Modellierung von Stoffausbreitungen

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Obersichtsbeitr~ige Modellierung yon Stoffausbreitungen Modellierung von Stoffausbreitungen" Michael Matthies, Markus Klein lnstitut for Umweltsystemforschung, Universitiit Osnabrfick, D-49069 Osnabrfick Zusammenfassung Die Modellierung des Ausbreitungsverhaltens yon Stoffen unter- schiedlicher Eigenschaften in der Umwelt stellt eine Herausforde- rung dar, da die zugrundeliegenden physikalischen Transport-, che- mischen Reaktions- und biologischen An- oder Abreicherungspro- zesse zeitlich variabel in r~iumlich heterogen strukturierten Umwelt- systemen wirken. Durch geschickt gew~ihlte Vereinfachungen, Abgrenzungen und Mittelungen sind bemerkenswerte Erfolge bis hin zur bedingt-prognostischen Simulation ausgewhhlter Stoffe und Stoff- gruppen erzielt worden. Forschungsbedarf besteht vor allem in der Modellierung der kleinr~iumigen, medien0bergreifenden Ausbreitung von Stoffen in komplexen 6kosystemaren Zusammenh/ingen, ein- schlie~lich der Austausch- und Transfervorgfinge und der chemisch- biologischen Transformationen. 1 Einleitung Seit Beginn der Umweltdiskussion spielt die stofflich- chemische Belastung der Umwelt, die aus vielfiiltigen mensch- lichen Tfitigkeiten resultiert, eine erhebliche Rolle. Sowohl die Ver~inderung llat/irlicher Stoffkreislfiufe (Beispiel CO2) als auch das Einbringen synthetischer Verbindungen (Bei- spiel PCB) oder yon Verbrennungsprodukten (Beispiel PAH) bewirken eine Verfinderung unserer natiJrlichen Umwelt. Ne- ben der Emission von Massenstoffen in jfihrlichen Mengen yon Millionen Tonnen sind Eintrfige von toxischen Spuren- stoffen unter einem Kilogramm pro Jahr von Bedeutung. Uber 100 000 verschiedene chemische Verbindungen wur- den in der EU vermarktet, davon haben ca. 10 000 eine wirt- schaftliche Bedeutung. Nur von einem kleinen Teil ist das Transport- und Transformationsverhalten in der Umwelt be- kannt. Zunehmend wurde in den vergangenen Jahren erkannt - ausgeltst durch die neuartigen Waldschfiden, die Ozon- und Klimaproblematik, die Gewhsser- und Bodenbelastun- gen etc. -, dag der Systemcharakter der Umwelt starker ein- bezogen werden mug, um einen nachhaltigen, vorsorgenden Umweltschutz betreiben zu ktnnen. Erst durch das Zusam- menwirken vieler interagierender Einzelprozesse sind die stofflich-chemischen Einwirkungen auf Umweltsysteme zu verstehen. Besondere Beachtung mug dabei den nicht oder schwer kontrollierbaren Stoffstrtmen in der Umwelt zukom- men, deren Wirkungen wegen der oft langen Latenzzeiten bis zur Ausbildung manifester Schfiden nicht rechtzeitig er- * Berichtvom 32. Tutzing-Symposium der DECHEMA e.V., 7. bis 10. M~irz1994 kannt worden sind. Dabei miissen die unterschiedlichen r~iumlichen Maf~st~ibe und die Dynamik der Umweltbe- lastungen und -entlastungen besonders ber/icksichtigt wer- dell. Neben der Ressourcenverknappung und dem ArtenriJckgang wirkt die stoffliche Umwelt~berlastung auf globaler, aber auch auf regionaler und lokaler Ebene (Abfall, Immissionen, Abwasser, Verkehr u.a.) als ein begrenzender Faktor der wirtschaftlichen Entwicklung. Der Wunsch nach verlfiglichen Methoden, mit denen stoffliche Umweltbelastungen friih- zeitig erkannt und damit Schfiden vermieden werden k6nnen, hat auch zur Entwicklung yon mathematischen Modellen gef/ihrt, die die Ausbreitung yon Stoffen unter dem Einflug von Umweltkr~iften in Teilbereichen adiiquat beschreiben ktnnen. Durch den Einsatz leistungsf~ihiger Rechner hofft man, dag sich auch komplexe Zusammen- hfinge simulieren und zuk~nftige Entwicklungen mittels ver- schiedener Szenarien vorhersagen lassen. Vier wesentliche Modellansatze lassen sich fiir den Umweltschutz nutzbar machen: - Bilanzmodelle, die auf der Input-Output-Bilanz fuf~enund Hinweise auf Veriinderungen liefern. - Screening-Modelle, die gut untersuchte Prozesse mitein- ander verbinden und die dadurch fiir ein grot~es Kollek- tiv yon Randbedingungen Ergebnisse liefern. - Management-Modelle, d.h. Prognosemodelle, die f/Jr be- stimmte praktische Fragestellungen Antworten liefern. - Simulationsmodelle, dies sind hochaufl6sende, komplexe Modelle, die als wissenschaftliches Werkzeug das Ver- st~indnis ffir das Verhalten yon Stoffen in der Umwelt ver- bessern helfen. Die mehr entscheidungsorientierten Motivationen sind eng mit den wissensorientierten verkn/.ipft, da eine fundierte Entscheidung ohne ausreichende Wissensbasis nicht mtglich ist. Allerdings mug konstatiert werden, dag die Erwar- tungen an die Leistungsf~ihigkeit von AusbreitungsmodeUen, z.B. zur Prognose oft /iberschiitzt werden. Modelle k6n- hen den m6glichen Rahmen bei plausiblen Annahmen aufzeigen und so zu einer rationalen Entscheidungsfindung beitragen. Das 32. Tutzing-Symposium der DECHEMA ,,Modellierung yon Stoffausbreitungen" brachte Modellierer aus universi- tfiren, industrieeigenen und anderen Forschungseinrichtun- gen zusammen, die an verschiedenen Problemfeldern der Aus- breitungsmodellierung arbeiten. Traditionell sind Modellierer in ihrem Fachgebiet beheimatet und finden nur ausnahms- weise Gelegenheit, sich mit Kollegen der anderen Fachgebiete auszutauschen und auseinanderzusetzen. Die Vortr~ige konn- ten nicht alle Teilbereiche der Ausbreitungsmodellierung ab- UWSF- Z.Umweltchem. C)kotox. 6 (6) 359 - 366 (1994) 359 ecomed verlagsgesellschaft AG & Co.KG Landsberg

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Obersichtsbeitr~ige Modellierung yon Stoffausbreitungen

Modellierung von Stoffausbreitungen"

M i c h a e l M a t t h i e s , M a r k u s K l e i n

lnstitut for Umweltsystemforschung, Universitiit Osnabrfick, D-49069 Osnabrfick

Zusammenfassung

Die Modellierung des Ausbreitungsverhaltens yon Stoffen unter- schiedlicher Eigenschaften in der Umwelt stellt eine Herausforde- rung dar, da die zugrundeliegenden physikalischen Transport-, che- mischen Reaktions- und biologischen An- oder Abreicherungspro- zesse zeitlich variabel in r~iumlich heterogen strukturierten Umwelt- systemen wirken. Durch geschickt gew~ihlte Vereinfachungen, Abgrenzungen und Mittelungen sind bemerkenswerte Erfolge bis hin zur bedingt-prognostischen Simulation ausgewhhlter Stoffe und Stoff- gruppen erzielt worden. Forschungsbedarf besteht vor allem in der Modellierung der kleinr~iumigen, medien0bergreifenden Ausbreitung von Stoffen in komplexen 6kosystemaren Zusammenh/ingen, ein- schlie~lich der Austausch- und Transfervorgfinge und der chemisch- biologischen Transformationen.

