Männer töten - Frauen morden Sendefassung · Ulf Weber geht nicht arbeiten, aber er kümmert sich...
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DEUTSCHLANDFUNK -Köln im DeutschlandRadio Redaktion Hintergrund Kultur / Hörspiel Ulrike Bajohr Tel. (0221) 345 1503 Dossier Männer töten. Frauen morden. Über den großen Unterschied vor Gericht. Von Gaby Mayr Sprecher Regie URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. DeutschlandRadio Sendung: Freitag, d. 12. Januar 2007, 19.15 - 20.00 Uhr
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Atmo: "gehobene Frühstücksmusik" (Vivaldi etc.- od er
moderner) plus Zeitungsblättern/Tassenklappern
SPRECHERIN
Die "Bremer Nachrichten" vom 31. Mai 2006 liefern zum
Frühstück die übliche Mischung aus Krankenkassen-Krise,
Klima-Katastrophe und Madonna. Auf der "Niedersachsen-
Seite", die ihre Leserschaft mit Neuigkeiten aus der Region
versorgt, wird an diesem Tag über zwei Prozesse nach
Bluttaten berichtet: Zwei Angeklagte stehen vor Gericht, weil
sie den Menschen getötet haben, den sie einmal liebten.
SPRECHER
"Tödlicher Streit um ein Krabbenbrötchen" titelt die Zeitung
zum Prozessauftakt in Lüneburg: Ein 43jähriger arbeitsloser
Automechaniker hatte am Frühstückstisch auf seine
Freundin eingestochen. Zwei Stunden später starb die Frau
an ihren Verletzungen.
SPRECHERIN
Die Anklage der Staatsanwaltschaft lautet auf Totschlag.
Den Angeklagten erwartet eine Gefängnisstrafe "nicht unter
fünf Jahren" - so heißt es im Gesetz.
SPRECHER
In Göttingen, steht eine 51jährige Krankenschwester vor
Gericht. Sie hatte ihrem Ehemann ein Beruhigungsmittel ins
Eis gemischt und ihn, als er schlief, mit einer hohen Dosis
Insulin getötet. Die Frau habe sich zu der Tat entschlossen,
ist in der Meldung zu lesen, "weil der Ehemann ihre älteste
Tochter als Kind sexuell missbraucht haben soll".
SPRECHERIN
Die Anklage lautet auf Mord. "Der Mörder wird mit
lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft" - bestimmt das Gesetz.
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Musik: Michael Andrews - Middlesex Times
SPRECHER
Männer töten. Frauen morden.
SPRECHERIN
Über den großen Unterschied vor Gericht.
SPRECHER
Eine Sendung von Gaby Mayr
SPRECHERIN
Landgericht Lüneburg, Schwurgerichtssaal.
Der Angeklagte – nennen wir ihn Ulf Weber - sitzt mit
gesenktem Kopf auf der Bank seitlich vor dem Richtertisch.
Sein braunes Haar trägt er - nach vorne in die Stirn
gekämmt, hinten ein wenig über dem Kragen. Dazu einen
Kinn- und Oberlippenbart, kurz gestutzt. Er ist mittelgroß,
schlank. Ulf Weber hat
während des ganzen Prozesses geschwiegen. Ein paar Mal
hat er geweint.
Der Schwurgerichtssaal mit geweißter Kassettendecke und
weißen Wänden ist der größte Raum in dem herrschaftlichen
Justizgebäude, einer ehemaligen herzöglichen Residenz aus
dem 17. Jahrhundert:
Der Angeklagte sitzt weit entfernt von Andrea Suhr - der
Schwester der Getöteten.
(O-TON SUHR)
"Wie war Regina als ältere Schwester? Im Kindesalter war
sie ziemlich energisch, würde ich sagen, also eher so ein
Hauruck-Typ, und, na gut, ich komm da noch und meine
jüngere Schwester, und sie war so ein bisschen ein
Aufpasser für uns. Sie hat schon bestimmt, wo´s langgeht."
SPRECHERIN
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Andrea Suhr tritt für die Familie als Nebenklägerin auf.
"Das ist das Letzte, was ich für Regina tun kann", sagt
Andrea Suhr, "sie hat so viel für mich getan".
Regina Oden wurde 39 Jahre alt.
(O-TON SUHR)
"Also den Schulabschluss, das war ein
Hauptschulabschluss, sie hat eine Gärtnerlehre
abgeschlossen und hat dann jahrelang als Friedhofsgärtner
gearbeitet in Lüneburg."
SPRECHERIN
Die Schwestern hatten lange Zeit kaum Kontakt. Aber sie
haben sich nie aus den Augen verloren.
Regina Oden lernte Ulf Weber bei einer Kur kennen. Die
Gärtnerin hatte häufig Probleme mit dem Rücken, sie musste
an der Bandscheibe operiert werden und danach in die
Reha.
(O-TON SUHR)
"Das erste Mal habe ich ihn getroffen im Mai 2001. Das war
bei meiner noch älteren Schwester, da waren wir auf Besuch
eingeladen wegen Geburtstag, und er war extrem
zurückhaltend, hat immer nur was gesagt, wenn man ihn
direkt angesprochen hat. Man konnte das eindeutig
bemerken, dass sie sehr in ihn verliebt war, also kann man
eindeutig so sagen, und dass das wohl von beiden Seiten so
war."
SPRECHERIN
Ulf Weber wohnt in Lingen im Emsland, über 200 Kilometer
entfernt. Er besucht seine Freundin Regina häufig in
Lüneburg. Auch er hat Probleme: Er ist arbeitslos. Und er
"trinkt gerne was", sagt Andrea Suhr:
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(O-TON SUHR)
"Erstmal war es Fakt, dass Regina gesagt hat, man möchte
ihm keinen Alkohol anbieten. Wenn sie gesehen hat, dass er
irgendwo gestanden hat, ein Bier trinkt, ist sie hin, was das
soll, und oft haben sie sich gestritten, entweder sind sie
gegangen oder er hat das Bier halt weggestellt. Ich weiß
selbst nicht, wie er reagiert hat, wenn er Alkohol getrunken
hat, nur also dass er halt sehr aggressiv war, aber das weiß
ich auch nur von Regina."
SPRECHERIN
Gut ein Jahr, nachdem sie sich kennen gelernt haben,
ziehen Regina Oden und Ulf Weber in eine gemeinsame
Wohnung bei Lüneburg. Schon bald kommt es zum Streit:
Ulf Weber geht nicht arbeiten, aber er kümmert sich auch
nicht um den Haushalt.
(O-TON SUHR)
"Das wurde immer ein bisschen mehr, dass es sie halt
gestört hat und er sich halt Arbeit suchen sollte, und es ist
aus einem Streit raus gekommen, dass er sie verprügelt hat,
und da hat sie ja den Abend dann meine Brüder angerufen,
zwei von den Älteren, die sie da bitte abholen möchten.
