Moment 118: 2012

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12 Süddeutsche Zeitung Magazin Süddeutsche Zeitung Magazin 13 Alle Meinungen, die Claudia vertritt, halte ich für falsch Geht mir genauso mit dir! Claudia Roth und Günther Beckstein waren mal erbitterte Gegner. Heute sind sie Freunde, jenseits aller Parteigrenzen. Und haben sich eine Menge zu sagen. Vor allem zur Frage, wie sehr man bei den Niederlagen des anderen mitleidet INTERVIEW: THOMAS BäRNTHALER UND GABRIELA HERPELL FOTOS: BERT HEINZLMEIER Während Roth und Beck- stein gar nicht genug krie- gen vom Tretbootfahren, tritt Becksteins Bodyguard nervös von einem Fuß auf den anderen. Roths Pres- sesprecher fragt, was er tun würde, wenn sie kentern. »Reinspringen natürlich«, knurrt er, zitternd vor Kälte.

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Die Politiker Claudia Roth und Günther Beckstein treffen sich zum Gespräch. Für das Foto steigen sie in ein Boot auf dem Kleinhesseloher See.

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  • 12 Sddeutsche Zeitung Magazin Sddeutsche Zeitung Magazin 13

    Alle Meinungen, die Claudia vertritt, halte ich fr falschGeht mir genauso mit dir!

    Claudia Roth und Gnther Beckstein waren mal erbitterte Gegner. Heute sind sie Freunde, jenseits aller Parteigrenzen. Und haben sich eine Menge zu sagen.

    Vor allem zur Frage, wie sehr man bei den Niederlagen des anderen mitleidet

    I n t e r v I e w : t h o m a s b r n t h a l e r u n d G a b r I e l a h e r p e l l F o to s : b e r t h e I n z l m e I e r

    Whrend Roth und Beck-stein gar nicht genug krie-gen vom Tretbootfahren, tritt Becksteins Bodyguard nervs von einem Fu auf den anderen. Roths Pres-sesprecher fragt, was er tun wrde, wenn sie kentern. Reinspringen natrlich, knurrt er, zitternd vor Klte.

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    SZ-Magazin: Frau Roth, Herr Beckstein, Sie beide sind seit vielen Jahren befreundet. Wie ungewhnlich ist diese Freund-schaft in der Politik? Gnther Beckstein: Ich sage mal: Alle Meinungen, die Claudia Roth vertritt, halte ich fr falsch.Claudia Roth: Geht mir genauso mit dir!Beckstein: Und um ehrlich zu sein: Die Art, wie sie ffentlich argumentiert, so emotional, die regt mich auf. Das nervt mich.Roth: Genau das solls!Beckstein: Aber ich respektiere sie, weil sie authentisch ist und das, was sie sagt, auch so meint. Sie ist der Prfstein meiner Tole-ranz. Ich nehme sie sehr ernst, was ich nicht mit jedermann mache.Und Sie, Frau Roth, was mgen Sie an Herrn Beckstein?Roth: Der Gnther bleibt sich treu, das schtze ich. Da gibt es andere in der CSU, die legen eine hohe Flexibilitt an den Tag, da wei man nicht, woran man ist. Vielleicht ist es das, was uns verbindet: die Treue zu Auffas-sungen. Aber unsere Freund-schaft hat erhebliche Irritationen in meiner Partei ausgelst. Und in Gnthers Partei. Ich erinnere mich an eine schlimme Rede von Stoiber, in der es sinngem hie: Das wird dem Beckstein auch

    nichts ntzen, dass er sich mit der duzt. Und ich hab E-Mails ge-kriegt: Wie kannst du jemanden duzen, der Kinder abschieben wollte? Das alles wirft aber eher ein Licht auf die anderen.Trotzdem wrde man Sie bei-de nicht zusammenbringen. Sie haben sich frher ja regelrecht bekmpft.Beckstein: Aber es gibt auch vieles, was uns verbindet: Sie ist nicht Anhngerin vom FC Holly-wood, sondern vom FC Augs-burg. Ich bin Nrnberg-Fan. Sie ist aus Schwaben, was mir menta-littsmig liegt: Ich komme aus dem Frnkischen.Roth: Stimmt, da muss man zusam-menhalten, gegen Oberbayern. Beckstein: Toleranz heit ja nicht, unterschiedliche Meinun-gen auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Toleranz heit, auch bei seinen Stand-punkten zu bleiben, sie nicht ohne Weiteres zur Disposition zu stellen. Sich ernsthaft mit der anderen Meinung zu beschf- tigen. Sonst kapiert man den an-deren ja berhaupt nicht.Roth: Wir fhren keine Freund-schaft, bei der man sich jeden Tag sieht oder stndig telefoniert. Aber wir knnen etwas unter vier Augen besprechen und ms-sen nicht befrchten, das mor-

