Mozarts Tod im ›Goldener Hirsch‹ 1849

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Mozarts Tod im ›Goldener Hirsch‹ 1849 Hubertus Franzen

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Roman von Hubertus Franzen, erschienen als eBook in der edition-efm-voltaire.

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Impressum

© 2013 edition-efm-voltaiere UG (haft ungsbeschränkt)Meusdorferstraße 5, 04277 Leipzigwww. editionvoltaire.com

Coverabbildung: Uli Pforr, HamburgCovergestaltung: Dipl. -Ing. Juliane Ehrlicher (FH), edition-efm-voltaire, LeipzigHerstellung: Dipl. -Ing. Juliane Ehrlicher (FH), edition-efm-voltaire, LeipzigLektorat: Inge Borchert-Dombrowski

ISBN 978-3-944657-04-2

Alle Rechte vorbehalten.

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Der berühmte Tonsetzer, Mitglied des Houses of Lords, verließ das Gast-haus Goldener Hirsch, betrat den Innenhof der altehrwürdigen Universi-tät, im Jahre des Herrn 1622 durch Fürsterzbischof Paris Graf von Lodron gegründet, diesen langsam durchschreitend, dabei den Gruß der Studen-ten der Katholischen Fakultät freundlich erwidernd, und Ignatius Maria Ratzinger, Magnifi zenz der Th eologischen Hochschule, wollte nicht glau-ben, wen seine Augen erblicken durft en.

Das Kalenderblatt zeigte den 20. April des Jahres 1849. Vom Turm der Kollegienkirche hörten die Bürgerinnen und Bürger Salzburgs, dem Rom des Nordens, zehn Schläge, das Vergehen der Zeit, der fl üchtigen, ins Be-wusstsein rufend, sie erinnernd, das Alles ende, was entstanden und ent-stehe, Alles, Alles rings vergehe, Denken, Reden, Schmerz und Wonne.

Ein wunderbarer Frühlingstag ließ die Salzburgerinnen und Salzburger aufatmen, die Sorgen ihres Alltags unter Kreuz und Krummstab, Th ron und Altar in den Hintergrund drängen, verdrängen und vergessen.

Lord Mozart, Freund Queen Victorias, stehenbleibend, sich die Ja-cke aufk nöpfend, zeigte das Lächeln des Altersweisen, während Ignatius Maria Ratzinger den Lord mit der inquisitorischen Neugier des Priesters betrachte, dem überall der Sünde des Geistes und des Fleisches nachspü-renden.

Wie alt mag der Tonschöpfer sein? Professor Dr. Ignatius Maria Rat-zinger, Verfasser mehrerer Bücher über Jesus von Nazareth, das Leben in der Nachfolge Christi, den ersten Bischof von Salzburg, den Heiligen Rupert, Schutzpatron des Erzbistums, kam zu dem Ergebnis, dass der berühmte, in Salzburg geborene Lord, im 93-zigsten Jahre seines Lebens stehen müsse. Hatte ihn der Tod, der alle dahinraff ende, vergessen, dessen Werke seit dem Jahre 1784 zuerst im fürsterzbischöfl ichen, jetzt im kai-serlichen Opernhaus auf dem Spielplan standen, von nicht wenigen seiner Werke abgesehen, welche Anstand und Sitte verboten aufzuführen, so das Schandwerk Le Nozze di Papa?

Mein Gott, was hatte der berühmte Sohn Salzburgs nicht an herrlichen Werken allein zur Ehre Gottes komponiert! Im letzten Jahr, als sich in Wien, Berlin, Prag, Paris und weiteren Städten Europas, das Volk gegen Adel, Klerus und die Bourgeoisie erhoben, auf die Barrikaden steigend, selbst in Rom, der heiligen Stadt der Stellvertreter Gottes, der Päpste, Freiheit und Menschenrechte fordernd und einklagend, ein unglaublicher Vorgang, Aufstände, die im Namen Gottes und seiner heiligen Kirche blu-tig unterdrückt und niedergeschlagen werden mussten, wie konnte sich

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das Volk gegen seine guten Hirten, seine Bischöfe und Fürsten erheben? -- hatte Alois Taux, Domkapellmeister des Fürsterzbischofs, Friedrich VI. Johann Joseph Cölestin, Kardinal zu Schwarzenberg, die Oper Faust nach Goethes literarischer Vorlage mit allerhöchster Erlaubnis Ihrer fürstlichen Gnaden auff ühren dürfen, der berühmte Kastrat Andrea Bellini aus Bo-logna den Mephisto singend, ebenso wie die Hohe Messe in memoriam Johann Sebastian Bach, zeitlich jeden liturgischen Rahmen sprengend, das »Credo« länger dauernd, als er, Professor Dr. Ignatius Maria Ratzinger benötigte, um das Messopfer, beginnend mit dem »Kyrie eleison« zu fei-ern, aber welch ein Werk hatte der Lord komponiert?