Meine Brüder haben auch gesagt, dass er sie getreten hätte.
Wenn sie am Boden lag, dass er sie getreten hätte."
(O-TON WORCH-ROHWEDER)
"Wir haben die Situation, dass die Brüder gesagt haben, als
sie die Frau Oden dort seinerzeit aus der Wohnung geholt
haben, da hat der eine Bruder davon geredet, sie sei in
bestialischer Weise traktiert worden…
SPRECHERIN
Wilfried Worch-Rohweder, der Rechtsanwalt von Andrea
Suhr.
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(O-TON WORCH-ROHWEDER)
…mit der Beschreibung, sie sei auf den Bauch gedreht
worden und sei dann auf dem Rücken verprügelt oder
getreten worden, mit Hämatomen, wohl wissend seitens des
Täters, dass sie erhebliche Bandscheibenverletzungen hat,
was natürlich die Schmerzen unbegreiflich werden lässt."
(O-TON SUHR)
"Was ich aus Tagebüchern jetzt gelesen habe, ist sie schon
öfter verprügelt worden. Aber darüber hat sie nicht
gesprochen."
Musik: Michael Andrews – Middlesex Times
(O-TON KAROW)
"Mein Mandant hat den Hauptschulabschluss erworben,
seine Eltern waren auf einem Binnenschiff tätig, insofern hat
er sein Leben lang nie einen festen Bezugspunkt gehabt und
hat immer unter steten Trennungen gelitten."
SPRECHERIN
Andreas Karow ist der Verteidiger von Ulf Weber.
(O-TON KAROW)
"Er hat durchaus häufiger Beziehungen gehabt, er war also
nicht etwa, was man neudeutsch beziehungsunfähig nennt
oder in sich gekehrt. Er hat unter anderem mit einer etwa
Gleichaltrigen vor zirka zehn Jahren eine langjährige
Beziehung gehabt, sie haben beide als Lebensgefährten
lebend ein eigenes Kind zur Welt gebracht und aufwachsen
lassen."
SPRECHERIN
Im Prozess kommt zur Sprache, dass Ulf Weber in einer
früheren Beziehung gewalttätig war. Er schlug die Tochter
seiner damaligen Lebensgefährtin so, dass ihr Nasenbein
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brach. Eine Anzeige bei der Polizei wurde nicht erstattet.
Auch Regina Oden ging nicht zur Polizei, nachdem Ulf
Weber sie zusammengeschlagen hatte. Ulf Weber habe
einen "impulsiven Charakter", heißt es im Prozess:
(O-TON KAROW)
"Ohne einen impulsiven Charakter wäre es wohl nicht zu
solch einem tragischen Geschehen gekommen. Es ist
sicherlich ein Charakter, der seine positiven Seiten hat, sehr
ordentlich ist, sehr genau ist, aber auch in menschlichen
Beziehungen möglicherweise ein Übermaß an Genauigkeit
und damit fehlende Diplomatie aufweist."
Musik: Michael Andrews – Middlesex Times
SPRECHERIN
Nach seinem gewalttätigen Angriff trennte sich Regina Oden
von Ulf Weber.
(O-TON SUHR)
"Zuerst war absolute Funkstille. Und dann hat er sich ja wohl
220 mal entschuldigt, jetzt salopp gesagt, und beteuert, dass
er halt alles unternehmen möchte, würde, um sie zurück zu
kriegen. Ich denke, gefühlsmäßig hat sie sehr an ihm
gehangen noch. Also, sie hat ihn wirklich geliebt. Er war total
nett. Er konnte zuhören. Er hat geredet, also das, was in der
ersten langen Beziehung gefehlt hat, er hat ihr Blumen
mitgebracht, er ist mit ihr Essen gegangen, er ist mir ihr
spazieren gegangen, und das hat sie vorher überhaupt nicht
gehabt. Vom Tagebuch her, war er ein oberzärtlicher
Mensch, oder ist einer, und das hat halt für sie gepasst."
SPRECHERIN
Die Beziehung der beiden ist zwiespältig.
Regina Oden genießt Ulf Webers Zuwendung.
Andere Verhaltensweisen stoßen sie ab. Sie fühlt sich
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zunehmend eingeengt, bedrängt. Sie bekommt Angst.
Ulf Weber will die Beziehung. Er will Regina Oden - offenbar
um jeden Preis.
(O-TON WORCH-ROHWEDER)
"Die Situation ist so gewesen, dass er ihr wirklich, das haben
wir von den Zeugen gehört, nachgestellt hat, sie überwacht
hat, sowohl bezüglich ihres Aufenthaltsortes als auch in
Bezug auf Besuch und in Bezug auf ihre ganze
Lebensführung."
(O-TON SUHR)
"Er wusste, mit wem sie zusammen ist, denn wenn sie
Besuch hatte, rief er an und fragte, ob das Bett schon warm
ist und ob´s alles schön kuschelig ist und hat sie bei ihrem
Arbeitgeber angeschwärzt."
(O-TON WORCH-ROHWEDER)
"Und auch diese Geschichte mit den Anrufen bzw. den SMS,
die gekommen sind, die auch zu jeder Tag- und Nachtzeit
gekommen sind, das erfüllt natürlich schon den jetzt
strafrechtlich gefassten Tatbestand des Stalking."
SPRECHER
"Stalking" : "heranpirschen", „nachstellen“. Mittlerweile ist
Stalking strafbar. Im Jahr 2005 war es noch nicht verboten,
einem Menschen aufzulauern und ihn ständig zu verfolgen.
SPRECHERIN
Richterin Karin Mack ist Pressesprecherin am Landgericht
Lüneburg.
(O-TON MACK)
"Der Angeklagte hatte das Ziel, wieder mit der Frau
zusammen zu kommen, er wollte sie sogar heiraten, und
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hatte ihr vor einigen Monaten vor der Tat gedroht, er würde
ihr etwas antun für den Fall, dass sie ihn verlassen würde."
SPRECHERIN
Im Dezember 2005 steht Regina Odens Entscheidung fest:
Sie will sich endgültig trennen.
Was dann passierte, konnte das Gericht nur aus den
Aussagen der Polizisten rekonstruieren, die Ulf Weber nach
der Tat alarmierte und die ihn vernahmen. Außerdem gab es
den Mitschnitt seines Notrufs. Im Prozess schwieg Ulf
Weber.
Karin Mack schildert die letzten Stunden von Regina Oden:
(O-TON MACK)
"Sie hatte einen Besuch von ihm an einem Samstag Abend,
das war der 10. Dezember 2005, zugelassen, und man saß
dann am Sonntag Morgen beim Frühstück zusammen, die
Frau hatte bereits ihrer Familie, den Geschwistern und der
Mutter, gesagt, dass sie sich trennen wollte, dies aber
bislang gegenüber dem Angeklagten noch nicht geäußert,
der aber durchaus eine gewisse Zurückhaltung in ihrem
Verhalten schon bemerkt hatte.
