n-ost-REPORTAGEPREIS 2015

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n-ost REPORTAGE PREIS 2015

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n-ost RepoRtagepReis 2015 • VoRWoRt

VORWORT

Der n-ost-Reportagepreis 2015 stand ganz unter dem Eindruck der Ukrainekrise und der Debatte um das „Wie“ der Berichterstattung. Selten hat ein Thema deutsche Leser so emotionalisiert. An keinem anderen Ereignis lässt sich deshalb auch der Vertrauensverlust in die Medien so genau festmachen: Jüngste Umfra-gen zeigen, dass mehr als die Hälfte der Bundesbürger die Ukraine-Berichterstattung als „nicht ausgewogen“ kritisiert. Hinter diesem Misstrauen gegen die ver-meintlichen „Systemmedien“ steht nicht zuletzt die Taktik der russischen Propaganda, jedes Ereignis hin-ter einem Nebel von Desinformation verschwinden zu lassen. Ziel ist es, Zweifel zu streuen: an den Fakten und sogar an der Möglichkeit, überhaupt zu der einen, objektiven Wahrheit vorzudringen.

Die neun Nominierten des n-ost-Reportageprei-ses 2015 haben in diese Fragen und Unsicherheiten hinein das getan, was guten Journalismus ausmacht: Sie haben vor Ort nachgeforscht, mit Augenzeugen gesprochen, aufgezeichnet, dokumentiert. Oft erzäh-len sie „abseitige“ Geschichten, jenseits der großen Er-eignisse, die aber genau diese besser verständlich ma-chen. Nicht nur aus der Ukraine, auch aus Russland, Polen, Moldau, Georgien, Aserbaidschan und Ungarn. Gerade die Ukrainekrise hat gezeigt, wie wichtig es ist, Entwicklungen, die noch im Schatten der Aufmerk-samkeit liegen, langfristig zu verfolgen.

Neun von neun Nominierten in diesem Jahr sind Männer – das ist das Ergebnis unseres anonymisierten Auswahlverfahrens. Auch bei den eingereichten Re-portagen, die nur zu etwa einem Drittel von Frauen kamen, zeigt sich dieses Missverhältnis. Woran liegt’s: Sind mehr Männer als Frauen im Ausland als Repor-ter unterwegs? Oder verstehen sie bloß mehr vom

Selbstmarketing? Sicher ist: Männer sind nicht die besseren Journalisten. So hoffen wir im kommenden Jahr auf viele Einreichungen auch von Journalistinnen!

Mit 156 Einreichungen hatten wir einen Rekord. Wir danken allen Bewerbern, Lesern und Juroren fürs Mitmachen. Danke an unseren langjährigen Förde-rer, die Robert Bosch Stiftung, sowie an unsere Part-ner, Renovabis und Brot für die Welt, die in diesem Jahr zum zweiten Mal den Recherchepreis Osteuropa ausgeschrieben haben. Die Reportage der Vorjahres-stipendiatin Astrid Viciano lesen Sie auf den Seiten 72-75.

Viel Spaß und viele gute Anregungen beim Lesen, Hören und Sehen der nominierten Beiträge des n-ost-Reportagepreises 2015!

Tamina Kutscher, Projektleiterin

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INHALT

RADIOREPORTAGE

36 Vorjury37 Jury38 preisträger 40 Nominierter42 Nominierter

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FOTOREPORTAGE /AUDIOSLIDESHOW

47 Jury48 preisträger 60 Nominierter64 Nominierter

REcHERcHEPREISOSTEUROPA

70 preisträgerin 201571 preisträgerin 2014 76 shortlist77 Förderer78 Über n-ost79 impressum

45 69

TEXTREPORTAGE

06 Vorjury07 Jury 08 preisträger16 Nominierter24 Nominierter

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5Granaten und Rosen | Adams Schatz | Fünf Mann und eine Revolution

Textreportage

Moritz Gathmann und Christian NeefMartin TheisTakis Würger

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textreportage Vorjury

KATHRIN KLETTEredakteurin, Neue Zürcher Zeitung

KNUT KROHNredakteur, stuttgarter Nachrichten

INGA NIEmANNprogramm „grenzgänger“, Literarisches Colloquium Berlin

LISA PALmESFreie Literaturübersetzerin

BERNHARD RUDEstudienleiter „ostkurse“,

institut zur Förderung publizistischen Nachwuchses

NINA WELLERslawistin und freie Lektorin,

redakteurin der onlinezeitschrift Novinki

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textreportage jury

cHRISTIAN BöHmEredakteur, Der tagesspiegel

WERNER D’INKAHerausgeber der Frankfurter allgemeinen Zeitung

FABIAN DIETRIcH Chefredakteur, Dummy Magazin

UWE NEUmäRKERDirektor der stiftung Denkmal der ermordeten Juden europas

HENRIK KAUFHOLzredakteur, politiken, Kopenhagen

SONjA mARGOLINApublizistin und autorin

Foto

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HORST PöTTKERprofessor emer. am institut für Journalistik, tU Dortmund

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GRANATEN UND ROSENVoN MoritZ gatHMaNN UND CHristiaN NeeF

Der spiegel, 20.12.2014

Wie immer nimmt Lidija Katschalowa den trolleybus Nr. 14 zur oper. Doch was ist in Donezk im Winter 2014 schon wie immer? restaurants

haben geschlossen, die Kinos auch. Nur die oper nicht. Das Bühnenbild ist verbrannt, von den 78 Chorsängern stehen nur 15 auf der Bühne, ein

einziges Mal hat das ensemble den „rigoletto“ proben können – aber trotz allem ist das Haus bis auf den letzten platz ausverkauft. Während der

aufführung sterben draußen drei Zivilisten, zehn werden verletzt. „ein kleines Wunder“ nennen Christian Neef und Moritz gathmann

den Donezker „rigoletto“, und sie haben ein wunderbares stück über die Kraft des schönen mitten im Krieg geschrieben.

Werner D’inka, Herausgeber der Frankfurter allgemeinen Zeitung

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Fotos: Dmitri Beliakov

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CHristiaN NeeF

Dr. Christian Neef (*1952) ist autor für osteuropa bei

Der spiegel. er arbeitet seit 1983 in russland, osteuropa

und afghanistan, war unter gorbatschow und Jelzin 13

Jahre lang Korrespondent in Moskau und lebt seit einem

Jahr erneut in der russischen Hauptstadt. seit ausbruch

des Krieges reist er regelmäßig in den osten der Ukraine,

so auch im vergangenen Dezember zusammen mit Moritz

gathmann. Über mehrere tage hinweg verfolgten beide

die einstudierung der oper „rigoletto“ im operntheater

von Donezk – und schließlich ihre aufführung.

MoritZ gatHMaNN

Moritz gathmann (*1980) schreibt seit seinem studi-

um über den postsowjetischen raum für Der spiegel,

weitere Magazine sowie deutsche tageszeitungen. Vor

seinem Volontariat beim tagesspiegel studierte er in Ber-

lin, Moskau und Jerewan geschichte und russistik. Von

2008 bis 2013 arbeitete er als reporter von Moskau und

Kaluga aus. seit Dezember 2013 reist er jeden Monat in

die Ukraine und wurde Zeuge der Maidan-revolution und

des Krieges in der ostukraine.

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W ie immer nimmt Lidija Katschalowa den Trolleybus Nr. 14‚ als sie in die Oper fährt. Er bringt sie vom Bahnhofsviertel‚

wo sie in einem der Hochhäuser wohnt‚ zum Art-jom-Prospekt‚ der Hauptstraße von Donezk. Es ist Samstagmittag‚ ein eiskalter Dezembertag‚ und die Straße ist wie stets seit Kriegsbeginn gespenstisch leer. Lidija Katschalowa hat sich fein gemacht: Sie trägt eine mit Pailletten bestickte Bluse‚ dazu einen schwarzen Pelzüberwurf‚ die Haare sind frisch ge-färbt‚ die Fingernägel lackiert.

In der Oper geben sie heute Verdis „Rigoletto“‚ aus Sicherheitsgründen bereits um 14 Uhr. Katscha-lowa wird dann auf der Bühne am Inspizientenpult stehen und die Aufführung leiten‚ 80 Jahre ist sie alt.

Seit der Krieg zwischen der Ostukraine und Kiew tobt‚ hat ein Großteil der Bevölkerung die Stadt verlassen. Der Granatenhagel‚ der Geldman-gel‚ die immer schlechter werdende Versorgung

– wer möchte schon unter solchen Bedingungen bleiben? Und die‚ die nicht geflüchtet sind‚ wollen wenigstens für kurze Zeit Angst‚ Tristesse und Un-gewissheit vergessen. Doch viele Restaurants sind geschlossen‚ die Kinos auch. Nur die Oper nicht.

GRANATEN UND ROSENvon Moritz gathmann und Christian NeefDie oper von Donezk führt „rigoletto“ auf‚ ohne geld und nur mit halber Besetzung. aber alle 970 plätze sind ausverkauft‚ denn groß ist die sehnsucht nach schönheit inmitten des Krieges.

Die Oper hat schon einmal einen Krieg über-standen. Kurz nachdem sie 1941 eröffnet worden war‚ marschierten die Deutschen ein‚ sie machten das Haus für zwei Jahre zu ihrem Stadttheater‚ spä-ter nannten sie es „Front-Oper“. Jetzt ist die Oper wieder vom Krieg gezeichnet. 509 Mitarbeiter zählte das „Nationale Akademische Opern- und Balletttheater“ noch vor einem Jahr‚ jeder dritte ist inzwischen geflohen. Trotzdem wird weitergespielt‚ immer weiter. Es ist eines der kleinen Wunder‚ die Donezk in diesen Monaten erlebt.

Lidija Katschalowa hat die guten und die schlechten Zeiten der Oper erlebt‚ sie hat hier 35 Jahre lang als Sopran gesungen‚ seit 25 Jahren ar-beitet sie als Regieassistentin. Doch so schlimm wie jetzt war es noch nie. Sie spielen mit Bühnenbildern‚ die nicht zu dieser Aufführung gehören‚ und einem Rigoletto aus Russland‚ der sich vor vier Wochen selbst für diese Partie bewarb‚ mit einem Tenor‚ der trotz Fieber den Herzog geben muss‚ mit einem Sänger‚ der als Orchesterdirigent eingesprungen ist

– und geleitet wird das Ganze von einem Generaldi-rektor‚ der bis vor Kurzem noch Chef des örtlichen Heimatmuseums war.

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Es ist ein wagemutiges Unternehmen‚ das gleich beginnt: Verdis Meisteroper über den Hofnarren Ri-goletto‚ der versehentlich die eigene Tochter ermor-den lässt. Eine Kriegsaufführung in drei Akten.

Frau Katschalowa fängt an

Es ist halb zwei‚ als Katschalowas Stimme das erste Mal in den Garderoben der Sänger zu hören ist: „Guten Tag! In 30 Minuten beginnt ‚Rigoletto’.“

Die 970 Plätze sind noch leer. Putzfrauen we-deln mit dem Wischmopp über die abgewetzten ro-ten Läufer. Die Bühnenarbeiter haben Parkett und Beletage mit elektrischen Lüftern vorgewärmt‚ im Orchestergraben Heizstrahler aufgestellt und das Bild für den ersten Akt heruntergelassen: den Palast des Herzogs von Mantua.

„Auf der Bühne würden jetzt eigentlich acht schöne Säulen stehen“‚ sagt Katschalowa. „Aber sie sind zusammen mit den Bühnenbildern für ‚Aida’‚ ‚Nabucco’ und den ‚Fliegenden Holländer’ verbrannt‚ als unser Requisitenlager in der Nähe des Flughafens von Raketen getroffen wurde.“ Die Separatisten hatten das Lager als Basis genutzt. Des-wegen spielen sie jetzt vor einer Kulisse aus „Romeo und Julia“. Unten am Dirigentenpult wird gleich der Sänger Sergej Dubnizki stehen‚ denn alle vier Dirigenten sind geflüchtet; aber Dubnizki hat am Konservatorium zum Glück auch das Dirigieren ge-lernt. Weg sind auch die Regisseure und die Souff-leuse‚ die sich nach Weißrussland abgesetzt hat. Der Chor‚ der einst 78 Mitglieder zählte und in „Rigo-letto“ so wichtig ist‚ wird mit nur 15 Sängern auf der Bühne stehen.

Die einen sind gegangen‚ weil es ihnen in Do-nezk zu gefährlich war‚ die anderen‚ weil sie kein Gehalt mehr bekamen. Einige aber haben die Stadt auch deshalb verlassen‚ weil sie die Regie-rung in Kiew für die einzig richtige hielten und die

Separatisten der „Volksrepublik“ nicht anerkennen wollten. So wie jene Flötistin‚ die deshalb in der Oper als „Nationalistin“ galt. Doch auch die‚ die geblieben sind‚ streiten darüber‚ ob richtig ist‚ was in Donezk jetzt passiert.

„Rigoletto“ haben sie nicht etwa ausgesucht‚ weil es in diesem Stück um die Maßlosigkeit des Bösen geht und weil das zu dem sinnlosen Krieg draußen passen würde. Es ist vielmehr eine der we-nigen Opern‚ die sie mit ihren Kräften jetzt noch spielen können. Aber sie haben das Stück drei Jahre lang nicht mehr auf der Bühne gehabt. Und nur ein einziges Mal geprobt.

Rigoletto ist ein Russe

Rigoletto sitzt in Garderobe Nr. 23. Er hat sein Kostüm angelegt‚ den Buckel unters Wams gestopft‚ die Narrenkappe liegt bereit. Mit bürgerlichem Na-men heißt er Wladimir Wjurow. Er ist gestern 53 geworden‚ vor dem Spiegel stehen die roten Rosen‚ die sie ihm am Probentag geschenkt haben. Ohne Wjurow wäre selbst diese Aufführung unmöglich‚ denn der Bariton‚ der früher den Rigoletto sang‚ ist ebenfalls nicht mehr in der Stadt.

Wjurow hat vor einem Monat im russischen Fernsehen einen Bericht über die Donezker Oper gesehen‚ sofort zum Telefonhörer gegriffen und sich als Solist angeboten. Er lebt in Sankt Peters-burg‚ ist früher als Schiffsingenieur zur See gefahren‚ hat dann Gesang studiert und tourt nun als Opern- und Konzertsänger durch die Welt. Der Bericht aus der belagerten Stadt habe ihn an die Leningrader Blockade und die 7. Sinfonie von Schostakowitsch erinnert‚ sagt Wjurow. Daran‚ wie 1942 die Bewoh-ner des von deutschen Truppen eingeschlossenen Leningrad im Bombenhagel zur Philharmonie eil-ten‚ um jene Musik zu hören. „Kultur ist in Donezk jetzt das Allerwichtigste“‚ sagt Wjurow. „Nur das

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Schöne rettet die Welt.“ Er kaufte sich ein Flugti-cket‚ flog nach Südrussland und ließ sich mit dem Auto über die von den Separatisten kontrollierte Grenze nach Donezk bringen.

Er will kein Honorar‚ das hätte die Oper ohne-hin nicht zahlen können. „Ich bin ein patriotischer Mensch“‚ sagt Wjurow. „Ich bin noch vor dem Referendum im März auf die Krim gefahren und habe in Feodossija ein Konzert gegeben. Ich habe dort nur Leute gesehen‚ die nach Russland wollten‚ sie waren voller Euphorie.“ Jeden Tag‚ wenn er die Artillerie hört‚ mit der die ukrainische Armee auf Donezk feuert‚ da denke er: „Das ist ein Kriegsver-brechen. Hier werden Menschen umgebracht‚ nur weil sie anderer Meinung sind.“

Nein‚ Wladimir Putin habe er nie gewählt‚ sagt Rigoletto. Dessen Staatspartei erinnere ihn an die frühere KPdSU‚ auch die gesteuerte Justiz in Russ-land sei unerträglich. „Aber mit Putins Außenpoli-tik bin ich hundertprozentig einverstanden.“

Der erste Akt: Krimsekt und Kohle

Das Haus ist ausverkauft‚ alle 970 Plätze. Die Karten kosten diesmal zwischen 30 und 50 Hrywn-ja‚ maximal 2‚50 Euro. Die Donezker haben kaum noch Geld‚ die Banken sind geschlossen.

