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MURAD W. HOFMANN ISLAM

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MURAD W. HOFMANN ISLAM

KOMPAKT

DIEDERICHS

ISLAM

MURAD W.HOFMANN

Die Deutsche Bibliothek – CIP-EinheitsaufnahmeHofmann, Murad Wilfried:

Islam / Murad Wilfried Hofmann. – 2. Aufl. – Kreuzlingen ; München :

Hugendubel, 2001(Diederichs kompakt)ISBN 3-7205-2191-5

Zweite Auflage 2001© Heinrich Hugendubel Verlag, Kreuzlingen / München

2001Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Zembsch’ Werkstatt, MünchenTextredaktion: Loel Zwecker, München

Produktion: Maximiliane SeidlSatz: EDV-Fotosatz Huber/Verlagsservice G. Pfeifer,

GermeringDruck und Bindung: Huber, Dießen

Printed in Germany

ISBN 3-7205-2191-5

INHALT

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

Editorische Notiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

1.DIE ENTSTEHUNG DES ISLAM . . . . . . . . . . . . . 13Der Islam als Weltreligion . . . . . . . . . . . . . . . 13Der Islam als monotheistische Religion . . . . 13Der Islam als Religion Abrahams . . . . . . . . . 15Der Islam als Offenbarungsreligion . . . . . . . 16Ein muslimischer Prophet . . . . . . . . . . . . . . . 17Arabien vor Muhammad . . . . . . . . . . . . . . . . 18Muhammads Sendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19Muhammad als vollkommener Mensch . . . . . 23Die Entstehung des Korans . . . . . . . . . . . . . . 24Die Autorität des Korans . . . . . . . . . . . . . . . . 26Koran-Übersetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

2.DIE THEOLOGIE DES ISLAM . . . . . . . . . . . . . . 28Der Glaube an Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

Gottes schönste Namen . . . . . . . . . . . . . . . 28Die gnostische Versuchung . . . . . . . . . . . . 29Evolution oder Schöpfung? . . . . . . . . . . . . 30

Der Glaube an Seine Engel . . . . . . . . . . . . . . 30Der Glaube an Seine Propheten . . . . . . . . . . 31

Wer war Prophet? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31Der letzte Prophet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31Sündenlosigkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

Der Glaube an Seine Schriften . . . . . . . . . . . 33Der Glaube an das Jenseits . . . . . . . . . . . . . . 34

Anfang und Ende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34Erbsünde? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34Sünde und Verzeihung . . . . . . . . . . . . . . . . 35Himmel und Hölle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

Vorherbestimmung oder freier Wille? . . . . . 36

3.DER GOTTESDIENST IM ISLAM . . . . . . . . . . . . 38Glaubensbekenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38Gebet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

Das rituelle Gebet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39Das Freitagsgebet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41Die Rolle des Arabischen . . . . . . . . . . . . . . 42

Fasten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43Pilgerfahrt nach Mekka . . . . . . . . . . . . . . . . . 44Koranische Steuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46Feiertage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47Beerdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48

4.ETHIK UND RECHT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50Die Normen des Korans . . . . . . . . . . . . . . . . 50Die Prinzipien des Korans . . . . . . . . . . . . . . . 51Die Sunna des Propheten . . . . . . . . . . . . . . . . 51Islamische Jurisprudenz . . . . . . . . . . . . . . . . . 55Moralische Kategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57Das Gebotene und Verbotene im Islam . . . . 58Der Islam und die Menschenrechte . . . . . . . . 60Scharia und/oder Mystik? . . . . . . . . . . . . . . . 61

Volksislam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61Mystik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62

5.DIE ISLAMISCHE FAMILIE . . . . . . . . . . . . . . . . . 66

6.DER ISLAMISCHE STAAT . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69Bausteine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69Verfassungssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69Wirtschaftssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70Umweltethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72Religiöse Minderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . 73Rassische Minderheiten / Sklaverei . . . . . . . . 74Tierschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75Theokratie oder Säkularismus? . . . . . . . . . . . 76

7. ISLAMISCHE STRÖMUNGEN . . . . . . . . . . . . . . . 78Wer ist also Muslim? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78Schiitischer Islam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79

8. ISLAMISCHE GESCHICHTE . . . . . . . . . . . . . . . . 81Frühe Expansion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81Das Kalifat in Damaskus und Bagdad . . . . . . 83Philosophenstreit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83Andalusien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85Kreuzzüge und Mongolenstürme . . . . . . . . . 86Die Osmanen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87Kolonisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87

9. ISLAMISCHE GEGENWART . . . . . . . . . . . . . . . . 89Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89Orientalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89Die Islamische Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . 90

