Motive in der Selbstverteidigung – Eine qualitative und ... · PDF filetative Studie am...

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dvs Band „Kampfkunst und Kampfsport in Forschung und Lehre 2016“ © Edition Czwalina 1 VALENTINA HEIL, MARIO STALLER, SWEN KÖRNER Motive in der Selbstverteidigung – Eine qualitative und quanti- tative Studie am Beispiel Krav Maga und Wing Chun 1 Einleitung Die Attraktivität verschiedener Kampfkünste und -sportarten auf der Ebene individu- eller Motive wurde unlängst in verschiedenen Forschungsprojekten im deutschspra- chigen Raum untersucht (Hamperl et al., 2014; Kuhn & Macht, 2014; Liebl & Happ, 2015; Meyer, 2012). Motive (lateinisch movere = bewegen) bezeichnen veränder- bare persönlichkeitsspezifische Handlungsziele, welche Menschen dazu veranlas- sen, bestimmte Situationen zu bewerten und individuell in diesen zu handeln (En- ders, 2007; Gabler, 2002). Für Systeme, die dezidiert den Aspekt der Selbstverteidigung in den Mittelpunkt stel- len, liegen bisher noch keine Daten zur Motivstruktur der Ausübenden vor. So stellt sich hier unter anderem die Frage, ob der Sicherheitsaspekt in Selbstverteidigungs- systemen in der Motivstruktur einen erhöhten Stellenwert einnimmt, als dies für die traditionellen Kampfsportarten der Fall ist. Zusätzlich stellt sich die Frage, ob sich die Motive zwischen den Selbstverteidigungssystemen Krav Maga und Wing Chun 1 un- terscheiden. Um diese Fragen zu beantworten, wurde im Rahmen eine Onlineum- frage die Motive für eine Trainingsbeteiligung im Krav Maga und im Wing Chung erhoben. 2 Methode 2.1 Stichprobe Zweiundneunzig unterschiedlich organisierte Anbieter (Krav Maga: n = 40; Wing Chun: n = 52) wurden per Email angeschrieben und gebeten, einen Onlinefragebo- gen zur Motivstruktur im Krav Maga bzw. Wing Chun an ihre Mitglieder zu verteilen. Für Wing Chun sagten 4 Anbieter (7,69 %) eine Beteiligung an der Studie zu (Gary Lam Wing Chung Frankfurt, International Wing Tjun Kung Fu Association, Wing Tsun Concepts, Yong Chun Kung Fu Street Concepts). Im Krav Maga sicherten 4 Anbieter (7,50 %) eine Beteiligung an der Studie zu (Deutscher Krav Maga Verband, train2sur- vive, You Can Fight! Netzwerk). Des Weiteren wurden die Fragebögen – getrennt nach den beiden Selbstverteidigungssystemen – über soziale Medien im Zeitraum vom 01.12.2015 bis zum 31.06.2016 beworben. Die auswertbare, finale Stichprobe bestand aus N = 280 Probanden (Krav Maga, n = 217; Wing Chung: n = 63). Die Aufteilung der Probanden nach Anbietern ist in Tabelle 1 dargestellt. Die Krav Maga Stichprobe bestand aus n = 71 Frauen und n = 1 Im vorliegenden Beitrag wird „Wing Chun“ stellvertretend für alle Schreibweisen (z.B. Wing Tsun, Ving Chun) verwandt.

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VALENTINA HEIL, MARIO STALLER, SWEN KÖRNER Motive in der Selbstverteidigung – Eine qualitative und quanti-tative Studie am Beispiel Krav Maga und Wing Chun

1 Einleitung

Die Attraktivität verschiedener Kampfkünste und -sportarten auf der Ebene individu-eller Motive wurde unlängst in verschiedenen Forschungsprojekten im deutschspra-chigen Raum untersucht (Hamperl et al., 2014; Kuhn & Macht, 2014; Liebl & Happ, 2015; Meyer, 2012). Motive (lateinisch movere = bewegen) bezeichnen veränder-bare persönlichkeitsspezifische Handlungsziele, welche Menschen dazu veranlas-sen, bestimmte Situationen zu bewerten und individuell in diesen zu handeln (En-ders, 2007; Gabler, 2002). Für Systeme, die dezidiert den Aspekt der Selbstverteidigung in den Mittelpunkt stel-len, liegen bisher noch keine Daten zur Motivstruktur der Ausübenden vor. So stellt sich hier unter anderem die Frage, ob der Sicherheitsaspekt in Selbstverteidigungs-systemen in der Motivstruktur einen erhöhten Stellenwert einnimmt, als dies für die traditionellen Kampfsportarten der Fall ist. Zusätzlich stellt sich die Frage, ob sich die Motive zwischen den Selbstverteidigungssystemen Krav Maga und Wing Chun1 un-terscheiden. Um diese Fragen zu beantworten, wurde im Rahmen eine Onlineum-frage die Motive für eine Trainingsbeteiligung im Krav Maga und im Wing Chung erhoben.

