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Morphologie der Lunge und Entwicklung des Gasaustauschapparates Stefan A. Tschanz und Peter H. Burri 1 Morphologie der Lunge 1.1 Innere Organisation der Lunge Die Lunge beinhaltet 3 Kompartimente: Luft, Gewebe und Blut, ihre Anteile betragen respektive 86,8 und 6 %. Während die Luft- und Blutvolumina sich mit jedem Atemzug ändern, bildet das Gewebekompartiment das zwar formexible, aber doch stabile Organgerüst. Ihm kommt die Aufgabe zu, Luft und Blut im Organ zu transportieren, zu verteilen und in innigen Kontakt zueinander zu bringen, sodass zwischen den beiden Medien O 2 und CO 2 durch Diffusion efzient ausgetauscht werden kann. Die Anforderungen an das System als Ganzes sind extrem hoch, so z. B. an die Gasaustausch- region (= Lungenparenchym) mit der zarten Luft-Blut- Schranke: An den dünnsten Stellen ist die Gewebebarriere mit 0,2 μm ca. 250-mal dünner als Zeitungspapier und trotzdem kommt es beim Atmen, und meist selbst beim Husten, nicht zu einem Austritt von Blut in den Luftraum. Die Inhalte der Luft- und Blutkompartimente werden lau- fend erneuert, das Luftvolumen durch die vom Zwerchfell und der thorakalen Atemmuskulatur, sowie der elastischen Retraktionskraft erzeugten Volumenänderungen des Thorax- raums und das Blut im pulmonalen und bronchialen Kreislauf durch die Pumpaktion des Herzens. Leitende Luftwege Der Luftwegsbaum der menschlichen Lunge ist nach dem Prinzip der unregelmäßigen Dichotomie aufgebaut, was bedeutet, dass sich von zentral bis peripher jeder Röhrenab- schnitt in 2 Äste teilt. Die beiden Äste können aber von ungleichem Kaliber sein, und deren Abgangswinkel vom Stamm kann ebenfalls differieren. Insgesamt kommt es so nach der Trachea (=0. Generation) und den beiden Haupt- bronchien (=1. Teilungsgeneration) zur Ausbildung von 22 intrapulmonalen Verzweigungsgenerationen (Abb. 1). Ein Gasaustausch setzt im Mittel erst ab der 15.16. Genera- tion, nach den Bronchioli terminales (letztes Segment ohne Alveolen) ein, nimmt dann aber peripheriewärts gegenüber der Luftleitungrasch an Bedeutung zu. Die makroskopi- sche Gliederung der Lunge reektiert das Verzweigungsmus- ter der ersten Luftwegsgenerationen. So entstehen Lungen- lappen und Lungensegmente (Abb. 2) und schließlich die kleineren bereits von Bronchiolen versorgten unvollständig septierten Lobuli und Acini. Der Acinus bezeichnet die funk- tionale Grundeinheit des Lungenparenchyms, welche von einem Bronchiolus terminalis versorgt wird. Trachea und Bronchien enthalten in ihrer Wand Knorpel- stücke, die entweder als hufeisenförmige, hinten offene Ringe oder als unregelmäßig geformte, in der Größe stark variable Platten in einer sog. Tunica brocartilaginea einge- lassen sind. Bronchiolen dagegen sind knorpelfrei, besitzen aber eine funktionell bedeutsame Schicht glatter Muskulatur. Die epitheliale Auskleidung der Luftwege bildet von zentral bis peripher ein Kontinuum, dessen strukturelle Modikation in Abb. 3 wiedergegeben ist. Die Bronchien werden von einem klassischen respiratorischen Epithel ausgekleidet: ein mehrreihiges Flimmerepithel mit eingestreuten Becherzellen, das auf einer kräftigen, auch lichtmikroskopisch auffälligen Basalmembran sitzt. Die sog. Basalzellen, welche mit ihrem Zellapex das Lumen nicht erreichen, stellen den Proliferati- onspool dar, der die funktionstragenden Zellen durch Teilung, Differenzierung und Reifung ersetzt. Im Epithel eingestreut nden sich auch neuroendokrine Zellen (APUD- Zellen, amine precursor uptake and decarboxylation). Diese Elemente können einzeln oder gruppiert in der Form von neuroepithelialen Körpern (NEB, Neuro-Epithelial Bodies) vorkommen. Neben hormonellen Aktivitäten werden dieser heterogenen Zellpopulation auch Funktionen im Bereich der Regeneration und der Sauerstoffdetektion zuge- schrieben. Bronchioläre, mit Mikrovilli besetzte Bürstenzel- len (= fragliche Chemorezeptoren) und Abwehrzellen sind S. A. Tschanz (*) · P. H. Burri Universität Bern, Institut für Anatomie, Bern, Schweiz E-Mail: [email protected]; [email protected] © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 G. F. Hoffmann et al. (Hrsg.), Pädiatrie, Springer Reference Medizin, https://doi.org/10.1007/978-3-642-54671-6_171-2 1

