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Zentrum für Gerontologie 25.04.2018 Seite 1 Nachbarschaftsbeziehungen in Zürich: Nachbarschaftlichkeit und Nachbarschaftshilfe Vorlesungsreihe FS 2018 Zentrum für Gerontologie, UZH 25.04.2018 Alexander Seifert 1,2 1 Zentrum für Gerontologie, Universität Zürich 2 UFSP „Dynamik Gesunden Alterns“, Universität Zürich

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Zentrum für Gerontologie

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Nachbarschaftsbeziehungen in Zürich: Nachbarschaftlichkeit und Nachbarschaftshilfe

Vorlesungsreihe FS 2018 Zentrum für Gerontologie, UZH 25.04.2018

Alexander Seifert1,2 1 Zentrum für Gerontologie, Universität Zürich 2 UFSP „Dynamik Gesunden Alterns“, Universität Zürich

Zentrum für Gerontologie

Persönlicher Hintergrund Werdegang: •  Diplom-Sozialpädagoge (Hochschule Lausitz)

•  Bachelor und Master in Soziologie (Humboldt Universität zu Berlin und UZH)

•  Seit 2008 wiss. Mitarbeiter (Bereichsleiter „Forschung und Grundlagen“) am Zentrum für Gerontologie •  Seit 2014 zusätzliche Anstellung beim Universitären Forschungsschwerpunkt (UFSP) „Dynamik

Gesunden Alterns“ •  Seit HS 2015 Doktorand der Soziologie (UZH, Prof. Jörg Rössel & Prof. Mike Martin)

Forschungsinteresse (bisherige Projekte): •  Technik im Alter

•  Technikakzeptanz, IKT-Nutzung, Internetnutzung, Tablet-/Smartphonenutzung, Altersgerechte Webseitengestaltung, Mobile Datenerfassung

•  Sehbehinderung im Alter •  Lebenssituation älterer Menschen mit einer stärkerer Sehbeeinträchtigung,

Alltagsbewältigung mit einer Sehbehinderung

•  Wohnen im Alter •  Einstellung zum und Leben im Altersheim, Zufriedenheitsbefragungen, Wohnen im Alter in

der Stadt Zürich, Datenlage zum Wohnen im Alter, Nachbarschaftskontakt, Nachbarschaftlichkeit

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Agenda

1.  Ausgangssituation: Bedeutung von Wohnen und Nachbarschaft im Alter

2.  Die drei Dimensionen von „Nachbarschaft“

3.  Wissenschaftliche Ergebnisse zur Nachbarschaft aus der Schweiz (Fokus Zürich)

4.  Ein aktuelles Studienprojekt

5.  Was fördert eine gute Nachbarschaft?

6.  Fazit und Diskussion

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1. Ausgangssituation

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1. Kontext: Das Alter 1. Phasen Drittes Lebensalter (Rund um die

Pensionierungsphase)

•  „Späte Freiheit“ / „Junges Alter“ / Wohnen im Privathaushalt

Viertes Lebensalter (Hochaltrigkeit, ca. über 85) •  Vulnerabilität

(Gebrechlichkeit) / Wohnen in Alterspflegeeinrichtungen

2. Heterogenität des Alter(n)s: Es gibt nicht die Gruppe der „Alten“ mit gleichen Interessen und Bedürfnissen 25.04.2018 Seite 5

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1. Kontext: Bedeutung des Wohnkontextes für die Lebensqualität im Alter •  Der eigene Wohnraum ist ein wichtiges Refugium mit hoher sozialer und

emotionaler Bedeutung; insbesondere im Alter (Saup 1999, Wahl 2005)

•  Das Wohnen wird mit Wohlbefinden, Selbständigkeit und soziale Eingebundenheit in Zusammenhang gebracht.

