MITTENDRIN Juli-August-Ausgabe 2013

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Kulturverein Prenzlauer Berg e.V. / Juli/August 2013 / kostenlose Ausgabe Magazin für Kultur und Bildung in Prenzlauer Berg Geschichte begegnen Steine gegen das Vergessen

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Magazin für Kultur und Bildung in Prenzlauer Berg

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Kulturverein Prenzlauer Berg e.V. / Juli/August 2013 / kostenlose Ausgabe

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Geschichte begegnen

Steine gegen das Vergessen

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IN MITTENDRINThema

Steine gegen das Vergessen 3-5

Shortstories

Ich hab kein Geld, aber du kannst es haben! 6Neues Theaterprojekt: Theater und Gesellschaft

Bewegt, gesund, gebildet 6Kita Dreikäsehoch ausgezeichnet

Begegnungen 7Mädchenklasse zu Besuch in der Keramikwerkstatt

Rein geschäftlich 7Der Kulturverein 2012

Buchtipp

Nichts ist möglich 8Byung-Chul-Han: Müdigkeitsgesellschaft

Bildung

Empathie im Gepäck 9Der Erzieherberuf (er)fordert Expertenwissen

Der Soziale Bücherladen – Bücher für Alle 9„Das Paradies habe ich mir immer als eine Art Bibliothek vorgestellt.“

Lernpaten(t)rezept 10„Offenheit, Akzeptanz für Neues und eine Prise Geduld“

Kinder helfen Kindern 11Kunst-Aktion für Bildungsgerechtigkeit im Graefe-Kiez

Wie wollen wir leben? 11Politische Debatte mit Sarah Wagenknecht und Ralph Boes

Aufbegehren

Ein Mensch ist nicht sein Verhalten 12Umgang mit Widerstand und Verweigerung bei großen und kleinen Leuten

Mut zur Krücke 13Von der Fürsorge zur Selbstbestimmung

(Kiez-)Kultur

Kolumne: Kaltes Buffet 14Der springende Punkt

Vorgestellt: Abgeordnete aus unseren Wahlkreisen 15Stephan Lenz, CDU, Wahlkreis 6

Wo steht denn das? 16Bilderrätsel

Wohin im Juli/August? 16Veranstaltungskalender

Herausgeber:Kulturverein Prenzlauer Berg e.V. Danziger Str. 50 10435 Berlin

Verantwortlich:Der Vorstand

Druck: Jugendmedienwerkstatt MedienpointNorbert WinkelmannGleimstr. 49 10437 Berlin

Redaktion:Barbara Schwarz (bs)Frauke Niemann (fn)

Satz: Thilo Schwarz-Schlüßler

Gestaltung: Edmund Cekanavicius

Kontakt: [email protected]/43202067

EDITORIAL

„Die Meisten verwechseln Dabei sein mit Erleben.“ (Max Frisch)

Wenn das so ist, wollen wir nicht zu den Meisten gehören. Und haben einen Vorsatz: Wir möchten Erlebtes, Erdachtes und (vielleicht

mitunter auch) Erlesenes zu Bildungs- und Kulturthemen in Prenzlauer Berg aufs Papier bringen. Dabei gilt es, unserem Namen Mittendrin gerecht zu werden. Als Magazin des Kulturverein Prenzlauer Berg e.V. berichten wir vom Vereinsleben, unserer Kulturarbeit, unseren sozialen Einrichtungen und der Arbeit unserer Partner und Förderer. Darüber hinaus wollen wir verstärkt gesellschafts- und bezirkspolitische Themen aufgreifen und das (kulturelle) Leben im Kiez vorstellen.

Bei alldem brauchen wir Ihre Hilfe! Wir freuen uns über jede Wortmeldung – ob Alltägliches oder Kurioses, kleine oder größere Aufreger, Lob oder Kritik. Ganze Artikel sind genauso willkommen wie Themenvorschläge, Leserbriefe, Hinweise auf inspirierende Lektüre oder spannende Veranstaltungen in Prenzlauer Berg. Ihre Beiträge senden Sie bitte an: [email protected]. Der Redaktionsschluss für die nächste Ausgabe ist der 12. August 2013.

Geschichte(n) begegnen ist die Maxime dieser Ausgabe. Unser Titelthema beschäftigt sich mit einer besonderen Form des Erinnerns, den „Stolpersteinen“. Als Gedenksteine gegen das Vergessen sind sie gleichsam Kunstprojekt und Denkmal. In „Empathie im Gepäck“ geht es um die Herausforderungen des Erzieherberufs. Es ist der erste Artikel einer Serie, die sich sozialen Berufen und Fragestellungen widmet. Lokalpolitiker unterschiedlicher Parteien kommen in der regelmäßigen Reihe „Vorgestellt“ zu Wort. Zum Lesen dieser und vieler weiterer Geschichten laden wir Sie herzlich ein!

Viel Spaß dabei wünschen

Barbara Schwarz und Frauke Niemann(Redaktion Mittendrin)

Impressum

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Thema

Im März 2013 bekam der Kulturverein die Anfrage, ob Interesse an einer Paten-schaft für einen oder mehrere Stolpersteine bestünde, die in der Danziger Stra-ße verlegt werden sollten. Die Kunstaktion „Stolpersteine“ erinnert an Familien, die von den Nazis in Konzentrationslager verschleppt und ermordet wurden. Mit vier Steinen sollte der Berliner Familie Wolfberg gedacht werden: Herta und Arthur Wolfberg und ihre Kinder Helga und Günter wurden am 3.2.1943 deportiert und starben in Auschwitz.

Mit der Erinnerungskultur der „Stolpersteine“ vertraut, sagten wir zu und übernahmen gemeinsam mit der Evangelischen Kirchengemein-

de Prenzlauer Berg Nord und der Partei die Grünen die Patenschaft für vier Steine in der heutigen Danziger Straße 116. Sigrun Marks, die ehrenamtlich in einer Stolpersteininitiative aktiv ist, hat uns dabei begleitet und geholfen, uns die Bedeutung einer solchen Patenschaft ins Bewusstsein zu rufen.

Die Stolpersteine verfolgen die Intention, die Namen der zu Nummern de-gradierten Opfer des NS-Regimes für die Öffentlichkeit präsent zu machen und einen in den Alltag integrierten Erinnerungsort zu schaffen. Gleichzei-tig markieren die Steine die Tatorte der Naziverbrechen, die letzten Wohn-orte der Opfer vor ihrer Deportation. Für viele Angehörige sind sie Graber-satz und eine Möglichkeit des persönlichen Gedenkens. Die Stolperstein-Verlegung besteht aus drei Veranstaltungen: einer Informationsveranstal-tung, der Verlegung der Steine selbst und einer Gedenkfeier, die einen Tag nach der Verlegung stattfindet. Insgesamt wurden Anfang Juni 16 Steine zur Erinnerung an die ermordeten Angehörigen der Großfamilie Baygan in Prenzlauer Berg verlegt. Zu ihnen gehörte auch Familie Wolfberg. Onkel und Tante von Helga und Günter Wolfberg, Heinz Rosen und Irina Zlotnicki,

konnten 1936 nach Palästina fliehen und mussten ihre Familie in Berlin zurücklassen. Zur Stolpersteinverlegung und Gedenkfeier in der Danziger Straße kamen mehrere Angehörige der Familie aus Israel.

Gedenkveranstaltungen

Am 31. Mai fand die Informationsveranstaltung im Kulturverein Prenzlau-er Berg statt. Hier informierte die Kommunikationswissenschaftlerin Petra T.  Fritsche die Partnerorganisationen und das interessierte Publikum über das Stolpersteinprojekt im Allgemeinen. 1993 formulierte der Künstler Gun-ter Demnig als theoretisches Konzept die Verlegung von Gedenksteinen für Verfolgte des Nationalsozialismus in der Publikation „Größenwahn – Kunst-projekte für Europa“. Erstmalig gab es 1994 eine Ausstellung von 250 Stol-persteinen für ermordete Sinti und Roma in der Antoniter-Gemeinde in Köln auf Initiative des Pfarrers Kurt Pick. Die erste Verlegung von 10 x 10 cm gro-ßen Betonquadern initiierte er im Januar 1995 auf einem Kölner Gehweg.

Steine gegen das Vergessen

„Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist.“

Talmud, zitiert von Gunter Demnig

Gunter Demnig und die Steine

Gedenken an Familie Wolfberg

Feierstunde: Sigrun Marks mit Angehöriger

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Die Formen des ErinnernsAm 6. Juni verlegte Gunter Demnig selbst die vier Steine in der Danziger Straße 116. Beeindruckt und bewegt verfolgten die Zuschauer die routi-nierte Hand des Künstlers, der für die Platzierung der messingbeschlage-nen Steine 20 Minuten benötigte.

Einen Tag später fand die Gedenkfeier statt. Hierfür fanden alle Partneror-ganisationen eine angemessene künstlerische Sprache. Die Musiker Alex-ander Zerning und Martin Willy eröffneten mit ruhigen Saxophon- und Gi-tarrentönen, Pfarrer Seidenschnur von der Evangelischen Kirchengemein-de Prenzlauer Berg Nord schloss sich mit Worten aus dem Alten Testament an. Barbara Schwarz vom Kulturverein trug ein Gedicht von Nelly Sachs vor, der Grünenpolitiker Andreas Otto hielt eine Rede zur Gedenkkultur in der Stadt. Danach verlas Sigrun Marks die Biographien der Familie. Nach einer Schweigeminute sprach ein Angehöriger der Familie das Kaddisch, das Totengebet. Trotz des ununterbrochenen Straßenlärms kam eine fei-erliche Gedenkstunde zustande.

O die Schornsteine

Auf den sinnreich erdachten Wohnungen des Todes,

Als Israels Leib zog aufgelöst in Rauch

Durch die Luft –

Als Essenkehrer ihn ein Stern empfing

Der schwarz wurde

Oder war es ein Sonnenstrahl?

O die Schornsteine

Freiheitswege für Jeremias und Hiobs Staub –

Wer erdachte euch und baute Stein auf Stein

Den Weg für Flüchtlinge aus Rauch?

O die Wohnungen des Todes,

Einladend hergerichtet

Für den Wirt des Hauses, der sonst Gast war –

O ihr Finger,

Die Eingangsschwelle legend

Wie ein Messer zwischen Leben und Tod –

O ihr Schornsteine,

O ihr Finger

Und Israels Leib im Rauch durch die Luft!

