Monika Balzert Evangelische Stift in Literarische Theolo gen ......Schriftsteller und...
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Monika Balzert
Literarische Theologen in Markgröningen: Die Weitbrechts im Pfarrhaus In der Liste der Tübinger Stiftler des 19. Jahrhun
derts führen zwei Namen ins Markgröninger Pfarrhaus: die der Brüder Carl Theodor (1847-1904) und Richard Philipp Weitbrecht (1851-1911). In
den Pfarrhäusern Althengstett und Heumaden, ersten Dienstorten ihres Vaters, geboren, durchliefen
sie das niedere Seminar Blaubeuren und studierten ab 1865 und 1869 im Tübinger Stift. In der Liste ehemaliger Stiftler werden sie heute folgen
dermaßen charakterisiert: "Carl Weitbrecht, Schriftsteller und Literarhistoriker: seit 1893 Professor an der Technischen Hochschule in Stutt
gart"; der jüngere Bruder Richard: "Schriftsteller und Pfarrer, schrieb Volks- und Jugendschriften". 1
Populär wurden beide, weil sie dem Vorbild Fritz Reuters folgend zum erstenmal gewagt haben, in der "mittelschwäbischen" Mundart zu schreiben, "welche wir von Kindheit an sprechen gelernt haben. Ihr Gebiet erstreckt sich etwa vom Albtrauf bis übers lange Feld bei Ludwigsburg gegen
den Stromberg hin. "2 Als Studenten kamen sie
nach Markgröningen: Bis zur Pensionierung 1875
amtete ihr Vater Kar! Gottlob Weitbrecht ( 1810-
1886) zehn Jahre hier als Stadtpfarrer und lebte mit seiner Frau Julie, geb. Finckh, den Söhnen und
zwei jüngeren Töchtern Hanna und Julie im gro
ßen Pfarrhaus I. Von Tübingen in die Vakanz nach
hause hieß für die jungen Stiftstheologen also nach Markgröningen fahren. Von hier aus entfalten die
begabten Weitbrechtssöhne ihre vorwiegend literarischen Ambitionen. Besonders Carl dichtete
schon früh sehr erfolgreich. Seine spätere Karriere
lässt nicht vermuten, dass der Lebensabschnitt im Markgröninger Elternhaus bedeutsam war. In Carls Vita wird nach dem Tübinger Studium nur Schwai
gern als Dienstort erwähnt3. Dabei verheiratete er
sich mit der Tochter des letzten Arbeitshausverwalters in Markgröningen, Justizrat Herrmann
Gottlieb Klemm, Julie Klemm, am 30.4.1874, be
vor die junge Familie ins Helferhaus nach Schwaigern zog, wo Carl dann 12 Jahre das Amt des
"Helfers" (d. h. 2. Pfarrer) innehatte. 1886 "erlöste den in der literarischen Welt( ... ) bekannten Pfar
rer der Ruf zur Leitung der höheren Mädchen
schule beim Großmünster in Zürich", wo er sieben Jahre, bis 1893, blieb. Aus dieser Zeit stammen sozialkritische Gedichte, wie die "Seefahrt" über den Vierwaldstädter See (1890) mit Klagen über Tourismus, Börsenspekulanten und Skepsis im
Bezug auf "das große soziale Zukunftreich". 1893 erreicht ihn der Ruf an die Technische Hochschule in Stuttgart: Carl Weitbrecht wird Nachfolger von Julius Klaiber auf dem Lehrstuhl von Friedrich Theodor Vischer für Ästhetik und Literaturgeschichte. 1902 wirkt er als Rektor am 14.11 .1902
bei der Grundsteinlegung der "von der Studentenschaft der Technischen und Tierärztlichen Hoch
schule zu errichtenden Bismarcksäule auf dem
1 J. Hahn, H. Mayer, Das Evangelische Stift in Tübingen. Geschichte und Gegenwart- Zwischen Weltgeist und Frömmigkeit. Stuttgart (Theiss) 1985; "Berühmte Stiftler", dort: S.296. Gerhard Raff zählt sie zu den "Zwangstheologen" (s. Raffs Raritäten, Stuttgarter Zeitung v. 11.12.97.)
2 C. und R. Weitbrecht, Gschichta-n aus-m Schwoba' land, 1877; Nohmol Schwoba-gschichta, Stuttgart 1882, (dort Vorwort S.V); 's Burgamoischters Hansjörg/Jez isch a' - so! Stuttgart 1897 (alle bei W. Kohlhammer) . A. Holder, Geschichte der schwäbischen Dialektdichtung mit vielen Bildnissen mundartlicher Dichter und Forscher, Heilbronn 1896, repr. Kirchheim 1975, S. 189ff. Auswahl der Mundartgeschichten: Rainer Redies hrsg., C. und R. Weitbrecht, Hent Er scho ghört, Liebeslust und Liebesleid im Schwabenland (Thienemanns) Stuttgart 1986.
3 So auch Otto (v.) Güntter, Nekrolog BJ 9, 1906, 274.
19
Bronzerelief für Carl Weitbrecht auf dem Stuttgarter Pragfriedhof (Balzert)
20
Gähkopf' mit und spricht Verse, die zeigen, dass für ihn die "Erneuerung der Nation" als Ziel- und Gipfelpunkt des 19. Jahrhunderts erscheint: "Fest wie der Stein aus deutschem Gebirge, kühn in die Höhe wie deutsche Kraft wachse du Turm, wachse, deutsches Volk!" War der Krieg 1870171 für
denjungen Weitbrecht das bestimmende Erlebnis gewesen und hatte er in der Folge zwischen 1874, 1890 und zuletzt I 898 ("An Bismarcks Totenlager") begeisterte Gedichte auf Bismarck geschrieben, erscheint er den Studenten nach der Züricher Zeit nicht zufällig als Symbolfigur ihrer
nationalen Bekundungen. Seine "Deutsche Litteraturgeschichtedes 19. Jahrhunderts", 1901 in der Sammlung Göschen in Leipzig erschienen und mehrfach neu aufgelegt, arbeitet den Gedanken der Nationwerdung der Deutschen heraus. Carl Weitbrecht stirbt aber bereits am I 0.6.1904 -der Stuttgarter Bismarckturm muß im selben Jahr vom Nachfolger eingeweiht werden4 . Begraben ist er auf dem Pragfriedhof in Stuttgart, in einer ge
meinsamen Grabstätte mit seiner Frau und zwei Söhnen. Die Rede am Grabe hielt der Onkel, der Stuttgarter Prälat und Stiftsprediger Gottlieb v. Weitbrecht Das Bronzerelief mit dem Portrait stammt von einem der Söhne. Einen eindrucksvollen Nachruf verfaßte Otto von Güntter, Begründer und erster Direktor des Schiller-Nationalmuseums in Marbach5.
Es lohnt sich also, das elterliche Markgröninger Pfarrhaus der Weitbrechtbrüder als Schauplatz in den Jahren 1869-74 zu vergegenwärtigen. Es kommt zwar in keiner der Würdigungen vor, auch nicht in der Vita des Bruders Richard Weitbrecht, dessen Denkmal immerhin heute in Wimpfen be-
sichtigt werden kann, wo der Pfarrer bis an sein Lebensende wirkte: "Hier machte er sich als Gründer und Vorsitzender mehrerer Vereine um Denkmalpflege und Denkmalschutz ( ... ).verdient"6.