•  Der Wohnkontext ist wichtig für die Aufrechterhaltung der Lebensqualität im Alter (Cantor 1975, Oswald & Wahl 2004)

•  Wichtig für Autonomie und selbstbestimmtes Altern (Mollenkopf et al. 2004), Bsp. Sehbehinderung

•  Der Wunsch „so lange wie möglich zuhause wohnen zu können“

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Wohnen im Alter und dessen Bedeutung für die Lebensqualität

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Wohnen

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Wohnen im Alter und dessen Bedeutung für die Lebensqualität

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2. Kontext: Nachbarschaft

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Nachbarschaft

•  Jeder lebt in einem räumlich-sozialen Kontext ihrer Nachbarschaft •  Nachbarn können im Grunde nicht „ausgesucht werden“. •  Nachbarschaft wird von Hamm (1973) als „soziale Gruppe, die primär

wegen der Gemeinsamkeit des Wohnortes interagiert“, definiert. •  Eine gute Nachbarschaft ist eine wichtige Ressource für die

Alltagsbewältigung im Alter (z.B. Perrig-Chiello 1997; Dragono 2012; Oswald & Konopik 2015)

•  Gerade informelle Nachbarschaftsnetzwerke personale und soziale Ressourcen zur Alltagbewältigung bieten (vgl. Günther 2005)

•  Soziale Netzwerke wie die Nachbarschaft haben daher einen „erheblichen sozialen, psychischen und ökonomischen Wert, und dies gilt in besonderem Masse im Alter (Künemund & Kohli 2010)

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Nachbarschaft – soziale Kontakte •  Die Forschung zeigt, dass tiefer gehende und andauernde

Hilfeleistungen für ältere Personen weniger häufig von Nachbarn erbracht werden als von Familienangehörigen und Freunden (Brandt 2009)

•  Nach Backes und Clemens (2008) unterscheiden sich im Alter die Hilfebereiche von den Beziehungslinien. So sind familiäre Beziehungen für länger währende Unterstützungsleistungen wichtig, während Freunde vorrangig soziale Anerkennung vermitteln und einander helfen. Nachbarn sind wiederum für kleinere Hilfen und den Austausch im häuslichen Bereich wichtig.

•  Dennoch kann die Nachbarschaftshilfe auch als ein nicht zu vernachlässigendes Instrument bei der Versorgungssicherung im Alter benannt werden (Höpflinger & Hugentobler 2005)

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2. Die drei Dimensionen der Nachbarschaft

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https://www.tip-berlin.de/renaissance-der-nachbarschaft/

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Die drei Dimensionen von Nachbarschaft

§  In einer Nachbarschaft überschneiden sich räumliche und soziale Kategorien konkreter als in anderen Situationen (vgl. Schnur 2012). Angelehnt an Keller (1968; vgl. auch Hamm 1973; Vierecke 1972), lässt sich die Nachbarschaft begrifflich und analytisch in drei Ebenen unterteilen:

Ø  Nachbar (PERSON)

Ø  Nachbarschaftlichkeit (SOZIALES)

Ø  Nachbarschaft (RAUM)

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Dimension Person/Soziales/Raum

1.  Die Ebene Nachbar entspricht der individuellen Sicht der Person und ihrer Wahrnehmung der Nachbarschaftsrolle. Jeder Einzelne entscheidet hierbei nicht nur, welche Bedeutung die Nachbarschaft für ihn hat, sondern auch, ob die Aspekte der Nachbarschaft relevant für seine Lebensqualität sind.

2.  Die Ebene Nachbarschaftlichkeit steht für die soziale Dimension und die Frage, inwieweit die Nachbarschaftskontakte und -hilfen dem Individuum als Ressourcen zur Verfügung stehen. Im Sinne des Ansatzes des Sozialkapitals (nach Bourdieu, 1983) werden die täglichen Kontakte und Hilfen als Ressourcen verstanden (Pleschberger & Woslo, 2015; Tesch-Römer, 2010).

3.  Die letzte Ebene Nachbarschaft spiegelt die räumliche Dimension wider und es wird hier gefragt, inwieweit der physische Raum und die Nutzung dieses Raumes z. B. die Lebensqualität beeinflusst.

