Mutter-Kind-Behandlung bei Bindungsproblemen: Ein … · Transgenerationale Weitergabe von...
-
Upload
hoangtuong -
Category
Documents
-
view
221 -
download
0
Transcript of Mutter-Kind-Behandlung bei Bindungsproblemen: Ein … · Transgenerationale Weitergabe von...
MutterMutter--KindKind--BehandlungBehandlungbei Bindungsproblemen:bei Bindungsproblemen:
Ein FallbeispielEin Fallbeispiel
Dr. med. Pascale BritschDr. med. Pascale BritschDipl. Psych. Daniela BolteDipl. Psych. Daniela BolteDr. Dipl. Psych. Nina SprDr. Dipl. Psych. Nina SprööberberPD Dr. Ute ZiegenhainPD Dr. Ute Ziegenhain
Einleitung
Die erfolgreiche Behandlung von Die erfolgreiche Behandlung von „„BindungsproblemenBindungsproblemen““ erforderterfordert
1. ausführliche psychiatrische und bindungsspezifische Diagnostik von Mutter und Kind bei Verdacht auf „Bindungsprobleme“
2. frühzeitige Einschätzung der Prognose, da transgenerationale Weitergabe von Bindungsstilen bekannt
3. langfristige interdisziplinäre Kooperation und Behandlung bei Persönlichkeitsstörung der Mutter, da diese Auswirkung hat auf Schweregrad der kindlichen Beeinträchtigung und damit denBehandlungserfolg
weil
Die Entwicklung einer BindungsstDie Entwicklung einer Bindungsstöörung kann der Beginnrung kann der Beginneiner Perseiner Persöönlichkeitsstnlichkeitsstöörung sein.rung sein.
Teil IPsychische Erkrankung der MutterPsychische Erkrankung der Mutter
∗Teil II
BindungsdiagnostikBindungsdiagnostik∗
Teil IIIBehandlungBehandlung
∗Teil IV
ZusammenfassungZusammenfassung
Aktuelle Anamnese
Patientin kommt über die Ambulanz unserer Klinik (6 j. Sohn wegen ADHS in Behandlung)
vor 4 Monaten Suizidversuch (Tabletten) wegen Ehekonflikt
2-monatiger psychiatrisch stationärer Aufenthalt, danach „Home-Treatment“
keine ausreichende psychopathologische Stabilisierung
fühlt sich durch Alltagsaufgaben (Haushalt, Kinder) überfordert
gedanklich stark fokussiert auf Körpergewicht und das Gefühl übergewichtig zu sein
seit jeher fehlendes Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen
Ein- und Durchschlafstörungen
Suizidgedanken nach Partnerschaftskonflikten
Psychiatrische Eigen-und Fremdanamnese
Eigenanamnese12/04 1. Suizidversuch (Ritzen am Handgelenk) nach Ehekonflikt
bisher keine psychotherapeutische oder psychiatrischeVorbehandlung
FamilienanamneseEltern seit 3.Lj der Patientin getrenntVater (+ 20 J.) kein Kontakt, keine InformationenMutter (+ 18 J.) Verkäuferin, keine psychiatrische Erkrankung bekanntGeschwister: keine
Soziale Anamnese
30 j., Realschulabschluss, gel. Bürokauffrau, seit 6J. verheiratet
Ehemann (+ 6 J.), Elektroniker, arbeitslos, 1 unehelicher Sohn
4 Kinder, davon 2 gemeinsame8 jährige Tochter, 2. Klasse, „selbständig“, gesund
6 jähriger Sohn, 1. Klasse, ADHS
4 jähriger Sohn, Kindergarten, „keine Probleme“, gesund
11/2 jährige Tochter, zu Hause, „keine Probleme“, gesund
wohnt mit EM und den Kindern in 6-Zimmer-Miethaus
finanzielle Probleme, Schulden
SPFH 30 Stunden/Monat seit 1 Jahr
Psychopathologischer Befund
keine Bewusstseinsstörung
zu allen 4 Qualitäten vollständig orientiert
Konzentrations- und AufmerksamkeitsstörungMnestik intakt
formales Denken: geordnet, eingeengt, verlangsamt, grübelnkeine Halluzinationen, kein Wahn, keine Ich-Störungen
Antrieb reduziertStimmung depressiv, ängstlich, affektarmkeine Zwänge, keine Phobien
intermittierende Suizidgedanken, keine Infantizidgedanken
Zusatz-Diagnostik
SKID-II (Strukturiertes Klinisches Interview für DSM-IV, Achse II)
dependente Persönlichkeitsstörungängstlich/vermeidende Persönlichkeitsstörungdepressive Persönlichkeitsstörung (Dysthymie)
Dependente Persönlichkeitsstörung
Durchgängiges und übermäßiges Bedürfnis umsorgt zu werden,führt zu unterwürfigem und anklammerndem Verhalten undTrennungsängsten. Beginn im frühen Erwachsenenalter.
