Modellierung und Analyse von Supply Chains

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1 Logistische Netzwerke und Supply Chains VerȨnderte Umweltbedingungen, die sich insbesondere in globalen Beschaffungs- und AbsatzmȨrkten und erhɆhten Kun- denanforderungen hinsichtlich Kosten, Zeit, QualitȨt und Service Ȩußern, erfor- dern zunehmend eine unternehmensɒber- greifende Planung, Steuerung und Kon- trolle der Material-, Informations- und Geldflɒsse. Um diesen Anforderungen ge- recht werden zu kɆnnen, schließen sich Unternehmen zu Netzwerken zusammen und erbringen gemeinsam die geforderten Leistungen. Der an der UniversitȨt Dort- mund angesiedelte Sonderforschungs- bereich 559 „Modellierung großer Netze in der Logistik“ beschȨftigt sich mit der Beschreibung, Analyse und Optimierung von Logistiknetzwerken, mit dem Ziel, ei- ne Theorie und einen Methodenbaukasten zur Beherrschung und Gestaltung solcher Netze zu entwickeln. Eine Supply Chain stellt einen besonde- ren Typ eines solchen großen Netzes der Logistik dar, der sȨmtliche Beschaffungs-, Transport-, Produktions- und Distributi- onsprozesse vom Rohstofflieferanten bis zum Endkunden sowie Service- und Re- distributionsprozesse im After-Sales-Be- reich umfasst [ Jehl00; BuKɆ00; KMZ00]. Die Prozesse der in die Supply Chain integrierten Akteure mɒssen gemȨß eines allgemein akzeptierten Zielsystems ge- plant, gesteuert und kontrolliert werden. Bei der Gewinnung des hierzu notwendi- gen Gestaltungswissens sind zwei Vor- gehensweisen erkennbar. Zum einen wer- den Gestaltungsrichtlinien aus den in der einschlȨgigen Literatur diskutierten netz- werkrelevanten theoretischen ErklȨrungs- ansȨtzen abgeleitet und zum anderen wer- den empirische Studien insbesondere von praxisnahen Logistikvereinigungen, wie z. B. der European Logistics Association (ELA), der Bundesvereinigung Logistik (BVL) und dem Bundesverband Material- wirtschaft, Einkauf und Logistik e. V. (BME), durchgefɒhrt, um Gestaltungs- empfehlungen fɒr die Supply Chain herzu- leiten. Der SFB 559 kombiniert diese beiden Vorgehensweisen. Anwendungsprojekte identifizieren logistische Netzwerke und liefern praxisnahe Beschreibungen der Strukturen, Prozesse, Ressourcen und Lenkungsregeln, wȨhrend Methodenpro- jekte vor dem Hintergrund der relevanten Theorien Instrumente entwickeln, die zur LɆsung von anwendungsprojektspezi- fischen Problemstellungen eingesetzt wer- den. Im Rahmen dieses Beitrags soll auf- gezeigt werden, wie mit Hilfe des dem SFB 559 zugrundeliegenden Modellierungs- paradigmas, dem Prozesskettenmodell nach Kuhn [ Kuhn95; Kuhn99], Supply Chains prozessorientiert abgebildet und modellgestɒtzten Auswertungen zugȨng- lich gemacht werden kɆnnen. 2 Modellgestɒtzte Analyse von logistischen Netzen Aussagen fɒr logistische Netze lassen sich heutzutage in der Regel nur ɒber eine ge- eignete modellbasierte Beschreibung er- zielen. Vielfach sind diese Beschreibungen logistischer Netze deskriptiver Natur und ihre Semantik ist in wesentlichen Teilen nicht (formal) definiert, sondern verbirgt sich im Wissen der Logistikexperten. Der wesentliche Vorteil solcher Beschrei- bungsformen besteht in der Unterstɒtzung der Kommunikation unter den Netzwerk- partnern, ohne sie durch restriktive (for- male) Bedingungen in ihrer Modellie- rungsweise einzuschrȨnken. Um quantifi- zierbare Aussagen zu erhalten, ist in der Regel eine erneute Beschreibung des logis- tischen Netzes oder geeigneter Teilnetze in einem formaleren Rahmen notwendig, bei- spielsweise in der Eingabesprache eines Si- mulators. Dieses Vorgehen hat den Nach- teil, dass zum einen zusȨtzlicher Aufwand entsteht, da bereits erstellte Beschrei- bungsanteile in eine formale Beschreibung umgesetzt werden mɒssen und zum ande- ren Konsistenzprobleme auftreten, da nicht sichergestellt werden kann, dass die formale Beschreibung das wiedergibt, was durch die deskriptive intendiert wurde. Dr. Falko Bause, Fachbereich Informatik, Lehrstuhl fɒr Praktische Informatik, UniversitȨt Dortmund, 44221 Dortmund, E-Mail: [email protected]; Dipl.-Kfm. Michael Kaczmarek, FakultȨt Wirtschafts- und Sozialwissen- schaften, Lehrstuhl Industriebetriebs- lehre, UniversitȨt Dortmund, 44221 Dortmund, E-Mail: [email protected] Modellierung und Analyse von Supply Chains Falko Bause, Michael Kaczmarek WI – Schwerpunktaufsatz WIRTSCHAFTSINFORMATIK 43 (2001) 6, S. 569–578 569

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Page 1: Modellierung und Analyse von Supply Chains

1 Logistische Netzwerkeund Supply Chains

Ver�nderte Umweltbedingungen, die sichinsbesondere in globalen Beschaffungs-und Absatzm�rkten und erh�hten Kun-denanforderungen hinsichtlich Kosten,Zeit, Qualit�t und Service �ußern, erfor-dern zunehmend eine unternehmens�ber-greifende Planung, Steuerung und Kon-trolle der Material-, Informations- undGeldfl�sse. Um diesen Anforderungen ge-recht werden zu k�nnen, schließen sichUnternehmen zu Netzwerken zusammenund erbringen gemeinsam die gefordertenLeistungen. Der an der Universit�t Dort-mund angesiedelte Sonderforschungs-bereich 559 „Modellierung großer Netzein der Logistik“ besch�ftigt sich mit derBeschreibung, Analyse und Optimierungvon Logistiknetzwerken, mit dem Ziel, ei-ne Theorie und einen Methodenbaukastenzur Beherrschung und Gestaltung solcherNetze zu entwickeln.