Phänomen der Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . 90Geburtsumstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91Die Bewegung heute . . . . . . . . . . . . . . . . . 92Gewaltbereitschaft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93

Feindbild Islam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94Muslimisch-christlicher Dialog . . . . . . . . . . . 95

10. ISLAMISCHE INSTITUTIONEN UND SYMBOLE . . 97Das Kalifat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97Religionsdiener . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98Islamischer Vatikan? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98Internationale Organisationen . . . . . . . . . . . . 99Islamische Organisationen in Europa . . . . . . 99Institutionen in Deutschland und Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100Islamische Symbole . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101

Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103Zeittafel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105Begriffsglossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111Adressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113Namenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114Sachwortregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116Zum Autor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120

EINLEITUNG

Sich mit dem Islam zu befassen, dafür gibt es einenebenso einfachen wie einleuchtenden Grund: Der Islamist im Aufwind (Ursula Spuler-Stegemann). Heute be-kennen sich bereits 1,2 Milliarden Menschen zum Islam,und ihre Zahl wächst. Sie leben nicht nur in der musli-mischen Welt, in 55 in der Organisation der IslamischenKonferenz (O.I.C.) organisierten Staaten, sondern auchim Westen, überall.

In Deutschland finden sich rund drei Millionen Musli-me, darunter 2,1 Millionen Türken sowie zahlreicheÄgypter, Albaner, Algerier, Bosnier, Marokkaner, Paläs-tinenser, Syrer und Tunesier. Auch etwa 80 000 Deutsch-stämmige bekennen sich zum Islam. Noch bedeutenderist die muslimische Präsenz in Frankreich. Von seinensechs Millionen Muslimen stammen drei aus dem magh-rebinischen Nordafrika, zwei aus Schwarzafrika und400 000 aus der Türkei. Rund 100 000 Franzosen sindzum Islam konvertiert. Die zwei Millionen meist indo-pakistanischen Muslime in Großbritannien haben bereitsihre Vertreter in Unter- und Oberhaus, etwa Lord Ah-med of Rotherham, ursprünglich Kaschmiri, und LordMuhammad Mounir Shahin of Stranton, urspünglichÄgypter. Wenn Hochrechnungen zu trauen ist, wird esim Jahr 2020 in Mittel- und Westeuropa nicht wenigerals 40 Millionen Muslime geben. Schon jetzt stellen siedie umfangreichste religiöse Minderheit dar, die Europaje gekannt hat.

Besonders dynamisch entwickelt sich der Islam inNordamerika, wo sich die Zahl der Moscheen seit 1990auf 1250 verdoppelt hat. Dort gibt es bereits mehr Mus-lime als Juden oder episkopalische Christen, mit einzig-artig hohem Akademikeranteil: Fast jeder fünfte Arzt inden Vereinigten Staaten ist Muslim. Von den rund achtMillionen amerikanischen Muslimen sind 37,5 ProzentAfro-Amerikaner sowie je 25 Prozent arabischer und 9

indo-pakistanischer Herkunft. 1990 hatten die damalserst 4,9 Millionen Muslime 2 Prozent der amerikani-schen Bevölkerung ausgemacht. Im Jahr 2010 ist mit10 Millionen amerikanischen Muslimen zu rechnen. Daswären dann über 3 Prozent der erwarteten Gesamt-bevölkerung.

Die amerikanischen Muslime sind stolz darauf, dasserstmals einer von ihnen, Dr. Ferid Murad, 1998 denNobelpreis für Medizin erhielt und dass muslimischeComputerspezialisten maßgeblich an der Entwicklungdes INTEL Pentium III-Prozessors beteiligt waren. Siehalten die Vereinigten Staaten »reif für den Islam«, weiles gelte, sich in ihrer moralischen Krise auf die »islami-schen Werte« der amerikanischen Revolution zurückzu-besinnen« (Betty Bowman). Ein 1999 in Washington er-schienenes Buch trägt daher den Titel: »Die Sonne gehtim Westen auf »; gemeint ist der Islam.

Grund genug also, sich einen Einblick in die Glau-benswelt und Verhaltensweise der muslimischen Mitbür-ger zu verschaffen. Sie zu verstehen war nie wichtiger alsheute. Wir sollten schließlich »miteinander und nichtgegeneinander leben« (Johannes Rau) und uns nicht ge-genseitig ausgrenzen, sondern bereichern.

Jede große Religion besitzt (1) Glaubenssätze zum Ver-ständnis des Universums, (2) gottesdienstliche Ritualezur Kommunikation mit der Letzten Wirklichkeit, (3)religiös fundierte Ethik sowie (4) religiöse Institutionenund Symbole. Beim Islam ist es nicht anders, ist dochauch er eine seit 1400 Jahren bewährte, umfassende An-leitung zu (stimmiger) Einordnung in die Welt und ei-nem (erfüllten) Leben in ihr.

