Moment 83: 2013

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Im Reich des Todes: Der Reporter Michael Obert berichtet über mörderische Menschenräuber auf der Sinai-Halbinsel. Er schildert dabei auch das erschütternde Schicksal des jungen Selomon, dem beide Hände verstümmelt wurden. Ein Jahr später trifft er den Mann wieder.

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  • 8 Sddeutsche Zeitung Magazin Sddeutsche Zeitung Magazin 9

  • im reich des

    todesDie ganze Welt schaut nach Kairo zugleich

    foltern Beduinen auf der gyptischen Sinai-Halbinsel Tausende afrikanische Migranten, um Lsegeld

    zu erpressen. Und gleich nebenan machen ahnungslose deutsche Touristen Urlaub. Unterwegs durch

    eine Region, in der kriminelle Gewalt, Tourismus und Weltpolitik nahe beieinanderliegen

    Vo n m i c h a e l o b e r t | F o to s : m o i s e s s a m a n

    Selomon, 28, Immigrant aus Eritrea, wurde in einem Camp im Sinai gefoltert. Wie die meisten Opfer in dieser Geschichte hat er Angst, sein Gesicht zu zeigen und seinen richtigen Namen zu nennen. Aber seine verstmmelten Hnde knnen alle sehen.

  • Seine Handgelenke sind seltsam nach innen ge-krmmt, die rmel seines weien Wollpullis viel zu lang. Erst als Selomon sich auf den Tisch aufsttzt, tauchen die schmutzigen Verbnde um seine Hnde auf. Mit den Zhnen wickelt er den linken ab, zum Vorschein kommt eine Klaue. Der Groteil seiner Handflche ist weg-gerissen. Nur der Daumen und ein halber Zei-gefinger sind noch brig, eine Zange aus Kno-chen und Haut. Sie haben mich an Eisenketten an der Decke aufgehngt, sagt Selomon leise. Vier Tage lang, an einem Haken wie ein ge-schlachtetes Tier.

    Wir sitzen in einem kleinen Caf am Levins-ky-Park, einem verwahrlosten Grnstreifen im Sden von Tel Aviv. Die Szenen vor dem Fenster lassen kaum vermuten, dass wir uns in der is- raelischen Stadt am Mittelmeer befinden. Die Hautfarbe der meisten Passanten ist schwarz. Die Schriftzge an den Scheiben der Friseursalons und Restaurants sind nicht in Hebrisch, son-dern in der ostafrikanischen Sprache Tigrinya verfasst. Viele Geschfte hier werden von Eri-treern gefhrt. Hair Hakvusha besetzte Stadt nennen die Tel Aviver diese Gegend, in der berwiegend afrikanische Einwanderer leben.

    Ich wollte nie nach Israel, sagt Selomon und legt seinen Handstummel auf den Tisch. Nicht einmal wenn sie mir einen Privatjet ge-schickt htten. Im Dezember 2011 floh der 28-jhrige Informatiker vor der Diktatur in sei-nem Heimatland Eritrea in den benachbarten Sudan. Mit meiner Ausbildung htte ich in Angola, Uganda oder Sdafrika gelebt wie ein Knig. Doch dann wird er im Ostsudan von lokalen Ruberbanden gekidnappt, die ihn an ein international operierendes Netzwerk von

    sAl-Arissa-Checkpoint, Nordsinai, gypten: ein beduine telefoniert vor einem Posten der gyptischen armee im randgebiet von al-arish.

    Selomon hofft auf eine handtransplantation in einer westlichen Klinik aber er wei, dass er den 200 000

    Dollar teuren eingriff nicht bezahlen knnen wird.

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    Menschenhndlern verkaufen. Diese ver-schleppen Selomon ber die Grenze nach gypten und weiter auf die Sinai-Halbinsel in ein Foltercamp der hier lebenden Be-duinen, arabische Viehzchter mit nomadi-schen Wurzeln. Das sind keine Menschen, sagt Selomon; sein verstmmelter Zeigefin-ger zittert. Das sind blutrnstige Bestien.

    Im Schatten der Schlagzeilen ber den Putsch in Kairo, bei dem das Militr krz- lich gyptens Prsident Mohammed Mursi strzte, halten Beduinen in der Wste des Sinai afrikanische Migranten als Geiseln ge-fangen. Tausende wurden in den vergangenen Jahren gefoltert. Die gyptische Halbinsel am Roten Meer, beliebtes Ferienparadies der Deutschen, grenzt im Westen an den Suez-Kanal und im Osten an Israel und den Gaza-Streifen. Rund 300 000 Beduinen be-wohnen das dnn besiedelte Wstengebiet; einzelne Gruppen haben sich auf den Men-schenhandel spezialisiert.

    Die Migranten kommen vor allem aus Eri-trea, aber auch aus dem Sudan, aus thiopien und Somalia. Ihre Kidnapper schlagen sie mit Stcken, Ketten und Eisenstangen, bis sie ih-nen die Telefonnummern ihrer Familien ver-raten. Sobald die Verbindung steht, beginnt die Folter. Die Kidnapper drcken ihren Op-fern Zigaretten in den Gesichtern aus, brand-marken sie mit glhendem Metall, ber-schtten sie mit kochendem Wasser. Sie um-wickeln ihre Finger mit Kabeln und drcken sie in die Steckdose, bis das Fleisch schwarz wird, oder sie gieen ihnen Diesel ber den Kopf und znden sie an, whrend die Ange-hrigen der Gefolterten daheim ihre Schreie ber Handy mit anhren mssen.

    30 000 Dollar, sagt Selomon und starrt ins Leere. 30 000 Dollar wollten sie von meiner Schwester in Eritrea haben. Gelinge es den Kidnappern mit ihren Foltermethoden nicht, das Lsegeld zu erpressen, dann tteten sie ihre Geiseln. Oder sie schneiden dir Nieren, Leber, Herz und Augen heraus und verkaufen sie an Organhndler.

    Von den rund 60 000 afrikanischen Mi-granten, die es nach Schtzungen der Tel Aviver Organisation rzte fr Menschen-rechte in den vergangenen Jahren illegal ber die gyptische Grenze nach Israel geschafft haben, sind bis zu 7000 in den Folterkam-mern der Beduinen misshandelt worden. Mehr als 4000 haben die Torturen nicht ber-lebt; ihre Leichen verrotten in der Wste. Rund tausend Menschen sollen sich derzeit in den Fngen der Kidnapper befinden.