    gen in der Zeitung zu lesen. Oder dass es sofort per SMS wei-terverbreitet wird.Beckstein: Stimmt, da besteht ein Vertrauensverhltnis.Wie haben Sie beide sich besser kennengelernt?Roth: Das war beim Jubilumsfest der Sddeutschen Zeitung 2005 in Mnchen. Ein Riesenauflauf. Kurz nach der Bundestagswahl. Wir hatten gut abgeschnitten, aber es kam dann die groe Koa-lition an die Regierung. Gnther Beckstein befand sich im inter-nen Wettstreit um den nchsten bayerischen Ministerprsidenten. Da kam er auf mich zu, mit viel Presse drum herum, und sagte, jetzt kennen wir uns so lange, er mchte mir das Du anbieten. Ich war schockiert und habe spontan gesagt: Aber Sie wollen doch was werden, Herr Beckstein! Weil ich dachte: Was wird das auslsen in seinem Umfeld!Aber Sie haben das Du ange-nommen.Roth: Ja, das habe ich. Das war wie raus aus dem ideologischen Schtzengraben. Kurz danach waren wir eingeladen zu einer Sendung bei Sabine Christian-sen und haben natrlich kom-plett unterschiedliche Meinun-gen vertreten. Es ging um die Sicherheitsbehrden. In der Mas-ke haben wir uns berlegt: Sol-len wir uns siezen?Beckstein: Ich habe gesagt: Wir siezen uns, aber mit Vornamen. Roth: Und dann hat er sich in der Sendung mchtig aufgeregt und gesagt: Claudia, was erzhlst du da fr einen Mist Da wars raus.Beckstein: Und du darauf: Gn-ther, jetzt bist du aber still!Roth: Dann kamen die E-Mails.Herr Beckstein, warum haben Sie ihr damals das Du angeboten?Beckstein: Fr mich ist Claudia Roth eine ganz starke Marke. Ich hatte damals in der Tat hchste Ambitionen. Fr mich war es wichtig, auf jemanden zuzugehen, der einen wesent-lichen Teil Bayerns darstellt und grn ist. Damals haben wir die Grnen ja noch als Terroristen abqualifiziert >>

    Ichhab E-Mails

    gekriegt:Wie kannst

    du dichmit

    jemandemduzen,

    der Kinderabschieben

    wollte?

    Claudia roth musste Gnther beckstein nicht lange dazu berreden, mit ihr in das grne Boot zu steigen: rot kam nicht in Frage, ein schwarzes gab es nicht.

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    Roth: Wir waren doch keine Terroristen, Gnther!Beckstein: Frher haben wir die Grnen ethisch nicht ernst genommen. Ihr wart unser Feindbild. Ich sage nur Chaostage oder Wackersdorf, das ich ganz schlimm in Erinnerung habe. Da wurde mit Stahl-kugeln auf Polizisten geschossen Roth: und auf uns wurde eingeprgelt.Beckstein: Ich war im Hubschrauber und habe mir das von oben angeschaut. Seit ich die Claudia kenne, hat sich bei mir einiges gendert. Ich nehme die Grnen jetzt ernst. Sie sind zwar von der Sozialisation her vllig anders als ich, aber im Prinzip wollen sie im Zu-sammenleben der Menschen was gestal-ten, was vernnftig ist. Dass sie vor der Atompolitik sprichwrtlich Angst ge-habt haben, erschien mir vllig lebens-fremd damals.Roth: Was du da beschreibst, war genau meine politische Sozialisation! Auf der einen Seite die Staatsmacht im Hub-schrauber und mit Wasserwerfern, auf der anderen Seite die, die was Gutes wol-len, aber kriminalisiert werden. In Brok-dorf wurden Tiefflge auf uns Demons-tranten gemacht, der Staat zog sein Visier runter gegen uns. Diese Konfrontation gibt es heute nicht mehr. Und der Gn-ther war einer der Auslser dieses Wan-dels. Ich vielleicht auch. Beckstein: Ich wollte bei aller Unter-schiedlichkeit deutlich machen, dass ich Respekt vor einer solchen Politik und Persnlichkeit habe. Roth: Du hast gesagt: Es soll ein Zei-chen sein, dass du dich, falls du Minis-terprsident werden wrdest, fr einen anderen Umgang mit uns Grnen ein-setzen wrdest. Noch klingt Ihre Freundschaft ziemlich nach Parteitaktik.Beckstein: Nein. Ich fand die Claudia sehr sympathisch. In einem anstndigen Abstand, sage ich jetzt mal. Es gefllt mir, dass sie so spontan ist. Das liegt mir. Roth: Vielleicht kamen wir uns auch n-her, weil wir ber all die Jahre so viel miteinander zu tun hatten, immer wie-der. Konfrontativ, hart in der Sache, aber auch vertrauensvoll. Die Grnen hatten mal ein Plakat, auf dem stand: Beckstein wrde auch Jesus abschieben.Beckstein: Das betrachte ich heute noch als eine Gemeinheit!Roth: Der Innenminister Beckstein war unser Feindbild. Zwei Dinge haben das