An dem Morgen kam es dann zu einem späten Frühstück, es
war also schon gegen 13 Uhr, dass der Angeklagte sich ein
Krabbenbrötchen schmierte und die restlichen Krabben, die
vom Vortag übrig geblieben waren, auf seine beiden
Brötchenhälften verteilte. Woraufhin sie ihm vorwarf, dass er
ein Egoist sei. Das führte zu einem Streitgespräch, der
Angeklagte versuchte noch, sie zu beruhigen, indem er ihr
die Hälfte seines Krabbenbrötchens anbot, sie aber war nicht
bereit, den Streit gütlich beizulegen, weil sie diesen Streit
nutzen wollte, um ihm nun endgültig zu erklären, dass er
nicht wiederkommen sollte und die Wohnung verlassen
sollte.
Als sie das dann aussprach, sah der Angeklagte quasi rot, er
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fiel wieder in einen Jähzorn, der für ihn charakteristisch war,
wie der psychiatrische Sachverständige später festgestellt
hat, und er griff nach dem Messer, was auf dem
Frühstückstisch lag, mit einer elf Zentimeter langen Klinge,
und stach es ihr in der Absicht, sie zu töten, in den
Oberkörper."
Atmo Konstanz
SPRECHERIN
Konstanz liegt am Bodensee - das macht den besonderen
Reiz der Stadt aus. Im Hafen nehmen die weißen Dampfer
der Bodenseeflotten Passagiere auf und bringen sie sogar
ins Ausland - denn die Schweiz und Österreich liegen gleich
nebenan. Seit den Sechzigerjahren hat Konstanz eine
Universität.
Dort lehrte bis vor kurzem Peter Steck als
Rechtspsychologe, jetzt ist er pensioniert. In seinem
Wohnzimmer erzählt der Professor über seine Forschung. Er
und sein Team haben ausführliche Interviews mit Männern
gemacht, die ihre Lebenspartnerin umgebracht haben:
(O-TON STECK)
"Das sind Männer, die zunächst einmal überwiegend
strafrechtlich nicht besonders in Erscheinung getreten sind."
SPRECHER
Die Männer waren zwischen Anfang zwanzig und Ende
sechzig. Die meisten stammten aus unteren sozialen
Schichten, aber es gab auch Angehörige der Mittelschicht.
Viele der Befragten hatten Schwierigkeiten in ihrer
Entwicklung und waren sozial nicht sonderlich gut integriert.
Die meisten hatten zuvor bereits Trennungen erlebt.
(O-TON STECK)
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"Beim tödlich endenden Konflikt hatten sie das Gefühl, dass
sie eigentlich keinen Einfluss mehr auf den Konfliktverlauf
nehmen konnten - im Unterschied eben zu dem anderen
Konfliktverlauf, der nicht tödlich endete. Und zum Andern
war es auch so, dass sie sich in der tödlich endenden
Beziehung doch in stärkerer emotionaler oder ökonomischer
Abhängigkeit von der Partnerin fühlten. Wobei emotionale
Abhängigkeit oft damit zu tun hatte, dass gemeinsame
Kinder da waren und man Angst hatte, die Kinder zu
verlieren. Es bedarf wohl dieser subtilen Abhängigkeiten in
dieser Beziehung, und es bedarf wohl auch der Erfahrung
dieses vergeblichen Bemühens, die Partnerin sich
sozusagen gefügig zu machen."
SPRECHER
Der Konflikt schwelte in der Regel schon länger. Auslöser für
die Tat war oft eine so genannte "letzte Aussprache".
Wünschte der Mann dieses Gespräch, so hatte er ganz feste
Vorstellungen über das Ergebnis: Er wollte, dass die Frau
bleibt. Dass sie geht, konnte er sich offenbar nicht vorstellen.
Lebensgefährlich wurde es für die Frau, wenn der Mann
erkannte, dass sie sich seinem Willen nicht mehr fügt. Sich
nicht länger unterordnet. Unmittelbar vor der Tat wurde ihm
klar, dass sein Überlegenheitsgefühl keine Grundlage hat...
(O-TON STECK)
"... dass er seine beanspruchte Machtausübung, dass er die
nicht realisieren kann, dass er stattdessen eine kränkende
Zurückweisung erfährt, und daraus resultiert nun auch die
Tat."
SPRECHER
Die Zeitungen bringen häufig Meldungen über Männer, die
ihre Frau nicht gehen lassen wollen:
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Musik: E.S.T. – What though the way may be long
SPRECHERIN
"Beziehungsstreit endet tödlich: Nach Aussprache über
Beziehungsstreitigkeiten sind am Wochenende in Nordrhein-
Westfalen zwei junge Frauen von ihren Partnern getötet
worden."
SPRECHER
"Ein Mann aus Peine hat sich zehn Tage nach der Tötung
seiner Frau der Polizei gestellt. Der 37jährige soll die Frau
am 2. Juli in ihrem Büro erstochen haben. Hintergrund der
Tat waren vermutlich Trennungsabsichten der Frau."
SPRECHERIN
"Wegen Totschlags an seiner Ehefrau ist ein 59jähriger
gestern ... zu neun Jahren Freiheitsentzug verurteilt
worden....Der angeklagte Vorruheständler ist geständig,
seine Frau am 30. März während eines Streits im
Schlafzimmer erschlagen zu haben. Dies geht aus seiner
zum Prozessauftakt verlesenen schriftlichen Erklärung
hervor. Darin schildert er auch, dass seine Frau
Trennungsabsichten bekundet und ihn beschimpft habe."
SPRECHER
"Zu sechseinhalb Jahren Haft wegen Totschlags an seiner
Frau hat das Landgericht gestern einen 36jährigen verurteilt.
Der Mann hatte gestanden, seine Frau ... erwürgt zu haben.
Er habe befürchtet, verlassen zu werden, gab er als Motiv
an."
SPRECHERIN
Und Frauen, die ihren Partner töten?
Die gibt es natürlich auch. Sie machen allerdings seltener
Schlagzeilen. Denn auf eine Frau, die ihren Lebenspartner
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tötet, kommen etwa zehn Männer, die ihre Ehefrau oder
Beziehungspartnerin umbringen.
Musik: E.S.T. – What though the way may be long
SPRECHER
"Wegen Mordes an ihrem Ehemann, einem 52jährigen
Aushilfstaxifahrer, wurde die 48 Jahre alte Ruth M. aus
Kirchlinteln gestern von der Schwurgerichtskammer...
verurteilt."