1 E i n l e i t u n g

Seit Beginn der Umweltdiskussion spielt die stofflich- chemische Belastung der Umwelt, die aus vielfiiltigen mensch- lichen Tfitigkeiten resultiert, eine erhebliche Rolle. Sowohl die Ver~inderung llat/irlicher Stoffkreislfiufe (Beispiel CO2) als auch das Einbringen synthetischer Verbindungen (Bei- spiel PCB) oder yon Verbrennungsprodukten (Beispiel PAH) bewirken eine Verfinderung unserer natiJrlichen Umwelt. Ne- ben der Emission von Massenstoffen in jfihrlichen Mengen yon Millionen Tonnen sind Eintrfige von toxischen Spuren- stoffen unter einem Kilogramm pro Jahr von Bedeutung. Uber 100 000 verschiedene chemische Verbindungen wur- den in der EU vermarktet, davon haben ca. 10 000 eine wirt- schaftliche Bedeutung. Nur von einem kleinen Teil ist das Transport- und Transformationsverhalten in der Umwelt be- kannt. Zunehmend wurde in den vergangenen Jahren erkannt - ausgeltst durch die neuartigen Waldschfiden, die Ozon- und Klimaproblematik, die Gewhsser- und Bodenbelastun- gen etc. - , dag der Systemcharakter der Umwelt starker ein- bezogen werden mug, um einen nachhaltigen, vorsorgenden Umweltschutz betreiben zu ktnnen. Erst durch das Zusam- menwirken vieler interagierender Einzelprozesse sind die stofflich-chemischen Einwirkungen auf Umweltsysteme zu verstehen. Besondere Beachtung mug dabei den nicht oder schwer kontrollierbaren Stoffstrtmen in der Umwelt zukom- men, deren Wirkungen wegen der oft langen Latenzzeiten bis zur Ausbildung manifester Schfiden nicht rechtzeitig er-

* Bericht vom 32. Tutzing-Symposium der DECHEMA e.V., 7. bis 10. M~irz 1994

kannt worden sind. Dabei miissen die unterschiedlichen r~iumlichen Maf~st~ibe und die Dynamik der Umweltbe- lastungen und -entlastungen besonders ber/icksichtigt wer- dell.

Neben der Ressourcenverknappung und dem ArtenriJckgang wirkt die stoffliche Umwelt~berlastung auf globaler, aber auch auf regionaler und lokaler Ebene (Abfall, Immissionen, Abwasser, Verkehr u.a.) als ein begrenzender Faktor der wirtschaftlichen Entwicklung. Der Wunsch nach verlfiglichen Methoden, mit denen stoffliche Umweltbelastungen friih- zeitig erkannt und damit Schfiden vermieden werden k6nnen, hat auch zur Entwicklung yon mathematischen Modellen gef/ihrt, die die Ausbreitung yon Stoffen unter dem Einflug von Umweltkr~iften in Teilbereichen adiiquat beschreiben ktnnen. Durch den Einsatz leistungsf~ihiger Rechner hofft man, dag sich auch komplexe Zusammen- hfinge simulieren und zuk~nftige Entwicklungen mittels ver- schiedener Szenarien vorhersagen lassen. Vier wesentliche Modellansatze lassen sich fiir den Umweltschutz nutzbar machen:

- Bilanzmodelle, die auf der Input-Output-Bilanz fuf~en und Hinweise auf Veriinderungen liefern.

- Screening-Modelle, die gut untersuchte Prozesse mitein- ander verbinden und die dadurch fiir ein grot~es Kollek- tiv yon Randbedingungen Ergebnisse liefern.

- M a n a g e m e n t - M o d e l l e , d.h. Prognosemodelle, die f/Jr be- stimmte praktische Fragestellungen Antworten liefern.

- S i m u l a t i o n s m o d e l l e , dies sind hochaufl6sende, komplexe Modelle, die als wissenschaftliches Werkzeug das Ver- st~indnis ffir das Verhalten yon Stoffen in der Umwelt ver- bessern helfen.

Die mehr entscheidungsorientierten Motivationen sind eng mit den wissensorientierten verkn/.ipft, da eine fundierte Entscheidung ohne ausreichende Wissensbasis nicht mtglich ist. Allerdings mug konstatiert werden, dag die Erwar- tungen an die Leistungsf~ihigkeit von AusbreitungsmodeUen, z.B. zur Prognose oft /iberschiitzt werden. Modelle k6n- hen den m6glichen Rahmen bei plausiblen Annahmen aufzeigen und so zu einer rationalen Entscheidungsfindung beitragen.

Das 32. Tutzing-Symposium der DECHEMA ,,Modellierung yon Stoffausbreitungen" brachte Modellierer aus universi- tfiren, industrieeigenen und anderen Forschungseinrichtun- gen zusammen, die an verschiedenen Problemfeldern der Aus- breitungsmodellierung arbeiten. Traditionell sind Modellierer in ihrem Fachgebiet beheimatet und finden nur ausnahms- weise Gelegenheit, sich mit Kollegen der anderen Fachgebiete auszutauschen und auseinanderzusetzen. Die Vortr~ige konn- ten nicht alle Teilbereiche der Ausbreitungsmodellierung ab-

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decken - z.B. fehlten Modelle ffir den globalen Transport und for die Ausbreitung in Fliissen, Kfistengewiissern und Meeren - , sie behandelten aber einen weiten Bereich yon Umweksystemen und Problemfeldern und schlossen auch Be- wertungsfragen mit ein. Der vorliegende Bericht faf~t die Er- gebnisse zusammen und zeigt Forschungsdefizite im Bereich der Ausbreitungsmodellierung und Bewertung auf.

2 Methodik

Die Modellierung der Ausbreitung von Stoffen in Umwelt- systemen unterschiedlicher Zusammensetzung bedient sich der Methoden der Systemanalyse, Modellbildung und Simu- lation dynamischer Systeme, wobei zwei unterschiedliche Methoden Anwendung finden:

- die mechanistische oder deduktive Methode, die auf den physikalischen, chemischen und biologischen Prozessen und Gesetzm/it~igkeiten basiert,

- die empirische oder datenbasierte Methode, die gemes- sene oder beobachtete Grff~en oder Zeitreihen in Bezie- hung setzt.

Innerhalb der mechanistischen, prozeflbasierten Modellbil- dung werden unterschiedliche Ans~itze betont, die auf ver- schiedene naturwissenschaftliche Disziplinen zurfickgehen:

- der strfmumgsmechanische Ansatz betont die Prozesse der Ad/Konvektion und der Dispersion, ggf. in mehre- ren rhumlichen Dimensionen, was auf partielle Differen- tialgleichungen (ad / convection-dispersion-equation) fohrt, die i.d.R, numerisch gel6st werden mfissen. Typi- sche Beispiele sind die Modellierung und Simulation von Windfeldern oder von Grundwasserstr6mungen.

- der reaktionskinetische Ansatz, der die Phaseniiberg/inge eines Stoffes und seine chemisch-biologischen Umwand- lungen betont. H~iufig werden die r/iumlich-zeitlichen Ab- Mngigkeiten in Form von Kompartimenten abgebildet und mit Hilfe von gewfhnlichen Differentialgleichungen beschrieben. Typische Beispiele sind die multimedialen Modelle.

Der str6mungmechanische Ansatz hat seine Wurzeln in der Physik und wird seit langer Zeit in der Meteorologie und Hy- drologie erfolgreich angewendet. Der reaktionskinetische An- satz kommt aus der technischen und 6kologischen Chemie und wird erst seit jfingerer Zeit verst~irkt verfolgt. Die mei- sten Ausbreitungsmodelle beinhalten beide Ansiitze, aller- dings in unterschiedlicher Auspriigung und Detaillierung.

Die empirische Methode dient vor allem for die Modellbil- dung solcher Systeme, for die Transferfiberg/inge nicht ad- /iquat physikalisch beschrieben werden kfnnen, wohl aber Konzentrationsmeflreihen vorliegen, aus denen sich Trans- ferfunktionen oder Konzentrationsfaktoren ableiten lassen. Ein typisches Beispiel ist die Bioakkumulation organischer lipophiler Chemikalien in aquatischen Organismen.