    bei mir relativiert: Die CSU hatte eine ziemlich unterirdische Anti-Trkei-Kam-pagne gefhrt. Beckstein aber hatte gute Beziehungen zu rtlichen trkischen Vereinen und machte deutlich: Die geh-ren dazu! Ein andermal wollten wir mit Rot-Grn ein neues Zuwanderungsge-setz, da hat er gesagt: Ihr msst es ein Jahr vor der Wahl einbringen, so lange kann ich mich bewegen. Das war ein offenes Angebot. Bei konkreten humanitren Einzelfllen konnte man bei ihm anru-fen und was erreichen. Beckstein: Unter der Voraussetzung, dass es nicht ffentlich wird. Roth: Das war mit ihm deutlich anders als mit Otto Schily!Beckstein: Unsere Auslnderpolitik war damals total paralysiert. Ich wollte zei-gen, dass man sich auch bewegen kann. Leute in den Kirchen und bei Pro Asyl haben sich unter hohem persnlichem Einsatz engagiert. Die wollte ich pro Staat haben, nicht gegen Staat. Wann wurde aus dieser symbolischen Freundschaft auch eine persnliche? Beckstein: Nhe entsteht, wenn man den anderen ernst nimmt. Wenn man offen reden kann. Was ich nicht mal mit manchen Parteimitgliedern ma-chen wrde.Roth: Stichwort: doppelte Staatsbrger-schaft, die ich befrworte, Gnther aber rigoros ablehnt. Ich stehe aber jetzt nicht auf und sage: Was mache ich noch hier?! Man muss reden. Und mit ihm mache ich das gerne. Wer htte gedacht, dass heute 71 Prozent der Unionsanhn-ger fr die Homoehe sind?Sind Sie fr die Homoehe, Herr Beck-stein?Beckstein: Ich war einer derjenigen, die nach Karlsruhe gegangen sind. Heute wei ich: Die systematische Diskrimi-nierung der Homosexuellen war eine schlimme Verirrung. Geht es bei Ihrer Freundschaft immer nur um Politik?Beckstein: Eigentlich schon.Roth: Und um Fuball! Da haben seine Parteifreunde ihm mal was angetan. Gnther war Ministerprsident und kam zum Spiel nach Augsburg. Augsburg hat die Farben Rot und Grn. Das gefllt mir natrlich. Kommt der Gnther mit einem Schal, an den unten noch zwei Zentimeter in Schwarz nachgestrickt waren. So peinlich! Ist echte Freundschaft ber die Partei-grenzen hinweg berhaupt mglich?

