Mitteilungen des Netzwerk gegen Darmkrebs

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74 | Der Gastroenterologe 1 · 2014 74 | Der Gastroenterologe 1 · 2014 Mitteilungen Netzwerk gegen Darmkrebs Mitteilungen Netzwerk gegen Darmkrebs Netzwerk gegen Darmkrebs e.V. Arabellastr. 27, 81925 München Tel. 089/9250 1748 Geschäftsstelle:  Kathrin Schmid-Bodynek [email protected] www.netzwerk-gegen-darmkrebs.de Gastroenterologe 2014 · 8:74–75 DOI 10.1007/s11377-013-0863-2 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 Redaktion Dr. Christa Maar, München Quo vadis Onkologie? Mehr Qualität in der Früherken- nung, ein sinnvollerer Einsatz  von Ressourcen, Therapien nach  Maß statt von der Stange - im Ge- spräch mit dem Netzwerk gegen  Darmkrebs erläutert Prof. Dr. Dr.  h.c. Otmar D. Wiestler, Vorstands- vorsitzender des   Deutschen  Krebsforschungszentrums   DKFZ  in Heidelberg, wie die Onko- logie künftig aussehen könnte.   Netzwerk gegen Darmkrebs: Herr Professor Wiestler, in kaum einem Bereich der Medizin haben Wis- senschaftler zuletzt so viel über die Grundlagen der Krankheitsentste- hung herausgefunden, wie in der Onkologie. Was davon wird in nä- herer Zukunft auch in der Praxis eine Rolle spielen? Professor Dr. Otmar D. Wiest- ler: Die größten Fortschritte er- hoffe ich mir von der Sequenzie- rung der Tumorgenome bei ein- zelnen Patienten. Sie erlaubt es uns, die Erkrankungen viel dif- ferenzierter als bisher zu beurtei- len. Und wir können besser ab- schätzen, welche therapeutischen Ansätze Erfolg versprechen und wie der einzelne Patient dar- auf ansprechen wird. Die Ge- nomsequenzierung ist damit die Grundlage für eine stratifizier- te und letztlich auch individuali- sierte Therapie. Darüber hinaus verspreche ich mir viel von den Erkennt- nissen zur Immunologie der Krebserkrankungen. Wir ver- stehen zunehmend, wie sich Tu- moren gegen das Immunsystem wehren, und identifizieren lau- fend neue tumorspezifische An- tigene, die potenzielle Ziele für das Immunsystem sind. Wir kön- nen dadurch Medikamente ent- wickeln, die den Tumor für das Immunsystem zugänglicher ma- chen oder eine Immunantwort wie bei einer Impfung induzie- ren. Wie funktioniert der Wissens- und Technologietransfer in die Praxis? Am DKFZ investieren wir dazu viel in die Zusammenarbeit mit klinischen Einrichtungen. Ein Beispiel dafür ist das Natio- nale Centrum für Tumorerkran- kungen NCT Heidelberg, in dem wir mit unseren Kollegen vom Universitätsklinikum Heidel- berg zusammen arbeiten. Das NCT war auch das erste deutsche Comprehensive Cancer Center. Im Deutschen Konsortium für translationale Krebsforschung ar- beiten seit kurzem onkologische Zentren in ganz Deutschland ge- meinsam mit DKFZ-Forschern daran, Forschungsergebnisse aus den Labors in die Klinik zu über- tragen. Können Sie Beispiele nennen, wo- ran Sie konkret arbeiten? Wir evaluieren neue immun- therapeutische und strahlen- therapeutische Ansätze, versu- chen, neue Biomarker zur An- wendungsreife zu bringen, und entwickeln neue Verfahren der Bildgebung. International ein- malig ist etwa ein Projekt, in dem wir uns Kindern mit bisher nicht behandelbaren Krebserkran- kungen widmen. Wir erfassen das gesamte Erbgut ihrer Krebs- zellen, um zu lernen, warum die Erkrankung bei ihnen so einen schweren Verlauf nimmt. An- schließend versuchen wir, Ziel- strukturen für eine gezielt wirk- same Therapie zu identifizieren. In einem anderen Projekt un- tersuchen wir, warum manche Karzinome im Gastrointestinal- trakt eine günstige Prognose ha- ben, andere eine sehr schlechte. Vermutlich spielt dabei das im- munologische Milieu in der Um- gebung von Metastasen eine ganz wesentliche Rolle. So haben Pa- tienten, bei denen ein metasta- tischer Tumor das Immunsystem aktiviert, einen günstigeren Ver- lauf und sprechen auch besser auf eine Chemotherapie an. Ob wir damit einen Marker gefunden haben, muss nun in größeren Pa- tientenkollektiven getestet wer- den. Darüber hinaus wollen wir aufklären, was hinter diesem Zu- sammenhang steckt. Möglicher- weise können wir dann dem Im- munsystem einen Zugang zu den Metastasen verschaffen oder die Immunantwort durch eine Imp- fung verstärken. Welche Rolle spielt die Industrie bei Ihren Projekten? Wir sind in erster Linie von der wissenschaftlichen Neugier getrieben, die Industrie sucht nach Anwendungsmöglichkei- ten. Sie bekommt dafür von der Forschung die notwendigen Tar- gets und kann sie weiterentwi- ckeln. Derzeit arbeiten wir mit vier Unternehmen im Rahmen strategischer Allianzen zusam- men. Mit Siemens entwickeln wir neue Verfahren der Bildge- bung und der Strahlentherapie, mit Bayer Healthcare identifizie- ren wir aussichtsreiche Entwick- lungsprojekte für zielgerichte- te Therapien. Das Unternehmen hat dazu erst vor drei Monaten ein Labor im NCT eröffnet, in dem es vorrangig um neue Kon- © DKFZ