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Morphologie der Lunge und Entwicklung desGasaustauschapparates

Stefan A. Tschanz und Peter H. Burri

1 Morphologie der Lunge

1.1 Innere Organisation der Lunge

Die Lunge beinhaltet 3 Kompartimente: Luft, Gewebe undBlut, ihre Anteile betragen respektive 86,8 und 6 %.Währenddie Luft- und Blutvolumina sich mit jedem Atemzug ändern,bildet das Gewebekompartiment das zwar formflexible, aberdoch stabile Organgerüst. Ihm kommt die Aufgabe zu, Luftund Blut im Organ zu transportieren, zu verteilen und ininnigen Kontakt zueinander zu bringen, sodass zwischenden beiden Medien O2 und CO2 durch Diffusion effizientausgetauscht werden kann. Die Anforderungen an das Systemals Ganzes sind extrem hoch, so z. B. an die Gasaustausch-region (= Lungenparenchym) mit der zarten Luft-Blut-Schranke: An den dünnsten Stellen ist die Gewebebarrieremit 0,2 μm ca. 250-mal dünner als Zeitungspapier und trotzdemkommt es beim Atmen, und meist selbst beim Husten, nichtzu einem Austritt von Blut in den Luftraum.

Die Inhalte der Luft- und Blutkompartimente werden lau-fend erneuert, das Luftvolumen durch die vom Zwerchfellund der thorakalen Atemmuskulatur, sowie der elastischenRetraktionskraft erzeugten Volumenänderungen des Thorax-raums und das Blut im pulmonalen und bronchialen Kreislaufdurch die Pumpaktion des Herzens.

Leitende LuftwegeDer Luftwegsbaum der menschlichen Lunge ist nach demPrinzip der unregelmäßigen Dichotomie aufgebaut, wasbedeutet, dass sich von zentral bis peripher jeder Röhrenab-schnitt in 2 Äste teilt. Die beiden Äste können aber vonungleichem Kaliber sein, und deren Abgangswinkel vomStamm kann ebenfalls differieren. Insgesamt kommt es sonach der Trachea (=0. Generation) und den beiden Haupt-

bronchien (=1. Teilungsgeneration) zur Ausbildung von22 intrapulmonalen Verzweigungsgenerationen (Abb. 1).Ein Gasaustausch setzt im Mittel erst ab der 15.–16. Genera-tion, nach den Bronchioli terminales (letztes Segment ohneAlveolen) ein, nimmt dann aber peripheriewärts gegenüberder „Luftleitung“ rasch an Bedeutung zu. Die makroskopi-sche Gliederung der Lunge reflektiert das Verzweigungsmus-ter der ersten Luftwegsgenerationen. So entstehen Lungen-lappen und Lungensegmente (Abb. 2) und schließlich diekleineren bereits von Bronchiolen versorgten unvollständigseptierten Lobuli und Acini. Der Acinus bezeichnet die funk-tionale Grundeinheit des Lungenparenchyms, welche voneinem Bronchiolus terminalis versorgt wird.

Trachea und Bronchien enthalten in ihrer Wand Knorpel-stücke, die entweder als hufeisenförmige, hinten offeneRinge oder als unregelmäßig geformte, in der Größe starkvariable Platten in einer sog. Tunica fibrocartilaginea einge-lassen sind. Bronchiolen dagegen sind knorpelfrei, besitzenaber eine funktionell bedeutsame Schicht glatter Muskulatur.Die epitheliale Auskleidung der Luftwege bildet von zentralbis peripher ein Kontinuum, dessen strukturelle Modifikationin Abb. 3 wiedergegeben ist. Die Bronchien werden voneinem klassischen respiratorischen Epithel ausgekleidet: einmehrreihiges Flimmerepithel mit eingestreuten Becherzellen,das auf einer kräftigen, auch lichtmikroskopisch auffälligenBasalmembran sitzt. Die sog. Basalzellen, welche mit ihremZellapex das Lumen nicht erreichen, stellen den Proliferati-onspool dar, der die funktionstragenden Zellen durchTeilung, Differenzierung und Reifung ersetzt. Im Epitheleingestreut finden sich auch neuroendokrine Zellen (APUD-Zellen, „amine precursor uptake and decarboxylation“).Diese Elemente können einzeln oder gruppiert in der Formvon neuroepithelialen Körpern (NEB, Neuro-EpithelialBodies) vorkommen. Neben hormonellen Aktivitäten werdendieser heterogenen Zellpopulation auch Funktionen imBereich der Regeneration und der Sauerstoffdetektion zuge-schrieben. Bronchioläre, mit Mikrovilli besetzte Bürstenzel-len (= fragliche Chemorezeptoren) und Abwehrzellen sind

S. A. Tschanz (*) · P. H. BurriUniversität Bern, Institut für Anatomie, Bern, SchweizE-Mail: [email protected]; [email protected]

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019G. F. Hoffmann et al. (Hrsg.), Pädiatrie, Springer Reference Medizin,https://doi.org/10.1007/978-3-642-54671-6_171-2

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ebenfalls in verhältnismäßig geringer Zahl eingestreut. ImEpithel vorkommende Nervenendigungen sind heute nochwenig untersucht, könnten aber mit ihrer Reaktivität aufReizstoffe von großer Bedeutung sein.

