Moment 22: 2013

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Der Redakteur Till Krause nimmt Kontakt auf zu Menschen aus einem Lilliputaner-Dorf auf.

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    Besuchin der

    Kleinstadt

    In einem Freizeitpark in Rheinland-Pfalz wurden kleinwchsige Menschen bis in die Neunzigerjahre ausgestellt wie Mrchenfiguren in Deutschlands einziger

    Liliputaner-Stadt. Unser Autor hat dort als Kind gestaunt. Und heute erst recht: Was war da eigentlich los? Und wie geht es den Menschen 20 Jahre spter?

    Vo n t i l l k r a u s e | F o to : a n d r i P o l

    Brigida Saar in ihrer Wohnung: stuhl und tisch sind die einzigen Mbel, die auf ihre Gre zuge schnitten sind.die tierbilder erinnern sie an ihre Jugend, als sie sich um Pferde gekmmert hat.

    Schlafen in der Puppenstube: Marianne saar, ein star derliliputaner-stadt, zeigt ihrer Chefin angelika schneider (rechts), dass

    die Betten in ihrem schauwohnwagen ordentlich gemacht sind.

  • Brigida Saar ist mittlerweile 63 Jahre alt und eine der wenigen ehemaligen Bewohner der Liliputaner-Stadt, die ber ihre Erlebnisse berichten knnen. Viele leben nicht mehr, andere haben seelischen Schaden genommen und sagen am Telefon: ber diese Zeit werde ich nie wieder sprechen. Brigida Saar hat den Park Mitte der Neunzigerjahre verlassen, als die Lilipu-taner-Stadt geschlossen wurde. Sie und ihre Mutter Marianne, 1,12 Meter gro, haben dort mehr als zwanzig Jahre lang gelebt ein anderes Zuhause als die Schauwohnwagen im Park hatten sie lange nicht.

    Saar lebt heute etwa 100 Kilometer vom Holiday Park entfernt in einer Altbauwohnung, die mit hohen De-cken und groen Fenstern berhaupt nicht aussieht wie eine Puppenstube. Nur ihr Esstisch ist etwas kleiner. In ihrem Regal stehen Opernfhrer und Kunstbnde, an den Wnden hngen lgemlde von Pferden.

    Schon bei ihrer Geburt im Febru-ar 1950 war sie eine Sensation: Ihre Mutter Marianne, damals als klein-wchsige Artistin mit einem Wan-derzirkus unterwegs, brachte sie in einem italienischen Krankenhaus zur Welt. Die Zeitungen druckten Bilder aus dem Kreisaal mit er-schpfter 112-Zentimeter-Mutter und properem 50-Zentimeter-Baby, lillipuziana und gigante stand darber. Kleinwuchs wird meist vererbt, ist allerdings bei Babys oft noch nicht erkennbar. Sie wachsen anfangs normal, irgendwann hren sie einfach auf. Brigida Saar war als Jugendliche ausgewachsen. Mit 16, gleich nach der Hauptschule, hat sie sich der Zirkustruppe ihrer Mutter angeschlossen, dem Liliputaner-Circus Schneider. Ich htte lieber als Buchhndlerin gearbeitet, sagt sie, aber mein Leben lief eben anders. Sie wurde hauptberuflich Liliputanerin, wie sonst htte sie Geld verdienen sollen im Deutschland der spten 1960er-Jahre, als noch allen Ernstes im Bertelsmann Lexikon stand, dass Liliputaner zwar keinen Stamm bilden, sich aber gern in Zirkusgruppen zusammenschlieen.