    Auf der Sinai-Halbinsel ist die gypti- sche Militrprsenz seit dem Camp-David- Friedensabkommen mit Israel von 1978 er-heblich eingeschrnkt. Die UN-Blauhelm-soldaten, die den Frieden in der strategisch wichtigen Wstenregion berwachen sollen, halten sich vor allem an ihren Sttzpunkten auf. Das so entstandene Machtvakuum haben die Beduinenstmme in den vergangenen Jahrzehnten genutzt, um Milizen zu grnden und eigene Machtstrukturen zu etablieren.

    Besonders seit dem Sturz von Hosni Mu-barak im Februar 2011 hat sich der Sinai, der fast so gro wie Bayern ist, zu einem Territo-rium ohne Recht und Gesetz entwickelt. Whrend Urlauber im Sden der Halbinsel an Hotelstrnden in der Sonne baden, verset-zen bewaffnete kriminelle Banden und mili-tante Islamisten den Norden in Angst und

    Wste Sinai. Der Wind hat ein Kleidungsstck in die bsche geweht (links). rechts: Sonnenuntergang auf der strae, die afrikanische Flchtlinge benutzen, um vom sinai nach israel zu gelangen.

    Unten: ein junger afrikaner liegt auf der neve- shaanan-strae, ebenfalls im sden tel avivs. Die bewohner nennen dieses Viertel wegen der vielen Flchtlinge besetzte Stadt und bersehen, dass es sich bei den besatzern um schwer traumatisierte opfer von brutaler Folter und Vergewaltigung handelt.

    Ein afrikanischer Obdachloser schlft auf einem Spielplatz im Levinsky-Park,einer Gegend im sden tel avivs, in der die meisten afrikanischen immigranten landen.

    Sinai-Halbinsel

    Israel

    Jordanien

    Saudi-Arabien

    IrakSyrien

    gypten

    Kairo

    Sharm- El-Sheikh

    Tel Aviv

    Al-Arish

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    Schrecken. Sie verben Bombenanschlge auf Gasleitungen und feuern mit Maschinengeweh-ren und Raketen auf Polizeistationen und Check-points. Immer wieder gibt es Tote und Verletzte. Experten frchten, auf dem Sinai knnte eine neue Operationsbasis fr das Terrornetzwerk al-Qaida entstehen. Direkt an der Grenze zu Israel.

    In diesem Chaos, das nach dem Putsch in Kairo noch zugenommen hat, gehen die Kid-napper und Folterer, die laut den Vereinten Na-tionen einem der weltweit grausamsten Netz-werke des Menschenhandels angehren, unbe-helligt ihren blutigen Geschften nach. Wenn ihr in den Sinai fahrt, werden sie euch abknal-len, sagt Selomon; dann streckt er uns seinen Handstummel hin. Zwischen Zeigefinger und Daumen klemmt ein kleiner Zettel. Meine Schwester hat sie aufgehoben, vielleicht funk-tioniert sie noch. Es ist die Telefonnummer seines Folter camps.

    Die Spur der Menschenhndler fhrt nach Al-Arish, in die Hauptstadt der gyptischen Pro-vinz Nordsinai. Vier Autostunden nordstlich von Kairo und keine siebzig Kilometer von der Grenze zum Gaza-Streifen und zu Israel entfernt drngen sich Tausende unverputzter Backstein-huser in der Wste. Hinter einem langen Strand am trkisfarbenen Mittelmeer steht die gyp-tische Staatsmacht fast tglich unter Beschuss. Die Fassade der Polizeistation ist von Kugeln durchsiebt. Militante Islamisten haben sie aus vorbeifahrenden Gelndewagen mit Schnell-feuergewehren angegriffen. In Stellungen aus Sandscken und Stacheldraht verschanzt sollen Soldaten hinter aufgebockten Maschinengeweh-ren die Polizisten beschtzen, die an den zahl-reichen Checkpoints der Stadt rund um die Uhr Straenkontrollen vornehmen.

    Seit dem Putsch in Kairo hat sich die ohnehin brisante Sicherheitslage noch verschrft: Isla-misten griffen den Flughafen von Al-Arish an, feuerten in simultanen Attacken mit schweren Waffen auf Militr- und Regierungseinrich-tungen in der Stadt und strmten den Sitz des Gouverneurs, um ihre schwarze Fahne zu hissen.

    Kurz nach unserer Ankunft liefern sich ver-feindete Beduinengangs aus ihren Autos heraus eine Schieerei. Gewehrsalven, quietschende Reifen; Scheiben klirren. Auf der Kreuzung zuckt ein Hund in einer Blutlache. Worum geht es? Auf dem Sinai sprechen wir nicht mehr mit-

    Ein Spher steht auf dem Dach eines ummauerten Gebudes in der Gegend von al-mahdia im sinai. hier, ganz nah an der Grenze zu israel, befinden sich die Foltercamps. Jeder einzelne Keller kme dafr in Frage. Wir lsen

    Probleme mit der Waffe, sagt

    Hamdi Al-Azazi

  • einander, sagt Hamdi Al-Azazi wenig spter in seinem kleinen Bro in einer Nebenstrae von Al-Arish. Wir lsen Probleme mit der Waffe.

    In der Kommandozentrale des Men-schenrechtlers grauer Schnauzbart, blaues Hemd, Bundfaltenhose sind die Rolllden Tag und Nacht heruntergelassen. Die Tr ist mit Stahlriegeln gesichert. Eine Neonrhre spendet Licht, ein Ventilator surrt. In den letzten zwei Jahren haben wir in der Wste Hunderte verstmmelter Afrikaner gefun-den, erzhlt Al-Azazi und zeigt uns auf sei-nem Computer die Fotos der Leichen: tot geprgelt, verhungert, verbrannt, selbst im Tod noch aneinandergekettet. Krper ohne Kpfe. Ein Baby mit aufgeschlagener Schdel-decke. Eine junge Frau, mit Petroleum ber-gossen und angezndet. Bevor sie starb, przisiert Al-Azazi.

    An der Wand hngt ein Plakat seiner Or-ganisation New Generation Foundation for Human Rights. Die einheimischen Aktivisten versorgen Afrikaner, die den Foltercamps ent-kommen oder nach Zahlung des Lsegeldes freigelassen werden, mit Essen, Kleidung und Medizin. Auf seinem Computer zeigt uns Al-Azazi noch grausamere Fotos: Krper von Ver-storbenen mit aufgesgten, leeren Brustkrben; andere sind in der Mitte oder an den Seiten mit groen Stichen zugenht. Nieren, Leber, Herz, Augenlinsen, zhlt Al-Azazi auf Or-ganruber sollen sie herausgeschnitten haben.