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3. Wissenschaftliche Ergebnisse zur Nachbarschaft aus der Schweiz

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1. Verbundenheit mit Wohnumgebung (Zürich)

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N = 1586 Personen ab 60 Jahren; Seifert & Schelling 2013

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2. Die soziale Nachbarschaft als wichtigster Faktor für die Verbundenheit mit dem Wohnumfeld

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•  Anhand der Ergebnisse aus Zürich (1586 Person ab 60 Jahren wurden in Zürich 2012 befragt) kann gezeigt werden, das die Verbundenheit mit dem Wohnumfeld vor allem durch folgende Aspekte positiv beeinflusst ist:

1.  Sozialkontakte in der Nachbarschaft 2.  Einkaufsmöglichkeiten 3.  Sicherheit im Quartier

4.  Kultur- und Freizeitangebote im Quatier 5.  Eigene Selbständigkeit und Wohndauer

Nicht relevant: Alter, Geschlecht, Bildung, Einkommen, Allein lebend, Zugänglichkeit der Wohnung, Öffentlicher Verkehr, Arzterreichbarkeit, Angebote für ältere Menschen im Quartier

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3. Nachbarschaftskontakt und -hilfe Studie mit Daten aus der Deutschschweiz (707 Personen ab 50 Jahren), Seifert 2016

47So

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Arb

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.201

6

hilfe unterscheidet sich bei den Siedlungstypen nicht. Die Bereitschaft, die Nachbarn um Hilfe zu bitten, ist bei Personen aus urbanen Räumen ähnlich hoch wie bei Personen aus ländlichen Regionen.

Personen, die angaben, häufig Kontakt mit Nach-barinnen und Nachbarn zu haben, bitten diese auch um kleinere Hilfen (Pearson r = .271, p = .000). Dem-zufolge muss auch in diesen Fällen erst ein Vertrau-ensbezug hergestellt und das soziale Nachbarschafts-netzwerk aufgebaut werden, damit es für Unterstüt-zungsanfragen genutzt werden kann.

6 Diskussion | Im Hinblick auf die eingangs gestellten Fragen kann festgehalten werden:▲ Viele ältere Menschen fühlen sich mit ihrem Wohn-umfeld stark verbunden und würden bei einem Um-zug einen Wohnort in der Nähe bevorzugen.▲ Das Gefühl der Verbundenheit mit dem Wohnum-feld wird am stärksten durch die Zufriedenheit mit den Sozialkontakten in der Nachbarschaft beeinflusst. ▲ Neben den engeren Familienmitgliedern bestehen insbesondere zu den Nachbarn häufig Kontakte.▲ Nachbarn werden gerne für informelle kleinere Hilfen angefragt, jedoch müssen die Nachbarschafts-beziehungen bereits bestehen, um diese als Res-source zu nutzen.

a: Kontakte („Wie oft sprechen Sie mit folgenden Personen; mehr als grüßen, zwei, drei Sätze und mehr?“): Skala 1 „nie“ bis 6 „täglich“; b: Hilfen („Wenn Sie im Haushalt eine kleine Hilfe brauchen, wie oft wenden Sie sich an die folgenden Personen?“): Skala 1 „nie“ bis 5 „immer“.

Personengruppe

Kinder

andere Verwandte

ihre Nachbarn

Hausmeister

Freunde/Bekannte, die nicht in der Nachbarschaft wohnen

Total

Stadt

Agglomeration

Land

Kontakte aMittelwerte

4.36

3.30

4.12

3.91

4.16

4.23

1.72

3.65

Standard-abweichung

1.64

1.34

1.47

1.54

1.44

1.42

1.28

1.39

Hilfen bMittelwerte

2.35

1.61

1.86

1.85

1.89

1.83

1.26

1.83

Standard-abweichung

1.19

0.88

0.99

0.97

1.03

0.97

0.67

0.96

Tabelle 2: Nachbarschaftskontakte und -hilfen

ist die Zahl derer, die keinen Kontakt zu Freunden oder zu Verwandten außerhalb der engeren Familie haben. Zwischen den Siedlungstypen Stadt, Agglo-meration und Land als Unterscheidungsmerkmal be-züglich der Nachbarschaftskontakte zeigen sich nur geringe Unterschiede, wobei in ländlichen Regionen unwesentlich häufigere Kontakte zur Nachbarschaft als in urbanen Regionen genannt wurden (Tabelle 2).