Uberwiegend werden deterministische Modelle fOr die Simu- lation der Stoffausbreitung eingesetzt, die eine Kausalbezie- hung zwischen einem Quellterm und der daraus resultieren- den Konzentration in einem betroffenen Umweltausschnitt

herstellen. Stochastische Methoden werden sowohl zur Si- mulation der Ausbreitung yon Partikeln (Lagrange-Ansatz) als auch zur Ermittlung der Bandbreite yon errechneten Kon- zentrationen oder Flfissen aufgrund yon Unsicherheiten der eingehenden Parametern verwendet (Monte-Carlo-Methode).

Ausbreitungsmodelle wurden in den vergangenen Jahren ffir viele verschiedene Zwecke entwickelt und eingesetzt, z.B. fOr Genehmigungsverfahren yon Anlagen gem/it~ Bundesimmis- sionsschutzgesetz, zur Folgenabschhtzung von Unfhllen und Katastrophen, zur Berechnung von Expositionskonzentra- tionen im Rahmen yon RisikoabscMtzungen, zur Bewertung neuer und alter Stoffe nach Chemikaliengesetz, zur Absch/it- zung des Gef~ihrdungspotentials yon Mtlasten, schliefllich zur Optimierung von Umweltmonitoringprogrammen und zur C)kobilanzierung. Diesen diagnostischen und bedingt- prognostischen Motivationen stehen wissenschaffliche gegen- fiber: das Verst/indnis des Zusammenwirkens yon Prozes- sen und die Bestimmung von Gr6t~en, die der direkten Mes- sung nicht zug~inglich sind (inverse Modellierung).

Auf dem Symposium wurden fast ausschliet~lich mechanisti- sche Modelle vorgestellt und diskutiert, wobei allerdings die rein deduktive Methode durch experimentelle Modellpara- meterbestimmung (Parameteridentifikation) und Modell- nachprfifung (Verifikation) erg~inzt wurde.

3 Kurzbeschreibung der Symposium-Beitr/ige

3.1 Luft

Prof. Dr. F. FmDLER vom Institut for Meteorologie und Kli- maforschung der Universit~it und des Kernforschungszen- trums Karlsruhe zeigt die Bedeutung des ,,Austausches zwi- schen der turbulenten Grenzschicht und der freien Atmo- sph~ire" fOr den weitr~iumigen Transport auf. Die bodennahe, intensiv durchmischte Grenzschicht schliet~t im tageszeitli- chen Rhythmus zwischen 100 Meter fiber Grund und im Sommer bis zu 4000 m fi.d.M, ab. Da die Halbwertsh6he der in Bodenn~ihe freigesetzten Stoffe etwa 1400 m fi.d.M. betr~igt, bestimmt die Saugwirkung durch Sekund/irzirkula- tion (cloud venting) das abendliche Absinken der Grenz- schicht und die Topographie den Ubergang in die freie Tro- posph~ire. Mit dem ,Karlsruher Atmosphhrischen Mesoska- ligen Modell" (KAMM), das mit dem Chemie-Modell RADM-2 gekoppelt ist, das bis zu 24 Stoffe unterscheidet, werden Transport- und Transformationsepisoden for Ba- den-Wfirttemberg gerechnet. Interessant ist die Bedeutung der NOx-Emission des Strat~enverkehrs fOr die Ozonproble- matik.

Diese Arbeiten bauen teilweise auf dem von Dr. M. MEM- MESHEIMER vorgestellten EURAD-Modell auf, das am Insti- tut fOr Geophysik und Meteorologie der Universit/it Kfln im Rahmen des europ/iischen EUROTRAC-Programms ent- wickelt wird. Es beschreibt den ,,Ferntransport yon Luft- schadstoffen im europiiischen Raum" und soil eine wissen- schaftlicbe Grundlage ffir politische Entscheidungen bieten. Es bezieht aut~er Transport und Transformation von Pho- tooxidantien mit RADM-2 auch Wolkenbildung und Aero- sole ein und errechnet aus Emissionsdaten Konzentrations-

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verteilungen sowie trockene und nasse Deposition. Das Pro- gramm soil bis in die untere Stratosphfire ausgedehnt wer- den, um Flugzeugemissionen und chlorchemische Reaktio- nen zu ber~cksichtigen. Ferner sollen for bestimmte Frage- stellungen vereinfachte, weniger rechenintensive Modelle ent- wickelt und durch Kopplung mit kleinerskaligen Modellen for begrenzte Gebiete eine feinere Aufl6sung erreicht wer- den. Schlietglich sind Emissionsszenarien bis zum Jahr 2005 geplant.

Frau Dr. K. H. SCHLONZEN vom Meteorologischen Institut der Universitfit Hamburg untersucht die atmosphiirischen ,,Schadstoffeintr~ige in die Nordsee". Cadmium, Blei, PCBs und HCHs werden hauptsfichlich fiber die Luft eingetragen, Stickstoff, Zink, Kupfer, Quecksilber und Nickel zu einem bedeutenden Anteil. Die bisher verwendeten, aus Deposi- tionsmessungen an der Kfiste hochgerechneten Werte k6n- nen jedoch nur Anhaltspunkte bieten. Groflr~iumige Modelle k6nnen unterstfitzend zur Ermittlung der Monats- und Jah- reseintr~ige eingesetzt werden, um den Gesamtverschmut- zungsgrad der Nordsee zu bestimmen. Sie zeigen fibereinstim- mend eine deutliche Abnahme der Deposition mit zunehmen- der Entfernung yon der Kfiste, aber in Abhfingigkeit vonder Niederschlagsmenge. Ffir eine r~iumlich und zeitlich feinere Aufl6sung mfissen Modelle der Mikro- bis Mesoskala, z.B. METRAS, verwendet werden. Mit ihrer Hilfe lassen sich in Einzelfallstudien tageszeitlich bedingte Reaktionen des Ge- wiissers auf kurzzeitige Konzentrationserh6hungen untersu- chen. METRAS bezieht bis zu 70 nichtreaktive Stoffe ein.

Der Vortrag von Dr. L. JANICKE, Uberlingen, stellt Lagrange- oder ,,Partikel-Modelle for die Ausbreitung fiber den Luftpfad" vor. Im Gegensatz zu den Gauss-Modellen, die in der TA Luft vorgeschrieben sind, simulieren sie das lokale Konzentrationsfeld, indem sie einzelne Teilchen be- trachten, die mit dem mittleren Wind und einem zuf/illigen Geschwindigkeitsterm transportiert werden. ~lhnlich den Euler-Modellen, welche die Advektions-Dispersions-Dif- ferentialgleichung simulieren, k6nnen r~iumlich und zeitlich ver/inderliche meteorologische und Emissionsbedingungen, Transformation und Deposition ber~icksichtigt werden. Das Ergebnis der Partikel-Simulation sind Erwartungswerte der Konzentration. Der Stichprobenfehler, der yon der Anzahl betrachteter Teilchen abhfingt, kann mit fortschreitender Re- chenzeit sukzessiv verringert werden. Als Anwendung berech- net JANICKE mit dem Programm LASAT den Konzentra- tionsverlauf einer Emission im Turbulenzfeld zweier Geb~ude (Kfihltfirme).

Dipl.Math. G. HERBERG, Hoechst AG, FrankfOrt am Main, wendet das Partikel-Modell LASAT zur diagnostischen Nachmodellierung der Chlorgasfreisetzung bei der Fa. Hoechst im Herbst 1993 an. Unter Berficksichtigung der lo- kalen Geb~iudetopographie schliel~t er aus drei Megstellen auf dem Betriebsgelfinde auf die St6rfallemission.

Eine andere Anwendung zeigt Prof. Dr. G. MANIER vom Meteorologischen Institut der TH Darmstadt. Er hat ein Pro- gramm zur ,,Online Ausbreitungsrechnung beim St6rfall ~ ent- wickelt. Es berechnet vorweg das Windfeld ffir 36 Windrich- tungen und aus dem Emissionsort und der Hindernisstruk- tur das Turbulenzfeld und schliet]lich die Ausbreitung mit

einem Euler-Modell. Das Programm soll mit einem PC in einem Zehntel der Zeit die Ausbreitung prognostizieren. Dazu wird wahrscheinlich ein Partikel-Modell eingesetzt wer- den mfissen. Erprobt wird das Programm bei der Feuerwehr K61n. Die auftretenden Probleme liegen eher nicht in der Hand des Modellierers: die rechtzeitige Erkennung des St6r- falls, die Identifikation und Menge der emittierten Stoffe so- wie die Absch~itzung ihrer Wirkungen. Leider konnten die besonderen Bedingungen bei Brandemissionen aus finanziel- len Grfinden nicht berficksichtigt werden.