Gleichwohl mag man sich fragen, ob eine Einführungin den Islam überhaupt möglich ist. Ist der Islam nichtdoch alles andere als monolithisch? Bedeutete Islamnicht stets Unterschiedliches für unterschiedliche Leutezu unterschiedlichen Zeiten? Gibt es gar so viele Islame,wie es Muslime gibt? Auf welchen Islam soll hingeführtwerden – den der Sunniten oder der iranischen Schiiten,der Sufis oder der saudischen Wahhabis?10

Gewiss, der Islam war zu allen Zeiten vielfältig. Ereinte die Muslime nicht immer; oft trennte er sie auch,wenngleich es zwischen ihnen niemals Religionskriegeeuropäischen Ausmaßes gegeben hat (Gudrun Krämer).Auf jeden Fall hielt diese so basisdemokratisch verfassteReligion stets mit erstaunlicher Zähigkeit an ihrer Dokt-rin von der Einheit Gottes fest, an ihrem Buch undihrem Propheten, und bewies dabei außerordentliche in-tegrative Kraft. Dies verlieh dem Islam die Fähigkeit,jahrzehntelange Verfolgungen zu überleben und sich im-mer wieder aus sich selbst zu erneuern. So gab es nie eineIdentitätskrise des Islam; auch heute zeigt er die alten,klaren Konturen.

Diese Einführung ist trotz ihres Faktenreichtums kom-pakt, kann sie doch die Tür zum Islam nur ein wenig öff-nen – für ein umfassenderes Kennenlernen; weiterfüh-rende Literatur auf wichtigen Einzelgebieten findet sichim Literaturverzeichnis.

Eine solche Einführung verfolgt keine wissenschaftli-chen Ansprüche, muss jedoch ohne Abstriche verlässlichsein. Der Leser kann sich in der Tat darauf verlassen,dass die Darstellung des Islam, die er hier vorfindet, mitder Lehre übereinstimmt, welche die große Mehrheit al-ler Muslime weltweit als für sich verbindlich sieht.

EDITORISCHE NOTIZ

1. Aus dem Koran wird unter Angabe von Sure und Vers,getrennt durch Doppelpunkt, zitiert. Beispiel: 2: 255.Deutsche Koran-Zitate stammen aus »Der Koran, Dasheilige Buch des Islam«, aus dem Arabischen von MaxHenning, überarbeitet und herausgegeben von MuradWilfried Hofmann, München: Diederichs 1999.

2. Jedes Mal, wenn ein Muslim den Namen eines Pro-pheten, sei es Jesus oder Muhammad, ausspricht, fügter »Der Friede Gottes sei mit ihm!« (salla’llahu alaihiwa sallam) hinzu. 11

3. Im Text wurde zahlreichen Begriffen das entsprechen-de arabische Wort in Klammern hinzugefügt, umMuslimen die Einordnung in das ihnen geläufige Be-griffssystem zu erleichtern. Gleichzeitig wird damitunterstrichen, dass die Bedeutung des arabischen Be-griffs theologisch maßgeblich ist, nicht seine allenfallsangenäherte Entsprechung im Deutschen.

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1. DIE ENTSTEHUNG DES ISLAM

DER ISLAM ALS WELTRELIGION

Wenn man aus dem Roten Fort in New Delhi kom-mend geradeaus weitergeht, trifft man auf fünf Gottes-häuser: einen Jain-Tempel, Schrein der Sikhs und Hin-du-Tempel, eine Moschee und eine Baptistenkirche. Werwill da noch bezweifeln, dass der Mensch ein religiösesWesen ist, ein homo religiosus, der ohne Antwort auf die(hier burschikos formulierten) philosophischen Urfragenkaum zu leben vermag: Woher kommt denn das alles?Was soll ich denn hier? Wohin geht die Reise?

Die Antworten, die unsere Vorfahren sich darauf ga-ben, meist von einem Weisen vermittelt, kristallisiertenzu Religionen. Jede davon entwickelte ihre Weltsichtund Spiritualität, Sittengesetze und Riten sowie ihre spe-zifische Ästhetik. Kurzum, über die Rückbindung (reli-gare —> religio) des Menschen an die letzte Realität undUrkausalität, GOTT, entwickelten sich sämtliche Reli-gionen als Kulturfaktor auch zu Zivilisationen.

