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Victor L. Wooten

Music LessonDie Geschichte einer Suche

nach Wahrheit, Weisheit und Vollendung

Aus dem Amerikanischen von Ulrike Kretschmer

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Die amerikanische Originalausgabe erschien 2006 unter dem Titel »The Music Lesson«.Alle Rechte vorbehalten. Vollständige oder auszugsweise Reproduktion, gleich welcher Form (Fotokopie, Mikrofilm, elektronische Datenverarbeitung oder andere Verfahren), Vervielfältigung und Weitergabe von Vervielfältigungen nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags.This edition published by arrangement with The Berkley Publishing Group, a member of Penguin Group (USA) Inc.

Verlagsgruppe Random House

Das für dieses Buch verwendete FSC-zertifizierte Papier Munken Premium liefert Arctic Paper Munkedahls AB, Schweden.

1. AuflageCopyright © 2006 by Victor L. WootenCopyright © 2009 der deutschsprachigen Ausgabe Irisiana Verlag, in der Verlagsgruppe Random House GmbH München

Umschlaggestaltung: Reinhard Soll, MünchenUmschlagmotiv: © Steven ParkeDruck und Bindung: GGP Media GmbH, PößneckPrinted in Germany

ISBN: 978-3-424-15031-5

SGS-COC-1940

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Danksagung

Ein großes Dankeschön an alle Mitarbeiter der Penguin Group (USA), die an der Veröffentlichung dieses Buchs beteiligt waren – vor allem an David Shanks, Norman Lidofsky, Leslie Gelbman, Susan Allison, Howard Wall und Shannon Jamieson Vazquez. Ich danke euch allen für eure Hilfe, diesen Traum Wirklichkeit werden zu lassen.Und daran waren eigentlich noch viel mehr Leute betei-ligt. Ihr alle seid – bewusst oder unbewusst – Teil meines Lebens und habt mich zu dem gemacht, was ich bin. Ob ihr’s nun wisst oder nicht: Ihr seid an allem, was ich tue, irgendwie beteiligt.Dieses Buch ist nur ein Aspekt unserer gemeinschaft-lichen Bemühungen. Ich danke euch fürs Lesen, Kor-rekturlesen, Kürzen und Ergänzen, für eure Ratschläge und Vorschläge, für eure Kritik, Geduld und eure Hilfe – oder eure Weigerung, mir zu helfen. Auch das war hilf-reich.

Ganz besonders herzlicher Dank gilt:Meiner Frau Holly und meinen Kindern Kaila, Adam, Arianna und Cameron. Ich bin dankbar für eure Liebe, Weisheit, Inspiration und dafür, dass ihr aus mir einen besseren Menschen macht. Ich liebe euch!

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Meinen Eltern, die mir alles beigebracht haben, was man über das Leben wissen muss. Meinen Brüdern Regi, Roy, Rudy und Joseph, die mir alles beigebracht haben, was man über Musik wissen muss. Paul Hargett und Rod Taylor, die mir unzählige Stun-den geopfert haben, für ihre Inspiration, Ratschläge und Hilfe.Danette Albetta, Steve Bailey und Dave Welsh für ihre Freundschaft, Führung und Unterstützung.Allen Mitgliedern der VW Band sowie Béla Fleck & the Fleckstones.Meinen Musiklehrern, die alle aufzuzählen den Rahmen dieses Buchs sprengen würde und die ihre Gabe mit mir geteilt haben.Meinen spirituellen Lehrern Tom Brown Jr., Charles Worsham, Richard Cleveland, Seth Recarde, Hilary Lauer, Colleen Katsuki, Jon Young und vielen mehr, die das Bewusstsein einer anderen Welt in mir geweckt und mir neue Perspektiven aufgezeigt haben.Allen Teilnehmern des Bass/Nature Camps und von Bass at the Beach, dass ich mit euch experimentieren durfte.Richard Bach, Neale Donald Walsh, James Twyman, John McDonald, Genevieve Behrend und vielen anderen für eure anregende Lektüre.Kay Roberson, Denise Pilar Yver, Jennie Hoeft, Mi-chael Kott, Sam Hunter, Jonathan Chase und allen an-deren, die mir auf ihre besondere Art und Weise gehol-fen haben.

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Und ein Riesendankeschön an meine Musikinstrumente, die es mir möglich machen, mich durch sie auszudrücken.Ein ganz besonderes Dankeschön geht an Michael und die Musik – dafür, dass ich über sie schreiben darf.

Danke!Ich liebe euch alle!Peace!