3.2 Oberfliichengewiisser

Bei der Modellierung von Fliet~gew/issern steht der Transport und damit die Verdfinnung von Schadstoffen im Vorder- grund, w~ihrend in Seen zusfitzlich die Anreicherung und der abiotische und biotische Abbau an Bedeutung gewinnen. Dr. M. ULRICH vonder Eidgen6ssischen Anstalt fOr Wasserver- sorgung, Abwasserreinigung und Gew/isserschutz, Dfiben- dorf/Schweiz, zeigt die ,Modellierung des Transports und der Transformation organischer Verunreinigungen in aqua- tischen Systemen" am Beispiel des Atrazin-Eintrags in den Greifensee. Sein vertikales Modell MASAS berechnet aus Ein- tragsmessungen tiefenabh/ingige Konzentrationszeitreihen, mit denen er die Transport- und Transformationsvorg/inge quantifizieren kann, die im See yon dem im Labor beobach- teten Verhalten abweichen. Interessant ist die Bedeutung des lokalen Wetters fOr pl6tzliche Konzentrationsveriinderungen aufgrund oberfl/ichlicher Einschwemmungen durch Starkre- genereignisse. Umgekehrt kann aus Messungen im See der Gesamteintrag abgesch~itzt werden, womit sich Umweltmo- nitoring 6konomischer durchfohren 1/iflt.

3.3 Boden und Grundwasser

Dr. M. KLEIN vom Fraunhofer-Institut for Umweltchemie und Okotoxikologie in Schmallenberg verbessert das US- amerikanische Pesticide Root Zone Model, das eine Chro- matographiesfiule simuliert, zur ,,Berechnung der Versicke- rungsneigung von Pflanzenschutzmitteln in B6den", indem er die Evapotranspiration und die Kinetik der physikalisch- chemischen Prozesse den jeweiligen Umweltbedingungen an- pat~t. Sein PEsticide Leaching MOdel wird mit radioaktiven Tracern in Lysimeter-Versuchen kalibriert. Seine Standard- szenarien zeigen eine hohe Sensitivit~it des Freundlich- Exponenten bei der Sorption und der Temperaturabh/ingig- keit des Abbaus fOr das Konzentrationsprofil im Boden. Pro- bleme bereiten vor allem ungenaue Literaturwerte for Stoff- parameter. Bei Wahl der ,gfinstigsten" Werte fOr Abbau und Lipophilie errechnet sich eine um bis zu sechs Gr6flenord- nungen niedrigere Simazinkonzentration im neugebildeten Grundwasser als bei den ,,ungfinstigsten". Eine weitere bis- her ungel6ste Aufgabe ist wegen der Heterogenitat des Bo- dens die Berficksichtigung der Makroporenflfisse und die Ubertragbarkeit vom Lysimeterversuch auf die Fl~che sowie vom Laborwert in die Umwelt. Daher sollen Modelle statt scharfen Stoff- und Umweltparametern auch Verteilungs- funktionen akzeptieren, was v.a. ein Problem der Rechner- leistung ist.

Einen Schritt in diese Richtung geht Prof. Dr. W. KINZEL- BACH vom Institut fOr Umweltphysik der Universitiit Heidel-

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berg. Er l/lilt sein dreidimensionales Differentialgleichungs- modell zum ,Transport von Schadstoffen im Grundwasser" mit allen wahrscheinlichen Parametern rechnen und wfihlt diejenigen Kombinationen aus, die mit seinen Messungen konsistent sind. Dutch weitere gezielte Messungen lassen sich dann die mittteren Boden- und Stoffparameter bestimmen. Neben Berechnungen des Einzugsbereichs von Trinkwasser- brunnen und der Schadstoffahne nach einem St6rfall wen- d e t e r sein Modell auch auf die Simulation der in-situ- Sanierung mit Mikroorganismen an. Entwicklungsbedarf sieht Kinzelbach fiir reaktive Mehrspezies- und Mehrphasen- modelle.

3.4 Bioakkumulation, Transfer und Degradation

Dr. H. GEYER vom Institut ffir Okologische Chemie des GSF-Forschungszentrums fiir Umwelt und Gesundheit, Ober- schleit~heim, hat Daten zur Bioakkumulation von organi- schen Umweltchemikalien zusammengestellt. Ein Mat~ ffir das Bioakkumulationspotential eines Schadstoffs ist der Bio- konzentrationsfaktor (BCF), der als Quotient aus der Kon- zentration des Schadstoffs im Organismus und der im um- gebenden Medium definiert ist. In einem 2-Kompartiment- Modell Organismus-Umwelt entspricht der BCF dem Quo- tienten aus Stoffaufnahme- und -ausscheidungsrate des Or- ganismus im Flieflgleichgewicht. Anhand verschiedener Da- tensiitze zeigt er, daft aufler ffir superlipophile Stoffe (log Kow > 6) der log BCF mit dem log Kow gut korreliert ist (Kow = n-Oktanol/Wasser-Verteilungskoeffizient).

Die Bioakkumulation in der Pflanze und damit die Belastung von Nahrungsketten wird yon Dr. S. TRAPP, Institut ffir Umweltsystemforschung der Universitfit Osnabrfick, unter- sucht. Die Aufnahme aus dem Boden wird durch den Tran- spiration Stream Concentration Factor TSCF bestimmt und ist v.a. bei mfiflig lipophilen Stoffen (1 < log Kow < 3) yon gro~er Bedeutung. In Blfittern werden Stoffe akkumuliert, wenn sie nicht flfichtiger als Wasser sind oder wegen star- ker Lipophilie aus der Luft aufgenommen werden. Probleme bereiten u.a. der Metabotismus in der Pflanze, die wegen der zu geringen Datendichte ungenaue empirische Bestimmung des TSCF und der ionische Transport in der Pflanze.

Da der Mensch PCDD/F etwa zu je 30 % aus Milchproduk- ten und Fleisch aufnimmt, modelliert Dr. M. S. MCLACH- LAN, Lehrstuhl ffir Okologische Chemie, Universit~it Bay- reuth, die Schadstoffakkumulation in der Kuhmilch. Bei Milchvieh kann anders als bei Mastvieh der Stoffhaushalt im Flieflgleichgewicht angenommen werden. Zu 99 % wer- den die lipophilen Stoffe fiber die Nahrung aufgenommen. Der IDbergang vom Magen-Darm-Trakt ins Blut wird als Dif- fusion durch eine Lipid- und eine Wasserschicht beschrieben (Zwei-Filme-Modell). Daher werden superlipophile Stoffe ( log Kow > 6,5 ) nicht so stark resorbiert und in die Milch aufgenommen.

Den LAS-,,Abbau und Biodegradation in Klfiranlagen" mo- delliert Dr. T. FHJTEL, Procter&Gamble, Strombeek- Bever/B mit einem ,,Simple-box~-~ihnlichen Kompartiment- modell WWTREAT. Wfihrend das Programm in Belgien gute Ergebnisse liefert, zeigen sich beim Test in fiinf europ~iischen L~indern z.T. sehr grofle Abweichungen yon Messungen.

Prof. Dr. W. KLOPFFER, Gesellschaft ffir Consulting und Analytik im Umweltbereich, Frankfurt a.M., fordert eine stfirkere Berficksichtigung der Persistenz in der Risikobewer- tung, als dies bei der PEC/PNEC-Methode (-" Kap. 3.5) ge- schieht. Beim ,,Photoabbau von Stoffen in der Umwelt" ist zwischen (indirektem) photochemisch-oxidativem Abbau, in Luft v. a. mit Ozon, OH- und NO3-Radikalen, und (direk- ter) Photolyse zu unterscheiden. Die Lebensdauer eines Schadstoffs in Anwesenheit von OH-Radikalen kann in in- erten L6sungsmitteln gemessen werden. In Wasser sind ne- ben der Hydrolyse indirekt Singulettsauerstoff, Carbonsfiu- ren und OH-Radikale wirksam.