2 Methode

2.1 Stichprobe

Zweiundneunzig unterschiedlich organisierte Anbieter (Krav Maga: n = 40; Wing Chun: n = 52) wurden per Email angeschrieben und gebeten, einen Onlinefragebo-gen zur Motivstruktur im Krav Maga bzw. Wing Chun an ihre Mitglieder zu verteilen. Für Wing Chun sagten 4 Anbieter (7,69 %) eine Beteiligung an der Studie zu (Gary Lam Wing Chung Frankfurt, International Wing Tjun Kung Fu Association, Wing Tsun Concepts, Yong Chun Kung Fu Street Concepts). Im Krav Maga sicherten 4 Anbieter (7,50 %) eine Beteiligung an der Studie zu (Deutscher Krav Maga Verband, train2sur-vive, You Can Fight! Netzwerk). Des Weiteren wurden die Fragebögen – getrennt nach den beiden Selbstverteidigungssystemen – über soziale Medien im Zeitraum vom 01.12.2015 bis zum 31.06.2016 beworben. Die auswertbare, finale Stichprobe bestand aus N = 280 Probanden (Krav Maga, n = 217; Wing Chung: n = 63). Die Aufteilung der Probanden nach Anbietern ist in Tabelle 1 dargestellt. Die Krav Maga Stichprobe bestand aus n = 71 Frauen und n =

1 Im vorliegenden Beitrag wird „Wing Chun“ stellvertretend für alle Schreibweisen (z.B. Wing Tsun, Ving Chun) verwandt.

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2 V. HEIL ET AL.: Motive in der Selbstverteidigung

139 Männern. Das Durchschnittliche Alter betrug M = 40,12 (SD = 11,49) Jahre, die durchschnittliche Trainingszeit im Krav Maga M = 3,52 (SD = 3,21) Jahre. Für 7 Pro-banden lagen keine soziodemographischen Daten vor. Die Wing Chung Stichprobe bestand aus n = 17 weiblichen und n = 42 männlichen Personen. Das mittlere Alter betrug M = 37,48 (SD = 11,49) Jahre; das mittlere Trainingsalter M = 12,21 (SD = 9,09) Jahre. Vier Teilnehmer gaben keine soziodemographischen Daten an. Tab. 1. Aufteilung der Stichprobe im Krav Maga / Wing Chun nach Anbietern

Krav Maga Wing Chun Anbieter TN Anbieter TN

train2survive 57 Gary Lam Wing Chun Frankfurt 13 You Can Fight! - Netzwerk 55 Yong Chun Kung Fu Street Concepts 13 International Krav Maga Federation 10 Wing Tsjun Boehlig Defense Systems 6 Krav Maga Force 4 International Wing Tjun Kunf Fu Association 4 Krav Maga Union 4 Wing Tsun Kuen & Escrima Martial Arts 2 Krav Maga Street Defence 3 Classic Dynamik Wing Tsun 1 Krav Maga Global 3 Association for Traditional Ving Tsun Kung Fu 1 World Krav Maga Federation 3 Wing Chun Verband Deutschland 1 International Military Krav Maga 3 Gary Lam Wing Chun Oldenburg 1 German Krav Maga Federation 2 International Academy of WingChun 1 Deutscher Krav Maga Verband 2 Wing Chun Sachsen e.V. 1 Krav Maga Germany Organisation 1 Wing Tsun Concepts 1 Krav Maga Sicherheitstraining 1 Wing Tsun Escirma System 1 Triple-i Krav Maga 1 Europäische Wing-Tsun Organisation 1 Krav Core 1 Yong Chun Kung Fu 1 Krav Maga Self Defence Fighting Skills 1 Wing Tsjun International 1 Krav Maga Self-Protect Association 1 Austrian Krav Maga Association 1 Protactics MSE Germany 1 Krav Maga RSC Göttingen 1 weiß es nicht 1 weiß es nicht 1 kein Verband 52 kein Verband 8 keine Angabe 9 keine Angabe 5 Summe 217 Summe 63

Anmerkung: TN = Teilnehmer

2.1 Material

Der Onlinefragebogen bestand aus einem qualitativen und einem quantitativen Teil. Im ersten Teil wurde in einer offenen Fragestellung nach den Gründen für die Aus-übung des Selbstverteidigungssystems gefragt. Den Teilnehmer wurden die folgen-den Fragen gestellt:

• „Wieso haben Sie mit dem Krav Maga / Wing Chun Training begonnen?“ • „Wieso gehen Sie aktuell ins Krav Maga / Wing Chun Training?“ • „Was sind / wären für Sie Gründe, Krav Maga / Wing Chun nicht mehr zu be-

treiben?“

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Im zweiten Teil wurden die Motive mit Hilfe des Berner Motiv- und Zielinventars (BMZI) von Lehnert et al. (2011) erfasst, das basierend auf den Ergebnissen von Meyer (2012) um Items zu den Kategorien Kämpfen und Macht modifiziert wurde. Die finalen Motivkategorien der Fragebogen-Items waren:

• Kontakt • Wettkampf / Leistung • Ablenkung / Katharsis • Gesundheit / Fitness • Aktivierung / Freude • Ästhetik • Schutz / Sicherheit • Macht • Kampfeslust • Beruf • Blessuren • Um Anderen wehzutun

Zusätzlich wurden soziodemografische Daten erhoben.