    Der Holiday Park ist aus dem Liliputaner-Circus hervorge-gangen, der seit Generationen im Besitz der Schaustellerfamilie Schneider war. Auf alten Postkarten sieht man 27 Kleinwch-sige, verkleidet als Cowboy, Prinzessin oder Koch. Brigida Saar war vier Jahre lang Teil dieser Truppe. Ab den Siebzigerjahren lief der Zirkus nicht mehr gut, der Zeitgeist hatte sich gewan-

    delt, eine Show, in der Kleinwchsige als Prinzessinnen verklei-det waren, war nicht mehr berall gern gesehen. Also haben Erna Schneider und ihre Kinder beschlossen, einen Freizeitpark in der Provinz zu erffnen, um dort mit dem Zirkus sesshaft zu werden. Auf den ersten Plakaten von 1971 war ein Zwerg mit Zipfelmtze zu sehen.

    Der Alltag in der Liliputaner-Stadt war straff organisiert, er-zhlt Saar: Gegessen wurde zu festen Zeiten, es war ein Pro-grammpunkt gleich nach der Delfinshow. Zuschauer haben sich

    dauernd zur ihr an den Tisch gesetzt, ohne zu fragen, erzhlt Saar, manche haben ihre Kinder vorgeschickt und gesagt: Schau doch mal, ob die Zwerge da nicht ein paar Sigkeiten wollen. Manchmal habe sie ihnen geantwortet: Nein danke, aber meis-tens hat sie geschwiegen. Irgend-wann zieht man sich in sein Schne-ckenhaus zurck.

    Als ich ihr erzhle, dass ich als Kind staunend vor ihrem Wohnwa-gen gestanden habe und mich heute ein bisschen dafr schme, lacht sie und sagt: Die Kinder waren nicht das Problem, die waren hchstens mal ein bisschen frech, aber so sind Kinder eben. Nur die Erwachsenen, die waren schlimm: Die haben uns begutachtet wie Vieh. Besonders respektlos waren die Rentner, die er-migt in den Park kamen, um dort ihre Zeit totzuschlagen. Die wollten wissen, ob ich schreiben kann. Ob ich gefttert werden muss wie ein Baby. Ob jemand wie ich berhaupt heiraten drfe. Auch intimere Dinge wollten sie wissen.

    Brigida Saar nennt den Park pfl-zisches Sibirien, weil es sich angefhlt hat wie im Straflager. Wir konnten nach der Arbeit nicht raus, ich hatte nicht mal einen Schlssel zum Park. Irgendwann hat sie gemerkt, dass sie einfach unter dem Zaun durchschlpfen konnte, aber auch das hat ihr nicht viel gebracht: Wenn sie abends in die Stadt trampen wollte, haben die Leute sie einfach wieder im Park abgeliefert. Die dachten, ich will ausbrechen.

    Im Holiday Park hatte jeder Kleinwchsige eine Aufgabe: Brigida Saar und ihre Mutter haben im Dorfladen namens Lili-Shop gearbeitet, den ein Prospekt des Parks so beschreibt: Al-les dort ist mini ... selbst die zwei reizenden Verkuferinnen. Andere waren Clowns bei den Bhnenshows, die Wirtin im Lokal wird in der Werbebroschre als kleinste Wirtin Europas

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    Die Menschen haben uns begutachtet wie ein Stck Vieh,sagt Brigida Saar. Sie nennt den Freizeitpark pflzisches Sibirien,

    weil sie sich dort gefhlt hat wie in einem Straflager

    Das Schaufenster, durch das man in Brigida Saars Wohnzimmer schauen konnte, musste jeden Tag geputzt werden. So ver-schmiert war die Scheibe von den Hnden der Schaulustigen, die an das Glas klopften und riefen: Guck mal, ein lebendiger Zwerg. Irgendwann wurde eine Putzfrau engagiert, um abends die Schlieren aus Eiscreme, Mayonnaise und Fettfingern von der Scheibe zu wischen. Die Leute sollten einen ungetrbten Blick haben auf die Attraktion des Freizeitparks: die Wohnung eines Liliputaners. Mit echter Bewohnerin.