Eine Supply Chain stellt einen besonde-ren Typ eines solchen großen Netzes derLogistik dar, der s�mtliche Beschaffungs-,Transport-, Produktions- und Distributi-onsprozesse vom Rohstofflieferanten biszum Endkunden sowie Service- und Re-distributionsprozesse im After-Sales-Be-reich umfasst [Jehl00; BuK�00; KMZ00].

Die Prozesse der in die Supply Chainintegrierten Akteure m�ssen gem�ß einesallgemein akzeptierten Zielsystems ge-plant, gesteuert und kontrolliert werden.Bei der Gewinnung des hierzu notwendi-gen Gestaltungswissens sind zwei Vor-gehensweisen erkennbar. Zum einen wer-den Gestaltungsrichtlinien aus den in dereinschl�gigen Literatur diskutierten netz-werkrelevanten theoretischen Erkl�rungs-ans�tzen abgeleitet und zum anderen wer-den empirische Studien insbesondere vonpraxisnahen Logistikvereinigungen, wiez. B. der European Logistics Association(ELA), der Bundesvereinigung Logistik(BVL) und dem Bundesverband Material-wirtschaft, Einkauf und Logistik e. V.(BME), durchgef�hrt, um Gestaltungs-empfehlungen f�r die Supply Chain herzu-leiten.

Der SFB 559 kombiniert diese beidenVorgehensweisen. Anwendungsprojekteidentifizieren logistische Netzwerke undliefern praxisnahe Beschreibungen derStrukturen, Prozesse, Ressourcen und

Lenkungsregeln, w�hrend Methodenpro-jekte vor dem Hintergrund der relevantenTheorien Instrumente entwickeln, die zurL�sung von anwendungsprojektspezi-fischen Problemstellungen eingesetzt wer-den.

Im Rahmen dieses Beitrags soll auf-gezeigt werden, wie mit Hilfe des dem SFB559 zugrundeliegenden Modellierungs-paradigmas, dem Prozesskettenmodellnach Kuhn [Kuhn95; Kuhn99], SupplyChains prozessorientiert abgebildet undmodellgest�tzten Auswertungen zug�ng-lich gemacht werden k�nnen.

2 Modellgest�tzte Analysevon logistischen Netzen

Aussagen f�r logistische Netze lassen sichheutzutage in der Regel nur �ber eine ge-eignete modellbasierte Beschreibung er-zielen. Vielfach sind diese Beschreibungenlogistischer Netze deskriptiver Natur undihre Semantik ist in wesentlichen Teilennicht (formal) definiert, sondern verbirgtsich im Wissen der Logistikexperten. Derwesentliche Vorteil solcher Beschrei-bungsformen besteht in der Unterst�tzung

der Kommunikation unter den Netzwerk-partnern, ohne sie durch restriktive (for-male) Bedingungen in ihrer Modellie-rungsweise einzuschr�nken. Um quantifi-zierbare Aussagen zu erhalten, ist in derRegel eine erneute Beschreibung des logis-tischen Netzes oder geeigneter Teilnetze ineinem formaleren Rahmen notwendig, bei-spielsweise in der Eingabesprache eines Si-mulators. Dieses Vorgehen hat den Nach-teil, dass zum einen zus�tzlicher Aufwandentsteht, da bereits erstellte Beschrei-bungsanteile in eine formale Beschreibungumgesetzt werden m�ssen und zum ande-ren Konsistenzprobleme auftreten, danicht sichergestellt werden kann, dass dieformale Beschreibung das wiedergibt, wasdurch die deskriptive intendiert wurde.

Dr. Falko Bause, FachbereichInformatik, Lehrstuhl f�r PraktischeInformatik, Universit�t Dortmund,44221Dortmund,E-Mail: [email protected];Dipl.-Kfm.Michael Kaczmarek,Fakult�tWirtschafts- und Sozialwissen-schaften, Lehrstuhl Industriebetriebs-lehre, Universit�t Dortmund,44221Dortmund, E-Mail:[email protected]