Heute betrachtet man als »Weltreligionen« Glau-benssysteme mit Milliarden von Anhängern – wie Kon-fuzianismus, Hinduismus, Buddhismus, Christentumund Islam – aber auch das Judentum; denn obwohl esnur wenige Millionen Mitglieder hat, ist auch es welt-weit verbreitet. Der Islam ist Weltreligion nach beidenKriterien: Er zählte zu Beginn des 21. Jahrhunderts 1,2Milliarden Gläubige, und im Zeitalter der Globalisie-rung trifft man überall auf Muslime.

DER ISLAM ALS MONOTHEISTISCHE RELIGION

Man kann alle Religionen in zwei Gruppen unterteilen:Indogermanische (in Indien »arisch« genannte) und nicht-indogermanische (in Indien »nichtarisch« genannte) Reli- 13

gionen. Die erste dieser Gruppen wird in Religionen altindischen, also vedischen Ursprungs (wie Hinduismusund Brahmanismus) und solche nicht-vedischen Ur-sprungs (wie Buddhismus, Jainismus, Sikhismus und Zo-roastrismus) unterteilt.

Auch die nicht-indogermanische Gruppe erlaubt Zwei-teilung, nämlich in semitische Religionen (wie Judentum,Christentum und Islam) und nicht-semitische (wie Konfu-zianismus, Taoismus und Schintoismus).

Besonderheit der drei semitischen Weltreligionen istihr personales Gottesbild und dass sie sich auf Schrift ge-wordene Offenbarung gründen statt auf alte Mythen oderphilosophische Spekulationen.

Die fernöstlichen Religionen mündeten in eine panthe-istisch-monistische Auffassung vom Urgrund allen Seins:eine Wirklichkeit. Diese wird in indisch-mystischer Tra-dition als zyklischer kosmischer Prozess oder unpersönli-che, fließende, polarisierte Kraft begriffen: Alles ist Gott(Nominativ): ein Weltbild, das auch von der subatoma-ren Teilchenphysik nahegelegt wird, die alle Wirklich-keit auf voneinander abhängige Energiestrukturen zu-rückführt, ein kosmisches Gewebe aus Teilchen undWellen.

Die semitischen Religionen mündeten hingegen in ei-ne dualistisch-monotheistische Vorstellung vom Urgrunddes Seins: ein Gott.

Dieser wird vom semitischen Denken als ein intelli-gentes Ich mit selbstbewusster Identität begriffen: als un-abhängige, personenhafte Wirklichkeit vor und neben dervon Ihm geschaffenen Welt: Alles ist Gottes (Genitiv).

Die im Fernen Osten entstandenen Weltreligionenwurden in der Praxis jedoch entweder polytheistisch(Vielgötterei) wie der Hinduismus oder wie der Buddhis-mus eher zu einer Lebensbewältigungstechnik unterAusklammern der Gottesfrage.

Die Suche nach Gott als einem Gegenüber kennzeich-net die drei im Mittleren Osten entstandenen Weltre-ligionen, weshalb man Judentum, Christentum und Islam gerne als die »drei großen monotheistischen Religionen« zusammenfasst.14

Allerdings wird von Ägyptologen in Frage gestellt, obdas jüdische Volk einsam und alleine zum Monotheismusfand; denn ein Pharao der 18. Dynastie, Amenhotep IV.(besser als Echnaton und Gemahl der Nofretete be-kannt), führte während seiner Regierungszeit (1350–1334 vor unserer Zeitrechnung) eine Eingottreligion inForm der Verehrung Atons ein, dessen Wesen er in derSonnenscheibe manifestiert sah. Doch diese Religionhatte keinen Bestand.

DER ISLAM ALS RELIGION ABRAHAMS

Der Hochgottglauben der drei monotheistischen Reli-gionen wird geschichtlich auf einen gemeinsamenStammvater zurückgeführt: Abraham (arab. Ibrahim),den der Koran als »Muslim« (im Sinne von »Hingabe anGott«) bezeichnet (3: 65–68); denn Abraham hatte nachgemeinsamer Überlieferung als »Urmonotheist« erst-mals erkannt, dass es logischerweise nur einen Gott ge-ben kann, und diesen als handelnde Persönlichkeit jen-seits der Erscheinungswelt begriffen.

Muslime fühlen sich mit allen an Gott glaubendenMenschen als Seine gemeinsamen Geschöpfe wesenhaft(ontologisch) verbunden; ihre abrahamische Verbunden-heit mit Juden und Christen, im Koran »Leute des Bu-ches« (AL al-kitab) genannt, geht darüber hinaus: DerIslam ist die einzige Religion, welche das Festhalten anden Wahrheiten anderer Religionen zur Bedingung deseigenen Glaubens macht. So kommt es, dass der Islamdie Hauptmerkmale des jüdischen Glaubens – GottesGerechtigkeit – und des christlichen Glaubens – GottesLiebe – in sich vereint.