Wer hatte eine bedeutendere Messe als diese von Mozart komponierte, im Glauben an die Herrlichkeit Gottes erdacht? Weder Beethoven noch Joseph Haydn, und auch nicht Franz Schubert, der 1828, nach einem kurzen Leben, verstorben. Franz Schubert, der Kirchenkritiker in Tönen, der in seinen Messen die Worte ›et unam sanctam catholicam et apos-tolica ecclesiam‹ nicht zu vertonen gewagt, ein unglaublicher Vorgang, eine Dreistigkeit gegen Gott und seine Heilige Römische Kirche ohne-gleichen.

Der Kardinal von San Agostino zu Rom, Fürst zu Schwarzenberg, als Erzbischof von Salzburg Princeps Germaniae und Legatus natus, kirchen-rechtlich seit altersher nicht dem Papst unterstehend, war hocherfreut ge-wesen, hatte Alois Taux, dem Kapellmeister des Dommusikvereins, Leiter der Oper und des von ihm und Konstanze Mozart im Jahre des Herrn 1841 gegründeten Mozartteum-Orchesters, für die Güte der Auff ührun-gen von Messe und Oper huldvollst gedankt, gestattend, das sieben wei-tere Auff ührungen der Oper Faust, mit dem von Johann Wolfgang von Goethe persönlich verfassten Libretto stattfi nden durft en.

Der Stellvertreter Gottes für Stadt und Land Salzburg, Kunst und Wis-senschaft fördernd, hatte darüberhinaus verfügt, da das durch Fürsterz-bischof Hieroymus von Colloredo erbaute Opernhaus für den Andrang des Publikums mit seinen 600 Plätzen zu klein, die Felsenreitschule als Ort der Auff ührungen der Oper Faust zu nutzen. Selbst aus München wa-ren allerhöchste Herrschaft en zur Premiere der Goethe- und Mozartoper Faust angereist, so Seine Majestät, König Maximilian II. Joseph, Nachfol-ger Ludwig I., der, bedingt durch die Aff äre mit der Tänzerin Lola Mon-tez, auf den Th ron der Bayern verzichten und am 20. März 1848, dem Jahr der Volkserhebungen in Frankreich, im Kaisertum Österreich und in Preußen, selbst in Bayern war das Volk auf die Barrikaden gegen die

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von Gott gewollte Ordnung von Th ron und Altar gestiegen, zurücktreten musste.

Finstere Kräft e waren am Werk. Im vergangenen Jahr hatte in London, der Stadt in der Mozart, seine Lordschaft , lebte, ein Karl Marx, ein Jude, mit Gesinnungsgenossen ein ›Kommunistisches Manifest‹ veröff entlicht, welches die Menschen dazu aufrief, die Fesseln ihrer Unterdrücker, Adel und Kirche, zu sprengen. Wahnsinnige waren dieser Karl Marx und seine Gesinnungsgenossen.

Professor Ignatius Maria Ratzinger, der bedeutende Dogmatiker und Rektor der Universität, in Marktl am Inn geboren, verzog schmerzhaft das Gesicht. Die Welt war aus den Fugen. Ein König musste wegen einer Tän-zerin zurücktreten! Wann hatte es das je gegeben?

Wolf Dietrich von Raitenau, als Fürsterzbischof über Salzburg in den Jahren 1587 bis 1612 im Zeichen des Kreuzes herrschend, hatte mit Salo-me von Altenau fünfzehn Kinder gezeugt, seinen Ältesten auf den Namen Hannibal taufend, für seine Geliebte das Schloß Mirabell bauend.

Die Lustschlösser rund um Salzburg, von den Metropoliten des Fürs-terzbistums erbaut, wer dachte nicht an Schloss Hellabrunn? – waren kei-ne steingewordene Zeugen des Zölibates.

