myp MAGAZINE #14 feat. Boris

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myp MAGAZINE Ausgabe #14, Thema "Meine Wut" - myp MAGAZINE issue #14, topic "My Fury"

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  • M Y P M A G A Z I N E

  • T H E M Y PAG E S M AG A Z I N E

  • Alles ist wichtig nur auf Stunden.Theodor Fontane

  • Alles ist wichtig nur auf Stunden.

  • MeineWut

    fotografiert von Maximilian Knig

    14

  • Meistens kommst du aus dem Nichts.

    Wie ein Gewitter berfllst du mich, raubst mir den Verstand, den Schlaf, das Lcheln.Und du machst mich blind.

    So blind, dass ich orientierungslos im Gesterntreibe und vergesse, dass es auch ein Heute gibt.

    Ich wei, du wirst einmal vergehen.

    Im Gestern bist du meine Wut.Was du im Heute bist,das wei ich nicht.

    Prolog

  • Inhalt

  • Boris

    Johann PlerPedro PanachAnke NunheimInflectionMetronomyBenjamin HanusMarc Cantarellas-CalvSarah Victoria SchalowJodi MelodyKilian KernerNatalie K & Dirk BruneJohannes HeidnerJakob TemmeI Heart SharksRamona FrauenrathFranziska StetterMarieke FischerLouise BorinskiStefania PopJenny FitzLukas LeisterJonas Meyer

    DankeImpressum

    16

    4870808694

    118124130136142180186192198228234240246252258266272

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  • Gewidmet dem Vergnglichen

  • Boris Dolinski ist 52 Jahre alt, DJ und lebt in Berl in.

    www.ostgut.de

    Boris

  • Boris

  • Interview & Text: Jonas MeyerFotos: Maximilian Knig

    Reduktion

  • Sonntag, den 26. Januar 2014, um 3:00 Uhr morgens. Wer seinen Blick gerade auf den Mann gerichtet hat, der in der Panorama Bar seit drei Stunden hinter dem Platten-teller steht, kann fr den Bruchteil einer Sekunde beobachten, wie er seinen Kopf zur Seite dreht, die Augen schliet und dabei seinen Oberkrper leicht nach hinten neigt als gbe es da irgendetwas, das ihn halten wrde.

    In diesem Moment breitet sich unter seinem dunklen Bart ein Lcheln aus, das so anders ist als all die vielen Lcheln um ihn herum: Tiefer. Zuversichtlicher. Und geprgt von einem ganzen Leben.

    Elf Wochen spter auf der anderen Seite der Spree. Der Wind ist heute so wild und eisig, als lge Kreuzberg direkt an der Nordsee. Boris, so heit jener DJ aus der Panorama Bar, steigt an der Oberbaumbrcke von seinem Fahrrad und begrt uns freundlich. ber eine kleine Zufahrt zwischen Watergate und Magnet Club schlendern wir gemeinsam in den Innenhof eines groen Gebude-komplexes, wo sich trotzig zwischen kern-sanierten Wohnungen und Bros ein altes Backsteingebude befindet: Das Kesselhaus aus dem 19. Jahrhundert steht heute als Ver-einsheim in der Obhut des Mindpirates e.V. einem Verein und Kunstkollektiv, das sich seit 2008 durch sein vielfltiges Programm zu einer festen Gre des Berliner Kultur- und Nachtlebens entwickelt hat.

    Wir steigen eine kleine Treppe hinab, ffnen die schwere Stahltr am Eingang und betreten den imposanten Innenraum des Kesselhauses: Unter einer knapp zehn Meter hohen Decke erstrecken sich zwischen Stahl und Stein drei Ebenen, die durch gewaltige Fenster mit bunt gefrbtem Glas erhellt werden. Man glaubt fast, in einer kleinen

    Kirche zu sein, wren da nicht die vielen Masken, Fotoprints und Kunstwerke, die das Innere des Vereinsheims der Mindpirates schmcken.

    Nach einem kurzen Rundgang machen wir es uns auf der untersten Ebene gemtlich. Je nach Veranstaltung wird dieser Raum auch als Tanzflche genutzt und so gibt es hier sogar eine kleine Bar samt Mini-Mischpult. Boris nimmt auf einem Hocker in der Mitte des Raums Platz, schaut sich neugierig um und lchelt uns an.

    Jonas:Du bist in den 60er Jahren in Neuklln auf-gewachsen. Welche Bilder hast du im Kopf, wenn du an deine Kindheit und Jugend denkst?

    Boris:Da entstehen in meinem Kopf keine wirk-lich spektakulren Bilder: Wie alle anderen Kinder habe auch ich auf der Strae gespielt und bin ganz normal zur Schule gegangen. Auergewhnliche Erinnerungen gibt es bei mir erst ab dem Jahr 1981: Ich hatte gerade die Schule abgeschlossen und wollte eigent-lich studieren, doch dafr war mein Abi zu schlecht. Also habe ich ein paar Monate lang gejobbt und dann gemeinsam mit einem guten Freund beschlossen, drei Monate lang Sri Lanka zu bereisen. Wir wollten uns damals beide eine Auszeit gnnen und so weit wegfahren, wie es mit unseren finan-ziellen Mitteln nur mglich war. Wir hatten damals eine superschne Zeit, das Land war einfach paradiesisch.Als ich 1982 nach Berlin zurckkam, fing ich wieder an, in verschiedenen Jobs zu arbeiten. Lange hat es mich aber nicht hier gehalten und so bin ich Mitte 1983 nach Bar-celona gezogen.

  • Jonas:Ist es dir schwer gefallen, so pltzlich alle Zelte in deiner Heimatstadt Berlin abzubre-chen?

    Boris.Nee, fr mich war absolut klar: Ich zieh jetzt nach Amerika und das wars.

    Jonas:New York war ja immer schon der Inbegriff von Sehnsucht.

    Boris:Und frher noch viel mehr als heute! Damals kannte man ja nicht so viel von der Stadt. Man wusste ber New York nur das, was man mal in einer Zeitschrift gelesen oder im TV gesehen hatte. New York wirkte damals wesentlich geheimnisvoller als heute es gab ja auch kein Internet, das es einem ermglichte, mal eben virtuell die Stadt zu erkunden.

    Jonas:War New York damals nicht auch wesentlich gefhrlicher als heute?

    Boris:Ich empfand New York nie als gefhrlich. Natrlich passierte in dieser Metropole so einiges, aber das Image einer gefhrlichen Stadt wurde auch sehr stark von den Medien gezeichnet. Und auerdem: Wenn man aus Berlin stammt, was soll da in New York noch wirklich gefhrlich sein? Ich jedenfalls sah nie so aus, als wrde ich aus einem Milieu kommen, bei dem es sich lohnen wrde, mich zu berfallen.

    Jonas:Du hattest auch das extreme Glck, nicht alleine dort zu sein in New York kann man sich schnell einsam und verloren fhlen.

    Boris:Stimmt, aber ich hatte nie wirklich ein Problem damit, die Stadt auch alleine zu erkunden. Auerdem hat es auch nur ein halbes Jahr gedauert, bis ich wieder in Berlin war: Mein Visum lief Anfang 1985 ab, ich musste also zurck nach Deutschland.

    Jonas:Hat es dich sehr geschmerzt, New York wieder verlassen zu mssen?

    Boris (zgert einen Augenblick):Hmm nein, eigentlich nicht. Es war damals natrlich schon ein absolut umwerfendes Gefhl, als 24jhriger Berliner nach New York zu kommen und pltzlich nur noch Hochhuser zu sehen. Aber ich hatte in der kurzen Zeit ja auch nicht wirklich Fu fassen knnen in der Stadt, weshalb es auch nicht schlimm war, wieder zurck nach Berlin zu gehen.

    Jonas:Da stehst du Anfang 1985 pltzlich wieder da...

    Boris:Ja, aber Berlin ist Gott sei Dank eine Stadt, in der man immer wieder neu anfangen kann. Vor allem damals war es noch eine totale Schneewittchen-Stadt im Tiefschlaf, in der man billig leben konnte und leicht einen Job finden konnte. So habe ich bald angefangen, unter anderem in der Oranienbar zu arbeiten. Das hat mich fr ein paar Monate ber Wasser gehalten. Alles war damals neu in meinem Leben: neuer Job, neue Wohnung, neuer Mitbewohner der hatte mich brigens als einziger vorher in New York besucht, was ich sehr cool fand. So sind wir richtig gute Freunde geworden. Mein Mitbewohner war es auch, der mich im September 1985 gefragt hatte, ob ich nicht Lust htte, gemeinsam mit ihm ber Weih-nachten und Silvester wieder nach New York zu fliegen und dort richtig einen drauf zu machen. Natrlich habe ich ja gesagt.

    1985 hatte man das Gefhl,alles sei irgendwie eingeschlafen.

  • Ursprnglich wollten wir nur drei Wochen bleiben, aber kurz nach Silvester haben wir feststellen mssen: Es ist einfach viel zu geil hier, wir machen gerade die beste Clu-berfahrung unseres Lebens! Also haben wir kurzerhand unseren Aufenthalt auf Mrz verlngert.

    Jonas:Aber auch im Mrz bist du nicht zurckge-kommen.

    Boris:Nein, mein Kumpel ist zwar zurckgeflogen, aber ich fands viel zu aufregend und bin geblieben. Es hatten sich zu der Zeit auch einfach schon zu viele Dinge in meinem Leben manifestiert.

    Jonas:Wie meinst du das?

    Boris:Ich hatte Anfang 1986 bereits ein WG-Zimmer in Brooklyn fr sagenhaft billige 100 $ pro Monat! Auerdem hatte ich als Abrumer in einem Lunch-Restaurant gear-beitet und dort 250 $ in der Woche verdient, was zum berleben absolut gereicht hat. Dadurch hatte ich in gewisser Weise ein geregeltes Leben. Auerdem hatte ich neue Freunde gefunden und konnte flieend Eng-lisch. So ist Berlin in meinem Kopf immer weiter in den Hintergrund gerckt. Und so beschlich mich der Gedanke, dass ich ja vielleicht doch mehr oder weniger sesshaft werden knnte.

    Jonas:Sesshaft werden mit 24 Jahren? Das klingt dann doch eher etwas konservativ.

    Boris:Wir reden von sesshaft werden in New York! Das ist einfach eine Metropole, die um ein Vielfaches grer ist als Berlin und dement-sprechend auch etwas anderes anzubieten hat. Um es in einem Satz zu sagen:

    New York ist eine Potenzierung von Berlin.brigens meine ich mit sesshaft werden, dass ich ein Gerst hatte, mit dem ich mich sicher fhlte und mein Leben genieen konnte: Ich konnte hier tausend Leute ken-nenlernen und alles mitnehmen ohne zu denken, nur Besucher zu sein und bald wieder gehen zu mssen. Fr mich war das eine optimale Basis.

    Jonas:Whrend andere in deinem Alter also bereits an Reihenhaus und Kinder gedacht haben, hast du in New York quasi in einem stn-digen Jetzt gelebt.

    Boris:An Reihenhaus oder Kinder habe ich nie gedacht, so ein Leben auf Nummer sicher kam fr mich einfach nicht in Frage auch wenn ich im Jahr 1982 mal fr einige Monate als Sachbearbeiter bei einer Krankenkasse gearbeitet hatte. Man wollte mich sogar bernehmen und bot mir 14 Monatsgehlter und flexible Arbeitszeiten an. Aber irgendwie wollte ich so ein Leben nicht.

    Jonas:Was wolltest du denn?

    Boris:Ich wollte mich nicht festsetzen, sondern Abenteuer erleben auch in Bezug auf das Nachtleben. In Berlin war die Clubszene zwar Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre noch richtig aufregend, aber 1985 hatte man das Gefhl, alles sei irgendwie eingeschlafen.

    Jonas:Dafr bist du ja ab 1986 immer tiefer in die New Yorker Clubszene eingetaucht. Ist diese Zeit dafr verantwortlich, dass Musik einen so hohen Stellenwert in deinem Leben hat?

  • Boris:Ganz allgemein bin ich bereits sehr frh mit Musik in Berhrung gekommen, da ich mir schon als Jugendlicher diverse Schallplatten gekauft habe. Und seit ich 1980 angefangen habe auszugehen, kamen auch etliche 12-Inches dazu ich mochte einfach Club-musik sehr.Tatschlich gab es aber in New York einen berhmten Club namens Paradise Garage, der fr mich absolut prgend war. Larry Levan, der dortige Resident-DJ, hat mich musikalisch und stilistisch sehr beeindruckt. Ich habe ihn drei Jahre lang fast jede Woche in dem Club gehrt und wrde ihn heute als so etwas wie meinen Mentor bezeichnen obwohl ich ihn persnlich nie kennengelernt habe.

    Jonas:Ist damals in dir das Gefhl entstanden, dass du selbst eher hinter den Plattenteller gehrst als davor?