5-2-2 Nachbarschaftshilfe im Vergleich | Viele ältere Personen pflegen zwar häufiger Kontakte zur eigenen Nachbarschaft, aber werden Nachbarin-nen und Nachbarn auch um Hilfe gebeten? Für die Studie wurden die Probanden gefragt, an welche Personengruppe sie sich wenden würden, wenn sie kleine Hilfen benötigen. Die Fragestellung zielte auf die niedrigschwelligen (nicht extern organisierten) Hilfen, also zum Beispiel das Blumengießen während der Urlaubsabwesenheit oder die Hilfe beim Einkauf. Die Studie zeigt, dass hauptsächlich die unmittelbare Familie um Hilfe gebeten wird, obwohl 22,8 Prozent angaben, häufig auch ihre Nachbarn um Unterstüt-zung zu bitten (siehe Tabelle 2). Besteht kein Erst-netzwerk von Partnern und Kindern oder ist es nicht erreichbar, erhöht sich der Anteil der Nachbarschafts-hilfe. Alleinstehende bitten ihre Nachbarn häufiger um Hilfe (27,4 zu 20,8 Prozent). Die Nachbarschafts-

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Zusatz •  Personen, die angaben, häufig Kontakt mit Nachbarn zu haben, bitten

diese auch eher um kleinere Hilfen. •  Demzufolge muss auch in diesen Fällen erst ein Vertrauensbezug

hergestellt und das soziale Nachbarschaftsnetzwerk aufgebaut werden, damit es für Unterstützungsanfragen genutzt werden kann.

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4. Die Frage zum Reserveschlüssel als Zeichen der gegenseitigen Achtsamkeit

•  Auf Grundlage der vorhergehenden Studie kann auch gezeigt werden, dass gerade die Herausgabe eines Reserveschlüssels und die sozialen Nachbarschaftskontakte die Wahrscheinlichkeit und Intensität der Nachbarschaftshilfe miterklärt. Weniger Dinge wie Alter, Geschlecht, Bildung, Wohndauer oder Siedlungstyp.

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Soziale Unterstützung in der Nachbarschaft Ergebnisse

Seite 9 Universität Zürich, Zentrum für Gerontologie, 03/2014

Tabelle 2 präsentiert hierzu die wichtigsten Verteilungen. Es ist aber darauf hinzuweisen, dass Mehr-fachantworten möglich waren und daher die Antworten mehr als 100 % ergeben können. Tab. 2: „Wer hat einen Reserveschlüssel für Ihre Wohnung? (Mehrfachantworten möglich)

Personengruppe N Gültige Prozente

Kinder / Schwiegerkinder 408 59.2 Andere Verwandte 79 11.5 Nachbarn 147 21.3 Hausmeister 41 6.0 Freunde / Bekannte (nicht in der Nachbarschaft)

38 5.5

Andere 43 6.2 Niemand 93 13.5

Gesamt 849 123.5

Den Nachbarn wird laut dieser Ergebnisse ein hohes Vertrauen zugestanden und in Ergänzung zu den Ergebnissen des Kapitels 4.3 zeigt dies ein verhältnismässig starkes Nachbarschaftsnetzwerk im Alter. Kann es aber sein, dass bestimmte soziodemografische oder wohnungsbautypische Merkmale die Vergabe des Reserveschlüssels an eine Nachbarin / einen Nachbar beeinflussen? Hinsichtlich des Geschlechts zeigen sich keine Unterschiede. Jedoch geben Personen, welche über eine mittlere oder hohe Bildung verfügen bzw. mehr Einkommen zur Verfügung haben, eher den Schlüssel eine Nach-barin / einen Nachbar, als dies Personen mit einer tieferen Bildung tun. Nun könnte dies aber auch mit dem bewohnten Quartier und dem generellen Vertrauensgefühl gegenüber den benachbarten Personen zu tun haben. Dennoch zeigt der Vergleich auch, dass Personen, welche bereits länger in der Wohnung wohnen, auch den Nachbarn eher einen Reserveschlüssel anvertrauen. Bei der Haus-haltsstruktur zeigt sich, das vorwiegend Alleinstehende (24 %) und Personen mit Partnern im Haus-halt (21 %) auch den Nachbarn einen Reserveschlüssel anvertrauen. Bei den Bewohnern von allein-stehenden Einfamilienhäusern ist die Prozentzahl (23 %) derjenigen, welche ihre Nachbarin / ihren Nachbar einen Reserveschlüssel geben, höher als bei den Personen, welche in einem Mehrparteien-haus mit mehr als 10 Parteien wohnen (15 %). Hier könnte der Aspekt der Anonymität eine Erklä-rung bieten. Bei den anderen Bautypen schwanken die Prozentzahlen zwischen 22 % und 19 %. 4.5 Sozialer Kontakt mit Nachbarn