2.3 Auswertung

Der Fragebogen konnte im Zeitraum vom 01.12.2015 bis zum 31.06.2016 auf SoSci Survey (https://www.soscisurvey.de) aufgerufen und ausgefüllt werden. Nach Been-digung des Befragungszeitraums wurden die erhobenen Daten in eine Exceltabelle exportiert. Für die Auswertung der drei offenen Fragestellungen kam die qualitative Inhaltsanalyse zur Anwendung. Aus den Antworten der Teilnehmer wurden für die jeweiligen Fragestellungen Motivkategorien gebildet. Die geschlossenen Fragestellungen (BMZI plus zusätzliche Items zu den Kategorien Kämpfen und Macht) wurden statistisch mit SPSS für Windows (Version 24.0) sowie Excel für Windows (Version 2007) durchgeführt. Für jede Motivkategorie wurde der Z-Transformierte Mittelwert (zM) ermittelt. Die Berechnung orientiert sich an den An-gaben des Manual BMZI (Lehnert et al, 2011) und wird wie folgt am Beispiel der Kategorie Wettkampf/Leistung durchgeführt. Der zM ergibt sich aus dem Mittelwert der Kategorie Wettkampf/Leistung minus dem Mittelwert aller Kategorien, geteilt durch die Standartabweichung aller Kategorien. Das Ergebnis wird mit zehn multipli-ziert und mit der Zahl 100 addiert. Für den Vergleich der Geschlechter und der Selbstverteidigungssysteme wurden t-Tests für unabhängige Stichproben mit einem Signifikanzniveau von p = .05 berech-net.

3 Ergebnisse

Im Folgenden werden zunächst die Ergebnisse der qualitativen Auswertung darge-stellt, gefolgt von der quantitativen Auswertung.

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4 V. HEIL ET AL.: Motive in der Selbstverteidigung

3.1 Qualitative Auswertung

Die Motivkategorien sind absteigend in der Relevanz für die jeweiligen Fragestellun-gen in Tabelle 2, Tabelle 3 und Tabelle 4 abgebildet. Hier wird der prozentuale Anteil der Probanden für Krav Maga und Wing Chun sowie die Verteilung der Geschlechter dargestellt. In der Spalte „Erklärung“ sind die Motivkategorien weitergehend erläutert.

3.1.1 Frage 1: „Wieso haben Sie mit dem Training begonnen?“

Im Krav Maga geben die Trainierenden mit 80,32 % an, dass sie Selbstverteidigung erlernen möchten, gefolgt von Fitness mit 38,04 % und dem Wunsch den Kampf-sporthorizont zu erweitern mit 17,18 %. Der Anteil der Frauen, die Selbstverteidigung erlernen möchten ist mit 91,52 % höher als der Anteil der Männer mit 74 %. Der Fitnessaspekt weist bei Männern mit 47,12 % eine höhere Relevanz auf als bei Frauen (22,03 %). Wing Chun Trainierende nennen als Hauptmotivation Selbstver-teidigung mit 60 % und Kultur als zweiten Punkt mit 45,45 %. Als dritte Motivkategorie geben sie Fitness an (30,91%). Die Motivlage Selbstverteidigung zu erlernen ist mit 86 % deutlich höher als bei Männern mit 50 %. Im Vergleich der beiden Selbstverteidigungssysteme weist die Motivkategorie Selbstverteidigung einen höheren Prozentanteil bei den Krav Maga Trainierenden auf. Die Motivlage der Krav Maga Ausübenden ist eher fitness-, kampfsport- und selbstverteidigungsorientiert, während die Motivlage der Wing Chun Trainierenden in Richtung Kultur und Selbstverteidigung tendiert. Tab. 2. Qualitative Auswertung Frage 1: „Wieso haben Sie mit dem Training begonnen?“

System Motivkategorie Prozentualer Anteil Erläuterung Krav Maga 1. Selbstverteidigung

80,32 % gesamt 74,0 % der Männer 91,52 % der Frauen

Effektive SV, realistische Szenarien, Umgang Gefahrensituationen, Angst vor Macht- und Hilfs-losigkeit

2. Fitness 38,04 % gesamt 47,12 % der Männer 22,03 % der Frauen

Leistungsfähigkeit steigern

3. Kampfsporthorizont erwei-tern 17,19 % gesamt 24,04 % der Männer 6,78 % der Frauen

Fortsetzung der Kampfsporterfahrung

4. Sonstige: Neugierde 6,75 % gesamt Selbstvertrauen stärken 6,75 % Dienstlich 4,29 % Stressabbau 1,84 % Soziale Motivation 1,84 % Persönliche Weiterentwick-lung 0,61 %

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Wing Chun 1. Selbstverteidigung 60 % gesamt 50 % der Männer 86 % der Frauen

Nahkampftechniken erlernen, Eigenschutz, Schutz der Familie, Verhalten in Gefahrensituati-onen

2. Kultur 45,45 % gesamt 45 % der Männer 46,66 % der Frauen

Interesse an asiatischer Kampfkunst und Philo-sophie, Filme über Bruce Lee und Kung Fu