Das zweite Klingelzeichen. Die Zuschauer ste-hen noch am Buffet‚ es sind junge wie alte‚ sie es-sen Eclairs oder Lachsbrote und trinken Krimsekt. Auch einige Separatisten in Camouflage sind da‚ einer von ihnen mit Krücken. Von draußen ist das Grollen der Artilleriegeschütze zu hören.

Auch in der Oper haben sie einen Luftschutz-keller eingerichtet‚ unter der Drehbühne‚ Schilder weisen den Weg dorthin. Hocker und Liegen ste-hen bereit‚ 20-Liter-Flaschen mit Trinkwasser und Feuerlöscher. Helfen würde der Keller im Ernstfall nicht‚ die Decke ist ja die Bühne‚ sie ist aus Holz. In

den Gängen hängen Merkblätter über das „Verhal-ten bei Kampfhandlungen“ und Listen‚ auf denen die Opernmitarbeiter sich eintragen können‚ wenn sie verbilligt Kohle erhalten wollen.

Oben ist jetzt der Vorhang aufgegangen‚ die Vorstellung beginnt. Der erste Akt‚ das erste Bild: der Ball im Palast des Herzogs. Katschalowa ruft Rigoletto auf die Bühne.

Die alte Dame kennt Verdis Melodram auswen-dig‚ sie hat früher die Gilda gesungen‚ Rigolettos Tochter. Auf ihrem Pult hat sie einen Klavierauszug zurechtgelegt‚ er stammt vom Leipziger Musikver-lag C. F. Peters‚ ein Druck aus den Fünfzigerjahren. Auf der letzten Seite klebt ein Foto‚ das eine jüngere Lidija Katschalowa als Gilda zeigt‚ auf genau dieser Bühne von Donezk.

„Mein Vater war Wolgadeutscher‚ meine Mutter Finnin‚ mein Mann kam aus der Westukraine‚ und meine Schwiegertochter ist Jüdin“‚ zählt sie auf. „In der Donezker Gegend lebten jahrhundertelang un-terschiedlichste Menschen zusammen‚ es hat immer geklappt. Ach‚ hätte Russland sich hier nur nicht eingemischt.“

Katschalowas Mann‚ ein Bariton‚ ist vor fünf Jahren gestorben. Nun wohnt sie allein in ihrem Viertel‚ das vom Flughafen her so oft beschossen wird; sie hat eine Ikone als Talisman ins Küchen-fenster im 15. Stock gestellt. Nur ihr Sohn ist noch in der Stadt geblieben‚ damit er sich um seine Mut-ter kümmern kann‚ die Donezk und ihre Oper nicht verlassen will.

Die Primadonna

„Bravo“‚ ruft Lidija Katschalowa zur Bühnen-mitte‚ nicht übermäßig laut‚ das Publikum im Saal soll es nicht hören. Das Bravo ist bestimmt für Jew-genij Udowin‚ 39‚ den Herzog. „Questa o quella“ hat er gerade gesungen‚ die Arie‚ mit der er die

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Gräfin Ceprano umgarnt. Dabei dürften selbst die Laien unter den Zuschauern gemerkt haben‚ dass der Tenor nur mit Mühe die Stimme halten kann. Er hat Fieber‚ sein Gesicht ist gerötet. Aber einen zweiten Herzog gibt es in Donezk zurzeit nicht.

Auch die Einsätze der Sänger sitzen nicht im-mer genau. Sie hören das Orchester nicht‚ wenn sie singen‚ es fehlen Lautsprecher auf der Bühne‚ sie orientieren sich nur am Dirigenten.

„Unser Theater erlebte gerade einen solchen Aufschwung“‚ seufzt Ljudmila Schemtschuk. „Und dann? Dann kam dieser Krieg‚ und wir sind wie ein Vogel gegen eine Wand geprallt.“ Sie sitzt in ihrer Garderobe‚ an der Wand hängt ein Foto‚ auf dem sie ihren Arm um Luciano Pavarotti legt. Schem-tschuk ist 68 Jahre alt und noch immer die Prima-donna des Hauses. Sie hat alles gesungen‚ was ein Mezzosopran singen muss‚ in New York‚ Mailand und Wien‚ in Berlin‚ München und Paris. Zwölf Jahre lang war sie am Moskauer Bolschoi-Theater. Aber immer zog es sie in ihre Donezker Heimat zurück.

„Was war das für ein Riesenerfolg‚ als wir vor zwei Jahren Wagners ‚Fliegenden Holländer’ erst-mals auf Deutsch in der Ukraine aufführten! Zu-sammen mit einer deutschen Regisseurin‚ deut-schen Bühnenbildern und deutschen Sängern.“ Alle im Haus würden sich noch an das grandiose Sturmbild im ersten Aufzug erinnern‚ an die Mee-reswellen‚ die bis in den Saal reichten. „Wir haben die Aufführung in Odessa‚ Lemberg und Kiew ge-zeigt. Überall sind wir bejubelt worden.“

Schemtschuk stützt sich auf den schwarzen Flügel‚ der in ihrer Garderobe steht‚ und singt lei-se die Arie des Hermann aus Tschaikowskis „Pique Dame“: „Ergreift den Augenblick des Erfolges ...“ Sie müsste heute nicht in der Oper sein‚ sie ist aus Solidarität gekommen. Dabei ist sie noch frühmor-gens nach Styla hinausgefahren‚ in das Dorf‚ wo sie

geboren wurde‚ es hatte dort einen Artillerieangriff gegeben‚ sieben Verwandte hat sie rausgeholt und deren Flucht nach Weißrussland organisiert.

„Was ist‚ wenn wir weiter auseinanderlaufen? Wir sind doch alle Slawen hier. Wollen wir alles zerschneiden‚ aufteilen? Ich kann mir das nicht vorstellen.“

Die Frau mit der Oboe

Pause. Aufregung hinter der Bühne. Ein Groß-teil der Sicherungen ist rausgesprungen‚ die Heiz-strahler fressen zu viel Strom. Und im Orchester beschweren sie sich‚ dass es immer noch viel zu kalt sei. Letzte Woche‚ beim „Barbier von Sevilla“‚ ha-ben sich alle erkältet.

Angela Wojtkewitsch‚ schwarzes Kleid‚ glit-zernde Ohrringe‚ die Haare rot gefärbt‚ spielt eine der Oboen. Auch sie hatte Donezk schon verlassen‚ im Juli‚ als im Hof ihres Hauses eine Frau durch eine Granate ums Leben gekommen war. Mit Toch-ter und Enkelkind war sie in die 200 Kilometer ent-fernte Großstadt Saporischja geflohen. Aber es war ihr nicht gelungen‚ dort eine Wohnung zu mieten.

„Die Maklerin hat mir gesagt: ‚Fahrt doch zurück in euren Donbass. Ihr seid selbst schuld‚ ihr habt mit dem Krieg begonnen.’“ Sie kam bei einer Tante un-ter‚ aber auch mit der sei es nicht einfach gewesen‚ sagt sie‚ vor allem wenn der Fernseher lief und von den „Terroristen“ in Donezk die Rede war.

So fuhr sie wieder zurück.Wojtkewitsch lebt nun in ihrer alten Wohnung.

Vor einer Woche ist ein Geschoss in der Schule ge-genüber eingeschlagen. „Ich habe beim Referendum für die Abspaltung gestimmt‚ weil ich glaubte‚ es kommt alles wie auf der Krim“‚ sagt sie. „Aber muss man uns deswegen im Rest der Ukraine wie Aussät-zige behandeln? Selbst Freunde in Kiew gehen nicht mehr ans Telefon‚ wenn ich anrufe.“ Wojtkewitsch

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hat Tränen in den Augen. „Ich fühle mich wie auf dem Schiff des ‚Fliegenden Holländers’: Wir trei-ben auf ihm‚ aber keiner weiß wohin.“

Ihr Mann ist Chef des Balletts‚ er ist Anfang des Monats mit einem Teil der Künstler in die USA ge-reist‚ sie führen dort den „Nussknacker“ auf. Die Ein-nahmen sollen die Familie über den Winter bringen.

Der zweite Akt: Ehre und Geld

Gilda ist von den Höflingen des Herzogs ent-führt‚ zu ihm gebracht und entehrt worden. „Dio! Mia Gilda!“‚ singt Wladimir Wjurow klagend.

Oben‚ im zweiten Stock‚ in seinem Arbeits-zimmer‚ sitzt der Generaldirektor und weiß nicht‚ wovon er seine Künstler bezahlen soll. „Seit Juni haben die Mitarbeiter keine Gehälter mehr erhal-ten. Sie leben vom Ersparten‚ und das ist jetzt auf-gebraucht“‚ sagt er. Nur im September habe die Re-gierung der „Donezker Volksrepublik“ jedem um die 100 Euro gezahlt‚ einmalig. „Ich brauchte aber monatlich 125.000 Euro. Woher sollen die kom-men?“ Gestern ist der Direktor zu Verhandlungen bei der Donezker Regierung gewesen. Die Oper ist für die Separatisten nicht das dringlichste Problem‚ aber sie haben versprochen‚ die Gehälter für Okto-ber und November nachzuzahlen.

„Die Menschen sind ausgelaugt‚ jeden Tag hö-ren sie das Heulen der Geschosse“‚ sagt er. „Die Ge-fahr ist‚ dass wir uns daran gewöhnen. Deswegen ist die Oper so wichtig.“ Vielleicht hat er damit auch die Separatisten überzeugt.

Der Generaldirektor heißt Jewgenij Denissen-ko‚ aber an seiner Tür steht ein anderer Name: Was-silij Rjabenki.

Rjabenki hat ein Vierteljahrhundert lang dieses Haus geleitet‚ er sei „wie ein Vater“ zu ihnen gewe-sen‚ sagen die Künstler. Er habe die Truppe in den vergangenen Monaten zusammengehalten‚ er habe

für sie immer wieder Lebensmittelpakete besorgt. Dann aber verbrannten die Kulissen der Oper‚ und kurz danach‚ am 7. Oktober‚ blieb Rjabenkis Herz stehen.

Die Führung der „Donezker Volksrepublik“ holte Denissenko als Ersatz‚ er war gerade frei. Zu-vor war er Chef des Donezker Heimatmuseums‚ aber das hatten Artilleriesalven im Sommer schwer beschädigt. Denissenko ist 70 Jahre alt‚ doch er hat früher Konzerte veranstaltet und ist nicht ganz neu in der Branche.

Die Oper halte sich von der Politik fern‚ sagt Denissenko‚ die Regierung der „Volksrepublik“ übe keinen Einfluss aus. Nachdem ein prorussischer Aktivist im Frühjahr die ukrainische Flagge vom Dach gerissen hatte‚ haben sie den Fahnenmast einfach abgesägt‚ um künftige Konflikte dieser Art zu vermeiden. Nur die Programmzettel würden nicht mehr auf Ukrainisch‚ sondern auf Russisch gedruckt‚ räumt der Generaldirektor ein. Aber uk-rainische Opern blieben im Programm‚ wenngleich sie die jetzt nicht spielen würden‚ weil sie die gro-ßen Massenszenen nicht besetzen könnten.

Die letzte Pause und ein Kriegskind

„Es läuft nicht schlecht“‚ sagt Lidija Katscha-lowa an ihrem Inspizientenpult‚ „gemessen an un-seren Bedingungen.“ Aber das große Finale steht ja noch bevor‚ vor allem für Rigoletto und Gilda. Und Gilda alias Fatima Kasjanenko‚ der Koloratur-sopran‚ geboren in Georgien‚ ist mit den Gedanken schon zu Hause.

40 Jahre ist Kasjanenko alt‚ vor vier Monaten hat sie einen Sohn geboren. Sie würde gern die Stadt verlassen und irgendwohin gehen‚ wo es friedlicher ist und ihr Sohn nicht vom Artilleriefeuer aufwacht.

„Aber ich kann hier nicht weg‚ ich muss singen‚ um wenigstens ein bisschen Geld zu verdienen“‚ sagt sie.

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„Seit August habe ich kein Müttergeld mehr bekom-men. Mein Mann führte einen kleinen Betrieb‚ aber auch der hat geschlossen. Und unsere Ersparnisse sind aufgebraucht. Die Donezker Regierung soll endlich erträgliche Lebensbedingungen schaffen.“

Der dritte Akt: Donner und Rosen

Der fulminante Schluss. Der Herzog singt sein berühmtes „La donna è mobile“‚ der Wirt Spara-fucile ersticht in der Schenke Rigolettos Tochter‚ und Rigoletto erkennt‚ welcher Fluch sich an ihm verwirklicht hat. Es blitzt‚ es donnert‚ ganz wie draußen in der Stadt. „Ein Sturm am Himmel! Auf Erden ein Mord!“‚ singt Wjurow.

Dann ist es vorbei. Donnernder Applaus. Li-dija Katschalowa lässt den Vorhang fallen‚ es reg-net Rosensträuße. Die Blumengeschäfte in Donezk haben noch geöffnet. Hinterm Vorhang rufen die Bühnenarbeiter dem Generaldirektor zu‚ Kunst sei gut‚ aber zuerst komme „das Butterbrot“. Und dass sie endlich Geld sehen wollten. In der Verwal-tung zählen sie währenddessen die Einnahmen des Abends‚ nicht mal 1.000 Euro.

Der Generaldirektor sagt‚ sie wollten die Arbeit an Verdis „Maskenball“ fortsetzen‚ mit einem ita-lienischen Regisseur. Er sagt auch‚ dass ihnen die russische Operndiva Anna Netrebko eine Million Rubel gespendet habe‚ umgerechnet 15.000 Euro. Und dass der Donezker Oligarch Rinat Achmetow versprochen habe‚ nach dem Krieg einen neuen

„Fliegenden Holländer“ zu finanzieren.Dem Lagebericht der Stadtverwaltung wird am

Abend zu entnehmen sein: Während die Oper „Ri-goletto“ aufführt‚ sterben draußen 3 Zivilisten‚ 10 werden verletzt‚ 5 Häuser beschädigt‚ 15 Trafostati-onen fallen durch Beschuss aus.

Lidija Katschalowa knipst die Lampen am Ins-pizientenpult aus‚ zieht sich ihren Mantel über und

macht sich auf den Weg zu ihrem Trolleybus‚ sie fährt nach Hause‚ zurück in den Krieg. „Unsere Oper funktioniert nur noch durch den Enthusias-mus jener‚ die geblieben sind“‚ sagt sie. „Aber auch dieser Enthusiasmus ist irgendwann aufgebraucht.“

Der Spiegel‚ 20.12.2014

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ADAmS ScHATzVoN MartiN tHeis

go-Magazin, 01.10.2014

Martin Theis berichtet in starken Bildern von einer reise in die Vergangenheit. in einem ungarischen Dorf hofft er den Kupferbehälter für schädlingsbekämpfungsmittel wiederzufinden, den sein großvater, damals Winzer, dort am ende des Krieges auf der Flucht vor der roten

armee vergraben hat. Die suche bleibt vergeblich, aber der autor trifft auf Menschen, denen versöhnliche Normalität wichtiger ist als hasserfüllte

angst vor einem zurückkehrenden Deutschen. Martin Theis ist ein sprach-lich beeindruckender Beitrag zur erinnerung folgender generationen an Flucht und Vertreibung gelungen – ein Thema, dessen aktualität auf der Hand liegt, wenngleich aus anderer perspektive. Zur ausgeprägten sub-

jektivität des textes, die sich auch in der ich-Form ausdrückt, gab es in der Jury unterschiedliche Meinungen. eine Mehrheit sieht darin vor allem

ein element der authentizität, von der das genre reportage lebt.

Horst pöttker, professor emer. am institut für Journalistik, tU Dortmund

textreportagenomInIerter

Fotos: Jakob schnetz

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MartiN tHeis

Martin theis (*1985) ist in der Nähe von Kassel aufgewachsen und zum studium nach tübingen gezogen.

er hat gerne Kurzgeschichten geschrieben und einen Magister in rhetorik gemacht. Vor Kurzem hat er die

Zeitenspiegel reportageschule abgeschlossen. er fährt am liebsten richtung osten, nach armenien, Kosovo

und Berg-Karabach. Die suche nach einer Kupferspritze, die sein großvater adam vor fast 70 Jahren in

einem garten vergraben hatte, führte ihn in ein Dorf im südwesten Ungarns. Nach der schatzsuche blieb

er noch länger – und bekam in der Kneipe den satz zu hören: „Wir erwarten dich jetzt jedes Jahr in Csibrák.