(Nelly Sachs)

Thema

Innehalten

Steine gegen das Vergessen

Gemeinsam erinnern

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Thema

Stolpersteinprojekt bei steremat

Steremat AFS ist Träger verschiedener Bürgerarbeitsprojekte. Eines der Projekte beschäftigt sich ausschließlich mit dem Thema Stolpersteine,

für das Uta Hartwigsen seit 2011 tätig ist. Wir trafen uns mit Uta Hartwigsen, Roxandra Chrobok, die alle Arbeitsfelder von Steremat begleitet, und Bernd Thürk, dem Geschäftsführer von Steremat AFS zum Gespräch.Der Name Steremat kommt ursprünglich aus der Industrie und steht für Steuerung – Regelung – Automatisierung. Nach der Wiedervereinigung war die Neugründung erforderlich. Heute ist die Arbeitsförderung in vielen verschiedenen Projekten und Möglichkeiten das Hauptgeschäft. Seit viereinhalb Jahren gibt es einen kleinen gewerblichen Teil, in dem die Arbeitsbereiche Grünpflege, Baumaßnahmen, Transportaufgaben angeboten werden.

Qualifikation gemäß den Fähigkeiten

Steremat wurde als Auffanggesellschaft für die Menschen gegründet, die in keinem anderen Arbeitszusammenhang einen Platz fanden. Gemeinsam mit dem Arbeitsamt wurde das Förderungsinstrument ABM (kurz für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen) praktisch über Nacht entwickelt. Aus diesen Maßnahmen heraus haben sich sechs neue Gesellschaften aus der ABM ausgegliedert. Es gibt verschiedene Modelle und Möglichkeiten für die Mitarbeiter bei Steremat AFS. Im Fokus steht für Bernd Thürk der Anspruch, die Menschen nach ihren Fähigkeiten zu qualifizieren und ihnen Chancen für die Entwicklung einer eigenen Erwerbstätigkeit zu bieten. „Ich bin seit 1994 hier. Rückblickend und gegenwärtig empfinde ich unsere Arbeit als wohltuend und sinnhaft, denn so können Menschen gemäß ihren Möglichkeiten einen Beitrag leisten.“ Die Zusammenarbeit mit dem Kulturverein möchte er ausbauen: „Träger mit ähnlichen Fragestellungen und Problemen sollten sich austauschen und gemeinsame Ideen entwickeln.“

Berufliches und persönliches Engagement

Die Bürgerarbeit ist ein Modellprojekt der Agentur für Arbeit und wird aus Bundesmitteln finanziert. Die meisten Maßnahmen sind zunächst bis Ende 2014 befristet. Die Projektideen schlägt die jeweilige Trägerorganisation vor. Bei Steremat konnten so 89 Stellen in verschiedenen Bezirken geschaffen werden. Für Uta Hartwigsen ist ihr Bürgerabeitsprojekt weit mehr als eine berufliche Chance. Die Beschäftigung mit Stolpersteinen im Berliner Raum und den Biographien für die diese stehen, begreift die engagierte Frau als Lebensaufgabe, die sie mit einem klaren Ziel und vollem Einsatz verfolgt:

„Ich möchte mich mit meiner Arbeit aktiv gegen das Vergessen einsetzen.“

Uta Hartwigsen ist es wichtig, sich einzubringen und sich für eine gute Sache zu engagieren. Im Rahmen des Projektes recherchiert sie Biographien der Opfer und hilft bei der Koordination der Steinverlegungen. Außerdem bietet sie Touren für Schulklassen und andere soziale Einrichtungen durch das jüdische Berlin an und scheint dabei aus einem schier unbegrenzten Wissensfundus schöpfen zu können. Bereits als junges Mädchen begann ihre thematische Auseinandersetzung mit dem Thema, die bis heute anhält. Berufliches und privates Engagement vermischen sich dabei untrennbar. Und eines ist für Uta Hartwigsen klar: „Ich werde mich auch weiter für die Stolpersteine einsetzen, ob im Rahmen der Bürgerarbeit oder ehrenamtlich.“

Fotos: Frauke Niemann

Menschen machen GeschichteDer Kulturverein Prenzlauer Berg e.V. kooperiert seit mehreren Jahren mit dem Arbeitsförderer Steremat AFS GmbH. Zukünftig sollen die Netzwerkarbeit intensiviert und die Berührungspunkte und die gemeinsame Arbeit von Partnern stärker in den Vordergrund gestellt werden. Bislang konzentrierte sich die Zusammenarbeit auf die Unterstützung bei Veranstaltungen und die Aufarbeitung von Möbeln und Büchern. Nun ergibt sich eine weitere inhaltlich-thematische Verknüpfung: die Stolpersteine.

FILM ÜBER STOLPERSTEINE Einen umfassenden Einblick in die Arbeit Gunter Demnigs und die verschiedenen Etappen des Kunstprojektes gibt der Dokumentarfilm „Stolpersteine“ (2008) von Dörte Franke. Die Tochter der Lebensgefährtin Demnigs nähert sich dem Thema von unterschiedlichen Seiten: Der Film ist Künstler- und Opferportrait zugleich, zeigt Arbeit und Anspruch Demnigs, lässt Angehörige von Opfern zu Wort kommen und fängt öffentliche Reaktionen ein.

Aktiv für Stolpersteine: Uta Hartwigsen

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Shortstories

Theater und Gesellschaft / Fotos: Andreas Bonal Cesar

„Ich hab kein Geld, aber du kannst es haben“

Das Team der Kita Dreikäsehoch um Kerstin Nath hat sich die Frage gestellt: Was können wir als Kita tun, um im gesunden und bewegungsfreudigen

Aufwachsen der Kinder nachhaltig einen guten Grundstein zu legen? Der Be-ginn war der Ausbau der Sportstunde. Morgens wird der Tag mit Frühsport begonnen. Denn das Ziel ist es, die Kinder von Anfang an für Bewegung und gesundheitsbewusstes Verhalten zu sensibilisieren.

„Damit fördern wir Motivation, Spiel, Lernen und Lebensfreude und un-terstützen die Kinder in ihrer physischen, psychischen und sozialen Ent-wicklung“, führt Kerstin Nath aus. Die Kita beteiligt sich sowohl am Frühprä-ventionsprojekt „Fitness für Kids“, als auch am Zertifizierungsprozess „Bewe-gungsfreundliche Kita“. Fitness für Kids ist ein gesundheitsorientiertes Be-wegungsprogramm für Kinder in Kindergarten und Grundschule. Attraktive Bewegungsangebote vermitteln ihnen Freude an Bewegung und erziehen sie zu einem aktiven gesunden Lebensstil. Ausführlichere Informationen gibt es unter www.fitness-fuer-kids.de

Das Konzept „Bewegungsfreundliche Kita“ des Bezirksamts Pankow besteht aus verschiedenen Hospitationen. Besonders lobt das Team des Bezirksamts bestehend aus Frau Barth, Frau Goen und Herrn Lemke die Angebote, wel-che die Erzieherinnen mit den Kindern veranstalten. Sie schaffen es, die Dreiheit aus Bewegung, Gesundheit und Bildung wie selbstverständlich in den Kitaalltag einzubauen und somit einen globalen Blick auf die Themen Gesundheit und Bewegung zu entwickeln. Im März wurde das Zertifikat fei-erlich übergeben und eine Plakette ans Haus angebracht, welche die Kita Dreikäsehoch als „Bewegungsfreundliche Kita“ auszeichnet. (bs)

Kita Dreikäsehoch ausgezeichnet

„Wer nicht jeden Tag etwas für seine Gesundheit aufbringt, muss eines Tages sehr viel Zeit für die Krankheit opfern“

Sebastian Kneipp

Bewegt, gesund, gebildet

Neues Theaterprojekt: Theater und Gesellschaft

Asche, Bares, Bimbes, Cash, Flocken, Heu, Knete, Kohle, Kröte, Mammon, Mäuse, Penunzen, Piepen, Pinkepinke, Schotter, Zaster. Was ist dran am Geld, um das so viele Worte gemacht werden? Was macht Geld mit uns? Welchen Raum geben wir ihm in unserem Leben? Macht es uns frei in unseren Entscheidungen oder lenkt es unsere Handlungen?

Ein internationales Kollektiv aus Berufsschauspielern

und spielfreudigen Laien hat sich unter dem Dach des Kul-turvereins zusammengefun-den, um mit theatralischen Mitteln den Versuch einer Antwort zu wagen. Dabei wird nach dem Baukastenprinzip gearbeitet. Das Stück „Geld“, das seine Premiere am 25. Juni im ZENTRUM danziger50 feierte, ist der erste Teil der Tri-logie „Geld, Macht, Visionen“. Die Stücke bauen lose aufein-ander auf, der thematische Zusammenhang bleibt stets nachvollziehbar.

Als Basis ihrer Arbeit dienen der Theatertruppe Interviewprotokolle. Befragt wurden Menschen un-terschiedlicher Lebenswelten und Altersgruppen. O-Töne quer durch alle gesellschaftlichen Schichten wurden eingefangen: Die Spanne reicht vom Millionär bis zum Obdachlosen. Aus dem Konglomerat von pekuniären Sichtweisen, Erfahrungen und Wertvorstellungen, die sich in den Ant-worten spiegeln, destillierten die Akteure gemeinschaftlich Figuren und

poetische Bilder. Ihr Anspruch: eine wertfreie, augenzwinkernde und im besten Fall erkenntnisgestaltende Annährung an das Thema. Die Redukti-on auf bloßes Betroffenheitstheater vermeidet die Truppe hierbei bewusst. Die stilistischen Elemente reichen von klassischem Schauspiel, über Pup-penspiel bis zu dokumentarischem Einspielen von Bild und Ton. Das Stück richtet sich an Erwachsene und Jugendliche. Es ist eine ortsungebundene,

mobile Produktion, die mit re-duziertem Einsatz von Kulisse und Technik arbeitet und so an (fast) jedem Ort aufgeführt werden kann.

Theater und Gesellschaft rich-tet sich ausdrücklich auch an Oberschulen und andere Bildungseinrichtungen und kommt auf Wunsch auch ins Klassenzimmer. Es ist eine

Weiterentwicklung des Kultur-verein-Projekts „Theater der Bil-dung“, das über mehrere Jahre Theaterstücke speziell für Schu-len und Kitas konzipierte und aufführte und wird vom Jobcen-ter Berlin Pankow gefördert. (fn)

Theater und Gesellschaft

Darsteller: Anne-Kathrin Hertzsch, Gabriele Sander, Mary Braatz, Mia Kaspari, Ramona Eitel Villar, Stefan Weigel, Pasquale Bombacigno Regie: Catherine Welly / Dramaturgie: Evelyn Maguhn / Technik: Hans Balzer Musik: Alexander Zerning

„Es gibt Wahrheiten, die gefährlicher sind als Narren!“

Theater und Gesellschaft weiß, was Sie schon immer über Geld wissen wollten… …aber bisher nicht zu fragen wagten.