SPRECHERIN
"Das Schwurgericht II hat gestern die 39jährige Türkin Ayse
B. wegen Mordes an ihrem Ehemann zu acht Jahren
Gefängnis verurteilt. Zugleich billigte es der Frau eine
eingeschränkte Schuldfähigkeit zu. So konnte das Gericht
auf eine zeitlich begrenzte Strafe zurückgreifen..... Der
Behauptung der dreifachen Mutter, fünf Mal im letzten Jahr
zusammengeschlagen worden zu sein, mochte die Kammer
nicht folgen.... Ausdrücklich betonte (der Richter), dass die
Kammer keine Zweifel habe, dass der Ehemann ihr
mehrfach gedroht hatte, sie und die Kinder sowie andere
Familienangehörige zu erschießen, sollte die Frau ihn
verlassen... Aber: "Die Drohungen gehörten zur Streitkultur
des Paares.""
SPRECHER
Frauen töten aus völlig anderen Motiven als Männer, hat der
Konstanzer Rechtspsychologe Peter Steck in einer weiteren
Studie herausgefunden. Sein Team befragte diesmal
Täterinnen:
(O-TON STECK)
"Diese Studie hat doch einen deutlich anderen Effekt bei
Frauen gezeigt, dass also bei Frauen der tödlich endende
Partnerkonflikt, mit einer Täterin, den Schlusspunkt darstellt
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in einem Bemühen der Frau, von diesem Mann
loszukommen."
SPRECHER
Frauen, die ihren Partner töten, wollen weg aus der
Beziehung. Aber sie sind offenbar nicht in der Lage, auf
unblutige Weise einen Schlussstrich zu ziehen:
(O-TON STECK)
"Das waren überwiegend Frauen - oder fast alle -, die unter
der Beziehung gelitten haben. Allerdings, aufschlussreich ist,
dass diese Beziehungen, unter denen sie gelitten haben,
nicht irgendwelche spektakulären Auseinandersetzungen
erkennen ließen.
Dass diese Frauen einfach nicht in der Lage waren, sich
aggressiv zu wehren."
SPRECHER
Die Frauen hatten offenbar nie gelernt, entschieden
aufzutreten und "nein" zu sagen. Sie waren gefangen in
Rollenerwartungen und Rollenmustern, mit denen sie
aufgewachsen sind: Mädchen sind sozial. Mädchen drängen
sich nicht in den Vordergrund. Mädchen widersprechen
nicht. Frauen kümmern sich um andere. Frauen halten
Männern den Rücken frei.
Musik: Michael Andrews - Middlesex Times
(O-TON VON HAGEN)
"Es war von Anfang an klar, das wollte meine Mandantin
auch, dass nichts verschwiegen wird. Sie war von Anfang an
geständig und hat von Anfang an gesagt, wir wollen nicht
irgendwelche Prozessstrategien entwickeln, wo ich möglichst
gut davon komme oder irgendwas in der Richtung. Ich
möchte, dass alles auf den Tisch kommt, ich werde den
Gutachtern, die mich begutachten, alles erzählen - es gab
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überhaupt keine Alternative"
SPRECHERIN
Nils von Hagen, Rechtsanwalt.
Seine Mandantin - nennen wir sie Elke Winkler - hat ihren
Mann getötet. Sie ist 51 Jahre alt, die beiden waren 34 Jahre
lang verheiratet.
(O-TON FINKE)
"Diese Ehe ist ja schon sehr früh zustande gekommen. die
Beschuldigte ist damals knapp 16 Jahre alt gewesen, als sie
von einem Schüler einer Waldfacharbeiterschule schwanger
wurde, und sie hat dann geheiratet. Ihre Ehe war mit
Ausnahme einer Krise, als sich der Mann schon nach zwei,
drei Jahren kurzzeitig einer anderen Frau zugewandt hat,
eigentlich dem äußeren Anschein nach ziemlich intakt. Was
auffällig war, und das hängt eben auch mit dieser
Persönlichkeit der Beschuldigten zusammen: Sie war
gewohnt, von Kindesbeinen an, zu dulden, zu ertragen, sie
stellte ihre eigenen Belange regelmäßig zurück."
SPRECHERIN
Richter Reiner Finke leitete das Verfahren gegen Elke
Winkler.
(O-TON FINKE)
"Es stellte sich so dar, dass der Sohn, der in Schleswig-
Holstein Angehöriger der Bundeswehr ist, zum
Wochenendurlaub nach Haus kam, seine Mutter auf der
Couch liegend vorgefunden hat, sie erschien ihm sehr
schläfrig, war kaum ansprechbar. Und da in der Familie,
insbesondere bei der Mutter, nach seinem Wissen auch ein
Alkoholproblem war, hat er das zunächst darauf
zurückgeführt, Vater war nicht in Sicht, und dann hat er an
dem Nachmittag sich noch in dem Ort mit andern Dingen
beschäftigt, um dann abends kurz vor 19 Uhr nicht nur die
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Mutter in einem unveränderten Zustand vorzufinden,
sondern auch dann seinen Vater tot im Schlafzimmer
liegend, und das zur Sommerzeit - das war sicherlich kein
angenehmer Anblick, wie man sich vorstellen kann."
SPRECHERIN
Elke Winkler ist überdurchschnittlich intelligent - das ergab
die psychologische Untersuchung vor dem Prozess.
Trotzdem hat sie nur einen Volksschulabschluss - der Lehrer
hatte es damals so empfohlen und die Eltern widersprachen
nicht.
Elke Winkler wurde Kinderpflegerin. Sie lernte weiter und
qualifizierte sich zur Krankenschwester, später wurde sie
Stationsleiterin. Mit ihrem Gehalt sorgte sie für ein stabiles
Familieneinkommen. "Nebenher" bekam sie drei Kinder und
zog sie groß.
Auf ihren Mann ist kaum Verlass. Er gründet ein
Transportunternehmen, weil ihn "Trucks" faszinieren, er kauft
Lastwagen auf Pump - aber genug Geld verdient er damit
nicht. Er übernimmt sich beim Hausbau. Die Familie ist hoch
verschuldet. Elke Winkler versucht, das finanzielle Chaos zu
ordnen. Vergebens. Das Transportunternehmen muss
Insolvenz anmelden, Elke Winklers Gehalt wird gepfändet.
Sie beginnt zu trinken - aber sie "funktioniert" trotzdem.
Außerdem ist die Ehe der Winklers durch eine bedrückende
Geschichte sexueller Ausbeutung belastet. Das erste Mal
wurde Elke Winkler im Alter von fünf Jahren Opfer sexueller
Übergriffe:
(O-TON FINKE)
"Da war ´s zum einen der Schuhmacher, zu dem die Schuhe
gebracht wurden, der Schuhmacher kam wie der Vater aus
dem Sudetenland. Es kam dann ein Nennonkel hinzu. Und
schließlich drittens war ´s dann auch der Küster der
Kirchengemeinde. Das hat sie also schwerst getroffen,
zumal sie in der Familie keinerlei Rückhalt hatte, und es kam
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hinzu, als Gerücht, dass der eigene Vater mit einer Cousine
zumindest geschlechtlichen Verkehr, wenn nicht sogar eine
Schwangerschaft ausgelöst hat."
