Mueller, Au-pair, Leseprobe
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Transcript of Mueller, Au-pair, Leseprobe
GolubBooks
Edition Green Gables
Band 5
Dörte Müller
Geschichten aus dem Leben
eines Au-pairs
GolubBooks
©2014 GolubBooks, Karlsruhe
Lektorat: Sophia Weiss
Autorenfoto: ©Dörte Müller
Logo: V-print B.V., Niederlande
Umschlagillustration: ©Dörte Müller
Buchillustrationen: ©Dörte Müller
Umschlagphoto: ©kreatik - Fotolia.com
Covergestaltung: BGV, Karlsruhe
Satz: BGV, Karlsruhe
Druck: Boje, Novi Sad
ISBN 978-3-942732-10-9
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliographische Daten
sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
INHALTSVERZEICHNIS
Kapitel 1: Die Ankunft und was vorher geschah 7
Kapitel 2: Die ersten Tage in Amerika 18
Kapitel 3: Mit Helle in der Stadt 25
Kapitel 4: Ein neuer Anfang 29
Kapitel 5: Mein neues Baby 32
Kapitel 6: Oak Park 36
Kapitel 7: Neue Freunde 42
Kapitel 8: Volleyball für Singles 46
Kapitel 9: Viele neue Leute 50
Kapitel 10: Thanksgiving Dance 55
Kapitel 11: Selbstverteidigung und ihre Folgen 61
Kapitel 12: Überleben im Winter 66
Kapitel 13: Eine Verwechslung 73
Kapitel 14: Es weihnachtet sehr 77
Kapitel 15: Paul und Frank 83
Kapitel 16: Bei Paul 89
Kapitel 17: Chicago Night Life 93
Kapitel 18: Der Tornado 99
Kapitel 19: Besuch aus Deutschland 108
Kapitel 20: Schlechte Nachrichten 124
Kapitel 21: Wie im Film 130
Kapitel 22: Abschied 137
Nachwort 143
Die Geschichte ist fiktiv. Ähnlichkeiten mit Personen sind rein zufällig und unbeabsichtigt.
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KAPITEL 1
DIE ANKUNFT UND WAS VORHER GESCHAH
(...) und er träumte von Afrika, als er ein Junge war,
und den langen, goldgelben Ufern und den weißen
Ufern, die so weiß waren, dass einem die Augen
wehtaten, und den hohen Vorgebirgen und den gro-
ßen, braunen Bergen. Jede Nacht lebte er jetzt an
dieser Küste (...)
Der alte Mann und das Meer,
Hemingway
Es war am 10. September 1990 gegen elf Uhr abends mittela-
merikanischer Normalzeit. Ich saß im Flugzeug, schob das Es-
sen zur Seite, lehnte mich zurück und dachte an die vergange-
nen Wochen, die so ereignisreich waren, dass ich es immer
noch nicht fassen konnte. Ich war auf dem Weg nach Chicago
und begegnete gleich meiner Gastfamilie, mit der ich ein gan-
zes Jahr zusammen leben würde.
Wie hatte eigentlich alles angefangen?
Um ehrlich zu sein: Die Au-pair Idee war schon ziemlich
lange in meinem Kopf. Ich bewunderte insgeheim die Mäd-
chen, die diesen Sprung geschafft hatten und so viel Interes-
santes über ihr Leben in einem anderen Land zu berichten
wussten ...
Irgendwann fing ich dann an, mich nicht mehr so wohl in
meinem Studentenwohnheim zu fühlen. Ständig war ich un-
glücklich in jemanden verliebt, ständig hatte ich langweilige
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Pädagogikseminare über mich ergehen zu lassen, und in letzter
Zeit zweifelte ich oft an meinem Berufsziel, einmal Lehrerin
werden zu wollen.
Hannah, meine Studienfreundin, lud Sandra und mich ei-
nes Nachmittags einmal wieder zum Tee ein. Im Flur ihrer
Wohnung hing ein gigantisch großes Bild, auf dem abstrakte
Figuren in schrillen Farben ziellos durch die Gegend wirbel-
ten. Ich fragte mich, ob ein echter Künstler, eine Hausfrau, ein
Kleinkind oder gar ein Affe der geniale Schöpfer dieses Wer-
kes gewesen war. Vielleicht hatte Hannah auch selber zum
Pinsel gegriffen und in einem Selbsterfahrungskurs ihr Inneres
herausgelassen – ich musste es einfach herausfinden.