Victor L. Wooten

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ACHTUNG

In diesem Buch kann alles falsch sein.

Dann allerdings ist das richtig so!

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Inhalt

Verzierung 15Auftakt Wie alles begann 19Takt 1 Groove 29Takt 2 Noten 55Takt 3 Artikulation/Tondauer 73Takt 4 Technik 101Takt 5 Emotion/Gefühl 129Takt 6 Dynamik 153Takt 7 Rhythmus/Tempo 185Takt 8 Ton/Klang 203Takt 9 Phrasierung 227Takt 10 Pausen 249Takt 11 Zuhören 297Letzter Takt Der Traum? 313Coda Zurück zum Anfang 329

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Wahrheit? Was ist Wahrheit? Und übrigens:

Wenn ich immer die Wahrheit sagte, würdest du mir am Ende noch glauben.

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Verzierung

Ich glaube, dass die Musik selbst etwas damit zu tun hat, dass Sie dieses Buch jetzt in Händen halten. »Die Musik selbst« – was soll das denn heißen? Diese Frage habe auch ich mir einmal gestellt.Ich spiele seit meinem zweiten Lebensjahr Bassgitarre, Mu-sik habe ich allerdings schon vorher gemacht. Als jüngster von fünf musikalisch begabten Brüdern fühlte ich mich immer schon in einer einzigartigen Welt heimisch, zu der Außenseiter kaum Zugang haben. In dieser beinahe mys-tischen Welt der Musik sind Gäste jederzeit willkommen – bleiben dürfen allerdings nur die Auserwählten.Ob Sie nun ein Instrument spielen oder nicht: Diese Welt erwartet auch Sie. Wie Sie dorthin kommen, liegt ganz bei Ihnen. In Ihrem Navigationssystem ist die Adresse bestimmt nicht gespeichert. Meine Mutter gab mir Hinweise darauf, wo diese Welt zu finden ist, als ich noch jünger war. Sie sagte zu uns Brüdern: »Ihr seid schon erfolgreich, die Welt weiß es nur noch nicht.« Auf die Musik übertragen, könnte man sagen: »Musikalisch sind Sie schon – Sie wissen es nur noch nicht.«Als ich klein war, waren meine Brüder für mich wie zweite Eltern; sie führten mich, waren meine Lehrer. Eigentlich sind sie das auch heute noch. Doch je älter ich werde, desto mehr wird mir der Wert dessen bewusst, was sie mir nicht beigebracht haben. Nun verstehe ich, warum sie gelegent-

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lich – und mit voller Absicht – nicht auf meine Fragen antworteten. Unter ihrer Führung durfte und musste ich Dinge manchmal allein herausfinden. So war ich gewis-sermaßen auch mein eigener Lehrer.Nach mehr als 40 Jahren öffentlicher Auftritte habe ich mir inzwischen selbst die eine oder andere Meinung über die Musik gebildet. Ich versuche, meine Ideen in meinen Videos, Kursen und Camps zu vermitteln – und manch-mal erfordert es sehr viel Mut, offen darüber zu sprechen. Doch meine Freunde sagten mir immer wieder, dass die Ideen es wert seien, ausgesprochen zu werden, und dass die Menschen bereit seien, sie anzuhören. Sie drängten mich dazu, ein Buch zu schreiben. Sie wollten eine Art Lehrbuch, einen Ratgeber – und genau das wollte ich nicht.Ratgeber wirken oft steril und vertreten die autori-täre Meinung des Verfassers. Sie führen den Leser einen schmalen Weg entlang und steuern dabei auf ein Ziel zu, das nicht das des Lesers, sondern das des Autors ist. Das ist überhaupt nicht mein Anliegen.Außerdem wollte ich den Inhalt von meiner Person tren-nen. Das heißt: Wirft der Inhalt eine Frage auf, möchte ich, dass der Leser den Inhalt hinterfragt und nicht mich. Ich möchte mich schlicht nicht dafür rechtfertigen müs-sen, was ich schreibe. Wie kann ich beispielsweise jeman-dem klarmachen, dass Musik real ist und weiblich ist und dass man durchaus eine Beziehung mit ihr eingehen kann? Beweisen kann ich das nicht – das müssen Sie schon für sich selbst herausfinden.