Allerdings halten die Muslime nur ihren Eingottglau-ben (tauhid, von »ahad«: einer) für rein und unver-fälscht. Die jüdische Überzeugung, noch immer einemvon Gott privilegierten »auserwählten Volk« anzugehö-ren, zumal auf nur biologischer Basis, ist aus islamischerSicht mit Gottes gerechter und gütiger Zuwendung zurgesamten Menschheit unvereinbar (5: 18; 62: 6). Als mit 15

Gottes Erhabenheit unvereinbar gilt Muslimen die jüdi-sche Überzeugung, zu Ihm in einem bilateralen Ver-tragsverhältnis (»Bund«) zu stehen.

Das christliche Gottesverständnis, geprägt vom Kon-strukt einer »Erlösung« heischenden Erbsünde und derdarauf bezogenen Menschwerdung Gottes in Jesus (In-karnation), wird von den Muslimen ebenfalls abgelehnt.Die Vorstellung, dass ein Mensch – und sei es ein Pro-phet – mit Gott »wesensgleich« sein könne, wie diesvom 1. Ökumenischen Konzil in Nizäa 325 als kirchli-ches Dogma formuliert worden war, halten Muslime füreine gnostische Spekulation. Die 112. Sure des Korans,al-Ikhlas, die in ihrer Bedeutung einem Drittel des gan-zen Korans gleichkommt, verwirft solche Vorstellungen:

Sprich: »Er ist der Eine Gott,Allah, der Absolute.Er zeugt nicht und ist nicht gezeugt,Und es gibt keinen, der Ihm gleicht.«

Erst recht gilt Muslimen das Konstrukt einer göttlichenDreifaltigkeit (Trinität) als Modifizierung des strengenEingottglaubens.

Die Lehre von der Einheit Gottes (tauhid) spielt so-mit unter Muslimen eine alles überragende Rolle. Dererste Teil des islamischen Glaubenbekenntnisses lautetdenn auch »Es gibt keine Gottheit außer Gott« (la ilahailla Allah).

DER ISLAM ALS OFFENBARUNGSRELIGION

Die Anhänger der drei monotheistischen Weltreligionensind sich darin einig, dass der Mensch die Rätsel seinesDaseins durch Naturbeobachtung und Nachdenkennicht entschlüsseln, aus Sinneseindrücken also nichtsVerlässliches über die letzte Wirklichkeit erfahren kann.Sie halten daher eine Manifestation Gottes für notwendig(und natürlich auch möglich). Kern des islamischen Glau-16

bens ist die Überzeugung, dass Gott beginnend mitAdam (20: 122) zu allen Völkern Propheten entsandte(10: 47; 28: 45), um sie über das ihnen zuträgliche Ver-halten ebenso zu unterrichteten wie über Sein Waltenund die Letzten Dinge. Besonders prägend waren diePropheten mosaischen Glaubens, um deretwillen die»Kinder Israels« ursprünglich »vor aller Welt erwählt«worden waren (44: 32).

Die Muslime unterscheiden einen »Gesandten« (ra-sul), der – wie Moses und Muhammad – eine HeiligeSchrift als neue Rechtleitung empfängt, von einem »Pro-pheten« (nabi), der eine bereits geoffenbarte Botschaftverwirklichen hilft. Danach ist jeder Gesandte Prophet,doch nicht jeder Prophet ein Gesandter. Propheten sindjedenfalls Ausnahmeerscheinungen. Dennoch kann jeder»inspirierte« Mensch im Einzelfall göttliche Eingebun-gen (ilham) erhalten.

EIN MUSLIMISCHER PROPHET

Der zweite Teil des islamischen Glaubensbekenntnisseslautet: »Muhammad ist Sein Gesandter« (Muhammadar-rasulu’llah). Nicht nur Prophet ist damit gemeint, son-dern der im Johannes-Evangelium (Joh. 14, 16 und 16,13) angekündigte, alle Offenbarung »besiegelnde«, alsoletzte Gesandte Gottes (33: 40). Aus islamischer Sichtwar dessen Aufgabe, die geschilderten Verwerfungen desjüdischen und christlichen Gottesbildes zu korrigierenund die Menschheit zu lehren, was sie nicht wusste (2:151), mit einem

Buch, in dem Wir nichts übergangen haben. (6: 38)