„Wo hast du denn das her?“, fragte ich Anerkennung heu-
chelnd. „Das hat mir ein Künstler aus Amerika geschenkt, da-
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mals, als ich Au-pair war und einen Unfall auf dem Highway
hatte. Stell` dir vor: Ich war gerade zwei Tage dort und hatte
einen Unfall! Na ja, da hat dann ein netter Mann angehalten
und mich abgeschleppt. Mit dem war ich das ganze Jahr über
noch im Kontakt ...“ „ Du erlebst immer Sachen!“, brachte Sandra hervor und schlürfte ihren Tee. Hannah war wieder
richtig in Erzähllaune, holte Fotos aus Santa Barbara hervor
und berichtete Erlebnisse aus einer mir vollkommen fremden
Welt.
„... schon beim ersten Abendessen mit meiner Gastfamilie
fühlte ich mich wie zu Hause. Der Gastvater kam mir total be-
kannt vor, irgendwo hatte ich schon einmal gesehen. Schließ-
lich stellte sich heraus, dass er bei Dallas mitgespielt hat und
bei Flamingo Road. Stellt euch das mal vor! Er lebt in Santa
Barbara natürlich unter einem anderen Namen, damit die Leu-
te ihm nicht das Haus einrannten. Jedes Wochenende kamen
berühmte Schauspieler zu unseren Partys – ich habe ganze Al-
ben voller Autogramme ...“ Hannah zog drei dicke Alben aus dem Regal: Das eine war wirklich voller Autogramme. Die
übrigen Bilder zeigten Hannah tiefbraun unter Palmen und
knallblauem Himmel. Fehlte nur noch der Schriftzug: Delial
bräunt ideal. Ihre Au – pair Kinder umringten sie strahlend –
eine Welt voller Sonnenschein.
„Wenn ich könnte, wäre ich wieder dort!“, seufzte Han-
nah wehmütig. Doch inzwischen war sie glückliche Mutter ei-
nes schrumpeligen, rosa Babys, das gerade fürchterlich zu
brüllen anfing. „Ich glaube, wir gehen jetzt lieber!“, meinte Sandra und nahm sich beim Aufstehen einen Keks. „Das nächste Mal können wir uns bei mir treffen, aber bring die Al-
ben mit, ich höre deine Geschichten immer so gerne!“, sagte ich. Hannah fühlte sich geschmeichelt. „Du hast doch auch schon viel erlebt ...“
Das fand ich nicht. Spontan fiel mir nur die Geschichte
meiner behüteten Kindheit im Forsthaus ein, in einem Dorf,
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wo sich noch Fuchs und Igel gute Nacht sagen. Das lockte
doch keinen Hund hinter dem Ofen hervor und würde im
Zweifelsfall nur eine gute Kulisse für Kinderbücher wie „För-
sters Pucki“ oder „Pucki kommt auf die höhere Schule“ abge-
ben.
Nach diesem gemütlichen Teenachmittag saß ich schließ-
lich irgendwie deprimiert in der Straßenbahn Linie eins, die
mich ratternd meinem Wohnheim entgegen brachte. Ich schau-
te aus dem Fenster auf die sich vorbeiquälende Autoschlange,
betrachtete die muffeligen Leute neben mir und hatte das be-
drückende Gefühl, das wahre Leben zu verpassen. Dabei war
ich doch noch so jung! Das konnte doch nicht alles gewesen
sein.
Das Wohnheim lag abseits der Stadt und bestand aus vier
Häusern mit je vier Etagen für je neun Studenten. Ich wohnte
auf der berühmt berüchtigten Etage 1.1., die schon mehrfach
wegen Krach und vieler Feten unangenehm aufgefallen war.
Auch an diesem Abend saßen in der Gemeinschaftsküche wie-
der sechs Leute beim Bier, denn irgendjemand hatte heute eine
Prüfung bestanden. Lautes Geklapper von Gläsern und Fla-
schen, derbe Sprüche und ... Lena saß händchenhaltend mit
Tobias auf dem Sofa.
In Tobias hatte ich mich bereits vor drei Semestern ver-
bliebt, dann war Lena eingezogen und hatte ihn auf drei Feten
mit Bier überschüttet, worauf er sie schließlich mit seiner Lie-
be überschüttete ... Tja, obwohl ich dieses Kapitel schon längst
abgeschlossen haben müsste, war es noch immer nicht schön,
dieses Glück mit ansehen zu müssen.
„Hey, Pia, komm in die Küche, wir trinken schon!“, rief Max, ein großer, dünner Blonder, nicht mehr ganz nüchtern
und prostete mir mit einer überschäumenden Becksflasche zu.