    Boris (lacht):Nein, das kam erst viel, viel spter noch befinden wir uns ja in den 80ern! Ich hatte eigentlich nie den Gedanken, DJ werden zu wollen. Zwar habe ich immer Musik gekauft und im Laufe der Jahre auch eine riesige Plat-tensammlung angehuft, aber in New York hat sich mir eine solche Frage nie gestellt. Damals hatte jeder Club seinen festen Resi-dent-DJ diesen DJ-Tourismus, wie man ihn heute kennt, gab es da noch nicht. Es war daher so gut wie unmglich, in diese kleine Szene einzubrechen: Alle Pltze in den Clubs waren besetzt und DJ werden konnte man quasi nur, wenn ein anderer starb.

    Jonas:Du bist letztendlich in New York doch nicht sesshaft geworden, sondern nach gut vier Jahren wieder nach Berlin zurckgekehrt. Was war passiert?

    Boris:Ende der 80er haben in New York etliche Clubs geschlossen, auch die Paradise Garage. Es gab einen neuen Brgermeister, der die Stadt grndlich umkrempelte und in gewissem Mae subern wollte. Es gab tiefe Einschnitte im kulturellen Bereich und man hatte pltzlich das Gefhl, dass hier gerade eine ra zu Ende geht.Zur gleichen Zeit passierte in meiner Hei-matstadt Berlin etwas, das mich als Mau-erkind persnlich sehr berhrte: Durch den Spiegel konnte ich im September und Oktober 1989 erfahren, dass in Deutsch-land irgendwie alles in Bewegung geriet: Botschaften wurden besetzt, DDR-Brger reisten ber Ungarn in den Westen aus und alles geriet total ins Schwanken.

    Jonas:Hast du wenigstens den 9. November 1989 in Berlin erlebt?

    Boris:Nein, leider nicht, da war ich noch in New York. Ich habe im amerikanischen Fernsehen eine fnfmintige Reportage ber den Mau-erfall gesehen mehr nicht. Gerade einmal fnf Minuten ber das Ende des Kalten Krieges! Ich wollte jetzt unbedingt nach Berlin zurck. Innerhalb weniger Wochen habe ich daher meine Zelte abgebrochen und Anfang Mrz 1990 New York den Rcken gekehrt.

    Jonas:Wie hast du deine Ankunft in Berlin erlebt?

    Boris:Meine Schwester hat mich mit dem Auto vom Flughafen Schnefeld abgeholt. Ich konnte das gar nicht glauben: Nirgendwo gab es Volkspolizisten. Und als wir im Auto saen, sagte sie pltzlich: Wir gehen jetzt Unter den Linden einen Kaffee trinken.

    Alle Pltze in den Clubs waren bestezt DJ werden konnte man quasi nur,wenn ein anderer starb.

  • Das war fr mich unglaublich, ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Es hat auch einige Wochen gedauert, bis ich mich an diese Situation gewhnen konnte.

    Jonas:Und dann hast du in deinem Leben schon wieder neu angefangen.

    Boris:Ich hatte Gott sei Dank etwas Geld mitge-bracht und konnte mich daher zuerst einmal in aller Ruhe umschauen. ber gute Freunde bin ich an einen Job in einer angesagten Bar gekommen und habe mich wenig spter mit dem Besitzer angefreundet. Er hie Marc Ernestus und hatte gerade den Plattenladen Hardwax erffnet. Wir haben uns ewig ber Musik unterhalten und ich habe ihm von meiner riesigen Schallplattensammlung erzhlt, die ich bei meinem Umzug aus New York nach Berlin verschiffen lie.Marc hat mir das Angebot gemacht, ihm beim Sortiment zu helfen und die internati-onalen Bestellungen zu machen. Auch wenn ich dort anfangs nichts verdient habe, habe ich gerne zugesagt. So hatte ich pltzlich wieder mit Schallplatten zu tun und als der Laden immer grer und anspruchsvoller wurde, wurde ich auch irgendwann bezahlt.Aber der Ausschlag gebende Grund, warum ich letztendlich DJ geworden bin, ist ein sehr enger Freund von mir. Irgendwann im Jahr 1991 sagte er zu mir: Mensch, du hast diese vielen Platten aus Amerika mitgebracht, du musst doch auf-legen! Das war aber eigentlich berhaupt nicht so mein Ding. Also schlug er vor, dass wir das gemeinsam machen knnten, und ich habe ja gesagt. Wir sind dann mit unseren Plattenspielern und Mischpult in Schneberg von Bar zu Bar gezogen und haben gefragt, ob wir dort musikalisch den Abend gestalten drfen.

    Es gab dafr zwar kein Geld, aber wir konnten umsonst trinken und dabei unsere eigene Musik spielen.

    Jonas:Wie war die Resonanz?

    Boris:Das Ganze lief erstaunlich gut, wir haben wchentlich in den verschiedensten Bars Musik gemacht. 1994 wurden wir sogar gefragt, ob wir im SO36 in Kreuzberg auf-legen wollen. Damals gab es eine sehr angesagte Party namens Hungrige Herzen, die immer bre-chend voll war. Dort haben wir dann letzt-endlich 18 Monate lang alle vier Wochen aufgelegt, das war super!

    Jonas:Und dabei hat es angefangen, so richtig in den Fingern zu kribbeln?

    Boris:Klar, das hat damals einfach total viel Spa gemacht auch wenn es von Auftritt zu Auf-tritt ein Kampf war: Das SO36 war immer schon sehr alternativ, daher mussten wir uns an die Vorgabe halten, unsere House-Musik erst ab 2:00 Uhr aufzulegen und vorher waren wir gezwungen, solche Sachen wie The Cranberries zu spielen.Im Laufe der Monate hat sich das zeitlich aber immer weiter nach vorne verschoben. So durften wir irgendwann schon ab 1:00 Uhr und schlielich sogar ab 0:00 Uhr die Musik spielen, die nicht nur wir lieber mochten, sondern auch das Publikum.Aber leider wurde Mitte 1995 das Fhrungs-plenum des SO36 gewechselt. Da gab es pltzlich Leute, die relativ viel an uns rum-zunrgeln hatten. Wir wurden in der Kon-sequenz nicht mehr gebucht und die ganze Sache ist eingeschlafen.

  • Jonas:Wie ging es danach weiter?

    Boris:Zwei Freunde von mir arbeiteten damals in der Motzstrae in einer Schwulenbar namens Hafen. Sie erzhlten mir, dass sie fr ihre Schicht einen DJ suchen und so haben wir kurze Zeit spter dort gemeinsam den Donnerstag gestaltet. Bis 1999 habe ich vier Jahre lang jede Woche im Hafen aufge-legt. Verglichen mit dem, was damals in Berlin clubmig los war, war das zwar nichts Groartiges, aber mit den angesagten Lden wie Tresor, E-Werk oder Planet konnte ich zu der Zeit eh nichts anfangen: Ich kam mit vollkommen anderen Musikvorstellungen und Erfahrungen aus New York, daher war mir diese neue Berliner Clubszene ziemlich fremd.

    Jonas:Was genau hat dich daran gestrt?

    Boris:Ich glaube, ich bin damals einfach zu sehr in meinen New Yorker Erinnerungen ver-sunken und konnte mich deshalb nicht auf die Clubszene hier einlassen. Vielleicht war diese Einstellung auch ein wenig arrogant, wer wei.

    Jonas:Eventuell hast du auch ein wenig die finan-zielle Basis und den geregelten Job vermisst, die dir in New York eine gewisse Sicherheit gegeben haben.

    Boris:Ich habe Ende der 90er in Berlin tatsch-lich wenig Geld verdient. Aber dafr bin ich meiner Leidenschaft gefolgt. Ob es jetzt die Arbeit im Hardwax war oder das Auflegen im Hafen: Ich kam einfach stndig mit Musik in Berhrung.

    Jonas:Wahrscheinlich htte dich auch alles andere unglcklich gemacht.

    Boris:Um ehrlich zu sein: Ein wenig unglcklich war ich schon, als unser Engagement im SO36 zu Ende ging und ich vier Jahre lang im Hafen jede Woche mehr oder weniger die gleiche Musik gemacht habe. Irgendwann habe ich mir daher einige Fragen gestellt: Was ist dieses Musikmachen eigentlich fr mich? Ist das ein Hobby? Oder hat es viel-leicht doch Potenzial fr mehr? Soll ich damit berhaupt weitermachen? Oder das Ganze eher fallen lassen?Ich sa total in der Klemme, denn ich konnte ja mit der Berliner Clubszene nach wie vor nichts anfangen was ja die Grundvoraus-setzung gewesen wre, um hier professionell Fu zu fassen. Aber dann ist glcklicher-weise 1998 das Ostgut entstanden.

    Jonas:Ein legendrer Ort.

    Boris:Ja und in gewisser Weise ein Persona non grata-Club.

    Jonas:Wie meinst du das?

    Boris:Das Ostgut lag in einem Gebiet, in dem es Ende der 90er keinen ffentlichen Nahver-kehr gab. Man ist entweder mit dem Fahrrad hingefahren, hat ein Taxi genommen oder ging zu Fu. Das war damals ein absolutes Niemandsland stockdunkel und dazu noch hinter der Mauer. Ich hatte aber erfahren, dass es im Ostgut eine Partyreihe names Dance with the Alien gab, auf der der New Yorker DJ George Morel auflegte.

    Ich glaube, ich bin damals einfach zu sehr in meinen New Yorker Erinnerungen versunken.

  • Ich dachte mir: Wenn man pro Jahr fnfmal einen DJ aus New York einfliegen lsst, nur um ihn im Ostgut auflegen zu lassen, dann kann ich mich da ja auch mal bewerben. Also habe ich eine Mixkassette zusammen-gestellt und einem Freund zugesteckt, der damals an der Bar gearbeitet hat. Eine Woche spter gab er mir die Kassette zurck mit dem Kommentar, dass er sie nicht fr gut genug hielt, um sie weiterzugeben. Das wars fr mich, alles in Scherben.

    Jonas:Die Sonne geht doch immer wieder auf, wenn sie mal untergegangen ist.

    Boris:Ja, aber es war trotzdem deprimierend. Jetzt hatte ich mal den Schritt gewagt, mich tat-schlich als DJ zu bewerben, und dann funk-tionierte es nicht. Aber wie das Leben so spielt, habe ich kurze Zeit spter den Musi-kjournalist Thilo Schneider kennengelernt. Thilo schrieb damals fr das Flyer-Magazin, das Ende der 90er ziemlich populr war. Und er war sehr fasziniert vom Ostgut sogar so sehr, dass er den Betreibern angeboten hatte, sie beim Booking und der Knstler-auswahl zu untersttzen, was er dann auch tatschlich zwei, drei Jahre lang getan hat.Im Sommer 1999 kam Thilo im Hafen vorbei. Als er meine Musik hrte, sagte er: Hey, du spielst ja einen echt coolen Sound, das hrt sich richtig gut an! Sechs Wochen spter rief mich einer der Ostgut-Betreiber an und erzhlte, dass ihnen noch ein DJ fr die Snax-Party im Lab fehlte. Und so stand ich im Sep-tember 1999 zum ersten Mal dort hinter dem Plattenteller. Nach meinem ersten Auftritt schauten die Betreiber vorbei und fanden es gut, was ich da machte. Sie erzhlten mir, dass sie im Januar 2000 einen weiteren Floor namens Panorama Bar erffnen wollen, und fragten mich, ob ich mir vorstellen knnte, dabei zu sein.

    Natrlich habe ich zugesagt! So fing vor 15 Jahren alles an dank Thilo Schneider.

    Jonas:Hattest du nun das Gefhl, pltzlich alle Antworten auf die Fragen gefunden zu haben, die du dir noch kurz vorher gestellt hattest?

    Boris:Nicht pltzlich, aber die Antworten haben sich im Laufe der nchsten Monate immer strker manifestiert. Zu Ostgut-Zeiten habe ich ja ausschlielich im Ostgut aufgelegt, da habe ich an ein Leben als hauptberufli-cher DJ noch nicht gedacht. Und dement-sprechend gab es damals auch noch keine Gedanken an eine Booking-Agentur das kam erst mit dem Berghain, dem Nach-folgeclub des Ostgut. Seitdem wurde ich immer fter von nationalen und internati-onalen Clubs angefragt und bin dadurch in den letzten Jahren ziemlich in der Welt her-umgekommen.

    Jonas:Im Jahr 2003 musste das Ostgut schlieen, weil auf dem dortigen Gelnde die O2-Arena errichtet werden sollte. Wie hast du das Ende des Clubs erlebt?

    Boris:Das war fr mich und viele andere Berliner der absolute Weltuntergang! Man muss wissen, dass das Ostgut von 1998 bis 2000 ein hartgesottener Schwulenclub mit mar-ginalem Frauenanteil war, zu dem die neue Panorama Bar ab dem Jahr 2000 ein Gegen-gewicht darstellen sollte softer, hedonisti-scher und mit etwas anderer Musik. Dadurch ist das Ostgut schlagartig zum hipsten Club Berlins geworden. Und es war der einzige Ort in der Stadt, an dem man bis in den spten Sonntagnachmittag feiern konnte.