3.5 Regionale, multimediale Modellierung und Stoffbewertung

Zur Verkniipfung von einfachen Luft-, Wasser- und Boden- Modellen verwendet Dr. W. F. ten BERGE, DSM Coporate Safety, Environment, Health and Technology, Heerlen/NL, das Fugazitfitskonzept. Er teilt seine ,Simple-box"- Modellwelt in die Kompartimente Luft, Boden, Wasser und Sediment. Der Massentransfer zwischen ihnen wird durch das Bestreben, die Fugazit~iten anzugleichen, bestimmt. HAZCHEM modelliert den Verbleib von Schadstoffen in der Umwelt im station~iren Zustand.

Seine Kollegen Drs. T. JAGER et al., RIVM National Insti- tute of Public Health and Environmental Protection, Biltho- ven/NL wenden dieses Konzept zur Berechnung von Um- weltkonzentrationen (,,Predicted Environmental Concentra- tion: PEC") an. Das ,,Uniform System for the Evaluation of Substances (USES)" berechnet das Risikopotential von Che- mikalien als Quotient aus PEC und ,Predicted No-Effect Concentration (PNEC)". Wegen der Unsicherheiten der Ri- sikoermittlung werden Sicherheits- oder Extrapolationszu- schlfige zwischen 10 und 10 000 gemacht.

Frau Dr. M. HERRCHEN, Fraunhofer-Institut, Schmallen- berg, schEigt vor, ffir die in die Berechnung der Umweltkon- zentrationen (PEC) eingehenden Modellparameter Vertei- lungsfunktionen anstelle von Einzelwerten einzugeben. Mit Hilfe stochastischer Verfahren (Monte-Carlo) lassen sich da- mit Verteilungskurven oder zumindest Bandbreiten des PEC absch/itzen, die sowohl den Fehler bei der Datenerhebung als auch die Varianz der Umweltvariablen berficksichtigt. Durch die Verwendung ortsspezifischer Daten lassen sich un- ter Einsatz eines geografischen Informationssystems standort- und nutzungsabhfingige Stoffbewertungen vornehmen.

Dr. V. KOCH, Hoechst AG, Frankfurt a.M., verwendet die Modelle USES, WWTREAT, HAZCHEM und RIVMO- DEL zur ,Risikobewertung von Chemikalien". Zur PEC- Berechnung miissen Emissionsdaten, physikalisch-chemische, kinetische und Umweldaten vorhanden sein. Die Emission sollte mit Szenarien errechnet werden, die auf die Produk- tion, Verarbeitung oder das Verwendungsmuster bezogen sind, und nicht aus physikalisch-chemischen Daten abge- schfitzt werden. Schwer zu bestimmen ist die Eliminierung in Reinigungsanlagen ffir mfil~ig abbaubare Stoffe, die Ver- dfinnung vor dem Eintritt in die Umwelt und der ldbergang zwischen Umweltmedien. Wfihrend ffir regionale Umwelt- szenarien (HAZCHEM) Parameter zur Verffigung stehen, mfissen ffir lokale passende Werte gefunden werden.

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Dr. R. BRI]GGEMANN, GSF, Oberschleil~heim, stellt ,Mathe- matische Ans/itze zu einer 6kotoxikologischen Bewertung" vor, die das eindimensionale Ranking und damit frfihen In- formationsverlust vermeiden. Nach Festlegung von n Bewer- tungskriterien, die neben Exposition und artspezifischer To- xizit~it auch der Struktur und Funktion der Arten im Oko- system gerecht werden sollen, markiert jeder bewertete Stoff einen Punkt im n-dimensionalen Merkmalsraum. Dieser wird in einem baum~ihnlichen Hasse-Diagramm veranschaulicht, indem jeder Stoff einem Knoten und jede vergleichbare Wir- kung einer gerichteten Kante entspricht, lDber die Kanten las- sen sich Teilmengen der bewerteten Stoffe logisch sinnvoll vergleichen.

Prof. Dr. M. HAUHS, Lehrstuhl for C)kologische Modellbil- dung der Universit~it Bayreuth, warnt davor, Okosystemmo- delle fiber ihre Grenzen hinaus zu extrapolieren: Aufgrund der aut~erodentlichen Komplexit~it und der Unm6glichkeit, den Ist-Zustand eines Okosystems festzustellen, k6nnen Mo- delle keine sicheren Prognosen liefern. Am Beispiel des Fisch- sterbens in einem versauernden See zeigt er, dat~ auch bei verstanden geglaubten Umweltprozessen Ergebnisse von Mo- dellrechnungen widerlegt werden k6nnen. Zwei wissen- schaftstheoretische Probleme treten hier auf: Wissensfocken lassen sich nicht von Nicht-Wit~barem unterscheiden, und Modelle lassen sich nicht verifizieren, sondern bleiben Hy- pothesen, die mit Messungen auf Brauchbarkeit getestet wer- den, aber nie mit Sicherheit die Realit~it in einer garantier- ten Genauigkeit beschreiben. Dies sollte bei der praxisorien- tierten Anwendung von Modellen immer bedacht werden.

Dr. K. ISERMANN, Hanhofen, stellt in seinem Vortrag ,Stickstoff- und Phosphoreintr~ige in Oberfl/ichengew~iser fiber diffuse Quellen als Bestandteil von Okobilanzen - ur- sachenorientierte L6sungsansfitze zu ihrer hinreichenden Ver- minderung" fest, dat~ ein hoher Anteil der anthropogenen N-, P-, C- und S-Eintr~ige, die fOr grenzfiberschreitende Umwelt- probleme wie Hypertrophierung, Versauerung, Klimaverfin- derung und Artenrfickgang verantwortlich sind, durch die Landwirtschaft verursacht werden. Das gilt insbesondere fOr N und P. L6sungsvorschl~ige liegen seit Jahrzehnten vor, es fehlt der politische Wille, sie umzusetzen. Isermann fordert an erster Stelle bedarfsgerechte (Tier-)Produktion, wodurch sich die N-Emission um 1,3 Mio t N/a reduzieren lie~en. Desweiteren fordert er die bessere Verwertung der Wirt- schaftsdiinger, gezielte Mat~nahmen zur Emissionsbeschrfin- kung und ertragssteigernde Mat~nahmen wie z.B. Erosions- schutz und geeignete Fruchtfolge, effizientere Ffitterung und bessere Verwertung der Mineraldfinger. Die Gesetzgebung muff die Gesamt-N-Bilanz regulieren, nicht nur bestimmte Verbindungen und Medien.

3.6 Modellvergleich und Modellevaluierung

Dr. K. E. PETERSEN, Riso National Laboratory, Roskil- de/DK, ist Mitglied der Model Evaluation Group der EU- Kommission. Die Gruppe vergleicht Modelle fOr grot~e St6r- ffille. Ihre wichtigsten Kriterien sind die Auswahl der physi- kalischen Prozesse, die N~iherungen, Annahmen, Grenzen, Unsicherheiten und die Dokumentation. Schwierig ist die Identifikation der Gefahrenquelle und der Eintrittswahr- scheinlichkeit, die Einbeziehung yon Verhaltens- und Anwen-

dungsmustern und die Anpassung an lokale Bedingungen. Eine Guideline fOr Modellentwickler ist bereits in Druck, des- weiteren sollen die Modelle katalogisiert, ein Testverfahren entwickelt und Modellierungs- und Forschungsbedarf aufo gezeigt werden. Ein Zwischenergebnis wird im Sommer be- kannt.