In der Lamina propria der Schleimhaut findet sich einauffallend kräftiges Netz von bevorzugt längs verlaufendenelastischen Fasern. Die seromukösen Glandulae trachealesund bronchiales erstrecken sich oft von der Lamina propriadurch die verschiedenen Wandschichten hindurch bis in dieAdventitia hinein. Diese Drüsen und die Becherzellen produ-zieren sowohl eine niedrig visköse Flüssigkeitsschicht, in derdie Zilien schlagen, wie auch die klebrige muköse Deckschicht,deren Funktion nebst Befeuchtung der Luft im Abfangen von inder Einatmungsluft enthaltenen Partikeln besteht. Dank demsynchronisierten rhythmischen Zilienschlag werden die Partikelin effizienter Weise rachenwärts transportiert und durch Ver-schlucken entsorgt. Zur Peripherie hin nimmt das Epithelstetig an Höhe ab, um schließlich einschichtig zu werden. Inden Bronchiolen werden die Becherzellen durch Keulen- oder

Clubzellen (ehemals Clara-Zellen) ersetzt, welche dort zwi-schen 10 und 20 % der Zellpopulation ausmachen. Sie sindfunktionell heterogen, wobei sie sicher sekretorisch tätigsind und verschiedene Bestandteile des Oberflächenfilms derBronchiolen produzieren, u. a. stellen sie die Hauptquelledes Clubzell-sekretorischen Proteins (CCSP oder CC16) dar.Weitere wichtige Rollen der Keulen-Zellen sind Immun-modulation, Detoxikation (Sauerstoffradikale u. a.) sowie alsStammzellen für die Regeneration des Luftwegsepithels.

BlutgefäßeDie Lunge wird von 2 nicht vollständig getrennten Blutkreis-läufen versorgt.

A. Der Lungenkreislauf (auch als Vasa publica bezeichnet)dient der Versorgung des gesamten Organismus mit Sau-erstoff und evakuiert das im Körper anfallende Kohlen-dioxid in die Ausatmungsluft. Der Truncus pulmonalisentspringt dem rechten Ventrikel, führt venöses Blut undbedient mit der rechten und der linken Aa. pulmonalesrespektive die rechte und die linke Lunge. Generell ver-laufen die sich aufteilenden pulmonalen Arterien mit den

Trachea

Hauptbronchien

Bronchien

Bronchiolen

Bronchiolusterminalis

Übergangs-Bronchiolen

Bronchiolirespiratorii

Ductusalveolares

Saccialveolares

Acinus

Leite

nde

Luftw

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Gas

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Generation

0

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Abb. 1 Organisation der Luftwege in der menschlichen Lunge mitZuordnung der Generationenzahl dichotomer Verzweigungen zu denbeiden funktionellen Luftwegsabschnitten. Das Diagramm basiert ver-einfachend auf regulärer Dichotomie. Der blau unterlegte Bereich ent-spricht einem Acinus, welcher peripher eines Bronchiolus terminalisbeginnt. (Mod. nach Weibel 1963)

Abb. 2 Atemwege: Trachea bis Segmentbronchien in Frontalansicht.Rechte Lunge: Die Segmente 1–3 bilden den Oberlappen, 4 und 5 denMittellappen (Zahlen im Kreis) und 6–10 den Unterlappen (Zahlen imQuadrat). Links wird der Oberlappen von den Segmenten 1–5 und derUnterlappen (Zahlen im Quadrat) von den Segmenten 6–10 gebildet

2 S. A. Tschanz und P. H. Burri

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Bronchien und versorgen schließlich über die Arteriolendas Kapillarnetz des Lungenparenchyms. Die Lungenve-nen sammeln das nun O2-reiche Blut und führen es zu-rück zum Herzen in den linken Vorhof, wo je 2 rechte und2 linke Vv. pulmonales münden.

B. Der Bronchialkreislauf (auch als Vasa privata bezeichnet,d. h. für den Eigengebrauch bestimmt) versorgt dasGewebe der gröberen Leitstrukturen der Lunge. DieBronchialarterien (Rami bronchiales) sind als Äste desgroßen Kreislaufs kleine muskuläre Arterien von kräf-tigem Wandbau. Sie entstammen der Aorta, respektiveden Interkostalarterien und verlaufen im Begleitbindege-webe der großen Luftwege bis zu den Bronchiolen. DasBlut aus dem bronchialen Kapillarnetz zentraler Lungen-abschnitte sammelt sich in kleinen Venen, welche in dieV. azygos, respektive V. hemiazygos abfließen. Weiterperipheriewärts in der Lunge fließt das Blut aus demBronchialkreislauf in die Lungenvenen ab. Dadurchkommt es zu veno-venösen Verbindungen zwischen denbeiden Kreisläufen. Weitere bronchopulmonale Verbin-dungen bestehen offenbar auf verschiedenen Ebenen(arterio-arterielle und arterio-venöse Anastomosen), aberüber deren funktionelle Bedeutung herrscht Unklarheit.