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74 |  Der Gastroenterologe 1 · 201474 |  Der Gastroenterologe 1 · 2014

Mitteilungen Netzwerk gegen Darmkrebs

Netzwerk gegen Darmkrebs e.V.Arabellastr. 27, 81925 München Tel. 089/9250 1748Geschäftsstelle: Kathrin Schmid-Bodynek [email protected] www.netzwerk-gegen-darmkrebs.de

Gastroenterologe 2011 · 7:559–562 DOI 10.1007/s11377-011-0634-x © Springer-Verlag 2012

 RedaktionDr. Christa Maar, München

Mitteilungen Netzwerk gegen Darmkrebs

Netzwerk gegen Darmkrebs e.V.Arabellastr. 27, 81925 München Tel. 089/9250 1748Geschäftsstelle: Kathrin Schmid-Bodynek kathrin.schmid-bodynek@netzwerk-gegen-darmkrebs.dewww.netzwerk-gegen-darmkrebs.de

Gastroenterologe 2014 · 8:74–75 DOI 10.1007/s11377-013-0863-2© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

 RedaktionDr. Christa Maar, München

Quo vadis Onkologie?

Mehr Qualität in der Früherken-nung, ein sinnvollerer Einsatz von Ressourcen, Therapien nach Maß statt von der Stange - im Ge-spräch mit dem Netzwerk gegen Darmkrebs erläutert Prof. Dr. Dr. h.c. Otmar D. Wiestler, Vorstands-vorsitzender des  Deutschen Krebsforschungszentrums  DKFZ in Heidelberg, wie die Onko-logie künftig aussehen könnte.  

Netzwerk gegen Darmkrebs: Herr Professor Wiestler, in kaum einem Bereich der Medizin haben Wis-senschaftler zuletzt so viel über die Grundlagen der Krankheitsentste-hung herausgefunden, wie in der Onkologie. Was davon wird in nä-herer Zukunft auch in der Praxis eine Rolle spielen?

Professor Dr. Otmar D. Wiest-ler: Die größten Fortschritte er-hoffe ich mir von der Sequenzie-

rung der Tumorgenome bei ein-zelnen Patienten. Sie erlaubt es uns, die Erkrankungen viel dif-ferenzierter als bisher zu beurtei-len. Und wir können besser ab-schätzen, welche therapeutischen Ansätze Erfolg versprechen und wie der einzelne Patient dar-auf ansprechen wird. Die Ge-nomsequenzierung ist damit die Grundlage für eine stratifizier-te und letztlich auch individuali-sierte Therapie.

Darüber hinaus verspreche ich mir viel von den Erkennt-nissen zur Immunologie der Krebserkrankungen. Wir ver-stehen zunehmend, wie sich Tu-moren gegen das Immunsystem wehren, und identifizieren lau-fend neue tumorspezifische An-tigene, die potenzielle Ziele für das Immunsystem sind. Wir kön-nen dadurch Medikamente ent-

wickeln, die den Tumor für das Immunsystem zugänglicher ma-chen oder eine Immunantwort wie bei einer Impfung induzie-ren.

Wie funktioniert der Wissens- und Technologietransfer in die Praxis?

Am DKFZ investieren wir dazu viel in die Zusammenarbeit mit klinischen Einrichtungen. Ein Beispiel dafür ist das Natio-nale Centrum für Tumorerkran-kungen NCT Heidelberg, in dem wir mit unseren Kollegen vom Universitätsklinikum Heidel-berg zusammen arbeiten. Das NCT war auch das erste deutsche Comprehensive Cancer Center. Im Deutschen Konsortium für translationale Krebsforschung ar-beiten seit kurzem onkologische Zentren in ganz Deutschland ge-meinsam mit DKFZ-Forschern daran, Forschungsergebnisse aus den Labors in die Klinik zu über-tragen.