    Al-Azazi hat die Fotos dem frheren Chef der Rechtsmedizin in Kairo vorgelegt, der die Nhte als professionelle Arbeit einstuft. Ein umfangreicher Bericht der Europischen Union zeichnet das Bild einer regelrechten Industrie des Organhandels auf dem Sinai. Ein Beduine teilte krzlich anonym dem amerikanischen TV-Sender CNN mit: rzte aus Kairo rufen mich an und sagen mir, wir haben hier einen Privatpatienten und brau-

    chen dieses oder jenes Organ. Es ist wie bei Ersatzteilen fr ein Auto.

    Die rzte sollen mit schweren Gelndewa-gen aus Kairo in die Wste des Sinai reisen, um afrikanischen Flchtlingen in Operati-onszelten ihre Organe zu rauben, diese in Khlschrnken nach Kairo zu bringen und sie dort zu implantieren. Allerdings ist Ham-di Al-Azazi der einzige unserer Gesprchs-partner, der diese mobilen Kliniken gesehen haben will.

    Fast tglich bekommt er Morddrohungen. Zweimal ist auf ihn geschossen worden. Als sein elfjhriger Sohn Abdul gegenber im Laden krzlich einen Schokoriegel kaufen wollte, wurde er von einem Gelndewagen angefahren. Al-Azazi ist berzeugt: Ein An-schlag der Menschenhndler. Sein Sohn berlebte, aber seine Hnde und Beine sind gebrochen, sein Gesicht wird fr immer von Narben entstellt sein.

    Ihre Drohungen machen mich nur noch entschlossener, sagt Al-Azazi auf dem Weg zum Friedhof. Whrend wir an Bauruinen und hoch gesicherten Checkpoints vorbei-fahren, spricht er in einem fort von seiner Religion, dem Islam. Der verbiete es ihm, wegzusehen, wenn andere Menschen leiden. Egal ob sie Muslime sind oder nicht.

    Aus der ganzen Gegend rufen ihn die Leu-te an, wenn sie Leichen gefolterter Afrikaner in der Wste finden. Al-Azazi holt sie ab, wscht sie, salbt sie mit wohlriechenden Es-senzen und hllt sie in weies Tuch ein; dann begrbt er sie mit eigenen Hnden. ber 500, sagt er, als wir vor dem Friedhofstor am Rand von Al-Arish aus dem Auto steigen. Das Massengrab sieht aus wie eine Mllhalde. Hier sieben, sagt Al-Azazi und stapft ber zerrissene Sandalen, Kleiderfetzen, Plastikfla-schen hinweg, whrend er die Markierungen abliest, die er in die Friedhofsmauer geritzt hat. Hier vier, hier neun, hier ein Baby.

    Die letzten Folteropfer hat er vor zwei Tagen begraben. Zwei Mnner und eine junge Frau mit weit aufgerissenen Augen, die sich nicht mehr schlieen lieen und ihn seither in sei-nen Trumen heimsuchen.

    Am Abend rufen wir die Telefonnummer an, die uns Selomon, der Mann ohne Hnde, in Tel Aviv gegeben hat. Aber die Nummer

    seines Foltercamps ist stundenlang besetzt. Selomons Geschichte beginnt an einem kh-len Morgen im Dezember 2011 an der Uni-versitt von Asmara, der Hauptstadt von Eri-trea, wo er im letzten Semester Computer-technik studiert. Mitten in die Vorlesung strmen pltzlich Polizisten und verhaften mehrere seiner Freunde, weil diese in einem

    Blog das Fehlen des Rechts auf Meinungsfrei-heit in ihrem Land kritisiert hatten.

    Eritrea liegt an der Kste des Roten Meeres, oberhalb des Horns von Afrika. Vor zwanzig Jahren erkmpfte das Land seine Un-abhngigkeit vom benachbarten thiopien. Seither herrscht in Eritrea eine brutale Dikta-tur. Im Einparteienstaat mit strikter Planwirt-

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    Ein Taxi wird am Al-Arissa-Checkpoint durchsucht. Der Posten wurde schon Dutzende male von militanten beduinen aus der region angegriffen.

    Auch der Eritreer Hagos, 23, hat die Folterlager im Sinai berlebt, er wohnt jetzt in einem staatlichen heim in israel.

    Angeblich reisen rzte aus Kairo in die Wste Sinai, um afrikanischen Flchtlingen ihre Organe zu rauben

  • schaft werden Oppositionelle gefoltert und Journalisten eingesperrt. Amnesty International prangert das Regime wegen systematischer Unterdrckung seiner Br-ger an: erzwungener und zeitlich unbe-grenzter Militrdienst fr Mnner und Frauen, religise Verfolgung, Todesurteile. 250 000 Menschen sind in den vergange-nen Jahren aus Eritrea geflohen.

    Als sich Selomon nach der Verhaftung seiner Freunde fr ihre Freilassung ein-setzt, wird er selbst verhrt und flchtet ber die Grenze in den benachbarten Su-dan, bevor die Schergen des Regimes ihn festnehmen knnen. Er schlgt sich bis ins Flchtlingscamp Shagarab durch und whnt sich dort in Sicherheit. Doch als er auf dem Weg zur Essensausgabe ist, sprin-gen unter den Augen sudanesischer Sol-daten, die von den Vereinten Nationen fr den Schutz der Flchtlinge bezahlt werden sechs mit Kalaschnikows bewaffnete Mnner von einem Landcruiser.

    Es sind Menschenjger vom Stamm der Rashaida, eines losen Verbunds noma-discher Clans. Mit Gewehrkolben schlagen sie Selomon nieder und werfen ihn auf die Ladeflche ihres Pick-ups. Eine monate-lange Odyssee nach Norden beginnt.

    Von einer kriminellen Bande an die nchste weiterverkauft, wird er von einem gut organisierten Netzwerk ber die Gren-ze nach gypten geschafft, mit rund 150 anderen entfhrten Eritreern in einen als Geflgeltransporter getarnten Lastwagen gepfercht und ber die Suez-Kanal-Brcke auf den Sinai gekarrt. Die einzige Frisch-

    luft kommt durch die Schlitze hinter dem Motor. Ich wollte einfach nur ein neues Leben beginnen, erzhlte uns Selomon im Caf am Levinsky-Park. Doch die Ws-te des Sinai erfllt keine Wnsche. Als schwer bewaffnete Beduinen die Heck-klappe des Lastwagens aufreien, sind sie-ben Afrikaner erstickt, darunter zwei Kin-der und ein Baby.