3. Fitness 30,91 % gesamt 27,5 % der Männer 40 % der Frauen

Körperlich Fit bleiben, körperliche Beschwerden vermindern, Koordination verbessern

4. Sonstige Mentales Training 14,55 % Selbstvertrauen 10,9 % Durch Bekannte 5,46 % Trainingsort 1,82 %

3.1.2 Frage 2: „Wieso gehen Sie aktuell ins Training?“

Im Krav Maga sind die Motivkategorien Selbstverteidigung und Fitness beständig im Vergleich zur ersten Fragestellung. Der prozentuale Anteil für Fitness steigt auf 49,08 % und der Selbstvereidigungsanteil sinkt auf 59,05 %. Als neue Kategorie wird an dritter Stelle Spaß mit 25,15 % genannt. Wing Chun Trainierende geben als einfluss-reichste Kategorie die philosophische Dimension von Wing Chun (41,83 %) an. Da-nach folgt die soziale Motivation mit 36,36 %. An dritter Stelle wird Fitness mit 36,36 % genannt. Im Vergleich ist die Motivation für Selbstverteidigung bei den Krav Maga Trainieren-den mit 59,05 % deutlich höher als bei den Wing Chun Trainierenden mit 34,04 %. Die soziale Motivation weist im Wing Chun einen höheren Anteil auf (36,06 %) als im Krav Maga (17,79 %). Des Weiteren ist die philosophische Dimension ein wichtiger Punkt in der Motivlage der Wing Chun Trainierenden (41,81 %) und findet sich in der Motivlage der Krav Maga Trainierenden nicht wieder. Tab. 3. Qualitative Auswertung Frage 2: „Wieso gehen Sie aktuell ins Training?“

Sportart Motivkategorie Prozentualer Anteil Erläuterung Krav Maga 1. Selbstverteidigung

59,05 % gesamt 57,69 % der Männer 62,61% der Frauen

Effektive und realistische Selbstverteidigung Umgang mit Gefahrensituationen, Angst vor Macht- und Hilfslosigkeit in, aufmerksam gegen-über Umwelt zu sein, frühzeitig Gefahren erken-nen, taktisches Verhalten in SV Situationen

2. Fitness 49,08 % gesamt 49,03 % der Männer 49,15 % der Frauen

Leistungsfähigkeit steigern

3. Spaß 25,15 % gesamt 24,03 % der Männer 25,42 % der Frauen

Als Grund wurde Spaß angegeben ohne weitere Ausführung

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6 V. HEIL ET AL.: Motive in der Selbstverteidigung

4. Sonstiges Soziale Motivation 17,79 % Kampfsport 15,33 % Selbstbewusstsein 14,11 % Leistungssteigerung 9,2 % Stressabbau 9,2 % Trainerkompetenz 8,59 % Selbst Trainer 1,22 %

Wing Chun 1. Philosophische Dimension 41,82 % gesamt 37,5 % der Männer 53,33 % der Frauen

Einklang Körper und Geist, Prinzipien des Kung Fus, Faszination innerer Kraft

2. Soziale Motivation 36,36 % gesamt 37,5 % der Männer 33,3 % der Frauen

Respektvoller Umgang, familiäre Atmosphäre,

3. Fitness 36,36 % gesamt 35 % der Männer 40 % der Frauen

Gesundheit stärken, Körper und Geist trainieren, Körpergefühl steigern

4. Sonstiges Selbstverteidigung 34,54 % Leistungssteigerung 29,09 % Spaß am Training 21, 82 % Mentaler Ausgleich 16,33 % Gute Ausbildung für Schüler 10,9 % Selbstbewusstsein 9,09 % Motivation durch Trainer 1,82 % Selbst Trainer 1,22 %

3.1.3 Frage 3: „Was sind/wären Gründe für Sie das Training nicht mehr zu betrei-ben?“

Im Krav Maga wird als erste Motivkategorie gesundheitliche Probleme genannt (43,56 %). 21,74 % der Teilnehmer geben an, dass sie das Training durch soziale Demotivation nicht mehr besuchen würden, gefolgt von der Inkompetenz des Trai-ners (14,11 %). Der Frauenanteil ist mit 30,51 % niedriger als der Anteil der Männer mit 50,96 % in der Kategorie gesundheitliche Probleme. Frauen (17,31 %) würden das Training eher durch soziale Demotivation abbrechen als Männer (28,81 %). Wing Chun Trainierende nennen mit 39,81 % gesundheitliche Probleme als Grund für die Aufgabe des regelmäßigen Trainings. Weiterhin geben 23,61 % der Befragten an, dass sie sich keinen Grund vorstellen könnten, das Training nicht mehr zu besuchen. Für 14,56 % wäre ein fehlendes Interesse ein Grund, das Training aufzugeben. In der Kategorie Gesundheit machen beide Gruppen ähnliche Angaben (Krav Maga: 43,56 %, Wing Chun: 39,81 %). Die Motivlage der Krav Maga Trainierenden ist mit 21,47 % im höheren Maße durch soziale Demotivation beeinflusst als im Wing Chun (12,73 %).