Können Sie Beispiele nennen, wo-ran Sie konkret arbeiten?

Wir evaluieren neue immun-therapeutische und strahlen-therapeutische Ansätze, versu-chen, neue Biomarker zur An-wendungsreife zu bringen, und entwickeln neue Verfahren der Bildgebung. International ein-malig ist etwa ein Projekt, in dem wir uns Kindern mit bisher nicht behandelbaren Krebserkran-kungen widmen. Wir erfassen das gesamte Erbgut ihrer Krebs-zellen, um zu lernen, warum die Erkrankung bei ihnen so einen schweren Verlauf nimmt. An-schließend versuchen wir, Ziel-strukturen für eine gezielt wirk-same Therapie zu identifizieren.

In einem anderen Projekt un-tersuchen wir, warum manche Karzinome im Gastrointestinal-trakt eine günstige Prognose ha-ben, andere eine sehr schlechte. Vermutlich spielt dabei das im-munologische Milieu in der Um-gebung von Metastasen eine ganz wesentliche Rolle. So haben Pa-tienten, bei denen ein metasta-tischer Tumor das Immunsystem aktiviert, einen günstigeren Ver-lauf und sprechen auch besser auf eine Chemotherapie an. Ob wir damit einen Marker gefunden haben, muss nun in größeren Pa-tientenkollektiven getestet wer-den. Darüber hinaus wollen wir aufklären, was hinter diesem Zu-sammenhang steckt. Möglicher-weise können wir dann dem Im-munsystem einen Zugang zu den Metastasen verschaffen oder die Immunantwort durch eine Imp-fung verstärken.

Welche Rolle spielt die Industrie bei Ihren Projekten?

Wir sind in erster Linie von der wissenschaftlichen Neugier getrieben, die Industrie sucht nach Anwendungsmöglichkei-ten. Sie bekommt dafür von der Forschung die notwendigen Tar-gets und kann sie weiterentwi-ckeln. Derzeit arbeiten wir mit vier Unternehmen im Rahmen strategischer Allianzen zusam-men. Mit Siemens entwickeln wir neue Verfahren der Bildge-bung und der Strahlentherapie, mit Bayer Healthcare identifizie-ren wir aussichtsreiche Entwick-lungsprojekte für zielgerichte-te Therapien. Das Unternehmen hat dazu erst vor drei Monaten ein Labor im NCT eröffnet, in dem es vorrangig um neue Kon-

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zepte der Immuntherapie gehen soll. Mit Roche prüfen wir neue Substanzen, deren Anwendung eine Genomdiagnostik, ein Mo-nitoring des Immunsystems und eine hohe Qualität in der Bild-gebung erfordern. Dabei fallen enorme Datenmengen an. Des-wegen sind SAP und Molecu-lar Health weitere Partner, mit denen wir ein Data warehouse für die Erfassung von Patienten- und Forschungsdaten sowie für Ana-lysemethoden in der individuel-len Krebsmedizin entwickeln.

Wo sehen Sie Hindernisse auf dem Weg zur individualisierten Medi-zin?

Das größte Problem ist aus meiner Sicht der Umgang mit den gewaltigen Datenmengen. Darüber hinaus benötigen wir neue Studienansätze, denn wenn sich ein Patientenkollektiv in im-mer mehr Subgruppen unterteilt, wird man nicht mehr so viele Stu-dienteilnehmer finden, wie sie Statistiker heute noch fordern. Und schließlich sträuben sich manche Arzneimittelherstel-ler noch dagegen, dass ihre Pro-dukte mit denen anderer Herstel-ler kombiniert werden. Meiner Meinung nach liegt die Zukunft aber in einer sinnvollen Kom-bination verschiedener Ansätze und nicht in Monotherapien.

In den Kosten sehen Sie kein Hin-dernis für eine individualisierte Medizin?

Nein, denn es ist viel Kapital im System vorhanden. Wir müs-sen es nur intelligenter einset-zen und die Behandlung effizi-enter machen. Dazu ein Beispiel: Wir bestrahlen heute nahezu al-le Lungenkrebspatienten, obwohl wir wissen, das bis zu 80 Prozent von ihnen nicht profitieren wer-den. Dasselbe gilt für die Che-motherapie mit 5-Fluoruracil bei Darmkrebs. Wir behandeln je-den Erkrankten, weil wir keine Marker haben und nicht wissen, wer profitiert und wer nicht. Es gibt also enorme Einsparpotenzi-ale, die wir über eine Stratifizie-rung nutzen können. Sollte das System dennoch an seine Gren-zen stoßen wird man eine Dis-kussion darüber führen müssen, was der Gesellschaft diese Medi-zin wert ist.