Theologische Pflicht und literarische Muße in Markgröningen
Die Nachweise für die theologischen Aktivitäten der Weitbrechts in der Markgröninger Bartholomäus!Grche finden sich im Predigtkalender7, ab Weihnachten 1867: Am 1. Weihnachtstag predigt Stadtpfarrer Weitbrecht, am 2. Weihnachtsfeiertag "Predigt durch C.Weitbrecht, Th. cand.", der auch am 30. Dezember die Betstunde hält. Erst wieder im Herbst 1869, als Carl das Examen in Tübingen bestanden hat, wird feierlich verzeichnet, dass am Sonntag, 3. Oktober 1869, Stadt
pfarrer Weitbrecht die "Ordination des Dr. cand. th. Weitbrecht" vollzieht: "Vikar Weitbrecht" predigt über Lukas 7, 36-50". Auswärtige Bewährungen warten auf den Vikar in nicht genannten Gemeinden. Am 2. Weihnachtstag 1870 gehtderEintrag "Predigt des Stud. Weitbrecht" auf Richard, der erst 1869 das Tübinger Stift bezogen hat.
Erst am Schäferlauf des folgenden Jahres, dem Bartholomäustag am 24. August 1871 , findet sich wieder eingetragen: "Schäfermarktpredigt C. W." Carl Weitbrecht hält am Festtag Markgröningens die Predigt. Diese Ehre ist in Anbetracht der Zeitereignisse nicht ganz überraschend: 1870 hatte der dreiundzwanzigjährige Carl in seiner Eigenschaft als Theologe, die ihn an der patriotischen
Teilnahme am Sommerfeldzug nach Frankreich
terten Gedichten erlebt und begleitet der Vikar das Kriegsgeschehen immerhin so aus der Ferne. Im "Liederbuch für meine Freunde" (im Eigenverlag 1875 veröffentlicht) aktualisiert er den Gedichtzyklus weiter, der im nationalen Siegesrausch und der Freude über die Reichsgründung Beachtung und Beifall in ganz Deutschland findet. Er besteht 1880 aus 12 volkstümlichen Gesängen, deren Titel die patriotische Verklärung des deutsch-französischen Krieges und seines Ergebnisses spiegeln (diese "Lieder" wurden sogar mehrfach vertont9) : "Mir ists versagt, zu reiten" (I) "Trompeter blas!"(II) "Nachtwinde" (III) "Deutsche Hiebe" (IV) "Ausmarsch" (V) "Im Korn" (VI) "Generalmarsch" (VII) "Der erste Tote" (VIII) "Am Abend nach der Schlacht" (IX) "Reiterlied" (X) "Trinklied" (XI) und vor allem "Wir sind ein Volk" (XII). In der Ausgabe letzter Hand (1903) sind die Stücke IV und XII wieder weggelassen. Letzteres erscheint aber als eine Art Deutschlandlied (in drei Strophen) typisch im Ton, der noch an Schiller anklingt und mü Vaterlandsdichtungen von einem von Fallersleben und Freiligrath wetteifert:
Wir sind ein Volk Wir sind ein Volk! Wer zweifelt noch? Der Süden rufts dem Norden-Welt, zweifle dran: wir sind es doch, Im Sturm sind wirs geworden! Wir sinds, das siegende Schwert in der Faust, Wir sinds- und der siegende Ruf erbraust Zu des Meers entlegensten Borden.
Wir sind ein Volk! Ihr Völker all, verhindert, sein schmales Heft "Lieder von Ei- Kommt her, ein Volk zu schauen! nem, der nicht mit darf' veröffentlicht8. In begeis- Kommt her und hört den Donnerhall
4 Chronik der Stadt Stuttgart 1902, 1904.
5 BJ IX (1906) 274-279. 6 Rainer Redies, Nach
wort S.197 . 7 Pfarrer Heinrich Kir
eher gestattete 1991 die Einsichtnahme.
8 "Weitbrecht, Karl, Kriegslieder 1870", angezeigt bei Adolf Bonz u. Comp. in Stuttgart, Preis: 90 Pfennig. Auffallend die K-Schreibung des Vornamens wie beim Vater: im Predigtkalender und bei eigenhändigen Widmungen seiner Gedichte schreibt Weitbrecht seinen Vornamen stets mit schwungvollem C. Auf der Grabsäule steht Kar! , die übliche Schreibung in bibliographischen Angaben .
9 Von Johannes Feyhl , Den Gefallenen , Op. 12,2. und Richard Wetz, 6 Lieder für mittlere Stimme, Op. 15,4.
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22
Aus allen unsern Gauen: Ein Volk ist geworden, das keines war, Ein Volk wird es bleiben für immerdarGott helfe uns, dem wir vertrauen!( ... )
Der zehn Jahre ältere Freund Dr. Eduard Paulus d. J. schrieb Carl etwas später im Jahr aus Stuttgart
nach Markgröningen: "Stuttgart 22. Nov. 1871 . Mein lieber Freund, Eben finde ich bei Neff ein hübsch-ausgestattetes Buch 'Deutsche Kernlieder aus den Franzosenkriegen'. Ausgewählt und geordnet von Dr. A. Döring, Direktor des Gymnasiums und der Realschule in Dortmund. Berlin bei Grote 1871. In diesem Buch, das Sie vielleicht noch nicht gesehen haben, stehen 14 Ihrer Kriegslieder, mit andern zwei Ihrer so guten Sachen.( ... ) Sollten Sie das Buch noch nicht haben, so können Sie es durch Neff aber auch als Freiexemplar durch Grote in Berlin beziehen. (Kostet eingebunden 1 M 10. Es freut mich sehr, daß Sie hier in so guter Gesellschaft einem verehrten Publico unter die Nase gerieben werden.) Wenn Sie wollen, so will ich es Ihnen schicken. Ihr treuer Ed. Paulus. In Eile!"
So ist nach der Gründung des deutschen Kaiserreiches der Schäfermarktprediger "C. W." am 24. August 1871 ein volkstümlicher und gefeierter Mann, der Sieg und Reichsgründung, die am 10. Mai im Frieden von Frankfurt bestätigt worden war, wohl auch die Verdienste Bismarcks mit Dank in seine Festpredigt in der Stadt der Reichssturrnfahne einbezogen haben wird.
Damit beginnt wie mit einem Paukenschlag die Markgröninger Amtszeit des Carl W ei tbrecht: seine schwungvoll eigenhändig gesetzten Initialen
C. W. zur Abhebung von den anderen Namensträgern kehren im Predigtkalender 1871 ständig wieder, in Predigt-, Kinderlehre und sonstigen geistlichen Verrichtungen amtet er neben Stadtpfarrer und zwei Vikaren . Am 10. September 1871 ,
einem Sonntag, ist die patriotische "Feier des Geburtsfestes der Königin" mit "Morgenpredigt" durch Carl Weitbrecht vermerkt, später am Tag auch die Kinderlehre .