Modellierung und Analy sevon Supply Chains

Falko Bause, Michael Kaczmarek

WI – Schwerpunktaufsatz

WIRTSCHAFTSINFORMATIK 43 (2001) 6, S. 569–578 569

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Ein Ziel des SFB 559 ist, diese Nachteiledurch eine geeignete Pr�zisierung der ver-wendeten deskriptiven Modellwelt abzu-schw�chen. Hierbei soll der Logistikexper-te weiterhin die M�glichkeit haben, seinSystem abstrakt zu beschreiben. F�r eineAnalyse bedarf es dann „nur noch“ wei-terer Zusatzinformationen, um die voll-st�ndige Spezifikation der Systemdynamikzu erhalten. Als deskriptives Beschrei-bungsmittel logistischer Netze eignet sichinsbesondere das Prozessketten-Paradig-ma (PK-Paradigma) nach Kuhn [Kuhn95;Kuhn99], welches sich in der Praxis bereitsmehrfach bew�hrt hat. Es unterst�tzt ins-besondere die Gestaltung von logistischenNetzendurch eine zeitorientierte Sichtwei-se in Kombination mit der Darstellung derrelevanten Parameter („Stellschrauben“) inForm von Potenzialklassen, welche einKlassifizierungsschema zur Erfassung allerlogistisch relevanten Aspekte bieten. Eineentsprechende Teilmenge, im FolgendenB-Paradigma genannt, wurde im Rahmender Arbeiten des SFB 559 identifiziert undsoweit pr�zisiert, dass Beschreibungen indieser Modellwelt vollautomatisch ana-lysiert werden k�nnen [BBK00]. Hierbeiwerden nicht nur derzeit �bliche simulativeVerfahren eingesetzt, sondern auch exakteVerfahren aus dem Bereich der Warte-schlangennetz-Analyse und der numeri-schen Untersuchung Markovscher Prozes-se [BGMT98, BaKr96].

Im Folgenden wird das B-Paradigmaskizziert, welches hier als Modellierungs-instrumentarium zur Untersuchung vonSupply Chain-Strategien dient. Abbildung1 zeigt ein Beispiel einer Prozesskette imB-Paradigma. Dargestellt ist ein Auftrag,welcher durch f�nf Einzelt�tigkeiten be-schrieben ist. Zwei dieser T�tigkeiten k�n-nen dabei potenziell parallel ablaufen. Diedargestellten T�tigkeiten werden zurDurchf�hrung an sogenannte (interne undexterne) Funktionseinheiten verwiesen,welche entsprechende Dienste anbieten.Die Ausf�hrung der angebotenen Diensteinnerhalb der Funktionseinheiten wirdwiederum in selbst�hnlicher Weise be-schrieben: Zum einen durch eine Verhal-tensbeschreibung in Form einer Prozess-kette und zum anderen durch niedrigereFunktionseinheiten, deren Dienstangebotezur Durchf�hrung der T�tigkeiten dieserProzessketten genutzt werden. Beispiels-weise bietet die Funktionseinheit InterneAbteilung den Dienst Dienst an, welcherzur Durchf�hrung der Einzelt�tigkeit Pro-dukt herstellen genutzt wird. Diese Formder Beschreibung resultiert in einer hierar-chischen Modellstruktur, welche an vor-definierten Funktionseinheiten endet. Bei-spiele f�r solche vordefinierten Funktions-einheiten sind Lager und Bediener in Bild1, welche Raum- und Zeitverwaltungenf�r Prozesse modellieren. Im Rahmen desSFB 559 existiert ein Modellierungsinstru-

mentarium, welches derart beschriebeneModelle vollautomatisch analysiert.

Die durch das B-Paradigma unterst�tz-te Sichtweise entspricht der realen Situati-on, in der Firmen Auftr�ge erf�llen, indem sie diese in Teilauftr�ge gliedern, siean andere Firmen delegieren oder wahl-weise selbst erf�llen und die Teilauftr�gezur Erf�llung des Gesamtauftrages koor-dinieren. Hierzu bedienen sich die Firmenihrer eigenen oder fremder Ressourcen.Ein Beispiel f�r ein solches, zuletzt ge-nanntes Outsourcing-Szenario ist der hiergenutzte Dienst anliefern, welcher durcheine Funktionseinheit erbracht wird, dienicht zur Funktionseinheit Prozessketten-modell geh�rt, also beispielsweise keineUnterabteilung der betrachteten Firma ist.Durch die gleiche Beschreibung und Nut-zung interner und externer Dienstangebo-te k�nnen verschiedene In- und Outsour-cing-Szenarien mit geringem Aufwandmodelliert und analysiert werden.

Im Folgenden wird anhand des Bullw-hip-Effektes, einem typischen Problem inder Supply Chain, gezeigt, wie mittels desoben vorgestellten Modellierungsparadig-mas Supply Chains quantitativ untersuchtwerden k�nnen. Hierzu wird dieser Effektzun�chst mit seinen Ursachen und Aus-wirkungen n�her beschrieben.

3 Der Bullwhip-Effektin der Supply Chain

Durch die Arbeitsteilung entlang der Sup-ply Chain tritt der sogenannte Bullwhip-Effekt auf (alternativ wird dieser Effektauch als Whipsaw-Effekt, Whiplash-Ef-fekt oder Peitscheneffekt bezeichnet). Erist dadurch gekennzeichnet, dass die Va-rianz der Auftr�ge zu den Zulieferern ten-denziell gr�ßer ist als die Varianz der Ver-k�ufe an die Kunden [LPW97]. Diesesf�hrt zu einer Verzerrung der Nachfrage(„demand distortion“), die sich auf denvorgelagerten Wertsch�pfungsstufen ver-gr�ßert. Bild 2 verdeutlicht die ansteigendeVarianz des Auftragsvolumens und dieSchwankungen der Best�nde auf den vor-gelagertenWertsch�pfungsstufen.

Das Ph�nomen der aufschaukelndenAuftrags- und Lagerbest�nde ist nicht neu,sondern wurde bereits von zahlreichenWissenschaftlern erforscht. Zu den Ersten,die sich mit diesem Thema auseinander-

Bild 1 Beispiel eines Modells im B-Paradigma

Falko Bause, Michael Kaczmarek

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setzten und den Bullwhip-Effekt im Rah-men von Fallstudien illustrierten und ana-lysierten, geh�rte Forrester im Jahre 1961[Mett97]. Weitere Ver�ffentlichungen zudiesem Thema wurden in den darauffol-genden Jahrzehnten publiziert.