Nein, jeden abend!“

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ADAmS ScHATzvon Martin TheisDer enkel eines Vertriebenen macht sich auf die suche nach einer Kupferspritze, die der großvater am tag der Vertreibung in seinem ungarischen Heimatgarten vergraben hat.

A ls Adam mir den Spaten überreicht, muss er daran denken wie es war, als damals die Russen kamen. Mit Panzern fuhren sie 1944

in sein ungarisches Heimatdorf, nahmen sich was ihnen gefiel und ließen die Einwohner ringsherum Schützengräben schaufeln. Adam mimt einen rus-sischen Soldaten und marschiert mit weit ausho-lenden Schritten von der Garage in seinen Garten in Baunatal bei Kassel. Er zählt laut auf Russisch, bis zum großen Kirschbaum: „Odin!, Dwa!, Tri!“, jede Zahl ein donnerndes Kommando, „Sem!, Wo-sem!, Dewjat!“, bis zehn. Dann dreht er sich um und zeigt auf seinen immer frisch gemähten Rasen.

„Dawaj! Los, du Hund, fang an zu graben!“ Zehn Meter lang und so tief, dass ein Russe darin stehen kann. Dass er schießen kann. Auf Nazis wie dich.

Adam winkt ab: „Das kann sich heute kei-ner vorstellen.“ Jetzt ist er nicht mehr der Russe, sondern wieder mein Großvater: einer von zwölf Millionen Deutschen, die zum Ende des Zweiten Weltkriegs in Mittel- und Osteuropa ihre Heimat verlassen mussten. Etliche flohen aus den östlichen Randgebieten des Deutschen Reiches vor Russlands Roter Armee. Nach dem Krieg wurden vielerorts deutsche Minderheiten vertrieben, vom Balkan, aus dem Sudetenland oder, wie meine Großeltern, aus

Ungarn. Den Familien blieben vom einstigen Zu-hause nur Erinnerungen, wieder und wieder belebt, wenn die Alten abends zusammensaßen und Ge-schichten von früher erzählten. Mein Vater kennt sie, ich kenne sie. Und diese eine lässt mich seit Jahren nicht mehr los: die Geschichte von Adams Kupferspritze, die er am Tag der Vertreibung in seinem ungarischen Garten vergrub. Das war vor siebzig Jahren.

„Ich wüsste heute noch, wo ich suchen müss-te“, sagt Adam immer, wenn er mir davon erzählt. Er selbst wird nie mehr nach Csibrák fahren, in sein Dorf, irgendwo im Südwesten Ungarns. Mein Großvater ist jetzt 85 Jahre alt. Fast alle seine Freun-de sind schon tot. Für mich heißt das: Jetzt oder nie. Deine Kupferspritze, Opa, ich werde sie finden und dir zu Füßen legen. Vielleicht wird dich das mit dei-ner verlorenen Heimat versöhnen.

„Aber hör mal“, sagt Adam, als er unter seinem Kirschbaum steht, „du willst doch nicht den Spa-ten im Zug mit nach Ungarn nehmen.“ Er schüt-telt den Kopf und lächelt. „Wenn deine Oma das erfährt, schimpft sie dich. Das ist nämlich ihr Spa-ten.“ Auch wenn mein Großvater schon vom Sitzen Schmerzen bekommt und meine Großmutter sich noch von einer Herzoperation erholt: Es vergeht

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kein Frühjahr, in dem sie nicht mit dem Spaten ihren Garten umgraben, um Paprika, Gurken und Tomaten zu pflanzen. In Csibrák waren ihre Fami-lien Selbstversorger. Bis heute zieht sich der Rhyth-mus von Anbau und Ernte durch ihr Leben.

Wie immer bleibt Adam noch im Hof stehen und schaut mir nach, als ich die lange Einfahrt hin- unter gehe. Sonst reckt er meist seine Faust und ruft: „Alter Kämpfer!“ Diesmal bleibt er still.

Meinen Großeltern ist ein Rätsel, warum ich mich auf diese Suche begebe. Csibrák erscheint ihnen wie eine feindliche Festung und sie haben gelernt, die schmerzliche Vergangenheit ruhen zu lassen. Jetzt reise ich auf den Gleisen, auf denen sie als Vertriebene nach Deutschland kamen, nur in umgekehrter Richtung. Ihre Stationen sollen mei-ne Stationen sein: Der Kasseler Hauptbahnhof, wo sie inmitten der zertrümmerten Stadt auf ländliche Gemeinden verteilt wurden. Passau, wo man sie gegen Läuse abspritzte; dann über Wien und Buda-pest nach Kurd, wo russische Soldaten ihr Gepäck nach Wertsachen durchsuchten und sie in Viehwag-gons trieben. Von dort sind es wenige Kilometer bis Csibrák, zu dem Garten, in dem ich graben will. Adam hat mir eine Karte von dem Grundstück ge-zeichnet und die ungefähre Stelle mit einem Vier-eck markiert.

Csibrák, 7. Juni 1946. Anderthalb Jahre nach dem Einmarsch der Russen in Ungarn. Die Sonne brennt auf das kleine Dorf, in dem fast nur Deut-sche leben. Im Nachbarort Kurd stehen schon die Viehwaggons für sie bereit. Die Leute fragen: Wohin kommen wir? Wie lange bleiben wir fort? Niemand gibt ihnen Antworten. Am Gemeinde-haus hängt ein Plakat mit den Namen der Familien. Darauf steht auch, wie viel sie mitnehmen dürfen: achtzig Kilo Gepäck und zwanzig Kilo Nahrung pro Person. Die Frauen in ihren schwarzen Trach-ten haben Enten und Hühner geschlachtet, gekocht

und in Schmalz eingelegt, damit sie unterwegs nicht verderben. Adam ist fünfzehn Jahre alt und der einzige Mann in der Familie. Sein Großva-ter, ein begnadeter Geiger, ist an Krebs gestorben. Sein Bruder und sein Vater sind Kriegsgefangene in Russland. Adam hievt das Gepäck von Mutter und Großmutter auf den Wagen, vor den er zwei Kühe gespannt hat. Dann gräbt er ein Loch im Hof neben dem Haus. Bestimmt kommen wir wieder, denkt er, irgendwann. Er muss etwas Kostbares vor den Russen retten: die Kupferspritze.

Diesen Behälter für fünfzehn Liter Blaustein – ein flüssiges Kupfersulfat-Gemisch – schnallen sich die Weinbauern mit Lederriemen auf den Rücken. Durch einen Schlauch ist er mit einer Spritze ver-bunden. Sie besprühen damit die Reben auf ihrem Weinberg, um sie vor Schädlingen zu schützen. Süß wie Honig ist der Wein. Vierhundert Liter im Jahr sichern der Familie einen Grundverdienst. Im Ge-päck wäre die Kupferspritze nutzloser Ballast. Doch sollten sie je zurückkehren, in ihr altes Leben nach Csibrák, wäre sie unentbehrlich.

Im ICE Richtung Passau sitzt mir das Ehepaar Felis gegenüber. Beide sind um die sechzig und be-fragen mich zu meiner Mission: Wissen sie, dass du kommst? Hast du ihnen Bilder von deiner Familie mitgebracht? Ein Gastgeschenk? Nein, sage ich, sie erwarten mich nicht. Aber Familienfotos habe ich im Rucksack und eine Flasche polnischen Büffel-graswodka. „Die ist aber nur was für den Mann“, sagt Frau Felis und zwinkert mir zu, „du solltest noch ein Paar Strumpfhosen kaufen. Oder Pralinen.“

Herr Felis erzählt, dass seine Eltern aus Schle-sien stammen und ebenfalls vertrieben wurden. Auch er habe, im heutigen Polen, die Landschaft seiner Vorfahren erkundet. Eine Frau am Neben-platz schaltet sich ein: ihre Familie sei aus Pom-mern nach Deutschland gekommen. Gleiches Drama. Das Gespräch erstreckt sich jetzt über zwei

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volle Viererplätze. Irgendwann haben wir alle eine Kaffeetasse aus dem Speisewagen vor uns stehen, reichen sommerweiche Schokolade im Kreis und beschwören die Geschichten unserer Ahnen herauf.

Meine Vorfahren verließen Deutschland im 18. Jahrhundert, getrieben von Armut und der Hoff-nung auf eine bessere Zukunft in Ungarn. Auf brei-ten Einwegbooten fuhren sie auf der Donau strom-abwärts. Jeder Familie war in Ungarn ein Stück Land versprochen worden. Was sie bekamen, glich einer Wüste. Unbarmherzige Sommer, meterhoher Schnee im Winter. Sie gruben die Erde ihrer neuen Heimat um; einen Spaten tief, wo sie Getreide und Gemüse pflanzten; zwei Spaten tief, wo sie Weinreben setzten. Sie besaßen noch kein Pferd, keinen Pflug. Über De-kaden, geprägt von Entbehrung und harter Arbeit, rangen sie der ungarischen Steppe fruchtbare Gärten, Äcker und Weinberge ab. „Die schönsten Märchen der Welt entstehen in der Wüste“, sagt Herr Felis und schaut aus dem Zugfenster, auf vorüberziehen-de Wiesen und Wälder kurz vor Regensburg, „denn in der Wüste ist Platz für die Fantasie.“

Das Märchen der sogenannten „Donauschwa-ben“ endet 1943, mit dem Einmarsch der Nazis in Ungarn. Aus Adams Dorf verschleppen deutsche Soldaten zunächst die beiden jüdischen Familien. Dann kommandieren sie die jungen Männer zum Kriegsdienst. Auf einem der Waggons, mit denen sie abtransportiert werden, hat ein Nazisoldat in großen Lettern geschrieben: „Den Deutschen ihre Waffen sind die ungarischen Affen.“ 1944 erobern die Russen Ungarn. Alle Donauschwaben mitt-leren Alters werden nach Sibirien verfrachtet, zur Zwangsarbeit in Kohlegruben. Adam ist ein Jahr zu jung. Er verlässt Csibrák mit den Übriggebliebenen; an jenem heißen Tag im Juli, in Richtung Kurd, wo bereits die Viehwaggons warten. In Passau kreuzt meine Route jenen Fluss, auf dem die Schwaben einst nach Ungarn ausgewandert waren: nur einen

Steinwurf von den Gleisen verläuft die Donau, ent-lang der Bürgerhäuser der Altstadt, zwischen mittel-alterlicher Festung und barockem Dom. Bald wech-seln die Durchsagen im Zug ins Österreichische, in Wien belegen junge Interrailer aus den USA und Asien das Großraumabteil.

Als ich ein paar Stunden später in Budapest in den Regionalzug nach Kurd umsteige, kommen mir Zweifel. Adam meint, ich sei verrückt, dass ich diese Reise unternehme. Mir war aber, als sei ihm ein wenig Wasser in die Augen gestiegen. Meine Großmutter Maria schimpfte auf die dumme Idee:

„Die Leute werden dich davonjagen, dass du Schuhe und Strümpfe verlierst.“

Draußen ziehen die dunklen Fassaden von Budapest vorbei, vollgesogen mit dem Dreck ei-nes vergangenen Zeitalters. Dann verdorrte Son-nenblumenfelder und Äcker, auf denen Heuballen liegen wie große Bauklötze; einzelne, unverputzte Häuser; Kieswege, die zu brüchigen Straßen wer-den. Ich stelle mir vor, ich würde jetzt in dieses Dorf dort laufen und an irgendeine Tür klopfen: Guten Abend, ich müsste mal in Ihrem Garten graben. Was erwarte ich eigentlich? Dass sie mir Wein ein-schenken und zu meinem Familiensinn gratulieren?

Das Bahnhofshäuschen von Kurd ist einge-rahmt von einem rostigen Maschendrahtzaun. Der Bahnwärter tritt durch das Gartentor auf den Bahn-steig. Eine Erscheinung wie aus dem Bilderbuch: Rote Schirmmütze, grauer Schnauzbart, hellblaues Hemd und dunkelblaue Weste, darunter wölbt sich ein großer Bauch. Ein Wink mit seiner Kelle, und die Lokomotive setzt sich in Bewegung. Außer mir ist niemand ausgestiegen. „Es ist verboten, Fotos zu machen und an den Gleisen entlang zu laufen“, ruft der Wärter vom Zaun her. Er wendet sich ab und geht langsam auf sein Häuschen zu. Dann dreht er sich noch einmal um: „Fremde haben hier nichts zu suchen.“ Die Fliegengittertür fällt ins Schloss.

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Kurd, 11. Juni 1946. Die Donauschwaben stehen seit Tagen auf dem Abstellgleis. Eine Seu-che droht auszubrechen. Adam denkt an die Kühe, die seinen Wagen bis zum Bahnhof gezogen haben. Mit Schlägen auf den Hintern musste er sie davon-jagen. Er denkt an die Hündin, die sein Geburts-haus bewacht. Einmal war sie durch das Gartentor entwischt und draußen gleich schwanger geworden. Erst vor wenigen Tagen brachte sie vier Junge zur Welt. Was soll jetzt aus ihnen werden?

Eigentlich dürfen Adam und seine Leute den Bahnhof nicht verlassen. Er läuft trotzdem los, vier Kilometer bis Csibrák, wo jetzt nur noch Tiere le-ben. Er hört den Schrei einer hungernden Gans, Hühner, Kühe mit übervollen Eutern, zum Zer-bersten gespannt. Am Dorfrand steht das längliche Lehmhaus der Familie, dahinter der neue Kuhstall aus Backstein. Adam öffnet das Metalltor. Kein Ge-bell. Eine dunkle Ahnung steigt in ihm auf. Im Stall liegen leblos die vier Welpen. In der Ecke, die Hün-din: ausgezehrt, unter schlaffer Haut treten ihre Knochen hervor. Sie hebt den Kopf und schaut in seine Richtung. Er erstarrt. Über ihren vereiterten Augäpfeln wuchert eine weiße Haut, die Pupillen sind verschwunden. Adam rennt davon wie einer, der den Tod gesehen hat.

Vom Bahnhof in Kurd gehe ich den gleichen Weg wie Adam, vier Kilometer. Die Landstraße flirrt in der Mittagshitze. Am Horizont liegen buck-lige Wälder, wo Donauschwaben einst Weinberge beackerten. Dann liegt Csibrák vor mir, die Ma-nifestation meiner Schnapsidee. Eine Hauptstraße mit fast verblasstem Mittelstreifen, links und rechts rissige Betonwege und hinter Metallzäunen kleine verwitterte Häuser. Ein Dorf wie viele in dieser Gegend. Für mich: der Sehnsuchtsort aus Adams Erzählungen, in denen die Leute hier Deutsch spra-chen, biblische Vornamen trugen und einmal im Jahr feierlich ein paar Schweine schlachteten.

Ich passiere das Ortsschild, aus der Landstraße wird die Vörös Hadsereg utca – Straße der Roten Armee. In den Gärten springen Hunde bellend ge-gen die Zäune, sobald ich vorbei laufe. Die Fenster-läden sind zu. Kein Mensch auf der Straße. Ein Ort, der sagt: Hau ab! Wir haben geschlossen!

Die Häuser haben schiefe Winkel, doch die Gemüsebeete sind akkurat gefurcht, die Rosenstö-cke sorgsam gestutzt. An den gräulichen Fassaden hängen kleine Schilder: Tiszta udvar, rendes ház – sauberer Garten, ordentliches Haus. Dazwischen: Ruinen. Eine Hauswand durchgerissen wie Kar-ton. Die längst geschlossene Schule, der verlassene Spielplatz, dann die stillgelegte Holzfabrik, früher Arbeitgeber der ganzen Region, doch pleite seit der Wende. Vor einer kleinen Kneipe steht einsam ein Plastiktisch mit Sonnenschirm. Aus einer Konser-vendose steigt der letzte Rauch einer Kippe.