  • Es ist sowieso unntig, irgendetwas festhalten zu wollen. Leider liegt es in der Natur des Menschen, sich zwanghaft an das zu klammern, was glcklich macht.

  • Es ist sowieso unntig, irgendetwas festhalten zu wollen. Leider liegt es in der Natur des Menschen, sich zwanghaft an das zu klammern, was glcklich macht.

  • Jonas:Eine interessante Parallele zur Paradise Garage im New York der 80er...

    Boris:Stimmt, allerdings ging dort die Party nur bis 12:00 Uhr mittags und es gab keinen Alkohol. Wie bei der Paradise Garage dachte man aber auch beim Ostgut, dass es das Beste ist, was es in der Stadt gibt. Und so wurde der Club auf einmal ber-rannt, als irgendwann der Termin fr den Spatenstich der O2-Arena feststand und damit das Ende des Ostgut besiegelt war. Jeder wollte noch mitnehmen, was geht. Es hat sich damals ein regelrechter Kult entwi-ckelt, die Leute haben sogar geweint.

    Wir verlassen den kleinen Clubraum und steigen einige Treppenstufen zur zweiten Ebene hinauf. Das bunte Glas der riesigen Fenster kreiert gemeinsam mit der Stille eine sonderbare Stimmung in dem Raum: Fast andchtig ist es hier und trotzdem farben-froh.

    Jonas:Hat sich bei dir im Laufe der Jahre das Bedrfnis entwickelt, etwas Bestimmtes mit deiner Musik zu sagen? Oder ist das Auf-legen fr dich etwas, das rein aus deinem Gefhl heraus entsteht?

    Boris:Musik bedeutet irgendwie alles fr mich, daher gibt es da bei mir einen gewissen Automatismus: Seit ich auflege, drcke ich mich auch emotional darber aus. Ich spiele einfach, wie ich von innen her spielen will. Und egal in welcher physischen Verfassung ich bin, ob mde oder nicht mde sobald ich hinter dem Plattenteller stehe, ist alles verflogen und die Energie da. Und dann versuche ich, mein ganzes Gefhlsspek-trum und meine Gedankenwelt so ber die Musik zu transportieren, dass die Leute das irgendwie annehmen, aufnehmen und ver-stehen knnen.

    Jonas:Hast du dabei nicht das Gefhl, dich vor deinem Publikum komplett zu offenbaren?

    Boris:Manchmal. Aber nicht immer.

    Jonas:Nimmst du bewusst wahr, dass du mit deiner Musik andere Menschen in gewisser Weise steuern kannst?

    Boris:Ja natrlich! Das wird mir durch das enorme Feedback bewusst, das mir die Leute geben. Es ist einfach schn zu wissen, dass man Menschen so tief in ihrer Gefhlswelt berhren kann.

    Jonas:Beflgelt dich dieses Wissen?

    Boris:Auf jeden Fall besttigt es einen in dem, was man tut. Ich habe gemerkt, dass ich mit meiner Musik irgendwie in der Lage bin, einen ganz bestimmten Draht zu den Leuten aufzubauen.

    Jonas:Das klingt sehr bescheiden.

    Boris schweigt.

    Jonas:Ist dir Bescheidenheit wichtig im Leben?

    Boris:Ich wrde jetzt nicht sagen, dass es mein Lebensmotto ist, aber ich finde es schon wichtig, dass man mit wenig auskommt und auch versucht, sich auf wenige Sachen zu konzentrieren. Man sollte im Leben einfach versuchen, so wenig materialistisch wie mglich zu denken das Einzige, wo ich mich selbst nicht reduzieren kann, ist die Musik.

    Jonas:Knntest du dir vorstellen, in deinem Leben auch etwas ganz anderes zu tun?

  • Boris (lacht):Etwas anderes tun? Ich koche gerne aber nur fr Freunde, nicht professionell. Mit dem Kochen ist es bei mir brigens wie mit der Musik: Ich experimentiere gerne und pro-biere viele neue Kombinationen aus. Des-halb mag ich auch das Berghain so sehr ich kann dort einfach Dinge machen, die nur dort funktionieren. Das liegt zum einen an der Anlage und zum anderen an dem ganz besonderen Umfeld: Das Team, die Gste und berhaupt die ganze Situation dort machen es mglich, dass ich genau das tun kann, was ich tue.

    Jonas:Wrdest du sagen, dass das Berghain ein elementarer Teil deines Lebens ist?

    Boris:Ich fhle mich im Berghain absolut zuhause und sehr gut aufgehoben daher mchte ich es nie missen. Aber alles geht ja irgend-wann auch mal vorbei: Das Berghain geht vorbei, ich gehe vorbei man kann nichts festhalten.

    Es ist sowieso unntig, irgendetwas fest-halten zu wollen. Leider liegt es in der Natur des Menschen, sich zwanghaft an das zu klammern, was glcklich macht. Ich persnlich glaube aber, dass das der absolut falsche Blick aufs Leben ist. Das Glck liegt eher in der Vergnglichkeit. Das macht es so wertvoll.

    Boris schliet fr einen Moment seine Augen, ffnet sie wieder und wirft uns einen festen Blick entgegen. Ganz langsam ziehen sich dabei seine Mundwinkel nach oben.

    Da ist es wieder, dieses Lcheln, das schon vor elf Wochen so anders war als all die Lcheln um ihn herum. Wrde er jetzt wie damals seinen Oberkrper leicht nach hinten neigen, man wsste, was ihn halten wrde auch dann, wenn alles einmal vorbei geht.

    Das Einzige, wo ich mich selbst nicht reduzieren kann,

    ist die Musik.

  • PlerJohann

  • PlerJohann

    Johann Pler ist 21 Jahre alt und lebt in Stol lberg und Berl in.

  • Weg-begleiter

  • Text: Johann PlerFotos: Roberto Brundo

    Ein normales Leben? Ja, das hrt sich ganz gut an. In meinen Gedanken mahlen sich diese Bilder auch sehr gut von allein. Doch ist das der Weg, den der Mensch einschlagen sollte? Sein Leben so zu strukturieren, wie es jeder andere macht und uns vorlebt?

    Ich bin auf dem Dorf aufgewachsen und hier sieht der Lebensplan jedes Einzelnen im Grunde gleich aus. Man geht zur Schule, macht seinen Abschluss, geht studieren oder macht eine Ausbildung - und dann arbeitet man so lange, wie es eben mglich ist, um seine Familie zu versorgen und vielleicht sogar noch ein kleines Haus zu bauen.Aber was ist mit den Menschen, denen das nie und nimmer ausreicht? Mit denen, die sich selbst verwirklichen mssen, damit sie nicht an sich selbst kaputt gehen?

    Ich selbst zhle mich zu ihnen und ich kann mir bis heute noch nicht vorstellen, einen normalen Beruf auszufhren, der mir meine Zeit fr meine Interessen stiehlt. Ich mchte Musik machen, produzieren, all meine gesammelten Eindrcke in meinem bishe-rigen Leben in Hrbares formatieren, um anderen eine Geschichte zu erzhlen und sie an ihre eigenen, lngst vergangenen zu erinnern.

    Wenn mich jemand fragt, wo ich beruf-lich hin mchte, antworte ich nicht immer gleich. Es kommt ganz darauf an, wer mich fragt. Man kann sich gar nicht vorstellen,

    wie viele den Wunsch belcheln, mit Musik Geld zu verdienen. Deshalb gebe ich jedem die Antwort, die fr ihn am besten ist.

    Das ist meine grte Wut: sich so oft ein-fach anpassen zu mssen, um ein wenig bequemer zu leben oder zumindest so zu leben, dass es gut ertrglich ist, so lange man an seinen Umstnden nichts ndern kann.

    Diese Wut ist mein stndiger Wegbegleiter, obwohl ich sie mittlerweile so gut unterdr-cken kann, dass sie kaum sprbar ist. Den-noch wirkt sie als Initiator fr noch mehr Wut, vor allem die auf mich selbst: mich stndig zu fragen, ob ich nicht eventuell noch mehr machen knnte, um meinem Ziel nher zu kommen. Diese Wut hat mich schon des fteren in Verzweiflung getrieben. Und dafr hasse ich sie.

    Wenn ich eines ber Wut gelernt habe, dann ist es, dass Wut noch nie jemandem irgendetwas gebracht hat. Aber wieso gibt es sie dann? Ich glaube, die Wut ist eine Art Prfung an uns selbst, eine bung, in der es unsere Aufgabe ist, uns und unsere Gedanken zu kontrollieren.

    Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, auf diese Weise ein groes Ma an Beherrschung gewonnen zu haben - zusammen mit emo-tionaler Bestndigkeit. Vielleicht nicht allzu schlecht in unserer Zeit.

  • PanachPedro

    Pedro Panach ist 23 Jahre alt, Musiker und lebt in Stuttgart.

    www.pedropanache.bandcamp.com

  • PanachPedro

  • CumulonimbusText: Pedro PanachAus: Elementrack Album: MARKIGE WORTE (2014)Diese Tage sind gezeichnet von Strmenund es hagelt aus den Elfenbeintrmenkeine Fragen und keine Zweifel am Himmelaber manchmal sind auch Wolken nur Schimmeldenn Legenden von Magie ber Lfte und Gestirnetrug der Wind erst auf Papier und dann in die Gehirnejetzt streiten wir an Grenzen mit Waffen ber siedoch fragt man ihre Priester, sagen die, sie wrden niewollen, dass sich einer an den Strmen verletztist es nicht toll, dass man sich darauf verlsstwenn sich aus Luftunterschieden Gewitter formierensie nicht Hass kultivieren und Kinder indoktrinierendass sie nicht schlussendlich zum Hurricane fhrenan dem alles unkenntlich verwstet wirddoch dies ist nicht die Wahrheit, erst wenn goldenes Lichtdurch die Donnerwolken bricht, herrscht endlich Klarheit.

  • Cumulonimbus

  • Aufklrung

  • Text: Pedro Panach

    Jemand musste mich verleumdet haben. Denn ich habe nichts Bses getan.

    Tiefdruck. Die Ungerechtigkeit strmt in meinen Krper und kondensiert. Auf dem Boden der Tatsachen wird es dunkel: Wut zieht auf. Meine Aura glht einwrts, emittiert negative Energie. Der Verstand blockiert den Affekt, wenn die Spannung es zulsst. Fragen nach Schuld und Konsequenz strahlen von oben. Unten kein Lichtblick. Ich hnge in der Gewitterzelle. Gefangener nenne ich mich selbstgefllig. Mein Richtstab ist zum Bersten gespannt.

    Ich lese die Anklageschrift. Rufe die Beschuldigten auf. Oft kommen sie ohne Gesicht. Tragen die Uniformen eines Systems, deren Teil Sie sind. Aber ich schaue genau hin und erkenne Menschen. Doch die Erkenntnis entlastet mich nicht. Negative Energie kann ich nicht wegdenken. Sie erhlt sich. Also wandle ich sie. Ich strebe nach Hochdruck. Output.

    Ich nehme meinen Stift wie einen Hammer und richtemeinen Fokus auf das leere Blatt Papier. Enthlle die Geister.Trenne Ursache und Wirkung. Der Wind dreht allmhlich.

    Jemand greift mich an. Doch ich kmpfe mit mir selbst.So knnen die anderen nicht gewinnen.

    Mgen sie spren, wie ich strker werde.

  • NunheimAnke

  • NunheimAnke

    Anke Nunheim ist 26 Jahre alt,Fotoknstlerin und lebt in Berl in.

    www.nishini.de

  • Text & Foto: Anke Nunheim

    Alles wird zerbrochen, vermengt und fr alle Zeit zusammen aufgehuft. Hher und hher, bizarr und majestetisch in den Himmel ragend. Darunter verborgen sind Welten aus vergangenen Zeiten. Brodelnde Giganten unter dem ewigen Eis. Grau. Kalt. Magisch.

    Ich versuche nach dir zu schreien, dir entgegen zu schreien, mich hinaus zu schreien, doch kein Laut verlsst meine Lippen. Und langsam beginnt es zu regnen. Auf nackte Menschen prasselnd, schmerzhaft und Lcher hinter-lassend. Unaufhrlich, ohne Rcksichtnahme. Instabil und rastlos.

    Auch die Strahlen der Sonne knnen es nicht beschnigen.

    Snfellsjkull

  • Snfellsjkull

  • Inflection

  • Maximil ian Bach und Phil ipp Seuthe s ind Musiker und leben in Kln.

    www.soundcloud.com/inflection-music

    Inflection

  • Text: Maximilian Bach & Philipp SeutheFotos: Florian Drr

    Wut-stationen

  • P14.12.11Hochschule fr Musik und Tanz Kln.Mein Professor fr Musikpsychologie be-hauptet, dass Wut zu den Grundgefhlen gehrt.Eifersucht zhle auch dazu. Ich melde mich und widerspreche, da Eifersucht fr mich eine Synthese aus Wut und Angst darstellt. Mein Professor erwidert, dass er sich diesen Einwand merken werde.Er erwhnt ferner, dass die Art und Weise, wie Menschen Wut zeigen, von (sub-)kultur-spezifischen display rules abhnge. Das leuchtet ein. In der Hip Hop-Szene damals war Wut immer okay. Die kultivierten Musik-studenten haben es nicht so mit Wut.

