Mündlicher Sprachgebrauch Zwischen Normorientierung und ... · Die Linguistik begreift sich zu...

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Mündlicher Sprachgebrauch Zwischen Normorientierung und pragmatischen Spielräumen Internationale Tagung im Rahmen des DFG-Projekts „Gesprochener Standard“ 9. bis 11. Juni 2016, Campus Landau, Gebäude C I, Konferenzraum Die Linguistik begreift sich zu Recht als eine empirische Wissenschaft, die sich nicht an ästhe- tischen oder präskriptiven Urteilen orientiert, sondern Sprachsystem und Sprachgebrauch auf der Basis wissenschaftlicher Methoden beschreibt. In der Öffentlichkeit jedoch besteht ein starkes Bedürfnis nach Orientierung in der Sprache, wobei häufig der Wunsch geäußert wird, sprachliche Äußerungen nach ‚richtig‘ und ‚falsch‘ zu kategorisieren. Von einer aus- schließlich deskriptiv und anti-normativistisch eingestellten Linguistik fühlen sich Sprachnut- zerInnen – z.B. auch Lehrkräfte – aber häufig im Stich gelassen. Unter anderem als Reaktion darauf hat sich in der Germanistischen Sprachwissenschaft mitt- lerweile eine linguistisch fundierte Sprachkritik herausgebildet (vgl. Kilian/Niehr/Schiewe 2010), die davon ausgeht, dass Sprache de facto von ihren NutzerInnen bewertet wird und sich situative Angemessenheitskriterien für sprachliche Äußerungen rekonstruieren lassen. Die linguistisch fundierte Sprachkritik spielt für die Sprachdidaktik sowie für das Verhältnis von Linguistik und Öffentlichkeit eine wichtige Rolle, da sie das Bedürfnis nach Orientierung in der Sprache ernst nimmt und gleichzeitig wissenschaftlich fundiert vorgeht. In der empirischen Erforschung der gesprochenen Sprache hat die starke Betonung der Vari- anz dazu geführt, dass der Normativitätsaspekt des Sprachgebrauchs bisweilen in den Hin- tergrund rückte. Erst seit kurzem befassen sich die Gesprochene-Sprache-Forschung und die Interaktionale Linguistik intensiver mit dem Normen- und Standardproblem (Depper- mann/Helmer 2013, Schneider/Albert 2013, Staffeldt/Ott 2014). Dabei reflektieren Spreche- rInnen sehr wohl, dass sich in bestimmten Domänen unterschiedliche Normen eingespielt haben, die man beherrschen muss, um sozial erfolgreich zu sein. Standardvarietäten zu be- herrschen kann Zeichen einer hohen Sprachkompetenz sein, auch wenn von einer wirklich souveränen Sprachkompetenz erst dann die Rede sein, wenn man im geeigneten Moment auch gezielt von Normen abweichen kann. – „Wer fest steht, kann sich freier bewegen“ (Eichinger 2005). Die Tagung findet im Rahmen des DFG-Projekts „Gesprochener Standard“ statt und rückt dementsprechend den mündlichen Sprachgebrauch in den Mittelpunkt, der im Spannungs- feld von Normativität und pragmatischen Spielräumen analysiert werden soll. Aber auch kontrastive Studien zur Normativität des schriftlichen Sprachgebrauchs sind passend. Da die Tagung zudem auf einer Kooperation zwischen der Germanistischen und der Romanischen Sprachwissenschaft der Universität Koblenz-Landau beruht, sind neben Untersuchungen zur deutschen auch solche zur französischen Sprache sehr willkommen. Erwünscht sind außer- dem nicht nur rein fachwissenschaftliche Vorträge, sondern auch sprachdidaktisch ausge- richtete Ansätze, die z.B. einen Bezug zwischen Linguistik und Schulunterricht herstellen.

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Mündlicher Sprachgebrauch

Zwischen Normorientierung und pragmatischen Spielräumen

Internationale Tagung im Rahmen des DFG-Projekts „Gesprochener Standard“

9. bis 11. Juni 2016, Campus Landau, Gebäude C I, Konferenzraum

Die Linguistik begreift sich zu Recht als eine empirische Wissenschaft, die sich nicht an ästhe-

tischen oder präskriptiven Urteilen orientiert, sondern Sprachsystem und Sprachgebrauch

auf der Basis wissenschaftlicher Methoden beschreibt. In der Öffentlichkeit jedoch besteht

ein starkes Bedürfnis nach Orientierung in der Sprache, wobei häufig der Wunsch geäußert

wird, sprachliche Äußerungen nach ‚richtig‘ und ‚falsch‘ zu kategorisieren. Von einer aus-

schließlich deskriptiv und anti-normativistisch eingestellten Linguistik fühlen sich Sprachnut-

zerInnen – z.B. auch Lehrkräfte – aber häufig im Stich gelassen.

Unter anderem als Reaktion darauf hat sich in der Germanistischen Sprachwissenschaft mitt-

lerweile eine linguistisch fundierte Sprachkritik herausgebildet (vgl. Kilian/Niehr/Schiewe

2010), die davon ausgeht, dass Sprache de facto von ihren NutzerInnen bewertet wird und

sich situative Angemessenheitskriterien für sprachliche Äußerungen rekonstruieren lassen.

Die linguistisch fundierte Sprachkritik spielt für die Sprachdidaktik sowie für das Verhältnis

von Linguistik und Öffentlichkeit eine wichtige Rolle, da sie das Bedürfnis nach Orientierung

in der Sprache ernst nimmt und gleichzeitig wissenschaftlich fundiert vorgeht.