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Tab. 4. Qualitative Auswertung Frage 3: „Was sind/wären Gründe für sie das Training nichtmehr zu betreiben?“ Sportart Motivkategorie Prozentualer Anteil Erläuterung

Krav Maga 1. Gesundheitliche Probleme 43,56 % gesamt 50,96 % der Männer 30,51 % der Frauen

Verletzungen, körperliche Beschwerden

2. Soziale Demotivation 21,47 % gesamt 17,31 % der Männer 28,81 % der Frauen

Unsympathische Trainingsgruppe, schlechte Gruppendynamik, aggressive Trainingspartner

3. Inkompetenz des Trainers 14,11 % gesamt 16,35 % der Männer 10,16 % der Frauen

Keine neuen Herausforderungen, keine realisti-schen Selbstverteidigungstechniken, keine Hilfe bei Fragen und Problemen, Training steht nicht im Mittelpunkt sondern der Trainer

4. Sonstige Zeitmangel 17,79 % Kein Grund 11,04 % Finanzielle Probleme 5,52 % Hohes Verletzungsrisiko 5,52 % Geld steht im Vordergrund 3,06 % Schwangerschaft 1,84 % Fokus zu traditioneller Kampfkunst 2,45 % Kein Interesse 1,84 % Zu viele Anfänger 1,23 % Verein löst sich auf 0,61 %

Wing Chun 1. Gesundheitliche Probleme 39,18 % gesamt 37,5 % der Männer 40 % der Frauen

Verletzungen, Krankheit

2. Kein Grund 23,63 % gesamt 27,5 % der Männer 13,33 % der Frauen

Teilnehmer bezeichnen Wing Chun als Lebens-einstellung und können sich keinen Grund vor-stellen

3. Kein Interesse mehr 14,56 % gesamt 17,5 % der Männer 6,6 % der Frauen

4. Sonstige Soziale Demotivation 12,73 % Weite Anfahrt 10,96 % Streit mit dem Trainer 7,27 % Auflösung des Vereins 7,27 % Zeitmangel 5,45 % Hoher Mitgliedsbeitrag 3,64 %

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8 V. HEIL ET AL.: Motive in der Selbstverteidigung

3.1.4 Zusammenfassung Qualitative Auswertung

Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass die Motivlage Selbstverteidigung zu erlernen bei Frauen höher ist als bei Männern. Krav Maga Trainierende beginnen mit dem Training, da sie Selbstverteidigung erlernen wollen und ihre körperliche Leistungsfä-higkeit (Fitness) verbessern wollen. Im Wing Chun spielt das Erlernen einer Selbst-verteidigung um den Umgang mit Gefahrensituationen zu erlernen ebenfalls eine prominente Rolle bei der Entscheidung mit dem Training zu beginnen. Kultur und Fitness sind weitere Motive, wobei der Fitnessaspekt weniger häufig genannt wurde im Vergleich zu den Krav Maga Trainierenden. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass sich die Motive seit Beginn des Trainings im Vergleich zu den aktuellen Gründen des regelmäßigen Trainingsbesuches verscho-ben haben. Während das Motiv der Selbstverteidigung in beiden Systemen weiterhin wichtig erscheint, sind im Krav Maga Fitness und Spaß wichtige Motive, wohingegen die philosophische und soziale Dimension im Vordergrund stehe. Besonders gesundheitliche Probleme würden in beiden Systemen die Trainierenden dazu veranlassen, das Training nichtmehr zu besuchen.

3.2 Quantitative Auswertung

Die transformierten Mittelwerte orientieren sich an den Normwertem der Motivberei-che aus dem Manual BMZI (siehe Tabelle 5; Lehnert et al., 2011) Tab. 5. Normwerte der transformierten Mittelwerte gemäß Manual BMZI (Lehnert et al., 2001)

Wichtigkeit Mittelwerte Sehr hohe Wichtigkeit ≥ 115 Hohe Wichtigkeit ≥105 bis 114 Mittlere Wichtigkeit ≥ 95 bis 104 Niedrige Wichtigkeit ≥ 85 bis 94 Sehr niedrige Wichtigkeit < 85

In den folgenden Ergebnissen werden besonders die Motivkategorien mit einer ho-hen Wichtigkeit und niedrigen Wichtigkeit betrachtet. Eine sehr hohe Wichtigkeit und sehr niedrige Wichtigkeit existierte bei dieser Stichprobe nicht.