Soll ich Lord Mozart meine Bewunderung für seine Lebensleistung ausdrücken? Ignatius Maria Ratzinger, Magnifi zenz der Th eologischen Universität, wollte auf denberühmten Sohn der Stadt und des Kaisertums Österreich zugehen, jedoch seine Absicht nicht ausführend.

Lord Mozart, seit seiner Ankunft mit großem Gefolge, Baron de Roth-schild, der jüdische Bankier, war mit Mozart im Goldener Hirsch abgestie-gen, das Stadtgespräch, blickte freundlich auf den Gottesmann Ratzinger, der auf den Besucher seiner Vaterstadt erneut zugehen wollte, doch wie-der seine Absicht durch eine selten bei ihm anzutreff ende Scheu nicht zur Tat werden lassend.

Vielleicht war das Mitglied des Britischen Oberhauses, des House of Lords, in Gedanken an die Ewigkeit versunken, wie er, im Schritt verhar-rend, in die blaue Unendlichkeit des Himmels schaute, als sähe er Gott, den Allmächtigen, die Jungfrau Maria oder den Heiligen Rupert, den Pat-ron von Stadt und Land Salzburg, am Ende seiner Erdentage.

Nein, er wollte und durft e Lord Mozart nicht in seinen Betrachtungen stören, auch setzte sich der unsterbliche Sohn der Stadt wieder in Bewe-gung, mit vorsichtigen Schritten, leicht schwankend, den Innenhof der Universität verlassend, eine Begegnung, dies fühlte der große Th eologe,

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Ignatius Maria Ratzinger, der ein Buch mit dem Titel Jesus, der Menschen-sohn veröff entlicht, nie mehr vergessen werde.

Der mit großer Neugier und Ehrfurcht bedachte Komponist, seine Lordschaft Wolfgang Amadeus Mozart, schloss für Sekunden die Augen, als er aus dem Innenhof der altehrwürdigen Hochschule der Th eologie tretend, sich an der Wand abstützte, hatte ihn doch ein leichtes Schwin-delgefühl erfasst. Er hob den Kopf, das gewaltige Festungsmassiv, welches ihm schon in seinen Kindertagen wie eine stetige Bedrohung vorgekom-men, eine Weile betrachtend, jedoch seinen Weg langsam, dabei immer wieder stehenbleibend, als müsse er sich an Gebäude und Gassen erin-nern, in Richtung des Domes und der Fürsterzbischöfl ichen Residenz, fortsetzend.

»Mein Gott, das ist ja Lord Mozart«! Gräfi n Isabella JohannaMaria von Colloredo, die in der Kirche der Franziskaner einer Gedenkmesse für ihren tödlich vor Jahr und Tag im Dachsteingebirge verunglückten Gatten, Graf Joseph Hieronymus Maria Johann Jacob von Colloredo bei-gewohnt, wollte es nicht glauben, dem leicht Schwankenden bis in den wenige Schritte entfernten Dom folgend, dabei den sich geziemenden Abstand haltend und feststellend, dass der berühmte Sohn Salzburgs sich in der letzten Bank des hohen Domes, den Heiligen Rupert und Vergil ge-weiht, niederließ. Sollte sie ihn ansprechen? Der Meister schien sich nicht wohl zu fühlen, dessen Opern seit dem Jahre 1784 auf dem Spielplan des Salzburger Th eaters standen, von dem Vorfahren ihres Mannes, Fürsterz-bischof Hieronymus Franz Joseph von Colloredo im Jahre 1775 erbaut. Vielleicht brauchte der Unsterbliche Hilfe, benötigte einen Arzt.

»Kann ich Ihnen helfen, Mylord?«Der Angesprochene lächelte, wie Gräfi n Isabella Johanna Maria von

Colloredo mit Erleichterung feststellte.»Danke, gnädge Frau, es ist nur ein leichter Schwindelanfall, er ist

gleich wieder vorüber.« Erneut lächelte Lord Mozart, der berühmte Komponist von mehr als hundert Meisteropern und zweihundert Sym-phonischen Werken, Mitglied des House of Lords, verbindlich: »Aber darf ich mich vorstellen gnädige Frau? Mein Name ist Mozart, Wolfgang Amadeus Mozart.«