Drinnen hinter dem Tresen sitzt eine junge Frau mit marmorglatter Haut und Pferdeschwanz. Den Kopf auf die Arme gestützt, die Augenlider halb geschlossen, schaut sie auf den krisseligen Fernseher an der Wand. Es ist, als sei hier seit ei-ner Ewigkeit nichts geschehen. „Ich hasse Csibrák“, sagt sie und reicht mir eine Flasche Wasser. „Nur wegen meinem Freund bin ich hergezogen.“

Vor der Kneipe bremst ein Kleinlaster. Ein braungebrannter Kerl mit freiem Oberkörper und schwarzem Bürstenhaar tritt ein. Die Arme schwingen im Takt strammer Schritte, den Bauch trägt er vor sich her wie eine Trophäe. „Bleib sitzen, Erzsi“, ruft er der Kneipenfrau zu, „ich bediene mich selbst!“ Er stellt sich vor als Tamás, 38 Jahre alt. Sein bubenhaftes Strahlen lässt ihn zehn Jahre jünger aussehen. Früher hat er in der Holzfabrik ge-arbeitet, wie so viele hier. Seit sie dicht machte, ist er arbeitslos. Ein neuer Investor, genannt „der Ara-ber“, wollte das Geschäft neu aufziehen. Doch er machte Schulden im Dorf. Da hat ein Freund von

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Tamás ihn erschossen und die Leiche in den Stra-ßengraben geworfen. „Der Araber hat es verdient“, sagt Tamás und strahlt.

Ich muss weiter, immer die Hauptstraße ent-lang. Unter einem Lindenbaum hängt ein gekreu-zigter Steinchristus, dann bin ich am Ziel. Das sechstletzte Haus auf der rechten Seite. Kein Zwei-fel. Es ist das längliche Lehmhaus, das ich von den Fotos meines Opas kenne. Dahinter der Kuhstall aus Backstein, einst finanziert von Adams Großva-ter, der in den USA Geld mit Geigespielen verdient hatte und Csibrák danach nur noch weintrunken ertrug. Mitten auf dem Rasen, wo die Kupferspritze vergraben sein muss, liegt ein Bullterrier an einer langen eisernen Kette. Seine Augen fixieren mich, sein Körper bebt.

Ein graubärtiger Mann tritt aus dem Haus, rotbraun wie Kupfer ist seine Haut. Als er näher kommt, rieche ich seinen Alkoholschweiß. Ich wünsche einen guten Tag, jó napot kívánok, und stelle mich vor. „Ich heiße auch Martin“, sagt der Mann in gebrochenem Deutsch, die Stirn in Fal-ten, „auf ungarisch Márton.“ Ich erzähle ihm von meinem Großvater und dass ich quer durch Euro-pa gereist bin, um sein Geburtshaus zu sehen. Der Mann kneift die Augen zusammen: „Und was wol-len Sie von uns?“ Als ich ihm die Flasche Wodka hinhalte, wehrt er ab, als hätte ich ihn beleidigt. Ich fühle mich als ein Eindringling, mit Schnaps in der Hand und einer Packung zerschmolzener Pralinen aus Passau. Dann sagt Márton: „Wenn schon Wod-ka, dann trinken Sie mit uns.“

Zwei Gläser später zeigen wir uns Bilder von unseren Familien. Das Haus ist eng und schumm-rig, die Küche nur eine Nische. Márton öffnet das Gefrierfach und zieht zwischen den Keulen frisch geschlachteter Hasen die Schnapsflasche hervor. Seine ausgemergelte Frau Anna kauert im Eingang auf einem Schemel, lächelt zahnlos. Sie würde ja

gerne mit uns trinken, sagt sie, aber könne nicht, wegen der Herztabletten. Die beiden sind sechzig – ihre Gesichter wirken sehr viel älter.

„Krieg bringt nie etwas Gutes“, sagt Márton und bedeutet mir Platz zu nehmen. Seine Eltern gehörten zu einer ungarischen Minderheit, die nach dem zweiten Weltkrieg aus Rumänien gejagt wurde. Sie zogen dorthin, wo die ungarische Re-gierung zuvor die Donauschwaben vertrieben hatte. Ein Dominoeffekt der Geschichte, der Millionen Flüchtlinge zu unerwünschten Fremden machte.

„Aber der Ungar“, sagt Márton und hebt sein Glas, „der Ungar geht fröhlich zugrunde.“

Ich bin der Kupferspritze nah gekommen. Durch das Fenster von Mártons Küche blicke ich in den Garten. Nicht weit von hier wartet ein Schatz-sucher mit Metalldetektor auf mein Signal. Doch mit jedem Egészségedre, jedem Prost auf die Ge-sundheit, rückt der Plan, im Garten meiner Gastge-ber zu graben, in weitere Ferne. Was, wenn Márton wüsste, warum ich wirklich hier bin? Du, ich bin gekommen um deinen Rasen zu durchlöchern. Das ist der Grund, warum wir trinken.

Márton führt mich durch den Garten, vorbei an mannshohen Tomatenstauden. Der Terrier, den sie Krüger nennen, springt ketterasselnd um uns herum. Einmal ist er durch das Gartentor ent-wischt, wie einst Adams Hündin. Er hat draußen gleich einen Schäferhund gerissen.

Hinter dem Haus liegt ein karger Hang, zuge-stellt mit Holzstapeln, durchgerosteten Fässern und einem übervollen Hasenstall. Márton erzählt, wie er in der DDR Tunnel für Züge gegraben hat: im-mer drei Wochen am Stück; zwölf Stunden am Tag; dann eine Woche Pause in der Heimat. Er streicht über einen blühenden Rosenstrauch. „Willst du nicht eine Rose mitnehmen für Adam? Oder ei-nen kleinen Hasen für deinen Sohn?“ Ich muss Márton die Wahrheit sagen. Seine Augen werden

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weiter und weiter, während er meiner Geschichte folgt. Als er auf Adams Schatzkarte sieht, dass ich meinen Spaten wohl mitten in seinen Rasen ste-chen muss, lacht er, was bei ihm eher nach Husten klingt. Gleich wird er wütend, denke ich. Er wird mich fortjagen und meine Reise wird umsonst ge-wesen sein. Doch dann sagt Márton: „Es wäre uns die größte Freude, wenn dieses Erbstück zu seiner Familie zurückkäme.“

Die Suche nach einem Objekt in einem Me-ter Tiefe ist technisch anspruchsvoll. Ich wähle die Nummer von Lajos, dem Schatzsucher. Er ist einer der Besten in Ungarn.

Csibrák, einen Tag später. Márton sitzt mit einem Glas Bier in der Hollywoodschaukel, Anna raucht auf ihrem Schemel in der Sonne. Zwischen den beiden liegt der Rasen, wie eine leere Bühne in Erwartung des Spektakels. Dann kommt Lajos durchs Gartentor, ein großer, kräftiger Mann im roten Muskelshirt. In der Hand hält er eine Eisen-stange und eine Militärtasche mit Tarnmuster.

Ein knapper Gruß, Händeschütteln. Lajos öffnet die Tasche, klappt den Griff des Detektors auseinander und schraubt die Sonde vorne an. Das Gerät erinnert an einen Rasenschneider. Lajos muss alles genau wissen: Größe und Form des Objekts, Material, vermutete Tiefe. Steht die Spritze oder liegt sie? Ist sie gefüllt oder hohl? Ist hier vielleicht etwas begraben, was das Signal stören könnte?

Langsam schreitet er den Garten ab und lässt die piepende Sonde über den Rasen kreisen.

Seit 20 Jahren sucht Lajos auf Ungarns Boden nach Schätzen. Dabei fand er Weltkriegsmedaillen, verlorene Eheringe von Touristen aus der DDR und eine scharfe Handgranate, die ein Sondereinsatz-kommando sichern musste. Manchmal, sagt er, sei es eben besser, die Vergangenheit ruhen zu lassen. Er geht vor, zurück, hält inne, wo das Piepen lau-ter wird. Dann rammt er die Metallstange in den

Boden, einen Meter tief. Der Boden in diesem Gar-ten sei gut. Man könne hier tief graben und das sei in dieser Gegend selten. Doch er stößt nur auf Stein.

Anna bringt uns Kaffee in kleinen Tassen mit Goldrand. Dutzende Male hat Lajos den Garten mit der Eisenstange penetriert. Sein Shirt ist durch-geschwitzt. Doch auch nach der dritten Runde über den Rasen: nichts. Die Nachfolger der Schwaben hätten ihre Grundstücke nach Wertsachen durch-sucht, sagt er. Bestimmt haben sie dabei ebenso ge-wissenhaft gegraben wie meine Vorfahren, als der Garten noch Steppe war. „Manchmal suchst du auch nach etwas Bestimmtem“, sagt Lajos zum Ab-schied, „und findest stattdessen etwas anderes.“

Seine Worte klingen in mir nach, als ich ein paar Stunden später die Straße der Roten Armee entlanggehe. Der Steinchristus im Abendlicht, die Leute vor der Kneipe prosten mir mit Bierflaschen zu. Es ist, als hatte Lajos mir sagen wollen: Statt der Kupferspritze hast du einen viel kostbareren Schatz gefunden. Wo Adam vertrieben wurde, haben sie mich eingelassen. Wo er Feinde wähnte, fand ich Freunde. Was ich meinem Großvater mitbringe und auch meinem Vater und meinem Sohn, ist die Fortsetzung unserer Familiengeschichte von Csi-brák. Sie endet nicht länger mit der Vertreibung. Ein neues Kapitel hat begonnen.

Meine Großmutter erwartet mich mit einem Topf Bohnensuppe. Adam verrührt einen Löffel un-garische Chilipaste auf seinem Teller. „Und?“, sagt er, und seine Stimme ist plötzlich ganz weich. „Was sind das für Leute, die dort in unserem Haus leben?“

– „Es sind gute Menschen, Opa. Du bist dort jeder-zeit willkommen.“ Er nickt langsam mit dem Kopf, faltet die Hände über seinem Bauch und lacht leise in sich hinein.

Go-Magazin, 01.10.2014

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FüNF mANN UND EINE REVOLUTIONVoN taKis WÜrger Der spiegel, 24.02.2014

es gibt sätze, die einen packen und nicht mehr loslassen. Weil sie neugierig machen, spannung erzeugen und sofort im gehirn einen Bildersturm entfachen. Mit einem solchen fulminanten satz beginnt takis Würgers reportage: „als der Feind Feierabend macht, nimmt andrej seine Mütze vom Kopf, richtet den Blick richtung europa und betet für die Zukunft der Ukraine“. Diese 23 Wörter sind das Versprechen auf eine tolle geschichte. Und takis Würger löst es ein. ohne pathos, aber mit der notwendigen Nähe schildert er, wie eine Handvoll junger Männer in der westukrainischen stadt Lemberg wortwörtlich auf die Barri-

kaden gehen. sie proben den aufstand gegen das regime von präsident Viktor Janukowitsch – indem sie den eingang zu einem Baumarkt

namens epizentrum blockieren. es sind ungewisse tage voller Hoffnung und zerstörter träume. Und takis Würger lässt

uns dabei sein. Beeindruckend.

Christian Böhme,

Journalist und redakteur beim tagesspiegel

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Fotos: Björn steinz

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taKis WÜrger

takis Würger (*1985) ist im niedersächsischen Hohenhameln geboren. Nach dem abitur arbeitete er als

freiwilliger Helfer in einem entwicklungsprojekt in peru. er schloss die Henri-Nannen-schule ab und be-

richtet seitdem für Der spiegel im ressort gesellschaft aus verschiedenen Krisenregionen. Von der Ukraine

hatte takis Würger keine ahnung, als er zum ersten Mal dorthin reiste. auf dem Maidan in Kiew war alles

so chaotisch, dass er immer weniger verstand, worum es bei den protesten ging. erst auf der Barrikade in

Lemberg fand er fünf Männer, die ihm halfen, einen Zugang zur Ukraine zu finden und zu kapieren, wa-

rum die Menschen in den Kämpfen ihr Leben riskieren. Zurzeit studiert takis Würger ideengeschichte am

st. John's College in Cambridge.

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FüNF mANN UND EINE REVOLUTIONvon takis WürgerVom aufstand in der Ukraine sieht die Welt vor allem die Bilder aus Kiew. Der Kampf um Freiheit aber durchzieht das Land. in Lemberg blockieren junge Menschen einen Baumarkt, beten gen Westen und hoffen auf einen neuen staat.

A ls der Feind Feierabend macht, nimmt An-drej seine Mütze vom Kopf, richtet den Blick Richtung Europa und betet für die

Zukunft der Ukraine. Es ist Nacht, minus 15 Grad Celsius, und an dieser Straße außerhalb der Stadt Lemberg drängen sich Andrej und seine Freunde nahe an eine Öltonne, in der so viel brennendes Holz steckt, dass sie glüht. Die Männer beten, weil sie Angst haben. Sie werden jeden Tag gewarnt, der Feind werde anrücken, und sie sind sich sicher, dass das stimmt. Sie wissen nur nicht, wann.

Hinter Andrej türmt sich mannshoch eine Bar-rikade, die er und seine vier Freunde errichtet ha-ben. Reifen von alten Lastwagen stapeln sich dort und Säcke aus Plastik, in die die Männer Schnee geschaufelt haben. Vor dem Bollwerk haben sie ei-nen zweiten Verteidigungsring angelegt und Holz-paletten aufgestellt, als erwarteten sie den Angriff schwerer Reiter. Hinter den Barrikaden erhebt sich gegen den Nachthimmel ein Gebäude, so groß wie

ein Flugzeughangar. Auf dem Dach steht in königs-blauen Buchstaben der Name einer Firma geschrie-ben: ЕПИЦЕНТР. Auf Deutsch heißt das: Epizen-trum. Das Epizentrum ist ein Baumarkt.

Andrej blockiert einen Baumarkt, weil er glaubt, dass dieser Markt zum Firmenimperium der ukrainischen Präsidentenfamilie gehöre. Er glaubt, wenn er verhindert, dass Menschen in diesem Baumarkt Wandfarbe und Parkettboden kaufen, schade er damit dem Präsidenten Wiktor Janukowitsch. Die Blockade ist sein Beitrag zum Protest. Andrej betet zehnmal das Ave Maria und einmal das Vaterunser.

„Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen. Ruhm der Ukraine, Ruhm den Helden.“

Es geht um viel am Rand der Landstraße in Lemberg, dieser 700.000-Einwohner-Stadt, die auf Ukrainisch Lwiw heißt. Es ist weniger kriegerisch

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als in Kiew, wo Panzer auffahren und Menschen sterben. Aber es geht um dasselbe: um Freiheit. An-drej sagt: „In Filmen gibt es manchmal ein Happy End, in dieser Geschichte gibt es nur ein End.“ Er ist 28 Jahre alt, arbeitet auf dem Bau, ist groß und hager, und in seinen Bewegungen liegen die Präzi-sion und Unruhe eines austrainierten Boxers. Alle Kleidungsstücke, die er trägt, sind schwarz. Unter seiner Mütze schauen zwei wache, blaue Augen in die Nacht.

Es gibt nur einen unter den fünf Männern auf dieser Blockade, der noch furchterregender wirkt. Ein kleiner, kräftiger Mensch, den alle nur „Bosch“ nennen, weil er arbeitet wie eine Maschine von Bosch. Ein einziges Mal zeigt Bosch in den fünf Ta-gen, die wir mit ihm verbringen, eine nennenswerte Gefühlsregung, es geschieht, als er beim Holzha-cken das Beil so hart schwingt, dass ein Holzkeil durch die Luft fliegt und knapp neben meinem Kopf auf den Boden schlägt. Da lacht er.

Es ist Anfang Februar, Andrej, Bosch und drei weitere Freunde blockieren den Baumarkt seit zwei Wochen und warten seitdem jeden Tag auf den Angriff. Sie erinnern an die Aktivisten der Occupy-Bewegung, die monatelang vor Banken kampierten und die Abschaffung des Kapitalismus forderten. Irgendwann bauten die Demonstranten die Zelte ab und gingen heim. Das Geld hatte gesiegt.