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Rein geschäftlich

Sechzehn Schülerinnen einer 11. Klasse am

M a r i e n g y m n a s i u m Papenburg saßen in er-wartungsfroher Runde und lauschten den Worten von Meister Chajim, der sie mit der Geschichte und mit den Aufgaben der Keramikwerkstatt vertraut machte. Die Schülerinnen wurden von Schwester Sponsalis und Pastorin Renate Disselhoff begleitet. Was war der Grund für den Besuch der Klasse in Berlin? Wie kam es zu dem Treffen mit Meister Chajim in der Keramikwerkstatt? Schwester Sponsalis klärt mich auf. „Ich habe Meister Chajim während der christlich-jüdischen Bibelwoche in Haus Orbeck bei Osnabrück kennen ge-lernt. Als wir dann planten, unsere Seminarfahrt nach Berlin zu machen, habe ich gesagt, wir sollten Meister Chajim dort besuchen, auch, um seine Kunst kennen zu lernen.“

Während ich mit Schwester Sponsalis spreche, werden die Teller gefüllt. Ein leckeres Nudelgericht steht vor jedem Mädchen. Und die lassen es sich schmecken, reden fröhlich miteinander. Maria, eine der Schülerinnen, gefällt es sehr gut in der Keramikwerkstatt. Nach dem Abitur will sie auf jeden Fall studieren, was, weiß sie noch nicht genau. Auch den anderen Mädchen ge-fällt es sehr gut. Hinter ihnen liegt ein Besuch in der Synagoge Oranienburger Straße, und noch viele Erlebnisse und Überraschungen werden folgen.Jetzt aber bereitet Meister Chajim den Ton vor. Gleich weiht er die Schülerinnen in die Kunst der Keramik ein. Die Zeit bis dahin nutze ich, um mit Pastorin Renate Disselhoff zu sprechen. „Ich unterrichte am Mariengymnasium Papenburg Evangelische Religion. Das ist ein katholisches Mädchengymnasium, aber auch evangelische Schülerinnen lernen hier.“

Jüdisch-christlicher Dialog Schwester Sponsalis und Frau Pastorin Disselhoff leiten das Seminar Jüdisch-christlicher Dialog. Ihre Reise nach Berlin dient dem Zweck, die Schülerinnen mit dem jüdischen Leben in Berlin vertraut zu machen und mit Menschen jüdischen Glaubens ins Gespräch zu kommen. Das Seminar Jüdisch-christlicher Dialog hat eine Laufzeit von zwei Jahren.

„Wichtig ist, dass die Schülerinnen nach zwei Jahren das Gefühl entwickelt haben: Ich bin vertraut mit dem Judentum. Das ist für mich etwas völlig Normales“, sagt Pastorin Disselhoff. Doch nun hat jedes Mädchen vor sich einen Klumpen Ton. Meister Chajim erklärt, wie man eine Fingerschale formt, die dann, gebrannt, eine schöne Erinnerung an den Besuch in der Keramikwerkstatt bilden wird. Die Mädchen sind mit großem Geschick bei der Sache. Schnell entstehen die Tonschalen. Nebenbei lauschen sie den Erzählungen von Meister Chajim. So vergeht die Zeit schnell. Der nächste Programmpunkt wartet schon: der Besuch der Synagoge Rykestraße und danach eine Buchlesung.

Der Besuch der Mädchenklasse reiht sich ein in die lange Geschichte der pädagogischen und kulturellen Veranstaltungen in der Keramikwerkstatt. Diese Begegnungen sind ein großer Beitrag zur weiteren Entwicklung des jüdisch-christlichen Dialogs. Die Mädchen und ihre Lehrerinnen dankten Meister Chajim herzlich für den ereignisreichen Nachmittag.

Text: Claus Utikal

Claus Utikal, 64, ist Kulturwissenschaftler und seit zehn Jahren freiberuflich als Autor und Publizist tätig. Vorher war er im Funkhaus Berlin Lektor für Medien und Sport und Leiter der Öffentlichkeitsarbeit bei TheMa e.V. Berlin. Den Kul-turverein unterstützt er seit 2006 als aktives Mitglied: in vielen Lesungen, mit Interviews oder der Gründung der Zeitung beZette.

Mädchenklasse aus Papenburg zu Besuch in der Keramikwerkstatt

Begegnungen

Begegnungen / Foto: Claus Utikal

Meister Chajim erzählt.

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Shortstories

Wie bringt man eine mehr als bunte Truppe wie den Kultur-verein Prenzlauer Berg e.V. unter einen (gedruckten) Hut? Ganz einfach, indem man alle Einrichtungen, Gruppen und Projekte des Vereins selbst zu Wort kommen lässt. So ge-schehen im mittlerweile zur jährlichen Tradition geworde-nen Geschäftsbericht.

Wer jetzt abwinkt, weil er trockene Fakten in Tabellenform vor seinem geistigen Auge vorbeiziehen sieht, liegt falsch und sollte zumindest

einen Blick riskieren! Denn es sind nicht Zahlenkolonnen, die LeserInnen des Jahresberichts 2012 erwartet, sondern kleine spannende Geschichten aus den unterschiedlichsten kulturellen und sozialen Bereichen.

Offenheit und Toleranz für alle Menschen und Lebenssituation hat sich der Kulturverein auf die Fahne geschrieben und lebt sie in den verschiedenen angeschlossenen Einrichtungen.

Sie prägten die Kulturarbeit im ZENTRUM danziger50, in der Keramikwerk-statt und der vereinseigenen Museumsdruckerei genauso wie die soziale Arbeit in den vier Kitas, im Familienzentrum Weißensee und Betreuten Wohnen (NICHT) ALLEIN MIT KIND oder im neuen kiezübergreifenden Pro-jekt in Kreuzberg, der Kiezinitiative Düttmann-Siedlung.

Vielseitige Angebote und Projekte

Die Vereinsarbeit, die hier in Wort und Bild vorgestellt wird, ist so bunt und vielfältig, wie die ca. 115 Mitarbeiter und 70 Mitglieder, die unter dem Dach des Kulturvereins für und mit Menschen aus den Bezirken Pankow, Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg wirken und werken. Lesen lohnt sich! (fn)

Am Nachmittag des 5. April 2013 war im Tonraum der Keramikwerkstatt Yad Chanah jeder Platz besetzt. Es mussten zusätzliche Stühle in den Raum gebracht wer-den, um allen Anwesenden das Sitzen zu ermöglichen. Nun ist es nicht ungewöhnlich, dass sich im Tonraum fröhliche Menschen versammeln. Und doch war an jenem Nachmittag alles anders als sonst.

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Nichts ist möglich

Byung-Chul-Han: Müdigkeitsgesellschaft

Byung-Chul Hans knapp 60 Seiten umfassender Essay „Müdigkeitsgesellschaft“ liest sich zunächst wie eine Kran-

kenakte – ein pathologischer Befund der heutigen Leistungsgesellschaft. Das reizüberflutete, überforderte Indivi-

duum führt Krieg mit sich selbst. Es kapituliert vor einem Zuviel an Möglichkeiten und Informationen, das gipfelt im

Yes-we-can-Mantra. Han diagnostiziert eine kollektive Müdigkeit, eingebettet in eine Kultur der Selbstausbeutung.

Seine Behandlungsempfehlung lautet: Verweigerung!

Hans „Müdigkeitsgesellschaft“ ist keine Ratgeberlektüre, sondern eine anregende, originelle und bisweilen provokante Gesellschaftsanalyse. Der aus Seoul stammende Autor lehrt seit 2012 Philosophie und Kulturwis-

senschaft an der Berliner Universität der Künste und entwickelt seine Thesen auf Grundlage der Annahme von

epochalen Leitkrankheiten, die an mentale Epochenwenden geknüpft sind. Bis zum 21. Jahrhundert fokussieren

sich demnach Ängste auf (bakterielle oder virologische) Infektionen und damit auf das von außen eindringende

Fremde. Nach Han hat diese immunologisch organisierte Welt eine bestimmte Topologie. Sie ist von Grenzen und

Beschränkungen geprägt und wird bestimmt von Verboten: „Ihre Negativität erzeugt Verrückte und Verbrecher. Die

Leistungsgesellschaft hingegen bringt Depressive und Versager hervor.“

Von Neinsagern und Neurotikern Diese pathologischen Zustände sind, so Han, auf ein Übermaß an Positivität zurückzuführen und Ausdruck eines

Nicht-Mehr-Können-Könnens. Dies schlägt sich nieder in den typischen Befunden der Jetztzeit: Depression, Burn-

Out oder Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom, kurz ADHS. Mit anderen Worten: unsere Nerven liegen

blank. Wir leben in einem neuronalen Zeitalter. Sein Kennzeichen ist eine paradoxe Freiheit: der freie Zwang zur

Maximierung der Leistung. So verändert die Positivierung der globalisierten Welt Mensch und Gesellschaft und

schafft autistische Leistungsmaschinen, die nicht mehr körperlichen Infekten, sondern Infarkten der Seele ausge-

setzt sind – verursacht durch Leistungsdruck, Bindungsarmut und einer veränderten Aufmerksamkeitsstruktur. Han

spricht in diesem Zusammenhang auch von einem zivilisatorischen Regress: Multitasking ist keine positive Errun-

genschaft, sie kennzeichnet vielmehr das Verhalten von Tieren in freier Wildbahn, die ihre Umgebung permanent

nach Fressfeinden absuchen. Kulturleistungen speisen sich aber aus dem Vermögen einer tiefen, kontemplativen

Aufmerksamkeit. So mündet Hans Essay in einem Plädoyer für die Müdigkeit – verstanden als heilende, gelassen

machende Müdigkeit, eine Müdigkeit der negativen Potenz. Es ist das Vermögen, nein zu sagen.

Unterm StrichHans Essay „Müdigkeitsgesellschaft“ ist pointiert, kurzweilig und absolut lesenswert. Der Autor trifft im wahrsten

Sinne des Wortes den Nerv der Zeit und verpackt seine Thesen sprachlich anschaulich jenseits akademischen Ge-

schwurbels. Dies beweist die breite mediale Aufmerksamkeit ebenso wie die Tatsache, dass die erste Auflage des

kleinen, schön gestalteten Büchleins innerhalb kurzer Zeit ausverkauft war. Zwar liefert Han keine umfassende

Begründung seiner Thesen, dafür regt er zum Selbstdenken an und zeigt individuelle Auswege aus einer gesamt-

gesellschaftlichen Misere auf. (fn)

Byung-Chul Han: Müdigkeitsgesellschaft

Matthes & Seitz Berlin, 10 Euro

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Buchtipp

Bildquelle: Verlag Matthes & Seitz Berlin

Page 9: MITTENDRIN Juli-August-Ausgabe 2013

Empathie im Gepäck

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Bildung

Der Erzieherberuf (er)fordert Expertenwissen

„…Erziehermangel…“, „…zu wenig Anerkennung in der Gesellschaft…“, „…gro-ßer Zeitdruck…“, „…nicht ausreichende Ausbildung von Lehrern und Erziehern…“,

„…Pisastudie…“, „…Kitaqualität…“, „…Bildungsprogramme…“, „…wenig Auf-stiegsmöglichkeiten bei zu geringer Bezahlung…“, „…hoher Krankenstand…“, „…Integration…“, „…Inklusion…“

All diese Schlagworte finde ich in der Presse. Was hat es damit auf sich? Wie ver-halte ich mich dazu im Berufsleben und im Privaten? Denn innerhalb eines je-

den Lebens hat ein jeder Berührung mit dem Beruf des Erziehers oder Pädagogen. Jeder ist mal Kind, mal Schüler, wird alt und braucht diese engagierten Menschen, die sich der sozialen Arbeit widmen.