SPRECHERIN
Auch der Ehemann wuchs in einer Familie auf, in der
sexueller Missbrauch zum Alltag gehörte. Dass er als Kind
selbst sexuell misshandelt wurde, streitet er stets ab. Zwei
seiner Geschwister jedenfalls wurden Opfer des Vaters.
Diese düsteren Kapitel in den beiden Familiengeschichten
bleiben lange verborgen.
1996 hält Elke Winkler es nicht mehr aus und versucht zum
ersten Mal, sich das Leben zu nehmen. Sie wird gerettet und
beginnt eine Therapie. Dort berichtet sie von den sexuellen
Übergriffen, die sie als Kind erdulden musste. Der Therapeut
rät ihr, das Thema zu Hause anzusprechen...
(O-TON FINKE)
"... und im Zusammenhang mit dieser Offenbarung ist eben
die älteste Tochter, die hat dann eben offenbart, dass es da
sexuelle Übergriffe gegeben haben soll vom Vater, zum
Nachteil aller drei Geschwister, das ist nur vage angedeutet
gewesen mit Saunageschichten...."
SPRECHERIN
Die beiden jüngeren Geschwister streiten das ab. Aber die
älteste Tochter bleibt dabei.
Elke Winklers Ehemann hat sich nie klar geäußert, sagt ihr
Rechtsanwalt:
(O-TON HAGEN)
"In der Vergangenheit hat er auf die konkreten Fragen von
ihr immer abwertend reagiert, hat mit Antworten wie "Glaub
doch, was du willst" und "Ich kann dieses Thema nicht mehr
hören" und "Kann damit nicht mal endlich Schluss sein", das
waren so seine Reaktionen."
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SPRECHERIN
An einem Sonntag im Sommer 2005 streiten die Winklers
wieder einmal über mögliche sexuelle Übergriffe des Mannes
an seinen Kindern. Kurz darauf mischt Elke Winkler ihm ein
starkes Beruhigungsmittel in sein Eis.
Musik: Michael Andrews - Middlesex Times
SPRECHERIN
In Göttingen wird das Urteil im Fall von Elke Winkler
verkündet.
Elke Winkler steht mit den anderen Anwesenden auf, als die
Richter den Raum betreten: Sie ist recht groß, schmal, der
Rücken gebeugt. Das kastanienbraune Haar wird von einem
Haarreif gehalten. Vor ihr auf dem Tisch liegen ein
schwarzes Brillenetui und ein Paket Papiertaschentücher.
SPRECHER
Es scheint klar: Eine Frau tötet ihren Mann, der sie
jahrzehntelang ausgenutzt hat, der womöglich sexuelle
Handlungen an den Kindern begangen hat. Sie hat ihn so
getötet, wie es ihr als der körperlich Unterlegenen möglich
war: Nicht im Affekt, nicht spontan. Sondern überlegt,
geplant. Als er schlief, nachdem er das Eis gegessen hatte -
mit einer Überdosis Insulin.
Ein Fall für eine Mordanklage also.
(O-TON HEIMGÄRTNER)
"Wenn das Opfer schläft, können wir sehr schnell bei Mord
sein.
SPRECHER
Hans Hugo Heimgärtner, Sprecher der Staatsanwaltschaft
Göttingen:
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(O-TON HEIMGÄRTNER)
"Die Arglosigkeit und Wehrlosigkeit des Opfers ausnutzen,
dann ist sehr schnell ein Mordmerkmal gegeben."
SPRECHER
Ulf Weber dagegen wurde wütend, als seine Freundin ihm
sagte, sie wolle die Beziehung beenden und er solle gehen.
Er griff nach einem Küchenmesser und stach zu. Eine
spontane Tat, ungeplant, sagt er.
Die Anklage lautet auf Totschlag.
Musik: Michael Andrews - Middlesex Times
SPRECHERIN
"Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich."
SPRECHER
Artikel 3, Absatz 1 Grundgesetz.
Das ist eine Errungenschaft des Rechtsstaates: Niemand
soll ungeschoren oder mit einer milderen Strafe davon
kommen, weil er Geld hat. Oder Macht.
Aber: Wenn Politiker Gesetze verabschieden, haben sie
bestimmte Szenarien im Kopf, für die sie die Paragrafen
verfassen.
Gesetze zur Bestrafung von Tötungen gibt es schon lange.
Als die Juristen sie formulierten, dachten sie zum Beispiel an
verfeindete Nachbarn, an habgierige Geschäftspartner und
an Wirtshausschlägereien. Sie dachten an ledige Mütter, die
ihr Neugeborenes voller Verzweiflung töten. An den Mann,
der im Dunkeln eine Frau überfällt, vergewaltigt und danach
beseitigt. Und an den Gatten, der seine Frau mit ihrem
Geliebten erwischt und beide erschießt.
So genannte "häusliche Gewalt" war dagegen lange Zeit ein
Tabu. Eine Frau, die in einer unerträglichen Ehe mit einem
tyrannischen Mann lebt und ihn schließlich tötet, hatten die
Gesetzgeber nicht im Blick, als sie die Paragrafen zu Mord,
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Totschlag und Notwehr verabschiedeten.
SPRECHERIN
Aber auch das gehört zum deutschen Strafrecht: Jeder
einzelne Fall muss individuell geprüft werden.
Kehren wir also zurück zum Fall Ulf Weber.
(O-TON MACK)
"Die Kammer hat den Angeklagten wegen Totschlags zu
einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten
verurteilt..."
SPRECHERIN
Ob der Angeklagte "gemordet" haben könnte, hat das
Gericht natürlich geprüft. Um wegen Mordes verurteilt zu
werden, muss der Täter oder die Täterin bestimmte
"Mordmerkmale" erfüllen. Wer aus Habgier tötet oder
sexuelle Motive hat, wer "heimtückisch" vorgeht oder
"grausam", ist ein Mörder. All dies traf auf Ulf Weber nicht zu.
Bleiben die so genannten "niedrigen Beweggründe":
(O-TON MACK)
"Das kommt aber nur in Betracht, wenn ein Mensch aus
besonders sittlich auf tiefster Stufe stehenden Motiven töten.
Im vorliegenden Fall hat er sicherlich aus Wut und Jähzorn
gehandelt. Es schwang aber auch Verzweiflung mit,
Verzweiflung nämlich darüber, dass die Beziehung, wie von
ihm gewünscht, nicht fortgesetzt werden könnte, weshalb
letztlich das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe zu
verneinen war."
SPRECHER
Dass es besonders schändlich sein kann, wenn jemand
seine körperliche Überlegenheit ausnutzt, um einen anderen
Menschen zu töten - ein solcher Gedanke ist dem deutschen
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Strafrecht fremd.