Bindegewebsgerüst der Lunge und LymphabflussDie Lymphbahnen der Lungen halten sich an die gröberenBindegewebsstrukturen, deren Anordnung hier kurz zuschildern ist.

Das bindegewebige Gerüst der Lunge lässt sich in3 Anteile gliedern:

• Das axiale Bindegewebe, welches den Bronchialbaumund die Begleitarterien einhüllt und sich prinzipiell vomHilus bis in die Alveoleneingangsringe erstreckt.

• Das Mantelbindegewebe (auch peripheres Bindegewebegenannt), welches primär die Hülle der Lunge bildet. Vonder Bindegewebsschicht unter der Pleura visceralis ziehenSepten in das Organ hinein und teilen es unvollständig ingrößere und kleinere Parenchymuntereinheiten.

• Das septale Bindegewebe, welches die Interalveolarseptendurchzieht und somit axiales und peripheres Bindegewebemiteinander verspannt.

Diese Bauweise sorgt dafür, dass die dünnwandigen Bron-chiolen des Lungenparenchyms auch beim Ausatmen offenbleiben. Lymphgefäße kommen nur im axialen und im Man-telbindegewebe vor. Im Lungenparenchym selbst wird dieinterstitielle Flüssigkeit des Lungenläppchens im Bindege-webe des Interalveolarseptums entweder zentralwärts zu denperibronchialen und perivaskulären Bindegewebsscheidenoder zunächst peripheriewärts ins Mantelbindegewebe hin-geführt, wo sie von Lymphkapillaren aufgenommen wird, umschließlich hiluswärts abzufließen. Die ersten Lymphknoten-stationen liegen intrapulmonal (Nodi lymphatici pulmona-les), die nächsten liegen dann an den Lappenbronchien (Nodilymphatici bronchopulmonales), die weiteren an den Haupt-bronchien, an der Bifurkation sowie entlang der Trachea(Nodi lymphatici tracheobronchiales superiores et inferioresund Nodi lymphatici tracheales). Der Lymphabfluss gelangtlinks via Truncus bronchomediastinalis sinister und Ductusthoracicus und rechts via Truncus bronchomediastinalis dex-

Becherzellen

FlimmerzellenKeulenzellen

Surfactant Kapillare

Surfactant

Mukus

Hypophase

Epithel

Lamina propria

Tunicamuscularis

Tunicafibrocartilaginea

Tunicaadventitia

Drüse

Knorpel

Typ 2 Pneumozyt

Typ 1 Pneumozyt

Interalveolarseptum

GasaustauschregionBronchiolusLuftröhre/Bronchus

Basalmembran

Abb. 3 Veränderungen im Wandbau der Atemwege von zentral nach peripher

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ter in die entsprechenden Venenwinkel (Vereinigungen der V.jugularis interna und der V. subclavia links und rechts).

InnervationDie Lunge wird sympathisch und parasympathisch inner-viert. Die Nervenfasern aus Truncus sympathicus und N. va-gus bilden ein Geflecht, das sich als Plexus pulmonalis umden jeweiligen Hauptbronchus ausbreitet und am Hilus in dieLunge eindringt. Der Plexus innerviert vornehmlich die glatteMuskulatur der Luftwege und Gefäße, aber auch Drüsen. DieAfferenzen in parasympathischen und sympathischen Fasernstammen von Dehnungs- und möglicherweise Chemorezep-toren und führen auch Schmerzempfindungen zentralwärts.

1.2 Feinbau der Gasaustauschregion

AlveolenDer Gasaustausch der Lunge findet im Lungenparenchym inden Alveolen statt. Ab ca. der 15. Generation der Luftwege,dem Beginn eines Acinus, treten diese kleinen Bläschen auf(Abb. 1), die traubenförmige Gruppen bilden und die respi-ratorischen Bronchiolen und die Ductus und Sacci alveolaresumlagern (Abb. 4). Es sind polyhedrische Strukturen, dereneine wandlose Seite sich zu den Luftwegen öffnet. Ihre dichtePackung wird oft mit der Anordnung von Honigwaben ver-glichen. Die hohe geometrische Komplexität des Lungenpa-renchyms wird auch durch die bemerkenswert hohe Zahl vonannähernd 500 Mio. Alveolen im Adulten unterstrichen. Diesresultiert in einer hohen Gasaustauschoberfläche, welche im