    Brigida Saar wrde man mit ihren 1,20 Metern Krpergre heute als kleinwchsig bezeichnen, sie knnte einen Zuschuss fr Spezialmbel beantragen und einen Schwerbehindertenaus-weis. Im Holiday Park, einer Art pflzischem Disneyland in Hass-loch bei Ludwigshafen, wurde sie Liliputanerin genannt. Sie war eine Sehenswrdigkeit, die mehr als zwanzig Jahre hinter den Glasscheiben eines Schauwohnwagens gelebt hat, angegafft wie ein Wesen aus dem Mrchenbuch. Daher kommt der Begriff Liliputaner ja auch: Er bezeichnet die Bewohner der Insel Liliput in Jonathan Swifts Gullivers Reisen aus dem Jahr 1726.

    Der Wohnwagen stand in der sogenannten Liliputaner-Stadt des Freizeitparks, zwischen Wildwasserbahn und Streichel- gehege. Dort sah es aus wie eine Mischung aus Puppenstube und Modelleisenbahn: Die Huser waren aus Sperrholz, es gab einen Souvenirladen und einen Bahnhof, alles zugeschnitten auf die 15 Kleinwchsigen, die dort heimisch waren, wie es im Prospekt hie. Das Publikum konnte ihnen beim Essen, Schlafen und Arbeiten zuschauen.

    Einer aus dem Publikum war ich. Ende der Achtzigerjahre, als ich mir die Nase am Wohnzimmerfenster von Brigida Saar platt gedrckt habe, war ich noch in der Grundschule. Der Be-such des Freizeitparks war ein Hhepunkt der Sommerferien. Ich erinnere mich gut an die Liliputaner-Stadt, an meine Ver-wirrung und Faszination: Die Bewohner der Liliputaner-Stadt waren kleiner als ich, aber sahen in ihren Anzgen und Klei-dern aus wie geschrumpfte Erwachsene.

    Heute wirkt das alles grotesk. Die Liliputaner-Stadt erin-nert an Kuriosittenkabinette des 19. Jahrhunderts, in denen Menschen mit Behinderung als Launen der Natur vorge-fhrt wurden. Aber die Liliputaner-Stadt gab es bis Mitte der Neunzigerjahre. Sie war das Relikt einer Zeit, als Menschen ausgestellt wurden wie Ponys und Papageien. Und scheinbar hat es keinen gestrt. Rainer Brderle, damals Wirtschafts-minister von Rheinland-Pfalz, freute sich noch 1996 in der Festschrift zum 25-jhrigen Jubilum des Parks, dass die Liliputaner-Stadt, in Hassloch kein Mrchen, sondern Wirk-lichkeit sei.

    Als Kind fand ich es lustig. Damals habe ich mir nie die Frage gestellt, wie es den Menschen in dieser Puppenstuben-welt eigentlich ging. Wie es war, jeden Tag bestaunt, angefasst und fotografiert zu werden. Heute stelle ich mir diese Fragen umso mehr.

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    Wohnzimmer mit Publikum: in jedes Zimmer konnte man hinein-schauen, um zu sehen, wie das muntere Vlkchen lebt und liebt,

    wie es in einer Broschre des Parks hie. die Gardinen hat Marianne saar nie zugezogen, das Publikum htte sich sonst beschwert.

    an der kleidung der schaulustigen (unten) sieht man, dass die Bilder aus den Achtzigerjahren stammen und nicht aus dem 19. Jahrhun-dert, in dem man die idee einer liliputaner-stadt eher vermuten wrde.

    So fing es an: Bevor die liliputaner-stadt in einem Freizeitpark sesshaft wurde, tourten diekleinwchsigen durch europa als lebende

    Mrchenfiguren wie der Zwerg auf dem Plakat.

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    angekndigt. Doch die Hauptaufgabe der Kleinwchsigen war die Unterhaltung der Gste: immer lcheln, jeden Unsinn mitmachen, im Wohnwagen sitzen und sich bestaunen lassen. Und blo nichts tun, was dem im Park kultivierten Image der Liliputaner als munteres Vlkchen widersprechen knnte.