Ulf Weber hat also nicht gemordet.
Außerdem hat das Gericht ihm eine so genannte
"Verminderte Schuldfähigkeit" bescheinigt.
Das heißt: Das Gericht erkennt Entschuldigungsgründe an -
Ulf Weber erhält eine mildere als die für Totschlag
vorgesehene Höchststrafe:
(O-TON MACK)
"Die Kammer hat es begründet mit einem Affektdurchbruch,
also einer plötzlichen Gemütswallung, hier in diesem Fall
einem jähzornigen Ausbruch, da gibt es gewisse Kriterien
für. Und iIm vorliegenden Einzelfall hat die Kammer gesagt:
Wir kommen zu dem Ergebnis, dass wir mildern, weil es
eben eine Spontantat war, die aufgrund eines solchen
jähzornigen Ausbruchs erfolgte."
SPRECHERIN
Dass Ulf Weber zum Jähzorn neigt, entschuldigt sein
Verhalten also - ein wenig zumindest. Dass er nach seinen
gewalttätigen Attacken in der Vergangenheit keine Hilfe
gesucht hat - ist für ihn kein Nachteil.
(O-TON MACK)
"Die Kammer hat die verminderte Schuldfähigkeit
angenommen, weil der Angeklagte eben in dieser
aggressiven Jähzornigkeit gehandelt hat. Sie hat ihm nicht
vorgeworfen, dass er keine Therapie gemacht hat."
SPRECHER
Es lohnt sich offenbar, jähzornig und gewalttätig zu sein,
bevor man tötet. Allerdings darf man nicht schon früher
wegen Gewalttaten verurteilt worden sein - denn als
Vorbestrafter muss man mit einer höheren Strafe rechnen.
SPRECHERIN
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Ulf Webers Verteidiger Andreas Karow ging in seinem
Plädoyer sogar noch einen Schritt weiter: Niemand könne
beweisen, sagte er, dass sein Mandant wirklich töten wollte.
(O-TON KAROW)
"Es gilt allein der Vorsatz im Zeitpunkt , in der Sekunde der
Tat. Und den kennt niemand. Und daher ist im Zweifel für
den Angeklagten davon auszugehen, dass hier ein bloßer
Verletzungsvorsatz vorgelegen hat."
SPRECHERIN
Wenn ein Mensch seinen Lebenspartner tötet, sind die
beiden oft allein. In der gemeinsamen Wohnung, zum
Beispiel. Es gäbe nach dieser Logik keine Möglichkeit mehr,
einen körperlich überlegenen Täter wegen Tötung zu
verurteilen.
Die Lüneburger Richter sind der Argumentation von
Strafverteidiger Karow nicht gefolgt. Ulf Weber wurde zu
sechseinhalb Jahren Haft verurteilt. Wenn er sich im
Gefängnis gut führt, kann er nach zwei Dritteln der Strafe
entlassen werden. Er wäre also nach vier Jahren und vier
Monaten wieder frei.
Musik: Michael Andrews - Middlesex Times
übergehend in: Atmo Staatsanwalt Frankfurt
SPRECHERIN
Es ist Freitagnachmittag. Wir sitzen im neunten Stock eines
Frankfurter Justizgebäudes. Wanja Welke hat das Fenster
des Tagungsraumes geöffnet, unten rauscht der Verkehr.
Er arbeitet als Staatsanwalt in Frankfurt am Main. Während
seiner Ausbildung war Wanja Welke in Australien und
forschte über Frauen, die ihren Lebenspartner getötet haben.
SPRECHER
23
In Australien, aber auch in Kanada, in Großbritannien und
den USA ist die Tötung so genannter Haustyrannen ein
wichtiges Thema in der sozialwissenschaftlichen Forschung.
Haustyrannen sind Männer, die ihre Frauen einschüchtern,
sie bedrohen, schlagen, sexuell misshandeln. Oft vergreifen
sie sich auch an den Kindern. Manche Frauen fassen den
Entschluss, den "Haustyrannen" zu töten, wenn sie keinen
anderen Ausweg mehr sehen. Viele dieser Frauen befinden
sich nach Jahren des Leidens in einem psychischen
Zustand, der sie daran hindert, den Mann zu verlassen. Die
Forscherinnen und Forscher nennen diesen Zustand das
"Battered Woman Syndrome" - den "Zustand der
geschlagenen Frau".
(O-TON WELKE)
"Das Interessante an diesem Syndrom ist, dass es einen
"Cycle of Violence" gibt, dass also die Forscher beschrieben
haben einen Kreis der Gewalt: Dass der Mann die Frau
schwer misshandelt, dass die Frau sich von ihm abwendet,
und dass er dann Reue zeigt und sie versucht zurück zu
gewinnen. Und das so funktioniert, dass die beiden immer
wieder zusammen kommen und doch weiter in der Ehe
zusammen leben, aber sich dieser Kreis immer wieder
wiederholt, und nachdem er Reue gezeigt hat, die nächste
Gewaltanwendung wieder folgte."
SPRECHER
Das "Battered Woman Syndrome" kennt man bereits seit
den Siebzigerjahren. Dennoch bleibt es für Außenstehende
oft unbegreiflich, warum die Frau immer wieder zu ihrem
tyrannischen Mann zurückkehrt.
(O-TON WELKE)
"Das ist ein klassisches Problem, das man in solchen
Prozessen des Haustyrannenmordes findet, dass das
Gericht, die Prozessbeteiligten, auch die Öffentlichkeit sich
24
fragt, naja, warum geht eine Frau nicht einfach weg? Wenn
sie so misshandelt wird, warum packt sie nicht ihre Sachen,
zieht aus und überlässt den Mann seinem Schicksal?"
SPRECHER
Es wird unterschätzt, wie manche Frauen bis heute
"funktionieren": Von klein an sind sie darauf gedrillt, sich
anzupassen, es allen Recht zu machen, nicht zu
widersprechen - schon gar nicht dem eigenen Ehemann.
Wenn solche Frauen keinen Ausweg mehr sehen, kommt es
manchmal vor, dass sie töten.
Nun könnte man sagen: Wenn die Frau in einer
ausweglosen Lage handelt - ist das Notwehr. Dann dürfte sie
nicht bestraft werden. Doch dieser Weg bleibt gequälten
Frauen verschlossen, erklärt Wanja Welke:
(O-TON WELKE)
"Der Hintergrund des Notwehrparagrafen ist der, dass man
davon ausgeht, dass zwei gleich starke Opponenten
aufeinander treffen. Und der eine eben Reaktion zeigen
muss auf einen körperlichen Angriff eines Anderen."