Evaluierung richtet sich immer nach einer Vergleichsstrate- gie. Diese kann fOr Luftausbreitungsmodelle klimatologisch (lDberprfifung des Langzeitverhaltens), integral-diagnostisch (fiber einige Tage umfangreiche Messungen for genaue Pa- rametereinstellung und Vergleich Modell-Mel~werte) oder prozel~orientiert (Bestimmung der disaggregierten Prozel~pa- rameter) sein. Da die klimatologische Evaluierung oft zu un- genau, die prozet~orientierte nur schwer m6glich ist, stellt Prof. Dr. E. SCHALLER, Fraunhofer-Institut for atmosph~iri- sche Umweltforschung, Garmisch-Partenkirchen, Experi- mente zur integral-diagnostischen ,Evaluierung von Mo- dellen for atmosph~irische Transportvorg~inge und luftche- mische Prozesse" vor. Beim Vergleich von verschiedenen Gaussmodellen konnte keine ldare Empfehlung gegeben wer- den. Alle Gauss-Modelle sind allerdings den Lagrange- Modellen klar unterlegen. Bei der Eulerian Model Evalua- tion Field Study (EMEFS) wurden 3D-Transportmodelle for das Gebiet der USA gerechnet und mit Mef~daten auf einem 1 100 km x 400 km Ausschnitt aus verschiedenen H6hen verglichen. Die Analyse zeigte for RADM, dem besten gete- steten Modell, eine falsche Einsch~itzung der Chemie, was in der 2. Version verbessert wurde. Einige Modelle kommen zu ganz falschen Ergebnissen, wenn nur bestimmte Parame- ter durch neuere Werte ersetzt werden. Zusammenfassend fordert SCHta.LER, da~ auch in Europa Modelle unabh~ingig evaluiert werden. Das werde langfristig die Qualitiitssicher- heit erh6hen.

Allgemein wurde festgestellt, dat~ ein Mit~verhfilmis zwischen Modellentwicklung und Modellverifizierung besteht. Ob- wohl bisher viel Arbeit und Geld in die Entwicklung von Mo- dellen gesteckt wurde, bleibt ihr Anwendungsbereich und die Aussagesicherheit begrenzt, da oftmals keine ausreichende Verifikationsstudien durchgefohrt wurden.

4 Forschungsbedarf

Der Forschungsbedarf ergibt sich aus den Problemfeldern, die von den Referenten und Diskussionsteilnehmern ange- sprochen wurden. Darfiberhinaus wurden einige weitere wichtige Punkte erg/inzt, die einer Bearbeitung bedfirfen. Der folgende Katalog ist keineswegs vollstfindig und nicht als Priorit~itenliste zu verstehen. Vielmehr stellt er Forschungs- felder dar, deren Bearbeitung eine Verbesserung der Aussa- gen von Ausbreitungsmodellen erwarten lassen. Dabei ist im- mer zu berficksichtigen, daft die Qualit~it von Modellrech- nungen wesentlich davon abh/ingt, ob modellad/iquate Da- ten verfogbar sind. Die Kunst des Modellierens besteht darin, ein Optimum zwischen Modellkonzept und Datendargebot zu finden, um die Fragestellung genfigend genau beantwor- ten zu k6nnen. Hier besteht noch ein erheblicher Bedarf ffir eine bessere Abstimmung von Datenerhebung und Model- lierung.

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Page 6: Modellierung von Stoffausbreitungen

Modellierung yon Stoffausbreitungen lDbersichtsbeitr~ge

Im folgenden ersten Teil wird zun~ichst auf den Forschungs- bedarf bei der Modellierung der Ausbreitung innerhalb der einzelnen Umweltkompartimente Luft, Wasser und Boden eingegangen. Die jeweils nicht berficksichtigten Medien er- scheinen in dieser Betrachtungsweise als R~inder, durch die Stoffverluste und ggf. Stoffeintrfige erfolgen. Im zweiten Teil wird der Forschungsbedarf ffir die 6kosystemare, multime- diale Ausbreitungsmodellierung behandelt. Der multimediale Ansatz berficksichtigt explizit die wechselseitigen Beziehun- gen zwischen den Umweltmedien. Es wird die Problematik der Modellierung auf verschiedenen Skalen und deren IDber- tragung angesprochen. Im dritten Teil wird auf den For- schungsbedarf ffir die Untersuchung der wichtigen Fragen der Persistenz, der (Bio-)Akkumulation und des Nahrungs- kettentransfers eingegangen. Die Ansfitze in diesen drei Tei- len lassen sich nicht scharf voneinander trennen und gehen fliel~end ineinander fiber. Im vierten Teil werden schliet~lich Forschungsdefizite der Evaluierung yon Modellen, der Rolle von Ausbreitungsrechnungen ffir die Stoffbewertung ein- schliet~lich des modellgeleiteten Umweltmonitorings und der Unsicherheitsanalyse behandelt.

4.1 Ausbreitung in Luft , Wasser und Boden

4 .1 .1 Luft

Das Gauss-Modell, das in der TA Luft vorgeschrieben wird, 16st die Advektions-Dispersions-Differentialgleichung unter idealisierten Randbedingungen mit empirisch ermittelten Di- spersionskoeffizienten. Das Euler-Modell simuliert numerisch und kann die lokale Topographie berficksichtigen. Das Lagrange-Modell interpretiert Dispersion als Zufallsprozet~. Meteorologische mesoskalige Modelle werden eingesetzt, um die grol~rfiumige Veteilung von Luftschadstoffen und ihre De- position nachzuvollziehen. Die Programme k6nnen aut~er Transport und Transformation von Photooxidantien auch Wolkenbildung und Aerosole einbeziehen und aus Emissions- daten Konzentrationsverteilungen sowie trockene und nasse Deposition errechnen.

Ffir die Modellierung des Stofftransports in der Luft bleibt Forschungsbedarf in den Bereichen

- A u s b r e i t u n g in kleinr~iumigen, stiidtisch-industriellen Strukturen,

- Einflufl der Mittel- und Hochgebirge, Einbeziehung der regionalen und lokalen Topographie,

- Modellierung des grot~r~iumigen Wettergeschehens, insbe- sondere Wolkenbildung, mit genauerer Berficksichtigung der Stahlungsverhfilmisse, Temperatur und Dichte in Ab- hiingigkeit von H6he, Trfibung, Tages- und Jahreszeit,

- Wechselwirkung von volatilen, semivolatilen und parti- kelgebundenen organischen Verbindungen mit der Vege- tationsdecke,

- Validierung des Verteilungskoeffizienten partikelgebun- den/gasf6rmig ffir semivolatile Substanzen in Abh~ingig- keit von Substanz- und Partikeleigenschaften, Tempera- tur, Feuchte etc.

- Berficksichtigung der besonderen Verhfiltnisse bei Briin- den: die thermisch bedingte Ausbreitung, die Transfor- mation beim Austritt in die Luft und die Str6mung um Gebfiude der direkten Umgebung. Darauf gestfitzt k6n-

nen lDberlegungen angestellt werden, inwieweit Online- Ausbreitungsrechnungen zur Unterstfitzung von Ma~nah- men bei St6rf~illen dienen k6nnen.

4 . 1 . 2 Fliisse und Seen

Der Transport von eingeleiteten Substanzen aus gewerb- lichen-industriellen und 6ffentlichen Kl~iranlagen l~it~t sich in vielen Fiillen ausreichend genau modellieren, wenn die er- forderlichen Daten vorhanden sind. Oft liegen allerdings nur Summenparameter wie AOX vor. Forschungsbedarf besteht ffir die Untersuchung yon

- diffusen Eintr/igen aus der Landwirtschaft und durch Ein- schwemmungen,

- Wechselwirkungen yon Stoffen mit Schwebstoffen und de- ren Sedimentation und Resuspension,

- longitudinaler und transversaler Dispersion in Flieflge- wfissern.