    16.07.12Kln, Buchheim.Mein Tonsatzprofessor regt sich voll auf. Max und ich haben Trash produziert. Wir dachten unschuldig Hh, geil, wir machen bru-talen Trash. Mein Prof findet das scheie. Er sagt, man knne anhand objektiver Kri-terien feststellen, dass unsere Musik keine Qualitt habe. Der Beginn einer tollen Zusammenarbeit.

    05.08.12Amsterdam, Studio 80.Ich bin wtend, weil meine damalige Freundin vor meinen Augen mit einer anderen Frau rumgeknutscht hat, um mir eins auszuwischen. Ich habe Angst, dass der Beziehungskrieg wieder anfngt. Ich schlage meinen Hinterkopf gegen die Steinwand des Clubs. Der Trsteher schaut zu.

    21.02.13Kln, Sdstadt.Ich lese eine extrem emotionale E-Mail von Max, die davon handelt, dass er meine Wut-anflle langsam nicht mehr aushlt. Ich hatte mich darber aufgeregt, dass er in einem Track von mir komponierte Sounds gelscht hatte. In Psychologie fr Dum-mies steht, dass Wut auf der Annahme beruht, eine andere Person hegte eine schdliche Absicht gegen einen. Dass ich aufgrund einer solchen Annahme gehandelt habe, kann ich heute kaum noch glauben.

    08.03.14Kln, Braunsfeld.Max und ich proben in seiner Wohnung. Wir schreien rum und dancen zu unserem eigenen Sound. Die Nachbarn freuen sich bestimmt. Ich liebe die Syntax der elektro-nischen Musik. Die Semantik kann wtend ausfallen, oder auch nicht.

    HeuteIch mchte berhaupt nicht mehr wtend sein. Die Dmonen, die in mir die Wut ver-ursachen sind total alt. Die sind sowas von 90er. Wie Papier.Der Inflection-Track Postmelancholia han-delt auch irgendwie von der berwindung der eigenen Wut.

    M15.06.13Auf dem Nachhauseweg.Ich habe so lange keine Wut gekannt. Und wenn doch, dann war sie immer gezhmt, immer vernnftig, immer verhltnismig, die kommende Vershnung schon in sich tragend. ber ein Jahr, dass mein Vater starb, ber ein Jahr es htte aber auch schlimmer..., wir wussten ja immer schon..., immerhin und ich kann froh sein, dass.... Heute ist all das von mir abgefallen. Ich sehe auf einmal ganz klar, es gibt nichts zu relativieren, berhaupt nichts ist gut, an dem was geschehen ist. Eine Welle aus Wut berrollt den inneren Anstand, die Beherrschung, die morschen Barrikaden, den Weg zur absoluten Ver-zweiflung versperrend, bis ich nichts mehr bin als ein einziges NEIN, bis zur Erschp-fung anschreiend gegen das Unverhandel-bare, gegen ein Leben, dem ich mich beugen soll. Ich will mich nicht beugen. Als sich die Wogen zurckziehen, bleibe ich gereinigt zurck. Es bleibt aber auch die Tr zu einem Gefhl, so stark und rein, wie die Liebe, der es entsprungen ist, und ebenso wie diese wohl fr immer. Der Hass ist seit heute ein Teil von mir. Und ja, das beglckt mich.

  • Metronomy

  • Joseph Mount ist 31 Jahre alt und der Grnder der Band Metronomy.

    www.metronomy.co.uk

    Metronomy

  • Ein wenig morbide ist es ja schon, das Areal des ehemaligen Reichsbahnausbesserungs-werks im Sden Friedrichshains. Auch wenn sich in den letzten Jahren das sogenannte RAW-Gelnde mit seinen diversen Galerien, Clubs, Kultur- und Sporteinrichtungen zu einer der beliebtesten Touristenattraktionen Berlins entwickelt hat, sprt man an jeder Ecke mehr das Gestern als das Heute. Und so ertappt man sich dabei, dass man hier nicht fragt, was ist, sondern nur, was war damals, lange vor dem Jahr 2014.

    Es ist Sonntagnachmittag. Gemeinsam mit dem Metronomy-Grnder Joseph Mount sitzen wir hinter dem Astra Kulturhaus an einem kleinen Campingtisch und beob-achten die Gterzge, die nur wenige Meter entfernt von uns am S-Bahnhof Warschauer Strae vorbeirattern.

    Die ganze Situation erscheint ein wenig unwirklich, erinnert sie doch mit ihrer Kulisse aus unzhligen Gterwaggons an ein Ost-ksten-Roadmovie aus den USA. Dabei wrde man Joseph instinktiv eher an der Sdwestkste Englands verorten schlielich ist er dort aufgewachsen und hat dieser Gegend vor drei Jahren mit dem Album The English Riviera ein musikali-sches Denkmal gesetzt.

    Jonas:Vor kurzem habe ich auf einer deutschen Design-Plattform den Reisefhrer Eat, Surf, Live entdeckt, in dem atemberau-bende Landschaftsfotos vom Sdwestzipfel Englands zu sehen sind es muss sehr inspi-rierend sein, in dieser Gegend aufzuwachsen und zu leben.

    Raumund Zeit

  • Fotos: Maximilian KnigAssistenz: Franz Grnewald

    Interview & Text: Jonas Meyer

    Joseph:Ja, das ist es in der Tat. Die Menschen dort erleben ihre Kindheit auf eine ganz andere Art und Weise als die Leute in anderen Teilen Grobritanniens, weil es einfach schn und entspannend ist, immer in der Nhe des Meeres zu sein. Sie haben daher irgendwie eine angenehmere und unaufgeregtere Lebenseinstellung.

    Jonas:Du selbst bist in der Grafschaft Devon in Sdwestengland aufgewachsen. Welche Erinnerungen hast du an deine Kindheit und Jugend dort?

    Joseph:Ich erinnere mich vor allem an die Mglich-keit, enorm viel Zeit fr alles zu haben. Vor allem als Teenager hat man am Wochen-ende nicht wirklich die Wahl, was man tut.

    Es gibt dort ja keine groen Stdte und dem-entsprechend auch so gut wie keine Clubs. Daher ist man gezwungen, selbst kreativ zu werden und auf seine ganz eigene Art und Weise fr Unterhaltung zu sorgen.

    Jonas:Etwa indem man seine eigene Musik macht...

    Joseph:Ganz genau. Und dabei ist es ein riesiger Vorteil, nicht diesem ganzen Input von irgendwelchen Clubs ausgesetzt zu sein, wie man das aus der Grostadt kennt. So kann man vllig unbeeinflusst seine ganz eigenen Ideen umsetzen. Um ehrlich zu sein: Meine Musik wre nicht so, wie sie ist, wenn ich nicht dort aufge-wachsen wre.

  • Never thought about it sentimentallyNever saw just how much you thought I meant to me

    Never learned about it at universityNever thought about it cause youre the first, you see

    And Im aware of the procedureBut normally its me that leaves her

    I guess Im finished up. Its time to move onIm taking the ring back to where I got it from

    Im Aquarius by Metronomy

  • Never thought about it sentimentallyNever saw just how much you thought I meant to me

    Never learned about it at universityNever thought about it cause youre the first, you see

    And Im aware of the procedureBut normally its me that leaves her

    I guess Im finished up. Its time to move onIm taking the ring back to where I got it from

    Im Aquarius by Metronomy

  • Jonas: Ohne Geschichte keine Zukunft.

    Joseph:Das kann man so sagen.

    Jonas:Erinnerst du dich noch, wie du zum ersten Mal bewusst mit Musik in Verbindung gekommen bist?

    Joseph:Als ich zehn Jahre alt war, habe ich begonnen, Schlagzeug zu spielen das war vor 21 Jahren. Als Teenager habe ich dann in verschiedenen Bands gespielt und nebenbei angefangen, mit dem Computer Musik zu machen. Dadurch konnte ich ganz allge-mein eine Menge ber Musik lernen und bin zum ersten Mal auch so richtig mit elektro-nischer Musik in Kontakt gekommen.

    Jonas:Dabei hat aber hoffentlich der Eurodance der 90er keine inspirierende Rolle gespielt.

    Joseph (lacht):Nein, glcklicherweise nicht! Mein Vorteil war es eher, gute Freunde mit einem sehr interessanten und ausgefallenen Musikge-schmack zu haben. Wenn man an einem Ort wie Devon lebt, braucht es eine Menge Glck, um andere Leute zu finden, die sich ebenfalls fr Musik begeistern. Durch meine Freunde habe ich damals Musik kennen-gelernt, die ich sonst nie gehrt htte in meinem Leben.

    Jonas:Wann hast du gemerkt, dass du in deinem Leben nicht nur hobbymig, sondern wirk-lich professionell Musik machen willst?

    Joseph:Schon mit 16 war mir absolut klar, dass ich fr den Rest meines Lebens Musik machen will. Wir hatten damals eigentlich eine echt tolle 5er-Band, bedauerlicherweise hat uns aber irgendwann der Snger verlassen.

    Er wollte lieber mit seiner Freundin zusam-menleben und hat der Band pltzlich den Rcken gekehrt. Interessanterweise wussten die drei anderen Bandmitglieder damals ebenfalls schon ganz genau, dass sie pro-fessionell Musik machen wollen und wie ich haben auch sie alle weiter in erfolgreichen Bands gespielt.

    Jonas:Du hast Ende der 90er das Projekt Metro-nomy ins Leben gerufen und hast zunchst als Soloknstler elektronische Musik gemacht. 2005 hast du dir mit Oscar Cash und Gabriel Stebbing musikalische Unter-sttzung ins Boot geholt, wodurch Metro-nomy zu einer echten Band wurde. War euch allen von Anfang an klar, in welche Richtung sich das Ganze entwickeln soll?

    Joseph:Nein, nicht wirklich. So etwas muss einfach wachsen und sich mit der Zeit entwickeln. Trotzdem hatten wir natrlich irgendwo die-selbe musikalische Grundlage, von der aus wir begonnen haben, uns als Gruppe zu for-mieren: Wir tauschten Musik aus und ent-wickelten nach und nach eine gemeinsame Vorstellung von Musik.

    Jonas:Und pltzlich passierte es, dass ihr einen Klassiker wie den Song The Look produ-ziert! War euch bewusst, dass ihr damit einen Sound erschaffen hattet, der die Leute sehr berhrt und berall Anerkennung findet?

    Joseph:Als ich Ende der 90er mit Metronomy star-tete, befand ich mich noch in einer abso-luten Lernphase, was das Musikmachen betrifft. Aber nur wenige Jahre spter pas-sierten von jetzt auf gleich groe Dinge, die mich total berrascht haben wie zum Bei-spiel mit The Look. Bei diesem Song war es besonders inte-ressant: Ich hatte eine Art Demo mit dem Orgel-Part und konnte mir nicht wirklich

    Musik macht persnliche Momente und Zeiten oft erst lebendig.

  • vorstellen, dass ich jemals etwas damit machen wrde: Fr meine Begriffe war dieser Orgel-Part fast schon lcherlich simpel. Aber dann dachte ich: Schei drauf, du bringst das jetzt zu Ende! Als ich mir den Song zum ersten Mal in der finalen Version angehrt habe, habe ich in ihm nicht das gehrt, was viele andere Leute in dem Track hrten ich fand absolut nichts, was in irgendeiner Form ins Radio gepasst htte. Aber letztendlich hat sich gezeigt: Es hngt sehr von den Leuten ab, was mit einem Song passiert man kann eben nicht einfach so eine erfolgreiche Single produzieren. Es sind am Ende immer die Fans, die einen Song aussuchen und zu dem machen, was er ist.

    Jonas:Das liegt wahrscheinlich daran, dass man Musik besonders mag, wenn man sie mit bestimmten Situationen und Gefhlen verbinden kann. Ich persnlich finde euer Album The English Riviera beispielsweise perfekt fr endlose Samstag- oder Sonntag-nachmittage so wie den heutigen. Gibt es fr dich ebenfalls diese typische Saturday Afternoon Music?

    Joseph:Ja klar, davon gibt es fr mich eine ganze Reihe. Wrden wir jetzt hier drauen in der Sonne ein Barbecue veranstalten, wrde ich wohl das Album Fulfillingness First Finale von Stevie Wonder oder 3 Feet High and Rising von De La Soul auflegen. Das ist zwar beides recht alt, aber erinnert mich genau an solche Tage aus meiner Teenagerzeit.

    Jonas:Spielt fr dich in der Musik Zeit berhaupt eine Rolle, wenn Songs und Alben auch heute noch die gleiche Stimmung bei ihren Hrern erzeugen wie damals?