Bei den Untersuchungen wurden ver-schiedene Gr�nde ermittelt, die f�r dasEntstehen des Bullwhip-Effektes verant-wortlich sind. Die Gr�nde reichen von ei-nem schwierig zu gestaltenden Informati-onsaustausch zwischen den Akteuren, wo-durch Fehleinsch�tzungen hinsichtlich derBedarfe resultieren, �ber ein fehlendesganzheitliches Systemdenken bei den Ent-scheidungstr�gern bis hin zu einer unzu-reichenden Ber�cksichtigung von Ver-�nderungen des Konsumentenverhaltens[Mett97].

In den 90er Jahren erforschten u. a. Lee/Padmanabhan/Whang den Bullwhip-Ef-fekt und identifizierten vier Hauptursa-chen, die f�r das Entstehen des Bullwhip-Effektes, trotz eines rationalen Verhaltensder Entscheidungstr�ger, verantwortlichsind [LPW97]. Hierzu z�hlen

, die Aktualisierung von Nachfrageprog-nosen,

, die B�ndelung von Auftr�gen (Sammel-bestellungen),

, die Preisvariationen sowie, die Mengenkontingentierung und der

Engpasspoker.

Eingehende Auftr�ge der direkten Kundenwerden als ein Signal f�r zuk�nftige Nach-frage aufgefasst und bei den eigenen Ab-satzprognosen ber�cksichtigt. Dieses kannin Verbindung mit langen Lieferzeiten derZulieferer und der Bildung von Sicher-heitsbest�nden dazu f�hren, dass die Be-stellungen bei den Lieferanten mengen-m�ßig gr�ßer ausfallen als die eingehendenBestellungen der Kunden [Pill99, 2].

Die einzelnen Akteure in der SupplyChain sammeln aufgrund der hohen Trans-aktionskosten f�r die Bestellabwicklungund der Transportkosten die eingehendenAuftr�ge bzw. Bestellungen der Periodeund �bermitteln diese zu einem bestimm-ten Zeitpunkt oder bei Erreichen einesfestlegten Volumens oder einerMeldemen-ge dem Zulieferer, um eine Nachlieferungauszul�sen. Hierbei kann z. B. eine s,q-La-gerhaltungspolitik, die nachfolgend einermodellgest�tzten Untersuchung zug�ng-lich gemacht werden soll, zum Einsatzkommen. Die s,q-Lagerhaltungspolitik istdadurch gekennzeichnet, dass beim Errei-

chen einer Meldemenge eine zuvor fest-gelegte Bestellmenge geordert wird.

Preisvariationen der Akteure sind als ei-ne weitere Ursache f�r das Entstehen desBullwhip-Effektes identifiziert worden.Die Akteure in der Supply Chain sorgenmit verkaufsf�rdernden Maßnahmen f�rschubweise Bestellungen durch die Ab-nehmer, die von der tats�chlichen Endkun-dennachfrage differieren.

Mengenkontingentierungen durch dieAkteure werden bei bevorstehenden Lie-ferengp�ssen vorgenommen. Die verf�g-baren Mengen werden anhand von be-stimmten Zuteilungsregeln an die Kunden

verteilt. Besitzen die Kunden Kenntnisvon einem bevorstehenden Lieferengpass,werden sie geplante Bestellungen vorzie-hen oder gr�ßere Mengen ordern, in derHoffnung, eine ausreichende Menge zuge-wiesen zu bekommen, um bei sich eineOut-of-Stock-Situation zu vermeiden.

Die oben aufgezeigten Ursachen unddie entsprechenden Reaktionen der Akteu-re f�hren zum Bullwhip-Effekt, der die Ef-fizienz in der Supply Chain beeintr�chtigt.Die hieraus resultierenden Auswirkungensind:, eine Intransparenz hinsichtlich der tat-

s�chlichenNachfrage der Endkunden,

Kernpunkte f�r dasManagement

Eine Bewertung von Supply Chain-Strategien basiert auf technischen und �ko-nomischen Gr�ßen. In diesem Beitrag wird eine prozessorientierte Modellweltbeschrieben, die, die Kommunikation zwischen Logistik- und Simulationsexperten unterst�tzt,, durch hierarchische und modularisierte Beschreibungsformen die Modellie-

rung komplexer Systeme erleichtert und, eine direkte automatisierte Analyse/Simulation erm�glicht.

Stichworte: Logistische Netzwerke, Modellierung, Simulation, Prozessketten-modell, Supply Chain Management (SCM),Vendor Managed Inventory (VMI)

Bild 2 Der Bullwhip-Effekt entlang der Supply Chain [Pill99, 2]

Modellierung und Analyse von Supply Chains

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, hohe Best�nde an Halb- und Fertig-erzeugnissen in der Supply Chain,

, �berdimensionierte Produktionskapa-zit�ten sowie

, tempor�re Lieferschwierigkeiten (Out-of-Stock-Situationen).

