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Poledna Boss Kurer AG Zürich/Lugano P | B | K ZÜRICH Bellerivestrasse 241 Postfach 865 CH-8034 Zürich +41 44 220 12 12 T +41 44 220 12 13 F [email protected] www.pbklaw.ch Prof. Dr. iur. Rechtsanwalt Tomas Poledna [email protected] Mobbing: Tragfähiger Rechtsbegriff oder Fata Morgana? 24. Juni 2013 - JuristInnen-Treff Kanton und Stadt Zürich

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Poledna Boss Kurer AG Zürich/Lugano

P | B | K ZÜRICH Bellerivestrasse 241 Postfach 865 CH-8034 Zürich +41 44 220 12 12 T +41 44 220 12 13 F

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Prof. Dr. iur. Rechtsanwalt Tomas Poledna [email protected]

Mobbing: Tragfähiger Rechtsbegriff oder Fata Morgana? 24. Juni 2013 - JuristInnen-Treff Kanton und Stadt Zürich

Überblick

§  Auffälligkeiten §  Rechtsgrundlagen §  Inhalt §  Begriff des Mobbing in der Rechsprechung §  Schwierigkeiten im Umgang mit Mobbing im Gerichtsverfahren §  Mobbing und Haftung §  Schlussbemerkungen

Auffälligkeiten

§  Ca. 2/3 der Fälle vor Bundesgericht stammen aus der französischsprachigen Schweiz, aktuell eher 90%

§  Viele Fälle aus dem Privatrecht §  Es gibt viele Gerichtsfälle, aber nur wenige befassen sich profund mit

Mobbing §  Betroffen sind folgende Gebiete: privat. Arbeitsvertragsrecht, Arbeitsgesetz,

öffentliches Personalrecht, Sozialversicherungsrecht, Haftungsrecht, Gleichstellungsgesetz und am Rand Strafrecht (Verleumdung etc.)

§  Bundesgericht verwendet häufig den selben, sehr allgemein formulierten Textbaustein

§  Nur wenige Fälle schaffen es in die amtliche BGE-Sammlung §  Wie in anderen Bereichen ist das öffentliche Personalrecht auch hier vom

Einzelarbeitsvertragsrecht des OR beeinflusst

Rechtsgrundlagen

§  Personalrecht des Gemeinwesens: Achtung und Schutz der Persönlichkeit: §  Art. 4 Abs. 2 lit. f BPG (allerdings „nur“ Teil der Personalpolitik) §  § 39 Personalgesetz Zürich:

§  Der Staat achtet die Persönlichkeit der Angestellten und schützt sie. Er nimmt auf deren Gesundheit gebührend Rücksicht.

§  Er trifft die zum Schutz von Leben, Gesundheit und persönlicher Integrität seiner Angestellten erforderlichen Massnahmen.

§  OR 328: Schutz der Persönlichkeit – gilt auch dort, wo Gemeinwesen privatrechtlichen Arbeitsvertrag abschliesst (BGE 4C.343/2003, 13.10.2004)

§  Verweis auf Regeln des OR: Art. 6 Abs. 2 BPG §  Analoge Anwendung des OR bei Lücken (BGE 2P.57/2005, 11.8.2005, E.

6.2, vgl. auch BGE 1C_354/2008, 4. Mai 2009, E. 2.2 bzgl. Praxis im Kanton GR)

Arbeitsgesetz

§  Art. 6 Abs. 1 und 2 Pflichten der Arbeitgeber und Arbeitnehmer 1 Der Arbeitgeber ist verpflichtet, zum Schutze der Gesundheit der Arbeitnehmer alle Massnahmen zu treffen, die nach der Erfahrung notwendig, nach dem Stand der Technik anwendbar und den Verhältnissen des Betriebes angemessen sind. Er hat im Weiteren die erforderlichen Massnahmen zum Schutze der persönlichen Integrität der Arbeitnehmer vorzusehen. 2 Der Arbeitgeber hat insbesondere die betrieblichen Einrichtungen und den Arbeitsablauf so zu gestalten, dass Gesundheitsgefährdungen und Überbeanspruchungen der Arbeitnehmer nach Möglichkeit vermieden werden.