    Joseph:Manche Leute sagen, dass Musik auch exis-tieren knne, ohne dass man sie in den Kon-

    text einer bestimmten Zeit oder Situation setzen wrde. Aber meiner Meinung nach macht Musik persnliche Momente und Zeiten oft erst lebendig. Es gibt ja dieses klassische Beispiel: Man ist in einem Club, lernt ein Mdchen kennen und im Hintergrund luft ein ganz bestimmter Song. Diesen Song wirst du immer mit diesem Moment in Verbindung bringen. hnlich ist es bei dir mit The Look und einem ewigen SamstagnachmittagFr mich selbst ist es unmglich, Musik zu machen, ohne mir dabei ber die Verknp-fung zu der jeweiligen Zeit bewusst zu sein: Wenn ich im Jahr 2014 ein Album heraus-bringe, wird es fr immer mit diesem Jahr verbunden sein.

    Joseph vergrbt sich in seiner dunkelblauen Jacke und reibt sich beide Oberarme: Windig ist es hier und auch ein wenig khl. Daher beschlieen wir kurzerhand, unser Gesprch im Inneren des Astra Kulturhauses fortzu-setzen, und folgen dem 31jhrigen in den Backstage-Bereich.

    Die erste Sitzecke, die wir entdecken, sieht nicht wirklich einladend aus, also schlen-dern wir weiter Richtung Bhne. Im Bar-bereich stoen wir auf eine orange-gelbe Sesselgruppe, die frmlich danach schreit, in unsere Unterhaltung miteinbezogen zu werden. Denn auch sie hat eine Geschichte zu erzhlen: von einer Zeit, in der man sti-listisch voll auf Ohrensessel, wilde Muster-tapeten und knallige Farben setzte. Wsste man nicht um das stattliche Alter dieser Mbel, man wrde sie wohl Retro schimpfen.

  • Jonas:Wenn euer neues Album Love Letters anhrt und dazu die Musikvideos zu den Songs Love Letters und Im Aquarius kennt, hat man das Gefhl, sich auf eine groe Zeitreise zu begeben von den 60ern bis in eine ferne Zukunft.

    Joseph: Nun ja, die Videos sind eher ein Spa.

    Jonas:Aber trotzdem sind vor allem die visuellen Elemente ein wichtiger Bestandteil eurer Musik.

    Joseph:Absolut. Wir benutzen zwar einerseits eine gewisse Sixties-sthetik fr das neue Album, aber andererseits ist es eben auch einfach nur ein Werk im Raum. Es soll sich nicht auf eine bestimmte Zeit in der Vergangenheit oder Zukunft beziehen sondern auf die Gegenwart, in der es entstanden ist.

    Jonas:Das Video zu Love Letters wurde von Michel Gondry produziert einem internati-onal sehr renommierten Regisseur. Wie hat sich diese Zusammenarbeit ergeben?

    Joseph:Ich htte mir in meinem Leben nie vorstellen knnen, dass wir mal mit solch einer Film-gre zusammenarbeiten wrden. Aber in den letzten Jahren ist auch schon so einiges passiert, mit dem ich nicht gerechnet htte.Soweit ich damals wusste, machte Michel nur Filme und keine Music Clips. Aber dann fanden wir heraus, dass er gerne auch mal ein Musikvideo drehen wollte aber dafr noch keinen Song hatte. Als wir das heraus-fanden, haben wir ihn einfach gefragt, ob er sich nicht vorstellen knnte, einen Clip fr unseren neuen Track Love Letters zu pro-duzieren. Da wir bei einem franzsischen Label unter Vertrag stehen und Michel ebenfalls Fran-zose ist, gab es da bereits gewisse Verbin-dungen. Michel mochte einfach unsere Musik und vor allem den Song Love Letters.

    Und so passierte das, wovon ich niemals gedacht htte, dass es mal passieren wrde.

    Jonas: Also war euer Kennenlernen nicht wirklich zufllig.

    Joseph (lacht):Nein, da muss ich dich leider enttuschen wir haben uns nicht irgendwie per Zufall in einer Cocktailbar getroffen oder so.

    Jonas:Du hast persnlich ebenfalls einen sehr starken Bezug zu Frankreich: Seit drei Jahren lebst du in Paris. Was ist fr dich das Beson-dere an dieser Stadt?

    Joseph:Eigentlich lebe ich erst seit einem Jahr so wirklich dort, weil wir bei meinem Umzug im Jahr 2011 mitten in einer Tour steckten. Damals bin ich einfach nicht dazu gekommen, mich dort einzurichten.Ich empfinde Paris als eine eher kleine Stadt jedenfalls im Vergleich zu London, wo ich vorher gelebt habe. Erst als ich nach Paris gezogen bin, habe ich London auch wirklich schtzen gelernt und am meisten vermisse ich die vielen Parks. Dennoch mag ich Paris ebenfalls sehr, Franzosen haben allgemein eine bemerkenswerte Haltung gegenber Musik und Kunst. Meine Freundin ist Fran-zsin, daher nehme ich viel von der franzsi-schen Kultur auf.

    Jonas:Euer neues Album klingt wesentlich akus-tischer und reduzierter als The English Riviera.

    Joseph:Das stimmt. Ich htte zwar das Album auch auf die gleiche Art wie The English Riviera produzieren knnen, aber das wre nicht so interessant gewesen. Bei der Love Letters-Platte habe ich versucht, alles auf ein sehr einfaches Level zu filtern. So sind die Songs auf diesem Album in gewisser Weise prziser geworden als die Songs auf The English Riviera.

    Ich versuche immer, im Voraus zu denken.

  • Manchmal ist es einfach spannend zu bemerken, wie sehr man sich in der Regel doch auf Hilfsmittel wie Technik oder Klang-verschnerung verlsst. Das zu reduzieren war zwar mit einem gewissen Risiko ver-bunden, aber hat total viel Spa gemacht und sich richtig gut angefhlt.

    Jonas:Fr uns wirkt euer neues Album fast wie der Soundtrack zu einem Film einem Film, der noch gar nicht existiert.

    Joseph: Das ist sehr interessant zu hren. Fr mich sollte ein Album grundstzlich immer einen gewissen Charakter haben, in dem man ide-alerweise die Leute wiederfinden kann, die es gemacht haben oder den Ort, wo es ent-standen ist. Dabei muss man seiner Musik aber immer einen entsprechenden Raum geben, in dem sie leben und sich bewegen kann, damit auch beim Hrer berhaupt solche Assozi-ationen wie etwa die des Film-Soundtracks entstehen knnen. Ich habe in letzter Zeit so viele Platten gehrt, bei denen dieser Cha-rakter einfach nicht festzustellen war. So etwas finde ich immer irgendwie schade.

    Jonas:Plant ihr als Metronomy gezielt eure musi-kalische Weiterentwicklung? Oder lasst ihr euch eher von dem berraschen, was so passiert im Laufe der Zeit?

    Joseph:Es ist eine Mischung aus beidem. Ich ver-folge sehr aufmerksam, wie Musikkritiker unsere Musik beurteilen und was sie von uns erwarten. Gleichzeitig habe ich aber auch immer die Erwartungen unserer Fans im Blick. Es gibt viele Dinge, die ich persnlich gerne tun mchte. Man muss aber clever genug sein, diese so zu tun, dass man weder die Kritiker noch die Fans oder gar sich selbst verrgert. Das ist ein schwieriges Spiel. Nach The English Riviera wusste ich, dass ich auf keinen Fall eine zweite Version dieses Albums machen wollte.

    Aber ich wusste auch, dass wir mit diesem Album unzhlige Fans gewonnen haben. Daher wollte ich mit Love Letters unbe-dingt vermeiden, dass die Fans denken, sie htten uns falsch verstanden. Ich versuche, immer im Voraus zu denken, meine Gedanken besser zu organisieren und dabei alles im Gleichgewicht zu halten. Mein Ziel ist es ja nicht, so berhmt wie mglich zu werden und eine Million Alben zu verkaufen meine Ziele sind eher kreativer Natur. Auf der anderen Seite freut sich unser Label natrlich, wenn wir eine Million Platten ver-kaufen. Daher muss man beides mitein-ander kombinieren knnen und idealerweise versuchen, dabei alle glcklich zu machen was natrlich unmglich ist.

    Jonas:Vielleicht muss man nur einfach man selbst sein.

    Joseph:Ganz genau! Glcklicherweise kann ich das ganz gut und ich glaube, das verbinden die Fans auch mit unserer Band.

    Mit einem etwas mden, aber zufriedenen Gesichtsausdruck erhebt sich Joseph von seinem Sessel, verabschiedet sich und luft zurck zum Backstage-Bereich. Einige Minuten spter sind auch wir aufbruchsbe-reit und verlassen das Astra Kulturhaus.

    Gemtlich spazieren wir zurck ber das morbide RAW-Gelnde, vorbei an dutzenden Besuchern, die an jeder Ecke mit ihren Smartphone-Kameras versuchen, das Ges-tern festzuhalten.

    Dabei geht es doch nur darum, was ist heute, im Jahr 2014.

  • HanusBenjamin

  • HanusBenjamin

    Benjamin Hanus ist 26 Jahre alt,Grafikdesigner und lebt in Stuttgart.

    www.benjaminhanus.de

  • DiekleinenDinge

    Text: Benjamin HanusFoto: Ines Heidrich

  • Ob ich wtend bin? Nein. Im Moment nicht. Im Moment liege ich auf einer Wiese in der Sonne, schwitze, leere ein Getrnk nach dem anderen, esse gesalzene Pistazien, hre den Vgeln beim Singen zu und gebe mein Bestes diesen Text ber Wut zu schreiben. Gar nicht mal so einfach bei der ganzen Harmonie, die mich hier zu umgeben scheint. Neben meinem Notizbuch macht sich eine Biene auf einer Lwenzahnblte zu schaffen. Auf-geregt sitzt und brummt sie auf der gelben Blte und sammelt fleiig den Bltenstaub ein. Gegenber rollt, leise summend, einge-packt in eine Regenjacke und ausgestattet mit Schal und Mtze, ein Rollstuhlfahrer den Hgel hinauf. Und nebenan unterhalten sich zwei Mnner, die sich augenscheinlich zufllig getroffen haben, ber ihre Wochen-endplne. Fr einen Augenblick verliere ich die Konzentration und vergesse warum ich hier liege. Ob ich wtend bin? Ich war selten entspannter.

    Die Sonne versteckt sich hinter einer her-annahenden Wolkenwand, die angrenzende Kirche spielt ein lautes Solo und die an- und abschwellenden Polizeisirenen lassen zum ersten Mal so etwas wie rger aufkommen. Na also, denke ich mir, jetzt kommen wir der Sache nher. Das Singen der Vgel hat sich zu einem sich berschneidenden Chaos aus Schreien und Pfeifen entwickelt. Reihen-weise gezckte Handys, raschelnde Brt-chentten und der in meine Richtung durch die Luft wabernde Duft von Grillanzndern und verbranntem Fleisch, lassen meine innere Ruhe endgltig zerplatzen. Ob ich wtend bin? Ich denke ich mache unglaub-liche Fortschritte.

    Die Sonne lsst sich nun gar nicht mehr bli-cken und meine Blase, bis zum Anschlag gefllt mit dem Inhalt von unzhligen geleerten Dosen, sendet in immer kleiner werdenden Abstnden eindeutige Signale. Die von den herumliegenden Pistazien-schalen und den klebrigen Resten der leeren

    Koffeingranaten angelockten Ameisen und die andauernd vor mir auf- und abzie-henden Grillfraktionen geben meiner bereits mehrfach angezhlten Laune den Rest. Mit einem beherzten Sprung strzt sie sich vom Kap der schlechten Laune und schlgt mit einem leisen, monotonen Schnauben an einer ohrenbetubend lauten Kreuzung auf.

    Eine Gruppe von alten Mnnern wartet dort an einer roten Ampel darauf, dass diese auf Grn schaltet. Ihrer Unterhaltung entnehme ich, dass sie hier schon lnger stehen. Mein Blick wandert ungeduldig an der Gruppe vorbei, bleibt fr einen kurzen Moment im hmischen Licht der roten Ampel hngen und verhakt sich endgltig auf dem gelben, unbenutzten Ampelschalter.

    Ich presse die Lippen aufeinander und ver-suche nicht die Beherrschung zu verlieren, als sich die Ampel, etliche Sekunden spter, wie von Geisterhand dazu entschliet, uns mit Grn die Weiterreise zu gewhren und die Herren sich mit der stoischen Ruhe eines alten Berges schlielich in Bewegung setzen, um gemchlich die Strae zu berqueren. So langsam, dass die Ampel auf halber Strecke erneut ihre Meinung ndert, zurck auf Rot schaltet und die Mnner im wahrsten Sinne des Wortes in einem unguten Licht erscheinen lsst. Begleitet vom Hupen und Fluchen der sich angestauten und war-tenden Autofahrer, aber vollkommen unbe-eindruckt, setzt die Gruppe ihre Reise auf der anderen Straenseite fort und verschwindet schlielich im Licht der zurckgekehrten Abendsonne.