Die Intransparenz hinsichtlich der tats�ch-lichen Endkundennachfrage, u. a. hervor-gerufen durch Sammelbestellungen, ver-ursacht auf den vorgelagerten Stufen derSupply Chain Fehlinterpretationen hin-sichtlich der zuk�nftigen Bedarfe. Die Fol-ge ist eine erschwerte Disposition f�r dieUnternehmen auf den vorgelagerten Wert-sch�pfungsstufen, die sich tendenziell kos-tenerh�hend auswirkt, da die diskontinu-ierlichen Bestellungen der nachgelagertenWertsch�pfungsstufen nicht mehr der rea-len Nachfrage der Endkunden entsprechenund daher nur schwer prognostizierbarsind [GeKa99]. Preisvariationen, insbeson-dere Sonderangebote, f�rdern diese In-transparenz, weil die Kunden unabh�ngigvon der tats�chlichen Nachfrage ihrerKunden die Lagerbest�nde aufstocken, so-lange hierdurch ein zus�tzlicher Nutzenerzielt wird. Die so kurzfristig gesteigertenAbsatzmengen f�hren langfristig jedochzu Schwierigkeiten bei der Prognose derzuk�nftigen Bestellmengen und -zeit-punkte, aufgrund fehlender Informatio-nen �ber die aktuellen Lagerreichweitender Kunden. Hieraus resultiert f�r denLieferanten die Notwendigkeit, hohe La-gerbest�nde vorzuhalten, um die diskon-tinuierliche Nachfrage termingerecht er-f�llen und Out-of-Stock-Situationen ver-meiden zu k�nnen. Neben hohen Lager-haltungskosten besteht bei Produkten mitrelativ kurzen Lebenszyklen zus�tzlichdas Risiko der Veralterung.

Weiterhin hat der Bullwhip-EffektAuswirkungen auf die ben�tigte Kapazit�tf�r die Fertigung des Endproduktes bzw.der Zulieferteile. Aufgrund der starkschwankenden Nachfrage steigt die ben�-tigte Kapazit�t zur Sicherstellung der Lie-ferf�higkeit tendenziell mit der Entfer-nung der Akteure zum Endkunden[Houl87, 56]. Die Auslastung dieser Kapa-zit�t ist wegen der hohen Varianz sehr un-terschiedlich, so dass etwaige Leerkapazi-t�ten zus�tzliche Kosten verursachen.

Von den Auswirkungen des Bullwhip-Effektes sind die einzelnen Akteure in un-terschiedlichem Maße betroffen. Dar�berhinaus werden durch die erh�hten (Lager-bestands-)Kosten und den eingeschr�nk-

ten Lieferservice dieWettbewerbsf�higkeitdes hergestellten Produktes und damit diePerformance der gesamten Supply Chainbeeintr�chtigt.

Wie die bisherigen Ausf�hrungen ge-zeigt haben, entsteht der Bullwhip-Effektin der Regel durch nicht abgestimmteSchnittstellen zwischen den autonom agie-renden Akteuren. Die hier stattfindendenAustauschprozesse werden durch Strate-gien gesteuert, die im unterschiedlichenMaße, wie vorherige Untersuchungen ge-zeigt haben, den Bullwhip-Effekt verursa-chen.

Im Rahmen der nachfolgenden Unter-suchung werden exemplarisch eine alter-native Betrachtung von Strategien durch-gef�hrt und modellgest�tzt eine Bewer-tung vorgenommen. Eine modellgest�tzteVorgehensweise ist zweckm�ßig und not-wendig, da ein Experimentieren am Real-system aufgrund der Vielzahl von auto-nomen Akteuren, der Unsicherheit hin-sichtlich der zu erwartenden Ergebnisseund dem damit verbundenen Risiko aufWiderst�nde stoßen kann. Zun�chst je-doch soll mit dem Vendor Managed Inven-tory eine Strategie vorgestellt werden, dieim Gegensatz zur klassischen Bestell-abwicklung mittels einer s,q-Lagerhal-tungspolitik eine kooperative Zusammen-arbeit zwischen den Akteuren voraussetzt.

4 Vendor ManagedInventory (VMI)

Die „traditionelle“ Zusammenarbeit zwi-schen Kunden und Lieferanten in der Sup-ply Chain ist durch unabh�ngige Einzel-optimierungen von Prozessschritten, wel-che die Effizienz der gesamten SupplyChain beeintr�chtigen, gekennzeichnet[Sch�00; Holm98]. Hierdurch entstehensowohl f�r den Lieferanten (z. B. Herstel-ler) als auch f�r den Kunden (z. B. H�nd-ler) Probleme. So sieht sich der Lieferantz. B. mit langen Beschaffungszeiten bei in-ternationalen Zulieferern und starkschwankenden Bestellvolumen seitens derKunden konfrontiert. Die Kunden wieder-um haben das Problem einer diskontinu-ierlichen Verf�gbarkeit der Produkte[Holm98].

Ein L�sungsansatz hierf�r wird seitAnfang der 90er Jahre unter dem BegriffSupply Chain Management (SCM) dis-

kutiert. Im Mittelpunkt steht die Abstim-mung des Materialflusses entlang der Lo-gistikkette mit dem Ziel der Optimierungdes Gesamtsystems [Vahr00, 102]. Grund-lage hierf�r sind (Logistik-)Kooperationenzwischen den Akteuren, um durch ein ko-operatives Verhalten bestehende Konflikteund Ineffizienzen in der Supply Chain zubeseitigen [Vahr00, 113].

Die Anforderungen an eine durchg�n-gige Gestaltung des Material- und Infor-mationsflusses im Distributionsbereichzwischen Herstellern und H�ndlern in derSupply Chain werden in der Literatur un-ter dem Begriff Efficient Consumer Re-sponse (ECR) untersucht [Mau00]. Hier-bei soll durch ein kooperatives Vorgehenunter Ber�cksichtigung der Kundenw�n-sche ein Nutzen f�r alle Beteiligten erzieltwerden, der durch ein isoliertes Vorgehennicht zu erreichen gewesen w�re [Heyd98,37]. Der bedarfsgerechte Warennachschubsoll durch ein Continuous Replenishment(CRP) sichergestellt werden, wobei u. a.die Strategie des Vendor Managed Inven-tory (VMI) („lieferantengesteuerte Be-standsf�hrung“) eingesetzt wird [Wern00,55].