§  BGer, 9.5.2012, 2C_462/2011: Verpflichtung Arbeitgeber für eine unabhängige Ansprechstelle besorgt zu (angeordnet durch kantonales Arbeitsinspektorat)

Strafrechtliche Aspekte

§  Bundesgericht 25. Juni 2012, 1B_730/2011 § Mobbing ist im StGB nicht erwähnt § Kann jedoch den Tatbestand der einfachen

Körperverletzung erfüllen § Anknüpfung an die arbeitsrechtliche

Rechtsprechung zum Mobbingbegriff §  In casu verneint

Inhalt

§  Achtung der Persönlichkeit: §  Handlungen des Arbeitsgebers §  Unterlassungen des Arbeitgebers

§  Schadenersatz und Genugtuung §  Haftung des Arbeitgebers für Handlungen seiner Mitarbeitenden; es genügt

nicht, wenn der Arbeitgeber Vorkehren gegen Mobbing geschaffen hat (BGE 4A_128/2007, 9.7. 2007, E. 2.4)

§  Ist der Arbeitgeber für Mobbing verantwortlich, so kann er das Arbeitsverhältnis nicht wegen einer Leistungseinbusse kündigen (BGE 8C_594/2010, 25.8. 2011, E. 5.1 – nemo auditur turpitudinem propriam allegans) – anders, wenn alle Massnahmen für die Entschärfung des Konfliktes getroffen wurden

Begriff des Mobbing in der Rechtsprechung - 1 §  Mobbing ist ein

§  systematisches, §  feindliches, §  über einen längeren Zeitraum anhaltendes Verhalten, §  mit dem eine Person an ihrem Arbeitsplatz isoliert, ausgegrenzt oder

gar von ihrem Arbeitsplatz entfernt werden soll (BGE, 25.1. 2011, 8C_446/2010, E. 4.1, 6.4. 2010, 4A_245/2010, E. 4.2; 22. 4. 2005, 2A.312/2004, E. 6.2; 4. 4. 2003, 2C.2/2000; VGr ZH, 10. Juli 2002, ZBl 2003, S. 185 ff., E. 6d/cc, S. 206 f.).

§  Gesamtbetrachtung aller Aktivitäten nötig, Einzelumstände genügen nicht (BGE, 25.1. 2011, 8C_446/2010, E. 4.14, C.343, 13.10. 2004, E. 3.1)

§  Kein Mobbing: reine Zustände, wie zu wenig Personal, bauliche Umstände, die Kontakt verhindern, wöchentliche Dienstreisen, ungenügende Einführung ins Amt (BGE 2A.312/2004, 22.4. 2005, E. 6.2)

§  Definition ist für öffentlich- und privatrechtliche Verhältnisse identisch (BGE 8C_1033/2010, E. 5.2)

Begriff des Mobbing in der Rechtsprechung - 2

§  VG Zürich, 24.1.2007, PB.2006.00025: Zu diesem Verhalten gehört unter anderem die Verbreitung von Gerüchten und dass hinter dem Rücken des Kollegen schlecht über ihn gesprochen wird, aber auch das Abblocken von Kontaktversuchen, das Unterbrochenwerden in mündlichen Vorträgen, das Ausbleiben einer Reaktion beim Ansprechen einer Person, die Einteilung zu Aufgaben, welche der Gesundheit schaden, oder scheinbar sachliche, jedoch immer nur bei der betreffenden Person angebrachte Kritik an Leistung und Verhalten

§  Mobbing und Bossing/Mobbing kann auch von „unten nach oben“ erfolgen. VG Zürich, , PB.2004.00085, 8.2. 2006, E.6.3.5

Begriff des Mobbing in der Rechtsprechung - 3

§  Kein Mobbing, wenn tatsächlich sachliche Gründe für ein bestimmtes Verhalten vorliegen (BGE 8C_1033/2010, 10.6.2011, E. 5.4)

§  Kein Mobbing, wenn Arbeitskonflikt, schlechte Arbeitsatmosphäre oder die angestellte Person aufgefordert wird, den Arbeitspflichten nachzukommen, auch eindringlich oder unter Androhung Disziplinarmassnahmen (BGE, 25.1. 2011, 8C_446/2010, E. 4.1)