Während Richa~·d W eitbrecht, schon candidatus, am 13. September 1871 ("Betstunde über 1. Cor. 9") aushilft, hält Carl am Sonntag, dem 19. November, die Ernte- und Herbstdankpredigt, dann
die feierliche "Morgen predigt" am 1. Weihnachtstag, ebenso am 27.12., und am 31.12.1871 auch noch die "Sylvesterrede". 1872 predigt Carl am Matthiasmarkttag, der laut Druckvermerk in der evangelischen Kirche Württembergs am Samstag, dem 24. Februar 1872, eigens separat gefeiert wird, um nicht am eigentlichen Datum mit dem Sonntag zusammenzufallen. Am Gründonnerstag hält C. W. "Predigt und Beichte", am Karfreitag die "Nachmittagspredigt und Beichte". 1872 wird die Predigt zur Feier des Geburtsfestes der Königin am Sonntag, dem 8. September, vom Vater Weitbrecht gehalten (am eigentlichen Datum, dem 11., ist allgemeine "Schulvakanz wegen des Festes"); Richard Weitbrecht hält assistierend die Christenlehre und am nächsten Tag Taufe. Am Sonntag, dem 15. September, predigt er über Luc. 7, 11-17. Carl übernimmt am 25. Oktober 1872 die bedeutsamere "Bußtagspredigt". Am 29.12.72 ist Sonn
tags "R. Weitbrecht, th. cand." eingetragen, er predigt als "th. cand." wieder Ostermontag 1873 und darf endlich 1874 die Hauptpredigt am Oster-
sonntag (5. April) halten. Richard Weitbrecht hat
damals das Repetentenjahr in Urach vor sich
( 1875), in dessen Verlauf über ihn ein einjähriges
Predigtverbot ausgesprochen wird. Er promoviert
deshalb 1876 in Tübingen über das Nibelungen
lied und verfasst anonym eine neuhochdeutsche
Version des Gudrunliedes 10, bevorer-wie schon
sein Bruder Carl -eine Studienreise nach Italien antritt.
Dichterische Arbeiten sind nach den Markgrö
ninger Anfängen ("Bruder Conrad" 1871) wenige
bekannt 11 . Ab 1878 nimmt Richard eine Pfarrstel
le - wohlgemerkt außerhalb Württembergs - in
Mähringen bei Ulm an und gibt von dort mit Carl
zusammen, der in Schwaigern ist, die "Schwoba
gschichta" heraus, bevor er 1893 erster Stadtpfarrer
der ev.-luth. Gemeinde im damals Hessischen
Wimpfen am Berg wird. Hochgebildete Literaten
wurden aus dem Stift in die theologische Praxis
entlassen. Für viele, auch Eduard Mörike, zu dem
C. Weitbrecht und besonders E. Paulus persönli
chen Kontakt hatten, tat sich zur religiösen Berufs
richtung schon im Lauf des Studiums eine Kluft
auf. Dazu kamen die Entwicklungen in der Theologie, die Carl Weitbrecht 1873 klagen lassen:
"Den alten Christus hat man uns genommen, Wie ihn die gläubge Einfalt sich gedacht,
Der neue ist ein Schattenbild, verschwommen,
Das in kein Herz noch wahren Trost gebracht". 12
Die Bildungsreisen nach Italien bestärkten die goethische Seite: Freundschaftsbeziehungen stär
ken die dichterische Produktivität, in Nachahmung
der klassischen Vorbilder nicht nur der deutschen
Literatur, sondern auch der Antike.
Freund Carl Weitbrechts in diesem Sinn war der
Stuttgarter Eduard Paulus der Jüngere. Dieser, 1837 geboren, ist nach Studien in München und der
Begehung des gesamten Limes mit seinem Vater,
dem Finanzrat Eduard Paulus d. Älteren "nach Italien aufgebrochen ," 13 wo er in Begleitung mit
empfindender Freunde 1862/63 ein Jahr lang vor
allem die Bauwerke der Renaissance studierte. In Italien genas er aber auch, nach seinem eigenen
Bekenntnis, als Dichter in seiner "innersten Natur".14 Dass Carl Weitbrecht später mit Paulus
nach Italien reiste, ergab ein reiches gemeinsames
Bezugsfeld außerhalb des Markgröninger und
Stuttgarter Berufsalltags des Theologen bzw. des
Denkmalpflegebeamten . Der Briefwechsel Carls
mit dem Stuttgarter Freund wie auch die Gedicht
sammlungen beider sprechen dafür. Eduard Paulus
erwähnt Besuche, er will den Freund aus der pro
testantischen Strenge wenigstens im Geist immer
wieder in die sinnenfrohe Kunstlandschaft Itali
ens entführen - symbolisch gelegentlich auch bis
nach Degerloch in den "Löwen".
Aus den Jahren 1871-73 hat sich der Briefwechsel erhalten 15 , der zwischen Stuttgart und Markgröningen hin- und herging und den freundschaftli
chen Austausch zwischen dem späteren Literatur
geschichtsschreiber und Stuttgarter Hochschulrektor, den man als den "Prophet Schillers" apostro
phiert hat16, und dem zehn Jahre älteren Landes
konservator Dr. Eduard Paulus beleuchtet. C. Weit
brecht hat seinerseits weit mehr Briefe von Paulus
aufbewahrt als umgekehrt der Stuttgarter Freund.
Insbesondere fand sich im Kontrast zur Kriegs
begeisterung 1871 die in Markgröningen zentrierte
Entstehung des "Sängerwettstreits" um die beiden
10 Richard Weitbrecht, Das Gudrunlied. In neuhochdeutschen Versen nachgedichtet. Stuttgart, Metzler 1884. Ähnlich hatte Hermann Kurz 1847 "Tristan und lsolde" in hochdeutsche Verse gebracht.
11 Schwäbische Liederchronik 1875/6: "Lessings Tod"/"Nicht wenn der Frühling"/"Im Herbst"/"Am Rhein".
12 Aus: "Ein Leben. V" (1873)
13 OskarParet,SL5, 1950, 441.
14 Eduard Paulus, Gesammelte Dichtungen. Stuttgart 1904: Ausflug in die Campagna, S. 385.
15 Nachlässe im Dt. Literaturarchiv Marbach.
16 Der Vorsitzende des Literarischen Klubs Stuttgart Dr. Eugen Schneider in seinem Vorwort zur 2.Auflage von Carl Weitbrechts "Schiller in seinen Dramen" Stuttgart (Frommann) 1907, S. 4 ("Zur Erinnerung an Carl Weitbrecht").
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17 M. Balzert, Alte Liebe: Poesie und Denkmalpflege in der Unterriexinger Frauenkirche, Durch d. Stadtbrille 4 (1989) 77- 85.
18 Graf Leutrum von Ertingen, Die Gräflich -Leutrumsehe Frauenkirche zu Unter-Riexingen. Mit einem Überblick über die Geschichte des Dorfes. Stuttgart (Kohlhammer) 189 1. Kapitel 10: Gedichte (S.64-74), Nr. 2 und 3.
19 Carl Weitbrecht, Gedichte. Neue Ausgabe. Zugleich dritte vermehrte Ausgabe des "Liederbuchs". Stuttgart (Adolf Bonz & Comp.) 1880, "Bruder Conrad" S. 59-66. Gesammelte Gedichte, Stuttgart (ib.) 1903, S. 17-23.