Beim Vendor Managed Inventory be-kommt der Lieferant die Verantwortungund die Kompetenz f�r die Bestandsf�h-rung des Kundenlagers �bertragen[Chri98; KaHo00; KHT00]. Beim Errei-chen eines definierten Meldebestandessorgt der Lieferant automatisch f�r denWarennachschub des Kunden. Je nachAusgestaltung des VMI k�nnen ein Min-dest-, H�chst- und/oder Sicherheits-bestand festgelegt sein [Wern00, 55]. Vo-raussetzung f�r ein funktionierendes VMIist eine �bermittlung der aktuellen Point-of-Sales-Daten (POS-Daten) seitens desKunden an den Lieferanten, der diese alsEntscheidungsgrundlage f�r seine Liefe-rungen nutzt.

Der Vorteil dieser Strategie ist, dass derLieferant durch die �bermittlung der ak-tuellen Verkaufszahlen eine erh�hte Trans-parenz hinsichtlich der Nachfrage auf denvorgelagerten Stufen erh�lt und so besserdie Warenversorgung seiner Kunden pla-nen kann. Die Kunden haben den Vorteil,dass die Generierung von Bestellauftr�genentf�llt und sich die Warenannahme und-einlagerung je nach Ausgestaltung desVMI vereinfacht.

Die umfassende Weitergabe von Infor-mationen entlang der Supply Chain stelltzum gegenw�rtigen Umsetzungsstand

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noch eine Vision dar, sie entspricht jedochder Zielvorstellung von der zuk�nftigenAusgestaltung eines Supply Chain Ma-nagements, da durch eine Weitergabe derPOS-Daten die Best�nde in der SupplyChain gesenkt werden k�nnen [Vahr00,116].

5 Beispielhafte Anwendung

Im Folgenden werden zwei Modelle dar-gestellt, welche als Grundlage f�r eine ver-gleichende Untersuchung der traditionel-len Bestellabwicklung mit einer bestimm-ten Vendor Managed Inventory (VMI)-Strategie dienen.

Das Realsystem Supply Chain ist durcheine hohe Komplexit�t gekennzeichnet,die im Wesentlichen durch die Anzahl derAkteure und deren Beziehungen determi-

niert wird. F�r die folgende beispielhafteAnwendung wird aus Gr�nden einerKomplexit�tsreduktion nur ein Ausschnittdes Realsystems modelliert. So besteht dieden Modellen zugrundeliegende Topolo-gie aus zwei Einzelh�ndlern, einem Groß-h�ndler und einem Produzenten.

F�r die Analyse der traditionellen Be-stellabwicklung wird eine s,q-Lagerhal-tungspolitik verwendet: Einzelne Kunden-nachfragen treffen aus der Modellumweltein und beauftragen jeweils einen Einzel-h�ndler, beispielsweise mit der Lieferungeines Produktes. Zur Erf�llung dieses Auf-trages entnimmt der Einzelh�ndler dasProdukt seinem Lager und liefert diesesaus. Nach Entnahme des Produktes ausdem Lager �berpr�ft der Einzelh�ndlerden aktuellen Lagerbestand und bestellt beiUnterschreiten einer vordefinierten Mel-demenge eine ebenfalls vordefinierte festeMenge beim Großh�ndler (Bestellmenge).

Der Großh�ndler agiert v�llig analog, er�berpr�ft seinen aktuellen Lagerbestandund l�st ebenfalls bei Unterschreiten seinerspezifischen Meldemenge eine Bestellungbeim Produzenten aus. Auch hier sei dieBestellmenge fest vordefiniert. Zur Verein-fachung des Modells wird angenommen,dass der Produzent einen Großh�ndlerauf-trag und der Großh�ndler einen Einzel-h�ndlerauftrag immer in einer festen Zeit-spanne (hier 72 Std.) erf�llen kann.

Die Bilder 3 bis 5 zeigen das entspre-chende System unter einer VMI-Strategie.Hierbei werden analog dem zuvor geschil-derten traditionellen Bestellabwicklungs-system Kundenanforderungen durch dieSystemumwelt generiert, welche durch dieEinzelh�ndler durch Abbau ihres Lager-bestandes befriedigt werden. Abweichendvom zuvor betrachteten Modell obliegt dieLagerverwaltung jetzt, wie zuvor beschrie-ben, demGroßh�ndler. Zur Durchf�hrung

Bild 3 Modell einer VMI-basierten Supply Chain

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dieser Aufgabe erh�lt er die zugeh�rigenLagerab- und -zugangsdaten. Im Modellwird dieses durch die Definition einer Pro-zeßkette beschrieben, welche in regel-m�ßigen Zeitintervallen die aktuellen La-gerbestandsdaten der Einzelh�ndler er-fragt und die erhaltene Information demGroßh�ndler mitteilt (Bild 3). Zur Abfrageder Information stellen die Einzelh�ndlereinen weiteren Dienst (LBinfo, vgl. Bild 4)zur Verf�gung, der als Resultat den aktuel-len Lagerbestand zur�ckmeldet. Diese In-formation wird durch den Dienst Info-Bearbeitung des Großh�ndlers verarbeitet(s. Bild 5). Innerhalb des Großh�ndlerswird jeweils die gleiche Strategie f�r dieVerwaltung der L�ger der beiden Einzel-h�ndler verwendet. Zum besseren Ver-st�ndnis werden in Bild 5 die Aktivit�tsfol-gen der zugeh�rigen beiden Prozeßkettenseparat dargestellt und nicht mittels Varia-blen festgehalten. Trifft eine Lager-

bestandsmeldung beim Großh�ndler ein,so berechnet dieser die Abgangsrate („=Anzahl abgehender Lagereinheiten je Zeit-einheit“) aus dem Lager des betroffenenEinzelh�ndlers und ermittelt daraus die imZeitintervall „Lieferzeit + Sicherheitszeit“zu erwartende Gesamtanzahl an Lager-abg�ngen. Das Zeitintervall gibt im we-sentlichen die Zeit an, die der Großh�ndlermindestens ben�tigt, um den Lagerbestandeines Einzelh�ndlers erh�hen zu k�nnen.W�rde in dieser Zeit der Lagerbestand aufNull sinken, so w�rde eine unerw�nschteOut-of-Stock-Situation eintreten. Umauch kurzfristige Schwankungen auf-zufangen, ber�cksichtigt der Großh�ndlerzus�tzlich eine Zusatzmenge (ZMenge),welche nicht unterschritten werden sollte.