3.2.1 Krav Maga

Krav Maga Trainierende bewerten die nachfolgenden Kategorien mit einer hohen Wichtigkeit: Gesundheit/Fitness (zM = 108,74), Schutz/Sicherheit (zM = 114,17), Persönliche Weiterentwicklung (zM = 109,09), Kampfeslust (zM = 106,43) und Beruf (zM = 109,66). Eine niedrige Wichtigkeit weisen folgende Motivkategorien auf: Kon-takt im Sport (zM = 93,01), Ästhetik (zM = 86,59), Macht (zM = 94,17) und um ande-ren wehzutun (zM = 86,23). Im Vergleich der Geschlechter weist die Motivkategorie Wettkampf/Leistung höhere Mittelwerte bei den Männern (M = 4,10; SE = 0,21) als bei den Frauen (M = 3,41; SE = 0,25) auf. Dieser Unterschied, -0,69, 95 % CI [-1,35; -0,02] ist signifikant mit t(169)

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= -1,04, p = .043 bei einer kleinen Effektstärke d = 0,31. Der Mittelwert der Motivka-tegorie Gesundheit/Fitness unterscheidet sich bei Männern (M = 7,31; SE = 0,21) und Frauen (M = 6,53; SE = 0,34). Dieser Unterschied von –0,77, 95 % CI [-1,51; -0,03] ist signifikant mit t(169) = -2,06, p = .041 bei einer kleinen Effektstärke von d = 0,31. Die Motivkategorie Kampfeslust unterscheidet sich in den Mittelwerten der Männer (M = 3,97; SE = 0,23) und Frauen (M = 3,08; SE = 0,30). Die Differenz, 0,25, 95 % CI [-0,81; 0,31] ist signifikant mit t(169) = -2,34, p = .02 bei einer kleinen Effekt-stärke d = 0,36. Die Kategorie Blessuren weist ebenfalls Unterschiede zwischen Männern (M = 3,7; SE = 0,27) und Frauen (M = 2,4; SE = 0,28) auf. Hier ist die Differenz –1,3, 95 % CI [-2,11; -0,47] signifikant mit t(169) = -3,09, p = 0.002 bei einem kleinem bis mittleren Effekt d = 0,47.

3.2.2 Wing Chun

Bei den Wing Chun Trainierenden weisen die folgenden Motivkategorien eine hohe Wichtigkeit auf: Gesundheit/Fitness (zM = 106,6), Aktivierung/Freude (zM = 108), Schutz/Sicherheit (zM = 106,67), persönliche Weiterentwicklung (zM = 111,07) und Beruf (zM =114,79). Eine niedrige Wichtigkeit weisen folgende Motivkategorien auf: Wettkampf/Leistung (zM = 83,24), Ablenkung/Katharsis (zM= 94,59), um anderen wehzutun (zM = 88,75). Im Vergleich der Geschlechter weisen die Ergebnisse einen signifikanten Unter-schied in der Motivkategorie Macht zwischen Männern (M = 2,06; SE = 0,24) und Frauen (M = 1,24; SE = 0.16) auf. Die Differenz, -0,82, 95 % CI [-1,6; -0,05] ist signi-fikant t(57) = -2,13, p = .038 mit einem mittlerem Effekt d = 0,56. In der Kategorie Kampfeslust zeigen die Ergebnisse ebenfalls einen Unterschied zwischen Männern (M = 3,20; SE = 0,30) und Frauen (M = 1,73; SE = 0,32). Diese Differenz, -1,46, 95 % CI [-2,49; -0,43] ist signifikant t(57) = -2,83, p = .006 bei einer mittleren bis hohen Effektstärke d = 0,78. Die Kategorie Blessuren weist ebenfalls Unterschiede zwi-schen Männern (M = 3,48; SE = 0,40) und Frauen (M = 1,88; SE = 0,30) auf. Die Differenz, -1,59, 95 % CI [-2,19; -0,28] ist signifikant t(57) = -2,42, p = .019 mit einer mittleren Effektstärke d = 0,64.

3.2.3 Vergleich Krav Maga Wing Chun

Abbildung 1 zeigt die Wichtigkeit für Krav Maga und Wing Chun in den Motivkatego-rien im Vergleich: Schutz/Sicherheit, persönliche Weiterentwicklung, Kampfeslust, Beruf und Gesundheit/Fitness haben in beiden Systemen eine hohe Wichtigkeit.

Krav Maga Wing Chun

Hohe Wichtigkeit

Schutz / Sicherheit

Persönliche Weiterentwicklung Beruf

Gesundheit / Fitness

Schutz / Sicherheit

Persönliche Weiterentwicklung Beruf

Gesundheit / Fitness

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10 V. HEIL ET AL.: Motive in der Selbstverteidigung