20 Leutrum a. a. 0 . S. 25: "Das Jahr 1890 brachte als wichtige Funde zwei uralte Denksteine, die, in der Kirchhofmauer verborgen, durch Landeskonservator Finanzrat Dr. Paulus bei seinem Besuch entdeckt wurden und die ich auf entsprechende Unterlagen im Schiff aufstellen ließ."
21 C. W., Gedichte. Neue Ausgabe 1880, S. 178-180. Die Gedichte ge-
24
Inschriften im Bereich der Unterriexinger Frauenkirche aus dem auch sonst poetisch ergiebigen Briefwechsel vollständig dokumentierbar 17 • Erstaunlich
ist: Richard Weitbrecht, liebevoll von Carl "mein Kleiner" genannt und vom älteren Bruder in Dichtversuchen gefördert, hat den Anstoß gegeben, die Riexinger Inschriften zu bedichten: zwei zusam
menhängende Romanzen Richards sind als Briefbeilage Carls in dessen Handschrift an Paulus gesandt erhalten. Trotz des großen Lobs, das der ältere Bruder spendet, scheint Richards Ballade nicht gedruckt worden zu sein. Paulus antwortet auf die Übersendung mit seinem eigenen Entwurf, und als
letzter schwingt sich Carl zu dem langen Versgedicht auf, das seit 187 5 in seine Gedichtsammlung "Liederbuch für meine Freunde" eingegangen ist. Dass sichjeweils ein Gedicht von Carl Weitbrecht und Eduard Paulus mit der Unterriexinger Frauenkirche beschäftigt, hatte aus Anlaß der Restaurierung Gerhard Graf Leutrum von Ertingen 1891 in seiner Schrift über die Frauenkirche 18 ermittelt. Carl Weitbrecht sowie Eduard Paulus d. J. traten ja als bekannte Literaten ins Gesichtsfeld des Grafen Leutrum. Weitbrechts "Bruder Konrad", bereits 1875 veröffentlicht, lag damals gerade in der Neuen Ausgabe der Gedichte C. Weitbrechts von 188019
vor. Erst in der Ausgabe von 1903 ist im Inhaltsverzeichnis dem "Bruder Konrad" das frühe Entstehungsdatum 1871 beigegeben, der entscheidende Hinweis auf die Markgröninger Entstehungszeit Der Eindruck Leutrums, Paulus habe erst 1890, sozusagen im Amt, nämlich mit Bergung und Auf
nahme der alten Inschriftsteine der Kirche befasst, den Margaretenstein als Neufund20 poetisch gefeiert, trifft also nicht zu.
Die Freunde Eduard Paulus und Carl Weitbrecht veröffentlichten ihre Gedichte auch in der "Schwä
bischen Liederchronik, dem Jahrbuch deutscher
Liederdichtung der Gegenwart in Schwaben", he
rausgegeben seit 1875 von Georg Jäger. 1883 wurden sie Herausgeber des "Schwäbischen Dich
terbuchs", abgesehen von den stattlich weiterwachsender eigenen Gedichtsammlungen. Carl betreut
seit 1876 in Schwaigern die Redaktion des "Neuen deutschen Familienblatts", wo er unter dem Pseu
donym " Gerhart Sigfrid" eigene Gedichte und Erzählungen veröffentlicht. Weitbrechts Ge
dichtsammlung spiegelt die Freundschaft in den
Strophen "An Eduard Paulus. I-III"21 wieder. Der in Marbach erhaltene Briefwechsel der
Freunde liegt ab Februar 1871 vor. Aus den Briefen von Eduard Paulus, dem frisch
gebackenen württembergischen Landeskonservator, an den Freund in Markgröningen, geht hervor: Beide sind noch unverheiratet, aber auf Braut
schau, ein zentrales Thema, das andererseits in den Mundartgeschichten der Brüder Weitbrecht nicht sentimental-romantisch, sondern erfrischend derb behandelt wird.
"Stuttgart 8. Mai 1871 '0 der Arme früh und spat Schreibt er auf Kanzleiformat' ... Wie ich aus Ihrem Brief ersehe, hat
die Blüthe bei Ihnen noch nicht begonnen. Sie schreiben wenigstens nichts davon, oder hüten sich deswegen zu schreiben, weil Ihr Lenz doch
am Ende keine Früchte bringt - ... Sollte aber der
Mai auch endlich in Markgröningen eingezogen sein, so wäre es mir ein großes Vergnügen, wenn
ich Sie einmal über einen Tag besuchen könnte.
Ich könnte vielleicht schon am Samstag anrücken; ein Wirthshaus wird es schon in Markgröningen geben, wo ein alter Italienfahrer sein Haupt niederlegen kann. Schreiben Sie mir über diese Materie keinen langen Brief. Seit Sie von hier fort sind bin ich vollends ganz allein, die Mädchen fallen von mir ab massenweise, und doch bin ich jetzt
definitiv angestellt, pensionsberechtigt! ... Dass Sie ohne Liebe sind, ist mir ein großer Trost für Sie; es taugt wenig für den Dichter, es wäre denn eine unglückliche Liebe, das ist also was wir uns aufs Brot schmieren können, das ist für unsereinen. -Und nun zum Schluss will ich Ihnen als protestantischem Seelsorger noch einen heilsamen
Schrecken einflößen durch ein ganz katholisches Lied, das ich aber hinwiederum auf ein gut evangelisches Mädchen gedichtet habe".( ... )
Das hier nicht mitgeteilte Gedicht22 lässt schon Motive anklingen, wie sie sich nachher in den
verschiedenen Gestaltungen der Konrad-Dichtung ausgeführt finden. Die "Bilder aus Italien", die Paulus gerade zur Herausgabe vorbereitet, enthalten weitere Ausgestaltungen der religiös überhöhten unglücklichen Liebe.
"Stuttgart, 25. Mai 1871 (mit Gedichtbeilage) Mein lieber Freund, Letzthin konnt' ich Sie leider nicht besuchen, das Wetter war zu kalt, zu deutsch wollen wir sagen. Nun aber sind himmlische Tage, aber Sie werden wohl an Pfingsten mü Ausgießung des heiligen Geistes sehr beschäftigt sein, auch fürchte ich an solchen Tagen diejenigen,
welche damals schon den Jüngern des Herrn aufsäßig wurden und sie der Betrunkenheit ziehen, ich fürchte diese selbst besoffenen, alle Eisenbah-
nen ausfüllenden, sich mit Vergnügungen abquälenden Menschenmassen und hoffe Sie deshalb
später an einem stillen Sonntag auf der Kanzel in Markgröningen zu überraschen. Wie Sie auch aus
meiner gebundenen Rede bemerkt haben werden,
sind tiefe Wandlungen in mir vorgegangen, ich
schöpfe wieder Hoffnung, wie ein Fisch, den man
wieder ins Wasser geworfen hat, meine Seele hat sich geneigt und gehoben und strömt über in sündigen Liedern. Gott erhalte mir den Funken und behüte mein Herz vor allem Dumpfen und Mißlichen. -Ich male jetzt nicht mehr mit Oelfarben,
sondern in Wachsfarben, wie die alten toskanischen Maler, die so gottfrohe Heilige schufen, viele ne
beneinander, mit ahnungsseligen Näschen und goldenen Haaren, Harfen in den Händen und zierliche Lilienstäbe. Ich freue mich schon, mit Ihnen zusammenseinund zusammenfühlen zu dürfen. Ihr getreuer Ed.Paulus
Landesbeschreibungsknecht"
Paulus bereiste mit seinem Vater von 1866-79 die Oberamtsbezirke: In den seit 1871 erschienenen Oberamtsbeschreibungen sind die Ortsbeschreibungen meist von ihm verfasst. Statt des erhofften Lehrstuhls für Kunstgeschichte wurde ihm aber 1872 nur die Stelle seines ausscheidenden Vaters, des Finanzrats Paulus (1803-78), zugesagt. Aus den Andeutungen Weitbrecht gegenüber geht hervor: Paulus sehnt sich nach einem Hausstand, trotz
allen Poetentums, und die sichere Anstellung ermöglicht ihm, sich am 15. Mai 1873 mitderimmer
deutlicher hervortretenden Braut, Constanze Renz, zu verheiraten. Im Oktober 71 wird er die Handschrift seiner Braut dem Freund in Markgröningen
hörten wie der "Bruder Conrad" schon zum alten Bestand von 1875. S. 181 "An Denselben nach dem Tode seines Vaters", ist 1878 entstanden. Die Verlagsanzeigen im dieser Ausgabe konzentrieren sich auf Eduard Paulus d. J. (bei Bonz und bei Neff Erschienenes).