1. Lebensjahr bereits 15–20 m2 und bei Erwachsenen beein-druckende 140 m2 erreicht.

Eine Alveolarwand ist, außer in den periphersten Bläs-chen, stets 2 benachbarten Alveolen gemeinsam und wirddeshalb als interalveoläres (oder auch einfach alveoläres)Septum bezeichnet (Abb. 5). In der Alveolarwand liegt einsehr dichtes Kapillarnetz, das ungefähr 50 % des Septumvo-lumens einnimmt. Ein Netz von elastischen Fasern und kol-lagenen Fibrillen zieht durch die Maschen des Kapillarnetzes.Es ist Teil eines Kontinuums, das durch das Lungenparen-chym von der Pleura zum Hilus zieht und deshalb Brust-wand- und Zwerchfellbewegungen bis in die Tiefe desOrgans weitervermitteln kann. Die elastischen Fasernetzetragen zur Retraktionskraft der Lunge bei, allerdings nur etwazu einem Drittel, da der größere Anteil durch Oberflächen-kräfte an der Luft-Flüssigkeits-Grenze erzeugt wird.

Die Interalveolarsepten sind durch kleine rundlicheLöcher durchbrochen, die sog. Kohn-Poren (Abb. 4). Siehaben einen Durchmesser von 3–15 μm und sind unter nor-malen Bedingungen durch eine Surfactant-Doppellage (s. un-ten) verschlossen. Aus diesem Grund ist wohl die Hypothesedass sie der Nebenbelüftung benachbarter Alveolen dienen,nicht korrekt. Hingegen stellen sie für die Makrophagen,welche im Surfactant an der Alveolaroberfläche herumkrie-chen, Durchtrittsstellen von einer Alveole zur anderen dar.

Abb. 4 Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme des Parenchymseiner menschlichen Lunge (17. Lebensmonat). Die Alveolen liegendicht aneinander und gruppieren sich um die Ductus alveolares. In denAlveolen sind vereinzelt Makrophagen vorhanden, einige Kohn-Porendurchbrechen die Interalveolarsepten. (da Ductus alveolaris, mpMakro-phage, kp Kohn-Pore. Vergrößerung ca. 80-fach. Balken: 200 μm)

Abb. 5 Elektronenmikroskopische Aufnahme eines Ausschnitts einesinteralveolären Septums einer menschlichen Lunge (19. Lebensjahr).Die Kapillaren nehmen praktisch die ganze Breite des Septums ein.Dünnere und dickere Abschnitte der Luft-Blut-Schranke sind oft wech-selseitig angeordnet. In der Ausschnittvergrößerung wird der 3-schichtigeBau der dünnsten Anteile der Luft-Blut-Schranke deutlich mit Epithel,Basalmembran und Endothel. (kap Kapillaren, ec Erythrozyten, en Endo-thel, ep1 Pneumozyt 1, ep2 Pneumozyt 2, bm Basalmembran. Vergröße-rung: 1800-fach, Balken: 10 μm. Ausschnitt: 8000-fach, Balken: 1 μm)

4 S. A. Tschanz und P. H. Burri

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Luft-Blut-SchrankeDie Luft-Blut-Schranke besteht aus 3 Komponenten (Abb. 5):eine äußerst dünn ausgezogene Typ-1-Epithelzellplatte, einedünne Schicht interstitiellen Gewebes, die in den dünnstenAbschnitten der Barriere auf eine einfache Basalmembranreduziert ist, und eine dünn ausgezogene Endothelschicht.Die mittlere Schrankendicke, gewichtet entsprechend derDiffusionsrelevanz (= sog. harmonisches Mittel), liegt bei0,6 μm. An vielen Stellen beträgt die Schrankendicke lokalunter 0.2μm. Auf der alveolären Oberfläche liegt ein dünnerFlüssigkeitsfilm, der Surfactant, welcher an der Gas-Flüssig-keits-Grenzfläche die Oberflächenspannung herabsetzt, wo-durch das Atmen erst möglich wird. Er stellt ein komplexeswässriges Gemisch von Phospholipiden und Proteinen dar,das elektronenmikroskopisch als Hypophase mit einemosmiophilen Oberflächenfilm dargestellt werden kann.Gleichzeitig füllt der Surfactant die Nischen und Vertiefun-gen des Alveolarepithels sowie die Kohn-Poren aus undglättet damit die innere Oberfläche der Lunge.

AlveolarepithelzellenZwischen 90 und 95 % der Gasaustauschoberfläche wird vonTyp-1-Pneumozyten bedeckt. Es sind platt ausgezogene Zel-len, die derart weitreichende dünne Zytoplasmalamellen(Dicke oft nur 0,05–0,2 μm) besitzen, dass sie wohl wegendieser extremen Spezialisierung ihre Teilungsfähigkeit verlo-ren haben. Die Kernregion dieser Zellen ist zwar dicker, aberspärlich mit Zellorganellen ausgestattet. Sie liegt oft inMaschen des Kapillarnetzes, wo sie nicht mit der Gasdiffu-sion interferiert. Eine einzelne Zelle kann mit ihren Ausläu-fern sogar beide Seiten eines Septums überziehen. DieTyp-2-Pneumozyten bedecken zwar nur 5–8 % der Alveolar-oberfläche, sind aber als kleine, rundliche Nischenzellenwesentlich zahlreicher (bis 1,5-mal) als die Typ-1-Zellen.Ihr Zytoplasma ist gut mit Organellen ausgestattet und enthältapikal besondere Granula, die Lamellenkörperchen, welchedie intrazellulär gespeicherte, sichtbare Vorstufe des Surfac-tants darstellen. Neben dieser sekretorischen Aktivität geltendie Typ-2-Zellen auch als Stammzellen für den epithelialenZellersatz der Alveolaroberfläche: Dies bedeutet, dass siesich in Typ-1-Pneumozyten differenzieren können.