Das Geld in der Ukraine gehört wenigen Men-schen, und die Familie von Wiktor Janukowitsch hat viel davon. Der Präsident war früher ein Auto-mechaniker aus Donezk, zweifach vorbestraft, ein-mal wegen Diebstahls, einmal wegen Körperverlet-zung. Heute besitzt er einen Helikopter und einen Palast am Schwarzen Meer. Er hat sein Geld vor allem durch eine Holding angehäuft, die sein Sohn Alexander führt, ein gelernter Zahnarzt. Die Zeit-schrift „Forbes“ schätzte das Vermögen des Sohnes im vergangenen Jahr auf 500 Millionen Dollar.

Es ist nicht bekannt, ob die Firma Epizent-rum mit ihren über 40 Baumärkten tatsächlich der Familie Janukowitsch gehört. Allerdings ist die ehe-malige Besitzerin der Baumarktkette Mitglied der Janukowitsch-Partei. Unabhängige ukrainische Zei-tungen berufen sich auf Insider, die sagen, dass 85 Prozent des Unternehmens dem Präsidenten gehör-ten. Andrej genügt das als Beleg.

In Lemberg öffnet das Epizentrum um acht Uhr morgens seine Türen. Auf dem Parkplatz par-ken wenige Autos. Sie sind durch den Hinterein-gang vorgefahren, durch die zweite Zufahrt. Andrej sagt, er habe zu wenige Männer, um auch die zweite Zufahrt zu blockieren.

Die Blockade ist also eine halbe Blockade. Wer im Epizentrum Holzbeize kaufen will, fährt ein-mal um den Block, nimmt den Hintereingang und kauft Holzbeize. Die Blockade ist nur ein Symbol.

Bosch lebt als einziger der Männer dauerhaft auf der Barrikade, er schläft in seinen Schlafsack gehüllt auf einer selbstgezimmerten Bank. Andrej fährt jede Nacht für ein paar Stunden nach Hause. An diesem Morgen ist er auf einer Bank in einem Verschlag bei der Barrikade eingeschlafen. Bosch sitzt daneben und schaut wach in die Morgensonne wie ein Wolf, der ihn beschützt.

Warum das alles für ein Symbol? Das fragt man sich, wenn man diese erschöpf-

ten Männer betrachtet. Wenn man mit ihnen gefro-renen Speck und malziges Kümmelbrot teilt. Wenn man die Kälte spürt, die einem den Rotz in der Nase gefrieren lässt. Wenn man Andrejs rußverschmierte rechte Hand betrachtet, an deren Mittelfinger ein Ring steckt, auf dem der Erzengel Michael einem Drachen seine Lanze in den Rachen rammt.

„Irgendwer muss es tun“, sagt Andrej. Er ist wach geworden und trinkt einen Kaffee mit zwei gehäuf-ten Esslöffeln Zucker, den er über dem Feuer der Öltonne gekocht hat. „Wir bleiben bis zum Ende.“

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Die Proteste in der Ukraine begannen Ende November, als Janukowitsch einem Abkommen die Unterschrift verweigerte, das eine Assoziierung der Ukraine mit der Europäischen Union regeln sollte. So eine Zusammenarbeit hätte ukrainischen Pro-dukten den Weg auf den europäischen Markt er-leichtert, aber auch die veraltete Wirtschaft der Uk-raine der Konkurrenz Westeuropas ausgesetzt. Als Janukowitsch das Abkommen scheitern ließ, gingen ein paar junge Menschen aus Protest auf die Straße. Die ersten Versammlungen erinnerten an eine Stu-dentenparty. Auch in Lemberg, das im Westen der Ukraine liegt, demonstrierten die Menschen, und Andrej demonstrierte mit. Er sagt, er interessiere sich nicht für die EU, aber für die Menschen.

Janukowitsch schickte seine Polizisten zu der Demonstration in Kiew und ließ die Menschen zusammenschlagen. Die Party war vorbei. Sie wich einer Wut, die dazu führte, dass mehr Demonst-ranten kamen, die Barrikaden errichteten. Dann passierte für einige Wochen wenig, und als ein paar Hooligans in Kiew nervös wurden, kippten sie Ben-zin in Flaschen, zündeten diese an und warfen sie auf Polizisten. Andrej fuhr Ende Januar nach Kiew und warf mit. Er trug eine schusssichere Weste und einen alten Militärhelm.

Er hatte Glück in Kiew. Vor seinen Füßen explodierte nur eine Blendgranate der Polizei. Er hat noch Schorf von Wunden an der Nase, die die Splitter gerissen haben. Als Andrej damals auf dem Maidan stand, hörte er sich Reden an, bis es ihm langweilig wurde, sagt er. Im Auto auf der Rück-fahrt von Kiew sagte einer der Reisenden: Warum blockieren wir Janukowitsch nicht da, wo er das Geld herbekommt? Was ist sein größtes Business in Lemberg? Einer googelte auf seinem Smart- phone und fand auf irgendeiner Seite das Epizen-trum. Nachts schleppten sie die Autoreifen und Holzpaletten vor den Eingang und versperrten ihn.

Warum das alles für ein Symbol? Janukowitsch sieht seine Rettung eher in Moskau als in Brüssel. Er ist Putin näher als dem Europäischen Parlament. Aber in der Westukraine leben viele Menschen, die Geschichten erzählen wie Marija, die Großmutter von Andrej, die sagt: „Russen sind Verbrecher.“

Marija ist 89 Jahre alt, geboren im Jahr 1924. Als sie sechs Jahre alt war, zwang Stalin die ukraini-schen Bauern dazu, in Kollektivwirtschaften zu ar-beiten. Sie mussten ihr Getreide abgeben. Drei Mil-lionen Menschen verhungerten, so viele Menschen, wie in Berlin leben. Marijas Mutter weigerte sich, in der Kollektivwirtschaft zu arbeiten, da schlugen ihr Parteikommissare so lange auf die Nieren, bis sie starb, so erzählt es Marija.

Die Angst vor dem Einfluss der Russen treibt viele Menschen in der Westukraine auf die Straße. Diese Angst treibt Andrej an. Die Angst und die Wut über die Armut und Korruption.

Andrej und seine Freunde erzählen, es koste 100 Dollar, die ein Ukrainer an den Professor zah-len müsse, wenn er ein juristisches Examen mache. Wenn ein Ukrainer Auto fährt, fürchte er die Kon-trollen von Verkehrspolizisten, die behaupten, er sei über eine rote Ampel gefahren, auch wenn es keine Ampeln gibt. Die Korruption geht einher mit Armut. Die Wirtschaftsleistung pro Kopf liegt bei 3.900 Euro im Jahr, das ist weniger als ein Zehntel der deutschen Wirtschaftsleistung pro Kopf. An-drej sagt: „In diesem Land ist nur Geld wichtig, du kannst niemandem trauen.“

Es ist Mittag geworden auf der Barrikade. Ab und zu schlüpfen Menschen daran vorbei und ge-hen einkaufen. Sie tragen später Plastiktüten an der Barrikade vorbei und schauen Andrej nicht in die Augen. Eine Zeitlang hatte er auch den Fuß-weg zum Baumarkt blockiert, aber dann sah er, wie Menschen versuchten, über den Zaun zu klettern. Von innen sieht der Baumarkt aus wie ein Obi oder

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Hornbach. Nur die vielen Sicherheitsleute erinnern daran, dass man sich in der Ukraine befindet. Wir hatten darum gebeten, den Chef des blockierten Marktes zu sprechen, aber der Pressesprecher der Firma sagte, dass das nicht möglich sei. Treffen dür-fen wir stattdessen Irina Zinko, die einen anderen Epizentrum-Baumarkt in Lemberg führt, eine ele-gante Frau mit Lipgloss und einer funkelnden Ket-te aus Rotgold und Diamanten. „Nicht echt“, sagt Zinko.

Sie beginnt das Interview mit einem Verweis auf die Bibel und sagt: „Wenn du Gutes tust, er-warte nicht, dass die Leute dich preisen.“ Dann sagt sie, die Firma sei nicht politisch involviert, sie wisse auch nicht, warum alle sagen, sie gehöre zu Januk-owitsch. Sie könne nur sagen, wie viel Gutes diese Firma tue. Sie finanziere den Angestellten Urlaub in der Türkei, und sie unterstütze die ukrainische Nationalmannschaft der Gewichtheber.

Welche Verbindung hat das Epizentrum zu Ja-nukowitsch, Frau Zinko?

„Ich will nicht darüber reden.“ Was ist Ihre eigene Meinung zu den Protesten?

„Ich will keine Erklärung über Politik abgeben. Wir wollen, dass die Bürger die besten Materialien zum Bauen haben.“

Dann bittet Irina Zinko zu einer Führung durch ihren Baumarkt. Der Markt misst 28.000 Quadratmeter, er ist größer als ein Eishockeystadi-on. Zinko sagt, es arbeiteten 28 Putzfrauen ständig daran, den Markt sauber zu halten.

Über Andrej und seine Freunde sagt sie, das seien junge Leute, die nicht wüssten, was sie tun. Von der glattgewienerten, warmen Welt im Innern des Epizentrums aus betrachtet wirkt die Barrikade wie eine Müllhalde, und Andrej und seine Freunde erscheinen wie ein Haufen rußverschmierter He-ckenpenner. Andrej, der Junge vom Bau, hat Kern-physik studiert. Er bekam dafür ein Stipendium

der Universität, sagt er, weil seine Noten so gut waren. Nach seinem Abschluss an der Universität vermittelte einer seiner Professoren ihm den ersten Arbeitsplatz. Er arbeitete ein Jahr im Management einer Elektronikfirma und versuchte dann, eine eigene Firma zu gründen, die Waren aus China importiert. Er beauftragte einen Händler damit, Waren zu kaufen. Der Händler betrog ihn, und weil Andrej die Polizei als eine Bande Verbrecher erlebt hatte, zeigte er den Händler nie an. Er er-öffnete einen kleinen Lebensmittelladen vor dem Haus seiner Eltern, aber er ging fast pleite, weil ständig Kontrolleure vom Staat vorbeikamen, die Schmiergeld haben wollten. Nun arbeitet er mit seinem Bruder zusammen als Handwerker. Andrej hat die Ukraine nie verlassen und nie das Schwar-ze Meer gesehen. Eine Arbeit als Physiker findet er nicht, weil er dafür, so sagt er, Geld brauchte oder Kontakte. Wäre er in Deutschland geboren, würde er wahrscheinlich Karohemden tragen, Audi fahren und für die erste Eigentumswohnung sparen. Aber Andrej ist Ukrainer, 28 Jahre alt, fürchtet sich, sei-nen Nachnamen zu nennen, und wohnt in seinem Kinderzimmer im Haus seiner Eltern.

Er trinke nur dreimal im Jahr Alkohol, sagt er. „Nachladen“ nennt er das. Er müsse alle paar Monate sein Gehirn ausschalten, sonst würde er durchdrehen.

Andrej erzählt seine Geschichte im Innern der Barrikade vor der Öltonne. Zuvor hat er versucht, mit einer Axt das Eis aufzubrechen, das wie Beton auf diesem Land liegt. Sein Freund Oleg, einer der Demonstranten, kommt angelaufen und sagt: „Sie werden angreifen.“ Jemand habe ihn gewarnt, dass die Sicherheitsleute die Barrikade an diesem Tag zerstören wollen. Andrej zieht sein Telefon aus der Tasche und ruft nacheinander seine Freunde an. Er sagt bei jedem Telefonat ungefähr den gleichen Text: „Du hast gesagt, dass ich mich melden soll,

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wenn was ist. Alle haben uns aufgegeben. Du hast gesagt, du würdest kämpfen. Wir versuchen, unsere Kämpfer zu sammeln. Wenn du kommen kannst, komm.“

Nach und nach treffen junge Männer bei der Barrikade ein. Andrej begrüßt sie mit den Worten:

„Ruhm der Ukraine“, und die Männer antworten: „Ruhm den Helden“. Es ist der Gruß der Ukra-inischen Aufstandsarmee, Kämpfer, die mit der Wehrmacht kollaborierten und später als Partisa-nen gegen die Deutschen und gegen die Rote Ar-mee kämpften. Andrejs Großvater war einer dieser Partisanen. Die Sowjets nahmen ihn gefangen und deportierten ihn nach Sibirien.

Andrej steht vor der Barrikade wie ein General und haut seine Fäuste abwechselnd in die Handflä-chen seiner Lederhandschuhe. Als es keiner seiner Freunde hört, sagt er, dass er nie Gewalt gegen die Sicherheitsleute des Epizentrums anwenden wür-de. Das seien seine ukrainischen Brüder. Wenn sie wirklich angreifen, werde er danebenstehen und zuschauen.

Oleg bekommt alle paar Minuten einen An-ruf von einem Menschen, der ihm sagt, dass die Lemberger Opposition auseinanderfalle. Angeblich habe ein Anführer der Protestbewegung gesagt, dass Andrej und seine Freunde zu radikal seien. Andrej steht zwischen den eintreffenden Menschen und Nachrichten wie in einem Haufen Scherben.

Dieser Protest folgt keinem Plan. Es kann je-derzeit alles passieren. Die Bewegung kann erlah-men oder eskalieren.

Es gibt auf dem Maidan nicht die Oppositi-on, sondern Dutzende verschiedener Gruppen und vermutlich ebenso viele Männer, die von sich sa-gen, sie seien der Chef. Sie haben das gemeinsame Ziel, Janukowitsch zu stürzen, aber damit endet die Gemeinsamkeit. Es gibt Anarchisten, Kommunis-ten, es gibt die Anhänger von Julija Timoschenko

und die nationalistische Swoboda-Partei, die gute Kontakte zur NPD pflegt, es gibt einen Boxer, es gibt Hooligans des FK Dynamo Kiew, eine Neona-zi-Gruppe mit dem Namen „Weißer Hammer“, es gibt die Geschäftsleute aus Odessa, die mehr Wett-bewerb wollen, und ein Bataillon von Veteranen des sowjetischen Afghanistan-Krieges.

Anarchie hat Tradition in der Ukraine. 1917 schuf der Bauernsohn Nestor Machno dort eine anarchistische Volksbewegung. Die Rote Armee zerschlug die Bewegung später und jagte Machno aus dem Land.

In Lemberg stürmten Demonstranten im Janu-ar den Sitz des Regionalgouverneurs und zwangen ihn, eine Rücktrittserklärung zu unterschreiben. Im Moment weiß niemand so genau, wer im besetz-ten Regierungsgebäude das Kommando hat. Der Bürgermeister von Lemberg jedenfalls schloss sich den Demonstranten an. Manche Lemberger sagen, ein ehemaliger Angestellter der ukrainischen Eisen-bahn sei der wirkliche Chef, andere sagen: „Ich bin der Chef.“

Ein ukrainisches Sprichwort aus der Tradition der Kosaken lautet: Hast du zwei Ukrainer, hast du drei Anführer.

Wenn Andrej einen Satz über einen Politiker sagt, beginnt er mit den Worten: „Ich will nichts Schlechtes über ihn sagen, aber ...“ Andrej traut keinem der Politiker auf dem Maidan. Wenn man ihn fragt, was er von Vitali Klitschko halte, sagt er, Klitschko sei ein guter Boxer.

Andrej hat keine Antwort auf die Frage, wie dieses Land regiert werden soll, er weiß nur, dass es nicht so regiert werden soll wie im Moment und dass er Russland fernbleiben will. Er weiß aller-dings auch, dass im Osten der Ukraine Millionen Russen leben und auch Millionen Ukrainer, die als Muttersprache Russisch sprechen. Und er weiß, dass es dort Städte gibt, in denen kaum jemand

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gegen Janukowitsch demonstriert und sich viele Menschen wünschen, endlich ans russische Reich angeschlossen zu werden. Die Ukraine liegt geteilt in Ost und West wie auf zwei tektonischen Platten.

Andrej sagt, es gehe um die Ukraine und nicht um Europa. Kiew liegt weniger als zwei Flugstun-den von München entfernt, aber es dürfte schwer werden, sich mit der Mehrheit der Ukrainer auf Werte zu einigen, die in München gelten. Die Ras-sisten vom „Weißen Hammer“ halten nicht viel von bunten Kulturen, Muslimen und dunkelhäutigen Parlamentsabgeordneten. In den Tagen, die wir in der Ukraine verbrachten, haben wir nicht einen Menschen getroffen, der Homosexuelle gut findet. Unser Übersetzer sagte einmal beim Abendessen:

„Wir sind einfach sehr traditionell. Wir wollen nicht, dass die ihre Paraden in unseren Städten machen.“ Es klingt wie ein Satz, den Wladimir Putin sagen könnte.