22 Eduard Paulus, Gesammelte Dichtungen, Stuttgart 1904, S. 22-23, ohne die dritte Strophe.
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\lllotrßtüuinoen. ljen~et nm Gtabt•'Ufntt~nu~. 1544.
Vermutlich aus der Hand des Eduard Paulus stammen Zeichnungen vom Markgröninger Pfarrhaus, der Bartholomäusund Heilig-Geist-Kirche, sowie weiterer - heute verlorener Details aus der Stadt- die er in "Die Kunst- und AltertumsDenkmale im Königreich Württemberg" (1889) veröffentlichte.
in Form der Abschrift gerade des Konradsliedes
unterbreiten. Ab jetzt schon sendet er dem Freund
Liebesgedichte an seine spätere Frau.
"Stuttgart Juni 1871 (mit Gedichtbeilage) Mein lieber Freund! Viel herzlichen Dank für Ih
ren schönen Brief von letzthin, den ich schon lang
zu beantworten trachtete, aber die Zeit mangelt und das Geld, denn 'anche io sono poeta ', und muß
mich plagen und den Staatskarren helfen tragen.
Wie Sie aus dem Schwäbischen Merkur ersehen haben werden, ist die Witterung gegen mich, sehr schlecht und nicht anstellig zu verreisen, und daher jetzt keine Dampferlinie zwischen hier und Grö
ningen eingerichtet ist, so müssen wir vorerstens gebratene Brieftauben ins Maul fliegen lassen. (P)"
Die Zeitungsnotiz über den außergewöhnlich verregneten Sommer lässt sich ermitteln: jedenfalls ist der Gedanke einer 'Schiffsverbindung' zwischen Markgröningen und Stuttgart übers Lange Feld skurril. Etwas später weitere Briefe, deren oft humorvoll umschlagende Stimmung typisch ist:
"Stuttgart, einen Monat nach dem Vollmond im Jahr der Sindfluth 1871 Das Beste wäre, wir gingen nach Italien, wo die Sonne scheint und der Lorbeer von selber wächst und die Myrten blühen und alles un
entgeltlich."
9Jiorfgriinlnnen. lUo~n lt!ff!llirJcn 6fibportnl bec Stnbt!itnJe. 'JlaO O:noclrfJrn H7~. Ein Stimmungsbild der dienstli-
eben Ausfahrten:
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"Stuttgart Juli 1871 Mein lieber Freund, letzthin am Samstag hätte ich Sie beinahe besucht, ich war schon in Asberg, ich
kam von Brackenheim her- aber es war so maßlos
heiß, daß ich mich nicht entschließen konnte, Sie heimzusuchen, ich wäre auch ohne Zweifel unter
wegs vollends ganz zerflossen.- Aber ich möchte Sie doch einmal besuchen im Laufe dieses Jahrs,
schreiben Sie mir ... Ach man wird alt und geistlos
und schleppt sich dahin maschinenmäßig mit lotternden Schrauben- und der Krieg ist vorbei, der
uns so jauchzend gemacht, man ist zufrieden und
hatjetzt wieder (ich wenigstens) keinen Heißhun
ger mehr nach einer tiefächten frischen poetischen Leistung. Hätten Sie nicht die Güte, recht schöne
Lieder zu schreiben? ... Ich klammere mich immer krampfhafter an die Poesie, ich fürchte immer auch, daß es das einzige Glück - und daß wir Riesen
schätze in uns besitzen, aber die Hebung ist so schwer, es sitzt ein großer schwarzer Pudel darauf mit flammenden Augen. Hierüber und über die
große Annehmlichkeit unseres württembergischen Pfarrschatzes bald mündlich mehr IhrE. Paulus"
"Stuttgart 28 . Juli 1871 An C. W. 0 dürft' ich wieder gehen Mit dir, es denkt dir nochBei lauer Lüfte Wehen durchs hohe Degerloch.
Die jungen Vögel sangen
So fröhlich durch den Wald, Und unsere Herzen klangen zusammen alsobald.
Zu Füssen liegt gebettet das blüthenvolle Thal, Und wir emporgerettet Aus Dunst und Dampf und Qual.
Des Lämmerwirthes Weine Verklären den Humor Und jeder stellt die Seine Im Lied dem Andern vor.
0 Lieb, 0 Luft, 0 Leben, Gleichheit der Poesie, Die Wunden sie verschwebendoch sie vergeht uns nie."
Dieses Lied gibt Zeugnis von gemeinsamen Ausflügen, besonders nach Degerloch- ins "Lamm", sonst in den "Löwen", um sich über die wechselnden Liebesschicksale mit gutem Württemberger zu trösten. Auch der folgende Brief scheint auf solche ausgelassenen Dichterpartien anzuspielen.
"Stuttgart 18. Sept. 1871 Hochedler und halbgöttlicher Freund -Sie werden glauben ich sei verrückt. ... Man sollte Sie den lyrischen Freiligrath23 nennen, auch Sie singen von Affen, Bären, Löwen und Katzen ... doch genug des Scheußlichen, bald alles mündlich ... wär ich im Stande, Sie zwischen Donnerstag und Samstag aufzusuchen, den Festschwindel müssen wirbeidenatürlich auch mit (unleser
lich) stinkend und trinkend. Wie oft hab ich gewünscht, Sie möchten bei mir sein und den Wonnen der Jugend.- 'Trompeter, blas an den Rhein,
an den Rhein '!"
23 Ferdinand Freiligrath hatte 1870 in Lauffen zur Hölderlin-Feier gesprochen und war 1871 wieder in Stuttgart (z. B. im Haidehaus). 1874 schreibt erheitere Grußepisteln an den dichtenden Landeskonservator Paulus.