§  Kein Mobbing, wenn die Behörde Ziele formuliert, welche die angestellte Person nicht erreicht (BGE, 25.1. 2011, 8C_446/2010, E. 4.2.3)

§  Ein allgemeines Führungsverhalten („direktiver Machtanspruch“) ist noch kein Mobbing (BGE, 25.1. 2011, 8C_446/2010, E. 4.5)

§  Eine einmalige Eskalation in einer zugespitzten Situation ist noch kein Mobbing (BGE, 25.1. 2011, 8C_446/2010, E. 4.4.2)

Begriff des Mobbing in der Rechtsprechung - 4

§  Mobbing bejaht bei §  Isolation einer Mitarbeiterin mit Verweigerung direkten Dialogs §  unter Druckausübung auf deren Kündigung §  ungerechter Ausübung von Autorität §  Anordnung von Aufgaben, die unmöglich zu erfüllen waren §  Folge waren ein post-traumatischer Stress und schwere

chronische Depression §  (BGE 4C.343/2003, E. 2 = JAR 2005 285)

Schwierigkeiten im Umgang mit Mobbing im Gerichtsverfahren

§  Alleiniges Faktum eines Konflikts, schlechter Arbeitsatmosphäre, Aufforderung zur korrekten Arbeitserfüllung oder einer schlechten Führung durch Vorgesetzte genügt noch nicht (z.B. BGE 2P.57/2005, 11.8.2005, E. 6.2)

§  Nachweis von Mobbing ist schwierig zu führen, Mobbing kann auch eingebildet sein oder kann als Schutzbehauptung aufgebracht werden (BGE 4C.343, 13.10. 2004, E. 3.1 und 4.3 und 8C_826/2009, 1.7.2010, E. 4.2) – Beispiel BGE 2A.770/2006, 26.4.2007 (EPFL)

Mobbing und Haftung - 1

§  VG ZH, PB.2004.00085, 8.2. 2006, E. 2.1.3: Dies bedeutet indessen nicht, dass Mobbing stets als eine Verletzung der Persönlichkeit aufzufassen ist. Der persönlichkeitsrechtliche Schutz gewährt nur den Anspruch, von anderen Menschen im psychischen Wohlbefinden nicht gezielt und stark beeinträchtigt zu werden. Beschränkt sich Mobbing auf blosse Belästigungen, ohne dass das psychische Wohlbefinden des Opfers tatsächlich stark beeinträchtigt wird, liegt somit noch keine Persönlichkeitsverletzung im Sinne von Art. 28 ZGB vor.

§  Hat Erkrankung Ursache in der Psyche oder im Mobbing? BGE 2C_828/2009, 9.6.2010, E. 3.1, zur Frage des adäquaten Kausalzusam-menhangs E. 5

Mobbing und Haftung - 2

§  Rechtsgrundlagen: Art. 28 ZGB und Art. 6 Abs. 2 VG (Bund) §  Verschulden und Schwere der Verletzung rechtfertigen Genugtuung §  Keine andere Form der Wiedergutmachung möglich §  BGE 2A.312/2004, 22. 4. 2005: berufliches und gesellschaftliches

Ansehen kann betroffen sein §  Bei vertraglichen Anstellungen Anspruch auf Schadenersatz nach

OR 97ff/42ff (soweit Verweis hierauf vorliegt)

Schlussbemerkungen §  Mobbing ist kein Rechtsbegriff, sondern entstammt der Verhaltensforschung

und der Arbeitspsychologie §  Verankert wurde er im Recht durch die Praxis unter den Schutzpflichten des

Arbeitgebers §  Die Rechtsprechung ist zurückhaltend. Schwierigkeiten des Nachweises für

potentielle Opfer §  Umgekehrt Schwierigkeiten für Behörden, sich mit Schutzbehauptungen

auseinander zu setzen und berechtigte Forderungen umzusetzen §  Mittel für Behörden gegen Mobbing:

§  Unternehmens- und Führungskultur §  Offen für Gespräche §  Einsatz Mediation §  Mobbing- oder Ombudsstellen (Bger, 9.5.2012, 2C_462/2011, E. 4.2) §  Rasches Handeln

DISKUSSION