    Verblfft von soviel Gelassenheit, verharre ich nicht nur am Ort meiner Beobachtung, sondern ich lasse neben der langsam vor mir dahin flieenden Blechlawine, auch meine schlechte Laune vorbeiziehen. Ob ich wtend bin? Nein. Im Moment nicht. Im Moment stehe ich an einer roten Ampel und geniee die Ruhe.

  • MarcCantarellas-

    Calv

  • MarcCantarellas-

    Calv

    Marc Cantarel las-Calv ist 28 Jahre alt, arbeitet als freiberufl icher Grafikdesigner, Fotograf und im Fi lmbereich und lebt in Berl in.

    www.facebook.com/marc.cantarellas

  • Text & Foto:Marc Cantarellas-Calv

  • Gefesselt

    Jetzt sitz ich hier wieder vor dem leeren Blatt Papier. Gefesselt von meinen Gedanken, meinen Selbsterwartungen, etwas Groes zu schaffen. Von auen regungslos und kalt wie das bleich-weie Blatt vor mir, aber Innen herrscht die Unruhe der Unzufrieden-heit, die Angst, meinen Erwartungen nicht standzuhalten. Tobende Hitze; von Puls-schlag zu Pulsschlag donnert es der Deadline entgegen. Wut macht sich breit, bernimmt die Kontrolle ber mich, ber mein Bewusst-sein: Ich kann nicht mehr klar denken, ich sehe alles verzerrt, ich bin wtend! Wie Seile schneiden und zerren diese Gedanken in mir der grte Kampf: der Kampf mit mir selbst.

    Durchhalten, weiter machen, weiter kmpfen... durch die Schlacht bis zu diesem einen Punkt!

    Neue Welten entdecken dorthin wo noch keiner seine Spuren hinterlassen hat. Die Kraft meiner Vorstellung mit meiner Lei-denschaft bndeln und zu 1.000 Prozent an sich glauben. Meine Erfahrungen aufgestellt als Gefhrten, die mich auf meinem Weg begleiten. Und den Pfad zu bestreiten und seine eigene Grenze zu berschreiten, um ein ungeahntes Level zu erreichen, wo nun klar wird, dass alles mglich ist, wenn man

    nur will wo sich die ganze Kraft bndelt und Groes erreicht werden kann.

    Um Sachen zu schaffen, die noch keiner gesehen hat, muss man Sachen machen, die nicht normal sind, muss man Sachen machen, die keiner macht.

    Durchhalten, weitermachen, weiter kmp-fen... bis zu diesem einen Punkt der Punkt, wo sich die Fesseln lsen, die Seile sich zu Zgeln schmieden und ich Herr meiner Gedanken werde: Herr meiner Selbstzweifel, meiner Unsicherheit, meiner Unzufrieden-heit. Mache diese schwarzen Gedanken zu Marionetten meines Kampfes und bekmpfe Feuer mit Feuer. Von der Idee bis zum letzten Strich.

    Mit jedem neuen Werk bestreite ich ein neues Gefecht von Projekt zu Projekt. Jedes Mal auf ein Neues, jedes Mal ein neuer Kampf. Doch ich wei, ich muss da jedes Mal durch Nein! Ich WILL da jedes Mal durch!

    Durchhalten, weitermachen, weiter kmp-fen... bis zu diesem einen Punkt!

    Den reienden Weg durch all die Gedanken, das Zerren und Ziehen, um mein Ziel zu erreichen: Das Ziel meiner Zufriedenheit!

    innerer Monolog

  • SchalowSarah Victoria

  • SchalowSarah Victoria

    Sarah Victoria Schalow ist 29 Jahre alt, Schauspielerin und lebt in Hamburg.

    www.agentur-gipfelstuermer.de/sarah

  • Schattender Wut

  • Text: Sarah Victoria SchalowFoto: Andreas Schlieter

    Die Wut, die tragen wir in uns. Sie gehrt zu uns, ist unser Motor, treibt uns an. Wir sind wtend, noch ganz klein, weil wir mit unserer kleinen Schwester die Bonbons teilen mssen, weil wir nicht das Traumspielzeug vom Weihnachtsmann bekommen, ohne das wir nicht leben knnen, weil Sailor Moon abgesetzt wird.

    Wir sind wtend, weil wir nicht, wie alle unsere Freunde auch, bis Mitternacht drauen bleiben drfen, weil wir nicht diesen ultrasen Typen treffen drfen, keine Festivals strmen und nicht nach Spa-nien trampen drfen, weil sich `Take That` trennt, ohne uns zu fragen, weil wir nur ne 3 in Mathe bekommen, obwohl wir definitiv ne 2 verdient haben, weil die beste Freundin immer alles nachkauft.

    Wir sind wtend, weil wir von hunderten Bewerbern nicht die bezahlbare Bude in bester Lage bekommen, weil unser NC nicht fr das Psychologiestudium reicht, weil immer die anderen auf der sunny side of life stehen, weil wir keine size zero sind und unsere Herzensangelegenheit, der Eine frs momentane Leben, einer gemeinsamen Zukunft keine Chance geben kann oder will.Und oftmals, wenn wir uns ganz ehrlich anschauen, sind wir wtend auf uns selbst.

    Weil wir viele Dinge ndern knnen und es nicht tun und weil wir andere Dinge nicht verhindern knnen und es nicht akzeptieren wollen.

    Wut, in gesundem Mae, hlt uns lebendig und in Bewegung. Sie zeigt uns, wie sehr wir Dinge, Erlebnisse und Liebschaften wollen und begehren.

    Ich mag meine Wut. Mittlerweile. Und habe ihr ein Zimmer hergerichtet. Ab und zu besucht sie mich und bleibt nie lang. Und immer, jedes Mal, hinterlsst sie etwas.Fotos, Poster, Konzertkarten, getrocknete Blumen, Briefe, Zeugnisse, Annoncen, Klei-dung, zerplatzte Seifenblasen. Kleine Erin-nerungen unserer gemeinsamen Zeit und Grundsteine neuer Wnsche und Trume, die zunchst Schatten meiner Wut sind, dann leise flsternde Geheimnisse werden, um schlielich zu greifbaren, kunterbunt glit-zernden Formulierungen heranzuwachsen.

    Also lass uns einfach unheimlich wtend sein, lass uns unbegrenzt liebend sein, lass uns unaussprechlich glcklich sein.

    Denn verlieren wie unsere Wut, verlieren wir unsere Liebe.

  • MelodyJodi

  • MelodyJodi

    Jodi Melody is a 19-year-old student l iv ing in Auckland, New Zealand.

    www.flickr.com/photos/j-melody

  • Text & Photo: Jodi Melody

    Fascinating Life

    Whats wrong with windows? A view. Why are people no longer interestedin the real world? A strange sense of tension builds in a room ofpeople that cant access the internet from a device they keep in theirpockets. What surrounds you is beautiful. Look up. Look at each other.We were all born into a world thats beauty is constantly trying toimpress us. It makes me furious that people prefer to look at pixelson a screen over the fascinating life that surrounds them.

  • Fascinating Life

  • KernerKilian

  • Ki l ian Kerner ist 35 Jahre alt, Modedesigner und lebt in Berl in.

    www.kiliankerner.de

    KernerKilian

  • Interview & Text: Jonas MeyerFotos: Franz Grnewald

    Haare: Philipp Koch Verheyen @ Ballsaal for Chanel

    Im Jetzt

  • Was meint das Leben nur, wenn es uns manchmal glauben lsst, unser Gegenber seit einer halben Ewigkeit zu kennen obwohl wir ihm heute erst begegnet sind?

    Ein Donnerstagmorgen Ende Mrz. Im Innenhof des Gebudekomplexes der Berliner KW Institute for Contemporary Art (Kunst-Werke) hat vor wenigen Minuten das Caf Bravo seine Pforten geffnet. Whrend die Morgensonne noch zaghaft ihre Strahlen durch die breite Glasfassade wirft, beugen sich die ersten Gste bereits gedankenver-sunken ber ihre Tageszeitungen. Der Duft frischer Croissants liegt in der Luft, dazu liefert die schnaufende Kaffeemaschine gemeinsam mit dem kleinen Radio hinter der Bar die entsprechende Morgenakustik.

    Wir lassen uns an einem kleinen Tisch mit direktem Blick zum Innenhof nieder. Kaum haben wir unser Equipment ausgepackt, betritt auch schon der Berliner Modedesigner Kilian Kerner das Caf. Der 35jhrige begrt uns herzlich und setzt sich zu uns. Habt ihr auch solchen Hunger?, schiet es aus ihm heraus, als er einen groen Teller mit Crois-sants auf dem Tresen entdeckt.

    Natrlich haben wir Hunger! Jetzt kein Frh-stck zu bestellen wre ein Verbrechen also ordern wir, was die kleine Karte hergibt. Nur wenige Minuten spter fllt sich der kleine Tisch mit dem, was wir bestellt haben. Die Basis ist damit geschaffen es kann los-gehen!

    Jonas:Du bist 1979 in Kln geboren und hast dort etwa zwei Drittel deines Lebens verbracht. Welche Erinnerungen an deine Kindheit und Jugend sind dir geblieben? Immerhin hast du die 80er Jahre voll mitgenommen.

    Kilian:Ja, das stimmt ich bin ein absolutes Kind der 80er. Ich liebe einfach alles aus diesem

    Jahrzehnt und erinnere mich daher bei-spielsweise auch noch ganz genau an meine Lieblingsfernsehserie namens Ich heirate eine Familie. Erst letzte Weihnachten habe ich mir wieder alle alten Folgen angesehen, als mich meine Mutter in Berlin besucht hat. Faul wie ein Couchpotatoe lag ich dabei vor dem Fern-seher.

    Jonas:Kilian Kerner als faules Couchpotatoe vor der Glotze das kann man sich nur schwer vorstellen.

    Kilian:Du glaubst ja nicht, wie faul ich zuhause bin! Sobald meine Wohnungstr zugefallen ist, habe ich keine Lust mehr, mich aufzu-raffen und das Haus zu verlassen.

    Jonas:Ich gehe mal davon aus, dass bei deinem Arbeitspensum die Zeit eher berschaubar ist, in der du zuhause bist.

    Kilian:Ja, daran bin ich aber selbst schuld. Ich bin geradezu ein Getriebener und kann nicht abgeben.

    Jonas:So etwas kann man aber lernen.

    Kilian:Stimmt, ich versuche auch gerade, mir das irgendwie beizubringen.

    Jonas:Deine Erinnerung an die 80er beschrnkt sich aber hoffentlich nicht nur auf Ich hei-rate eine Familie...

    Kilian:Nein, natrlich nicht! Nena beispielsweise ist mir nach wie vor total prsent, da sie in den 80ern meine Heldin der Welt war und ich sie heute noch absolut cool finde.

  • Jonas:Das klingt nach einem tollen Jahrzehnt.

    Kilian:Naja, natrlich habe ich auch negative Erin-nerungen an meine Kindheit und Jugend. Mit Abstand das Schlimmste war fr mich die Schule: Wenn ich ehrlich bin, fand ich die Schule immer zum Kotzen und die Schule mich wahrscheinlich auch, denn als Jugendlicher war ich ein ziemlich komischer Typ. Ich habe nach der 10. Klasse mehrfach die Schule gewechselt , war auf kaufmn-nischen Schulen und einer Abendschule. Irgendwann wollte ich auch mal BWL stu-dieren. Ich und BWL das wrs gewesen.

    BWL, warum auch nicht? Das Leben schlgt ja manchmal unerwartete Haken. Kilian bricht ein Stck seines Croissants ab und wendet fr einige Augenblicke den Kopf zur Seite. Dabei breitet sich auf seinem Gesicht ein jugendliches, vergngt wirkendes Grinsen aus flankiert von zwei wachen und neugie-rigen Augen.

    Jonas:Statt BWL hast du aber Schauspiel studiert. Wie kam es zu der Kehrtwende?

    Kilian:Seit ich denken kann, habe ich mich immer sehr fr Film und Fernsehen interessiert und mich der Schauspielerei auf besondere Art und Weise verbunden gefhlt. Das war irgendwie in mir drin, aber konnte nie so richtig raus. Obwohl ich eigentlich immer ein sehr selbstndiger Mensch war, hatte ich nie den Mut und das Selbstbewusstsein, tatschlich eine Schauspielerausbildung zu starten. Dazu brauchte es erst eine neue Beziehung und einen kleinen Schubser in die richtige Richtung.

    Jonas:Inwiefern?

    Kilian:Mein damaliger Freund hat mir nach kurzer Zeit die Frage gestellt, was ich denn eigent-lich so mit meinem Leben machen wolle. Ich druckste mich um die Antwort herum, denn mir war es fast peinlich, Schauspieler zu sagen. Also hat er mich heimlich bei einem Schauspielkurs angemeldet und mir eine Woche vor Beginn gesagt: So, da gehst Du jetzt hin!? Ich muss sagen, dass das mit das Coolste war, was jemals jemand fr mich getan hat. Ich fand die ganze Aktion so romantisch, dass ich natrlich hinge-gangen bin. Und schon nach kurzer Zeit habe ich gemerkt, dass das genau das ist, was ich machen will. Zumindest dachte ich das drei bis vier Jahre lang.