SPRECHER
Das klassische Beispiel für Notwehr ist die
Wirtshausschlägerei: Zwei Männer geraten in der Kneipe
aneinander. Ein Wort gibt das andere. Dann scheint sich die
Lage zu beruhigen. Da greift plötzlich der eine seinen
Kontrahenten hinterrücks an, der wehrt sich, trifft den
Gegner am Kopf, der fällt hin und ist tot. Obwohl er getötet
hat, wird der Angegriffene nicht bestraft. Denn er hat sich nur
gewehrt.
Aber dieser Paragraf ist nicht für Frauen niedergeschrieben
worden. Denn bei einer körperlichen Auseinandersetzung
hat eine Frau ohne Kampfsportausbildung kaum eine
Chance gegen einen durchschnittlich starken Mann. Was
also bleibt, wenn ein Gericht eine Frau nicht wegen Mordes
25
ins Gefängnis schicken will? Die Richter können ihr
bescheinigen, dass sie krank ist. Seelisch krank. Psychisch
gestört. Und deswegen nicht oder nur vermindert schuldfähig
SPRECHERIN
Mancherorts wollen betroffene Frauen sich allerdings nicht
länger auf diesen Weg einlassen.
(O-TON WELKE)
"Es gibt Fälle, in Australien zum Beispiel, in denen Frauen
abgelehnt haben, sich diesen Ausweg zu suchen und im
Prozess auch zu vertreten. Sondern sie wollten anerkannt
haben, dass sie wirklich, ich will ´s mal so sagen, bei Sinnen
gewesen sind, als sie so gehandelt haben und dass das
anerkannt werden müsse."
SPRECHER
In Deutschland attestieren Gutachter und Gerichte Frauen
nach wie vor gerne psychische Störungen. Gründe für die
Tat werden in der Frau gesucht. Und gefunden.
Dabei wird die vorangegangene Gewalt des Mannes
durchaus zur Kenntnis genommen. Denn Richter - und eine
deutlich gewachsene Zahl von Richterinnen und
Staatsanwältinnen – bemühen sich mittlerweile um einen
unvoreingenommenen Blick auf Tat und Täterin.
Psychologische und psychiatrische Gutachter arbeiten
seltener mit männerorientierten, frauenfeindlichen Klischees.
Aber: Die Gewalt des Mannes wird nur als Grund für eine
seelische Erkrankung anerkannt. Nicht als Grund, sich zu
wehren, in einem Akt von Notwehr zu töten.
Viele Frauen, denen vor deutschen Gerichten der Prozess
wegen Tötung ihres Mannes gemacht wird, akzeptieren
diesen Blick. Sie passen sich ein in dieses Deutungsmuster.
26
Musik: Michael Andrews - Middlesex Times
SPRECHERIN
In Göttingen urteilt das Schwurgericht über Elke Winkler.
Sie ist keine klassische "geschlagene Frau" - jedenfalls hat
der Prozess nicht ergeben, dass ihr Mann sie körperlich
misshandelt hat.
Er hat seine sexuellen Interessen durchgesetzt, das ja, sie
musste sich in Allem nach ihm richten und obendrein seine
Eifersucht ertragen. Sie kämpfte gegen den von ihm
verursachten Schuldenberg. Sie versorgte die Familie.
Sexuelle Übergriffe begleiteten sie seit Kindertagen.
All dies hat Elke Winkler irgendwann nicht mehr
ausgehalten. Sie wurde depressiv. Sie versuchte zwei Mal,
sich zu töten. Im Sommer 2005 unternahm Elke Winkler
ihren dritten Suizidversuch. Zu der Zeit hatte sie sich ihre
eigene Welt mit einer eigenen Logik geschaffen - erzählt ihr
Anwalt Nils von Hagen:
(O-TON HAGEN)
"Es war nicht ansatzweise, dass dieses Abhängigkeitsgefühl
vielleicht auch mal in eine feindliche, in eine Hassrichtung
umgeschlagen wäre, dass sie gesagt hätte: Pass mal auf, wir
sind jetzt 30 Jahre verheiratet, und ich spring und tanz immer
nach deiner Pfeife, auf gut Deutsch, und ich tu immer alles, was
von mir erlangt wird, und jetzt bin ich mal an der Reihe, das hab
ich nicht ansatzweise an ihr gemerkt oder irgendwie feststellen
können. Ganz im Gegenteil, sie wollte funktionieren und sie war
glücklich, wenn die Anderen glücklich waren, das hat sie
mehrfach geschildert, eindrucksvoll, und so war´s dann auch bis
zum Ende, hat sie dann wirklich gesagt: Ich kann jetzt wirklich
nicht so - um´s krass zu formulieren - ich kann nicht so egoistisch
sein und alleine mich hier aus dem Staube machen und dich
alleine lassen, sondern wenn man so will ging diese
Abhängigkeit wirklich so weit, dass sie gesagt hat: Ich muss dich
27
mitnehmen."
SPRECHER
Der so genannte Mitnahmeselbstmord kommt immer wieder vor,
wenn eine Mutter, manchmal auch ein Vater, völlig verzweifelt ist
und sich umbringen will. Für sie ist die Vorstellung unerträglich,
dass ihre Kinder zurückbleiben - deshalb töten sie die Kinder,
anschließend wollen sie sich selber umbringen. Wenn die
Selbsttötung misslingt, findet sich der Vater oder die Mutter vor
Gericht wieder.
SPRECHERIN
Mitnahmeselbstmord bei einem Ehepartner, der weder alt und
gebrechlich noch schwer krank ist? Richter Finke und seine
Kammer haben sich bei ihrer Entscheidung schwer getan:
(O-TON FINKE)
"Das ist etwas, an dem persönlich ich sehr zu tragen gehabt
habe, ob denn das alles tatsächlich so war, wie es uns wertend
dargestellt worden ist. Es war in diesem Fall auffällig, dass
das, was die Beschuldigte am Tag, nachdem sie wieder auf der
sicheren Bahn des Lebens war, von sich gegeben hat, die
Geschichte des sexuellen Übergriffes, dass das dann so
allmählich aus dem Fokus verschwand und dann zum
Beiprogramm wurde. Ob es so war, ich sage es noch einmal - ich
weiß es nicht."
SPRECHERIN
Entscheidend ist: Elke Winklers Jahrzehnte währende Ehe-
Qualen wurden als Vorgeschichte der Tat gewürdigt. Aber
ausschlaggebend für das Urteil war ihre psychische Verfassung
in dem Moment, als sie ihren Mann tötete: Elke Winkler wurde für
schuldunfähig erklärt.
Also : Keine Gefängnisstrafe.
Weil Gutachter und Gericht es aber für möglich hielten, dass sie
unter bestimmten Umständen eine solche Tat noch einmal
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begehen könnte, wurde sie in eine psychiatrische Klinik
eingewiesen.
(O-TON FINKE)
"Die psychiatrische Behandlung ist eine Behandlung, die sich
speziell auf die Bedürfnisse des Probanden einzustellen hat. Das
heißt nicht vergitterte Fenster, das heißt, es werden
Trainingsprogramme durchgeführt, es findet eine persönliche
Therapie statt."