Der Pneumozyt 3 schließlich ist ein seltener Zelltyp, derwegen seiner Bündel von typischen, an der Spitze abgeflach-ten Mikrovilli auch als pulmonale Bürstenzelle bezeichnetwird. Am häufigsten werden Bürstenzellen jedoch in denLuftwegen, besonders in den peripheren Bronchiolen gefun-den. Ähnliche oder gleiche Zellen kommen aber auch in denEpithelien anderer vom Entoderm abstammenden Organevor. Ihre Funktion ist (speziell im Respirationstrakt) unbe-kannt und ihr Wirken als Chemorezeptoren hypothetisch.

Da die Lunge konsequent auf die Gasaustauschfunktionausgerichtet ist, verwundert es nicht, dass das parenchymale

Interstitium volumenmäßig so knapp wie möglich ausgelegtist. Zudem ist seine Anordnung so optimiert, dass eine Sep-tumkapillare höchstens auf einer Seite von einem etwas brei-teren Band von Interstitium flankiert wird; auf der anderenSeite finden sich jeweils die dünnen Abschnitte der Luft-Blut-Schranke (Abb. 5).

Die Zellen des interstitiellen Bindegewebes des alveolärenSeptums stellen keine einheitliche Population dar. NebenProduktion und Unterhalt der Fasern und der extrazellulärenMatrix des Septums hat ihre Kontraktilität eine große funk-tionelle Bedeutung. Sie verspannen Epithelien und Endothe-lien miteinander und regulieren die Compliance des Binde-gewebsraums. Sie können dadurch unter physiologischenBedingungen die Akkumulation von Flüssigkeit im intersti-tiellen Raum verhindern. Obschon die Zellen generell alsMyofibroblasten bezeichnet werden, muss man heute anneh-men, dass je nach Lokalisation (lungenperipher oder -zentral,oder entsprechend der Position im Septum) ihre Funktionspezifisch angepasst ist. Sie können auf Differenzierung undFunktion des darüber liegenden Epithels Einfluss nehmen.

Die Endothelzellen schließlich bilden die Kapillarwand.Mit ihren dünnen Ausläufern ähneln sie den Typ-1-Zellen,breiten sich aber weniger weit aus. Die Lungenkapillarensind vom geschlossenen Typ, d. h. von einer undurchbroche-nen Endothelzelllage umgeben. Zusätzlich werden sie voneiner Basalmembran umhüllt, die sie sich an den dünnenStellen der Luft-Blut-Schranke mit den Pneumozyten teilen.Die Kapillarendothelien sind mit Perizyten assoziiert.

2 Lungenentwicklung

Tab. 1 und Abb. 6 geben eine Übersicht über die Abschnitteund Stadien der Lungenentwicklung. Um den 26. Tag ent-steht die Lungenanlage als ventrale Knospe des Vorderdarms,die rasch ins umliegende Mesenchym vorwächst und sichdabei irregulär dichotom teilt. Bald sind Lappen- und Seg-mentbronchien präformiert, und die Lunge tritt ins pseudo-glanduläre Stadium ein. Während früher einhellig die Ansichtherrschte, dass in diesem Stadium nur der konduktiveAbschnitt des Luftwegbaums entsteht, bestehen deutlicheHinweise, wonach auch wesentliche Anteile des prospektivrespiratorischen Parenchyms ausgebildet werden. Um die 17.Woche lassen sich die Anlagen der künftigen Acini bereitserkennen (15. Luftwegsgeneration), ein Merkmal, welchesden Übergang vom pseudoglandulären Stadium ins kana-likuläre markiert. Die kanalikuläre Phase ist für die Klinikvon großer Bedeutung. Es kommt zu einer massivenKapillarisierung des Parenchyms und damit gekoppelt zueiner Differenzierung der bis dahin kubischen Epithelien inTyp-1- und Typ-2-Pneumozyten. Gegen Ende dieses Stadi-ums liegen also bereits dünne Luft-Blut-Schranken (Typ-1-

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Zellen) vor, und differenzierte Typ-2-Zellen nehmen dieSurfactant-Produktion auf. Damit erhält ein Frühgeborenesnoch vor Ende dieses Stadiums (ca. 24. SSW) erstmals eineÜberlebenschance (Kap. ▶ „Lungenkrankheiten bei Früh-und Neugeborenen“).

