefühle und Erinnerungen an die Zeit oh-

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ne Einschränkungen“ aufgekommen: „Ich bin so dankbar, dass ich das nun erneut erleben durfte.“ Besichtigungen, Kultur, Shopping – Kufstein ist wegen seiner hügeligen Lage eine besonde-re Herausforderung. Abgesenkte Bordsteinkanten, gepflasterte Schrägen neben Stufen, ebene Zugänge zu Restaurants und Außenterrassen oder Aufzüge helfen bei der Überwin-dung vieler Hürden. So sind auf der mittelalterlichen Festung hoch über der Stadt Veranstal-tungsbereich, Restauration und viele Museumsabteilungen mit Rollstuhl, Rollator oder Kin-derwagen erreichbar. Stefan Graf vom Tourismusverband Ferienland Kufstein: „Es gibt Bar-rieren bei Städtebau, Denkmalschutz und in der Natur, die werden sich niemals beseitigen lassen. Aber wir schaffen mit Geld und guten Ideen Möglichkeiten, um sie zu überwinden.“ Ein besonderes Familienerlebnis für die Riekers ist der Besuch im Raritäten-Zoo von Ebbs bei Kufstein. Die Kinder freuen sich über frei herumtobende Berberaffen, Riesenschildkröten zum Anfassen oder die Streicheltiere. Und sie finden es schön, dass Papa ihnen auf den barrierefreien Wegen überall hin folgen kann. Christoph Rieker: „Erlebnisse gemeinsam mit der Familie, Bewegung in der Natur, gut essen und trinken, zuverlässige Übernachtungsan-gebote und nicht zuletzt rollstuhlgerechte Toiletten – das sind für mich heute die wichtigsten Voraussetzungen für einen gelungenen Urlaub. Mehr brauche ich nicht.“ …………………………………………………. Weitere Informationen zum Kooperationsprojekt „BARRIEREFREI Austria“ unter www.bahn.de/reiseziele-barrierefrei. Alle Angebote für diese Reisen können auch telefonisch über die Mobilitätsservice-Zentrale der DB als zentraler und kompetenter Ansprechpartner unter der Telefonnummer 0180 6 512 512 gebucht werden (20 ct/Anruf aus dem Festnetz, Tarif bei Mobilfunk max. 60 ct/Anruf).