Dieser Text ist der erste einer Reihe, in der Berufe und Berufsgruppen aus den sozialen Bereichen vorgestellt werden. Der Kulturverein hat 115 Mitarbeiter. Die meisten davon sind ErzieherInnen in Kindertagesstätten. Ich bin Mutter und arbeite selbst seit vielen Jahren in verschiedenen Jugendclubs, biete Workshops und Kurse im Feld der kulturellen Bildung in den Bereichen Thea-ter und Kunst an. Ich habe also durchaus einige Berührungspunkte mit dem Gebiet der Pädagogik, aber dies nicht 40 Stunden in der Woche und nicht seit 20 Jahren.

Die Arbeitsfelder und damit Herausforderungen innerhalb dieses Berufs sind vielfältig. Sei es in der Betreuung von Kindern und Jugendlichen oder der Ar-beit mit älteren Menschen und Menschen mit Behinderung. Und hier fängt die Bewunderung an, die ich den KollegInnen gegenüberbringe: den Kindern Wissen, Bildung und ein Gefühl für die Welt zu bereiten. Sie in ihrer eigenen Neugier zu unterstützen und dabei selbst neugierig zu bleiben. Das Kind mit seinen Kompetenzen, Fähigkeiten und Visionen jederzeit in der Welt wahrzu-nehmen. Dabei immer authentisch zu bleiben und gefestigt hinter dem eige-nen Weltbild zu stehen. Dennoch mit dem Wandel der Zeit zu gehen, also der Tradition und dem Wandel gleichermaßen das geeignete Maß zu zollen.

Engagement und Impulse

ErzieherInnen müssen sehr viele Interessen und auch Begabungen mitbrin-gen. Kinder sind neugierig, möchten viel erfahren, wissen und ausprobieren. Deshalb nützt ein guter Wissengrundstock in vielen Bereichen: Psychologie, Soziologie, Naturwissenschaften, Philosophie, Geschichte und Zukunftsfor-schung. Medizinisches Grundwissen und beraterisches Geschick sind uner-lässlich, denn manchmal braucht es einen schnellen Blick auf den derzeitigen Zustand des Kindes: Ist es traurig? Und wenn ja, warum könnte es so sein? Gibt es Konflikte mit anderen Kindern? Ist im Umfeld etwas geschehen, was die Gefühlslage des Kindes beeinflusst? Verhält sich das Kind auffällig? Stört es wiederholt? Bewegt sich das Verhalten noch innerhalb des normalen Ma-ßes, oder müssen alle Alarmglocken angehen? Wird etwa logopädische Un-terstützung oder psychologische benötigt? Und wie vermittle ich das sanft, aber bestimmt, den Eltern? Wie weit kann Elternwünschen gerecht nachge-kommen werden? Und manchmal kommen auch alle Fragen auf einmal.

In meiner Mutterrolle habe ich es genossen, mit den Erzieherinnen meiner Kinder in Kontakt zu treten. Denn, wann habe ich die Chance, meine Kinder unter so professionellen Fachaugen liebevoll betrachtet zu wissen? Sie zeig-ten mir Seiten an meinen Kindern, die mir manchmal vielleicht lieber verbor-gen geblieben wären – was schade gewesen wäre. Sie spiegelten mir Verhal-tensweisen, die mein Kind komplett(er) und wertvoll(er) machten und waren mir bei Fragestellungen ein aufmerksamer und kompetenter Begleiter.

Auf diese Weise kann ich mich von Ferne bedanken bei all jenen, die diese herausfordernde und bestimmt wunderbare Tätigkeit auf sich nehmen. Die-se persönliche Impression möchte einen Anstoß dazu geben, sich in den fol-genden Ausgaben der „Mittendrin“ mit Themen rund um soziale Fragestel-lungen auseinanderzusetzen, sei es in persönlichen Statements, Vorstellung verschiedener Berufe oder Trends, die in der Gesellschaft zu bemerken sind. Gern kann auch ein Blick zu unseren europäischen Nachbarn gewagt werden. Bitte schreiben Sie an [email protected]. (bs)

„Erziehung ist Beispiel und Liebe – sonst nichts.“ (Friedrich Wilhelm August Fröbel)

„Das Paradies habe ich mir immer als eine Art Bibliothek vorgestellt.“ (Jorge Louis Borges)

Wem dies ähnlich geht, der sollte einen Ausflug in die Winsstraße 30 unternehmen. Hier warten etwa 20.000 Bücher auf ihre Leser. Das Angebot ist breitgefächert, ein internationales Sortiment bedient Bücherfreunde aller Altersklassen. Das Besondere daran: Wer fündig wird, darf den Wunschlesestoff mit nach Hause neh-men und gibt dafür das, was er erübrigen kann.

Den „Sozialen Bücherladen“ gibt es seit 2008. Seine Betreiberin Milena Abramian verfolgt

mit dem kleinen, gut sortierten Laden ein großes Ziel. Sie möchte allen Bürgern einen Zugang zum Medium Buch ermöglichen – unabhängig vom Geldbeutel. Und die Nachfrage ist groß, denn im-mer mehr öffentliche Bibliotheken schließen. In Pankow genauso wie in anderen Berliner Bezirken.

Mit ihrem Projekt schafft Milena Abramian eine Al-ternative und macht Lektüre auch für sozial schwa-che und mittellose Bürger wieder zugänglich.

Natürlich ist sie dabei auf Hilfe angewiesen. Ehren-amtliche Mitarbeiter unterstützen sie bei der Buchan-nahme und der Arbeit im Laden. Ihr Konzept fußt auf Bücher- und Geldspenden. Ein Konzept, das aufgeht, denn nicht nur die Lesekund-schaft freut sich, auch die Buchspender sind froh über die Anlaufstelle. Viele kommen regelmäßig und brin-gen ihre ausgelesenen Bücher vorbei, ganze Buch-sammlungen oder kuriose Fundstücke.

Stöbern, Bücher und Geld spenden können In-teressierte von montags bis freitags 10 – 17 Uhr, am Donnerstag bis 19 Uhr. (fn)

Der Soziale BücherladenWinsstr. 30

10405 [email protected]

Der Soziale Bücherladen - Bücher für alle!

Foto: Frauke Niemann

Page 10: MITTENDRIN Juli-August-Ausgabe 2013

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Bildung

Tina Reiß und Felix Mayer von den elhana-Lernpaten unterstützen Kinder und Jugendliche auf ihrem Bildungsweg. Ihr Einsatzgebiet ist die Werner-

Düttmann-Siedlung im südlichen Graefe-Kiez in Kreuzberg. Im Gegensatz zum angrenzenden Altbaugebiet leben hier viele Menschen an oder unterhalb der Armutsgrenze. Der Bedarf an außerstaatlichen Bildungsangeboten ist hoch. Für elhana sind ehrenamtliche Lernpaten aktiv, die Kinder und Jugendliche vor Ort betreuen und so eine individuelle Lernförderung ermöglichen.

Mittendrin: Wofür steht elhana genau? Könnt ihr kurz das Konzept erläutern? Felix Mayer: elhana steht für Eltern, Hausaufgaben und Nachhilfe. Das Projekt bietet GrundschülerInnen eine individuelle Unterstützung in ihrem Schulalltag und auf ihrem Bildungsweg durch einen Lernpaten. Mittendrin: Tina, wie bist du zu elhana gekommen und seit wann arbei-test du für elhana? Tina Reiß: Über einen Universitätsmailverteiler habe ich von dem Pro-jekt erfahren. Danach traf ich mich mit der Projektgründerin Vera Klauer, die mir die Inhalte der elhana Lernpaten näher brachte. Seit 2010 bin ich Lernpatin für zwei Schülerinnen. 2011 bin ich dann in die Projektlei-tung eingestiegen.Mittendrin: Felix, du betreust elhana ebenfalls als Projektleiter. Wie sieht ein typischer Arbeitstag für dich aus?Felix Mayer: Dreimal die Woche sitzen wir in unserem Büro in der 5. Etage der Urbanstraße 44 und beantworten Mails, nehmen Telefonate entgegen, organisieren Lernpatentreffen und -fortbildungen, machen Öffentlichkeitsarbeit und führen mit den Lernpaten Einzelgespräche. Ein wichtiges Arbeitsfeld ist die Vermittlung von potenziellen neuen Lernpaten an die Kinder und ihre Familien. Darüber hinaus suchen wir immer wieder nach neuen Finanzierungsmöglichkeiten für unser Pro-jekt und führen mit unseren KooperationspartnerInnen gemeinsam Aktionen durch, um die elhana Lernpaten noch bekannter zu machen.Mittendrin: Seid ihr beide als LernpatIn aktiv?Tina Reiß: Ja, seit Mai 2010 unterstütze ich zwei Schülerinnen zweimal pro Woche beim Lernen.Felix Mayer: Ich bin 2008 als Lernpate in das Projekt eingestiegen und habe zeitweilig mit drei Kindern gelernt. Die Begeisterung, die die Lern-patenschaft damals bei mir geweckt hat, hält bis heute an und jetzt en-gagiere ich mich vor allem in der Projektkoordination. Seit kurzem be-treue ich auch wieder ein Patenkind. Die Arbeit mit ihm macht mir noch mal stärker bewusst, wofür wir unsere Arbeit eigentlich tun.