In der folgenden sakkulären Phase kommt es zu einermassiven Erweiterung der Gasaustauschzone und vermutlichzur Bildung der letzten Generationen der Lufträume. DieEndabschnitte werden von kleinen Sacculi gebildet, die sehroft unpräzise bereits als Alveolen bezeichnet werden. Dieeigentliche Alveolisation setzt aber erst wenige Wochen vorder Geburt ein. Die Anzahl der Alveolen im Moment derGeburt ist umstritten, die Angaben verschiedener Autorengehen von praktisch keinen Alveolen bis zu 100 Mio. Das

Zählen der entstehenden Alveolen ist tatsächlich ein schwie-riges technisches Unterfangen. Man kann aber annehmen,dass im Durchschnitt wohl höchstens ein Sechstel der Alve-olen des adulten Menschen bei der Geburt vorhanden sind.Die Alveolisation ist folglich klar ein hauptsächlich postna-taler Prozess.

Ein Merkmal der sakkulären Lunge ist das Vorhandenseinvon 2 aufeinanderliegenden flächenhaften Kapillarnetzen inden intersakkulären Septen. Diese unreife Septenstruktur istVoraussetzung für den Alveolisationsvorgang (Abb. 7). Unterdem Einfluss des Zugs elastischer Fasernetze werden neueinteralveoläre Septen durch Auffaltung einer der beidenLagen von Kapillaren gebildet (Abb. 7d). Diese Auffaltungensind als Sekundärsepten bezeichnet worden, im Gegensatz zu

Tab. 1 Stadien der Lungenentwicklung

Periode Stadium Zeitspanne Dauer SSL Ereignis

EmbryonalePeriode

EmbryonalesStadium

26. Tag bis8. Woche

30Tage

0,3–2,5 cm Organogenese, Bildung der großen Luftwege

FetalePeriode

PseudoglanduläresStadium

5.–17. Woche 85Tage

0,6–12 cm Bildung des Bronchialbaums und von Abschnitten derprospektiven Gasaustauschzone; „Geburt des Acinus“

KanalikuläresStadium

16.–26.Woche

70Tage

10–23 cm Bildung weiterer Luftwegsgenerationen im Lungenparenchym;Differenzierung des Epithels: Bildung dünner Luft-Blut-Schranken, Start der Surfactant-Produktion

SakkuläresStadium

24. Woche bisGeburt

100Tage

22–35 cm Expansion der Lungenperipherie; Abschluss der Teilung desLuftwegssystems

PostnatalePeriode

Stadium derAlveolenbildung

36. Wochea.p. bis 18.Monat p.p

560Tage

33 cm Alveolisation durch Septierung

Stadium dermikrovaskulärenReifung

Geburt bis2.–3. Jahr

2–3Jahre

Umbau der interalveolären Septen; Restrukturierung undReifung des Kapillarbetts

SSL Scheitel-Steiß-Länge, a.p. ante partum, p.p. post partum

Abb. 6 Zeitsequenz der Entwicklungsschritte der Lunge

6 S. A. Tschanz und P. H. Burri

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den Primärsepten, welche die Sacculi voneinander abgren-zen. Aus Abb. 7 wird deutlich, dass aber primäre und sekun-däre Septen doppelte Kapillarnetze besitzen. Beide Formensind somit unreif im Vergleich zu typischen adulten Inter-alveolarwänden (Abb. 5 und 7e). Deshalb ist die Lungenent-wicklung mit der Phase der Alveolisierung noch nicht abge-schlossen. Die ganze Kapillardoppellage der Interalveolarseptenmuss noch in die reife adulte Form transformiert werden.Dies geschieht in der Phase der mikrovaskulären Reifung(Abb. 7e). Durch diesen letzten Prozess gewinnt das Lungen-parenchym erst sein definitives Aussehen: schlanke interal-veoläre Septen, in denen ein einziges Kapillarnetz mit den

Bindegewebsfasern verwoben ist. Die auffällige Veränderungder Kapillarstruktur wird durch zwei Prozesse ermöglicht:Kapillarfusionen zwischen den beiden Kapillarschichtenund differenzielles Wachstum, d. h. fusionierte Abschnittewachsen schneller und stärker als nicht verschmolzene.Durch diese Vorgänge, die z. T. überlappend mit der Alveo-lisation ablaufen, wird die Lungenentwicklung etwa im3. Lebensjahr grosso modo abgeschlossen und es liegt eine„reife“ Lunge vor.