delegiert wichtige Aufgaben an Dritteordnet eigene Bedürfnisse denen unter, von denen sie sich abhängig fühlttut alles Erdenkliche, um Versorgung und Zuwendung anderer zu erhalten
bis hin zur freiwilligen Übernahme unangenehmer Tätigkeitenversucht Alleinsein zu vermeidensucht Beziehung als Quelle der Fürsorge und Unterstützungmassive Angst verlassen zu werden und auf eigene Kompetenzen
angewiesen zu sein
Diagnose
mittelschweres depressives Syndrom (ICD 10: F 32.1)
bei
dependenter Persönlichkeitsstörung (ICD 10: F60.7)
Adult Attachment Interview (AAI)(George, Kaplan & Main 1985 / 1996; in Gloger-Tippelt 2001)
Semistrukturiertes klinisches Interview mit der Mutter zur Erfassung der mütterlichen Bindungsrepräsentation
20 Fragen zur eigenen Beziehung zu Mutter und Vater, Trennung, Verlusterfahrungen, Bedrohung, Missbrauch, Misshandlung
sicherAutonom (F) Leichter Zugang zu positiven wie negativen Kindheitserfahrungen, kohärente, affektiv und kognitiv ausgewogene Schilderung
unsicher
hochunsicher
Distanzierend (Ds) beziehungsablehnend, Leugnen / Bagatellisieren negativer Erfahrungen, wenig Erinnerung
Verstrickt (E) beziehungsüberbewertend, vage oder ärgerliche Schilderung, keine (sprachliche) Abgrenzung
Unverarbeitet (U) Nicht verarbeiteter früher Verlust oder nicht verarbeitete Traumatisierung,keine vorherrschende Organisation mentaler Repräsentation (CC)
AAI - Klassifikation der Mutter
Ud (= unresolved trauma / loss) / F4 (sicher)
unverarbeiteter Verlustfrüher Kontaktabbruch zum Vater
unverarbeitetes TraumaMisshandlung durch die Mutter
Separation Anxiety Test (SAT)(nach Kaplan, 1987)
sicher
unsicher
hochunsicher
(B) Klare, differenzierte Gefühlsäußerungen,konstruktive Lösungsangebote
Vermeidend (A) nachvollziehbare Gefühls-äußerungen, keine Lösungsangebote bzw. passive Lösungen
Ambivalent (C) nachvollziehbare Gefühls-äußerungen, unvereinbare, widersprüchliche Lösungsangebote
(D) Furcht, Desorganisation / Desorientierung inÄußerungen, Verhalten
projektives Verfahren zur Erfassung der inneren Vorstellungen von Kindern über die Regulation ihres Verhaltens und ihrer Gefühle in emotionalen, auch alltäglichen, „Notsituationen“ im Rahmen von Trennungs-/Angstgeschichtenerfasst die emotionale Sicherheit bzw. Unsicherheit in der Bindungsvorstellung von Kindern
SAT - Klassifikation des SohnKlassifikation nach Kaplan (1987)
Bindungsstil A1/d (= unsicher vermeidend / desorganisiert)
vermeidet, wenn möglich, emotional belastende Situationenäußert negative Gefühle, selbst bei leichten Trennungenzeigt unangenehme Gefühle nicht deutlichzeigt eine extreme Unfähigkeit, sich Lösungen oder Strategien für die
dargestellten Trennungs-/Angstsituation vorzustellen
seine Kompetenz mit belastenden Situationen umzugehen, wird überschätztwird in emotional belastenden Situationen überfordert bzw. ist dauerhaft angespannt
CARE-Index(P. Crittenden, 2005)
Videogestütztes Verfahren zur Einschätzung der mütterlichenFeinfühligkeit sowie des kindlichen Verhaltensmusters
Gefilmt werden ca. 5 Minuten freies Spiel in gewohnter Umgebung
Erwachsene
1. feinfühlig (sensitive)
2. kontrollierend (controlling)- verdeckt- offen
3. nicht responsiv (unresponsive)- aktiv- passiv
Kind
1. kooperativ (cooperative)
2. schwierig (difficult)3. überangepasst (compulsive)
- aufmerksam (attention)- darstellend (performance)- fürsorglich (caregiving)- gehorsam (compliant)
4. passiv
CARE-Index -Klassifikation der Mutter-Tochter-Dyade
Global Score = 6
Mutter ist für die Tochter emotional wenig verfügbar nicht-responsive passivwenig positiver AffektKommunikation und interaktives Verhalten erschwert
Tochter vor allem compulsive-caregiving mit schwierigen Anteilen
Fremde-Situations-Test (FST)(Ainsworth et al. 1978, Main & Solomon, 1996)
Videogestütztes Verfahren zur Klassifikation des kindlichen BindungsstilsGefilmt werden Bindungsperson und Kind in fremder Umgebung und mit fremder Person > Aktivierung des Bindungssystems
sicherNähe- und Kontaktsuche, modulierter Wechsel zwischen
Bindung und Exploration (sichere Basis)
unsicher - vermeidendVermeidung von Körper- und Blickkontakt