Kampfeslust

Wettkampf Kontakt

Um Anderen wehzutun Macht

Ästhetik

Aktivierung / Freude

Wettkampf Kontakt

Um Anderen wehzutun Kampfeslust

Ablenkung / Katharsis

Niedrige Wichtigkeit

Abb. 1. Gegenüberstellung der Motivkategorien Zusätzlich empfinden die Krav Maga Trainierenden die Motivkategorie Kampfeslust als sehr wichtig, wobei Wing Chun Trainierende der Kategorie Aktivierung/Freude eine hohe Wichtigkeit zuweisen. Folgende Kategorien zeigen eine niedrige Wichtig-keit bei beiden: Wettkampf, Kontakt, um anderen wehzutun. Zusätzlich geben Krav Maga Ausübende eine niedrige Wichtigkeit bei den Kategorien Macht und Ästhetik und Wing Chun Ausübende bei Kampfeslust und Ablenkung/Katharsis an. Abbildung 2 zeigt die Z-standardisierten Mittelwerte der Motivkategorien für die Krav Maga und Wing Chun Trainierenden, sowie der Normstichprobe von Lehnert (Leh-nert et al., 2011). Ein signifikanter Unterschied konnte in der Kategorie Aktivie-rung/Freunde zwischen Wing Chun (M = 7,6; SE = 0,27) und Krav Maga (M = 6,39; SE = 0,18) festgestellt werden. Die Differenz, 1,12, 95 % CI [0,41; 1,82] ist signifikant t(236) = ,12, p = .002 mit einer kleinen bis mittleren Effektstärke d = 0,41. Die Mittel-werte von Wing Chun (M = 6,74; SE = 0,36) und Krav Maga (M = 3,46; SE = 0,20) unterscheiden sich in der Motivkategorie Ästhetik. Diese Differenz, 3,27, 95 % CI [2,49; 4,1] ist hoch signifikant t(236) = -2,3, p < .001 mit einer großen Effektstärke d = 1,1. In der Kategorie Schutz/Sicherheit unterscheiden sich die Mittelwerte von Wing Chun (M = 7,28; SE = 0,29) und Krav Maga (M = 7,95; SE = 0,14). Die Differenz, -0,67, 95 %, CI [-1,24; -0,10] ist signifikant t(236) = -2,3, p = .022 mit einem kleinen Effekt d = 0,30. Die Mittelwerte der Kategorie persönliche Weiterentwicklung sind bei Wing Chun (M = 8; SE = 0,31) und Krav Maga (M = 6,85; SE = 0,20) unterschiedlich. Diese Differenz, 1,20, 95 % CI [0,4; 1,92] ist signifikant t(236) = 2,97, p = .003 bei einem niedrigem Effekt d = 0,35. In der Kategorie Kampfeslust unterscheiden sich die Mittelwerte von Wing Chun (M = 2,77; SE = 0,25) und Krav Maga (M = 3,71; SE = 0,18) ebenfalls. Die Differenz, -0,94, 95 % CI [-1,62; 0,26] ist signifikant t(235) = -2,71, p = .007 bei einem kleinen Effekt d = 0,35.

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Abb. 2. Gegenüberstellung Z-standardisierte Mittelwerte Krav Maga / Wing Chun

4 Diskussion

Die vorliegende Studie behandelt die Frage, ob in Bezug auf die Motivlage der Si-cherheitsaspekt in den beiden Selbstverteidigungssystemen Wing Chun und Krav Maga im Vergleich mit anderen Kampfsportarten einen erhöhten Stellenwert ein-nimmt. Des Weiteren wurden mögliche Unterschiede zwischen den Selbstverteidi-gungssystemen Krav Maga und Wing Chun untersucht. Zusammenfassend ist die Motivlage der Krav Maga Trainierenden kampfsport-, fitness- und selbstverteidi-gungsorientiert. Die Motivlage der Wing Chun Trainierenden ist kultur-, fitness- und selbstverteidigungsorientiert. Die Kategorie persönliche Weiterentwicklung ist für Ausübende beider Systeme bedeutend. Die qualitative Befragung wurde von anderen Studien in diesem Kontext bisher noch nicht durchgeführt und sollte daher neue Motivlagen aufdecken. Absicht der Studie war es, abseits des terminologisch unscharfen Begriffs der „Faszination“ in eine neue Richtung zu forschen, indem die Fragestellung „Wieso gehen Sie ins Training?“ un-tersucht wurde. Teilnehmer, die Selbstverteidigung aus beruflichen Gründen erler-nen, sollten hier mitberücksichtigt werden. Die Ergebnisse zeigen, dass der Beruf der Trainierenden in beiden Systemen eine positive Motivlage aufzeigt. Auch wurden Motive festgestellt, welche Teilnehmer demotivieren, vor allem soziale Demotivation durch Trainingspartner und gesundheitliche Aspekte wie Krankheit. Eine quantitative Befragung mit den hier verwandten Items wurde bereits für die Sportart Judo durchgeführt (Liebl & Happ, 2015). Im Judo ergibt sich in allen Motiv-kategorien eine mittlere Wichtigkeit, während die Motivkategorien im Krav Maga und