In Max hatte ich mich vor einem Semester verliebt. Wir
waren zwar mehrfach gemeinsam nach einigen Feten in der
Morgendämmerung um den See gegangen, doch bei einem
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klärenden Gespräch war herausgekommen, dass er insgeheim
auch in Lena verknallt war und ihr immer noch hinterher
trauerte. „Na, klasse! Vielleicht sollten wir uns verbünden und Tobias und Lena gemeinsam auseinander bringen!“, hätte ich daraufhin fast vorgeschlagen, aber ich ließ es lieber bleiben.
Marvin trank gerade aus zwei Bierflaschen gleichzeitig,
so dass die Hälfte auf sein blaues Sweatshirt pladderte. Kai
rülpste, dass die Wände wackelten. „Der war gut, Kai! Aber ich kann noch lauter!“, rief Dirk und nahm wieder seinen täg-
lichen Rülpswettstreit mit Kai auf. Dabei überbot er ihn wie
immer. Wie mich das alles anekelte ... Immer dieselben Leute,
dieselben Sprüche, dasselbe Bier und dieselben Kopfschmer-
zen am nächsten Morgen.
Ich schlug genervt meine Zimmertür zu, denn inzwischen
war ich allergisch auf Feten. Nur schnell das Radio anmachen,
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damit ich den Krach nicht so hörte ... Wenige Minuten später
klang“ It never rains in Southern California“ durch den Raum – für kurze Zeit war ich wieder unter Palmen am Strand von
Santa Barbara und machte aufregende Bekanntschaften mit
amerikanischen Künstlern, die mir abstrakte Gemälde schenk-
ten.
„Es muss etwas geschehen! So geht das nicht weiter mit mir!“, schrieb ich in mein Tagebuch und klappte es energisch zu.
Als der Entschluss, ein Au-pair Leben zu führen, gefasst
war, ging alles unheimlich schnell. Ich vertraute mich einer
Au-pair Organisation an, Hannah erklärte mir, wie man Babys
richtig wickelt, ich reiste zu einem Auswahlinterview nach
Hannover und wenige Wochen später kam schon der Tag, an
dem ich auf den Anruf von meiner Gastfamilie wartete. Ich
wartete und wartete. Zwei Tage ging ich nicht zur Uni und
verbrachte die Zeit in unmittelbarer Nähe des Telefons. Bei
jedem Klingeln schreckte ich zusammen, aber es war immer
für jemanden anderen von meiner Etage. Ich kam mir schon so
vor, als würde ich bei der Telefonauskunft arbeiten - nur, dass
ich immer weite Strecken zwischen Telefon und dem entspre-
chenden Zimmer zurücklegen musste und kein Geld für meine
Tätigkeit bekam.
Gegen Mitternacht des zweiten Tages wurde ich schließ-
lich vom langen Warten doch müde und legte mich in mein
Bett. Plötzlich klingelte das Telefon. Ich drehte mich genervt
zur Seite. „Das werden sie nicht sein. Nicht um diese Zeit. Welcher Blödmann ist das nur?“, dachte ich verärgert. Doch dann bollerte es ganz laut gegen meine Tür. „Für dich. Ir-gendwelche Ausländer!“, muffelte Max, der wahrscheinlich gerade geweckt worden war und nun in sein schäbiges Zimmer
zurück schlurfte. Aufgeregt raste ich zum Telefon. Meine zu-
künftige Familie hatte Kontakt mit mir aufgenommen. Sie ka-
men aus Chicago, doch ich war ein wenig enttäuscht. „Keine
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Palmen, kein Strand, sondern viele Gangster!“ Ich überlegte fieberhaft, wie ich diese Tatsache meiner besorgten Oma bei-
bringen sollte. Weiterhin erfuhr ich, dass sie zwei kleine Mäd-
chen hatten, die eine war zwei und die andere vier Jahre alt.
„Das ist bestimmt ganz toll, dann kann man schon richtig mit denen spielen, und das wird nie langweilig!“, dachte ich im
Stillen.
Am nächsten Tag setzte ich gleich einen langen Brief auf:
Ich erzählte von meiner Kindheit im Forsthaus, von meinem
Studentenleben, von meinen Hobbys und von meinen Freun-
den. Der Brief war echt gelungen und plötzlich fand ich, dass
mein Leben sich ganz prima anhörte! Warum wollte ich ei-
gentlich weg?
Kurze Zeit später hatte ich schon den ersten Brief von den
Carters in den Händen und betrachtete neugierig die Bilder
meiner zukünftigen Kinder: Ashley (4) und Shirley (2) hatten
zwei Rüschenkleidchen an und blinzelten gekonnt in die Ka-
mera. Dann ein Foto von Ashleys viertem Geburtstag: Ca. 20
kleine Mädchen umgeben von einem Berg von Spielsachen.