SPRECHERIN
Gleich nach Ende des Prozesses hatte Elke Winkler durch ihren
Anwalt ausrichten lassen, dass sie sich gut vorstellen könne, ein
Interview zu geben. Dann zögerte sie. Schließlich schrieb sie
einen Brief aus der Klinik:
"Nach langen Überlegungen und Für-mich-abwägen komme ich
zu dem Entschluss, dass mir diese Reportage von Ihnen schon
sehr wichtig wäre. Sie kommt jedoch zu früh.
Noch hat meine Therapie leider nicht begonnen. Denke, daß ich
für diese Situation nicht stark genug bin.
Wichtig ist mir, mit dem zu leben, was passiert ist. Das ist mein
Ziel. Dazu muß ich lernen, an mich zu denken, und das tue ich
jetzt.
Bitte versuchen Sie, dies zu verstehen."
Auch Ulf Weber war bereit zu einem Interview - aber sein
Verfahren ist noch nicht abgeschlossen: Sein Anwalt hat
Revision eingelegt.
Wenn Elke Winkler endlich eine Therapie beginnt, kann sie
dadurch - vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben -
Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein gewinnen. Vielleicht.
Genau weiß man das erst im Nachhinein.
Ob Ulf Weber im Gefängnis eine ausreichende Therapie
bekommt, um seine Gewalttätigkeit einzudämmen, ist fraglich.
Ulf Weber wird das Gefängnis frühestens vier Jahre und vier
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Monate nach der Urteilsverkündung verlassen. Wie lange Elke
Winkler in der psychiatrischen Klinik bleiben wird, ist völlig offen.
(O-TON HEIMGÄRTNER)
"Die Prognose ist immer schwierig abzugeben. Das ist ganz
schwer, man täuscht sich da auch manchmal, und manchmal
sagen die Strafvollstreckungskammern nach Anhörung sowohl
des Untergebrachten als auch der Einrichtung relativ früh: Der
Therapieerfolg ist erreicht. Unterbringung wird ausgesetzt."
SPRECHERIN
Jedes Jahr prüft das Gericht, beraten durch psychologische
Sachverständige, ob die Unterbringung in der Psychiatrie
beendet oder fortgesetzt wird.
(O-TON HEIMGÄRTNER)
"Aber es kann auch sein, dass diese Unterbringung bis zum
Lebensende dauert."
Musik: Michael Andrews - Middlesex Times
SPRECHER
Bei Frauen, die ihren Lebenspartner nach jahrelangem
Martyrium töten, ist aber auch ein anderer Prozessverlauf
denkbar: Sie werden nicht nur wegen Mordes angeklagt - sie
werden auch wegen Mordes verurteilt.
SPRECHERIN
Die 39jährige Ayse B. erschießt ihren Ehemann Murat im Schlaf
mit einer Pistole. Jahrelang hatte der kontrollsüchtige Mann sie
gedemütigt und geschlagen.
Er werde sie und die Kinder erschießen, falls sie sich trennen
wolle, hatte er gedroht. Er hatte ihren Kopf in seine Hände
genommen und gesagt, er könne ihr das Genick brechen. Vor
der Tat hatte sich das Ehepaar wieder viele Stunden lang
gestritten. Im Fernsehen sahen sie einen Bericht über einen
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Mann, der seine 80jährige Ehefrau an einen Stuhl gefesselt und
geschlagen hatte, weil sie ihm kein Essen gekocht hatte. Murat
B. äußerte Verständnis für den Gewalttäter. Als er sich
schließlich zum Schlafen hinlegte, nahm seine Frau eine seiner
Waffen, die er in der Wohnung aufbewahrte, und tötete ihn.
Das Schwurgericht verurteilte Ayse B. im Jahr 2005 wegen
Mordes zu acht Jahren Haft. Zwar sei Ayse B. zur Tatzeit
eingeschränkt schuldfähig gewesen, aber sie habe heimtückisch
gehandelt, weil sie ihren Mann im Schlaf tötete. Die
Todesdrohung, die Murat B. kurz vor der Tat ausgestoßen hatte,
sei nicht ernst zu nehmen gewesen - ähnliche Drohungen hätte
er auch früher schon ausgesprochen.
Ayse B. wollte sich mit dem Urteil nicht abfinden. Ihr Anwalt legte
Revision ein. Die wurde abgelehnt. Der Bundesgerichtshof
bestätigte die Verurteilung wegen Mordes und die Höhe der
Strafe.
Musik: Michael Andrews - Middlesex Times
SPRECHER
Deutschland ist stolz darauf, ein Rechtsstaat zu sein. Aber bei
Tötung von Lebensgefährten gilt an deutschen Gerichten in der
Regel das Recht des Stärkeren.
SPRECHERIN
Ein Mann kann seine Frau dank körperlicher Überlegenheit
umbringen, wenn ihr Verhalten ihm nicht passt. - Sein Jähzorn
mindert die Strafe. .
SPRECHER
Eine Frau, die ihren Peiniger tötet, wird für "verrückt" erklärt. Das
erspart ihr eine Haftstrafe. Oder sie kommt als "Mörderin" ins
Gefängnis. Dass sie in ihrer Not, aus Notwehr gehandelt hat,
sieht das deutsche Recht nicht vor.
SPRECHERIN
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Es ist höchste Zeit für einen anderen Blick auf
Beziehungstötungen, der Männern und Frauen gerecht wird.
Man könnte zum Beispiel die "Heimtücke" neu definieren.
SPRECHER
Dass in der deutschen Rechtsprechung ein radikaler
Perspektivenwechsel möglich ist, haben Richter im Umgang mit
alkoholisierten Gewalttätern bewiesen. Im Jahr 2003 urteilte der
Bundesgerichtshof, dass selbst verschuldete Trunkenheit kein
Grund mehr für eine mildere Strafe sein soll. Bis dahin wurden
Gewalttäter milder bestraft, wenn sie stark alkoholisiert
zuschlugen oder töteten.
SPRECHERIN
Warum kann man nicht auch bei Heimtücke "neu denken"?
Manche Juristinnen und Juristen tun das bereits. Denn: Handelt
nicht auch "heimtückisch", wer seine überlegene Kraft
rücksichtslos einsetzt?
Musik: Michael Andrews - Middlesex Times
SPRECHER
Männer töten. Frauen morden.
SPRECHERIN
Über den großen Unterschied vor Gericht.
SPRECHER
Sie hörten ein Feature von Gaby Mayr
SPRECHERIN
Es sprachen: Ruth Schiefenbusch und Volker Risch
Ton und Technik: Karl-Heinz Stevens und Beate Braun
Regie: Anna Panknin
Redaktion: UIrike Bajohr
SPRECHER
Eine Produktion des Deutschlandfunk 2007
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