Dieser Prophet des Islam, Muhammad b. ‘Abdallah,wurde am Montag, dem 17. Juni 569, in Mekka geborenund ist am Montag, dem 4. Juni 632, in Medina gestor-ben. Solche Präzisionen unterstreichen, dass das ge-samte Leben des islamischen Propheten sich im vollenLichte der Geschichte abgespielt hat. Wegen der äußerst 17

prekären Quellenlage des Neuen Testaments gilt es heu-te auch unter christlichen Theologen als aussichtslos, diekonkrete Geschichtlichkeit von Jesus zu beweisen; vomverkündeten Jesus weiß man viel, vom verkündenden Jesuswenig. Im Gegensatz dazu sind Leben und Wirken Mu-hammads in allen Einzelheiten dokumentiert. Über kei-ne Persönlichkeit der Spätantike weiß man so gut Be-scheid wie über ihn.

ARABIEN VOR MUHAMMAD

Muhammad wurde in eine hochangesehene, aber ver-armte Patrizierfamilie geboren und früh verwaist von ei-nem Onkel in Mekka aufgezogen. Im Windschatten derbyzantinischen und persischen Kaiserreiche stellte Ara-bien damals keine politische Einheit dar. Es wurde zwardurch beduinische Sitten (mit ihrer Wertschätzung vonTapferkeit und Familienehre) und die gemeinsame arabi-sche Sprache zusammengehalten, die erst zu dieser Zeiteine eigene noch recht primitive Schrift entwickelt hatte.Die Araber waren in nomadische und sesshafte, nord-und südarabische Stämme zersplittert, die häufig mitein-ander in Fehde lagen. Umso wichtiger waren jährlich dievier Monate eines Landfriedens, der es den Karawanenerlaubte, Markt und Messe in Mekka zu besuchen. Dabeigab es Dichterwettbewerbe; stark formalisierte Poesiewar die einzige hochentwickelte Kunstform Arabiens.

Mekka mit seiner auf Abraham und seinen Sohn Is-mail, den Stammvater der Araber, zurückgeführten Tem-pelanlage (Ka‘ba) war indessen nicht nur wirtschaftli-ches, sondern auch (überkonfessionelles) religiöses Zent-rum der arabischen Welt. Dort fanden sich nebenjüdischen Stämmen, vor allem in Medina, christlicheEinsprengsel. Die große Mehrheit der Araber hatte in-dessen recht vage, eher magische religiöse Vorstellun-gen. Insbesondere glaubten die Beduinen nicht an einLeben nach dem Tod. Konkret wurden mehrere weiblicheGottheiten wie al-Lat, ‘Uzza und Manat verehrt, dieman bisweilen in Steinen oder Bäumen lokalisierte.18

Doch hielt sich die Vorstellung, dass sie als Töchter ei-nem obersten Gott – al-ilah bzw. Allah – untergeordnetseien: ein Begriff, der weder Plural- noch weiblicheForm kennt, also ungeschlechtlich ist. Obwohl die altenAraber in dieser »Zeit der Unwissenheit« (dschahiliyya)weiblichen Gottheiten huldigten, waren ihre Frauen na-hezu rechtlos. Mehrehe und Konkubinat waren keineGrenzen gesetzt. Frauen waren weder eigentumsfähignoch erbberechtigt und konnten wie Sachen vererbtwerden. Kein Wunder, dass sich der Brauch eingeschli-chen hatte, neugeborene Mädchen aus wirtschaftlichenErwägungen lebendig zu verscharren.

MUHAMMADS SENDUNG

Muhammad, des Lesens und Schreibens unkundig (7:158), aber als ernsthaft, ehrlich und zuverlässig (al-amin)allseits geachtet, führte als Mitarbeiter der Import/Export-Firma seiner 15 Jahre älteren, begüterten FrauKhadidscha, Mutter seiner Tochter Fatima, ein unauffäl-liges, glückliches, monogames Eheleben. Allerdings zoger sich gegen Ende seines vierten Lebensjahrzehnts häu-figer zu religiösen Betrachtungen und Gebet zurück.Dabei erreichte ihn während des Monats Ramadan imJahr 610 in der Höhle Hira hoch über Mekka unvermit-telt und mit großer Wucht die erste Offenbarung. Eineals Engel Gabriel erkannte Erscheinung befahl ihm –dem darob protestierenden Analphabeten – zu lesen:

Lies! Im Namen deines Herrn, Der erschuf – Erschuf den Menschen aus einem sich Anklammernden.Lies! Denn dein Herr ist gütig, Der durch die (Schreib-)feder gelehrt hat – Den Menschen gelehrt hat, was er nicht wußte.