„Wir haben viel geopfert. Wir haben nichts mehr übrig.“

Einer der Männer, der angab, er sei der Chef der Lemberger Protestbewegung, sagte: „Wir wol-len die Wirtschaft aus der EU, aber nicht die Werte.“

Am Freitagmorgen stürmen die Mitarbeiter des Epizentrums die Barrikaden. Es sind vielleicht hundert Leute, die aus dem Eingang des Baumarkts strömen und über den Parkplatz laufen. Sie tragen Schilder in den Händen, auf denen steht: „Gebt den Kunden die Wahl“ oder „Die Arbeiter des Epi-zentrums sind gegen Gewalt“. Jemand vom Epizen-trum hat die lokalen Fernsehsender informiert, und so filmen vier Kameraleute, wie die Angestellten über die Barrikaden herfallen. Andrej schaut den Menschen entgegen. Seine Lippe zittert.

Die Menschen bauen sich vor Andrej und sei-nen vier Freunden auf. Sie schreien, aber niemand

fasst die Barrikade an. Eine der Angestellten brüllt Andrej ins Gesicht: „Wir kriegen kein Geld mehr, wenn die Barrikaden bleiben. Wir kriegen kein Geld mehr.“ Eine Angestellte gibt den Journalisten ein Interview und sagt, sie habe Andrej und seine Freunde beobachtet und gesehen, wie sie Alkohol aus Flaschen getrunken hätten, und dass das ar-beitslose Menschen seien, die für diese Blockade bezahlt würden.

Kameraleute halten Andrej ihre Objektive ins Gesicht. Er sagt: „Wir sind nicht korrupt.“ Und als die Kameras weg sind, sagt er leise: „Wir haben viel geopfert. Wir haben nichts mehr übrig.“

Als die Demonstranten zurück in den Bau-markt gehen und die Barrikade noch steht, fragt Andrej, ob wir ihn nach Hause begleiten wollen. Er stellt uns seiner Mutter vor und seiner Großmut-ter Marija, der er die Barrikade verschweigt, weil sie Probleme mit dem Blutdruck hat. Andrej bit-tet seine Mutter, für uns, die Besucher aus Europa, Borschtsch zu kochen und Wareniki, Teigtaschen mit Kartoffelfüllung. Er zeigt uns seinen Deutschen Schäferhund Rudolph und sein Zimmer, auf des-sen Bett eine Decke mit Wolfsmotiv liegt, unter der Andrej von einem besseren Leben träumt. Auf dem Schrank in seinem Schlafzimmer liegt eine Gasmas-ke, zum Schutz vor dem Tränengas des Staats.

Andrej sagt: „Wir sind nicht da, um etwas in Lemberg zu ändern. Wir wollen das Land verändern.“

Andrej geht es nicht um den Baumarkt oder ein Assoziierungsabkommen mit der EU. Aber es geht ihm darum, so leben zu dürfen wie ein EU-Bürger. Er will für sich selbst sorgen können, er will mit dem Auto fahren dürfen, ohne Furcht, Schmiergeld zahlen zu müssen. Er will in einem Land leben, in dem ein Mann als Physiker arbei-ten darf, wenn er Physik studiert hat. Er träumt von etwas Einfachem. Diese Einfachheit gibt den

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Protesten in der Ukraine ihre Kraft. Der Protest hat nicht nur ein Epizentrum, nicht das in Lemberg und nicht den Maidan in Kiew. Es gibt viele klei-ne Epizentren in den Leben der Menschen, die den gleichen Traum haben wie Andrej. Sie finden, das Volk müsse aufwachen, und dafür müssen manche Menschen Opfer bringen, auf ihr Gehalt verzich-ten, kämpfen, frieren. Revolutionen werden nicht durch fünf Mann gewonnen.

Die Blockade ist nur ein Symbol. Dieser Satz ist falsch. Die Blockade ist ein Symbol. Vielleicht wird man Andrej und seine Freunde irgendwann Helden nennen.

Am Freitagabend taut es in Lemberg. Das Eis auf der Barrikade schmilzt, und in der Nähe der heißen Öltonne bildet sich ein kleiner Bach, der die Straße entlanggurgelt. Alles fließt.

An diesem Tag bekommt einer von Andrejs Freunden einen Anruf aus der Stadt Stryj, die 70 Kilometer von Lemberg entfernt liegt. Der Anrufer sagt, er wolle seine Solidarität bekunden, und dass er und seine Freunde anfangen werden, den Bau-markt des Epizentrums in Stryj zu blockieren. An diesem milden Freitag wirkt es so, als hätten Andrej und seine Freunde gewonnen. Er sagt: „Wir haben Angst, aber wir wollen keine Angst mehr haben, deswegen sind wir hier.“

Am Samstag rücken Sicherheitsleute mit einem Traktor an und zerstören die Barrikade vor dem Epizentrum in Lemberg.

Ein paar Tage später stürmen Unbekannte in der Stadt die Polizeikaserne und die Büros der Staatssicherheit und des Generalstaatsanwalts. Poli- zisten laufen zu den Aufständischen über. Das Stadtparlament erklärt seine Unabhängigkeit von Kiew. Andrej und seine Freunde sammeln ihre Ausrüstung zusammen, Schienbeinschoner, Metall-schilde, damit sie sich notfalls gegen das Regime wehren können.

Für kurze Zeit waren sie auch im Besitz eines Transportpanzers, den sie aus der gestürmten Ka-serne geklaut hatten, aber andere Kämpfer nahmen ihnen den Panzer wieder weg. Andrej wird seine Gasmaske vom Schrank in seinem Schlafzimmer nehmen. Er will nach Kiew reisen.

Der Spiegel, 24.02.2014

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Axt und Feder | Das Metall des Krieges | Das Modell von Érpatak

radioreportage

Ernst von WaldenfelsMario BandiKeno Verseck

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DIRK AUERFreier Hörfunkkorrespondent, Belgrad, preisträger n-ost-reportagepreis 2012

ANNETT müLLERFreie radio- und onlinejournalistin, Leipzig/Bukarest

KATRIN RöNIcKEBloggerin und podcasterin, Wostkinder/erscheinungsraum ost

THILO ScHmIDTFreier Journalist, Lehrbeauftragter für Kulturjournalismus an der UdK, Berlin

HENDRIK SITTIGreferent der programmdirektion, rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb)

radioreportage Vorjury

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radioreportage jury

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mARc LEHmANNredakteur und autor, schwei-zer radio & Fernsehen srF

RAINER ScHWOcHOWFreier autor und Hörfunk-produzent

SILKE ENGELKorrespondentin im arD-Hauptstadtstudio, rbb

mARION czOGALLAFreie Hörspielregisseurin

UWE LEUScHNERVice president Business Development region east, DB schenker rail ag

jAKOB PREUSS Dokumentarfilmer

mARIANNE WENDT Freie autorin und regisseurin für Theater, Hörfunk und Film

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Der aserbaidschanische schriftsteller akram aylisli schreibt in seiner Novelle „steinträume“ über pogrome gegen die armenier, schil-dert unermesslichen Hass und gewalt auf beiden seiten. sein anlie-

gen war ein neuer Dialog zwischen aserbaidschanern und armeniern, doch er erntet nur noch mehr Hass: Von einem tag auf den anderen brennen seine Bücher, Morddrohungen verfolgen den einst hoch de-

korierten Literaten und seine Familie. Weil der bedeutendste schrift-steller aserbaidschans an einem tabu rührt, das die nationale iden-tität seiner Heimat begründet, wird er als Verräter und Volksfeind

für immer verstoßen. „axt und Feder“ zeichnet diese unbeschreibliche Hetzjagd nach, nimmt die Hörer mit zwischen die Fronten des

bis heute befeuerten Konflikts. Die reportage überzeugt durch lyrisch-leise töne, die ernst von Waldenfels dem übermächtigen terror-regime simpel entgegenstellt.

silke engel, Korrespondentin im arD-Hauptstadtstudio, rbb

radIoreportagepreIStrÄger

AXT UND FEDERVoN erNst VoN WaLDeNFeLs

DLF, 02.12.2014 | 43:46

Das Feature können Sie sich anhören unter

www.n-ost.org/radio_2015

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erNst VoN WaLDeNFeLsernst von Waldenfels (*1963) ist in Jülich in Nordrhein-Westfalen geboren. Nach dem studium der sinologie und

russistik war er ab 1992 immer wieder für längere Zeit in russland. später wohnte er sieben Jahre in Ulan-Bator

in der Mongolei. seit 1996 arbeitet ernst von Waldenfels als freier Journalist hauptsächlich für den Hörfunk mit

schwerpunkt osteuropa und Zeitgeschichte. er hat zwei Biografien veröffentlicht – über den deutschen Doppelagen-

ten richard Krebs und über den russischen Maler und okkultisten Nikolai roerich. ernst von Waldenfels wohnt

mittlerweile im odenwald in der Nähe von Heidelberg und veranstaltet im sommer Kanutouren in der Mongolei

und in sibirien.

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DAS mETALL DES KRIEGES ODER 100 BRIEFE AUS PLESKAU

VoN Mario BaNDi DLF, 12.09.2014 | 49:14

„Willkommen am arsch der Welt“ begrüßte 1941 ein schild die Wehrmacht bei pleskau (pskow) im heutigen Westrussland. solche

Details, die abwechslungsreichen Blickwinkel und die stilsicher verwobe-nen erzählebenen machen die reportage von Mario Bandi erfrischend leb-haft. russische erinnerungskultur in Form von Knochen- und Metallsuche als patriotische Freiluftaktivität durch dilettantische Freizeitsuchtrupps

– darüber schüttelt der Hörer genauso den Kopf wie über die Bauprojekte vor ort: Das Verteidigungsministerium will auf den Massengräbern für sowjetische Kriegsgefangene an der stelle eines ehemaligen deutschen

Lagers Wohnhäuser für die streitkräfte erbauen. Die nüchtern verlesenen Briefe eines österreichischen Unteroffiziers an seine Frau schildern den

Lageralltag aus Wächtersicht auf verstörend persönliche Weise. in seiner erzählart und mit seinen protagonisten – einem differenzierten russi-

schen Hobbyhistoriker und einer 97-jährigen deutschen Zeitzeugin – gibt „Das Metall des Krieges“ einen vielschichtigen einblick

in Vergangenheit und gegenwart zugleich.

Jakob preuss, Dokumentarfilmer

radIoreportagenomInIerter

Das Feature können Sie sich anhören unter

www.n-ost.org/radio_2015

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Mario BaNDiMario Bandi (*1963) ist russe mit mongolischen Wurzeln, aufgewachsen in perm und Ulan-Bator. er studierte The-

aterregie am st. petersburger Konservatorium. Nach einigen Jahren regiearbeit in den operntheatern von Moskau,

Jekaterinburg, Jakutsk und Dresden arbeitet er seit 1999 in Berlin als freier Journalist, regisseur und Feature-

autor für den Hörfunk. Vor zwei Jahren hat er außerdem das russischsprachige internetmagazin LiveBerlin.ru

mitbegründet.

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radIoreportagenomInIerter

DAS mODELL VON ÉRPATAKWie ein rechtsextremer Bürgermeister

Ungarn verändertVoN KeNo VerseCK

sWr2, 19.03.2014 | 54:32

Manchmal braucht es gar nicht viel, um sich mit einem Mal in der tyrannei wiederzufinden – das schildert auf eindrückliche Weise Keno

Versecks reportage über das ungarische Dorf Érpatak. ein rechtsextre-mer gewinnt die Wahl zum Bürgermeister, weil die zerstrittene demo-

kratische opposition zu wenig stimmen bekommt. Der albtraum beginnt. Um ordnung, gemeinschaftssinn und nationale Brauchtumspflege zu fördern, errichtet Mihály Zoltán orosz ein system der schikane und

Unterdrückung: Zwangsarbeit für sozialhilfeempfänger, gängelei gegen roma. allein ein mutiger anwalt im Dorf wagt es, sich für die

schwachen und Drangsalierten einzusetzen. eine beklem- mende, eindrucksvolle geschichte darüber, wie leicht eine

freiheitliche grundordnung abgewählt werden kann.

Marion Czogalla,

Künstlerische Mitarbeiterin am Lehrstuhl

experimentelles radio, Bauhaus-Universität Weimar

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Das Feature können Sie sich anhören unter

www.n-ost.org/radio_2015

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KeNo VerseCKKeno Verseck (* 1967) wuchs in rostock in der DDr auf und reiste 1984 in die BrD aus. auf das abitur folgte 1987

der Zivildienst, dann Jobs als Lagerarbeiter, altenpfleger und Lokalreporter. Wegen einreiseverbotes in die DDr

musste er sich bis 1989 mit Freunden in Ungarn treffen und kam dort mit der antikommunistischen opposition in

Kontakt. seit 1991 berichtet er als Journalist über osteuropa, zuerst mit Wohnsitz in Ungarn, später rumänien.

Das Foto zeigt Keno Verseck bei seinen recherchen in Érpatak, zusammen mit einer arbeiterin des kommunalen

Beschäftigungsprogrammes.

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Der weiße Tod | Ein Gauner im Himmel | Podlachien – Alle mal herkommen

Fotoreportage Audioslideshow

Florian BachmeierDmitrij Leltschuk

Tomasz Tomaszewski

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mIcHAEL BIEDOWIczBildredaktion, Zeitmagazin

KIRILL GOLOVcHENKOFotograf

BARBARA STAUSSBildchefin, Mare

mIcHAEL HAURIMultimedia-produzent, 2470media

LARS BAUERNScHmITTprofessor für Fotojournalismus und Dokumentarfotografie an der Hochschule Hannover

ANTjE BERGHäUSERLeitung Bildredaktion, Cicero

Fotoreportage audioslideshow

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ern-ost RepoRtagepReis 2015 • Foto

PETRA ScHROTTBildredakteurin, taz

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Die Fotoreportage zeigt die rückkehr einer überwunden geglaubten Krankheit mit dem Namen tuberkulose. Die seuche tritt da auf, wo Not

und armut herrschen, nirgendwo in europa ist sie weiter verbreitet als in der republik Moldau. Florian Bachmeier hat mit seiner Kamera die opfer der Krankheit begleitet, ihr Leben und sterben in schwarz-Weiß-Bildern

eingefangen. er hat das gemacht, was ein Fotograf und reporter tun muss: Hingehen und festhalten was er sieht – auch wenn es weh tut –, das hat die Dokumentarfotografie stark und unverzichtbar gemacht. Zur großen

fotografischen Leistung muss jedoch eine weitere Kategorie hinzukommen: die empathie. empathie lässt uns fühlen, was der andere fühlt, und das

Mitleiden bringt uns dazu, dass wir dem anderen helfen wollen. Das ist Florian Bachmeier zweifellos gelungen.

Michael Biedowicz, Bildchef beim Zeitmagazin

FotoreportagepreIStrÄger

n-ost RepoRtagepReis 2015 • Foto

DER WEISSE TODtuberkulose in Moldau

VoN FLoriaN BaCHMeier proFiL, 24.03.2014

Florian Bachmeiers Fotoreportage wurde unter dem titel „Keimbahnreise“ in profil veröffentlicht. eine größere auswahl von Bildern erschien 2014 im Fotobuch „Der weiße tod. tuberkulose in Moldawien“ (Fotos: Florian Bachmeier / text: timo Ulrichs; in Zusammenarbeit mit dem Koch-Mentschikow-Forum)

Die Bildstrecke können Sie sich ansehen unter

www.ostpol.de

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FLoriaN BaCHMeier

aufgewachsen im oberbayerischen schliersee, zog Florian Bachmeier (*1974) direkt nach der Verleihung des

abiturzeugnisses in sein sehnsuchtsland, nach spanien. er studierte Fotografie an der escuela de artes y ofi-

cios in pamplona und unternahm erste lange reisen, vor allem nach afrika und osteuropa. Um geld zu ver-

dienen arbeitete er immer mal wieder als Fotoassistent und erledigte kleinere auftragsarbeiten. 2004 zog er

zurück nach Deutschland und studierte geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. seit-

dem arbeitet er als freier Fotograf, derzeit unter anderem an einem langfristig angelegten Fotoprojekt über die

Länder rund um das schwarze Meer.