In der empirischen Erforschung der gesprochenen Sprache hat die starke Betonung der Vari-

anz dazu geführt, dass der Normativitätsaspekt des Sprachgebrauchs bisweilen in den Hin-

tergrund rückte. Erst seit kurzem befassen sich die Gesprochene-Sprache-Forschung und die

Interaktionale Linguistik intensiver mit dem Normen- und Standardproblem (Depper-

mann/Helmer 2013, Schneider/Albert 2013, Staffeldt/Ott 2014). Dabei reflektieren Spreche-

rInnen sehr wohl, dass sich in bestimmten Domänen unterschiedliche Normen eingespielt

haben, die man beherrschen muss, um sozial erfolgreich zu sein. Standardvarietäten zu be-

herrschen kann Zeichen einer hohen Sprachkompetenz sein, auch wenn von einer wirklich

souveränen Sprachkompetenz erst dann die Rede sein, wenn man im geeigneten Moment

auch gezielt von Normen abweichen kann. – „Wer fest steht, kann sich freier bewegen“

(Eichinger 2005).

Die Tagung findet im Rahmen des DFG-Projekts „Gesprochener Standard“ statt und rückt

dementsprechend den mündlichen Sprachgebrauch in den Mittelpunkt, der im Spannungs-

feld von Normativität und pragmatischen Spielräumen analysiert werden soll. Aber auch

kontrastive Studien zur Normativität des schriftlichen Sprachgebrauchs sind passend. Da die

Tagung zudem auf einer Kooperation zwischen der Germanistischen und der Romanischen

Sprachwissenschaft der Universität Koblenz-Landau beruht, sind neben Untersuchungen zur

deutschen auch solche zur französischen Sprache sehr willkommen. Erwünscht sind außer-

dem nicht nur rein fachwissenschaftliche Vorträge, sondern auch sprachdidaktisch ausge-

richtete Ansätze, die z.B. einen Bezug zwischen Linguistik und Schulunterricht herstellen.

Folgende Fragen sollen das thematische Spektrum der Tagung exemplarisch illustrieren:

• Was ist eine sprachliche Norm? In welchem Verhältnis stehen Norm und Varianz? Wie

werden sprachliche Normen in der gesprochenen Sprache etabliert?

• An welchen mündlichen Normen orientieren sich Lehrkräfte im Unterricht? Gibt es in

Bezug auf die sprachliche Normorientierung signifikante Unterschiede zwischen Deutsch-

land und Frankreich?

• Was ist gesprochener Standard? Gibt es ihn überhaupt?

• Wie können Erkenntnisse der Gesprochene-Sprache-Forschung besser in Lehrwerken für

den muttersprachlichen Deutschunterricht sowie für den DaF-Unterrricht untergebracht

werden?

• Wie ließe sich das Thema Normativität in der Interaktionalen Linguistik stärker verorten?

Für die einzelnen Vorträge sind jeweils 45 min vorgesehen (30 min Vortrag + 15 min Diskus-

sion). Bitte reichen Sie Ihre Vortragsvorschläge als PDF-Datei bis zum 1. November 2015 via

E-Mail an [email protected] (Dr. Georg Albert) ein. Die Abstracts sollten kurz (max. 300

Wörter), aber aussagekräftig sein. Die Vortragssprache ist Deutsch.

Organisationskomitee:

Prof. Dr. Jan Georg Schneider Dr. des. Judith Butterworth

Dr. Georg Albert Nadine Hahn M.A.

Literaturverzeichnis

Deppermann, Arnulf / Helmer, Henrike (2013): Standard des gesprochenen Deutsch: Begriff,

methodische Zugänge und Phänomene aus interaktionslinguistischer Sicht. In: Jörg Hagemann /

Wolf Peter Klein / Sven Staffeldt (Hgg.): Pragmatischer Standard. Tübingen: Stauffenburg, 111-

141.

Eichinger, Ludwig M. (2005): Wer fest steht, kann sich freier bewegen – Freiheit im Rahmen

standardsprachlicher Normen. In: Ludwig M. Eichinger / Werner Kallmeyer (Hgg.): Standard-

variation. Wie viel Variation verträgt die deutsche Sprache? Berlin et al.: de Gruyter, 1-6.

Killian, Jörg / Niehr, Thomas / Schiewe, Jürgen (2010): Sprachkritik. Ansätze und Methoden der

kritischen Sprachbetrachtung. Berlin/New York: de Gruyter.

Meunier, Deborah / Rosier, Laurence (im Druck): La construction discursive de la norme chez les

apprenants FLE: entre discours savant et discours populaire. In: Carnets du Cediscor.

Schneider, Jan Georg / Albert, Georg (2013): Medialität und Standardsprache - oder: Warum die

Rede von einem gesprochenen Gebrauchsstandard sinnvoll ist. In: Jörg Hagemann / Wolf Peter

Klein / Sven Staffeldt (Hgg.): Pragmatischer Standard. Tübingen: Stauffenburg, 49-60.

Staffeldt, Sven / Ott, Christine (2014): Sprechen als kommunikative Ressource. Was die linguistische

Pragmatik für den Kompetenzbereich ‚Sprechen‘ zu bieten hat. – In: Michael Rödel (Hg.):

Deutschunterricht am Gymnasium – Was kann die Sprachwissenschaft leisten? Hohengehren:

Schneider, 66-83.