    Seit Tagen suchen wir in Al-Arish nach jenen tausend afrikanischen Geiseln, die in den Foltercamps der Beduinen Selomons Schicksal teilen. Doch wo immer wir nach ihnen fragen beim Gouverneur des Nord-sinai, bei der lokalen Militrfhrung, bei den Generlen der Grenzpatrouillen , schlieen sich die Tren, werden Telefonge-sprche unterbrochen, eben noch freund-liche Gesichter zu steinernen Masken. Es ist, als suchten wir nach Gespenstern.

    Im Krankenhaus finden wir nur noch die Handschellen, mit denen entkommene oder freigekaufte und oft schwer verletzte Folteropfer an die Betten gekettet wurden. Verlegt ins Gefngnis, sagt uns ein Arzt in einem fleckigen weien Kittel, als wir nach dem Verbleib der Afrikaner fragen. Oder abtransportiert nach Kairo. Aber sicherheitshalber sollen wir doch mal in der Leichenhalle nachsehen.

    Wenn die Geiseln die Torturen in den Foltercamps berleben und tatschlich freikommen, ist ihr Leidensweg noch lange nicht beendet: Viele irren tagelang in der Wste umher. Die israelische Re-gierung hat einen Groteil des 240 Kilo-meter langen und fast fnf Meter hohen

    links: Mikele aus Eritrea zeigt dem Fotografen seinen von Folter geschundenen rcken. er lebt heute in Kairo.

    Hamdi Al-Azazi, Menschenrechtsaktivist, hat hun-derte Flchtlinge auerhalb des Friedhofs von al-arish beerdigt. Von keinem der toten ist der name bekannt.

    oben: Die beine von Beserate, 18, Immigrantin aus Eritrea. sie erholt sich gerade von einer hauttrans-plantation, die notwendig wurde, weil sich im Folter-camp durch das scheuern der engen Fufesseln ihre Knchel entzndeten.

    Unten: Seble, 24, lebt in einer Unterkunft in tel aviv. hinter ihr liegen Wochen der misshandlung und Folter, die erinnerung daran wird sie ein leben lang verfolgen.

    Aus dem Folter-camp fliehen

    zu knnen heit nicht etwa, frei zu sein

  • Stahlzauns fertiggestellt, der sich entlang der Grenze zu gypten von Eilat an der Nordspitze des Roten Meeres bis nach Gaza zieht und afrikanische Flchtlinge aus dem Sinai fern-halten soll.

    Im offiziellen israelischen Wortlaut werden sie mistanenim genannt, Eindringlinge, eine Bezeichnung, die lange fr unerwnschte Pals-tinenser verwendet wurde und afrikanische Migranten in die Nhe von Terroristen rckt. Politiker vom rechten Flgel bezeichnen sie als Krebsgeschwr in unserem Krper, und Pre-mierminister Benjamin Netanjahu sieht durch sie den jdischen Charakter Israels bedroht. Das krzlich verschrfte Gesetz zur Bekmp-fung der Infiltration sieht vor, dass afrika-nische Flchtlinge bis zu drei Jahren festgehal-ten werden knnen. Ohne Gerichtsverfahren. Und mitsamt ihrer Kinder.

    Derzeit lsst die israelische Regierung Ge-fngnisse bauen, in denen mehr als 10 000 Mig-ranten inhaftiert werden knnen. Israel, eine Nation, die selbst von Flchtlingen gegrndet wurde, verstt gegen das internationale Flchtlingsrecht, sagt Sigal Rozen von der Menschenrechtsorganisation Hotline for Mig-rant Workers in Tel Aviv.

    Auf gyptischer Seite ergeht es denen, die die Torturen in den Foltercamps der Beduinen ber-leben, nicht besser. Denn statt gegen die Tter gehen gyptens Behrden gegen die Opfer vor. Am Grenzzaun riskieren sie, von Patrouillen er-schossen zu werden. Schwerverletzte werden im Krankenhaus von Al-Arish zwar notdrftig ver-sorgt, aber mit Handschellen an die Betten geket-tet. Damit sie nicht abhauen, sagt der Arzt im fleckigen Kittel. Diese Leute sind Kriminelle.

    Wer keine ueren Anzeichen von Folter auf-weist, wandert direkt ins Polizeigefngnis, wo Afrikaner oft monatelang ohne ausreichend Wasser und Nahrung in winzigen Zellen zusam-mengepfercht werden. Selbst dem Flchtlings-hilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR)

    Plastiktten, Kinderspielzeug, ratlose Gesichter, ein rettungsring: eine tageseinrichtung fr Kinder,deren Mtter aus den Folterlagern freigelassen wurden und nun in Israel leben.

    Viele sind Vergewaltigungskinder, ihre Vter meist beduinen.

    auf dem Fernseher in sebles Zimmer stapeln sich ihre Habseligkeiten, auf dem bildschirm

    laufen musikvideos aus dem eritreischen Fernsehen.

    ein krabbelndes Baby im Frauenzentrum von tel aviv.

    wird der Zutritt verwehrt. Mit der Begrndung, die ehemaligen Geiseln der Beduinen seien Wirtschaftsflchtlinge, damit illegal im Land und ohne Anspruch auf politisches Asyl.

    Und so werden Eritreer in ihr Land zurck-geschickt, obwohl sie dort Gefahr laufen, erneut eingesperrt und gefoltert oder gar als Verrter hingerichtet zu werden, weil sie ihre Heimat illegal verlassen haben. Damit verstt gyp-ten gegen die Genfer Flchtlingskonvention, sagt Mohammed Dairi vom UNHCR-Bro in Kairo.

    Wir haben die Hoffnung, in Al-Arish einige der Afrikaner zu finden, schon fast aufgegeben, da besttigt uns ein Informant, dass in den Poli-zeigefngnissen der Stadt 122 ehemalige Gei-seln festgehalten werden. Der einzige Weg zu ihnen fhrt ber den Polizeichef der Provinz Nordsinai. Den wollen wir auch fragen, warum die Staatsgewalt nichts gegen die Kidnapper und Folterer unternimmt.