4 . 1 . 3 Boden und Grundwasser

Die meisten der heute einsetzbaren Modelle simulieren Stoff- transport in relativ homogenen por6sen B6den und Grund- wasserleitern, z.B. ffir die Berechnung des Auswaschungs- potentials von Pflanzenschutzmitteln. Die Probleme beim Stofftransport liegen einerseits in der ad~iquaten Modellie- rung in nicht-por6sen B6den und geschichteten, heterogenen Grundwasserleitern sowie in der genauen Quantifizierung der Ad/Desorption und des biologischen Abbaus. Labordaten lassen sich oft nut schwer auf das Feld fibertragen, da sie nicht die dynamischen Wechselwirkungen und extremen He~ terogenitfiten abbilden. Literaturdaten zeigen eine betrficht- liche Bandbreite fiber mehrere Gr6~enordnungen. Im einzel- nen ergibt sich Forschungsbedarf ffir die

- Weiterentwicklung deterministischer Simulationsmodelle des Wasser- und Stofftransports einschliel~lich der Mo- dellierung des Austrags fiber Schnittstellen zu Nachbar- systemen (Atmosphfire, Oberflfichenwasser, benachbarte B6den, Vegetation u.a.),

- Entwicklung fl~ichenbezogener stochastischer Modelle zur Simulation des fliichenbezogenen Wasser- und Stofftrans- p o r t s ,

- Ermittlung dynamischer Modellparameter aus fliichenhaft vorhandenen Datennetzen (Boden, Nutzung, Witterung, Geologie),

- Validierung von Modellen an repr~isentativen Standorten, - Ableitung standort- und stoffgruppenspezifischer Ausbrei-

tungspotentiale aus Modellrechnungen ffir Prognose- zwecke.

4 .2 Mul t imed ia l e , regionale Ausbre i tung

Umweltsysteme setzen sich aus verschiedenen abiotischen Phasen (gasf6rmig, flfissig, fest) zusammen, deren Anteile und Eigenschaften sehr stark variieren. Sie stellen die Lebens- grundlage fiir pflanzliche und tierische Organismen bereit. Die Heterogenit~it der Umweltsysteme nimmt zu, wenn man die Atmosphfire, die als relativ homogen mit nur geringen flfissigen und festen Anteilen anzusehen ist, mit den aquati- schen 0kosysteme und erst recht mit den terrestrischen C)ko- systemen vergleicht, wobei im Boden aut~erdem der Wasser-

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Page 7: Modellierung von Stoffausbreitungen

Obersichtsbeitr/ige Modellierung yon Stoffausbreitungen

und Luftgehah zeitlich variiert. Die Ausbreitungsgeschwin- digkeiten in der Atmosphfire liegen im Bereich Meter pro Se- kunde, im Boden oder Grundwasser dagegen bei Meter pro Jahr, also etwa sieben Gr6f~enordnung geringer. Auferdem wird die Stoffausbreitung in Wasser und Boden von bioti- schen Komponenten beeinfluf~t.

Aus diesen teils extremen r~iumlichen, zeitlichen und struk- turellen Unterschieden yon Umweltsystemen resultiert auch die Schwierigkeit bei der Modellierung kompartimentfiber- greifender Ausbreitungen. In stark strukturierten Umwelt- systemen heterogener Zusammensetzung mit geringen Trans- portgeschwindigkeiten wird die Ausbreitung mafgeblich von den Austauscb- und Transfervorgfinge von einer ,Phase" zu einer anderen bestimmt. IJbergfinge in angrenzende Phasen, z.B. Deposition aus der Luft auf Boden und Pflanzen, sind abh~ingig von den Eigenschaften der Grenzschicht und den- jenigen des Stoffes. Je heterogener ein Umweltsystem ist, de- sto schwieriger gestaltet sich auch die Modellierung, so daft teilweise auf empirische Ans~itze zurfickgegriffen werden muff. Die kleinrdumige Modellierung bedeutet eine beson- dere Herausforderung, da keine gemittelten Werte verwen- det werden kfnnen. Besondere Bedeutung kommt daher der Skalierungsproblematik zu. Der Forschungsbedarf im ein- zelnen:

-Berficksichtigung kleinr~iumiger Strukturen fiir den Stoffaustausch zwischen Umweltmedien, Kinetik der Phasenfibergiinge zwischen Luft, Wasser, Boden und Pflanzen,

- lDbertragung von prozefbasierten Modellen auf fl/ichen- hafte oder r~iumliche Probleme (,Punkt-Fl~iche-Raum"),

- lDbertragung von lokalen Modellansfitzen auf regionale Probleme und umgekehrt (.upscaling und downscaling"),

- Bestimmung des Mafstabes (raum-zeitlich), der ffir die Parameterermittlung erforderlich ist, und umgekehrt,

- IDbertragung yon Ergebnissen aus Labor- und Mikrokos- mosversuchen auf das Freiland,

- Erfassung natfirlicher Variabilit~iten von Umweltprozes- sen und deren H~iufigkeitsverteilung unter bestimmten Randbedingungen,

- Stochastische Modellierung der Ausbreitung in muhime- dialer Umwelt,

- Verknfipfung von Teilmodellen mit unterschiedlichen Zeitskalen,

- Kopplung von Simulationsmodellen mit geografischen In- formationssystemen (GIS).

4 . 3 P e r s i s t e n z , B i o a k k u m u l a t i o n u n d T r a n s f e r

4 . 3 . 1 P e r s i s t e n z

Die Persistenz entscheidet fiber die Dauer des Verbleibs ei- nes Stoffes in der Umwelt und bestimmt damit sein Risiko- potential mit. Damit h~ngt es - neben der Mobilit~it - v o n der Persistenz eines Stoffes ab, ob der Stoff weitrfiumig tran- sportiert werden kann. Unter Persistenz wird dabei die Ei- genschaft eines Stoffes verstanden, chemisch stabil gegenfiber den Einflfissen und Kr~iften der Umwelt zu sein. Zu unter- scheiden ist der abiotische Abbau, z.B. durch Hydrolyse, und der biotische Abbau, vor allem durch Mikroorganismen.

- Abiotischer Abbau

Sowohl ffir bomogene Reaktionen in der Gasphase als auch im w~iflrigen Milieu liegen Modelle zur Berechnung des Pho- toabbaus vor. Schwierigkeiten bereiten heterogene Reaktio- nen an Partikeloberflfichen.

- Biotischer Abbau

Die Kinetik des mikrobiellen Abbaus lfift sich unter ideali- sierten Laborbedingungen mathematisch fassen. Eine Uber- tragung auf den Abbau in B6den und Gewfissern ist mit er- heblichen Unsicherheiten verbunden, insbesondere bei nie- drigen Konzentrationen. Es wird deshalb meist auf das ein- fachste Modell einer Reaktion erster oder pseudo-erster Ordnung zurfickgegriffen. Der enzymatische Metabolismus in Pflanzen und Tieren ist in den wenigsten Ffillen bekannt.

4.3.2 B i o a k k u m u l a t i o n u n d Transfer in N a h r u n g s k e t t e n

Der Eintrag in die Nahrungskette des Menschen beginnt mit der Stoffakkumulation in der Pflanze. Der Transpirations- strom-Konzentrationsfaktor (TSCF) wurde bisher nur fOr we- nige Pflanzen und Stoffgruppen bestimmt. Er ist bisher nicht eindeutig mechanistisch erklarbar. Die Aufnahme von Stof- fen aus der Luft ins Blatt geschieht je nach Aggregat- und Bindungszustand fiber die Kutikula oder die Stomata. Die Widerstande oder Stofffibergangskoeffizienten (Leitwerte) hangen von den Stoff- und Pflanzeneigenschaften ab.

Die Stoffakkumulation in lebenden Tieren gibt empirische Probleme auf. Deshalb konnte erst ein Modell zur Akkumu- lation in der Kuhmilch entwickeh und kalibriert werden. Bei Mastvieh ist die Modellierung und Datenerhebung sehr viel aufwendiger, da sich sein Stoffhaushalt nicht im Flieflgleich- gewicht befindet.