    Brigida Saar berichtet von Talentsuchern, die in ganz Europa unterwegs waren, um Menschen fr die Arbeit im Park anzuwer-ben. Der grte Coup: drei trkische Geschwister, 76, 85 und 96 Zentimeter gro, die jahrelang als kleinste Familie der Welt vermarktet wurden. Sie kamen 1977 nach Hassloch, gegen harte D-Mark als Entertainment-Gastarbeiter. Der Park verbreitete in einem Katalog lieber folgende Geschichte: Es war eine Sensati-on, als die drei pltzlich vor den Toren des Holiday Parks standen und baten, in die Liliput-Stadt aufgenommen zu werden. Als wre der Freizeitpark ein Sozialprojekt.

    Dabei ging es oft alles andere als sozial zu, sagt Saar. Wer krank war, musste das in aller ffentlichkeit sein. Einmal wur-de sie an den Weisheitszhnen operiert, da hat sie zwei Wochen lang die Gardinen zugezogen. Zwecklos, sagt sie, dauernd hat jemand an die Scheibe geklopft. Um schlafen zu knnen, hat sie sich die Ohren mit Taschentchern zugestopft. Privat-sphre hatte sie im Park nie: Die Fenster der Wohnwagen konn-te man von auen ffnen, immer wieder haben Eltern ihre

    Kinder hineingehoben und fotografiert. Ich habe mich so un-frei gefhlt. Immer unter Beobachtung. Dann lacht sie und sagt: Aber was blieb mir anderes brig?

    Die Liliputaner-Stadt ist Teil einer Tradition, die Kleinwch-sigen seit Jahrhunderten weismacht, dass die Gesellschaft fr sie nur eine Rolle vorsieht: die des exotischen Entertainers als Hofnarr, im Zirkus oder als Witzfigur im Fernsehen. Einem kleinwchsigen Italiener, der unter dem Namen Morgante die Groherzge in Florenz zum Lachen brachte, hat der Dichter Antonio Grazzini vor mehr als 400 Jahren ein paar Verse gewid-met: Morgante sei klug, aber sehe aus wie eine Mischung aus trchtiger Katze und Affe. Doch die Entwrdigung zieht sich noch weit in unsere Zeit hinein: Bis vor zwanzig Jahren gab es in vielen Kneipen ein Spektakel namens Zwergenweitwurf, bei dem sich Kleinwchsige gegen Bezahlung auf Schaumstoffmat-ten schleudern lieen. Wer den sogenannten Zwerg am wei-testen werfen konnte, bekam Freibier oder einen Pokal. Als das Verwaltungsgericht Neustadt diese Show im Jahr 1992 als grundgesetzwidrig verboten hatte, gab es Protest von genau den Menschen, die das Gericht eigentlich schtzen wollte: den Kleinwchsigen. Einige klagten, dass ihnen so ihre Lebens-grundlage entzogen wird.

    Brigida Saar hatte auerhalb des Parks nie das Gefhl, anders zu sein. Ich bin genauso schlau wie alle anderen, sagt sie, nur eben kleiner. Es ist das erste Mal, dass sie ber die Liliputaner-Stadt spricht, es sind lange Gesprche bei Kaffee und Keksen, sie

    hat ihr bestes Geschirr gedeckt. Ihre Mutter ist bald zehn Jahre tot, Kinder hat sie nicht, ein Mann hat sich in der Liliputaner-Stadt nicht gefunden. Ich kriege nicht so oft Besuch, sagt sie. Die Zeit im Park habe sie misstrauisch gemacht, ich habe einfach gern meine Ruhe. Alle Bilder vom Holiday Park hat sie wegge-worfen und den Park nie mehr betreten.