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Wing Chung ein größeres Spektrum (zwischen hoher Wichtigkeit und niedriger Wich-tigkeit) aufweisen. Eine mögliche Erklärung hierfür ist, dass Judo eine größere An-zahl an Trainierenden anspricht mit einer Mitgliederzahl 2016 von 150.279 (DOSB, 2017). Die Motivlage könnte damit breiter gestreut sein, während im Krav Maga und Wing Chun die Trainierenden eher spezifisch trainieren möchten und hier Schwer-punkte auf bestimmte Motivkategorien gelegt werden. Bei der quantitativen Befragung wurden im Vergleich zu anderen Motivstudien im Kampfsport im deutschsprachigen Raum zusätzlich „negative Items“ gewählt („um anderen wehzutun“, „Macht“), welche aus der Studie von Meyer (2012) begründet wurden. Die negativen Items zeigen eine niedrige Wichtigkeit in der Motivlage auf. Erwähnenswert erscheint weiterhin, dass die Motivation zum Erlernen von Selbstver-teidigung für den Beginn eines regelmäßigen Trainings beider Selbstverteidigungs-systeme recht ausgeprägt ist. Im Wing Chun sticht hier zusätzlich die Motivation nach kultureller Erfahrung hervor. Bezüglich der Gründe für das aktuelle Ausüben des Sys-tems, wurde im Krav Maga ergänzend die Motivkategorien Fitness und Spaß ge-nannt. Im Wing Chun spielt die kulturelle Erfahrung keine wesentliche Rolle mehr, dafür soziale Gründe wie die familiäre Atmosphäre. Die Erkenntnisse sind aus trai-ningspädagogischer Sicht interessant: Zum einen erscheint ein funktional effektives Training (Kompetenzsteigerung im Umgang mit Gewalt) in der Wahrnehmung der Teilnehmer von zentraler Bedeutung. Weiterhin erscheinen Gestaltungselemente des Trainings, die auf ein soziales Miteinander sowie Fitness und Spaß abzielen, ebenfalls für die dauerhafte Ausübung eines Selbstverteidigungssystems relevant. Mit dem Bedürfnis nach Kompetenz und sozialer Verbundenheit finden sich auch zwei wesentliche Faktoren aus der Selbstbestimmungstheorie (Ryan & Deci, 2000) wieder. Die Beteiligung an der vorliegenden Studie war sehr gering und lag damit deutlich unter dem Niveau anderer deutschsprachiger Motivstudien im Kampfsport (Liebl & Happ, 2015). Neben zeitlichen Restriktionen und einem denkbaren Desinteresse in der Sache liegt ein weiterer möglicher Erklärungsansatz in der Anlage der Untersu-chung selbst. In der Bundesrepublik Deutschland existieren gegenwärtig zahlreiche Krav Maga und Wing Chun Organisationen, die als korporative Akteure auf dem Markt der Anbieter für Selbstverteidigung inter- und intragruppal um das knappe Gut sozialer Aufmerksamkeit und um Abnahmechancen konkurrieren. Mit Blick auf die vorherrschende Konkurrenzsituation kann das von außen herangetragene Anliegen der Erforschung von Binnenverhältnissen (hier: Motivstrukturen von Mitgliedern) Vor-behalte und Ablehnung hervorrufen; trotz Zusicherung von Anonymität und offenge-legter Verfahrensweise. In soziologischer Hinsicht stellt eine kognitive Schließung von Organisationen gegenüber externen Zumutungen der „Fremdaufklärung“ keine Überraschung dar. Schließlich könnten sozial negativ und mit Devianz assoziierte Items („Ich prügle mich gerne.“) abschreckend auf einige Probanden gewirkt haben.

4.2 Limitationen der Studie

Die vorliegende Studie weist einige Limitationen auf. Zum einen ist ihre empirische Aussagekraft aufgrund der sehr geringen Beteiligung von Krav Maga und Wing Chun

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Anbietern begrenzt. Durch die Konzentration auf wenige Anbieter sind die Ergeb-nisse nicht oder nur bedingt generalisierbar. Es könnte sein, dass gerade die sich an der Studie beteiligten Anbieter in wesentlichen Elementen des Trainingssettings un-terscheiden (z.B. Fokus auf körperliche Fitness vs. Fokus auf philosophische Ele-mente des Systems), was wiederum einen Selektionsprozess der dort Trainierenden Personen nach sich ziehen könnte. Ziel künftiger Erhebungen muss es sein, eine größere Anzahl unterschiedlicher Anbieter einzubeziehen. Inwiefern dies angesichts hier vorfindlicher Reaktanzen machbar erscheint, bleibt abzuwarten. Für die Interpretation der Ergebnisse wäre ebenfalls genauer zu prüfen, ob und in-wiefern die erhobenen individuellen Motivlagen und -hierarchien den Selbstbeschrei-bungen der jeweiligen Systeme, Organisationen sowie den dahinter befindlichen kul-turellen Formatierungen entsprechen. Die von Wing Chun Ausübenden u.a. als wich-tig eingestufte „soziale Motivation“ folgt beispielsweise der stabilen Selbstbeschrei-bungen des Wing Chun als „Familiensystem“, was sich u.a. in der Unterrichtsorgani-sation und der Bezugnahme auf chinesische Traditionen widerspiegelt. Die Frage sozialer Anlieferung von Motiven und damit die Frage nach dem Einfluss von Sozial-strukturen auf die individuelle Motivation von Wing Chun und Krav Maga Praktizie-renden ist bislang unerforscht.

4.3 Schlussbemerkung

Die vorliegende Studie unternimmt einen ersten Versuch einen Einblick in die Motiv-lage von Krav Maga und Wing Chun Trainierenden zu erhalten. Die Ergebnisse stel-len deutlich heraus, dass in beiden Systemen das Motiv Selbstverteidigung zu erler-nen und das Bedürfnis nach Sicherheit und Schutz prominent sind. Dennoch zeigt die vorliegende Studie, dass andere Motive ebenfalls eine wichtige Rolle spielen.

Literaturverzeichnis

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