Informelle Hilfen sind nur ein Aspekt einer sozialen Nachbarschaft. Ein weiterer wichtiger Punkt ist der soziale Kontakt zu diesen. In der Befragung konnte dieser Aspekt durch die Frage beleuchtet werden, wie oft die befragten Personen mit verschiedenen Personengruppen sprechen (mehr als Grüssen, zwei, drei Sätze und mehr). Die Kommunikation und der soziale Austausch sind wichtige Dimensionen einer funktionierenden Nachbarschaft (vgl. Günther, 2005; Hamm, 1973). Die Befra-gung zeigt hierzu, dass die Nachbarn an zweiter Stelle nach den eigenen Kindern kommen und 48 % aller befragten Personen angeben, dass sie mehrmals pro Woche oder täglich mit ihren Nachbarn sprechen. Tabelle 3 zeigt hierzu die Häufigkeitsverteilungen

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5. Ehrenamtliche Tätigkeiten nach Alter (in Zürich) Daten aus einer Studie aus Zürich (2500 Personen ab 18 Jahren; 2011); Seifert 2016 Freiwilliges Engagement im Alter 155

Tab. 3 Ehrenamtliche Tätigkeiten außerhalb von Vereinen und außerhalb des eigenen Haushalts

Alter in Jahren

18–29 30–59 60–69 70–79 80–90

Fragen Skala Spaltenprozente

Haben Sie in diesem Jahr andereunbezahlte Arbeiten außerhalb vonVereinen oder Organisationen ge-macht wie z. B. fremde Kinder hüten,Nachbarschaftshilfe, Projekte oderOrganisation von Festen in IhremWohnquartier?1

ja 33,4 36,6 30,9 30,7 21,2

Nein 66,6 63,4 69,1 69,3 78,8Stunden

Wieviel Zeit haben Sie für dieseTätigkeiten in den letzten4 Wochen ungefähr gebraucht?2

∅h 11 14 26 17 22

Spaltenprozente

Nur für Personen, die bei der obigenFrage mit „nein“ geantwortet haben:Haben Sie denn früher schon einmalsolche Tätigkeiten durchgeführt?3

ja 36,8 33,0 31,4 31,8 37,0

Nein 63,2 67,0 68,6 68,2 63,01N = 24912N = 8153N = 1647

als signifikante Prädiktoren analysiert werden: Dies bedeu-tet, dass in dieser Altersgruppe vorwiegend ältere Personen,die nicht in einem Einpersonenhaushalt leben, ehrenamtlichaktiv sind. Im zweiten Modell, in dem nur Personen imAlter zwischen 30 und 59 Jahren enthalten sind, sind diePrädiktoren Alter, Geschlecht, Bildung, Einpersonenhaus-halt und Migration signifikant. Es kann gezeigt werden,dass gerade ältere Personen, Frauen, Personen mit höhererBildung, Personen, die nicht allein leben, oder Personenohne Migrationshintergrund eher ehrenamtlichen Tätigkei-ten nachgehen. Das letzte berechnete Modell, in dem nurPersonen enthalten sind, die 60 Jahre oder älter sind, ist da-durch gekennzeichnet, dass hier nur Geschlecht, Einkom-men und Migration signifikante Prädiktoren sind. In dieserAltersgruppe geben v. a. Frauen und Personen mit höhe-rem Einkommen sowie Schweizer (ohne Migrationshinter-grund) an, dass sie ehrenamtliche Tätigkeiten ausüben. In-teressant ist, dass in den unterschiedlichen Altersgruppenunterschiedliche Prädiktoren signifikant sind, jedoch Varia-blen wie Geschlecht (außer bei der Altersgruppe der 18- bis29-Jährigen) und Staatsangehörigkeit konstant sind.