(96: 1–5)

Am 27. Ramadan, in der »Nacht des Schicksals« (lailatal-qadr) erinnern sich Muslime alljährlich dieses epocha-len Ereignisses in der Beschreibung des Korans: 19

Wir haben ihn wahrlich in der Nacht des Schicksalsherabgesandt. Und was läßt dich wissen, was die Nacht desSchicksals ist? Die Nacht des Schicksals ist besserals tausend Monate. In ihr kommen die Engel und der Geist mit ihres Herrn Erlaubnis herab, mit jeglichem Auftrag. Frieden ist sie bis zum Anbruch der Morgenröte.

(97: 1–5)

Muhammad war über dieses unerwartete, sich nach ei-ner schmerzlichen Pause immer häufiger einstellende(Offenbarungs-)Erlebnis verwirrt. Doch er erkanntebald, dass Gott ihn dazu ausersehen hatte, Seine defini-tive, abschließende Botschaft nicht nur seinen Lands-leuten, sondern der ganzen Menschheit zu über-mitteln. Was er übermittelte, stellte allerdings dieGlaubens- und Sittenwelt Mekkas radikal in Frage.Dementsprechend reagierten die meisten seiner Stam-mesgenossen aus den vornehmen Quraisch zunächstmit Verspottung und Verleumdungen, dann aber mitwirtschaftlichem Boykott gegen seine ganze (hasche-mitische) Sippe; dem folgten harte Verfolgungen derersten Muslime und schließlich sogar ein Mordan-schlag auf den Propheten.

Der semitischen Tradition gemäß wurde Muhammadvon skeptischen Mekkanern immer wieder dazu aufge-fordert, seine Berufung zum Propheten durch Wunderzu belegen (6: 37; 13: 7). Diese Forderung hatte Ge-wicht, da die Jesus gestatteten Wundertaten bekannt wa-ren (3: 49; 5: 110). Der Koran klärt darüber auf, dassGott allein Unnachahmliches (mudschiza) bewirkenkann (13: 38; 6: 109), indem Er von Seiner Gewohnheit,die wir »Naturgesetze« nennen, abweicht. Muhammadwusste, dass Gott zu seiner Legitimierung nur ein einzi-ges Wunder bewirkte: die fortlaufende Offenbarung desKorans (2: 23). Dieser gilt denn auch in seiner Unnach-ahmlichkeit (idschaz) als das »Beglaubigungswunder«des Propheten (10: 38; 17: 88).

In den Augen skeptischer Mekkaner half es Muham-mad wenig, dass der Koran 616 – sechs Jahre im Voraus –20

den Sieg der damals hoffnungslos unterlegenen Byzanti-ner über die Perser weissagte, die doch gerade erst Da-maskus (613) und Jerusalem (614) erobert hatten. Dannjedoch erlebte der Prophet im Jahr 621 eine reale Vision– seine nächtliche Reise (isra’) nach Jerusalem und seineHimmelfahrt (miradsch). Die koranische Beschreibungdes Unbeschreiblichen (darunter 17: 1, 60 und 81: 19–25)ist von einer atemlosen, sich selbst verifizierenden Dra-matik:

... Euer Gefährte irrt nicht und wurde nicht ge-täuscht.Noch spricht er aus eigenem Antrieb.Er ist nichts anderes als eine ihm geoffenbarte Offenbarung, Die ihn der überaus Mächtige gelehrthat, Der überaus Weise.Aufrecht stand er da. Am höchsten Horizont ...Und offenbarte seinem Diener, was er zu offen-baren hatte. Sein Herz erlog nicht, was er sah.Wollt ihr ihm denn bestreiten, was er sah?Und wahrlich, er sah ihn noch ein zweites Mal ...Da wich der Blick nicht aus, noch schweifte er ab.Wahrlich, er sah einige der größten Wunder seinesHerrn. (53: 2 – 18)

Doch daraufhin wurde die Ablehnung der Mekkaner nurnoch heftiger.

Eine Gruppe von Muhammads Anhängern fand schon615 vorübergehend in Abessinien Asyl. Um zu überle-ben, musste sich aber die gesamte muslimische Gemein-de 622 zur Auswanderung (hidschra) entschließen – einweltgeschichtliches Datum, das zum Beginn der islami-schen Zeitrechnung (in Mondjahren) geworden ist. Mu-hammad nahm die Einladung gläubig gewordener Män-ner und Frauen aus der 400 Kilometer nördlich vonMekka gelegenen Oasenstadt Yathrib – dem heutigen al-Medina (»die Stadt«, nämlich des Propheten) – an, dortein islamisches Staatswesen zu gründen. In der Tat schufMuhammad bald nach Ankunft (Montag, 31. Mai 622)eine muslimisch-jüdische Föderation, für die er die erste 21

schriftliche Staatsverfassung der Welt erließ. DieserStaat war revolutionär, weil er erstmals Staatsangehörig-keit nicht mehr an Rasse, Sprache oder Stamm knüpfte,sondern nur an religiöses Bekenntnis (49: 13):

Die Gläubigen sind Brüder. (49: 10)

Insofern war Medina ein ideologischer Staat aufgrundeines echten Paradigmenwechsels. Seine Bevölkerung,die Urzelle der weltumspannenden islamischen Gemein-de von Brüdern und Schwestern (umma), begiff sichschon damals als jedem Extrem abholdes »Volk der Mit-te« (umma wasatiyya; 2: 143).