In der Parenchymperipherie (subpleural, perivaskulär,peribronchial) sind, aufgrund der dortigen Anordnung derKapillaren, die strukturellen Voraussetzungen für eine anhal-

Abb. 7 a-e Entwicklung des Lungenparenchyms in verschiedenenStadien mit besonderer Beachtung der Anordnung der Kapillaren.a Im pseudoglandulären Stadium bilden die Kapillaren im Mesenchymein lockeres Maschennetz. b Im kanalikulären Stadium kommen dieKapillaren enger an die prospektiven Luftwegstubuli zu liegen. Esdifferenzieren sich Typ-1- und Typ-2-Epithelzellen. Jeder Luftwegerhält eine Scheide aus Kapillaren, was in den Septen zu einer doppeltenKapillarlage führt. c Zustand im sakkulären Stadium: Die intersakkulä-ren Wände weisen 2 Lagen von Kapillaren auf, eine Voraussetzung fürdie Alveolisierung. d Im Stadium der Alveolisation kommt es zur

Auffaltung einer Kapillarlage und Bildung des interalveolären Septums(Pfeile wachsende sekundäre Septen). Alle Septen sind aber noch unreif(Doppelkapillaren) und müssen nun das Stadium der mikrovaskulärenReifung durchlaufen. e Nach der mikrovaskulären Reifung ist die Mor-phologie des adulten Septums mit einer Lage Kapillaren erreicht (linkspartiell verwirklicht; Abb. 5). me Mesenchym (hellblau), tub Tubuli,can Canaliculi, sac Sacculi, vz kuboidale Vorläuferzellen (blau), kapKapillaren (rot), alv Alveolen, in Interstitium (hellblau), ep1 Typ-1-Pneumozyt (hellbraun), ep2 Typ-2-Pneumozyt (olivbraun), el Elastin(hellgrün)

Morphologie der Lunge und Entwicklung des Gasaustauschapparates 7

Page 8: Morphologie der Lunge und Entwicklung des ... · Morphologie der Lunge und Entwicklung des Gasaustauschapparates Stefan A. Tschanz und Peter H. Burri 1 Morphologie der Lunge 1.1 Innere

tende Alveolenbildung lebenslang gegeben. Im Nagermodellwurde, nach Abschluss der klassischen Alveolisation, expli-zit eine zweite Phase der Alveolenbildung bis in die Adoles-zenz beobachtet. Es wird auch diskutiert, ob in reifen Septendurch Reduplizierung des Kapillarbettes neue Interalveolar-septen aufgefaltet werden können. Es ist noch nicht klar, inwieweit diese potenziell regenerativen Gegebenheiten beimMenschen relevant sind.

3 Wachstum der Lunge

Während der letzten postnatalen Entwicklungsschrittekommt es noch zu markanten quantitativen Verschiebungenin den Kompartimenten der Lunge. Morphometrische Unter-suchungen an Kinderlungen haben ergeben, dass sich wäh-rend der Alveolisation und der mikrovaskulären Reifung diequantitative Zusammensetzung der parenchymalen Kompar-timente sehr stark verändert. In den ersten 18 Monaten nachder Geburt findet ein überproportionales Wachstum der pa-renchymatösen Luft- und Blutvolumina statt. Dies bedeutetnicht nur, dass die Lunge lufthaltiger wird, sondern auch,dass die massive Umstrukturierung des Kapillarbetts mitder Reduktion der Doppellage von Kapillaren zu einer einfa-chen Schicht mit einem kräftigen Wachstumsschub desKapillarnetzes verbunden ist. Damit steigt der Kapillarblut-anteil im Septum auf über 40 % oder der Kapillaranteilinklusive Endothel auf über 50 %. Dieses massive Wachstumdes Kapillarbetts geschieht überwiegend durch das sog.intussuszeptive Kapillarwachstum1 und nicht durch Spros-sung neuer Kapillaren. Dies bedeutet, dass in das flächen-hafte Lungengefäßbett nach Erweiterung der Kapillarenschlanke transkapilläre Gewebepfeiler (Durchmesser unter1,5 μm) eingefügt werden. Diese wachsen anschließend zuKapillarmaschen heran. Durch den Vorgang werden dieKapillaren vermehrt und die Kapillaroberfläche vergrößert.

Die intussuszeptiveWachstumsform wurde erstmals in derLunge beschrieben, aber mittlerweile in vielen Organen undin verschiedenen Spezies nachgewiesen. Es konnte auchgezeigt werden, dass der Intussuszeptionsmechanismus ander Organisation und Restrukturierung des Gefäßbaumsbeteiligt ist.

Während der prozentuale Volumenanteil an Epithel- undEndothelgewebe relativ stabil bleibt, nimmt das Interstitiumin den ersten 18 Monaten deutlich ab; dies geschieht beson-ders auf Kosten der zellulären Bestandteile.

Ab dem Alter von 2–3 Jahren laufen die Wachstumspro-zesse in den Parenchymkompartimenten gleichmäßiger

ab. Auch wenn noch feine Verschiebungen wie z. B. einTrend zur Zunahme des Parenchymluftvolumens auf Kostendes Gewebeanteils morphometrisch nachgewiesen werdenkann, darf man eine Kinderlunge im Alter von 2–3 Jahrenannähernd als miniaturisierte Erwachsenenlunge betrachten.

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1 Intussuszeptives Wachstum bedeutet Wachstum in sich selbst, d. h.durch Einfügen gleicher Struktureinheiten im Innern, wie z. B. beimKnorpelwachstum.

8 S. A. Tschanz und P. H. Burri