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Mit einer Hand klatschen funktioniert nicht, und ebenso wenig funktionieren einseitige Beziehungen. Das weiß ich jetzt. In einer echten Beziehung müssen die Partner in jeder Hinsicht gleichberechtigt sein. Beide müssen geben und nehmen, einander respektieren, lieben und zuhören. Und zwischen mir und der Musik gibt es erst seit Kurzem eine echte Beziehung. Davor war sie einseitig. Erst als ich der Musik erlaubte, ein gleichberechtigter Partner zu sein, veränderte sich alles. Natürlich nahm ich von der Musik, gab ihr aber auch mein Bestes – dachte ich zumindest. Da-bei hörte ich ihr niemals wirklich und wahrhaftig zu.Damit meine ich, dass ich in der Vergangenheit zwar Musik gehört habe, allerdings auf nur sehr einseitige Art und Weise. Ich hörte nur, was ich hören wollte, nicht, was die Musik mir zu sagen hatte. Haben Sie sich auch schon mal mit jemand unterhalten und dem anderen dabei gar nicht zugehört? Sicherlich, das machen wir ständig. Meist sind wir so sehr damit beschäftigt, was wir als Nächstes sagen wollen, dass wir dem anderen gar nicht richtig zuhören. Wir wollen un-seren Standpunkt klarmachen, wir wollen gewinnen. Keine gute Basis für eine Beziehung, auch nicht mit der Musik.Musik existiert in jedem von uns. Ein Instrument bietet verschiedene Ausdrucksmöglichkeiten und lässt andere erkennen, wie musikalisch man ist. Um musikalisch zu sein, muss man aber noch nicht mal eine einzige Note spie-len können. Ich weiß, dass man die Musik nicht in meiner Bassgitarre findet; man findet sie in überhaupt keinem Instrument. Dieses Wissen hat meine Musik und meine Beziehung zur Musik verändert. Ich versuche nicht mehr,

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sie zu erschaffen. Ich fühle sie und ich höre zu! Ich muss ihr zuhören, damit unsere Beziehung vollständig ist. Ein Freund von mir sagte einmal: »Ein Instrument, das auf dem Boden liegt, hat keinen Klang. Der Musiker erzeugt die Musik – oder eben nicht.« Er sagte erzeugen, nicht er-schaffen. Das ist ein gewaltiger Unterschied.Nach ein paar weiteren Seiten werden Sie den Mann ken-nenlernen, der mir einen völlig neuen Blick auf das Leben eröffnet hat. Dabei sind viele Ideen entstanden und viele Mauern eingestürzt. Ohne ihn wäre ich der Musik viel-leicht nie wirklich begegnet. Er hat mich zu dem Musiker und zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin. Dazu haben zwar auch andere beigetragen, doch den magischen Ort der Musik, der mir irgendwie abhanden gekommen war, habe ich nur durch ihn wiedergefunden.Was meine Freunde angeht: Hier habt ihr das Buch, auf das ihr gewartet habt. Wahrscheinlich entspricht es nicht ganz euren Erwartungen, aber ihr werdet sehen: Es ist al-les da. Ihr müsst es nur finden.Die Musik selbst hat also etwas damit zu tun, dass Sie dieses Buch jetzt in Händen halten? Falsch. Nicht etwas. Alles. Damit können Sie im Moment noch nicht so viel an-fangen, stimmt’s? Sie haben Vorbehalte. Aber keine Angst, die hatte ich auch. Vertrauen Sie mir und lesen Sie weiter. Wir helfen Ihnen da raus – die Musik, ich und Michael.

Viel Spaß!

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AuftAkt

Wie alles begann

Junge, Junge – muss ich noch viel lernen!Besonders originell ist diese Aussage nicht. Doch die Ge-schichte, die ich Ihnen erzählen möchte, könnte dazu füh-ren, dass Sie am Ende des Buches dasselbe sagen. Sie kön-nen sich natürlich weigern – das habe ich zuerst auch getan –, doch wenn Sie sich darauf einlassen, wird sich Ihnen in wenigen Augenblicken eine völlig neue Welt eröffnen, eine Welt, von der Sie bisher nicht einmal wussten, dass sie existiert. Außerdem würde es ihn nicht aufhalten, wenn Sie sich weigerten.Ich war schon seit langer Zeit Musiker. Nein, das muss ich gleich korrigieren: Ich hatte schon seit langer Zeit E-Bass gespielt, etwa 20 Jahre, bevor ich ihn traf. Doch erst durch ihn lernte ich den Unterschied zwischen E-Bass spielen und Musiker sein oder – noch besser – zwischen Musiker sein und musikalisch sein kennen. Ich dachte, ich wüsste schon viel über Musik. Ich dachte sogar, ich wüsste schon ein bisschen was über das Leben. Doch was dann geschah, machte mir klar, dass ich auf dem Wissensstand eines Säuglings war.Ich dachte auch, ich würde diese Geschichte nie erzählen – aus Angst, mich lächerlich zu machen. Das sagte ich mir zumindest immer, doch eigentlich war ich mir gar nicht si-