    Beckstein: Eher sogar als innerhalb der Partei. Angenommen, ich stehe am Ab-grund und bin im Begriff runterzufallen. Ein Freund wrde mich auf eigene Gefahr retten. Ein politischer Freund wirft einen hinunter. In einer Partei hat man gemein-same Interessen, aber man liebt sich nicht. Da herrscht Wettbewerb. Roth: Natrlich gibt es Leute in meiner Partei, denen fhle ich mich nahe. Aber so richtig enge, persnliche Freund-schaften kann ich an einer Hand abzh-len. Es gibt welche, die merken, wenn es dir nicht gut geht, ohne dass du etwas sagst. Die dann fr dich kochen. Als Frau Roth die Politband Ton Steine Scherben managte, da waren Sie, Herr Beckstein, gerade auf dem Weg ins Innenministerium. Hatten Sie nie eine rebellische Phase?Beckstein: Ich bin heute noch rebellisch! Es ist ja bekannt, dass ich mal bei einer Straenblockade der Jungen Union in Nrnberg mit dabei war. Protest gegen den Abriss des Mauerdenkmals. Aber das waren sehr brave Veranstaltungen. Roth: Innerhalb der Partei warst du schon eine Art Rebell.Beckstein: Sagen wir mal so: Als ich junger Abgeordneter war, habe ich nicht immer darauf geachtet, was karrierefrderlich ist. Ich war zum Beispiel gegen den Kreuther Trennungs-beschluss, der 1976 die Abspaltung der CSU von der CDU markierte. Strau hatte damals alle wissen lassen, wer nicht fr mich ist, also fr die Tren-nung, der ist mein Todfeind.Roth: Die CSU versucht ja nach wie vor, uns krampfhaft in eine bestimmte Ecke zu stellen. Vor ein paar Jahren gab es ein spektakulres CSU-Plakat, das mich bei einer Sitzblockade in Gorleben zeigte. In meiner Partei hie es nur: Claudia, da bist du aber gut getroffen! Das hat uns eher gentzt. Die plumpe Diffamierung funktioniert eben heute nicht mehr. Oder Stuttgart 21, da hie es vom Dobrindt, die Grnen haben Steine geworfen. Dann stellte sich heraus, dass es Kastanien waren.Leiden Sie beide mit dem anderen, wenn es mal nicht so luft?Roth: Einmal hab ich mich furchtbar auf-geregt: Da war der Gnther gerade Mi-nisterprsident und gab einen Neujahrs-empfang, dein erster Empfang mit deiner Frau, erinnerst du dich? Es war kalt, die Schlange sehr lang, ich hab mich ganz normal angestellt, und ich glaube, ich

    Claudia Roth

    beruft sich gern auf ihre wilden zeiten als

    managerin der polit-rock-band ton steine

    scherben von 1982 bis 1985. sie lebte in der

    scherben-Kommune in Fresenhagen. was sie auch noch war: als

    Kind linksliberaler eltern 1955 in ulm geboren,

    gehrte sie zunchst den Jungdemokraten an. nach dem abitur

    (note 1,7) studierte sie theaterwissenschaft in mnchen, arbeitete

    von 1975 bis 1977 als dramaturgin an den

    stdtischen bhnen dort-mund und grndete mit Freunden ein freies

    theater. 1985 bewarb sie sich als pressespre-

    cherin der grnen bundestagsfraktion. 1989 wurde sie ins europische

    parlament gewhlt, wechselte 1998 in die bundespolitik und gehrt seit 2001 zur parteispitze der

    Grnen.

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    stand zweieinhalb Stunden. Ich hab dann zum Gnther gesagt, weit du eigentlich, was da drau-en fr eine miese Stimmung ist? Man htte den Leuten Tee bringen oder dir sagen mssen, Herr Beckstein, reden Sie nicht mit allen so lang, lassen Sie die Leute durch und halten Sie eine Rede an alle. Da haben seine eigenen Leute ihn nicht infor-miert. Die haben ihn ins Messer laufen lassen.Beckstein: Das war eine Fehlein-schtzung meiner Leute. Das war keine bse Absicht. Roth: Ich bin mir da nicht so sicher. Ich fand den Umgang mit dem Politiker Gnther Beckstein in seiner eigenen Partei ziemlich schbig. Wie jemand allein verant-

    beim Spaziergang im Englischen Garten erzhlt beckstein, dass er roths autobiografie von 2006 gelesen hat. er mag es aber lieber, sagt er un-gewohnt diplomatisch, wenn sie redet.