    General Sameh Beshadi lsst uns in sein Bro bitten. Kaffee wird serviert. Mit Kardamon. Er stehe uns in fnf Minuten zur Verfgung, lsst er ausrichten. Nach zwei Stunden will er uns dann pltzlich doch nicht mehr treffen. Auf ein-mal brauchen wir eine spezielle Genehmigung, um ihm ein paar Fragen zu stellen. Zu beantra-gen in Kairo.

    Zugang zu afrikanischen Hftlingen verbo-ten, sagt der junge Offizier, der uns aus dem hoch gesicherten Prsidium hinausbegleitet. Vorsichtsmanahme gegen schlechte Presse. Dann senkt er die Stimme und verrt uns, dass die Stammesgebiete in der Wste, wo die Folter-camps liegen, fr Fremde der reine Selbstmord seien. Auch fr Polizisten. Die Beduinen knal-len uns dort drauen einfach ab, flstert er. Nicht fr eine Million wrde ich freiwillig ei-nen Fu in diese Wste setzen.

    Es dauert Tage, bis wir jemanden finden, der bereit ist, uns in die Stammesgebiete zu begleiten. Die Banden sehen ein fremdes Auto mit zwei

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    In Israel werden die afrikanischen Flchtlinge Eindringlinge genannt

  • 24 Sddeutsche Zeitung Magazin

    Weien auf dem Rcksitz, erklrt uns Abdel, ein Beduine mit spitz zulaufendem Wiesel-gesicht. Sie handeln schnell: Erst nehmen sie euren Wagen, dann seid ihr dran. Zwei Optionen htten wir in einem solchen Fall: Entfhrung oder eine Kugel in den Kopf.

    Der Kontakt zu Abdel kommt ber die Ak-tivisten um Hamdi Al-Azazi zustande. Der drahtige kleine Beduine mit den weit ausein-anderstehenden gelben Zhnen will uns zu Scheich Ibrahim Al-Manei bringen. In der Gegend, in der die Foltercamps liegen, besitzt der Beduinenfhrer eine Reihe von Schmugg-lertunnels in den Gaza-Streifen. Sein Sawarka-Stamm soll ber eine schwer bewaffnete, mehrere tausend Mann starke Miliz verfgen.

    In einem Beduinentaxi umfahren wir die Checkpoints am Ortsausgang von Al-Arish und folgen den Wstenpisten in Richtung israelische Grenze. Ziegenherden, dorniges

    Buschwerk, Gerll. Viele der einfachen Kastenhuser sind halb verfallen. Frauen schleppen Wasserkanister von Brunnen nach Hause. Im Schatten einer Akazie polieren Ju-gendliche ihre Pistolen. Keine Arbeit, kein Geld, keine Zukunft, sagt Abdel auf dem Beifahrersitz. Kein Wunder, dass viele von uns zu Kriminellen werden.

    Die Diktatur von Hosni Mubarak war bei den muslimisch-konservativen Beduinen be-sonders verhasst. Er ging pauschal und rck-sichtslos gegen die Stmme vor, verteilte ihr Land an sein Gefolge und schloss Beduinen kollektiv aus dem Staatswesen aus. Im Sden der Halbinsel in den Touristenhochburgen um Sharm-El-Sheikh hufte die Regie-rungsclique mrchenhafte Reichtmer an. Der Norden hingegen blieb unentwickelt. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Kindersterb-lichkeit ebenfalls. Auf einen Arzt kommen

    mehrere Tausend Einwohner. ber die Hlfte der Beduinen kann nicht lesen und schrei-ben. Die desolate wirtschaftliche Lage, sagt Abdel, sei der Nhrboden fr die grausamen Auswchse des Menschenhandels.

    Eine gute Stunde stlich von Al-Arish er-reichen wir die in der Wste verstreuten Back-steinhuser von Al-Mehdia. Wenige Kilometer von der israelischen Grenze entfernt stehen sich hier bis an die Zhne bewaffnete Bedui-nenbanden, Schmugglerclans und Islamisten gegenber. Schon nach den ersten Husern tauchen Pick-ups mit aufgebockten Maschi-nengewehren auf; dahinter junge Beduinen, die Gesichter mit rotweien Tchern ver-mummt, die Finger am Abzug. Abdel streckt den Kopf aus dem Fenster sie kennen ihn und winken uns durch. Wenn du hier nicht dazugehrst, sagt er, bist du tot. Al-Mehdia gilt als gefhrlichster Ort auf dem Sinai.

    oben: Mohnblumen an der Wand, Obst im Korb, Plastik um sie herum. in tel aviv ist Weini, 25, immerhin sicher, erkannt werden will sie dennoch nicht. Wie fast alle

    Flchtlinge aus eritrea hat sie in israel kaum eine Perspektive.

    Unten: Auch in Kairo gibt es geschtzte Huser fr Gefolterte. Dieser mann schlft in einem haus in der nhe von Gizeh.

    Erst missbraucht, dann ohne Rechte: Flchtlinge wie beserate, 18, die im sinai unsgliches leid erfahren haben, knnen in israel knftig bis zu drei Jahren inhaftiert werden. so sieht es das Gesetz zur bekmpfung der infiltration vor. sieren zahlreiche Geschichten, in denen

    Folterer mit tdlichen Autounfllen, mysteri-sen Krankheiten und pltzlichem Ruin be-straft wurden. Sie machen Millionen, sagt Al-Manei. Aber Allah holt sich ihr Leben.

    Ob der Stammesfhrer den Menschenhan-del wirklich beenden oder eher das besch-digte Image der Beduinen flicken will, bleibt unklar. Fest steht, dass er sehr genau wei, wer die Afrikaner gefangen hlt. Warum trommelt er nicht einfach seine Miliz zusammen, um

    die Foltercamps zu strmen und Schluss zu machen mit den Verstmmelungen, den Ver-gewaltigungen, den Morden? Kein Beduine darf sich in die Angelegenheiten anderer Fa-milien einmischen, sagt Al-Manei. Das gbe Blutfehden mit unzhligen Toten.