Gräfi n von Colloredo, geborene Gräfi n von Hohenems, als solche Nachfahrin Markus Sittikus III., Kardinal an der Kurie in Rom, Legat Papst Pius IV. auf dem Konzil von Trient, und Markus Sittikus IV. von Hohenems, Fürsterzbischof von Salzburg, Erbauer der Schlosses Hell-

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brunn, war geschmeichelt, während der in Salzburg geborene Unter-tan der Queen Victoria feststellte, dass die Dame als außergewöhnliche Schönheit bezeichnet werden müsse. Was tat eine solche Lady in der Pro-vinz, wieso lebte sie nicht in Wien, der glanzvollen Kaiserstadt, in der, be-dingt durch die Revolution des vergangenen Jahres, Anno Domini 1848, der achtzehnjährige Kaiser Franz Joseph I. regierte, über den man in Lon-don räsonierte, er wäre der Kettenhund der Erzbischöfe von Wien, Prag, Salzburg, Mailand, des Patriarchen von Venedig, und des Metropoliten von Olmütz. Wieso auch des Erzbischofs von Olmütz, Maximilian Jo-seph Gottfried von Sommerau Beekh, wusste kein Mitglied des britischen Oberhauses so genau, doch man räsonierte halt gern unter den Lords über die Idioten von Gottes Gnaden jenseits des Kanals und der Straße von Dover. Aber die Dame war jung und von Adel, wie unschwer festzustellen. »Darf ich Ihren Namen erfahren, gnädige Frau?«

Isabella Johanna Maria von Colloredo, geborene Gräfi n von Hohe-nems lächelte charmant, sie war eine große Bewunderin Mozarts, ihren Namen nennend.

Colloredo? Wolfgang Amadeus Mozart, Lord des Britischen Empire, drückte seinen Rücken gegen die Kirchenbank. »In meiner Jugend, mei-ner frühen Jugend, war ich Musikus am Hofe des Fürsterzbischofs Hi-eronymus von Colloredo. Meine Erinnerungen an diesen Mann Gottes sind nicht die allerbesten. Wenn ich mich recht erinnere ist sein Grab im Wiener Stephansdom.«

Mozart fasste sich, leicht hustend, an die Brust. »Es ist das Alter, Con-tessa. Ich bin nach Salzburg gekommen, um meine Geburtsstadt noch ein-mal zu sehen, bevor ich sterb. Ich komme aus London, lebe abwechselnd in Paris und London, die einzigen Städte, wo ich leben kann, und ich die denkbar größten Erfolge seit Jahrzehnten hatte und habe, und natürlich lebe ich auch auf dem Lande, die frische Luft ist gut für die Gesundheit.« Mozart lächelte charmant, was für eine schöne Frau war die Contessa Isa-bella Johanna Maria von Colloredo, was für eine interessante Begegnung und das an diesem heiligen Orte, dem Dom zu Salzburg.

»Mit der Oper Die Zauberfl öte hatte ich den wirklich ersten großen Erfolg, und der Erfolg ist dieser Oper bis heute treu geblieben, selbst in Salzburg, wie ich mir hab berichten lassen, wo viele meine Opern auf dem Spielplan des kaiserlichen Th eaters, früher des fürsterzbischöfl ichen, ste-hen sollen, ich werd mal dem Th eater einen Besuch abstatten, doch eines der erfolgreichsten meiner Werke, neben vielen anderen, ist die Oper Le

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Nozze di Papa, Die Hochzeit des Papstes, die überall, nur im Kirchenstaat nicht aufgeführt wurde, und werden darf, wie auch ned in Salzburg, wie nirgendwo im Kaiserreich Österreich, selbst nicht in Krakau, aber in Preußen, in Berlin, da ja.