Von und mit anderen lernen

Mittendrin: Könnt ihr eure persönlichen Erfahrungen mit euren Paten-kindern schildern? Wie erlebt ihr eure Patenschaft?Tina Reiß: Ich mag es, gemeinsam mit meinen Patenkindern zu lesen, zu rechnen und die Hausaufgaben zu erledigen. Ich freue mich sehr darüber, wenn sie das, was ich ihnen erkläre, verstehen und Fortschrit-te in der Schule machen. Natürlich gibt es auch Probleme. Die versuche ich dann mit ihnen gemeinsam zu lösen, sodass wir zu einem Ergebnis kommen, mit dem alle einverstanden sind.Felix Mayer: Die größte Herausforderung besteht für mich darin, mich selbst zurückzuhalten und meinem Patenkind nicht die Lösungswege, ob bei schulischen oder sozialen Fragen, vorzugeben. Ich weiß, dass ein Kind nur dann lernt, wenn es die Wege selber aktiv geht und nicht nur das nachmacht, was ein Erwachsener ihm sagt. Dafür ist es dann umso schöner, wenn ich sehen kann, dass mein Patenkind seine Aufgaben erfolgreich löst. Dann verstehe ich, dass meine Rolle eher die ist, ihn zu ermutigen und ihm Aufmerksamkeit zu schenken.Mittendrin: Was habt ihr von euren Patenkindern gelernt? Tina Reiß: Von meinen Patenkindern und ihren Familien habe ich ge-

lernt, relaxter und offener durchs Leben zu gehen. Die schönsten Mo-mente sind, wenn wir eine scheinbar nicht lösbare Aufgabe am Ende doch bewältigen können. Und das ist das Wichtigste: Nicht verzweifeln, sondern es gemeinsam noch einmal versuchen!Mittendrin: Macht es Spaß, Lernpate zu sein?Tina Reiß: Ja. Durch die Tätigkeit bekomme ich einen anderen Blick auf das Thema Lernen, das auf so unterschiedliche und vielfältige Weise stattfindet. Ich finde es toll, wenn ich etwas von meinem Wissen ab-geben kann und gleichzeitig etwas dazu lerne. Auch wenn die schu-lischen Leistungen nicht immer optimal sind, so wissen meine Paten-kinder und ich: Der Weg ist das Ziel! Und ich bin froh darüber, ein Teil dieses Weges zu sein.Mittendrin: Wie viele Lernpaten engagieren sich derzeit? Tina Reiß: Derzeit engagieren sich 40 Menschen in unserem Projekt.Mittendrin: Und wie viele Kinder werden betreut?Felix Mayer: Zurzeit werden 50 betreut.Mittendrin: Muss ein Lernpate bestimmte Voraussetzungen mitbrin-gen?Tina Reiß: Wir verlangen keine Lehrerausbildung oder ähnliches, aber man sollte sowohl Offenheit und Akzeptanz für Neues als auch eine Pri-se Geduld mit im Gepäck haben. Wichtig ist uns, dass die LernpatInnen gern mit Kindern zusammen arbeiten.Mittendrin: Schult ihr denn die Lernpaten, bevor es losgeht? Gibt es so etwas wie einen Lernpatenführerschein?Felix Mayer: Wir führen Kennenlerngespräche und erzählen ihnen vom Projekt, unseren Visionen und Erfahrungen. Nach Abgabe eines erwei-terten polizeilichen Führungszeugnisses stellen wir ihnen ihr Patenkind und dessen Familie vor. Einen Lernpatenführerschein gibt es in dem Sinne also nicht, aber Autofahren kann man auch nicht von Anfang an. Man muss sich erst auf die neue Situation einlassen, sich Herausforde-rungen stellen, Vertrauen fassen. So ist es auch innerhalb der Lernpa-tenschaft. Irgendwann erhält man den Führerschein automatisch.

Spendenaktion zu Ramadan

Mittendrin: Wenn ich elhana unterstützen möchte, mir aber nicht vor-stellen kann, selbst Lernpate zu sein, gibt es auch andere Möglichkeiten, für elhana aktiv zu werden?Tina Reiß: Natürlich. Wir freuen uns über jede Unterstützung, sei es als Lernpate, als Geldspender, als Fundraising- und Öffentlichkeitsarbeitun-terstützer, als Zeit- und Sachmittelspender bei Aktionen. Wir begrüßen al-les. Zum Ramadan werden wir eine kleine Spendenaktion im Graefe-Kiez durchführen. Die akquirierten Gelder wollen wir für unser Projekt nutzen, um noch mehr Lernpatenschaften ermöglichen zu können.Mittendrin: Was wünscht ihr euch für die Zukunft von elhana?Tina Reiß: Ich wünsche mir, dass das Projekt eine gefestigte Finan-zierung erhält, damit noch mehr Kinder unterstützt werden können, erfolgreich ihren Bildungsweg bestreiten und zuversichtlich in die Zukunft blicken. Felix Mayer: Ich wünsche mir, dass viele der Kinder, die wir über die Grundschulzeit begleiten, mit einem positiven Bild von sich selbst in die Oberschule übergehen und ihre Potenziale und Talente weiter-entwickeln können.

Fragen an Tina Reiß und Felix Mayer von den elhana-Lernpaten

Lernpaten(t)rezept: „Offenheit, Akzeptanz für Neues und eine Prise Geduld“

Interview & Foto: Frauke Niemann

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Bildung

ZENTRUM danziger50, 3. Juni, 20 Uhr. Der Veranstaltungssaal des Kulturvereins platzt förmlich aus allen Nähten. Bis ins Treppenhaus hinein stehen Menschen, die offensichtlich drängenden Fragen nachgehen wollen. In welcher Gesellschaft leben wir? Und in welcher Gesellschaft wollen wir leben?

In der Gesprächsreihe mit dem programmati-schen Titel Club Voltaire lädt Ralph Boes, Vor-

stand der Berliner Bürgerinitiative Bedingungs-loses Grundeinkommen e.V., zum politischen Meinungsaustausch. Seiner Einladung gefolgt ist Sahra Wagenknecht, Stellvertretende Partei-vorsitzende der LINKEN und Mitglied des Deut-schen Bundestages. Für die Moderation und

– falls notwendig – Mediation hat sich der Jour-nalist Ralph T. Niemeyer eingefunden. Schnell ist jedoch klar, dass sich an diesem Abend wohl

kein wirkliches Streitgespräch entfachen wird. Die Diskutanten sind sich einig, was den Ist-Zustand in Deutschland angeht.

Von einer Politik für die oberen ein Prozent der Gesellschaft ist die Rede, der Menschenunwürdigkeit von Hartz IV, den prekären Beschäftigungsbe-dingungen und einer Diktatur des Geldes, verbunden mit einer alles be-stimmenden Markt- und Wachstumsgläubigkeit. „Wesentliche Zustände in Deutschland sind offen verfassungswidrig“, fasst Wagenknecht zusammen.

In Zukunft besser Gefragt nach einer sozialgerechten Zukunftsvision, zeichnen beide unter-schiedliche Bilder. Für Sahra Wagenknecht steht fest, dass der im Grund-gesetz formulierte Anspruch „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ in einem kapitalistischen Wirtschaftssystem grundsätzlich nicht einlösbar ist. Innerhalb dieses Systems könne es nur kleine Schritte auf dem Weg zu mehr Menschenwürde geben: Mindestlohn, Abschaffung von Hartz IV, Arbeitszeitverkür-zung sind einige davon.

Ralph Boes sieht in der Einführung des Bedin-gungslosen Grundeinkommens einen Ausweg aus der sozialen Ungerechtigkeit und zeigt des-sen mögliche Umsetzbarkeit anhand von Re-chenspielen auf. Doch auch hier bahnt sich kein Streit an. „Das Entscheidende ist, dass wir um die gleichen Dinge ringen“, sagt Wagenknecht. Ob man dabei immer einer Meinung sei, stehe nicht im Vordergrund. Nach zwei Stunden intensiven Gesprächs muss sich die Politikerin der LINKEN verabschieden. Die Diskussion um Gerechtigkeit und Zukunftsmodelle aber geht weiter – es wird debattiert bis in die Nacht. Wer sich selbst ein Bild machen und mehr hören und sehen will, findet ei-nen Mitschnitt der kompletten Veranstaltung auf dem Youtube-Kanal von KiekeMa Film Berlin. (fn)

Wie wollen wir leben?

Kunst-Aktion für Bildungsgerechtigkeit im Graefe-Kiez

Kinder helfen Kindern

Die Kiezinitiative Düttmann-Siedlung ist ein relativ neues Projekt des Kultur-verein Prenzlauer Berg. Seit 2011 setzt es sich für mehr Bildungsgerechtigkeit und Bildungschancen im südlichen Graefe-Kiez ein – gern auch in Farbe!

Bildung im Fokus

Auf dem Nachbarschaftsfest der Werner-Düttmann-Siedlung am 15. Juni gaben Kinder künstlerisch-farbenfrohe Antworten auf die Frage

„Und später mal?“ und gestalteten zusammen mit Kunstschaffenden aus dem Graefe-Kiez ihre Zukunftsvisionen. Ihrer Kreativität konnten sie dabei freien Lauf lassen. Es wurde geklebt, Schattentheater erstellt und ganze Miniaturszenarien erschaffen. Die so entstandenen Kunstwerke wurden anschließend fotografiert.16 Motive gehen in den Druck und finden sich auf Bildungsbons wieder, die für jeweils fünf Euro erworben werden kön-nen. Der Erlös kommt Bildungsprojekten in der Düttmann-Siedlung zugu-te. Die kleinen bunten Bildungshelfer werden ab August 2013 in Kulturein-richtungen und vielen Geschäften im Kiez erhältlich sein.

Bildungsfonds und -verein etablieren

Die Kiezinitiative hat sich zum Ziel ge-setzt, einen Bildungsfonds zu etablieren, der von den Anwohnern selbst verwal-tet wird. Die Mittel aus dem Verkauf der Bons fließen in diesen Fonds und sollen dazu beitragen, bewährte Bildungsan-gebote wie die elhana Lernpaten zu sichern, und neue Projekte zu ermögli-chen, die individuell auf die Bedürfnis-se der Bürger zugeschnitten sind. Zum Austausch von Ideen und zur gemein-schaftlichen Förderung dieses Ziels soll im Laufe dieses Jahres ein Verein für ge-rechte Bildung gegründet werden. Die-ser bildet den Rahmen für gemeinsames Engagement und soll die Bildungschan-cen im Kiez auf lange Sicht vergrößern.

Wer mithelfen möchte in Wort und Tat oder durch Spenden, findet hier ein offenes Ohr:

Kiezinitiative Düttmann-SiedlungCornelia RasulisUrbanstraße 4410967 Berlin030 / [email protected]

„Und später mal?“

Janina Mansoor

Fotos: Frauke Niemann

Politische Debatte mit Sahra Wagenknecht und Ralph Boes

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Aufbegehren

Umgang mit Widerstand und Verweigerung bei großen und kleinen Leuten

Ein Mensch ist nicht sein Verhalten

Widerstände in allen Konstellationen und Zusammenhängen gehören mit zum Alltag. Jeder kennt sie. Keiner sehnt sie herbei. Wie können wir mit Konflikten um-gehen, um bei uns und unserem Gegenüber das Selbstbewusstsein zu stärken?

Am 24. April referierte Heidemarie Götting im Familienzentrum in Wei-ßensee zum Thema Widerstände. Es war viel mehr als ein reiner Fron-

talvortrag. Jeder Zuhörer konnte sich als Teilnehmer eines Seminars füh-len. Gewissermaßen Weiterbildung im Sauseschritt. Eine kleine Reise ins ICH. Damit das Thema greifbar wird, konnten die Zuhörer Beispiele aus ih-rem Alltag zur Diskussion stellen. So bestand nicht die Gefahr, dass graue Theorie um sich greift, sondern es gab die Chance einer Identifikation mit den eigenen Fragestellungen.

Begeisterung tötet Widerstand

Wie nebenbei streut die Referentin Fachbegriffe, Theorien und deren Ver-treter ein. So war der Vortrag gleichsam kurzweilig und mit Lerneffekt. Da-bei konnten wir unmittelbar aktiv einen aktuellen Vertreter der Bildungs-elite nachvollziehen. Gerald Hüther vermittelt das Credo, ein Gehirn wird so, wie wir es mit Begeisterung benutzen. Und: wenn wir begeistert sind, dann gibt es keinen Grund für Widerstand.