    Und der Organhandel? Bullshit!, braust er auf. Staub, Hitze, die groe Entfernung nach Kairo wie soll das funktionieren? An mobile Kliniken, die selbst fr die Beduinen unsichtbar in der Wste operierten, glaubt er

    Wer kein Geld hat, tauscht drei Geiseln gegen einen Toyota oder sieben gegen einen Lastwagen

    Scheich Ibrahim Al-Manei empfngt uns im Schneidersitz in einem Rohbau mit nackten Betonsulen und getnten Fens-tern. Der krftige kleine Mann ist um die sechzig Jahre alt, er trgt ein weies Gewand und ein weies Kopftuch mit schwarzer Kordel. Al-Manei gehrt zu den Beduinenfhrern, die den Menschenhan-del ablehnen. Er nimmt entflohene Afri-kaner bei sich auf, gibt ihnen Kleidung und zu essen und lsst sie medizinisch ver-sorgen. Die letzten habe er vor einer Wo-che sicher nach Kairo bringen lassen und dort einer Hilfsorganisation bergeben.

    Um die Menschenhndler zu isolieren, trifft er sich mit den Oberhuptern der Be-duinenfamilien. Die sollen die Folterer nicht mehr in ihren Supermrkten, Apo-theken, Werksttten bedienen und ihnen ihre Tchter nicht zur Heirat geben. Die ersten Frauen haben sich von Menschen-hndlern scheiden lassen, freut er sich; das Teeglas wirkt zerbrechlich in seinen gewal-tigen Hnden. Kommen Sie in einem Jahr wieder, dann haben wir den Menschenhan-del von innen ausgetrocknet.

    Experten schtzen, dass insgesamt mehr als 10 000 Afrikaner aus den Foltercamps freigekauft wurden. Bei einem Lsegeld von durchschnittlich 30 000 Dollar wr-den sich die Einnahmen auf 300 Millionen Dollar belaufen. Wer gerade nicht flssig ist, tauscht drei Geiseln gegen einen Toyo-ta Landcruiser. Fr sieben Afrikaner gibt es bereits einen Lastwagen. Werden die Menschenhndler wegen ein wenig sozi-alem Druck auf solche Profite verzichten?

    Schmutziges Geld fliet in schmutzige Dinge, sagt Al-Manei. Villen, Waffen, Partys, Prostitution. In der Gegend kur-

  • Eine Beduinenfrau sitzt unter einem Baum in Al-Mahdia, einer Gegend im nordsinai nah der israelischen Grenze, die von bewaffneten beduinischen schmugglern kontrolliert wird.

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    nicht. berlebende der Foltercamps berich-ten zwar von einem Mann mit weiem Kittel und Arztkoffer, den die Kidnapper ihren Gei-seln vorfhren, um ihnen dann zu drohen: Wenn eure Familie nicht zahlt, schneidet der Doktor eure Nieren raus. Aber selbst gesehen hat einen Organraub niemand. Vielleicht ist die Drohung eine perfide Psycho-Folter, um

    die Zahlung der Lsegelder zu beschleunigen. Allerdings muss man sich dann fragen, was es mit den Fotos von professionell zugenhten Leichen auf sich hat. Der organisierte Organ-handel auf dem Sinai bleibt nebuls.

    Scheich Ibrahim Al-Manei lsst uns noch einmal Tee eingieen. Wer sind die Kpfe des Netzwerks der Menschenhndler? In fast al-

    len Familien der Gegend seien einzelne Leute beteiligt, windet sich Al-Manei; dann nennt er uns doch einen Namen: Ouda Abu Saad vom Stamm der Jalouf. Bis vor wenigen Jah-ren htete Saad noch Ziegen. Doch dann baute er in krzester Zeit mehrere millionen-teure Mrchenpalste mit fernstlich anmu-tenden Pagodendchern in die Wste.

    Ihn treffen? Scheich Ibrahim verschluckt sich fast an seinem Tee. Unter keinen Um-stnden will er uns zeigen, wo Ouda Abu Saad wohnt. Zuerst foltert er Sie, um he-rauszufinden, wer Sie geschickt hat, sagt unser Gastgeber. Dann vergrbt er Sie le-bendig in der Wste. Nicht einmal der mchtige Scheich Ibrahim Al-Manei wrde es wagen, an seine Tr zu klopfen.

    Die Bosse des Netzwerks haben Tausende auf dem Gewissen. Und jedes Schicksal hat seine eigene Geschichte. Selomon, der junge Eritreer aus dem Caf in Tel Aviv, wird nach seiner Ankunft auf dem Sinai aus dem Ge-flgellaster gezerrt und mit 25 anderen afri-kanischen Geiseln in einen Keller gesperrt. Kein Licht, keine Toilette. Tagelang be-kommt er nichts zu essen und zu trinken. Seine neuen Besitzer schlagen ihn, bis er die Telefonnummer seiner Schwester in Asmara verrt. Als sie abnimmt, muss sie mit anh-ren, wie ihr Bruder um Hilfe schreit. Dann ein lautes Krachen. Wie von morschem Holz. Mit schweren Eisenstangen brechen die Beduinen Selomons Handgelenke; seine Schwester lassen sie wissen: 30 000 Dollar oder wir bringen ihn um!

    Eritrea ist eines der rmsten Lnder der Welt. Selomons Familie, einfache Bauern, verkauft ihr Haus und ihr Vieh, um das L-segeld per Western Union an einen Mittels-mann der Erpresser in Israel zu berweisen. Doch der Erls reicht bei Weitem nicht, um den Sohn freizukaufen. Und whrend seine Schwester bei Verwandten und Bekannten sammelt, auch in der Exilgemeinschaft in Europa und den USA, reien die Anrufe der Kidnapper nicht ab. Jedes Mal wenn sie das Telefon abnimmt, hrt sie Selomons Schreie.

    Seine Peiniger fesseln ihm die Fe mit schweren Ketten, die seine Haut bis auf die Knochen aufreiben. Vor einer benachbarten Kellerzelle stehen tglich Beduinen an, um Frauen zu vergewaltigen. Mit dem heien Gummi geschmolzener Khlerschluche verbrennen sie ihre Brustwarzen und stoen Eisenstangen in ihre Vaginen. Selbst wenn eine der Frauen ihren Verletzungen erliegt, lsen sie ihre Fesseln nicht. Tagelang bleiben die berlebenden an die Toten gekettet.

    Selomon hngen sie schlielich an den Hnden an der Decke auf, an einem Haken wie ein geschlachtetes Tier. Als er vier Tage

    man darf Zabib Sultan, 30, aus Eritrea ins Gesicht schauen und ihren richtigen namen schreiben, obwohl auch sie das schicksal teilt, im sinai gefoltert worden zu sein. sie leitet jetzt das Zentrum fr eritreische Frauen in tel aviv und bekommt fast tglich telefonische hilferufe aus den Foltercamps.

    al-arish, gypten: Die Leichenhalle des rtlichen Krankenhauses, wo viele tote afrikaner liegen und fr die beerdigung vorbereitet werden.