27
24 Die Inschriften des Kreises Ludwigsburg, gesammelt und bearbeitet von A. Seeliger-Zeiß und H. U. Schäfer. Die Deutschen Inschriften, Bd. 25. Wiesbaden 1986, Nr. 178
25 Die Grabplatte der Margarete von Münchingen. 2 Fragmente: der Löwe soll vom Mittelfeld der Grabplatte stammen. "Beide Teile wurden 1890 von Landeskonservator Eduard Paulus aus der Kirchhofmauer geborgen und 1891 renoviert." Damals erfolgte auch die Aufstellung in der Kirche auf dem Postament sowie die schwarze Ausmalung der Buchstaben. (Seeliger-Zeiß a. a. 0. ; Nr. 39; zeitlicher Ansatz: Ende des 14.Jahrhunderts).
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Als Zitat setzt Paulus den Anfang des 2. Gedichts
aus Carls "Liedern von Einem, der nicht mitdarf '
ans Ende.
Markgröninger Dichterwettstreit im Spätherbst 1871
Der Eindruck der deprimierendenN ovemberstimmung 1871 , der nördlichen Öde, die das Dichter
gemüt Carl Weitbrechts im Pfarramt in Markgrö
ningen umgibt, lässt sich aus verschiedenen Gedichten belegen. Der Briefwechsel mit dem Freund
in Stuttgart spiegelt seinerseits Depressionen, die auch die poetische Produktion gefährden.
Der einzige erhaltene sehr sorgfältige Brief Carl
Weitbrechtsan Paulus vom 25. Oktober mit dem eigenhändig abgeschriebenen Gedicht des Bruders Richard stellt eine Wendemarke dar: voraus
gegangen sein muss mindestens ein gemeinsamer Gang der Freunde zur Unterriexinger Frauenkirche mit der rätselhaften Inschrift neben dem Seitenportal - die Bruder-Conrat-Inschrift am Strebepfeiler der Ostseite der Riexinger Frauenkirche als
"Gedächtnisinschrift für einen Unbekannten mit Vornamen Conrad" wird heute eher ins 16. Jahr
hundert datiert24 - und dem damals noch im Freien befindlichen Margaretenstein25 . Spielerisch hatten sich die phantasievollen Italienfahrer im Deu
ten geübt. Eduard Paulus hatte den noch in zwei Fragmenten in der Friedhofsmauer sitzenden 'Margarethenstein ' entdeckt, aus beruflichen Interessen dafür besonders sensibilisiert. Der sich nun per Briefwechsel entspinnende "Sängerwett
streit" zeigt das gesunde Selbstvertrauen Carls in seine- verglichen mit der seines Bruders- überlegene poetische Fertigkeit.
"Markgröningen, 25. Okt. 1871 Lieber Freund! Diesmal bin ich lange nicht drangekommen, Ihnen zu schreiben und vielmal zu danken fürdie Bilder aus Italien!- Es surrt mir noch im
Kopf von den vielerlei Zerstreuungen, beziehungs
weise Zersplitterungen der letzten Wochen. Ich
muss jetzt, da die Tübinger und ähnliche Biedermänner das Haus nicht mehr unsicher machen, erst nach und nach meine sieben Sinne wieder ordnen,
was bei unser einem mehr Arbeit kostet als beim sonstigen Menschenkind, das mit 5 Sinnen glücklich ist. Aber es istjetzt eine trübselige Zeit, es wird
still und kühl und spät, und ich habe wieder einmal Heimweh - weiß nicht, wonach? Ich wollte, wir
wären vollends eingeschneit! Das 'Bruder Conrad, dem Gott gnad'- am Riexinger Kirchiein hat mein Bruder sehr schön besungen. Ich wills Ihnen ab
schreiben. Ich selbst habe seit dazumal gar nichts, sage: gar nichts mehr produciert; ich liege im poetischen Gärtlein da wie ein todter Hund. Meine
Phantasie läuft klappernd leer und mein Gemüth wird täglich ärmer - was brauchen auch draußen die Blätter zu fallen? Ich wollte, wir wären eingeschneit ! Winterschlaf! - Wintertraum! Also das
Gedicht meines Bruders! Es sind aber zween:
I.
"Hier laß mich ruhn, die Wallfahrt ist vollendet, Laßt sterben mich in meinem Heimatthal! Hier, wo ich den geweihten Ort geschändet, Wo ich zum Mord gezückt den blanken StahlSchließt euch zur Ruh, ihr Augen, zu ,
Hier scheine mir die Sonn zum letztenmal!"
Er lehnt sich an den Pfeiler; müde sinken Die Augen ihm, im Abendwinde wehn
Die langen Locken, die wie Silber blinken -Stumm andachtsvoll die Frommen ihn umstehn, Die unverweilt herbeigeeilt, Des fremden Bruders Sterben anzusehn.
Da plötzlich zuckt es wie Erinnerungen Ihm durch das Herz, sein Aug erschließt sich weit - "Er redet- hört ihn!" flüstern alle Zungen, "Macht seinem Segen euer Herz bereit!" Er hört es nicht, sein Angesicht Färbt Fieberglut- er ist in alter Zeit:
"Da wars!" - Der Pfeiler deckt den Kampfesheißen, Die Hand faßt um des Schwertes Griff geballtDas soll dem Beter drin die Wege weisenJetzt tritt er aus der Thür- ein donnernd "Halt!" Den Stahl heraus! 's gilt einen Strauß! Du oder ich! Hei wie das kracht und schallt!
"Willst von ihr lassen? Nein! - So magst dann fallen! Gnad Gott dir! Ha, da sitzt der Todesstoß!" Am Pfeiler lehnt er blutig -Tritte hallen -Schon Reue? Fort von hier! Greif aus, mein Roß! Ostwärts zum Krieg im Sturme flieg! Im Heilgen Kampf wird man der Qualen los!
0 heißer Sturm auf Akkons feste Mauern! Komm, Tod vom Türkenschwert!- Er geht vorbei! Gefangenschaft! 0 endlos langes Trauern! Das Haar ergraut- und alt- und endlich frei! Zum Heimatland den Fuß gewandt -"Gott, gieb, dass ich bei Ihr begraben sei!"
Er schweigt. Die Sonne sinkt im Westen nieder, Noch färbt ihr Strahl das Kirchiein blutig roth, Leis senkt der Schlaf sich auf des Wandrers Lider,
Im Abendwind kommt sanft zu ihm der Tod. Dumpf schallt und bang der Glocke Klang, Vom Chor her tönt's :"Erlös uns aus der Noth!"
II. Stumm auf dem Kirchiein liegt die Nacht, Kein Laut rings in der Runde! Allein der Mond am Himmel wacht Zur mitternächtgen Stunde. Am Pfeiler kühl gebettet ruht Der Wanderer so still und gut, Und wer, wer denkt noch seiner? Der Nachtwind flüstert: Keiner!
Doch horch! es schallen leis geführt Am Kirchiein Hammerschläge -Hats in den Gräbern sich gerührt? Sind heut die Geister rege? Ein Weib steht an des Pfeilers Rand Und haut mit ungeübter Hand Beim fahlen Mondenscheine Am felsenharten Steine.
Schon viele Sommer sind dahin Ihr übers Haupt gegangen, Ihr Haar, das einst so goldig schien, Ist weiß, verblüht die Wangen; Nur noch ihr Aug blitzt hell und gut, Als wär vom altem Tugendmuth, Von ihrem heißen Lieben Ein Strahl darin geblieben.
"Um mich", spricht leis ' sie, "zogest du Dein Schwert hier aus zum Streite, Ich trieb dich ohne Rast und Ruh Hin in die Welt, die weite-Du hast wohltreugedacht an mich!