Aus einer Situation der strategischen Defensive he-raus entwickelte Muhammad als Staatsoberhaupt außer-ordentliches Charisma und erstaunliche staatsmän-nische, diplomatische, strategische, administrative undrichterliche Fähigkeiten. Dem ist zu verdanken, dass eralle Versuche der mekkanischen Führer, die Muslimemilitärisch zu überwältigen, vereiteln konnte – begin-nend mit dem Gefecht bei Badr (624). Dort besiegten312 Muslime 950 mekkanische Krieger.

Zu einem größeren Aufgebot waren beide Seitennicht in der Lage. In der gesamten achtjährigen Ausei-nandersetzung zwischen Mekka und Medina von 622 bis630 gab es insgesamt nur 240 Tote; den schlimmstenVerlust an einem Tage, 70 Tote, erlitten die Muslime 625bei der Belagerung Medinas am Berg Uhud. (Man musssich diese Größenordnungen vor Augen halten, bevorman von »Schlachten« oder gewaltsamer Ausbreitungdes Islam spricht.) Muhammad gelang 628 schließlichein diplomatischer Coup: Waffenstillstand mit Mekka,eine vorweggenommene Kapitulation. Tatsächlich konn-ten die Muslime im Jahr 630 die Stadt mit einer Gene-ralamnestie kampflos übernehmen.

Der 619 verwitwete Muhammad war seit 622 mit‘A‘ischa verheiratet, der sehr jungen und auffällig intelli-genten Tochter seines engsten Mitstreiters (und späteren1. Kalifen) Abu Bakr. Als Staatsoberhaupt ging er noch 12weitere, meist dynastisch motivierte und daher nicht in al-22

len Fällen vollzogene Ehen ein – ausschließlich mit ge-schiedenen Frauen und Witwen –, um das sich nun schnellüber ganz Arabien ausbreitende islamische Gemeinwesenund seine Führungseliten familiär zu festigen; seine Frau-en galten als Mütter der Gläubigen (umm al-mu’minin).

Bald nach seiner »Abschiedswallfahrt« starb er 632 inMedina ohne überlebenden männlichen Erben.

MUHAMMAD ALS VOLLKOMMENER MENSCH

Wie sich aus seiner Biografie ergibt, war Muhammadnicht Erfinder des Islam, sondern das würdige Gefäß fürden Empfang und die Weitergabe göttlicher Botschaftenan ihn. Trotz aller Hochachtung angesichts seiner Aus-erwählung und Leistung wird Muhammad daher vonMuslimen weder als Religionsgründer noch als Über-mensch oder gar als Fleisch gewordener Gott (Inkarna-tion) betrachtet. Es ist deshalb irreführend und Muslimeverletzend, von »Mohammedanismus«, »mohammeda-nischem Recht« und »Mohammedanern« zu sprechen.

Muhammad ist zweifellos eine der am meisten ver-leumdeten Persönlichkeiten der Weltgeschichte. Es istdeshalb für Nichtmuslime wichtig zu wissen, dass er fürMuslime der von Gott erwählte, vollkommene Mensch(al-insan al-kamil) schlechthin war: der fromme, beschei-dene, asketische, mitfühlende, verlässliche, friedliche, tap-fere und weise Gottesmann – Freund, Geschäftsmann,Ehepartner, Vater, Richter, Soldat, Stratege, Gesetzgeberund erfolgreicher Staatsmann, dem alles gelang, in einerPerson. Aus muslimischer Sicht besteht Vollkommenheiteben in der ausgewogenen Verwirklichung der gottgege-benen Natur (fitra) eines Menschen: des Mystikers, derals Soldat zugleich Verteidiger des Glaubens ist.

Muhammad entsprach insofern zwar dem idealen kon-fuzianischen Menschen, der Weiser und König in einemist. Christen hingegen, für die der berufslose, die Weltverleugnende, geschlechtlich enthaltsame, tragisch ge-scheiterte Jesus zum Vorbild wurde, verkennen leicht, 23

UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

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