    Sie wrde dort auch nicht viel wiedererkennen: Der Holi-day Park, mittlerweile einer der grten Freizeitparks Deutsch-lands, wurde von der Grnderfamilie vor drei Jahren an einen belgischen Unterhaltungskonzern verkauft, der mehrere Frei-zeitparks in Europa betreibt. Vom neuen Management will sich niemand zur Liliputaner-Stadt uern: Die Unterlagen von damals seien alle weggeworfen. Die Marketingchefin und der Parkleiter sehen ein bisschen blass aus, als ich sie im Park anspreche und Fragen zur Liliputaner-Stadt stelle. Sie haben damit nichts zu tun, das war alles lange vor ihrer Zeit. Am Ende einigen sie sich auf diesen Satz: War eben eine andere Zeit damals.

    Die letzten Reste der Liliputaner-Stadt findet man im Muse-um des Parks, einer Dauerausstellung zwischen Toiletten und Souvenirladen. Aus den Lautsprechern dudelt Zirkusmusik, kaum ein Besucher verirrt sich hierher. Die Plakette des Guinnessbuchs der Rekorde ist hier zu sehen, die ein Amerikaner

    2003 fr 142 Stunden Achterbahnfahren gewonnen hat. Auch ein Schauwohnwagen steht da, kommentarlos: ein Wohnwagen mit Wnden aus Glas, eingerichtet mit winzigen Betten und Sthlen. An der Wand daneben: Bilder von Bhnenshows mit den Kleinwchsigen. Auf einem tragen sie Schlumpfkostme, auf einem anderen werden sie in Kfferchen auf die Bhne getragen wie dressierte Pudel.

    Der Bundesselbsthilfeverband Kleinwchsiger Menschen kmpft seit vielen Jahren gegen solche Diskriminierung. Deren Sprecherin Sabine Popp seufzt am Telefon, als die Sprache auf die Liliputaner-Stadt kommt: Das war verachtend, sagt sie, weil die Leute dort den Eindruck vermittelt bekamen: Kleine Men-schen wohnen in Puppenstuben und fhlen sich wohl in der Rolle der Clowns. Der Verband habe immer wieder Kontakt zu den Bewohnern der Liliputaner-Stadt gesucht, zuletzt Mitte der Achtzigerjahre. Wir wollten mit ihnen klren, welche Stigmati-sierung das Wort Liliputaner hat und sie bitten, auf das Wort zu verzichten. Das Treffen kam nie zustande. Ein Sprecher des Parks lie ausrichten, dass die Leute dort gerne arbeiten und in Ruhe gelassen werden wollten.

    Und tatschlich gibt es Kleinwchsige, die sich im Holiday Park wohler gefhlt haben als Brigida Saar. Einer von ihnen heit Muammer Cirak, ein Mann mit Schnauzbart und Baseballmtze, Knstlername Goliath. Er bezeichnet sich als Schauspieler, weil er im Park eine eigene Show hatte und es als lustiger kleiner Mann 1993 bis ins Fernsehen geschafft hatte, als Nebenrolle in

    Der Holiday Park gehrt heute einem Grokonzern. ber dieLiliputaner-Stadt will dort keiner mehr sprechen.

    Dem neuen Chef fllt dazu nur folgender Satz ein: War ebeneine andere Zeit damals

    Kleiner als ein vierjhriges Kind: suleyman eris (links) wurde jahrelang alskleinster Mann deutschlands vermarktet. Fr ihn war der alltag im Park

    nicht ungefhrlich, stndig musste er aufpassen, nicht umgerannt zu werden. er ist1977 mit seinen zwei Geschwistern aus der trkei in den Freizeitpark gezogen.

    Hinter dem Eingang zur liliputstadt (oben) hatten die Besucher die Gelegenheit,Fotos von echten liliputanern zu machen.