Widerstände sind jedem Menschen in vielerlei Konstellation bekannt: mit Kindern, mit dem Partner, mit Arbeitskollegen. Alle Menschen kennen das. Aber wie kommt es dazu? Widerstand gehört zum Verhalten des Menschen und ist eine Überlebensstrategie. Es gibt ein paar Regeln, Kniffe, Tipps, die uns Frau Götting mit auf den Weg gab. Patentrezepte, um Widerstände aufzulösen, kann es nicht geben, aber vieles können wir uns in der Rolle als Erziehungspartner unserer Kinder klarer machen.

Möglichkeiten, keine Lösungen

Es gibt kein sinnloses Verhalten. Wenn Widerstände spürbar werden, dann steckt dahinter oft große Not. Oder Vorschriften werden als nicht sinnvoll betrachtet. Darauf reagiert das Gegenüber mit Widerstand. Jugendliche können wir in ihrer Selbstständigkeit unterstützen, indem wir ihnen nicht fertige Lösungen anbieten (z.B. wie sie jetzt zum Praktikums- oder Ausbil-dungsplatz kommen), sondern mit ihnen über das Ziel, die Aufgabe selbst sprechen und sie darin bekräftigen, dass sie die richtige Entscheidung tref-fen werden. Es geht darum, Möglichkeiten aufzeigen. Hier kommt z.B. das „Aktive Zuhören“ ins Spiel, die erste Stufe des Modells von Thomas Gordon. Aktives, bzw. empathisches Zuhören beschreibt die Fähigkeit, Meinungen und Gefühle von Gruppenmitgliedern zu reflektieren. Ein wichtiges Ziel da-bei ist es, das Gruppenmitglied oder das Kind dazu anzuleiten, die eigenen Probleme zu verstehen und Problemlösungen selbst herzuleiten. Hilfreich ist es beispielsweise, Gesagtes mit eigenen Worten zu wiederholen.

Maslows Bedürfnispyramide

Alle Menschen haben die gleichen Bedürfnisse. Abraham H. Maslow hat dies in seiner Bedürfnispyramide bildlich dargestellt, welche sich ur-sprünglich in 5 Stufen aufteilte. Kurz vor seinem Tod 1970 erweiterte er die Pyramide noch um drei weitere Stufen.

Schon lange vor Maslow wurden ähnliche Einteilungen von Bedürfnissen durch europäische Gelehrte vorgenommen, so vor allem in Lujo Brentanos „Versuch einer Theorie der Bedürfnisse“ (1908). Bereits in der Antike führte Platon in „Der Staat“ aus: „Das erste und größte aller Bedürfnisse ist aber die Beschaffung der Nahrung um der Existenz und des Lebens Willen. (…) Das zweite dann die Beschaffung einer Wohnstätte, das dritte die von Klei-dung und was dahin gehört.“

Es sich in dieser Bildhaftigkeit vor Augen zu führen, klärt manches auf. Denn wenn die Kernfrage der Sicherheit nicht geklärt ist, dann ist es nicht passend, Respekt zu thematisieren. In unserer Gesellschaft ist Punkt IV (Liebe, Anner-kennung) und V (Leistung) vertauscht. Und hier liegt der Grund für manchen Konflikt, manches Missverständnis oder manchen Widerstand verborgen.

Da das Unterbewusstsein am besten in Bildern funktioniert, kann die Pyra-mide helfen, dass jeder seine Bedürfnisse hinterfragt und dies auch mit oder für die Menschen vollzieht, bei denen es gerade Widerstand und Verweige-rung gibt. Dies ist ein Schritt, Beziehungsgeschichten aufzubauen, und so schließt sich auch der Bogen. Denn: Ein jeder Mensch ist richtig. (bs)

Heidemarie Götting, 1954 in Kassel geboren, lebt seit 1977 in Berlin, Mutter zweier Kinder, Coach und Kommunikationstrainerin.

Transzendenz

Selbstverwirlichung

Ästhetische Bedürfnisse

Kognitive Bedürfnisse

Individualbedürfnisse

Soziale Bedürfnisse

Sicherheitsbedürfnisse

Physiologische Bedürfnisse

Die Bedürnispyramide nach Abraham H. Maslow

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Von der Fürsorge zur Selbstbestimmung

Mein Name ist Patrick Fähnrich. Ich bin 24 Jahre alt und bin von Geburt an körperlich eingeschränkt. Falls jetzt der Eindruck entstehen sollte, schon wie-der einer, der uns seine Leidensgeschichte erzählen will: Das ist nicht meine Absicht! Ich bin ein Mensch, der auf Leute zugeht und sehr offensiv und sehr offen mit seiner Einschränkung umgeht. Ich will mit diesem Artikel kein Mitleid erzeugen. Denn Mitleid ist das Letzte, was ich brauche! Ich möchte erreichen, dass ein genormtes Bild vom Menschsein in den Köpfen der Leute verschwin-det. Denn Menschen mit Behinderung sind nicht anders als die sogenannten normalen Menschen. Was ist in dieser Gesellschaft schon normal? Ich stelle mir oft die Frage, warum in der Öffentlichkeit behauptet wird, dass eine Men-ge für Menschen mit Behinderung gemacht wird. Denn die Realität sieht oft anders aus. Das möchte ich euch jetzt anhand einer Situation erzählen, die ich erlebt habe.

Alles fing damit an, dass ich meinen Führerschein vom Arbeitsamt finanzieren lassen wollte, um nicht mehr

von anderen abhängig zu sein. Um dieses Ziel erreichen zu können, musste ich mich einem achtstündigen Test vom Arbeitsamt unterziehen. In diesem wurde ich in allen mög-lichen Bereichen geprüft. Was hat das mit meinem Füh-rerschein zu tun? fragte ich mich. Auf Grund meiner Prü-fungsangst bin ich dann durch den Test gefallen. Das war mir im Nachhinein egal. Viel schlimmer fand ich die Frage des Psychologen, der den Test durchgeführt hat, wie ich überhaupt meine Ausbildung schaffen konnte. Hätte ich gewusst, was für Folgen das Ganze für mich hat, hätte ich mir das mit der Finanzierungsunterstützung für den Füh-rerschein noch mal überlegt!

Das lasse ich mir nicht gefallen

Nach den psychologischen Tests wurde ein Gutachten er-stellt. Auf Grund der Ergebnisse wurde ich vom Arbeitsamt in eine Maßnahme gesteckt, in der ich trotz meiner abge-schlossenen Berufsausbildung meine Arbeitstauglichkeit für den ersten Arbeitsmarkt beweisen musste und zwar wieder in siebenstündigen täglichen psychologischen Tests. Als wenn das nicht gereicht hätte, musste ich mir jeden Tag von einer Psychologin anhören, wie dumm ich sei und dass meine Ausbildung sowieso nichts wert ist! Zudem meinte diese Frau zu mir, dass ich dem Druck, der auf dem ersten Arbeitsmarkt herrscht, nicht gewachsen sei und dass ich in einer Behindertenwerkstatt besser auf-gehoben wäre. Das fand ich sehr respektlos und unver-schämt. Erstens kennt sie mich nicht, und zweitens kann sie mich nicht allein auf Grund von Tests beurteilen. Ich wurde in verschie-denen Bereichen geprüft: z.B. Mathe, Deutsch, Logikaufgaben und noch vielen mehr. Dadurch sollten meine Arbeitsmarktfähigkeiten eingeschätzt werden. Meiner Meinung nach sagt so ein Test aber nichts über die Ar-beitsweise eines Menschen aus.

Warum reichen die Testergebnisse der Psychologin als Grundlage, um zu entscheiden, ob ich für den ersten Arbeitsmarkt geeignet bin oder ob ich in die Behindertenwerkstatt gehen soll? Wofür habe ich eigentlich so viel gelernt, wenn ich am Ende sowieso abgeschoben werde? Mir war klar: Das lass ich mir nicht gefallen! So begann der Kampf gegen die Abschiebung. Zuerst musste ich mir einen Plan überlegen! Meine erste Anlaufstelle war der Anwalt. Ich fragte ihn, ob ich einfach auf Grund eines Gutachtens in die Behindertenwerkstatt gesteckt werden kann. Der Anwalt meinte zu mir, dass es so einfach nicht geht, da ich eine abgeschlossene Berufsausbil-dung vorweisen kann. Er legte mir ein Gegengutachten ans Herz. Aber was das heißt, könnt ihr euch ja vorstellen: acht Stunden Test in allen Bereichen.

Praktikumsplatz statt Behindertenwerkstatt

Ok, dachte ich mir, erst mal einen finden, der so ein Gegengutachten er-stellt. Zum Glück habe ich durch Mundpropaganda und der Hilfe meines ehemaligen Einzelfallhelfers eine Institution gefunden, die mit mir diesen Test durchgeführt hat. Dafür danke ich den Mitarbeitern der Kompetenz-Agentur, die mich so unterstützt haben und diesen schwierigen Weg mit mir gegangen sind. Mit dem Gegengutachten in der Tasche bin ich dann zusammen mit meiner Mama und den Herren von der Kompetenz-Agen-tur zum Arbeitsamt gegangen, um über das Ergebnis des Testes und über meine berufliche Zukunft zu reden. Bei dem Gespräch kam heraus, dass ich nicht in die Behindertenwerkstatt gehen muss, sondern in eine Maß-nahme kann, wo dann individuell nach einem Praktikumsplatz geschaut wird. Nach dem Gespräch war ich so erleichtert, das sage ich euch! In der oben genannten Maßnahme habe ich mit Hilfe meiner Betreuerin end-lich ein perfektes Praktikum beim Kulturverein Prenzlauer Berg gefunden.

In diesem Verein habe ich mich das erste Mal richtig willkommen gefühlt. Ich bin diesen Leuten bzw. dem Verein so dankbar, dass sie mir diese Chance gegeben haben und ich hoffe, dass ich Teil von diesem Verein bleiben darf.

Mein Fazit aus dem Erlebten ist: Man sollte immer für sei-ne Ziele kämpfen. Egal, was andere erzählen. Man sollte den Glauben an sich selbst nie verlieren! Ein Sprichwort sagt: Wer kämpft, kann ver-lieren; wer nicht kämpft, hat schon verloren. Dieser Artikel ist auch ein kleines Dankeschön an die Menschen, die mich in dieser schwierigen Zeit un-terstützt haben. Ein ganz besonderer Dank geht an eine ganz besondere Frau in meinem Leben, ohne ich die das alles nicht geschafft hät-te: Mama, du bedeutest mir mehr als alles andere in der Welt. Ich hab dich lieb!

Patrick Fähnrich ist seit Mai 2012 Praktikant im Kulturverein. Wenn er nicht gerade Artikel schreibt, unterstützt er das Projektmanagement mit Recherchen oder betreut die von ihm aufgebaute Familienbibliothek im Familienzentrum „über-brücken“.