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Wer denkt, wenn ich dahin, an dich? So soll der Stein dir schenken Ein treues Angedenken!"
Und Schlag auf Schlag fällt nun herab, Mag auch die Hand ihr beben: Ein gräbt sie einen Pilgerstab
Und fromm ein Kreuz daneben. Dann haut sie zitternd in den Stein Kunstlos gefügte Worte ein, Mit ihnen ihre Thränen Und all ihr banges Sehnen.
Eh sich die Nacht geendet hat, Noch vor des Morgens Grauen, Steht 'Bruder Conrad, dem Gott gnad ' Im Pfeiler eingehauen;
Und als der erste Sonnenstrahl Fällt auf des Todten Ehrenmal, Geht lächelnden Gesichtes Sie ein zum Land des Lichtes.
Richard Weitbrecht
Ich wollte, ich hätte das Ding gemacht! Einige Unebenheiten in der Form kommen gegen die Schönheit des Ganzen nicht in Betracht, im Ganzen ist auch die Form ein bedeutender Fortschritt meines Kleinen- früher war er hierin etwas nachlässig.- Man ruft mich ab, deswegen- einandermal mehr! Mit herzl. Grüßen Ihr getr. Carl Weitbrecht"
Das "Bruder Conrad Gedicht" von Eduard Paulus kommt nicht in der entsetzlich unleserlichen Hand
schrift von Paulus selbst nach Markgröningen, sondern als kalligraphisches Probestück seiner Braut Constanze Renz ("C. R.").
"Stuttgart. 18. Novemb. 1871 Mein lieber Freund, Jedem, der aus Mutterleibe will, sollte man mit einem 2 Thaler Stück den Hirnschädel eindrücken; wozu denn der Aufwand von Jammer und Schmerz, von ewiger nie enden wollender Mühsal. Und vollends die Dichter, wel
che alle diese Scheußlichkeiten noch in süß klingende Form gießen, und endlich, was noch ent
setzlicher, die sog. Geistlichen, die sagen, wir seien unsterblich, und uns darauf vorbereiten wollen ; daß das Elend nur nie und nimmer ein Ende haben soll. Da Sie nun beides sind, so können Sie sich denken, wie grausam Sie mir erscheinen und wie schwer es mir wird, mit Ihnen fröhlich zu verkehren-, aber doch gehören Sie noch zu den allerbesten, die ich gefunden habe./Ja, es gehört wahrlich ein guter Muth dazu, nicht ungeduldig zu werden; aber was geht das mich an , sagt der ewige, selige Geist der Welt, ich habe Wichtigeres zu thun: ich muß meine strahlenden Fixsterne in Ordnung halten und kann mich mit einem so elenden irdenen Planeten nur nebenher abgeben. Ja, mein lieber Freund, wir sind auf die Thaifahrt gerathen; durch ein pures Mißverständnis sind wir soweit heruntergekommen, und wir bekommen vielleicht noch eine Nachzahlung von 10.000 Seligkeiten für alle die so unrechtmäßig erlittene Unbill! Als lichtgeborenen Leute sind wir unter die Saurier gesteckt worden und wer hilft uns nun heraus aus diesem Urschlamm; an unseren eigenen Zöpfen müssen wir uns herausziehen, aber diese Tat ist ja letzthin nicht gerathen und obliegt dem Löwen
von Degerloch. Doch bald giebts wieder Krieg worin die Bestie Mensch seinem transeendentalen Unmuth wieder ein wenig Luft macht, und dann
schreibt mein Weitbrecht wieder ein Bändchen
herrliche Kriegslieder! Nichts schöner als dieß!
Kommen Sie auch wieder nach Stuttgart, damit
wir das Nähere darüber besprechen. Anliegend
sende ich Ihnen ein Lied, das ich durch die schö
nen Lieder Ihres Bruders angeregt auf Riexingen
(Bruder Konrad u. d. Grabstein der Margareta)
verfaßt habe. Ein schönes Fräulein, das eine große
Verehrerio Ihrer Gedichte ist, hat es Ihnen abge
schrieben.
Ihr treuer Ed. Paulus."
In Handschrift von der Braut des Eduard Paulus,
Constanze Renz (Monograrnrn gepresst links oben
auf dem Doppelbogen des Damenbriefpapiers)
"Stuttgart, Oct. 1871 Bruder Conrad. ( ... ) E. P.
(eigenhänd. sign.)"
Eine andere "Stuttgart Nov. 1871" von Paulus
geschriebene 4-strophige Gedichtbeilage enthält
die Anspielung auf den Margarethengrabstein.
In dem nächsten Brief zeigt Paulus seinerseits
an, dass inzwischen die "Bruder-Conrad-Dich
tung" , die Carl Weitbrecht verfasst und übersandt hat, an ihn gelangt ist: als Briefbeilage hat sich das
Gedicht allerdings handschriftlich nicht auffinden
lassen. Das muss zwischen dem 22. Nov. und 9.
Dezember gewesen sein , dem Datum des folgen
den Briefes:
"Stuttgart, 9. Dec. 1871 Mein lieber Freund. Schönsten Dank für Ihren Brief und den Armen Conrad, der keine Ruhe
mehr hat in seinem Grab. Das Gedicht ist sehr
schön geschrieben, nur dürfte man dem Manne
vielleicht mehr innere Entwicklung wünschen.
Noch mehr aber muß ich Sie rühmen wegen Ihres
Gedichtes in der Stuttgarter Zeitung, das hier
überall die vollste Anerkennung gefunden hat, und
auch in dem Mumientreffen bei Kolb von Profes
sor Kern bei lautloser Stille vorgelesen wurde.
Und in der That ist es außerordentlich schön und
ergreifend und gehört zu Ihren besten unter den
Kriegsliedern, einfach, reinklingend und große tie
fe Gedanken. Zurseiben Zeit hatte ich auch ein
Lied überdie Geister von Edenhall begonnen, aber
es wollte nicht fertig werden, und ich hab es
jetzt glaub ' ich verloren; mir scheint, das Schick
sal hatte Sie dafür ausersehen und mir die Kraft
entzogen und Ihnen beigelegt, womit ich voll stän
dig zufrieden bin, denn es ist auf ein sehr fruchtba
res Feld gefallen. Letzthin war ich bei Lyriker
Mörike (Silberburgstr. 67 .2) , er sagte mir, ich sol
le Ihnen danken für Ihre Gedichte, die ihm sehr
gefallen haben und er möchte mündlich mit Ihnen
darüber sprechen. Er hat eine große schneeweiße
Katze, die er sehr hoch hält. Auf baldiges Wieder
sehen
Ihr Ed. Paulus verte!l( Rückseite:) Soll ich eine kleine Kritik über Ihre Kriegslieder in der Stuttgarter Zeitung schreiben ; weil jetzt
Weihnachten kommt, geht vielleicht einer oder
der Andere auf den Leim. Schreiben Sie mir hierüber bald. Das Publicum ist eine reine Sau!
IhrE P"
Carl Weitbrecht veröffentlicht später ein Gedicht
über einen eigenen Besuch bei Mörike, es steht unmittelbar vor dem Sonettzyklus an Eduard Pau
lus26. Friedrich Theodor Vischer, Inhaber des Lehr
stuhls, den Carl Weitbrecht 1893 einnehmen wird,
sprach am 4. Juni 1875 beim Begräbnis Mörikes.