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    der SAT.1-Show Halli Galli. Als ich ihn in seiner Wohnung in Hassloch besuche, ist seine erste Frage: Na, erinnerst du dich an meine Show? Weil er auch auerhalb des Parks bekannt war, wurde er besser behandelt als Brigida Saar. Sein Wohnwagen stand hinter den Kulissen, ohne Scheibe, ohne Publikum. Auch er sei begafft worden, wenn er im Park unterwegs war, aber das gehre eben zum Beruf: In der Trkei ist er in Filmen und Thea-terstcken aufgetreten, 1980 kam ein Deutscher in sein Dorf und hat gesagt: Wir brauchen Liliputaner. Cirak hat begonnen zu rechnen, trkische Lira, deutsche Mark, ein paar Wochen spter war er in Deutschland, um vor Publikum den Liliputaner zu geben. Ein Job eben, sagt er. Er ist froh, dass er berhaupt Ar-beit hatte. In seinem Heimatdorf war er lange eine Art Ausstzi-ger, weil er schon als Kind nicht richtig gewachsen ist. Erst als ich fnf Jahre alt war, haben meine Eltern eine Geburtsurkunde fr mich beantragt vorher dachten sie: Er lebt eh nicht mehr lang.

    Vom Holiday Park hat er drei Foto-alben aufgehoben, er holt sie stolz aus der Vitrine. Auf den meisten Bil-dern ist er umringt von strahlenden Kindern, die grer sind als er. Cirak ist erst vor drei Jahren aus dem Park ausgezogen, er war der letzte Klein-wchsige dort. Damals gab es zwar die Liliputaner-Stadt nicht mehr, aber seine Auftritte im Park waren gut besucht, sechsmal tglich in der Nebensaison, neunmal in der Haupt-saison. Mal war er Zauberer, mal hat er einfach nur Witze erzhlt. Als der Park verkauft wurde, sollte alles ver-schwinden, was an Liliputaner erin-nert, sagt Cirak. Heute ist er arbeits-los, er lebt am Stadtrand von Hass-loch, keine zehn Minuten vom Park entfernt. Als langjhriger Mitarbeiter hat er eine Urkunde bekommen, samt Gruppenbild der ganzen Belegschaft. Cirak steht strahlend in der Mitte, mit blauem Hut und Glitzersakko. Am rechten Bildrand steht eine kleine Frau mit braunem Rock und traurigem Gesicht: Brigida Saar.

    Auch die ehemaligen Chefs des Parks, die Schaustellerfamilie Schneider, sind auf dem Foto zu sehen, mit Gewinnerlcheln und gefalteten Hnden. Sie leben heute zurckgezogen, stehen nicht im Telefonbuch. Wolfgang Schneider, der ehemalige Chef, ist nach dem Verkauf in die Schweiz gezogen, sagen die neuen Be-sitzer des Holiday Parks, Adresse unbekannt. Aber seine Schwes-ter Angelika, laut Handelsregister ebenfalls eine der ehemaligen Geschftsfhrerinnen, wohnt noch in der Nhe von Hassloch.

    Als mir Angelika Schneider die Tr ffnet, fllt sofort auf, dass sie im Showbusiness gro geworden ist: Die Krperhaltung auf-recht, der Blick wach, der Hndedruck fest. Auf den Fingerngeln funkelt Glitter. Sie hat die Liliputaner-Stadt in guter Erinnerung. Menschenzoo? Das Wort tut ihr weh. Als sie es hrt, sieht sie aus, als htte sie in eine Zitrone gebissen. Wir wollten doch nichts Bses, sagt sie, und ihre Entrstung wirkt nicht gespielt. Frher wurden Kleinwchsige von ihren Familien versteckt, aus Scham. Wir haben den Besuchern gezeigt: Schaut her, diese Menschen

    sind nicht krank, die leben ein normales Leben. Ein normales Leben, ausgestellt in Puppenstuben? Natrlich war auch Show dabei. Aber: Wir haben den kleinen Menschen Arbeit und ein Zuhause gegeben. Als ich ihr erzhle, dass ich frher selbst im Park war, strahlt sie, man merkt ihr den Stolz an, mit ihrer Fami-lie einen der grten Freizeitparks Deutschlands aufgebaut zu haben. Die Liliputaner htten dazugehrt, sie waren praktisch Teil der Familie. Die htten ja jederzeit kndigen knnen, wenn sie sich nicht wohlgefhlt htten.