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Leonid ist HiV-positiv, drogensüchtig und hat tuberkulose. im gefängnis in Moldaus Hauptstadt Chisinau wird er derzeit regel-mäßig behandelt – nach seiner entlassung jedoch vermutlich nicht mehr. etwa ein Drit-tel der Weltbevölkerung ist mit dem erreger infiziert, jedoch nur bei etwa zehn prozent kommt es zu einer aktiven tuberkulose. armut fördert ausbruch und Verbreitung von tuberkulose, die weltweit wieder auf dem Vormarsch ist: 1,3 Millionen Menschen sterben jährlich an der Krankheit.

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Mangelernährung, alkoholmiss-brauch und schlechte hygienische Bedingungen schwächen das immun-system und begünstigen damit den ausbruch von tuberkulose. Das ist besonders ein problem für die Ärms-ten der städtischen Bevölkerung, zum Beispiel in Balti, 130 Kilometer nördlich der Hauptstadt Chisinau. Jewgenia und ihr partner leben dort in einer „Kommunalka“, einer art Wohngemeinschaft. Beide haben tuberkulose, sind alkoholabhängig und HiV-infiziert. Balti hat die höchste tuberkulose- und HiV-rate im ganzen Land, um die 900 Fälle bei 140.000 einwohnern. in den letzten Jahren ist die infektionsrate wieder stetig gestiegen.

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großwaschtag in der Wäscherei des Krankenhauses in der Hauptstadt Chisinau. Laken, Verbände, Handtücher – alles muss gründlich desinfiziert werden. es gibt nicht genügend Bettwäsche, die meisten patienten bringen sie von zu Hause mit, falls sie welche besitzen.

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ion ist 32 Jahre alt. seine Frau hat ihn ins Krankenhaus in Chisinau eingeliefert, als sein Zustand schon sehr kritisch war. Wahr-scheinlich kommt für ihn jede Hilfe zu spät. Die infektion betrifft meist vor allem die Lunge, kann aber auch auf andere organe übergreifen. Wegen der bleichen Hautfarbe der patienten wird die Krankheit auch der „weiße tod“ genannt. Unbehandelt führt sie in der regel innerhalb von zwei bis fünf Jahren zum tod.

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HiV-infektion, Drogenmissbrauch und tuberkulose: eine tödliche Mischung, die in Balti besonders häufig scheint. auch wenn der Missbrauch harter Drogen in den vergangenen Jahren etwas abgeflaut ist, gibt es immer noch eine große anzahl an heroin-abhängigen Menschen, wie diese Frau, die etwa 30 Jahre alt ist.

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EIN GAUNER Im HImmELVoN DMitriJ LeLtsCHUK

Free Men’s World, 09/2014

in einer kleinen Holzhütte auf einer 40 Meter hohen Felsnadel im Kleinen Kaukasus findet ein georgischer Dieb, trinker und Häftling seit über 20 Jahren seinen Weg in die spiritualität. Die Landschaft

wild, der Fels rau, darauf das Haus, darüber der Himmel – ein selbstge-wählter ort der Buße und gleichzeitig Metapher: dem Himmel näher,

dem irdischen ferner. Dmitrij Leltschuk gelingt es in seiner arbeit, religiosität spürbar zu machen. in poetischen, erzählerischen Bildern

zeichnet er ein eindringliches, emotionales porträt des Mönchs und einsiedlers Maxime Kavtaradze. „gauner im Himmel“ erzählt

eine geschichte, von der man nicht glaubt, dass es sie gibt.

antje Berghäuser,

Leitung Bildredaktion beim Cicero

Fotoreportage nomInIerter

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DMitriJ LeLtsCHUK

Dmitrij Leltschuk (*1975) ist in Minsk in Belarus geboren, wo er vor seinem Umzug nach Deutschland als

freier Journalist gearbeitet hat. Lange verstand er nicht, wozu Menschen überhaupt Bilder machen, da gute

Momente sowieso in erinnerung bleiben. erst eine begabte junge Fotografin lehrte ihm den ästhetischen Wert

von Fotografie. Dmitrij Leltschuk studierte in Hamburg Medientechnik mit dem schwerpunkt audiovisuelle

Medien. seit 2007 arbeitet er als freier Fotograf für Zeitschriften wie Mare, geo und Der spiegel. Besonders

gern fotografiert er längere reportagen. er hat den Bildband „Die sandmenschen von schoina“ veröffentlicht

und war Kameramann beim Dokumentarfilm „elegy for a Lighthouse“. seine Werke wurden außerdem in inter-

nationalen ausstellungen in der schweiz, Deutschland, Belarus und russland gezeigt.

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auf dem Felsen in die Freiheit: seit mehr als 20 Jahren lebt der einstige sträfling Maxime Kavtaradze auf einer Felsnadel. sie liegt bei tschiatura, etwa 180 Kilometer südwestlich der Hauptstadt tiflis.

Die Männer kommen aus ganz georgien, um den Worten von Vater Maxime zu lauschen. Brüchige sprossen führen vierzig Meter hoch auf den Felsen.

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einst war Maxime Kavtaradze ein Dieb, er stahl Juwelen und ikonen. Dann fand er zu gott, kletterte auf den Felsen und begann ein neues Leben als selbsternannter Mönch.

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PODLAcHIEN – ALLE mAL HERKOmmENVoN toMasZ toMasZeWsKi

geo saison, 08/2014

Betrachten wir das muntere treiben auf den Fotografien von tomasz tomaszewski, müssen wir unweigerlich schmunzeln. Kaum zu glauben, dass diese pittoresk-humorigen szenen Wirklichkeit sind. Wo liegt diese gegend namens podlachien? im nordöstlichen teil polens, der heute die außengrenze der eU zu Belarus und zur russischen exklave Kaliningrad

bildet. tomaszewski zeigt uns die dortige Landschaft, sümpfe, Wiesen und Dörfer mit windschiefen Holzhäusern und ihre eigenwilligen Bewohner.

Man wäre als Betrachter gerne dazu eingeladen, dort und mit den protago-nisten zu verweilen. Denn für mich sehen sie so aus, als würden sie

das Leben zu nehmen verstehen. Wo sonst würde eine barfüßige großmutter ihren enkel und eine junge Frau mit pferdekopf

aus pappmaschee auf einem klapprigen Holzwagen durchs Dorf kutschieren? so will ich dem romantischen

Bild gerne glauben schenken.

Barbara stauss, Bildchefin bei Mare

Fotoreportage nomInIerter

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toMasZ toMasZeWsKi tomasz tomaszewski (*1953) ist in Warschau geboren, wo er an der akademie der Bildenden Künste studierte.

seine Fotos sind in internationalen Zeitungen und Magazinen wie stern, geo, time, National geographic und

New York times erschienen. er beschäftigt sich gerne eingehend und lange mit seinen Themen und Motiven

und hat bereits mehrere Fotobände herausgegeben, darunter „The Last Jews of poland“. seine mehrfach aus-

gezeichneten arbeiten präsentierte er auf internationalen ausstellungen – unter anderem in den Usa, israel,

Deutschland, indonesien und peru.

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Während seiner reportage hat der Fotograf tomasz tomaszewski die eigenwilligen Bewohner podlachiens ins Herz geschlossen: zum Beispiel den Maler und Kunstprofessor Leon tarasewicz (o. li.), der mit großer Leidenschaft seltene Hühnerrassen sammelt. oder Krzysztof Kawenczynski (o. re.), den alle nur den „König von Biebrza“ nennen. Der einsiedler kennt sich wie kein anderer in den sümpfen podlachiens aus und besitzt eine große auswahl an blechernen teekesseln.

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recherchepreis osteuropa

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ARBEITSmIGRANTEN IN mOSKAUiNNa HartWiCH

recherchepreIS oSteuropa 2015

n-ost RepoRtagepReis 2015 • ReCHeRCHepReis osteURopa

Bereits zum zweiten Mal wird der Recherche-preis Osteuropa vergeben: n-ost ist Partner dieses Stipendiums von Renovabis und Brot für die Welt. Der Preis ermöglicht jährlich die  Produktion ei-ner rechercheaufwändigen Reportage  für deutsch-sprachige Printmedien. Er ist mit  bis zu 7.000 Euro dotiert.

Der Recherchepreis Osteuropa 2015 geht an Inna Hartwich. Sie wird in Moskau und Du-schanbe über Arbeitsmigranten aus Tadschikistan recherchieren.

„Meine Recherche soll die Wege tadschikischer Ar-beitsmigranten nachzeichnen und zeigen, welche Ab-hängigkeiten seit dem Zusammenbruch der Sowjetuni-on entstanden sind. (...) Ich begleite eine tadschikische Familie, von der der Großteil zum Geldverdienen nach Russland fährt und nur wenige in Tadschikistan bleiben oder nach anderen Quellen suchen, mittlerweile auch in China. Dadurch zeigt sich ebenfalls, wie die beiden Giganten Russland und China um die Billiglohnskla-ven an den Rändern ihrer Einflusszone buhlen.“

Preisträgerin des Recherchepreis Osteuropa 2014 war Astrid Viciano. Sie recherchierte über Waisenkinder in Rumänien, eine gekürzte Version ihrer Reportage lesen Sie auf den folgenden Seiten.

• Hanno Gundert, Geschäftsführer n-ost, Netz-werk für Osteuropa-Berichterstattung• Burkhard Haneke, Leiter der Abteilung Kom-

munikation und Kooperation von Renovabis• Kerstin Holm, Feuilleton-Redakteurin, Frank-

furter Allgemeine Zeitung, ehemalige Kulturkorres-pondentin in Moskau• Svenja Koch, Leiterin Stabsreferat Medien, Brot

für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst• Jens Wiegmann, Redakteur, Ressort Außenpo-

litik, WeltN24

www.n-ost.org/recherchepreis_osteuropa

REcHERcHEPREIS OSTEUROPA DIE jURy 2015

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astrid Vicianogewinnerin recherchepreis osteuropa 2014

aufgewachsen ist astrid Viciano (*1973) in Niedersachsen, die sommer ihrer Kindheit verbrachte sie bei der Ver-

wandtschaft in Nordspanien. sie studierte Medizin in Deutschland, spanien und Frankreich, danach absolvierte

sie einen Master of specialized Journalism in Los angeles. Bevor sie mit ihrer Familie nach paris umzog war sie

redakteurin bei Focus, Die Zeit und stern. in rumänien faszinierte sie das engagement einzelner Menschen für die

rumänischen Waisenkinder. auch die psychische entwicklung der Kinder war so beeindruckend für sie, dass sie bald

zwei schweizer Filmproduzenten bei einem Dokumentarfilm zum Thema wissenschaftlich beraten wird.

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L uminita Balan versteht nicht, warum sie wie-der von früher erzählen soll. Von jener Zeit, als sie noch mit den Händen aß, als sie an einem

Holztisch sitzen musste, sechs bis sieben Stunden pro Tag. Und ständig mit ihrem Oberkörper vor und zurück wippte. „Damals gab es keine schönen Momente“, sagt die 36-Jährige heute. Früher, in ihrer Kindheit, im neuropsychiatrischen Kranken-haus von Siret, im Norden Rumäniens.

Luminita spricht mit gepresster Stimme und kneift ihre Augen zusammen, als sie von ihren Er-lebnissen berichtet. „Wir sollten einfach nur still sein“, erzählt die stämmige junge Frau. Mal genüg-ten die Schläge einer Erzieherin, um sie ruhig zu stellen, mal erhielt sie auch Schlaftabletten. Lumi-nita Balan gehörte zu den unerwünschten Kindern Rumäniens. Von ihren Eltern verlassen, verwahrte der Staat die Mädchen und Jungen damals in Wai-senhäusern oder auch in Krankenhäusern, wie je-nem in Siret.

Was aber macht es mit einem Menschen, wenn jegliche Zuwendung fehlt? Wie prägt eine frühe Vernachlässigung das Leben eines Kindes? Um das herauszufinden, sehen sich Wissenschaftler die

NAcH DER STILLEvon astrid VicianoLuminita, alexandru und Catalin: Drei Leben, die allesamt in den staatlichen einrichtungen rumäniens begannen, deren schicksal sich jedoch unterschiedlich gestaltete.

Geschichten von Waisenkindern an, wie jene von Luminita aus Siret. Oder die Geschichte von Ale-xandru, der bald Architektur studieren möchte. Oder die Geschichte von Catalin, der aus einem Waisenhaus davon lief – nicht ahnend, welches Elend ihn erwartete. Drei Menschenleben, die alle-samt in den staatlichen Einrichtungen Rumäniens begannen, deren Schicksal sich jedoch unterschied-lich gestaltete.

Luminita sitzt in blauer Fleecejacke und Jog-ginghose auf dem Bauernhof der Hilfsorganisation O Noua Vita vor einem Berg Kartoffeln, trennt die großen von den kleinen. Dann füttert sie die Hühner. Das sind ihre Aufgaben für den Tag. Ei-nen richtigen Beruf wird sie nicht erlernen können. Dafür kam die Hilfe der Organisation zu spät, da-für waren die Erlebnisse ihrer frühen Kindheit zu einschneidend. Luminitas Freunde haben ihr zum 36. Geburtstag einen rosa Teddybär geschenkt. „Als Kind im Krankenhaus hatte sie keine Chance, nor-mal heranzuwachsen“, sagt Tibi Rotaru, Psychologe und Direktor des heutigen Krankenhauses von Si-ret. Wenn sie ihre ersten Lebensjahre dagegen bei fürsorglichen Eltern verbracht hätte, dann würde

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sie heute ein normales Leben führen, davon ist der Psychologe überzeugt. Vielleicht hätte die junge Frau sogar erstaunliche Talente entfaltet, so wie das Waisenkind Alexandru.

Alexandru sitzt am Schreibtisch seines Kin-derzimmers und zeichnet. Mit seinen schmalen Fingern setzt er die Striche präzise an die richtigen Stellen, bis ein Bild entsteht. Er malt gern Gebäu-de, er will später einmal Architektur studieren. „Ich möchte moderne Häuser entwerfen, in denen Fa-milien leben können“, sagt der 15-Jährige mit den feinen Gesichtszügen und dunklen Haaren. Dabei hat der Teenager selbst nur über Umwege zu sei-ner eigenen Familie gefunden. Vor zwölf Jahren nahm Ioana den Jungen zu sich. Die 61-jährige Frau in grauer Bluse und Perlenohrringen möchte ihren Nachnamen lieber nicht in der Zeitung lesen. Doch sie berichtet gern darüber, dass sie Alexandru zunächst als Pflegemutter betreute und ihn inzwi-schen adoptiert hat.

Alexandru gehört zu den Probanden des welt-berühmten Bucharest Early Intervention Project (BEIP) – einer Untersuchung, die seit 14 Jahren die Lebensgeschichten rumänischer Waisenkinder do-kumentiert. Seit seinem zweiten Lebensjahr werden Alexandrus Hirnströme regelmäßig gemessen und sein Intelligenzquotient kontrolliert, sein Sozial-verhalten getestet und seine psychische Verfassung dokumentiert. Wie sich schwere Vernachlässigung im frühen Kindesalter auf die Entwicklung eines Menschen auswirkt, möchte Charles Nelson her-ausfinden, Psychologe und Neurowissenschaftler an der Harvard University und Leiter des BEIP.

Alexandru und seine Schwester wurden einst auf der Straße gefunden, neben ihrer kranken Mut-ter. Da war Alexandru ein Baby, ein paar Monate alt. Noch in den Folgejahren litt Alexandru an schwe-rer Bronchitis und Asthma, war ein schüchternes, scheues Kind. Als die Forscher ihn und die anderen

Waisenkinder das erste Mal untersuchten, war die Hirnaktivität der Kleinen stark reduziert. „Es war, als hätte jemand in ihren Gehirnen das Licht ge-dimmt“, sagt der Neurowissenschaftler Nathan Fox von der University of Maryland, Nelsons Kollege. Um das Phänomen besser zu verstehen, untersuch-ten die Forscher die Kinder im Kernspintomogra-phen, der Gehirnstrukturen sichtbar macht. Bald sahen sie, dass ihre Probanden wesentlich weniger graue und weiße Substanz besaßen als es in ihrem Alter normal ist. Dass also weniger Nervenzellen vorlagen und auch weniger Nervenzellverbindun-gen, um Signale im Gehirn weiterzuleiten.