Dafür liebten die Päpste, beginnend mit Pius VI. über Pius VII., Leo XII. und Gregor XVI., ich hab den achten Pius vergessen, der nur ein Jahr auf dem Th ron des Petrus saß, von 1829 bis 1830, meine Messen, welche ich nach 1791 geschrieben. Napoleon zuerst Konsul, dann sich selbst zum Kaiser krönend, Pius VII. durft e zuschauen, liebte auch Messkompositi-onen, vor allem meine Messen, obwohl er die Päpste Pius VI., Pius VII. absetzte und ins Gefängnis werfen ließ. Ich habe als sein Hofk omponist mehrere Messen für ihn komponiert, die heute unter dem Titel Napoleo-nische Messen bekannt sind. Die Erste wurde am 2. Dezember 1804, wäh-rend der Krönung Napoleons in Notre Dame, doch ohne die Worte ›et unam sanctam catholicam et apostolicam ecclesiam‹, aufgeführt, Worte des Credo, die auch der wunderbare Franz Schubert in seinen Messen nie vertonte, die ich immer wieder in meinen Londoner Mozart-Society-Konzerten auf Programm setze.«

Mozart bedachte die schöne Contessa Isabella Johanna Maria von Col-loredo, Mitglied eines der bedeutendsten Adelsgeschlechter des Kaiser-tums Österreich, wie vordem des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation mit einem altersweisen Lächeln.

»Selbst Papst Pius IX., Giovanni Maria Mastai-Ferretti, als Stellver-treter Gottes vor seinen römischen Untertanen, welche Freiheit und Menschenrechte von ihm forderten, in das Königreich Neapel fl iehend, Forderungen, die ich unterstütze, immer unterstützt habe als Mitglied des House of Lords, ist ein Bewunderer meiner Musik, dabei bin ich Freigeist, aber das ist der Heiligen Römischen und Universalen Inquisition, ich denke, nicht bekannt.«

Mozart, die schöne Salzburgerin mit bewundernden Blicken beden-kend, lächelte charmant.

»Wenn Sie nach Rom kommen, Contessa, vermeiden Sie es, den Pa-lazzo der Heiligen Römischen und Universalen Inquisition zu betreten. Ein grauenhaft er Ort. Der Großinquisitor ist Vincenzo Kardinal Machi, Bischof von Palestrina, Ostia und Porto Santa-Rufi na, der im Konklave von 1830 als papabile gehandelt wurde, und immer noch werden Knaben für den Chor der Sixtinischen Kapelle kastriert, weil Frauen nicht in der Kirche singen dürfen.

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Rom ist eine sehr schöne, doch unmögliche Stadt, doch das Essen ist aus-gezeichnet, und die Zahl der Freudenmädchen ist unglaublich hoch, mehr als anderswo, mehr als in London und Paris. Papst Sixtus IV., der Erbauer der Sixtinischen Kapelle, jeden seiner Kardinäle anweisend und verpfl ich-tend, mindestens zwanzig Huren zu beschäft igen, um die Kassen der Kurie aufzufüllen, hat selbst eine Vielzahl von Bordellen gegründet und jährlich durch seine Freudenmädchen gewaltige Summen kassiert, welche die Pil-ger bedienten, die, den »Freudenreichen Rosenkranz« betend, über den Brenner nach Rom, in die heilige Stadt gekommen, um von ihren Sünden losgesprochen zu werden, wie Tannhäuser in der Oper Richard Wagners, ein wunderbares Werk des in der Musikstadt Leipzig geborenen Wagners. Rom war und ist ein einziges Bordell.«

Wolfgang Amadeus Mozart, der berühmte Sohn Salzburgs, lächelte, einen schnellen Blick auf Contessa Isabella Johanna Maria von Colloredo werfend, deren Gesicht eine leichte Röte überzogen.

»Pardon, gnädige Frau, meine Manieren haben schon den Vorfahren Ihres Mannes, den Fürsterzbischof von Colloredo geärgert, dabei wird sein Name nur noch in Verbindung mit meiner Person erwähnt. Er muss mindestens zwanzig Jahre tot sein. Mein Gedächtnis ist noch ausgezeich-net, nur die Knochen wollen nicht mehr so recht. Die Reisen in den elen-den Postkutschen derer von Th urn und Taxis, damals in der Zeit bis 1792, dem Jahr, in welchem die Französische Nationalversammlung Österreich, Preußen und dem Königreich Piemont-Sardinien den Krieg erklärte, nach dem Jüdischen Kalender das Jahr 5552 seit Erschaff ung der Welt durch Jahwe, den grauenhaft en Gott der Juden, hätten mich fast ruiniert. Aber seit 1792 fahre ich nur noch in meinen eigenen Karossen, oder dort, wo schon Bahnstrecken existieren, mit der Eisenbahn.