In aquatischen Okosystemen wird das Akkumulationspoten- tial gut mit dem Biokonzentrationsfaktor (BCF) beschrieben, der als Quotient aus den Konzentrationen des Schadstoffs im Organismus und im umgebenden Medium (Wasser) de- finiert ist. Untersuchungen zeigen fibereinstimmend, daf der log BCF mit dem log Kow linear korreliert ist (ffir log Kow < 6,5). Grundsfitzlich mfissen fOr Nahrungsketten- modelle Resorption und Abbau jedes Gliedes bestimmt wer- den. Der Forschungsbedarf im einzelnen:

- Mechanistische Modellierung der Aufnahme von Stoffen aus dem Boden in Pflanzen, insbesondere ffir organische Verbindungen und ffir verschiedene Nutzpflanzen,

- Mechanistische Modellierung des Transfers Futtermit- tel/Tier..ffir Nutztiere, Resorption aus dem Magen/Darm- Trakt, Ubergang in andere Organe, Milch und Fleisch,

- Aufnahme aus der Luft yon (teilweise) gasf6rmig vorlie- genden Verbindungen in die Pflanzen fiber Kutikula und Stomata,

- Validierungsstudien in kontrollierten Freilandsystemen, - Bioakkumulation superlipophiler Verbindungen aus dem

wfiflrigen Milieu.

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Page 8: Modellierung von Stoffausbreitungen

Modellierung yon Stoffausbreitungen l~lbersichtsbeitr/ige

4.4 Modellevaluierung und Stoffbewertung

4.4.1 Unsicherheitsanalyse und Modellvalidierung

Da die Umwelt ein fiberaus komplexes (nichtlineares) offe- nes System mit extremer riiumlicher und zeitlicher Variabi- lit~it ist, sind Simulationsmodelle, die die Umwelt naturge- treu abzubilden versuchen, nur eingeschr~inkt ann~ihernd gfil- tig. Daher sind bei der Modellierung immer Vereinfachun- gen, Vernachl~ssigungen und Parametrisierungen erfor- derlich, die yon der Fragestellung, dem untersuchten Um- weltsystem und der Datenverffigbarkeit und -qualit~it ab- h~ingen:

- Die (Un)Sicherheit yon Modellrechnungen als Funktion der Parameter- und Strukturfehler bedarf verst~irkter Um- tersuchungen.

- Die Validitiit der Modellaussagen mut~ mit umfangreichen Messungen fiberprfift werden. Bisher wurden daffir keine ausreichenden Datens~tze erarbeitet.

- Unabh~ingige Evaluierungsstudien sind notwendig, da sie Modellierungsfehler ausfindig machen k6nnen und so ei- nen bedeutenden Beitrag zur Qualitiitssicherung leisten.

- Um Ausbreitungsmodelle fiberschaubar zu halten, sind Teilmodelle zu entwickeln, die zu einem Gesamtmodell zusammengesetzt werden k6nnen. Die Verknijpfung von Teilmodellen zu einem Gesamtmodell ist ein Problem, das sowohl mathematische Probleme an den Schnittstellen aufwirft als auch aus der (prinzipiell) unvollstiindigen Da- tenlage erw~ichst.

4.4.2 Stoffbewertung und Leit- und Referenzstoffe

Gfingige Verfahren der Stoffbewertung verwenden den Quo- tienten aus der ,,Predicted Environmental Concentration PEC" und der ,Predicted No-Effect Concentration PNEC ~. Aus Modellrechnungen lassen sich neben der PEC weitere Informationen fiber Persistenz und Akkumulation gewinnen, die als Kriterien zur Stoffbewertung herangezogen werden k6nnen.

Eine weitere Problematik ergibt sich aus der grot~en Anzahl potentiell umweltgef/ihrlicher Stoffe, deren Eigenschaften und Wirkungen um Gr6t~enordnungen unterschiedlich sind. Hier sind wegen der grot~en Anzahl und des weiten Eigenschafts- spektrums vor allem die organischen Chemikalien zu nen- nen, die welt weniger untersucht worden sind als anorgani- sche Spuren- und Massenstoffe. Oftmals fehlen selbst die Da- ten zu den grundlegenden physikalisch-chemischen Substanz- eigenschaften. Insbesondere solche organische Stoffe, die eine exemplarische Bedeutung ffir ein bestimmtes Umweltverhal- ten haben, sollten als Leit- oder Referenzstoffe dienen, um auf das Ausbreitungsverhalten weniger gut untersuchter Stoffe schliet~en zu k6nnen. Modelle, die die Wechselwirkung yon Stoffen und ihren Metaboliten berficksichtigen, gibt es aus Komplexit~itsgrfinden bisher kaum.

4.4.3 Modellgeleitetes Umweltmonitoring

Umweltmonitoring erfolgt meist aus Griinden der Bestands- aufnahme, der IJberwachung von Grenzwertfiberschreitun- gen, der Ermittlung von Be- und Entlastungstrends u.a. Sol- che Umweltkonzentrationsmessungen k6nnen dann zu einem besseren Verstfindnis des Ausbreitungsverhaltens beitragen, wenn sie mit Modellrechnungen verbunden werden. Dadurch k6nnen ursfichliche Zusammenh~inge aufgedeckt, Probenah- mepunkte besser festgelegt und Mel~strategien zeitlich und r~iumlich optimiert werden. Umweltmonitoring, das sich auf Messungen und Modelle stfitzt, ist damit aussagekr/iftiger und kostengiinstiger. Mit Modellen k6nnen Hypothesen fiber das Auftreten von Stoffkonzentrationen auf lokaler und glo- baler Ebene generiert werden. Ebenso kann aus beobachte- ten Zeitreihen auf m6gliche Einleitungen r~ickgerechnet wer- den. Empirisch ermittelte Konzentrations- und Transferfak- toren k6nnen mittels Modellierung mechanistisch abgesichert werden.

Danksagung

Wir danken der DECHEMA fiir die Organisation des Symposiums in der angenehmen Atmosphfire der Evangelischen Akademie in Tutzing.

Beachten Sie bitte auch in ,,Environmental Science and Pollution Research - ESPR" die Beitragsserie:

Evaluation of Fate and Exposure Models Editor: Prof. Dr. Michael Matthies, Institute of Environmental Systems Research, University of Osnabriick, D-49069 Osnabriick, Germany

E. BACCI, A. FRANCHI, L. BENSI, C. GAGGI (Siena): Pesticides and Groundwater Quality Protection - Calibrating a Simple Model for Ranking the Contamination

Potential (--* ESPR 1/2, S. 9 4 - 97)

A. DI GUARDO (Milan), R. WILLIAMS (Wallingford), P. MATTHIESSEN (Burnham-on-Crouch), D. BROOKE (Garston), D. CALAMARI (Milan): Simulation of Pesticide Runoff at Rosemaund Farm (UK) Using the SoilFug Model ( - ' ESPR 1/3, S. 151 -160)

S. TRAVP (Osnabrfick); T. RANTI• J. PAASIVIRTA (Jyvfiskyl~i): Fate of Pulp Mill Effluent Compounds in a Finnish Watercourse* (-o ESPR 1/4, S. 2 4 7 - 252)

S. GAYLER, S. TRAPP, M. MATTHIES (Osnabriick), H. BEHRENDT, R. SCHROLL, I. SCHEUNERT (Neuherberg): Uptake of Terbuthylazine and its Less Polar Metabolites Into Maize

C. WOLFF, W. VEERKAMP (The Hague): Validation Criteria for Fate and Exposure Models S. E. JORGENSEN, B. H. SORENSEN (Copenhagen): Estimation of Parameters in Ecotoxicological Modelling J.-O. WAGNER, M. MATTHIES (Osnabr/ick) et al.: Guidelines for Selection and Application of Fate and Exposure Models - Criteria and Model Data Base S. SCHEIL, M. MATTHIES (Osnabrfick) et al.: An Object-Oriented Model Toolbox for Fate and Exposure Assess- ments A. DI GUARDO, U. CALAMARI (Milan), S. SINKKONEN, J. PAASIVIRTA (Jyv~iskyl~i), P. VUORINEN (Helsinki): Simulation of Chlorinated Hydrocarbon Distribution in Bothnian Bay Using a Level Ill Fugacity Model W. KLOPPFER (Frankfurt): Exposure and Hazard Assessment Within the Life Cycle and Impact Assessment S. TRAPP, B. HARLAND (Brixham): Field Fest of Volatilization Models

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