unsicher- ambivalentNähe- und Kontaktsuche bei Widerstand / Unzufriedenheit
Körperkontakt
desorganisiertZusammenbruch der kindlichen Bewältigungsstrategienbizarr anmutendes Verhalten
FST - Klassifikation der Tochter
Bindungsstil D / B
bizarres Verhalten: Annähern an die Mutter, innehalten, und gleichzeitig wegschauen
Transgenerationale Weitergabe von Bindungsstilen
Mutter (UdUd/F4: unresolved trauma, loss / sicher)Kontaktabbruch zum Vater, Misshandlung durch Mutter
Sohn (A1/dd: unsicher-vermeidend, desorganisiert)extreme Unfähigkeit sich Lösungen für Angstsituationen vorzustellen
Tochter (DD/F: desorganisiert / sicher) bizarres Verhalten: Annähern an die Mutter, innehalten, und gleichzeitig wegschauen
Auswirkungen der PE der Mutter auf die Mutter-Kind-Interaktion
Depressionphysiologische Grundbedürfnisse können meist gestillt werdenwenig responsiv, oft passivwenig positiver AffektKommunikation und interaktives Verhalten erschwert (Mimik, Gestik, Anhedonie, Antriebsstörung, depressive Gedankeninhalte) Stimme ist leise, klanglos, aphonisch, ausdruckslos, monoton, antwortet seltener auf kindliche VokalisationAngst machende Situation (Suizidalität)
Dependente Persönlichkeitsstörungübernimmt keine VerantwortungRollenumkehrAngst machende Situation (Partnerschaftskonflikte)
Interdisziplinärestationäre Behandlung
Gesundheitshilfestationäre Aufnahme von Mutter und 2 Kindern
Psychiatrisch-psychotherapeutische BehandlungEntwicklungspsychologische BeratungKörpertherapienElterntraining Kinderpsychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung
JugendhilfeJugendamt (SPFH)
Entwicklungspsychologische Beratung (Ziegenhain, Fries, Bütow & Derksen, 2004)
Bindungstheoretisch begründete Förderung elterlicher FeinfühligkeitVermittlung von Ausdrucks-, Belastungs- und Bewältigungsverhaltensweisen von Säuglingen und Kleinkindern (Brazelton, 1984; Als, 1982)verhaltensorientiert, videogestützt, ressourcenorientiert
Intervention
Video-Sequenzen gelungener Interaktion Video-Sequenzen nicht gelungener Interaktion Anwesenheit des Kindes
Videoaufnahme gemeinsamer
Interaktion
Entwicklungspsychologische Beratung
Themen der EPB-Beratung:• Steigerung der mütterlichen
Feinfühligkeit / Responsivität:Bedürfnisse und Gefühle der Tochter besser erkennen, schneller und adäquater darauf reagieren
• Aktivierung zum gemeinsamen Spiel mit der Tochter; gemeinsame Freude im Spiel
• Grenzen setzen: v. a. in Bezug auf das risikofreudige Verhalten der Tochter
• Übernahme der Verantwortung und der Rolle als Mutter
Depression• wenig responsiv, oft passiv• wenig positiver Affekt• Kommunikation und interaktives
Verhalten erschwert (Mimik, Gestik,Antriebsstörung)
• Stimme ist leise, ausdruckslos,monoton, antwortet seltener aufkindliche Vokalisation
Dependente Persönlichkeitsstörung• übernimmt keine Verantwortung• Rollenumkehr
Behandlungsergebnis
Mutter
Umstellung des Antidepressivumsrasche Remission der depressiven Symptomatik
keine Veränderung der Persönlichkeitsstörung
EPB: Verbesserung der mütterlichen Feinfühligkeit im Rahmen der Remissionweiterhin im Interventionsbereich aufgrund der Persönlichkeitsstörung
Sohn Einstellung auf Methlyphenidat konzentrierter
Procedere
Gesundheitshilfe (ambulant)
langfristige hochfrequente Psychotherapie Fortsetzung der Medikation (Psychiater und Kinderpsychiater)Fortsetzung der EPBSPFH auf 40 Stunden/Monat erhöhtVorstellung der beiden anderen Kinder in der KJP-Ambulanz
zur Diagnostik und ggf. Integration ins Behandlungskonzept
JugendhilfeJugendamt (SPFH)Erziehungsberatungsstelle
Zusammenfassung
1. Die Behandlung von „Bindungsproblemen“ im Kontext von Persönlichkeitsstörungen ist aufwändig und hochkomplex und kann nur multidisziplinär und langfristig erfolgreich sein
2. Es gibt kaum ambulante und stationäre Angebote mit entsprechenden Konzepten
3. Interdisziplinäre stationäre Eltern-Kind-Behandlung wird bisher nicht finanziert
4. EPB kann Feinfühligkeit der Bezugsperson erhöhen und Beziehungs- und Erziehungskompetenzen steigern
5. Grenzen der EPB liegen z.B. bei aktuellen psychischen Erkrankungen der Bezugsperson (fehlende Verbesserung der Feinfühligkeit nach ca. 5 Rückmeldungen)