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cher, ob die Geschichte überhaupt passiert ist. Und wenn noch nicht einmal ich daran glaubte, wie sollten andere das dann tun? Warum sollte mir überhaupt jemand glau-ben? Ich habe nie herausgefunden, wer der Kerl wirklich war oder wo er herkam. Ganz allmählich glaube ich, dass er vielleicht, nur vielleicht, meiner Fantasie entsprang, irgendeinem ungenutzten Teil meines Geistes, wohin er auch wieder zurückkehrte und wo er jetzt lebt. Ich kann ihn da drin immer noch rumoren hören – als ob er ständig die Möbel umstellte. Ich kann immer noch seine Stimme hören: »Wirklich? Was ist wirklich? Wie wichtig ist die Wirklichkeit? Hast du aus der Erfahrung gelernt? Das ist wichtig!«Er war seltsam, anders als jeder Musiklehrer, den ich je hatte. Nichts an ihm war gewöhnlich. Er war etwa 1,90 Meter groß, hatte lange, glatte, schwarze Haare, die ihm über die Schultern herabhingen. Seine Gesichtszüge wa-ren markant, obwohl sich an ihnen schwer ablesen ließ, wo er herkam. Teils amerikanischer Ureinwohner und teils … etwas anderes.Seine Augen waren einzigartig. Kristallklar wie ein Berg-fluss in Colorado. Wenn er mir etwas beibrachte und wir uns ganz nah gegenüberstanden, konnte ich tief in seine transparenten Augen blicken – ebenso tief wie er in meine.Außerdem schienen seine Augen an manchen Tagen die Farbe zu wechseln. Manchmal waren sie leuchtend blau. Dann wieder grün, manchmal braun. Woran das lag, be-kam ich nie heraus. Es gelang ihm allerdings jedes Mal, dadurch meine Aufmerksamkeit zu fesseln.

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Seine Augen verrieten nicht bloß, dass er vor Gesundheit nur so strotzte; sie ließen auch ahnen, wie unglaublich kräftig er war. Sein Körper glich einem sensiblen Instru-ment, das er für jede anstehende Aufgabe nutzen konnte, ohne dass es Ermüdungs- oder Abnutzungserscheinungen zeigte. Ich sah ihn oft laufen, springen, rennen und klet-tern – schwitzen sah ich ihn nie. Wie er so schlank und fit bleiben konnte, obwohl er aß und trank, was er wollte, ist mir ein Rätsel. Für ihn war eine Mahlzeit eine Mahlzeit, gleichgültig, woraus sie bestand oder woher sie kam.Auch seine Augenbrauen benutzte er wie ein Werkzeug. Über sie hatte er eine größere Kontrolle als die meisten Musiker über ihre Instrumente. Er argumentierte mit sei-nen Augenbrauen, schlicht indem er eine oder beide an-hob.Mit seinen schrulligen Eigenarten überraschte er mich immer wieder; auch seine Kleidung zog ständig die Auf-merksamkeit auf sich, obwohl er sich nie darüber Gedan-ken zu machen schien, was andere Leute von ihm hielten. Fast jedes Mal, wenn wir uns sahen, hatte er ein anderes Outfit an. Wenn er überhaupt Schuhe trug, dann entwe-der No-Name-Stiefel oder ausgelatschte Sandalen.Ich geb’s ungern zu, aber irgendwie vermisse ich die klei-nen Schrullen meines exzentrischen Freundes. Er war ver-mutlich der »freieste« Mensch, der mir je begegnet ist. Es konnte durchaus vorkommen, dass er sich splitternackt auszog und über einen Zaun in einen privaten Swimming-pool sprang, um schnell ein erfrischendes Bad zu nehmen. Er war zwar immer höflich genug, mich zu fragen, ob ich