    Aber so einfach war es nicht, sagt Brigida Saar. Anfang der Achtzigerjahre hat sie gekndigt, ohne anderen Job, ohne Perspektive, einfach, weil sie es nicht mehr ausgehalten hat in der Liliputaner-Stadt. Ein halbes Jahr war sie arbeitslos, aber frei, dann hat das Arbeitsamt ihr eine Stelle in einer Fabrik vermittelt. Sie hat Platinen fr Flugzeugelektronik mit

    giftigen Lsungsmitteln behandelt. Ihr Arbeitsplatz war eine umge-baute Herrentoilette, der Job war anstrengend. Trotzdem sagt sie: Es war die schnste Zeit meines Lebens. Ich wurde behandelt wie ein Mensch. Nach sechs Jahren ist die Fabrik umgezogen, sie htte weiterhin dort arbeiten knnen, aber den Wohnort wechseln, das wollte sie nicht.

    Also zog sie zurck in den Park, ihre Mutter hat dort noch gearbeitet und ein gutes Wort fr sie eingelegt. Die letzten Jahre hat sie abgeses-sen, wie sie sagt. Als die Liliputaner-Stadt im Herbst 1996 geschlossen wurde, hat sie ihre Blumenvasen und Hundefiguren aus Porzellan ver-schenkt und den Wohnwagen besen-rein hinterlassen.

    In ihrer neuen Wohnung hat Bri-gida Saar erst mal Gardinen vor die Fenster gehngt, die sie zuziehen konnte, wann immer sie wollte. Vor Kurzem hat sie die Vorhnge abge-

    nommen. Hier will ja keiner reinschauen, sagt sie und lacht. Sie steht am Fenster und sieht einen blhenden Baum, eine Blumenwiese, die roten Balkone vom Haus gegenber.

    Zum Abschied erzhlt sie noch eine Geschichte aus dem Park, sie handelt vom einzigen Mal, dass der Unterhaltungsbetrieb ein wenig ins Stocken geriet. Anfang der Neunzigerjahre gab es eine Protestaktion: Aktivisten hatten Transparente in den Park ge-schmuggelt und bei einer Show ausgerollt. Sie wollten auf die schlimmen Lebensbedingungen der Showstars aufmerksam ma-chen, auf deren zu kleine Behausungen, den Stress der Gefangen-schaft. Ihre Aussage: Lebewesen sind keine Vergngungsobjekte.

    Der Protest galt dem Delfinarium. Die Liliputaner-Stadt nebenan hat keinen interessiert.

    t i l l k r a u s e und Brigida Saar haben festgestellt, dass sie denselben Regisseur verehren: Werner Herzog. Unser Redakteur war beeindruckt, als Saar ihm von ihren Drehar-beiten mit Herzog erzhlt hat: In seinem Film Auch Zwerge

    haben klein angefangen von 1970 spielt sie eine Nebenrolle.

    Gegessen wurde zu festen Zeiten, damit das Publikum dabei sein konnte.Fr suleyman eris (links) oft eine tortur.

    oben: ein alter Schauwohnwagen aus dem Jahr 1965, als schneiders liliputaner- Circus noch ber die Jahrmrkte getourt ist. Heute steht der Wagen im Museumdes Holiday Parks als letztes relikt der liliputaner-stadt. er ist etwa drei Meter

    lang und so niedrig, dass schon ein Zehnjhriger darin Platzangst bekme.

    Unter Beobachtung standen die kleinwchsigen aber nicht nur in ihren Wohnwagen:sie wurden fotografiert und bedrngt, wo auch immer sie im Park unterwegs waren.

    und immer mussten sie lcheln.

    Muammer Cirak ist zwanzig Jahre im Holiday Park aufgetreten. das angegafftwerden

    gehrt zum Job, sagt er. Heute ist er arbeitslos.

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