1791 war das Jahr des Herrn, in welchem ich eigentlich sterben wollt, Schulden über Schulden, ein Requiem hatte ich auch schon komponiert, aber nicht beendet, eines der wenigen Werke, welches ich später vollen-det hab, und heut besitze ich einen herrlichen Landsitz bei Oxford mit von Hecken und Baumgruppen eingefassten Weiden, auf denen über 400 Pferde oder mehr stehen. Ich hab den Überblick verloren, schöne Frau, es können auch 500 Hengste und Stuten sein.

Mein Oberhofstallmeister, Adolf Hitler, ein Österreicher durch und durch, treu, brav und katholisch, kennt die Zahl meiner Pferde, er weiß sogar von jedem Pferd den Namen. Er ist unglaublich, mein Adolf Hitler, mein Österreicher.«

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Wieder bedachte Mozart, Mitglied des House of Lords, Freund der Queen Victoria, die schöne Adelige mit einem freundlichen Lächeln, welches sie beglückte. Heute, in der Frühe, hatte sie bereits eine der Klaviersonaten des Unsterblichen gespielt, sein Lächeln erwidernd.

»Mein Horsedriver, aus Braunau am Inn stammend, mein Hitler Adolf, der mich bis Salzburg kutschierte, hat alle Straßen Europas im Kopf, selbst bis Sankt Petersburg hat mein Hitler mich kutschiert und den Weg nach London wieder zurückgefunden. Als er zu mir nach London kam, war er ein Analphabet, konnte nur mühsam ein paar Sätze schreiben, wie: ich hei-ße Adolf Hitler und bin katholisch, und heute spricht und schreibt er in vier Sprachen und ist Atheist, wie alle wirklich gebildeten, die Aristoteles, Epikur, Voltaire, Kant, Marx und Feuerbach, wie auch die Briefe des Apo-stels Paulus an die Römer gelesen haben. Wäre mein Hitler von Adel, wär er Feldherr, wie Josef Wenzel Radetzky von Radetz, der Generalkomman-dant der österreichischen Armee im Lombardisch-Venezianischen Kö-nigreich, mit dem ich befreundet bin, oder Erzbischof geworden. Schon mehr als drei Jahrzehnte steht der Hitler, der Brave, in meinen Diensten, gemeinsam mit seinem Stellvertreter, meinem David Cameron.«

Mozart hustete und lächelte: »Ich bin ein alter Notenschreiber und beginne Sie mit meinem Geschwätz zu langweilen. Verzeihen Sie, Gnä-digste, aber jetzt fällt mir auch wieder ein, wann der Vorfahre Ihres Gat-ten, der fabelhaft e Menschenschinder und Fürsterzbischof von Salzburg gestorben ist: am 20. Mai 1812. Achtzig Jahre ist er alt geworden, der Mu-senfreund und Erbauer des Salzburger fürsterzbischöfl ichen Opernhauses, und hat seinen Erben eine schöne Summe hinterlassen. Zwei Millionen wird behauptet, wirklich eine schöne Summe. Aber ich, sein ehemaliger Hofmusikus, hinterlasse mehr. Sie müssen wissen, ich hab 1792 das Co-pyright in England und Frankreich mit meinen politischen Freunden, vor allem meinem Freund und Vermögensberater Mayer Amschel Rothschild und seinen fünf Söhnen durchsetzen können. Wer Mozart spielt, muss zahlen. Wissen S‘, Gnädigste, als ich von den Toten auferstanden bin, ich hatte mich nur zum Sterben hingelegt, um meinen Gläubigern zu entge-hen, und nach den Erfolgen der Oper Die Zauberfl öte habe ich gedacht, Wolfgang Amadeus, erhebe dich, du kannst jetzt ned ins Grab sinken, da hab ich mit dem Bankier Rothschild, dem Nathan Rothschild, in London einen eigenen Verlag gegründet, denn man muss alles in der Hand behal-ten.

Der Mozart-Trust in London besitz zehn Opernhäuser, verbunden mit

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Shopping-Centern meine Zauberfl öte läuft dort jetzt ununterbrochen fünfzehn Jahre und drei Monate in der gleichen Inszenierung. Die Oper Faust nach Goethe, mein Freund, der Geheimrat, war zu Lebzeiten am Umsatz beteiligt, bereits drei Jahre, und das ist die fünft e Neuinszenie-rung seit 1829. Und Die Hochzeit des Papstes, wird seit 1792, eine mei-ner Erfolgsopern, ununterbrochen in London und Paris aufgeführt. Es ist einfach unglaublich. Ich denke, jeder Engländer und jede Britin muss diese Oper gehört und gesehen haben, wie auch die Französinnen und Franzosen.