Mut zur Krücke

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Aufbegehren

Was ist Inklusion?

Was macht den Reichtum einer Gesellschaft aus? Wirtschaftliche Macht? Politi-sche Sicherheit? Oder kulturelle Vielfalt? Es ist von jedem etwas. Dennoch: Eine Gesellschaft besteht aus Menschen. Und sie sind es, die das Wohl einer Gesell-schaft prägen – und zwar in allen wichtigen Lebensbereichen. Um nichts ande-res geht es bei Inklusion: Jeder Mensch erhält die Möglichkeit, sich vollständig und gleichberechtigt an allen gesellschaftlichen Prozessen zu beteiligen – und zwar von Anfang an und unabhängig von individuellen Fähigkeiten, ethnischer wie sozialer Herkunft, Geschlecht oder Alter.Definition der Aktion Mensch: www.aktion-mensch.de

Foto: Frauke Niemann

Page 14: MITTENDRIN Juli-August-Ausgabe 2013

Hallöle,alle mal herhören …

… da bin ich wieder.

„Essen hält Leib und Seele zusammen“, sagt der Volksmund. Is wohl auch so, denn wer kann schon ohne zu essen

existieren? Aber unter „essen“ verstehen ja die Menschen recht unterschiedliche „Inhalte“… Fängt ja schon beim

Frühstück an: für die einen is ein ruhiges und im Sitzen eingenommenes solches mit einer oder zwei schön belegten

Stullen und einem heißen Käffchen das A & O. (Sollte ich mich jetzt auch in die Diskussion „Schwaben in Berlin“ – sie-

he Buchempfehlung in meiner vorigen Kolumne – einmischen und erklären: eine Stulle is eine Scheibe Brot, ja? oder

für die bei uns lebenden Bürger aus Sachsen: eine Bemme … hm… lass ich aber!!!) Für die anderen reicht ein vor der

Rasur angesetzter und während derselben erkalteter „Türkischer“ und eine Zigarette im Vorbeiflitzen. Na, will auch

keinem zu nahe treten, muss jede oder jeder machen, wie er will, aber ganz ohne geht’s nich.

Natürlich spielt auch das Geld eine Rolle. Viele Lebensmittel haben, auch durch ihre Bio-Qualität (?), preislich ziem-

lich angezogen. Aber ich muss doch was in meinen Bauch kriegen! Wie gut, dass es für Bedürftige die Aktion „Laib

und Seele“ gibt. (Nee, is kein Druckfehler, gemeint is hier wirklich ein Brotlaib.) Ganz in der Nähe von unserer Zen-

trale, in der Göhrener Straße im Elias-Kuppelsaal, können sich Hartz-IV-Empfänger oder ihnen Gleichgestellte Essen

abholen. Auch einige junge Menschen aus unserem BeWo haben dieses Angebot dankbar angenommen.

Aber es gibt ja noch andere Möglichkeiten, zu kostenlosem oder kostenreduziertem Essen zu kommen, stellver-

tretend zwei Beispiele: die get2card = zwei Essen bestellen, nur eins bezahlen oder der DKB-Club = als Kunde der

Deutschen Kreditbank erhalte ich prozentuale Rabatte in Gaststätten. (In beiden Fällen natürlich nur in solchen, die

auch dabei mitspielen!)

Hm … die beste Möglichkeit, sich mal so richtig kostenlos sattessen zu können, is aber noch eine andere: Lasst

euch zu einem Buffet einladen; egal ob kaltes, kalt-warmes, Kuchen- oder sonstwas für eins. Es lohnt sich in jedem

Fall. Reinhard Mey konnte davon auch ein Lied singen. In „Die heiße Schlacht am kalten Buffet“ beschreibt er in der

ersten Strophe die Atmosphäre recht treffend:

„Gemurmel dröhnt drohend wie Trommelklang. Gleich stürzt eine ganze Armeedie Treppe herauf und die Flure entlang: dort steht das kalte Buffet.

Zunächst regiert noch die Hinterlist, doch bald schon brutale Gewalt.Da spießt man, was aufzuspießen ist, die Faust um die Gabel geballt.

Mit feurigem Blick und mit Schaum vor dem Mund kämpft jeder für sich alleinund schiebt sich in seinen gefräßigen Schlund, was immer hineinpasst, hinein.“

Also, besser hätte ich es auch nich sagen können. Hab ja auch schon etliche Buffet-Erfahrungen gesammelt in den

Jahren. Dumm is nur, dass man sich vorher erst die Reden anhören muss! Das is aber wohl so unverzichtbar wie die

Werbung mitten im Spielfilm im Fernsehen. Was allerdings in Meys Lied fehlt, is das Ende. Komisch: er spricht nich

davon, dass sich die Beteiligten beim Gastgeber bedanken oder das tolle Buffet loben. Das wär doch selbstver-

ständlich, wa? So wie bei den wunderbaren kulinarischen und musikalischen Genüssen bei unserm Neujahrsemp-

fang oder all den schönen Feier-Buffets in unseren Kitas … Oder hab ich da was überhört? Na, bleib ich beim Volks-

mund: „Entstehende Ähnlichkeiten sind rein zufällig … beabsichtigt.“ Mey endet: „Na denn: Prost bis zum nächsten

Mal.“ Hi, hi, hi! Wir treffen uns.

Ich spring dann mal wieder los …

„Auf, auf, mit Elan zum nächsten Buffet“,schmatzt der Springende Punkt vom KVPB.

Kolumne

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Kiez-Kultur

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Stephan Lenz, CDU, Wahlkreis 6

Stephan Lenz, 44 Jahre alt, gehört zu den Abgeordneten aus den Wahlkreisen im Ortsteil Prenzlauer Berg, die bei der Abgeordnetenhauswahl 2011 zum ersten Mal ins Parlament einzogen. Wir treffen uns im Haus des Kulturvereins Prenzlauer Berg e. V. zu einem Gespräch.

Stephan Lenz ist Rechtsanwalt, verheiratet, hat zwei Söhne. Er ist Vorsitzender des Ortsverbandes

Schönhauser Allee der CDU. „Es macht Spaß, der Vorsitzende des Ortsverbandes Schönhauser Allee zu sein. Wir sind ein Team, das sich aufeinander verlassen kann.“ Der Ortsverband sei in den vergangenen Jahren kontinuierlich größer geworden, erfahre ich von ihm. „Ich bin 2001 auf dem Höhepunkt der Berliner Bankenkrise in die CDU eingetreten. Es war die Zeit, wo es für die CDU sehr schlecht lief.“ Es folgten Jahre in der Funktion als Schatzmeister im Ortsverband Schönhauser Allee und seit 2006 der Vorsitz des Ortsverbandes. „Viele Ideen, die ich nach draußen trage, entstehen im Team. Sie bilden ein Werk, das im Austausch mit meinen po-litischen Freunden entstanden ist, die mir auch klar sagen, wenn sie etwas nicht richtig finden. Das ist das, was uns zusammenhält als Ortsverband, unser gemein-sames Verständnis von Urbanität.“ Das Thema Urbanität wird unser gesamtes Gespräch begleiten.

„Natürlich war die Freude groß, als feststand, dass ich über die Landesliste in das Abgeordnetenhaus einziehen werde“, erzählt Stephan Lenz. Gerade nach einem langen und Kräfte zehrenden Wahlkampf möchte jeder Erfolg haben. „Ich kann Ihnen auch sagen“, fährt Lenz fort, „nicht jeden Tag, aber überwiegend macht es doch großen Spaß, Abgeordneter zu sein.“ Die parlamentarische Arbeit war Stephan Lenz auch vor der Wahl nicht fremd. Er war zehn Jahre lang wissen-schaftlicher Referent der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus von Berlin. Seine Hauptarbeitsbereiche waren die Innen-, Rechts- und Integrationspolitik. So konn-te er nach der Wahl gleich an diese Erfahrungen anknüpfen. „Ich bin Mitglied des Innenausschusses, des Verfassungsausschusses und des Europa- und Medienausschusses. Alle drei Ausschüsse habe ich als Referent beratend begleitet. Heute bin ich im Ausschuss für Verfassungsschutz in der Sprecherposition.“

Keine Bebauung des Mauerparks

Stephan Lenz, geboren in Cochem an der Mosel, ist Wahlberliner. „Neuberliner möchte ich nicht mehr sagen. Seit fast 18 Jahren lebe ich hier.“ Lenz lehnt sich zu-rück. Er scheint an diese Jahre zurückzudenken. „Meine beiden Söhne sind in Berlin geboren. Ich bin ganz bewusst nach Berlin gezogen. Ich lebe sehr gern in einer Großstadt, und deswegen ist auch Urbanität eins meiner Themen.“ Eng zusammen mit dem Thema Urbanität sieht Stephan Lenz die Entwicklung des Mauerparks. Sein Ziel ist es, dass der Mauerpark sich stetig entwickelt und ein noch größerer Anziehungspunkt für jedermann wird. „Da hat sich in der letzten Zeit einiges ge-tan, speziell was die Sicherheit betrifft.“ Vor nicht langer Zeit bestand der Plan einer weit reichenden Bebauung freier Flächen im Mauerpark. „Ich habe nichts gegen Bebauung“, sagt Lenz, „aber nicht im Mauerpark. Es ist eine einmalige Chance, eine so große Freifläche zu haben, die man nutzen muss, für Jung und Alt. Wir haben auch viel erreichen können; die Südbebauung wurde komplett verhindert.“ Aus diesen Worten spricht Genugtuung. „Wichtig war uns, dass die Gewerbetreibenden im Süden weiter tätig sein können, denn sie haben eine große Bedeutung für den Charakter des Parks.“ Der Park soll nicht eine langweilige Grünfläche sein. „Der Mauerpark ist der Mauerpark. Dazu gehört der Flohmarkt genauso wie Karaoke. Eine bunte Mischung, ein Anziehungspunkt für ganz Berlin und für Touristen.“

Auf der Website von Stephan Lenz findet sich unter anderem die Aussage, bür-gerlich sein heißt, für sich und andere zu sorgen, eigenverantwortlich das eigene Leben und das seiner Familie zu gestalten. „Das ist mein Begriff von Bürgerlichkeit, den ich natürlich auch als Christdemokrat lebe. Das ist meine Überzeugung, die auf der christlichen Soziallehre beruht. Danach ist der Mensch verpflichtet, für sich selbst und die Seinen verantwortlich zu sorgen.“ Stephan Lenz blickt nachdenk-lich auf seine Hände. „Das schließt natürlich ein, auch dem Anderen zu helfen, ihn dazu zu bringen, sich wieder selbst helfen zu können. So ist unsere ordnungspo-litische Vorstellung, eine starke Betonung des Prinzips der Eigenverantwortung. Freiheit und Verantwortung bilden eine Einheit.“

Unterstützung des „Café Treffpunkt“. Die Unterstützung der Heilsarmee, speziell des „Café Treffpunkt“ in der Kuglerstraße, bildet einen weiteren Schwerpunkt der Arbeit von Stephan Lenz in seinem Wahlkreis. „Wir haben mit der Heilsarmee seit vielen Jahren eine enge Zusammenarbeit, denn wir finden das, was die Heilsarmee macht, sehr gut, nämlich das Leisten wirksamer Hilfe für Menschen, die Hilfe nötig haben.“ Ich erinnere mich an einen Besuch im „Café Treffpunkt“ und weiß, dass die Arbeit dort knallhart ist, die öffentliche Anerkennung sich dafür aber in Grenzen hält. Andere Hilfsorganisationen genießen viel mehr Öffentlichkeit. Die Heilsarmee aber wird in den Medien kaum wahrgenommen. Ein Fehler, der viel-leicht mit dazu geführt hat, dass das „Café Treffpunkt“ heute in seiner Existenz ge-fährdet ist. Der Bezirk Pankow muss sparen. „Wir haben uns von Anfang an dafür eingesetzt, dass der Standort gesichert wird.“ Lenz’ Stimme wird lauter. „Der Erhalt ist erst einmal gesichert, aber die Diskussionen werden wieder beginnen. Eine Zusammenlegung mit anderen Einrichtungen ist keine Option.“

Nun sind wir beim Thema Geldknappheit in Berlin. Dennoch ist Stephan Lenz überzeugt, dass die Haushaltskonsolidierung oberste Priorität genießen muss.