Neben der Verwaltung der Einzelh�nd-lerl�ger, managt der Großh�ndler auch seineigenes Lager. Eine Auff�llung des Lagerswird angestoßen, wenn der eigene Lager-

bestand zur Befriedigung einer Lieferungan einen Einzelh�ndler nicht mehr aus-reicht. In diesem Fall wird mit der Auff�l-lung des Einzelh�ndlerlagers gewartet, bisdie beim Produzenten bestellte Menge ein-getroffen ist. Die entsprechende Auff�ll-menge wird kurz vor Lieferung an denEinzelh�ndler erneut bestimmt, um sozwischenzeitlich ge�nderte Abgangsratenber�cksichtigen zu k�nnen. Sollte der La-gerbestand des Großh�ndlers (ggf. auchnach Lieferung durch den Produzenten)wegen einer gestiegenen Abgangsrate nichtausreichen, um die errechnete Auff�llungdes Einzelh�ndlers durchzuf�hren, soversendet der Großh�ndler seinen gesam-ten Lagerbestand.

Die oben beschriebenen Modelle lassensich automatisch simulieren. Ziel der Un-tersuchung ist eine Bewertung der Strate-giealternativen hinsichtlich des Potenzials,den Bullwhip-Effekt zu vermeiden. Eine

Bild 4 Modell eines Einzelh�ndlers (VMI)

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Bewertung kann hierbei anhand tech-nischer Leistungsgr�ßen erfolgen. Im Mit-telpunkt stehen die durchschnittlichen La-gerbest�nde und deren Standardabwei-chung der Groß- und Einzelh�ndler, umAussagen hinsichtlich des Bullwhip-Effek-tes machen zu k�nnen. Dar�ber hinauswird eine Betrachtung der Auslastung derRessourcen vorgenommen, um Aussagen�ber die Auswirkungen der Ver�nderun-gen hinsichtlich des organisatorischen Ab-laufes t�tigen zu k�nnen. Als Systemlastwird f�r jeden Einzelh�ndler ein Poisson-verteilter Kundenankunftsstrom ange-nommen. Diese Systemlast ist in beidenSzenarien identisch. Hierdurch und durchdie Forderung, Out-of-Stock-Situationenbei den Einzelh�ndlern zu vermeidenbzw., eine nahezu 100%ige Lieferbereit-schaft der Einzelh�ndler zu gew�hrleisten,wird die Vergleichbarkeit der Ergebnis-daten sichergestellt. Ziel der Simulation istdie Ermittlung des Systemverhaltens imeingeschwungenen Zustand. Hierzu wer-den jeweils 50000 bzw. 150000 StundenModellzeit (also ca. 6 bzw. 17 Jahre Mo-dellzeit) simuliert, so dass hinreichendkleine Konfidenzintervalle vorliegen.

Es wurdenmehrere L�ufe mit ver�nder-ten Parametern durchgef�hrt: Bei der tra-ditionellen Bestellstrategie wurden die Pa-rameter Bestellmenge und Liefermengever�ndert. Beim VMI-Modell stehen alsParameter die Zusatzmenge (ZMenge), alsTeilmenge der Liefermenge des Groß-h�ndlers, die unabh�ngig von der Lager-abgangsrate der Einzelh�ndler ist, und dasZeitintervall zwischen Abfragen der La-gerbest�nde zur Verf�gung. Bild 6 zeigtden mittleren Lagerbestand des Groß-h�ndlers unter Verwendung der klassi-schen Bestellabwicklung bei einer Bestell-menge von 1100 und einer Meldemengevon 1000 St�ck. Zus�tzlich dargestellt istdie zugeh�rige Standardabweichung. Diejeweiligen Bestell- und Meldemengen wer-den f�r beide Einzelh�ndler mit 500 bzw.200 angenommen. Wie Bild 6 zeigt, liegtder mittlere Lagerbestand des Großh�nd-lers bei �ber 1200 Einheiten. Ferner ist die-ser Bestand relativ hohen Schwankungenunterworfen, was die Standardabweichungvon 400 anzeigt. Dieser relativ hohe Lager-bestand ist z. T. auf die strikte Anwendungder s,q-Lagerhaltungspolitik zur�ckzu-f�hren. Der Großh�ndler l�st hierbei un-

mittelbar nach dem Erreichen der Melde-menge die Nachbestellung aus. In der Pra-xis k�nnte der Großh�ndler gegebenenfallsbei Vorliegen entsprechender Erfahrungs-werte hinsichtlich der Bestellintervalle derEinzelh�ndler und bei Inkaufnahme einerdurch die Prognose hervorgerufenen Unsi-cherheit, die sich in Erh�hung des Risikosvon Out-of-Stock-Situationen bei denEinzelh�ndlern �ußert, die Nachbestellungzeitlich hinausz�gern.