    Jonas:Das hrt sich nach einer typischen Jung-schauspieler-Story an: durch Zufall in die Sache reingerutscht und dabei seine Passion fr die Schauspielerei entdeckt.

    Kilian:Fr mich gab es damals einen Schlsselmo-ment: Schon in der ersten Stunde bestand unsere Aufgabe darin, die Kursrume fr zwei Stunden zu verlassen, uns in der ffent-lichkeit irgendeine Person auszusuchen, sie zwei Stunden zu beobachten, zurckzu-kommen und diese Person dann zu spielen. Ich hatte mir eine H&M-Verkuferin aus-gesucht und war in meinem Spiel auch scheinbar gar nicht so schlecht. Dadurch schlug meine Schauspiellehrerin mich fr eine Rolle vor. Eine Regisseurin suchte damals unerfahrene Schauspieler, die mit erfahren Schauspie-lern ein Stck spielen sollten: Das Spiel von Liebe und Zufall. So bekam ich meine erste Hauptrolle in einem Theaterstck.

    Nach zwei Jahren in Kln hatte ich aber keine Lust, wieder komplett von vorne anzufangen irgendwie wollte ich mehr.

  • Jonas:Eine Hauptrolle am Theater spielen und gleichzeitig eine kaufmnnische Schule besuchen kann das gutgehen?

    Kilian:Meine schulischen Leistungen waren zwar ganz gut, aber durch die Schauspielerei hat mich auf einen Schlag nichts anderes mehr interessiert. Daher habe ich mich auch immer seltener in der Schule blicken lassen und schlielich drei Monate vor dem Fachabi hingeschmissen. Ich habe mich damals voll und ganz auf das Theaterstck konzentriert und wenig spter auch angefangen, einige kleinere Film- und Fernsehrollen zu spielen. Irgendwie hat sich alles total gut und richtig angefhlt, was ich da mache. Und so habe ich mich im Jahr 2000 dazu entschieden, mich an einer Schauspiel-schule zu bewerben. Ich wollte diesen Beruf einfach von Grund auf erlernen und wurde genommen.

    Whrend wir hier so gemtlich mit ihm sitzen und uns unterhalten, beschleicht uns ein sonderbar angenehmes Gefhl von Ver-trautheit: Der Modedesigner wirkt seit der ersten Sekunde so offen und herzlich, dass man glaubt, sich mit ihm schon dutzende Male zum Frhstck getroffen und ausge-tauscht zu haben. Dabei kennen wir uns gerade einmal zehn Minuten...

    Jonas:Hast du die Ausbildung zum Schauspieler abgeschlossen?

    Kilian:Nee, die habe ich abgebrochen. Ich wurde Mitte 2002 ziemlich krank und hatte etliche Monate mit meinem schlechten Gesund-heitszustand zu kmpfen.

    Mein Platz in der Schauspielschule wurde zwar freigehalten, aber als ich nach knapp einem Jahr zurckkam, hatte ich irgendwie das Gefhl, neu anfangen zu mssen.Ich wollte nach der Krankenhauszeit und dem, was damals mit mir passierte, einfach aus Kln weg. Also bin ich Anfang 2003 nach Berlin gezogen und dort nochmal kurz auf eine Schauspielschule gegangen. Nach zwei Jahren in Kln hatte ich aber keine Lust, wieder komplett von vorne anzufangen - irgendwie wollte ich mehr.

    Jonas:Das klingt erstaunlich pragmatisch fr so eine grundlegende Vernderung.

    Kilian:Es ging ja auch erstaunlich schnell! Ich wollte einfach nicht mehr in Kln bleiben. Irgendwann kam ich abends von einer Party nach Hause und habe mir gesagt: So, jetzt ist Feierabend. Du ziehst hier weg.In der Anfangszeit bin ich allerdings auf Berlin berhaupt nicht klar gekommen und fand alles ganz schrecklich: Ich kannte hier einfach niemanden und kam auch mit den Menschen nicht zurecht. Wenn man auf Partys irgendwelche Leute kennengelernt und Nummern ausgetauscht hatte, konnten sie sich nicht mehr an einen erinnern, man sich zwei Tage spter gemeldet hat. Diese schroffe Art fand ich ganz schlimm, so etwas kannte ich aus Kln einfach nicht.

  • Jonas:Trotzdem hat dich Berlin nicht mehr losge-lassen.

    Kilian:Ja, das stimmt. Irgendwann habe ich auch andere Menschen kennengelernt, die nicht diese schroffe Oberflchlichkeit besaen und die ich sehr mochte. Wir haben uns angefreundet und viel unternommen. So konnte ich die Stadt von einer ganz anderen, schnen Seite kennenlernen.

    Jonas:Das war vor ziemlich genau elf Jahren. Wer htte damals geahnt, dass dein Name mal fr ein eigenes Modelabel stehen wrde...

    Kilian:Wenn mir damals jemand so etwas erzhlt htte, htte ich ihn fr verrckt erklrt.

    Jonas:Trotzdem hast Du das Label bereits 2004 gegrndet das muss ein ereignisreiches Jahr gewesen sein seit deinem Umzug nach Berlin. Wie bist du zur Mode gekommen?

    Kilian:Von heute aus betrachtet ging das wirk-lich schnell. Ohne es zu wissen, wurde der Grundstein dafr aber schon etwas frher gelegt und zwar durch puren Zufall: Als ich 2001 in Kln mit einem Mdel in eine WG zog, fanden wir es dort ziemlich schmutzig. Also haben wir Chlorreiniger gekauft und uns vor-genommen, mal richtig durchzuputzen. Und tolpatschig wie ich bin, habe ich im Vorbei-laufen die offene Flasche umgestoen. Alles lief auf eine meiner Lieblingshosen, die auf dem Boden lag und was Chlorreiniger mit Klamotten macht, das wissen wir ja.In meiner Verzweiflung habe ich einen Schwamm genommen und angefangen, damit auf der Hose rumzumalen und zu schreiben. Und pltzlich stand in riesigen Lettern NENA drauf.

    Ich mochte das irgendwie sehr und habe die Hose deshalb auch so getragen. Lustiger-weise wollten alle Leute aus meiner dama-ligen Clique dann auch eine Hose haben, auf der der Name ihrer Lieblingsband stand. Also habe ich angefangen, ihre Hosen umzu-gestalten und zu beschriften: Depeche Mode, Take That und was es sonst noch alles gab. Irgendwann hatten wir alle so eine Hose an, das war echt lustig.Meine erste Berhrung mit Ich mache mir etwas zum Anziehen hat mir ziemlich viel Spa gemacht. Und so kam es, dass ich immer wieder mal hobbymig fr mich und meine Freunde Kleidungsstcke verndert habe. In meiner Anfangszeit in Berlin gab es bei-spielsweise ein Mdchen namens Ellen, die jedes Wochenende von mir etwas Neues zum Anziehen haben wollte. Also habe ich mir Woche fr Woche etwas einfallen lassen und fr sie kreiert.Die Leute haben damals immer fter gefragt, woher Ellen oder ich die Klamotten hatten. Als sich herausstellte, dass ich selbst diese Sachen entworfen und kreiert hatte, sollte ich pltzlich eine Modenschau auf die Beine stellen. Von so etwas hatte ich aber keinen blassen Schimmer, also habe ich daraus ein Theaterstck gemacht eine Inszenierung in einer Irrenanstalt.

    Jonas:Und so hat sich abgezeichnet, dass sich dein Leben in Richtung Modedesign verschieben wird?

    Kilian:Nein, wenn ich ehrlich bin, hatte ich nach einiger Zeit absolut keine Lust mehr auf diesen Zirkus. Ich fand auch die Leute viel zu komisch, die ich in nur kurzer Zeit kennengelernt hatte. Trotzdem konnte mich wenig spter ein Freund dazu berreden, eine zweite Moden-schau auf die Beine zu stellen.

  • Nur leider hatte ich dafr keine Kleidungs-stcke mehr. Und so musste ich innerhalb von zwei Wochen etliche Ideen entwickeln und Stcke entwerfen.Interessanterweise habe ich whrend meiner Zeit an der Schauspielschule nie wirklich diszipliniert gearbeitet: Ich habe Texte nur mig oder gar nicht gelernt und bin gerne mal zu spt gekommen. Alles, was ich heute verabscheue, war ich damals selbst.Auf einmal habe ich aber gemerkt, welche Disziplin ich an den Tag legen kann, wenn ich mir zuhause neue Kleidungsstcke aus-denke und dass mir so etwas wesentlich mehr Spa macht, als auf irgendwelchen Partys abzuhngen. Also habe ich mir vor-genommen, das Ganze auf eine professi-onellere Art und Weise anzugehen und mir eine Schneiderin gesucht, mit der ich in den Folgemonaten intensiv zusammenarbeiten konnte. So ist dann 2004/2005 die erste Kilian Kerner Kollektion entstanden.

    Jonas:Dabei ist dir in der Anfangszeit nicht nur Wohlwollen entgegengeschlagen, sondern vor allem auch Spott. Wie bist du damit umgegangen?

    Kilian:Ich glaube, das hat mir damals eher zustz-liche Energie gegeben als mich runterge-zogen. Und aus der heutigen Perspektive betrachtet wirkt das Ganze sogar eher lustig: Bei unserem ersten Jubilum, der zehnten Show in Folge auf der Berliner Fashion Week, musste ich wieder daran denken, dass die Personen, von denen der Spott damals hauptschlich ausging, nach wenigen Jahren ihre eigenen Labels wieder aufgegeben haben. Mich aber gibt es immer noch obwohl mir das vor zehn, elf Jahren nur wenige Leute zugetraut hatten.Ich muss aber sagen, dass mich das Thema etwas verfolgt, seitdem ich es einmal nebenbei in einem Interview erwhnt hatte.

    Und wenn ich mir heute anschaue, was ich damals so gemacht habe Sterne aus-schneiden und auf Hosen kleben beispiels-weise war das ja auch eher amsant und durchaus kritikwrdig.

    Jonas:Trotzdem hat es funktioniert und ganz nebenbei gesagt hast du dich als erster Berliner Modedesigner etabliert, der in der Hauptstadt jede Fashion Week konsequent mitgemacht hat.

    Kilian:Ja, es hat damals sogar richtig gut funktio-niert. Vor zehn Jahren war dieses Customi-zing in der Modewelt einfach total in. Alleine nach meiner ersten Modenschau wurden meine Stcke direkt von fnf Berliner Lden geordert. Ich erinnere mich beispielsweise auch noch daran, dass einmal auf irgendeinem Maga-zincover ein T-Shirt von uns zu sehen war. Dadurch bekamen wir so viele Bestellungen, dass ich drei Wochen lang nichts anderes gemacht habe, als zuhause zu sitzen und T-Shirts zu zerreien und zu bemalen.Natrlich habe aber auch ich eine gewisse Zeit gebraucht, um mich zu entwickeln und weniger Fehler zu machen. Das gehrt ein-fach dazu meine Entwicklung dauert nach wie vor an dauert und wird auch immer andauern. Gott sei Dank lernt man ja jeden Tag dazu.

    Es ist kur vor 12:00 Uhr, in den KW Institute for Contemporary Art ffnet gleich die The-menausstellung Echte Gefhle: Denken im Film, die wir uns gemeinsam ansehen wollen.

    Wir verlassen das Caf und betreten wenige Meter weiter die dunklen Ausstellungsrume, deren einzige Lichtquelle unzhlige flim-mernde Fernsehschirme und Projektoren sind.

    Auf einmal habe ich aber gemerkt, welche Disziplin ich an den Tag legen kann, wenn ich

    mir zuhause neue Kleidungsstcke ausdenke.

  • Die Ausstellung, so lesen wir im Programm, widmet sich den Affekten und Emotionen im bewegten Bild. Sie geht der Frage nach, wie Filme Emotionen vermitteln und eine Authentizitt erzeugen, an der individu-elle und kollektive Erfahrung aufeinander-treffen.

    Gemeinsam laufen wir von Fernsehschirm zu Fernsehschirm. Dabei entdecken wir immer wieder Ausschnitte von Filmen, die wir noch aus unserer Kindheit kennen, und fragen uns, welche menschliche Emotion wohl mit der jeweiligen Filmsequenz verknpft sein knnte.

    Jonas:Die meisten Menschen, die sich wie du etwas von Grund auf aufbauen, werden frher oder spter von Existenzngsten aufgesucht. Hast du derartige Situationen auch erlebt?