    wortlich gemacht wird fr eine Wahl, die nicht so gut ausging, wie man es gewohnt war. Da gehts zum Teil schon brachial zu. Ich bin da berhaupt nicht objektiv, sondern wirklich Freundin. Und denke, was glauben die eigentlich? Soll ich da mal hin, und peng?Herr Beckstein, wie haben Sie die Urwahl der Grnen mit-bekommen, als Frau Roth nur 20 Prozent bekam? Beckstein: Ich war total ber-rascht, dass Frau Gring-Eckardt die meisten Stimmen unter den Frauen bekam. Dass Claudia so schlecht abschnitt, hat mich sehr getroffen. So gemein kann eine Partei also mit ihrer Vorsitzen-den umgehen, war mein erster Gedanke. Da lebt Claudia fr diese Partei, sie wird als Vorsit-zende fr jede Arbeit gebraucht, dann diese Klatsche, ungerecht. Aber ich dachte auch, schau an, die Grnen werden auch in Deutschland ein Stck brgerlich,

    Nhe entsteht,

    wenn manden

    anderenernst nimmt

    und offenreden kann.

    Das kannman mitClaudia

    Herr Kretschmann lsst gren.Roth: Erst einmal danke ich dir von Herzen fr deinen wunder-baren Beitrag auf heute.de, wo du mich zum Weitermachen er-muntert hast. Das hat mich wirk-lich berhrt. Es war nicht bitter, dass ich verloren habe, sondern wie. Umso mehr hat mich der Zuspruch auf dem Parteitag bei meiner Wiederwahl als Partei-vorsitzende gefreut. Wenn Sie beide Artikel ber sich lesen, mssen Sie oft ordentlich einstecken. Verbindet Sie das?Beckstein: ber Claudia ist ja so von oben herab geschrieben worden, als wenn sie ein dummes Muschen wre. Dabei ist sie je-mand, der mit groer Ernsthaf-tigkeit fr Dinge einsteht. Ich habe oft gesagt, dass man so mit jemandem nicht umgehen kann. Da hab ich nie die leiseste Hem-mung gehabt. Wie erklren Sie sich diese Hme? >>

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    Beckstein: Das liegt schon daran, dass die Grnen so lange krimina-lisiert wurden. Hinzu kommt das Macho-Denken: allein dass sie blond ist und hbsch aussieht. Da glauben die Leute, dass sie keinen Verstand hat. Sie, Herr Beckstein, werden in den Medien eher von der linken Seite angegriffen, Sie dagegen, Frau Roth, am liebsten vom eige-nen Milieu.Roth: Es sind bestimmte Mn-ner, die so eine Person wie mich berhaupt nicht ertragen kn-nen. Bei Wiglaf Droste war das so schlimm, dass politische Freunde wie Jrgen Trittin ge-sagt haben, bitte lies heute die-sen Artikel nicht. Aber dann liest man ihn doch erst recht, oder nicht?Roth: Nein, den Text habe ich dann wirklich nicht gelesen, erst spter. Das war bel. Beckstein: Das war unter aller Sau! Kennen Sie das auch, Herr Beck-stein, friendly fire? Vom Bayern-kurier beispielsweise?Beckstein: Ich will mich da nicht beschweren. Bis zu meiner Wahl 2008 hat mich der Bayernkurier freundlich begleitet. Was mich sehr beschftigt, ist, wie die DVU meinen alten Vater mal instru-mentalisiert hat, als er schon 90 war und nicht mehr alles mitge-kriegt hat. Aber im Parteibereich ist die Solidaritt bis 2008 gro gewesen. Roth: Ich bin ja wirklich nicht CSU-nah, aber wenn ein Bischof, der jetzt der Chef der Inquisition in Rom ist, sagt, in Bayern darf kein Protestant Ministerprsi-dent werden, rege ich mich auf. Das ist eine Intrige. Wie halten Sie diese Angriffe aus? Roth: Frher fand ich es unmg-lich, dass Kanzler Kohl sagte, am Montag lese ich den Spiegel nicht. Jetzt verstehe ich es. Bei mir achten Mitarbeiter darauf, dass ich bestimmte Sachen nicht zu lesen kriege. Wenn es um Ein-satz fr Muslime geht, bist du die Fatima. Als ich Gnther mal erzhlt habe, was da fr Dro-