Ein Zitat aus dieser Grabrede, eine Anrede an
26 neu aufgenommen in die Gedichte 1880, Abt. IV Stimmung und Gelegenheit, S. 176.
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27 nach Alfred Biese, Deutsche Literaturgeschichte, Bd. 2, München 1913, S. 677.
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Mörike: "Das Leben, das wirkliche Leben braucht ja noch andere Kräfte, nüchterne, eiserne; auch das Reich der Muse verlangt anders geartete Kräfte noch als die deinen, verlangt Kräfte mit Adlersehnen und mit breitem Schwunge der Fittiche"27
- Mörike wurde gewürdigt, ja, aber als der zeitgemäße kämpferisch gestimmte Dichter wurde er nicht empfunden: Carl Weitbrecht entsprach mit Kriegslieden, "Kernliedern" und kraftvollen germanischen Mythen weitgehend diesem Ideal. Gerade deshalb erscheinen im Jahr 1871 die Romanzen um Bruder Konrad von Bedeutung: Sie zeigen, dass Stimmungen gegensätzlicher Tendenz das Bewusstsein Carl Weitbrechts und seines Freundes im Jahr der deutschen Reichsgründung bestimmt haben.
Schon 1872 sendet Paulus statt Verlobungsanzeige ein heiteres Gedicht- mit eigenhändig hinzugefügtem Datum und Signet, doch in der Handschrift der Verlobten! Schwierigkeiten, mit denen Weitbrecht kämpft, spricht er in einem weiteren Gedicht "An Carl Weitbrecht" an , das er dem Freund ("Stuttg. Feb. 72") sendet.
Eine Frühlingseinladung ergeht von Weitbrecht zurück an den Freund in Stuttgart:
"Markgröningen, 8. März 1872 Lieber Freund, Wissen Sie noch, wie wir heute vor einem Jahre in später Mitternachtsstunde einen Abschiedstrunk bei Kolb thaten? Weiß nimmer, was wir uns noch Gutes gewünscht haben. Gutes haben wir aber jedenfalls indeß erreicht. Mir fehlt
jetzt nur noch Italia, dann sag ich Amen! und
werde Pfarrer. Hier einige Lieder und vielen Dank für die Ihrigen! ... Nun wird die Welt wieder recht für Unsereinen! Über Ostern wird wohl alles grü-
nen und um diese Zeit ist meine Liebste wieder bei
mir. Wie wärs , wenn Sie dann einmal mit der Ihrigen kämen? Auch mein Bruder wird wieder da sein- vielleicht können wir dann abermalen einen Sängerstreit a la "Bruder Conrad" aufführen. Vielleicht komme ich vorher noch einmal nach
Stuttgart. Für heute dies und viele Frühlingsgrüße! Ihr tr(euer) CW"
Paulus antwortet heiter:
"Stuttgart, 25 . Januar 1873 (Am Tag von Pauli Bekehrung) Mein lieber Freund. Schon längst wollte ich Ihnen
schreiben und danken für Ihren I. Brief vom 8. d. M. , aber ich habe so schrecklich viel zu thun, eine
mir ganz ungewöhnte Sache, daß ich keine Zeit habe, zuweilen neue Liebesgedichte zu machen oder 1/4 Liter Bier zu trinken. Mit Ihrem Schreiben bin ich ganz einverstanden namentlich in Betreff des Ganges zum Löwen empor, ja es wäre gut, wenn wir beide wieder im Sternbild des Löwen ständen, unsere Gedanken wieder auszulüften und unsere Lieder wieder auszuwischen, unsere Herzenstiefen wieder auszuleuchten.
Der eine schreibt sich Weitbrecht Der andre Eduard, 0 wären wir jetzt müd necht, Wir gingen auf die Fahrt. Wir gingen in das warme Altrom, zum Petersplatz Ein jeglicher am Arme
den heißgeliebten Schatz.
Fromme Wünsche, göttlicher Erfüllung harrend, Sie indessen in Markgröningen pfarrend, Und ich als Speiche im Schubkarrenrad knarrend,
Aber zugleich in innigster Freundschaft verharrend Als Ihr treuer Freund Eduard Paulus Assistent."
Die herzliche Verbundenheit findet später den unmittelbaren Ausdruck nicht mehr so leicht. Zum Beispiel: In einem Brief Weitbrechts aus dem Züricher Intermezzo taucht zwar endlich das Du auf, verdeckt aber kaum die leicht ironische Distanzierung des Briefschreibers.
"Zürich, 2. März 1890. Lieber Freund! Schreibst du nichts mehr? Seit Jahresfrist laboriere ich an einem längeren literarisch-kritischen Aufsatz über Deine schiefgewickelte dichterische Gesamtpersönlichkeit, und dies ist mit der Grund, warum ich über deinen 'Merlin' im Einzelnen nichts geschrieben habe."
Eigentlich gehört jedoch das 1889 ebenfalls in Zürich im Herzenston verfaßte Gedicht Carl Weitbrechts hierher, zur Würdigung der unverbrüchlichen Freundschaft: An Eduard Paulus28
Heut hab ich wieder auf die Welt geflucht Die mir von jeher stiefgesinnt gewesen, Dann hab ich deine Lieder vorgesucht Und hab mich wieder dran gesund gelesen.
Wennirgendwo auf meinem Lebensgang Ganz reiner Weg, ganz seliger Pfad gewesen, Dann war es dort, wo ich mit dir im Sang Und Zwiegespräch vom Erdenkrebs genesen .
Wenn auf den Hünenburgen uns umspann
Der Götternebel im Novemberwinde, Wenn in das Glas der reine Wein uns rann In Sommernächten unter blühender Linde-
Wenn wir im Pfarrhaus unterm Rebenlaub Des Lebens Rätsel ernst und lachend wogen Und dann durch Marktgewühl und Kehrichtstaub Der Alltagsgassen zu den Münstern zogen -
Wenn wir vom Apennin aufs weite Meer Voll Andacht wie verklärte Geister schauten,
Indes dort unten wechselfarbig schwer Um Felsenschloß und Turm die Nebel brauten-
Wenn durch die stolzen Gassen von Florenz Wir wie mit Ghirlandajos Menschen streiften Und durch den anemonenbunten Lenz Der üppigen Medicäervillen schweiften -
Wenn uns aus allem Pfaffentrug zum Licht die klaren Bauten Brunellescos hoben Und helle Gottesfunken ins Gesicht Vom Meißel Michelangelos uns stoben -
Und wenn wir, heimgekehrt ins deutsche Land, Uns trotzig wieder gegen Larven stellten Und siegreich standen, Schwert und Glas zur Hand, Ob noch so heiser kleine Füchse bellten -
Wenn- das war Leben, wie ein ganzes Stück Von dem, was ewig fest, was nie verwittert! Und seh ich klaren Augs darauf zurück, Begreif ich nicht, wie je mein Herz gezittert.
Vorwärts durch Wust und Rauch und blödes Nichts, Das wichtigdumm sich bläht und morgen modert! Und dann ins Grab! - wir Erben jenes Lichts, Von dem wir sicher wissen, wo es lodert!
28 Gesammelte Gedichte 1903 S. 305
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