Wie drollig! Ich freute mich schon unbändig und war glück-
lich, einige Monate vor Abflug noch so viel über die Carters
zu erfahren...
Langsam hatte es im Wohnheim seine Runde gemacht,
dass ich am 10. September eine große Reise antreten würde.
Die ersten Wetten liefen schon, nach wie viel Wochen ich
wieder da sein würde. Aber es gab sogar einige Stimmen, die
meinten, ich würde sicherlich ganz in den USA bleiben.
An dem Abend vor meinem Auszug aus dem Wohnheim
trank ich mit Tobias wie so oft ein Gute–Nacht–Pils um vier
nach halbzwei in unserer Gemeinschaftsküche. Trotz seiner
Freundin Lena hatte er diese Zeit für mich reserviert, was mich
insgeheim sehr stolz machte, und worauf ich mich den ganzen
Tag freute. „Vielleicht komme ich dich besuchen, wenn ich durch die Nationalparks wandere!“, sagte er. „Das wäre
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schön!“, brachte ich hervor und nahm einen kräftigen Zug von
meinem Bier. „Ich werde dir sobald wie möglich Informatio-
nen schicken, damit du deine Reise planen kannst. Vielleicht
habe ich ja auch gerade Urlaub!“ Ich wollte noch hinzufügen: „Lena kannst du aber ruhig zu Hause lassen!“, verkniff mir aber lieber diese Bemerkung. Wir verabschiedeten uns wie gu-
te alte Freunde, die sich eine lange Zeit nicht wiedersehen
würden. Ich heulte hemmungslos, und ich konnte es kaum
glauben, auch er presste eine Träne hervor. Ich fühlte mich
wie in einer Vorabend Fortsetzungssendung, die wahrschein-
lich genau in diesem Augenblick enden würde, um die Zus-
chauer mit feuchten Augen in Spannung zu halten, nach dem
Motto: Wann werden sie sich wiedersehen? Wird er sie besu-
chen und mit Lena Schluss machen? Wird sie sich in Amerika
neu verlieben?
Dann war er endlich gekommen, dieser schicksalhafte 10.
September und nun begann ein neues Leben für mich. Endlich.
Bald würde ich auch so tolle Geschichten erzählen können wie
Hannah. Meine Schulfreundin Maike hatte mich zum Ham-
burger Flughafen gefahren und immer wieder gesagt: „Ich kann es noch gar nicht fassen, dass du dir das zutraust! Ich
finde das echt ganz toll!“ Wir verabschiedeten uns unter Trä-
nen. „Ich besuche dich bestimmt, dann machen wir Party!“, rief sie mir noch hinterher.
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NACHWORT
Wenn ein Kind auf euch zukommt, wenn es lacht,
wenn es goldenes Haar hat, wenn es nicht antwor-
tet, so man es fragt, dann werdet ihr wohl erraten,
wer er ist. Dann seid so gut und lasst mich nicht
weiter traurig sein: schreibt mir schnell, wenn er
wieder da ist ...
Der Kleine Prinz
Antoine de Saint-Exupéry
In den nächsten Semesterferien durchwanderten Tobias und
ich zahlreiche schwedische Nationalparks. Ich musste eine
Examensarbeit schreiben und noch viele Prüfungen bestehen.
Drei Jahre später jedoch fand ich wieder Zeit, noch einmal
nach Oak Park zu reisen. Jean war inzwischen wieder schwan-
ger, Benjamin war fünf und Steve drei Jahre alt. Derzeit hatten
sie ein Kindermädchen aus Polen, denn mit den nachfolgenden
Au – pairs hatten sie viel Pech gehabt. Benjamin stand mir
gegenüber und betrachtete mich nachdenklich mit seinen gro-
ßen braunen Kinderaugen.
„Das ist Pia!“, sagte Dan aufmunternd. „Sie hat vor drei Jahren auf dich auf-
gepasst. Von ihr hast du
auch deinen German
Bear...!“ Benjamin ver-
steckte sich schüchtern
hinter dem Sofa und ver-
barg sein Gesicht schüt-
zend in einem großen Kis-
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sen. Ich war eine Fremde. Der German Bear lag irgendwo un-
ter dem Spielzeugberg im Kinderzimmer und träumte von der
alten Zeit ...
Dörte Müller, geboren 1967 in Bad Lauterberg, studierte An-
glistik, Germanistik und Kunst. Sie arbeitete als Lehrerin an
einer Realschule und lebt derzeit in den Niederlanden. Neben
Fachpublikationen veröffentlichte sie Kurzgeschichten und
Gedichte in Anthologien.