    Sie stehen Schlange, um Frauen

    zu vergewaltigen

  • 30 Sddeutsche Zeitung Magazin

    spter heruntergelassen wird, sind seine Gliedmaen abgestorben. Er wird seine Fin-ger nie mehr spren.

    Wir fahren aus Al-Mehdia hinaus in die Wste, in Richtung des israelischen Grenz-zauns. Die Camps sind schwer zu finden, sagt Abdel, der Beduine, der uns seit Tagen durch die Stammesgebiete fhrt. Sie wer-den stndig verlegt. In jedem der einst-ckigen Backsteinhuser, die wir passieren, knnte sich genau in diesem Moment Selo-mons Geschichte wiederholen. Wird irgend-wo im Nahen Osten auch nur ein einziger Europer entfhrt, sagt Abdel auf dem Bei-fahrersitz, dann geht ein Aufschrei durch die Medien und alle Hebel werden in Bewe-gung gesetzt, um die Geisel zu befreien aber bei Tausenden von Afrikanern sieht die Welt weg und lsst sie krepieren.

    Tatschlich sehen die Europische Union und auch Deutschland, der drittgrte Han-delspartner gyptens, dem Foltern und Mor-den auf dem Sinai bisher weitgehend taten-los zu. Die Bundesregierung ist laut eigener Auskunft auf eine Kleine Anfrage im Bun-destag im Oktober 2012 bestens ber die grausamen Verbrechen der Beduinen infor-miert, dennoch sprachen deutsche Politiker beim Staatsbesuch des mittlerweile ge-strzten gyptischen Prsidenten Moham-med Mursi in Berlin krzlich lieber ber Wirtschaftsabkommen, Schuldenerlass, Ent-wicklungshilfe und Tourismus. In Angela Merkels abschlieender Presseerklrung zu Mursis Besuch erwhnte die Bundeskanzle-rin den grausamen Menschenhandel auf dem Sinai mit keinem Wort.

    Die Bundesregierung muss endlich Druck auf Kairo ausben, fordert Annette Groth, menschenrechtspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Bundestag, die sich seit lngerer Zeit mit dem Thema be-fasst. Die gyptische Regierung muss ent-schieden gegen die begangenen Verbrechen vorgehen und die Schuldigen vor Gericht stellen und bestrafen.

    Darber hinaus msse gypten die inter-nationalen Konventionen befolgen, afrika-

    nische Flchtlinge menschenwrdig behan-deln und ihnen die Mglichkeit geben, Asyl zu beantragen. Ein Druckmittel hat die Euro-pische Union in der Hand: das Assozi- ierungsabkommen mit gypten. Artikel 2 aller EU-Abkommen mit den Mittelmeeran-rainerstaaten, so Groth, verpflichtet unsere Partner, die Menschenrechte einzuhalten. Dies gelte auch fr die bergangsregierung, die seit dem Putsch in Kairo vom Militr ein-gesetzt ist.

    Es ist eine bittere Ironie, dass ausgerech-net diejenigen am entschlossensten gegen die Kidnapper und Folterer vorgehen, die weltweit als Terroristen gefrchtet sind: die radikalen Islamisten. Auf dem Sinai operie-ren mehrere solcher militanter Gruppie-rungen, darunter die Tawhid wal-Jihad, die Armee des Monotheismus und des Heiligen Krieges, die zum Terrornetzwerk al-Qaida gehrt. Fr die Islamisten ist die Folter wehr-loser Menschen haram Snde. Und wh-rend Europa wegsieht, halten sie sich nicht mit langen Reden auf.

    Eine Woche lang warnten sie Abu Sania per SMS, er solle die Misshandlungen been-den und auf den Pfad Gottes zurckkehren, erzhlt Abdel ber einen fr seine Grausam-keit berchtigten Folterer vom Stamm der Ermilad. Als dieser nicht hren wollte, feu-erten maskierte Mnner auf den Landcruiser seines Bruders; er war sofort tot. Die Botschaft ist klar, sagt Abdel. Wenn du nicht aussteigst, bist du der Nchste. Aus Angst vor der Rage der Religionskrieger, heit es, liefen den Bos-sen die Handlanger reihenweise davon.

    Paradoxer geht es kaum: Die militanten Islamisten retten afrikanische Migranten vor der Folter. Weil Gott ihnen verbietet, wegzu-sehen, wenn wehrlose Menschen leiden. Und dann befiehlt derselbe Gott ihren radikalen Gesinnungsgenossen, sich an einem viel be-suchten Ort in Tel Aviv, New York, London oder Kabul in die Luft zu sprengen.

    Die Sonne nhert sich bereits dem Hori-zont, als wir uns auf einer Matte in der Wste niederlassen um Tee zu trinken mit einem Mrder. Es hat unzhlige Telefonate und Ab-

    in Gizeh hat dieser gefolterte eritreer ein winziges Zimmer gefunden. nun sucht er trost bei der heiligen Familie.

    Scheich Ibrahim Al-Manei, ein mchtiger anfhrer des beduinischen stammes der sawarka, ist erklrter Gegner des menschenhandels und kmmert sich um berlebende der Foltercamps.

    dels ganze berredungskunst gebraucht, bis sich einer der Folterer bereit erklrte, mit uns zu sprechen. Der massige Beduine ist um die vierzig Jahre alt, trgt eine Pumphose und pult mit den Fingern zwischen seinen nackten Zehen. Er sei vor Kurzem ausgestie-gen, sagt er. Aus Angst vor den Islamisten. Ob das stimmt, ist jetzt nicht wichtig. Wir wol-len wissen, was in einem Beduinen vorgeht, wenn er Afrikaner zu Tode qult.

    Nichts, sagt er und lchelt. Ich bekam re-gelmig mein Geld. Der Lohn des Folter-knechts: knapp 120 Euro im Monat. Der Mann lsst keinerlei Anzeichen von Mitge-fhl erkennen. Stattdessen erzhlt er gelassen, als sprche er ber die Pfirsichernte, wie sie Frauen in Strohzune einrollten und anzn-deten; wie sie ein Baby von der Brust der Mutter rissen, es erwrgten und damit Fu-ball spielten; wie sie ein Erdloch mit Glut

    fllten, einen Metallrost darber legten und ihre Opfer auf die glhenden Stbe warfen. Afrikanisches Barbecue, sagt der Mann und nippt an seinem Tee. Schwarzes Fleisch.