Ein solches auf Vergangenheitsdatenbasierendes Verhaltensmuster, das sich ten-denziell bestandsreduzierend auswirkt,k�nnte mit dem entwickelten Instrumen-tarium ber�cksichtigt werden, wurde aberim zugrundeliegenden Modell nicht hin-terlegt.

Im VMI-Modell zeigt sich bei gleich-bleibender Kundennachfrage dagegen einedrastische Reduzierung der mittleren La-gerbest�nde beim Großh�ndler auf ca. 60Einheiten (siehe Bild 7). Auch die Schwan-kungen sind wesentlich geringer als imModell der traditionellen Bestellabwick-lung, wenngleich sie oberhalb des Mittel-wertes liegen. Out-of-Stock-Situationenbei den Einzelh�ndlern traten selbst bei

Bild 5 Ausschnitt des Modells des Großh�ndlers (VMI)

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dieser recht einfachen VMI-Strategie nursehr selten auf (mit Wahrscheinlichkeit<= 10–4). Der im Vergleich zur klassischenBestellabwicklung niedrigere mittlere La-gerbestand liegt darin begr�ndet, dass derGroßh�ndler aufgrund der bekannten Ab-gangsdaten bei den Einzelh�ndlern nichtpermanent gr�ßere Mengen an Waren vor-halten muss, um jederzeit eine Liefer-bereitschaft sicherzustellen. Ferner wer-den vom Produzenten gelieferte Warennur sehr kurzzeitig eingelagert und teil-weise direkt an die Einzelh�ndler weiter-gegeben. Die Reduzierung des mittlerenLagerbestandes beim Großh�ndler wird indiesem Modell mit einem geringen An-wachsen der mittleren Lagerbest�nde beiden Einzelh�ndlern „erkauft“, welche gr�-ßenordnungsm�ßig bei knapp 100 Einhei-ten liegen; die Schwankungen bleiben inetwa unver�ndert.

Die mit der Anwendung eines VendorManaged Inventory einhergehende Be-standsreduzierung bei dem Großh�ndler,auch wenn die absolute H�he in diesemBeispiel zum Teil auf die genannten An-nahmen zur�ckzuf�hren ist, zeigt, dass dasf�r den Bullwhip-Effekt charakteristischeAufschaukeln der Best�nde auf den vor-gelagerten Wertsch�pfungsstufen durchdie Weitergabe von Nachfragedaten imMittel gemindert werden kann. Dies zeigtder Vergleich der absoluten Werte derStandard-Abweichungen der Bilder 6 und7, sowie ein Vergleich der maximal erreich-ten Lagerbestaende beim Grosshaendler.Nach Ablauf der ersten 20000 ZE (also ei-ner transienten Anfangsphase) wurden je-

weils w�hrend der gesamten restlichen Si-mulationszeit folgende Maximalwerte er-zielt: 2000 (klassische Strategie), 777(VMI).

Auf Basis dieser technischen Gr�ßenk�nnen Groß- und Einzelh�ndler eine�konomische Bewertung der beiden Stra-tegien vornehmen und eine f�r das gesamtelogistische Netz „optimale“ L�sung aus-w�hlen.

Im Rahmen dieser �konomischen Be-wertung der technischen Ergebnisdatensind neben den Kapitalbindungskosten,die aus den Best�nden resultieren, auchAbwicklungskosten f�r die Bestellungenbzw. Lieferungen und die Transportkostenmit in das betriebswirtschaftliche Ent-scheidungskalk�l einzubeziehen.

Konkret k�nnte der Großh�ndler indem aufgezeigten Beispiel sich an den La-gerkosten der Einzelh�ndler beteiligen,um so eine Konstellation zu schaffen, vonder jeder beteiligte Akteur profitiert.

6 Fazit und Ausblick

Wie hier exemplarisch gezeigt, eignet sichdas vorgestellte Paradigma zur Modellie-rung von Supply Chains. Es bietet zum ei-nen die M�glichkeit, das System auf hoherAbstraktionsstufe zu beschreiben, als auchsoweit zu pr�zisieren, dass eine rechner-gest�tzte quantitative Bewertung voll-automatisiert erfolgen kann. Eine prozess-orientierte Sicht zusammen mit der Fest-legung klarer Systemschnittstellen in Form

von Dienstangeboten struktureller Einhei-ten erm�glicht es ferner, unterschiedlicheSzenarien mit relativ geringem Aufwandzu analysieren.

Die Bewertung der Strategien erfolgtein dem Beispiel anhand technischer Gr�-ßen. Kosten- und Erl�sauswirkungen derStrategiealternativen, z. B. durch eine ver-�nderte Anzahl an Bestellungen, sind nichtber�cksichtigt worden, so dass detaillierteAussagen �ber den akteursspezifischenNutzen einer bestimmten Strategie nichtget�tigt werden k�nnen. Die quantitativentechnischen Ergebnisse k�nnen jedoch alsBasis f�r eine ex post durchgef�hrte �ko-nomische Bewertung dienen. Erste Ans�t-ze hierf�r sind im SFB 559 entwickelt wor-den. Gegenstand zuk�nftiger Forschungs-arbeiten sind die Erweiterung des Model-lierungs- und Analyseinstrumentariumsum eine automatisierte Kostensimulationsowie prototypische praxisorientierte An-wendungen im Bereich des Supply ChainManagements.

Danksagung

Diese Arbeit wurde durch die DeutscheForschungsgemeinschaft (DFG) im Rah-men des Sonderforschungsbereichs 559„Modellierung großer Netze in der Logis-tik“ unterst�tzt.

Bild 6 Lagerbestand des Großh�ndlers (s,q-Lagerhaltungspolitik) Bild 7 Lagerbestand beim Großh�ndler (VMI-Strategie)

Falko Bause, Michael Kaczmarek

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