Der Papst wird von einem Kastraten gesungen. King Georg III. hat mich wegen dieser Oper geadelt. Aber den Kirchenstaat habe ich seit-dem nicht mehr betreten. Pius IX. hatte mir zwar freies Geleit verspro-chen,1846, als man ihn zum Stellvertreter Gottes wählte, wenn ich ein Konzert in der Sixtinischen Kapelle geben würd, aber man sollte einem Priester, und einem Papst oder Metropoliten schon gar nicht, über den Weg trauen. Aber im Februar haben ja die Revolutionäre Giuseppe Maz-zini und Giuseppe Garibaldi die Römische Republik ausgerufen, und ich bin gespannt, wie lange die an der Macht bleiben, denn der Präsident der Republique Francaise, Charles-Louis-Napoleon Bonaparte und der Kai-ser von Österreich, Franz Joseph I., haben Truppen gegen die Republi-kaner von Rom aufgeboten, doch am allerschlimmsten sind die Jesuiten, die Soldaten Gottes. Überall treiben sich Jesuiten herum, im Untergrund wühlend, um Gottesstaaten, Zwangsstaaten im Namen des allmächtigen Gottes zu errichten, der am Kreuze starb, um den Willen seines himmli-schen Vaters zu erfüllen. Eine Absurdität ist das.«

Mozart lächelte charmant, die Dame war wirklich eine Schönheit, die Contessa von Colloredo, die einen Nachfahren des Leuteschinders Collo-redo geheiratet, als Gräfi n von Hohenems geboren werdend.

»Ich rieche Jesuiten, Gräfi n. Sie sitzen in meinen Opernhäusern und melden jeden Lacher in der Oper Le Nozze di Papa nach Rom, an ihren derzeitigen General, den Johannes Philippus Roothan, wie auch schon an dessen Vorgänger, den 20. Generaloberen der Gesellschaft Jesu, Aloisius Fortis.

Mozart warf einen schnellen Blick auf die Gräfi n: »Wenn ich Sie lang-weil, müssen S' sagen. Ich weiß, ich red manchmal a bisserl viel, aber ich bin ein alter Mann, und meine Tage sind gezählt. Und ich konnt ja ned ahnen, dass in diesem Städtchen eine so zauberhaft e Dame mich alten No-tenschreiber erkennen würd.«

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»Aber Lord Mozart!« -- Gräfi n Colloredo drohte vor Glück zu zerfl ie-ßen: »Ich könnte Ihnen Stunden und Tage zuhören. In Salzburg spielt sich alles um Dom und Residenz ab. Unser Fürsterzbischof, Kardinal Friedrich VI. Johann Joseph Cölestin zu Schwarzenberg, ist ein strenger und frommer Herr, doch, Gott sei es gedankt, an Musik sehr interessiert, da auch selbst musizierend.«

Mozart lächelte. Die Gräfi n war jung und schön, einfach zauberhaft , aber es musste doch einen Mann in ihrem Leben geben. Einen Ehering sah er nicht an ihrem Finger. Merkwürdig, aber sie trug ein Gebetbuch in Händen. Sicherlich war der morgendliche Kirchgang die einzige Ab-wechslung in dem öden Nest, welches Salzburg hieß.

Mozart, seine Lordschaft , bekam erneut einen Hustenanfall, in die er-schrockenen Augen der Gräfi n blickend.