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ihn begleiten wollte – Mitte November nackt in anderer Leute Gärten einzubrechen und mich in deren Swim-mingpools zu vergnügen, war allerdings weniger mein Ding. Er besaß viele Eigenschaften, die ich gerne hätte, und oft beneidete ich ihn darum, dass er solche Dinge tat, ohne sich im Geringsten darüber Sorgen zu machen oder gar peinlich berührt zu sein.Leidenschaftlich eine Meinung zu vertreten, ohne dabei starrsinnig zu sein, war ein anderes Talent von ihm. Wie er das fertigbrachte, ist mir ebenfalls ein Rätsel. Heute weiß ich, dass er mich dazu bringen wollte zu denken, mein Ge-hirn zu benutzen.Ein wichtiger Bestandteil seiner Lehrmethode war es, eine Frage mit einer Gegenfrage zu beantworten. Das frus trierte mich zwar, veranlasste mich aber auch, selbst-ständig zu denken. Und das war im Grunde alles, was er wollte. Ich weiß nicht, ob er mich je angelogen hat; ich bin mir aber sicher, dass Wahrheit für ihn ein dehnbarer Be-griff ist. Wenn ich ihn darauf ansprach, sagte er: »Wahr-heit? Was ist Wahrheit? Wie wichtig ist die Wahrheit? Hast du aus der Erfahrung gelernt? Das ist wichtig! Und übrigens: Wenn ich immer die Wahrheit sagte, würdest du mir am Ende noch glauben.«Das verwirrte mich – ich hatte gedacht, dass ich meinen Lehrern stets glauben sollte. Tja, falsch gedacht. Ich sehe immer noch sein listiges Lächeln vor mir, wenn er merkte, dass er mich verwirrt hatte.Ich war sowieso ständig verwirrt, wenn ich mit ihm zu-sammen war, vor allem am Anfang. Ich erinnere mich

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noch an folgende Szene. Er sagte: »Die Musik ist wie das Leben und wie du eine Einheit, die sich durch ihre Po-laritäten ausdrückt.« Mein fragender Blick verriet ihm, dass ich ihn nicht verstanden hatte. Er fuhr fort: »Die Musik ist eine Sache, ohne ihre Einzelteile gäbe es sie je-doch nicht. Du könntest ohne die einzelnen Noten kei-nen Akkord spielen. Veränderst du auch nur eine Note, veränderst du den Akkord. Und mit dem Leben ist es genauso, ebenso wie mit dir. Du drückst dich im Le-ben aus, indem du ständig verschiedene Noten wählst. Wenn du dir dessen bewusst wirst, klingt das Leben im richtigen Akkord. Dann seid ihr im Einklang.« Ich war sprachlos. Er lächelte nur.Er liebte es zu lachen. Einmal erzählte ich ihm von einer Erfindung namens The Lick Blocker – ein flaches Stück Holz, das man sich beim Gitarrespielen am Handgelenk befestigen konnte. Es sollte verhindern, dass das Publi-kum die Hand des Gitarristen sehen und so seine Licks »klauen« konnte. Darüber konnte er volle zehn Minuten lachen. »Bin ich froh, dass ich nicht normal bin!«, sagte er oft.»Teilen zu können ist eine der wichtigsten Voraussetzun-gen für persönliches Wachstum.« Viele Leute verstünden das nicht. Die meisten häuften Herrschaftswissen an, um sich anderen überlegen zu fühlen. Das wiederum verstand ich auf Anhieb – schließlich handelte ich selbst oft so. Und ich glaube, das wusste er.Es dauerte nicht lange, da wurde mir klar, dass ich von ihm mehr lernte als »nur« etwas über Musik. Wir haben

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UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Victor Wooten

Music LessonDie Geschichte einer Suche nach Wahrheit, Weisheit undVollendung

Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 352 Seiten, 12,5 x 18,7 cmISBN: 978-3-424-15031-5

Irisiana

Erscheinungstermin: Juli 2009

»Music Lesson ist eine Offenbarung.« Chris Jisi, Bass Player Magazine Für alle, die ein Instrument spielen, eine Inspiration. Für alle, die Musik einfach nur lieben, eineOffenbarung. Ein arbeitsloser Bassist hadert mit seinem Schicksal. Da kreuzt aus heiteremHimmel eine seltsame Figur namens Michael auf, die sich als sein Lehrer vorstellt. Was nunfolgt, ist sicherlich die ungewöhnlichste Musikstunde, die je niedergeschrieben wurde. Michaelerteilt zehn Lektionen, die weit über Musik hinausgehen. »Musik – Leben, Leben – Musik«, sagter, »wo ist da der Unterschied?« Victor Wooten, einer der innovativsten Bassisten unserer Zeit,hat ein Lehrbuch über Musik geschrieben. Zur Überraschung seiner Fans ist es eine Erzählunggeworden. Doch gerade diese literarische Form erlaubt es ihm, seine essenziellen Einsichtenüber das Wesen der Musik weiterzugeben. Ein amüsantes und ungemein inspirierendes Buch,bei Weitem nicht nur für Musiker. Victor Wooten ergründet die Quintessenz der Musik und gibt dabei erstaunliche Einsichten in diemenschliche Existenz.