„Berlin muss raus aus der Schuldenfalle“, sagt er. „Wir hatten ja Glück, konnten wider Erwarten das Jahr 2012 mit einem Haushaltsüberschuss von mehr als 600 Millionen Euro abschließen. Die Hälfte davon mussten wir als Rückstellung für den Flughafen BER deklarieren. Aber immerhin konnten wir 315 Millionen tilgen. Der Abschluss 2012 ist ein Ausweis für die gute Arbeit der Koalition. Es macht trau-rig, dass so ein guter Erfolg in den Hintergrund gerät wegen anderer negativer Schlagzeilen wie dem Flughafen BER.“

Der Arbeitstag eines Abgeordneten ist oft lang, häufig gibt es Termine am Abend und am Wochenende. Offiziell ist das Berliner Abgeordnetenhaus ein so genann-tes „Halbtagshaus“. Der Umfang der Arbeit ist jedoch halbtags nicht zu stemmen. Für Stephan Lenz ist es sehr wichtig, den bisher ausgeübten Beruf nicht aufzuge-ben, sondern ihn reduziert weiterzuführen. „Ich bin immer noch als Rechtsanwalt tätig. Das schafft Unabhängigkeit, denn Politik ist immer ein Mandat auf Zeit. Wenn das Mandat erlischt, muss man eine berufliche Heimat haben. Man merkt, wenn Politiker ihre Unabhängigkeit verlieren und dann besonders anfällig für Kompromisse sind. Ich möchte keine Kompromisse eingehen müssen, die ich nicht verantworten will.“ Bei diesem Arbeitspensum ist es nicht leicht, immer genü-gend Zeit für die Familie zu haben und für persönliche Hobbys. Doch darauf achtet Stephan Lenz sehr. „Ich spiele sehr gern mit meinen Kindern, Gesellschaftsspiele, auch Computerspiele. Dann nehme ich natürlich am kulturellen Leben in Berlin teil. Ich bin nach Berlin gekommen, weil ich bewusst in der Großstadt leben möchte.“

Urbanität heißt Heterogenität

Kehren wir noch einmal zur Arbeit im Ortsverband Schönhauser Allee zurück. Ein weiteres Thema, das dort mit Sorgfalt besprochen wird, ist das Steigen der Mieten, das viele Menschen im Kiez und darüber hinaus beschäftigt. „Es muss so sein, dass Menschen, die hier leben, auch möglichst hier leben bleiben können, wenn sie das möchten. Urbanität heißt für mich auch Heterogenität.“ Lenz möchte nicht, dass hier nur reiche Leute leben. „Wobei ich das in Prenzlauer Berg noch mit einer gewissen Gelassenheit sehe. Leute mit gutem Einkommen bringen Kaufkraft.“ Das fördere auch Vielfalt. Lenz freut sich auch über vermögende Leute im Kiez, die sollen aber andere nicht verdrängen. „Es fängt aus meiner Sicht erst dann an problematisch zu werden, wenn Verdrängung einsetzt, also wenn Leute wegziehen müssen, die gerne bleiben würden und die aus finanziellen Gründen für Andere Platz machen müssen.“ Stephan Lenz sieht die Problematik, was die Luxussanierung betrifft, kritisch. „Man muss, um den Bestandsschutz zu sichern, den kritischen Blick bewahren und mit geeigneten Maßnahmen reagieren.“

Die nächste Abgeordnetenhauswahl wird 2016 stattfinden. Was will Stephan Lenz in dieser Zeit politisch erreichen? „Ich möchte diese Zeit nutzen, um meine Projekte abzuarbeiten. Auf Landesebene sind wir dabei, den Verfassungsschutz neu zu organisieren. Als Sprecher des Ausschusses für Verfassungsschutz darf ich da an federführender Stelle mitwirken. Ich würde gern in einer Arbeitsgruppe mitwirken, um die Berliner Erfahrungen bei der Stärkung der Elemente direkter Demokratie bundesweit stärker publik zu machen. Kommunalpolitisch bleiben der Mauerpark und die Heilsarmee Schwerpunkte.“Unser Gespräch geht zu Ende. Wir verabschieden uns, wollen vor dem Ende der Legislaturperiode weitere Gespräche führen. Und das ist gut so.

Text: Claus Utikal

Vorgestellt: Abgeordnete aus unseren Wahlkreisen

Bildnachweis / Copyright: Stephan Lenz / Fotograf: Yves Sucksdorff15

Kiez-Kultur

Page 16: MITTENDRIN Juli-August-Ausgabe 2013

Wohin im Juli/August? Veranstaltungskalender

BilderrätselWo steht denn das?

In Pankow gibt es mindestens 226 Kunstwerke im öffentlichen Raum. Darunter Statuen aus Bronze und Messing, Plastiken aus Holz und Stein, Objekte aus Stahl und Kunststoff, Brunnen aus Stein, Denksteine, Wasserspiele und Figuren.

Wir suchen ein lebensgroßes Bronze-Mädchen. Es findet sich mitten im Prenzlauer Berg in der Nähe einer stark befahrenen Straße und

steht auf einem rechteckigen Granitsockel, der von geometrischen Spielgegenständen umgeben ist. Sein Blick richtet sich auf eine kleine Grünfläche, umrandet von Bäumen.

Der Künstler wurde in Berlin geboren und studierte Bildhauerei an der Kunsthochschule Weißensee. Seine Kunstwerke finden sich nicht nur in Deutschland. Das gesuchte Mädchen erschuf er 1982 und widmete es einem bekannten Pädagogen, dem Gründer des ersten Kindergartens.

Gleich erkannt?

Teilen Sie uns bitte bis zum 9. August Ihre Lösung unter [email protected] mit. Unter allen Mitratern verlosen wir 2 Eintrittskarten für die Inszenierung von SchauComp/danziger50 „Irrenhaus Danton – da wir nichts voneinander wussten“ am 16. August um 19 Uhr im ZENTRUM danziger50. (bs)

Montag, 8. Juli, 19.30 Uhr Was: Fachgruppe Esperanto. Esperanto in Kroatien.Wo: ZENTRUM danziger50/Danziger Str. 50/10435 BerlinEintritt frei.

Freitag, 19. Juli, 20 UhrWas: Musikalischen Soirée mit Luciene Weiland und Easy Living. Mit Stücken von brasilianischen Modernisten und Bertolt Brecht.Wo: ZENTRUM danziger50/Danziger Str. 50/10435 BerlinEintritt 10 Euro, ermäßigt 7 Euro.

Montag, 22. Juli, 19.30 Uhr Was: Fachgruppe Esperanto. Welche Signale kommen aus Island vom 98. Esperanto-Weltkongress in Reykjavik? „Inseln, die sich nicht isolieren: Für eine gerechte Kommunikation zwischen den Sprachgemeinschaften“ Wo: ZENTRUM danziger50/Danziger Str. 50/10435 BerlinEintritt frei.

Montag, 05. August, 19 UhrWas: Klönkino. Mit Ausschnitten aus „Im Westen nichts Neues“.Wo: ZENTRUM danziger50/Danziger Str. 50/10435 BerlinEintritt frei, Spenden erwünscht.

Montag, 12. August, 19.30 UhrWas: Fachgruppe Esperanto. Bildvortrag „Meine Erlebnisse in Myanmar (Burma)“ – Peter Kühnel bericht von einer ungewöhnlichen Reise.Wo: ZENTRUM danziger50/Danziger Str. 50/10435 BerlinEintritt frei.

Freitag, 16. August, 19 Uhr Was: Freilichttheater. Irrenhaus Danton – Da wir nichts voneinander wussten.Wo: Freilichtbühne/ZENTRUM danziger50 Danziger Str. 50/10435 Berlin

Montag, 15. August, 19 Uhr Was: Vernissage. Eröffnung der Fotografieausstellung „rot!“ von s. sabine krause. Öffnungszeiten der Ausstellung 16. August bis 15. Oktober, Mo bis Fr 10 - 16 Uhr.Wo: Galerie unter der Treppe/ZENTRUM danziger50/ Danziger Str. 50/10435 BerlinEintritt frei.

Mittwoch, 21. August, 17 Uhr Was: Dornröschen-Puppentheater. Weitere Termine: Donnerstag, 22. August, 10 Uhr/ Freitag, 23. August & Samstag, 24. August, 17 Uhr.Wo: PuppenTheater Felicio/Schivelbeiner Straße 45/10439 BerlinKinder 4,00 Euro, Erwachsene 7,00 Euro; Kindergärten und Schulen mit dem Ermäßigungsschein des JKS 2,50 Euro, Erzieher haben freien Eintritt.

Freitag, 23. August, ab 15 UhrWas: Musikalisches Sommerfest des ZENTRUM danziger50 und der Jungen HumanistInnenWo: Innenhof/ZENTRUM danziger50/Danziger Str. 50/10435 BerlinEintritt frei.

Montag, 26. August, 19.30 Uhr Was: Fachgruppe Esperanto. Ideen für das Jubiläum „111 Jahre Esperanto in Berlin“ – eine Diskussion. Wo: ZENTRUM danziger50/Danziger Str. 50/10435 BerlinEintritt frei.

Samstag, 31. August, ab 16 Uhr Was: 4. Berliner Buchnacht: Literatur Festival in der Kulturbrauerei Mit Heinz Strunk u. a. 60 Künstler / 30 Lesungen / 8 Stunden.Wo: KulturBrauerei/Schönhauser Allee 36/10435 BerlinEintritt 15 Euro, ermäßigt 12 Euro.

Fotos: Frauke Niemann