    hungen kamen, zum Beispiel ins Haus meiner Eltern, hat er sich dafr eingesetzt, dass das BKA kam und guckte, wie man mein Haus sichern knnte. Beckstein: Das hatte allerdings gar nichts mit Freundschaft zu tun, sondern mit der Amtspflicht. Wenn jemand so angegriffen wird, muss der Staat ihn scht-zen. Ich habe meinen Leuten ge-sagt: Stellt euch vor, das wre ich, dann wisst ihr, mit welcher Inten-sitt ihr das aufzuklren habt. Was waren das fr Drohungen?Roth: Tage- und nchtelang ano-nyme Anrufe, da hat mein Vater noch gelebt. Das war fr ihn das Schlimmste. Wochenlang kam jeden Tag irgendein Paket, aus dem Pornoshop, Waffenzeugs, da kriegst du einen Schuhkarton. und da ist Scheie drin. Was da mit meiner Mutter los war! Das war richtiger Terror, sogar in die Praxis meiner Schwester kamen Drohbriefe. Dann bin ich aus Babenhausen weggezogen, nach Augsburg.Herr Beckstein, wie haben Sie Ihren Rcktritt verkraftet? Beckstein: Ich reagiere vllig an-ders als Roth. Ich lese alles, habe immer alles gelesen, habe mich auch furchtbar gergert drber, aber ich habe die Fhigkeit, die Gefhle einfach abzuschalten und nicht mehr zur Kenntnis zu nehmen. Das geht, einfach so?Beckstein: Das ist keine Tempe-ramentsfrage, das kann man ler-nen. Der Innenminister ist ja vielen Bedrohungen ausgesetzt. Entweder lernt man, damit umzu-gehen, oder es verndert das Le-ben auf unangenehme Art. Meine Kinder sind allein in die Schule gegangen, denn Kinder von Politi-kern sind in Deutschland nie at-tackiert worden. Wir wollten ein normales Leben fhren. Die Ge-fahr, bei einem Verkehrsunfall ums Leben zu kommen, ist grer als bei einem Attentat. Das sage ich, obwohl ich Wolfgang Schub-le bestens kenne. Und Lafontaine auch miterlebt habe. Roth: Angst habe ich auch keine. Nur vor Kakerlaken in Afgha-

    nistan. Aber ich habe keinen Schutzschild gegen Krnkungen. Gnther, gabs fr dich jemals eine Situation, in der es dir reichte? Beckstein: Ich versuche zwar, als Christ zu leben. Aber das Alte Testament, Auge und Auge, Zahn um Zahn, wird von mir hoch verehrt. Roth: Also du gehst in die Offen-sive? Beckstein: Ja! Jede Gemeinheit wird mit einer greren Ge-meinheit beantwortet. Roth: Da muss ich mal Nachhilfe nehmen. Beckstein: Ich hab mich schon unfair angegriffen gefhlt und mit Unverschmtheiten geant-wortet, sodass meine Frau mir den Marsch geblasen hat. Das hat mir dann auch wieder gutgetan. Roth: Bei mir ging es so an die Substanz, an die eigene Wert-schtzung, die Achtung vor mir selber. Da habe ich mich gefragt, wie lang tust du dir das noch an? Parteitag in Rostock, Afgha-nistan-Entscheidung, fr uns eine der schwierigsten. Heribert Prantl hat in der SZ geschrieben: Grn, Grn, Olivgrn. Fritz Kuhn bat mich, im Bundesvor-stand die Rede fr den Einsatz zu halten. Das muss die Roth von links machen, dachte er. Ich sollte die innerparteiliche Oppo-sition berzeugen. Aber es war eine meiner schwersten Reden, ein unglaublicher Druck: Wie schaffe ich es, dass die Partei sich nicht spaltet? Ich hab bis morgens um fnf im Hotelzimmer gear-beitet, um sieben kam Frithjof Schmidt, ein echter Freund, dem hab ich die Rede vorgelesen. Ab acht kamen stndig Anrufe von Parteifreunden, die mir Mut zugesprochen haben. Und das kam Ihnen verdchtig vor?Roth: Allerdings. Da dachte ich, da muss was in der Zeitung ste-hen. Auf der Titelseite der TAZ war ein Foto von mir im knatsch-roten Samtkleid aus Bayreuth, und meine pinkfarbene Stola da-rber hatten sie grn koloriert. Drunter stand: Die Gurke des Jahres. Die ganzen Delegierten

    dR.GntheRBeCkstein

    praktizierte 15 Jahre lang als rechtsanwalt in seiner eigenen Kanzlei, promovierte 1975 zum dr. jur. und ist seit 1973

    mitglied der Csu. 1988 wurde der glubige protestant beckstein staatssekretr des

    Innern, ab 1993 staats- minister fr Inneres in bayern unter edmund stoiber. beckstein

    galt als hardliner, denn er befrwortete den

    groen lauschangriff und stand fr ein scharfes

    asylrecht. seit 2001 war er stoibers stellvertreter und von

    2007 bis 2008 kurzfristig sein nachfolger

    als ministerprsident von bayern.