Waren die Gehirne dieser Kinder also für im-mer verkümmert? Die Wissenschaftler wollten genau das herausfinden und hatten daher die 136 Waisenkinder ihrer Studie in zwei Gruppen aufge-teilt. Die Forscher hatten nämlich die Möglichkeit, die Hälfte der Kleinen in ausgewählten Pflegefami-lien unterzubringen. „Ohne unsere Studie wären alle Kinder im Heim geblieben“, sagt Nelson. Auf diese Weise aber konnte er mit seinen Kollegen un-tersuchen, ob die Zuwendung der Pflegefamilien die Vernachlässigung der Vergangenheit wiedergut- machen würde. Ob sich die Kinder dort besser ent-wickeln würden als jene im Waisenhaus.

Eine Frage, die nicht nur für Rumänien rele-vant ist. Schätzungen zufolge leben acht Millionen Kinder weltweit in Heimen, so ein Bericht der UNICEF. Noch gelten Kinderheime in vielen Län-dern als beste Lösung für Kinder, die nicht bei ihren leiblichen Eltern leben können. Noch wehren sich manche Gesellschaften gegen die Idee einer Ersatz-familie. „Darum ist diese Studie so wichtig“, sagt Megan Gunnar, renommierte Entwicklungspsy-chologin an der University of Minnesota in Minne-apolis. Trotz der Förderung in der Pflegefamilie sahen die Forscher, dass Alexandru und die ande-ren Waisen auch Jahre später noch ein geringeres

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Gehirnvolumen zeigten als normale Teenager glei-chen Alters. Die Aufnahme in eine Pflegefamilie bewirkte also keine Zunahme an grauer Substanz, an Hirnzellen. Wohl aber wiesen die Pflegekinder mehr weiße Substanz – Nervenfasern – auf als die im Heim verbliebenen Kinder. Und die Hirnaktivi-tät normalisierte sich. Die Heimkinder erreichten im Durchschnitt einen Intelligenzquotienten zwi-schen 60 und 70 Punkten, der von Pflegekindern liegt rund 10 Punkte höher. Das Testergebnis von Alexandru allerdings liege weit darüber, versichern die amerikanischen Wissenschaftler.

Seit der Veröffentlichung erster Studienergeb-nisse wurden die Forscher von Regierungsvertretern verschiedener Länder konsultiert. Uganda zum Beispiel hat die Resultate des BEIP verwendet, um gegen die Heimunterbringung von Kindern vorzu-gehen. In Japan möchte eine Stiftung eine eigene BEIP-Studie durchführen, um sich von den Vor-teilen einer Pflegefamilie zu überzeugen. Und in Deutschland beruft sich das Deutsche Jugendinsti-tut in seinen Berichten auf die rumänische Untersu-chung, wenn es um die Folgen eines Aufenthalts in Kinderheimen für die kindliche Entwicklung geht.

Zweimal im Jahr reist Charles Nelson, der Lei-ter des BEIP, derzeit nach Bukarest, gemeinsam mit seinen Kollegen. Diesmal sind die Wissenschaftler besonders neugierig zu sehen, wie es Alexandru und den anderen Kindern geht. Denn die Probanden sind nun zwischen 14 und 16 Jahre alt, sind in der Pubertät, und damit eröffnen sich neue, spannende Fragen: Kommen sie trotz ihres niedrigen Intelli-genzquotienten gut mit Gleichaltrigen aus? Haben sie Freunde gefunden, mit denen sie ihre Freizeit verbringen? Als Teenager sind enge Freundschaften besonders wichtig, um die eigene Persönlichkeit zu entwickeln. Ioana hat Ciorba de Perisoare ge-kocht, eine Suppe mit Gemüse und Fleischbällchen. Wie immer essen alle gemeinsam zu Mittag. Die

Adoptivmutter verteilt das Essen mit einem Schöpf-löffel, legt Alexandru die Hand auf den Unterarm, fragt ihn, ob er vielleicht noch einen Nachschlag möchte. Zu seiner Adoptivmutter würde er gehen, wenn er Probleme hätte, sagt Alexandru. Oder zu seiner Schwester. Die Geschwister teilen sich ein Zimmer, Alexandru schläft oben im Hochbett, ein Regal vollgestopft mit dicken Büchern hängt dicht unter der Zimmerdecke.

Wie wichtig die enge Bindung an eine Be-zugsperson von klein auf ist, haben die Forscher in ihrer Studie bereits festgestellt. Diese Kinder entwickeln dann bessere soziale Fähigkeiten und leiden seltener an psychischen Problemen wie etwa Angststörungen, Depressionen oder an ADHS, der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung. Daher betrachtet Nelson die Familie als idealen Ort für die ersten Lebensjahre. Jedes Kind sollte enge Bezugspersonen haben, die mit ihm sprechen, ihm vorlesen, ihm zuhören. Französischstunden im Kleinkindalter oder die Teilnahme an Reitunter-richt brauche es dagegen nicht, um sich optimal zu entwickeln. „Eltern oder Pflege-Eltern sollten ihre Kinder lieben, so einfach ist das eigentlich“, fasst der Wissenschaftler zusammen.

Doch nicht alle Teenager der BEIP-Studie sind so fest im Leben verankert wie Alexandru. Bei an-deren Jugendlichen wissen Nelson und Kollegen noch nicht, wie gut sie eigenständige Entscheidun-gen treffen werden, wie gut sie mit Risiken umge-hen. Um dies herauszufinden und möglichen Prob-lemen vorzubeugen, baut der Forscher gemeinsam mit dem Kinderpsychiater Charles Zeanah von der Tulane University derzeit ein Netz von Psychiatern auf, das Jugendliche aus der Studie bei Problemen rasch auffangen kann.

Für Catalin kommt diese Hilfe zu spät. Der 29-Jährige steht im Werkraum der österreichischen Hilfsorganisation Concordia in Bukarest und sticht

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feine Nadeln in Spanplatten, lässt daraus Muster entstehen. Entschlossen fügt er eine Metallspitze nach der anderen in Holz, so als wolle er aus seinen eigenen Verletzungen etwas Schönes machen, etwas Edles formen aus dem ganzen Desaster seines Lebens.

Es muss 1991 gewesen sein, als er zum ersten Mal aus dem Kinderheim südlich von Bukarest da-von lief, da war er sechs Jahre alt. Doch die großen Jungs aus dem Waisenhaus fingen ihn wieder ein und brachten ihn zurück in die Einrichtung. Dort-hin, wo seine Großmutter ihn einst abgegeben hat-te. Damals war er so klein, dass er sich nicht mehr daran erinnern kann.

Der gedrungene, kleine Mann mit den runden, freundlichen Augen hat seine Wollmütze abgenom-men, er deutet auf seinen Scheitel mit lichtem Haar.

„Hier haben mich die Erzieherinnen im Heim im-mer geschlagen, mit ihrem Schlüsselbund“, erin-nert sich Catalin. Mit sieben Jahren gelang ihm die Flucht. Er lebte auf der Straße, reiste später nach München, nach Saint-Denis bei Paris und nach Lu-xemburg, um ein neues Leben zu beginnen. Statt-dessen begann er mit Drogen zu experimentieren, spritzte sich Heroin. Zurück in Bukarest begann er, sich auch die neue, pflanzliche Droge Etnobotanice zu injizieren. Er ist an Aids erkrankt und an Hepa-titis C. Doch inzwischen hat er ein neues Zuhause gefunden: im Lazarus-Zentrum der Hilfsorganisati-on Concordia.

Im Gegensatz zu Alexandru gab es bei Catalin allerdings niemanden, der sich seiner früh annahm. Anders als Luminita wurde ihm auch in seiner Jugend keine Hilfe zuteil. Auf sich allein gestellt, konnten viele Regionen seines Gehirns vermutlich nicht normal heranreifen. So hapert es nämlich zum Beispiel bei vielen Heimkindern der BEIP-Studie im Frontalhirn – jenem Bereich, mit des-sen Hilfe Menschen Handlungen planen, Impulse unterdrücken und Wichtiges von Unwichtigem

unterscheiden. Auch beobachteten die Wissen-schaftler, dass bei vielen dieser Probanden die Ak-tivität in einem weiteren Hirnbereich nur schwach ausgeprägt ist. Dort, wo eine Art Frühwarnsystem sitzt, das vor Gefahren warnt und den Menschen aus Fehlern lernen lässt.

„Mit den Drogen habe ich endgültig aufgehört“, versichert Catalin. Im Januar wird er in einer be-treuten Werkstätte von Concordia eine Ausbildung beginnen. Stolz zeigt er eines seiner Bilder aus Na-deln. Eine Hand mit zwei Herzen hat Catalin ins Holz gestochen. Bald wird er in einer betreuten Werkstatt eine Ausbildung beginnen. Er hat endlich ein Zuhause gefunden, nach 29 Jahren.

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Shortlist aus 85 eingereichten TEXTREPORTAGEN:

CHRISTOPH CADENBACH: Luxus-Export, Süddeutsche Zeitung Magazin, 14.08.2014

STEFFEN DOBBERT: Wir sind mittendrin, Die Zeit, 06.03.2014

JÖRG EIGENDORF und JULIA SMIRNOVA: Tage der Wahrheiten, Welt am Sonntag, 04.05.2014

MORITZ GATHMANN und CHRISTIAN NEEF: Granaten und Rosen, Der Spiegel, 20.12.2014 (NOMINIERT)

MARTIN HELG: Ein kalter Krieg, NZZ am Sonntag, 02.02.2014

DIANA LAARZ: Trans-Europa-Express, Geo, 11/2014

TIM NESHITOV: Wer seid ihr?, Süddeutsche Zeitung, 05.03.2014

FRIEDRICH SCHMIDT: Zugreise zwischen den Welten, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26.08.2014

MARTIN THEIS: Adams Schatz, Go-Magazin, 01.10.2014 (NOMINIERT)

TAKIS WÜRGER: Fünf Mann und eine Revolution, Der Spiegel, 24.02.2014 (NOMINIERT)

Shortlist aus 43 eingereichten RADIOREPORTAGEN:

MAREIKE ADEN: Ein Ticket in den Krieg, DLF, 21.08.2014

NADINE AHR und CHRISTIANE HAWRANEK: Tests mit Nebenwirkungen – Pharmafirmen machen Billigstudien in Osteuropa, Bayern 2, 20.01.2014

KATJA ARTSIOMENKA: Kollektivbild mit Dame – Frauen in Osteuropa, WDR 3, 18.10.2014

MARIO BANDI: Das Metall des Krieges oder 100 Briefe aus Pleskau, DLF, 12.09.2014 (NOMINIERT)

LAURA DÖING und OLGA KAPUSTINA: Aus den Augen, aus dem Sinn – Deutscher Atommüll in Russland, SWR2, 30.04.2014

GRIT FRIEDRICH: Nicoleta, 14 Jahre, Bukarest, MDR, 18.01.2014

MIRJAM LEUZE: Wenn wir nichts tun, wer dann? Frauenleben in Kirgisistan, SWR2, 25.11.2014

JULIA SOLOVIEVA: Geschwisterschicksal – Wie eine Demonstration in Moskau das Leben verändert, NDR Info, 22.06.2014

KENO VERSECK: Das Modell von Érpatak – Wie ein rechtsextremer Bürgermeister Ungarn verändert, SWR2, 19.03.2014 (NOMINIERT)

ERNST VON WALDENFELS: Axt und Feder, DLF, 02.12.2014 (NOMINIERT)

Nominierte aus 28 eingereichten FOTOREPORTAGEN:

FLORIAN BACHMEIER: Der weiße Tod – Tuber-kulose in Moldawien, veröffentlicht unter dem Titel Keimbahnreise in Profil, 24.03.2014

DMITRIJ LELTSCHUK: Ein Gauner im Himmel, Free Men’s World, 09/2014

TOMASZ TOMASZEWSKI: Podlachien – Alle mal herkommen, Geo Saison, 08/2014

n-ost-REPORTAGEPREIS 2015

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Die Robert Bosch Stiftung gehört zu den großen unternehmensverbundenen Stiftungen in Europa. Sie hält rund 92 Prozent der Geschäfts-anteile an der Robert Bosch GmbH und setzt die gemeinnützigen Ziele des Firmengründers und Stif-ters Robert Bosch (1861-1942) fort. Die Stiftung investiert jährlich rund 70 Millionen Euro in die Förderung von ca. 800 eigenen und fremden Pro-jekten aus den Gebieten der Völkerverständigung, Bildung, Gesellschaft und Kultur sowie Gesundheit und Wissenschaft. Insgesamt hat die Stiftung seit ihrer Gründung 1964 mehr als 1,2 Milliarden Euro für ihre gemeinnützige Arbeit eingesetzt.

www.bosch-stiftung.de

Wir danken unserem Förderer

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n-ost bringt Journalisten, Osteuropa-Experten und Medieninitiativen aus über 40 Ländern zusam-men. Seine Mitglieder verbindet ein europäischer Blick und das Interesse, die Berichterstattung aus und über Osteuropa zu stärken. 

Gemeinsam stärker: Die Mitglieder des Netzwerks setzen sich ein gegen wirtschaftliche, gesellschaftliche oder politische Einschränkungen journalistischer Arbeit. Gemein-sam haben sie die Möglichkeit, auf eine faire Ver-gütung hinzuwirken, zusätzliche Ressourcen für aufwändige Recherchen zu erschließen und sich gegenseitig zu qualifizieren.

Neue Bilder, Texte und Töne aus Osteuropa: Der Artikel- und Radiodienst von n-ost beliefert Zeitungen und Hörfunkanstalten, Stiftungen und Unternehmen. Zusätzliche Akzente in der Bericht-erstattung über Osteuropa setzt n-ost mit seinem Online-Magazin ostpol.de. Es bietet Lesern und Abonnenten aktuelle Berichte, hintergründige Re-portagen, Foto-Strecken und spannende Multime-dia-Formate. (>>> www.ostpol.de)

zeigen, worüber Europa spricht: Täglich bietet n-ost in drei Sprachen einen Überblick über die europäischen Kommentarspalten – mit der Presseschau euro|topics, die n-ost im Auftrag der Bundeszentrale für politische Bildung produziert. (>>> www.eurotopics.net)

Qualität im journalismus möglich machen: Den Qualitätsjournalismus und rechercheaufwän-dige Formate wie Reportagen stärkt n-ost durch die Organisation von Journalistenreisen, die Vergabe von Stipendien und die jährliche Verleihung des n-ost-Reportagepreises.

journalisten vernetzen und weiterbilden: Journalisten in Ost und West bietet n-ost Trainings, Vernetzung und Recherchemöglichkeiten – etwa auf der n-ost-Medienkonferenz, die jährlich in wechselnden osteuropäischen Städten stattfindet. Das Informationsfreiheitsprojekt Legal Leaks zeigt Journalisten, wie sie ihre gesetzlich verankerten Aus-kunftsrechte gegenüber Behörden für ihre Recher-che einsetzen können. (>>> www.legalleaks.info)

Für unabhängigen Auslandsjournalismus:Mit medienpolitischen Veranstaltungen, Publikati-onen und Stellungnahmen engagiert sich n-ost für einen aufgeklärten Auslandsjournalismus.

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Entdecken Sie die andere Hälfte Europas.ostpol ist das Online-Magazin für Osteuropathemen. Unsere Korrespondenten und Fotografen sind Beobachter vor Ort – in über 20 Ländern. Ihre Reportagen und Bildstrecken zeigen Ihnen, wo Osteuropa ähnlich ist und wo ganz anders als erwartet. Werfen Sie einen Blick hinter die Kulissen. Erfahren Sie, wie osteuropäische Intellektuelle von innen auf ihr Land und die Welt schauen. Kom-men Sie mit auf eine Reise durch den halben Kontinent zwischen Polen und Sibirien.

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