    Wie kann ein Mensch einem anderen sol-che Grausamkeiten zufgen? Unser Hand-werk haben wir im Gefngnis gelernt, sagt der Beduine, in den Folterkammern von Mubarak. Viele seiner Kollegen seien in den Verliesen des Regimes jahrelang selbst ge-

    Deutschland sieht dem Morden tatenlos zu

  • foltert worden. Mit den Methoden, die sie jetzt an ihren Geiseln erprobten. Die bestia-lischen Auswchse des Menschenhandels auf dem Sinai: ein Erbe der gyptischen Diktatur.

    Selomons Martyrium dauert acht Monate. Dann hat seine Schwester das Lsegeld von 30 000 Dollar tatschlich beisammen und kann es an den Mittelsmann der Beduinen in Israel berweisen. Inzwischen hat Selomon die Hlfte seines Krpergewichts verloren und wiegt nur noch wenig mehr als vierzig Kilo. Er kann nicht mehr stehen, kaum mehr sprechen. Am 26. Juni 2012 werfen ihn die Beduinen in der Nhe der Grenze bewusstlos in die Wste. Andere Eritreer, die mit ihm freigelassen wer-den, schleppen ihn hinber nach Israel.

    Lasst mich sterben, fleht er im Kranken-haus in Tel Aviv die Chirurgen an. Von den gebrochenen Gelenken ab sind seine Hnde tot. Die rzte amputieren einen Groteil. Sie-ben Operationen, drei Monate im Kranken-haus. Seit seiner Entlassung lebt Selomon in einem Flchtlingsheim in Tel Aviv, nicht weit vom Levinsky-Park.

    Seine Zukunft? Der junge Eritreer hofft auf eine Handtransplantation. 200 000 Dol-lar, hatte Selomon bei unserem Treffen im Caf leise gesagt und dabei auf seine Stum-mel gestarrt; dann zhlte er die Lnder auf, die in dieser hoch komplizierten Chirurgie fhrend sind: USA, Kanada, Dnemark, Deutschland.

    Bis zuletzt bleiben die afrikanischen Geiseln auf dem Sinai fr uns unsichtbar, und wh-rend wir uns schon wieder auf dem Rckweg aus den Stammesgebieten nach Al-Arish befinden, scheint uns dies pltzlich wie eine Metapher: Weil die Welt diese Menschen nicht zu Gesicht bekommt und kaum je-mand ihre Geschichte kennt, knnen ihre Kidnapper sie ungehindert weiter foltern.

    In einem Gehft legen wir eine letzte Rast ein. Abu, ein 15-jhriger Junge mit Milchbart und Strohhalm zwischen den Zhnen, fhrt uns durch die Pfirsichbumchen, die hinter einem Kastenhaus in der Wste wachsen. Die

    m i c h a e l o b e r t und der Fotograf mo i s e s s a m a n sind als erfahrene Krisen- und Kriegsberichterstatter einiges gewohnt. Doch die grausamen Geschichten der Folter- opfer, die sie in Tel Aviv und Kairo trafen, verfolgen sie noch immer. Seit ihrer Rckkehr aus dem Nahen Osten haben die beiden Journalisten in Europa zahlreiche Kliniken und Hilfsorganisationen kontaktiert, um Selomon, dem jungen Eritreer, der durch ihre Geschichte fhrt, zu einer Handtransplantation oder zu Prothesen zu verhelfen bisher erfolglos.

    Mikeles Rcken erzhlt die ganze Geschichte seines leids. er hat berlebt und wohnt nun mit zwlf anderen eritreern in einem sicheren haus in Kairo.

    Jugendlicher Beduine im Stammesgebiet stlich von Al-Arish.

    Frchte schmecken s, ihre Haare kitzeln an den Zhnen. Eine Schar kleiner Kinder kommt angelaufen und setzt sich zu uns in den Sand. Abu erzhlt, dass er zwei Jahre vor dem Abschluss der Sekundarschule steht. Was will er einmal werden? Lehrer? Arzt? Er kenne einen, antwortet er, der seinen Ab-schluss als Jahrgangsbester machte: Und trotzdem fand er nirgendwo Arbeit.

    Was also will Abu machen, wenn er mit der Schule fertig ist? Afrikaner foltern, sagt der Junge pltzlich. Wir steigen nicht darauf ein. Vielleicht hat er gehrt, dass wir an dem The-ma interessiert sind, und will uns imponieren. Aber Abu geht mit leuchtenden Augen ins De-tail: Ihnen glhende Ngel durch die Hnde schlagen, sie mit kochendem Wasser bergie-en die Kleinen kreischen vor Vergngen 30 000 Dollar Lsegeld kassieren und sie dann fr 5000 Dollar weiterverkaufen.

    Vielleicht nur eine grausame Kinderfanta-sie. Doch in diesem Moment sagt sie uns mehr ber die Zukunft des Nordsinai als die rosigen Versprechen von Scheich Al-Manei. Was hatte uns der Folterer auf der Matte in der Wste noch prophezeit? Wenn wir eines Tages keine Schwarzen mehr bekommen, holen wir unsere Geiseln eben in Kairo.

    Wir sind schon in der gyptischen Haupt-stadt angekommen da klingelt das Handy. Auf dem Display leuchtet die Nummer auf, die uns Selomon gegeben hat, die Nummer aus dem Foltercamp auf dem Sinai. Wir ho-len tief Luft und nehmen das Gesprch an. Ihr Name sei Tzega, sagt die verzweifelte Stimme einer Frau auf Englisch. Sie sei 21 Jahre alt und stamme aus Eritrea. Ihr Lse-geld betrage 40 000 Dollar.

    Im Hintergrund meinen wir, ein metal-lisches Gerusch zu hren. Pltzlich stt Tzega einen markerschtternden Schrei aus. Ich blute! Ich blute!, ruft sie immerzu ins Telefon. Helft mir! Mein Gott, sie schneiden mir die Finger ab! Dann wird die Verbin-dung gekappt.

    Kinder geben als Berufswunsch an: Afrikaner

    foltern

    Die Namen aller Opfer wurden von der Redaktion gendert.

    Fotos: m

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    an / m

    agnu

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