Das Netzwerk gegen Darmkrebs setzt sich unter anderem für eine verbesserte Früherkennung des ko-lorektalen Karzinoms ein. Welche Entwicklungen zeichnen sich bei dieser Indikation ab?

Wir haben am DKFZ meh-rere Gruppen, die sich intensiv mit der Vorsorge und Früher-kennung beim kolorektalen Kar-zinom beschäftigen. Sie konnten beispielsweise zeigen, dass der immunologische Stuhltest sehr viel empfindlicher ist, als der bis-

her verbreitete Test auf okkultes Blut. Abgesehen davon hoffe ich, dass wir noch andere Ansätze für die Früherkennung finden, seien es Tumor-DNA oder Tumorzel-len im Blut oder Marker im Stuhl. Am NCT untersuchen wir nun auch das Potenzial von Aspirin zur Chemoprävention, denn es gibt Hinweise, wonach eine lang-fristige Behandlung mit nied-rigen Dosen die Inzidenz des ko-lorektalen Karzinoms senkt. Aber auch hier gilt: Wir müssen jene identifizieren, die davon profi-tieren. In einem weiteren Pro-jekt versuchen wir die Sensitivi-tät der Stuhltests durch eine vier-wöchige Vorbehandlung mit As-pirin zu steigern. Wir hoffen, da-mit Mikroblutungen auszulösen und so frühe Krebsformen zu de-maskieren.

Und schließlich bieten wir Menschen, deren Angehörige er-sten Grades ein kolorektales Kar-zinom hatten, ein gezieltes Vor-sorgeprogramm an. Es umfasst ein intensives Beratungsgespräch zum eigenen erhöhten Krebsrisi-ko, eine Früherkennung mit dem immunologischen Stuhltest und gegebenenfalls eine Koloskopie. Darüber hinaus untersuchen wir das Blut der Probanden, um Mar-ker für das individuelle Krebsri-siko zu identifizieren. Dies ist ein Beispiel für eine risikoadaptierte Vorgehensweise. Nicht zuletzt hoffen wir, damit auch den Nut-zen einer vorgezogenen Früher-kennung bei Patienten mit fami-liär erhöhtem Darmkrebsrisiko zu belegen.

Insgesamt lässt die Teilnahme an den Maßnahmen zur Darmkrebs-früherkennung noch zu wünschen übrig. Wie könnte man die Reso-nanz verbessern?

Wir müssen uns fragen, ob wir genug tun, um die Menschen vom Nutzen zu überzeugen. Denn dass sich die Darmspiege-lung zur Früherkennung von Po-lypen und damit zur effektiven Vorbeugung lohnt, konnten Wis-senschaftler aus dem DKFZ ein-drucksvoll belegen: Man könnte rund 70% aller Darmkrebsfälle verhindern, wenn alle zur Vor-

sorge gingen. Um das zu errei-chen, müssen die Früherken-nungsmaßnahmen aber auch in der gebotenen Qualität angebo-ten werden. Ich habe da - ebenso wie beim Brustkrebs- und beim Gebärmutterhalskrebs-Scree-ning - meine Zweifel. Wir sollten uns vielleicht auf eine gewisse Zahl an Zentren konzentrieren, die belegen können, dass sie lei-stungsfähig sind, dass sie hohe Standards haben, und dass sie ein gewisses Volumen bewälti-gen. Qualität würde so zu einem Mittel, um die Bevölkerung zu gewinnen.

Das DKFZ feiert 2014 sein 50-jäh-riges Bestehen. Was haben Sie für das Jubiläum geplant?

Wir haben eine Serie von Veranstaltungen vorgesehen, die sich über das ganze Jahr vertei-len. Darüber hinaus wird es ei-ne Fundraising-Kampagne mit Prominenten geben. Zum Ge-burtstag im Oktober ist eine wis-senschaftliche Tagung mit zehn Nobelpreisträgern geplant. Und schließlich möchten wir das Jahr nutzen, um das Zentrum stärker ins Bewusstsein der Öffentlich-keit zu bringen. Mit unserer Bi-lanz können wir uns sehen lassen, aber sie kann trotzdem noch bes-ser werden. Das ist der Anspruch. Unser Motto lautet: DKFZ – 50 Jahre Forschen für ein Leben oh-ne Krebs.

Das Interview führte Günter Löffelmann.

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