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    hatten die TAZ in der Hand. Da hab ich gesagt, nein, ich kann da nicht raus. Meine Mutter rief an und regte sich darber auf, dass die eingefrbte Stola nicht har-monieren wrde. Irgendwie bin ich dann doch auf die Bhne. Aber an dem Tag habe ich mir wirklich berlegt hinzuwerfen. Am nchsten Tag kam eine Eil-sendung von einer Gurkenfirma aus dem Spreewald: dass die Gurke etwas ganz Tolles sei. Beckstein: Wenn ich gekrnkt oder beleidigt bin, sagt meine Frau zu mir, ach, sei doch nicht

    so wehleidig, was hast du ande-ren schon angetan? Es beschf-tigt mich bis heute, dass ich die Stichwahl in der OB-Wahl in Nrnberg verloren habe, obwohl ja Nrnberg immer Rot war und ich das erste Mal berhaupt in die Stichwahl gekommen bin. Meine Frau hat schon damals gesagt, jetzt fhr dich nicht so auf, in der Demokratie gehrt das dazu, dass einer verliert. Wer sagt Ihnen so was, Frau Roth?Roth: Das ist das Problem: Wenn ich nach Hause komme, wartet

    da niemand auf mich, mit dem ich gleich den Tag durchspre-chen kann. Dafr habe ich mei-ne Familie, meine Schwester, meine engen Freunde. Beckstein: Ich bin dankbar, dass ich so jemanden habe. Meine Frau himmelt mich nicht an, ist kritisch, sie ertrgt das ganze Le-ben mit, das ich ihr aufzwinge, aber sie ist auf meiner Seite. Wenn meine Frau mit zu Veran-staltungen gegangen ist, hat sie gesagt, was schlecht war. Und manchmal hat sie mich auer-ordentlich gelobt, was sich so

    anhrte: Heute warst du gar nicht mal schlecht.Ist die Partei auch Familie?Roth: Die Partei ist eher Heimat. Ein entscheidender Teil meines Lebens. Ich habe sie ja auch mit-prgen knnen. Aber Familie ist etwas anderes. Beckstein: Familie ist eine andere Dimension. Familie bedeutet, dass man zu jemandem steht, auch wenn er etwas ganz Falsches macht. Angenommen, eines meiner Kin-der wrde Drogen nehmen. Roth: Oder einen Grnen hei-raten. Beckstein: Es gibt noch Schlim-meres. Roth: Einen Katholiken. Beckstein: Genau. Man wrde immer zur Familie stehen. Ich wrde es aber fr gefhrlich an-sehen, wenn man das in der Partei genauso halten wrde. Da muss man streiten. Dafr sorgen, dass es korrekt zugeht. Es ist notwendig, dass nicht Freund-schaften oder Seilschaften eine Partei prgen, sondern der Wett-streit um Qualitt. Von Ihnen, Frau Roth, wei man, dass Sie weinen knnen. Wie ist das mit Ihnen, Herr Beckstein?Beckstein: Aus Zorn heule ich lieber nicht. Aber nie vergessen werde ich den 9. November, als die Mauer gefallen ist. Ich war an der Spitze eines ungeheuren Trabbi-Stroms in Hirschberg/ Rudolphstein. Als wir am baye-rischen Grenzbergang gehal-ten haben, sind mir wildfremde Menschen in die Arme gefallen. Da war ich zu Trnen gerhrt.

    G a b r I e l a h e r p e l l und t h o m a s b r n t h a l e r haben Claudia Roth und Gnther Beckstein nach ihrer Bootstour gefragt, ob sie sich noch andere gemeinsame Aktivitten

    vorstellen knnten. Beckstein schlug Skifahren vor. Aber Roth winkte ab: Du fhrst doch nur schwarze Pisten!

    roth gibt zu, becksteins buch Die Zehn Gebote, das er 2011 ge-schrieben hat, noch gar nicht ge-lesen zu haben, will es aber tun.