    Kilian:Jeder klassische Student, der nicht gerade ber reiche Eltern verfgt, wei doch ganz genau, wie es ist, wenn man nicht den ganzen Tag zuhause sitzt, sondern raus geht und lebt. Da wird ab der Mitte des Monats das Geld zwangslufig knapp. Bei mir war das nicht anders.Fr mich selbst finde ich es total wichtig, dass ich diese Erfahrung im Laufe meines Lebens immer wieder gemacht habe. Dadurch schtze ich heute vielmehr, was ich habe. Und es bringt eine gewisse Boden-haftigkeit mit sich, die die Gefahr reduziert, irgendwann abzuheben dafr wei man

    einfach viel zu gut, wie es ist, ab dem 15. des Monats kein Geld mehr zu haben, Miracoli zu essen und Pfandflaschen zurck zu bringen.Doch auch wenn manchmal das Geld wirk-lich knapp war, muss ich sagen, dass ich trotzdem meistens eine gute Zeit hatte wie etwa 2003 in meiner Berliner WG. Es ging uns damals gut, auch ohne Geld.

    Jonas:Der klassische Student verfgt aber in der Regel auch ber eine berufliche Perspek-tive und wei, dass es sptestens in ein paar Jahren wirtschaftlich bergauf geht, wenn er sein Studium abgeschlossen und einen Job gefunden hat.

    Kilian:Ich habe immer etwas getan und an etwas geglaubt. Und ich wusste immer, dass ich nicht still stehen werde. Ganz allgemein bin ich aber kein Mensch, der sich hauptschlich Gedanken darber macht, was in fnf Jahren ist. Ich stelle mir eher die Frage: Was ist morgen? Was ist bermorgen? Davon abgesehen spielt sich mein Leben jetzt eh nur noch in Saisons ab und nicht mehr in Jahren. Ein Jahr hat zwei Saisons, das ist das fr mich das einzig Wesentliche. Ich versuche daher, absolut im Jetzt zu sein und mich darauf zu fokus-sieren, was gerade bzw. morgen wichtig ist und das jede Saison aufs Neue. Trotzdem liegt dabei mein Fokus natrlich auch darauf, dass das Label Kilian Kerner weiter aufgebaut wird: Es gibt definitiv immer Ziele, auf die wir alle dort hinar-beiten.

    Wenn man sich fragt, worum es im Leben wirklich geht, kommt man letztendlich immer auf die Liebe.

  • Jonas:Und jede Saison versuchst du aufs Neue, mit deiner Kollektion eine Geschichte zu erzhlen.

    Kilian:Das stimmt. Ich glaube, das ist eine Heran-gehensweise, die ich aus der Schauspielerei mitgenommen habe.

    Jonas:Siehst du dich selbst eher als Geschichtener-zhler oder als Modedesigner?

    Kilian (lchelt):Ich wrde sagen, ich bin ein Geschichten erzhlender Modedesigner. Mir geht es bei meiner Arbeit darum, nicht einfach nur Klei-dung zu entwerfen. Man vollzieht in diesem Business ja jeden Tag einen Seelen-Strip-tease und auf einer Show zeigt man dann, was im Laufe der Wochen und Monate davor tief in einem entstanden ist. Dem Ganzen mchte ich einfach eine gewisse Handlung geben, denn das hat fr mich wesentlich mehr Relevanz, als wenn ich mich etwa davon inspirieren lassen wrde, was in den 50er Jahren so passiert ist.

    Whrend wir weiter neugierig durch die Aus-stellung schlendern und an jeder Ecke altbe-kannte Filmsequenzen entdecken, malen die groen Filmprojektoren ihr farbenfrohes Bild auf Kilians Stirn und Wangen.

    Es wirkt geradezu, als sei dem jungen Mode-designer dabei die Story des Films ins Gesicht geschrieben in das Gesicht, das mit seinen wachen und neugierigen Augen auch ohne Projektor unendlich viel zu erzhlen hat. Vom Leben etwa. Oder von den Menschen und ihren Gefhlen.

    Jonas:Du hast wahrscheinlich im Laufe der Jahre und bei der Vielzahl deiner Kollektionen jede einzelne menschliche Emotion thematisiert, die so entstehen kann...

    Kilian:Das ist durchaus mglich. Aber als ich vor kurzem mit meiner Grafikerin zusam-mensa, sagte sie interessanterweise Fol-gendes: Kilian, alles hat bei dir irgendwie immer mit der Liebe zu tun. Und ich glaube, da hat sie nicht unrecht.Wenn man sich fragt, worum es im Leben wirklich geht, kommt man letztendlich immer auf die Liebe was auf der Welt hat denn letztendlich nichts mit der Liebe zu tun?Ich liebe meine Freunde, mein Zuhause, meine Arbeit oder gutes Essen. Und ich liebe es, wenn die Sonne scheint. Was kann einen denn mehr antreiben als das Gefhl, jemanden oder etwas zu lieben? Mich jeden-falls nichts.

  • Jonas:Der Mensch interessiert sich ja auch in erster Linie immer fr den Menschen.

    Kilian:Ja, aber bedauerlicherweise definieren viele Menschen das Gefhl der Liebe nur ber die Zuneigung zu einem Partner was ja nicht wirklich richtig ist.

    Jonas:Deine jngste Kollektion stellt die Frage in den Mittelpunkt, was im Leben wirklich wichtig ist ein emotionales Grundsatz-thema. Wie kam es dazu?

    Kilian:Auslser war der pltzliche Tod einer sehr jungen Person in meinem nheren Umfeld. Als ich von diesem schrecklichen Ereignis erfahren habe, hatte ich gerade damit begonnen, die neue Kollektion zu entwerfen. Dieser unerwartete Tod hat mich so sehr beschftigt, dass ich dadurch auch mein eigenes Leben komplett in Frage gestellt habe: Da legt sich ein sehr junger Mensch abends schlafen und wacht morgens nicht mehr auf das kann uns allen passieren. Ich habe mich also gefragt: Um was geht es eigentlich wirklich im Leben? Und dann habe ich dieses Gefhl dazu benutzt, die neue Kollektion zu machen.

    Jonas:Was genau heit in diesem Zusammenhang benutzt? Bezieht sich das eher auf die all-gemeine Stimmung, die du brauchst, um zu entwerfen, oder geht es eher um die kon-krete bersetzung in Farben, Schnitte oder Muster?

    Kilian:Das kann man nicht wirklich voneinander differenzieren. Es fngt damit an, dass ich mich komplett in diese Stimmung fallen lasse das funktioniert brigens nicht im Atelier, dazu muss ich zuhause sein. Erst schreibe ich ganz viel, dann zeichne ich. Dieser Prozess ist schn und hsslich, bringt Freude und tut weh, hebt die Stimmung und killt sie wieder. So entsteht das emotionale Grundgerst der Kollektion.Und wenn es in den darauf folgenden Monaten um die Umsetzung geht, bin ich jeden Tag so sehr in diese besondere Emoti-onalitt involviert, dass sich das letztendlich auch ber die Beschaffenheit der einzelnen Kleidungsstcke ausdrckt.

    Jonas:Besteht bei diesem Prozess nicht die Gefahr, sich selbst total zu verlieren?

    Kilian:Nein, ich habe glcklicherweise im Laufe meines Lebens gelernt, mich selbst ganz gut kontrollieren zu knnen zumindest was diesen Teil meiner Arbeit angeht.

    Jonas:Auch ein Verdienst der Schauspielschule?

    Kilian:Nein, das habe ich mir tatschlich erst danach durch die Arbeit als Modemacher angeeignet.

    Jonas:Welche Antwort hast du denn durch die Arbeit an der jngsten Kollektion fr dich persnlich gefunden? Was ist dir wichtig in deinem Leben?

    Bedauerlicherweise definieren viele Menschen das Gefhl der Liebe nur ber die Zuneigung zu einem Partner.

  • Kilian:Meine Unabhngigkeit! Ich geniee wirk-lich nichts mehr als meine Unabhngigkeit jedenfalls in meinem Privatleben. Beruflich bin ich nicht ganz so unabhngig, da ich beispielweise auch eine groe Verantwor-tung gegenber meinen Mitarbeitern habe. Trotzdem bin ich dort natrlich auch nicht so sehr fremdbestimmt, als wenn ich woan-ders arbeiten wrde.

    Jonas:Auch wenn du nicht gerne darber nach-denkst, was mal in ein paar Jahren sein wird hast Du konkrete Plne fr die Zukunft?

    Kilian:Ich wrde in den nchsten Jahren gerne in den USA Fu fassen. Auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, dort zu leben, verspre ich momentan groe Lust, dort beruflich etwas zu starten. Ich war jetzt schon ein paar Mal beispielsweise in Los Angeles und werde wahrscheinlich im Sommer wieder dorthin fliegen.

    Jonas:Die Welthauptstadt des Films hat ja auch eine besondere Anziehungskraft.

    Kilian:Absolut und meine Leidenschaft fr den Film ist ja nach wie vor ungebrochen. Selbst mein Freundeskreis besteht hauptschlich aus filmschaffenden Menschen. Ich finde diese Leute wesentlich inspirierender als die aus dem Modebusiness, wir haben uns irgendwie mehr zu sagen. Vielleicht liegt das daran, dass ich in meiner Freizeit einfach keine Lust habe, ber Mode zu reden.

    Immerhin verbringe ich beruflich schon den ganzen Tag damit. Irgendwann ists mal gut im Leben gibt es ja auer Mode auch noch etwas anderes.

    Wir sind am Ende der Ausstellung ange-kommen und treten aus den dunklen Rumen hinaus ins Freie. Auf Kilians Gesicht breitet sich wieder dasselbe jugendliche Lcheln aus, das wir bereits am Vormittag kennen-lernen durften.

    Whrend wir uns von dem jungen Berliner Modedesigner verabschieden, fllt unser Blick pltzlich auf seine pinkfarbenen Snea-kers: Sie leuchten so intensiv, als htte man sie direkt in die farbigen Videos der Ausstel-lung getaucht.

    Kilian wnscht uns einen schnen Tag und verlsst den Innenhof der KW. Aus dem Inneren des Cafs summt das kleine Radio, die Mittagssonne wrmt unsere Wangen.

    Was meint das Leben nur, wenn es uns manchmal glauben lsst, unser Gegenber seit einer halben Ewigkeit zu kennen obwohl wir ihm heute erst begegnet sind?

    Es meint, dass nur das Heute wichtig ist.

    Und natrlich die Liebe.

    So wie im Film.

  • Aus der Kollektion Kil ian Kerner x NIKEid

  • & Dirk Brune Natalie K

    Natalie K ist 28 Jahre alt, freischaffendes Model und Knstlerin und lebt in Wuppertal.

    www.facebook.com/beauty.not.found

  • & Dirk Brune Natalie K

    Dirk Brune ist 48 Jahre alt, Fotoknstler und lebt in Bergneustadt.

    www.dirkbee-fotografie.com

  • Lebenswut

    lebe Deine Wutich lebe meine Wut

    eine Kraft in mir drinstark, kaum zu bndigen

    packt mich, lsst mich kaum noch losdoch ich gebe ihr Raum

    sonst vernichtet sie mich selbstoder auch jemand anderen.

    Wut ist wie ein Feuer sie kann zerstren

    aber sie macht auch neues mglichweil altes vergeht

    Wut verteidigt meine Grenzen sichert meinen Selbsterhalt

    Wut ist eine Auflehnung aus meiner ohnmchtigen Trauer

    Wut zeigt mir, dass ich lebe!

  • Text: Natalie KFoto: Dirk Brune

  • HeidnerJohannes

    Johannes Heidner ist 17 Jahre alt, Schler und lebt in Berl in.

    www.youtube.com/user/mjosodope

  • HeidnerJohannes

  • TreibendeKraft

    Du bist mit Freunden an ein Meer gefahren und tauchst endlich in das salzige Wasser ein, es ist kalt und schnrt dir die Lunge zu. Du denkst: Warum mache ich das hier? Ich knnte doch einfach am Strand in der Sonne liegen und ein Buch lesen! Doch dann schwimmst du etwas herum, gewhnst dich an die Temperatur und tauchst unter. Die Sonne schimmert durch das Wasser und ein kleiner, bunter Fisch taucht auf. Er schwimmt in einiger Entfernung herum, doch dann dreht er sich um und schwimmt weg.

    Du wirst neugierig. Du schwimmst ihm hin-terher, doch er ist schneller und verschwindet in der Dunkelheit. Da siehst du eine Wasser-pflanze, du bist schon auer Atem, doch du willst da hin, denn der Fisch schwimmt um die in der Strmung wiegenden Bltter.

    Du kommst nher, nun bist du nur noch wenige Meter von der kleinen Pflanze ent-fernt, doch durch deine Bewegungen wird das Pflnzchen entwurzelt und treibt vor dir. Der Fisch wuselt noch immer um ihre grnen Arme. Du wirst langsam wtend. Jedes Mal wenn du dich dem Pflnzchen nherst, schwimmt sie etwas weiter.

    Du mchtest schon fast aufgeben, da taucht ein zweiter Fisch auf. Er schwimmt

    neben dir, du siehst seine Flossen durch das Wasser gleiten, der ganze Krper in einer einzigen schlngelnden Bewegung. Er schw