»Es ist nichts, Gräfi n. Ich hust halt ein wenig. Meine Londoner Ärzte, Juden, ich lass nur jüdische Ärzte an meinen Körper, alle anderen taugen nichts, haben mich reisen lassen, denn der Kaiser, der fabelhaft e Franz Joseph I., möchte mir irgendeinen Orden verleihen, und in der Hofoper kommt mein Werk Candide, frei nach Voltaire heraus. Ich hab gehört, der Erzbischof von Wien, der gute Vincenz Eduard Milde, soll in seiner vergoldeten Kutsche hinaus nach Schönbrunn gefahren sein, damit der Kaiser die Oper verbiete. Ich sag's Ihnen, die Hohenpriester waren immer eine Gefahr für die Menschheit, vielmehr sie sinds schon wieder, denken S'an Pius VII. Leo XII. und Gregor XVI., nachdem das Papstum nach dem Wiener Kongress wieder in seine alten Rechte eingesetzt, und den Kir-chenstaat zurückerhalten, in dem sich die Menschen gegen ihre Peiniger die Päpste und die Kurie empörten, und der Papst vor den Humanisten und Sozialisten in das Königreich Neapel fl iehend, mit Hilfe des Kaisers und des Präsidenten der Französischen Republik bald, nach Rom zurück-kehrend, noch furchtbarer über Rom und den Kirchenstaat herrschen wird als vorher. Das sage ich Ihnen als Mitglied des House of Lords und eines Menschen, der einmal in der Woche mit der Queen Schach spielt und ihr Sonaten von Beethoven, Schubert und mir selbst vorspielen muss. Auch Werke Johann Sebastians Bach bringe ich ihr zu Gehör, Präludien und Fugen aus dem Wohltemperierten Klavier.«

»Waren Sie lange nicht in Wien, Lord Mozart?« Gräfi n Colloredo konnte ihr Glück, den großen Mozart sehen und sprechen zu dürfen, nicht fassen, hoff end, dass kein Domherr erschien, um die Zweisamkeit mit dem Unsterblichen zu stören.

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»Lange, Gräfi n. Man konnte zwar meine Erfolge nicht ignorieren, auch nicht Antonio Salieri, der bis 1824 Kapellmeister der kaiserlichen Hofk a-pelle war, aber der Prophet gilt nichts im eigenen Land, dabei hat damals, 1791, jeder Wiener meine Zauberfl öte gesehen, selbst Kaiser Leopold II., der Nachfolger Joseph II., ist in das Th eater des Schikaneder gelau-fen und hat sich meine Oper angehört. Der Schikaneder hat`s mir nach London geschrieben. Er konnt es gar nicht fassen, der Schikaneder, der gute Emanuel, der immer den Papageno gesungen hat. Der Schikaneder war damals, 1791, meine letzte Rettung, und nach dem Erfolg der Oper Die Zauberfl öte, da konnte ich doch nicht einfach sterben. Jetzt fängt das Leben erst an, Mozart, habe ich gedacht, du kannst die schöne Welt jetzt nicht verlassen, aber du musst Wien, wo Idioten regieren, der Kaiser und der Erzbischof, verlassen.«

Mozart, Member of the House of Lords hustete erneut. »Und Die Zauberfl öte war auch die Rettung für den Schikaneder, Contessa, der ei-gentlich Johann Joseph Schickeneder hieß. Er hat mit meiner Oper soviel Geld verdient, dass er nicht nur seine Schulden bezahlen, sondern auch das Th eater an der Wien bauen konnt, der Textdichter meiner Märchen-oper Die Zauberfl öte.

Isabella Johanna Maria von Colloredo, besorgte Blicke auf den Kom-ponisten werfend, erwiderte das mozartsche Lächeln, denkend: mein Gott, wie klein er ist und wie zerbrechlich, die Frage stellend, wer um sein persönliches Wohl Sorge trage.

Mozart, auf den wohlgeformten Busen der Dame von Adel blickend, lächelte zuvorkommend: »Ich reise mit einem Stab von Mitarbeitern in fünf Reisewagen, die von je acht Pferden gezogen werden, und einem Zehnspänner, und da, wo schon Bahnverbindungen bestehen, und es gibt ja immer mehr, ganz Europa wird von einem Netz von Eisenbahn-strecken überzogen, und ich bin einer der Investoren auf den Britischen Inseln, auch in Österreich und Bayern will ich investieren, benutzen wir die Stahlrösser mit Dampfantrieb.«

Mozart verschweigend, dass the Duchess of Mayfair the Princess Elisa-beth of Wellington in einer der Equipagen mitreise, vertieft e sein Lächeln. Ganz London lästerte über das Verhältnis der Duchess zu ihm, Lord Mo-zart, die, gemeinsam mit Baron Salomon de Rothschild, als seine Erbin und Nachlassverwalterin eingesetzt, auch das Management seines riesigen Immobilienbesitzes, der Beteiligungen und Ländereien übernommen, und gesagt: Amadeus, gehe bitte alleine, ich betreibe Schönheitspfl ege.