Auch bei der Frage zu den ehrenamtlichen Tätigkeitenwurde zusätzlich erhoben, wie viele Stunden die befragtenPersonen in den letzten 4 Wochen hierfür ungefähr inves-tiert haben. Im Durchschnitt engagierten sich die befrag-ten Züricher, die einer ehrenamtlichen Tätigkeit nachge-hen, 16 h in den letzten 4 Wochen. Personen ab 60 Jahreninvestierten im Durchschnitt etwas mehr Zeit als jüngereAltersgruppen (Tab. 3).

Bei der Frage, auf welche Weise sich die ehrenamtlichengagierten Personen betätigen, zeigte sich, dass neben all-gemeinen persönlichen Hilfeleistungen auch Aufgaben impflegerischen und sozialen (pädagogischen) Bereich wahr-genommen werden. Der Altersvergleich zeigt, dass z. B.Personen ab 60 Jahren häufig pflegerische Aufgaben (Pfle-ge, Kranken- und Altersbetreuung) bei Personen, die außer-halb ihres eigenen Haushaltes leben, übernehmen – und diessogar häufiger als jüngere Altersgruppen (Tab. 5). Hinsicht-lich der Variable Geschlecht zeigt sich, dass vorwiegendFrauen diese Form der pflegerischen Aufgabe übernehmen(11% der Frauen und 4% der Männer geben an, pflegeri-sche Aufgaben auszuführen). In der Altersgruppe der 60-Jährigen und Älteren ist der Geschlechtsunterschied nochdeutlicher (18% vs. 6%). Aber auch auf Kinder aufpassenwird von 25% der Personen ab 60 Jahren als aktuelle Tä-tigkeit genannt, weniger dafür eine pädagogische Leitungu. a. von Gruppen. Die Organisation und Durchführung vonTreffen und Veranstaltungen wird von jüngeren Altersgrup-pen häufiger angegeben als von älteren.

Die 1650 Personen, die angaben, aktuell keiner ehren-amtlichen Tätigkeit nachzugehen, wurden zusätzlich ge-fragt, ob sie früher schon einmal eine solche Tätigkeit über-nommen haben. Hier gaben 34% an, dass sie früher aufdiese Weise aktiv waren (Tab. 3). Hier findet sich auch einhöherer Anteil von Personen im Alter von 80–90 Jahren,was vermuten lässt, dass ehrenamtliche Betätigungen zumTeil mit dem höheren Alter nicht mehr intensiv ausgeführtwerden können.

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6. Nachbarschaftshilfe nach Alter (in Zürich) Daten aus einer Studie aus Zürich (2500 Personen ab 18 Jahren; 2011); Seifert 2016 158 A. Seifert

Tab. 6 Formen der Nachbarschaftshilfen

Alter in Jahren

Alle 18–29 30–59 60–69 70–79 80–90

Nachbarschaftshilfeb Mittelwertea

Einem Nachbarn bei kleinen Pro-blemen geholfen z. B. etwas repa-riert, mit Esswaren und so weiter

2,54 2,58 2,63 2,43 2,31 2,21

Mit Nachbarn über persönlicheAngelegenheiten geredet

2,36 2,19 2,52 2,32 2,11 1,90

Auf das Haus bzw. die Wohnungvon meinem Nachbarn aufgepasstwährend seiner Abwesenheit

2,32 2,03 2,33 2,45 2,48 2,27

Ein gemeinsames Mittag- oderNachtessen mit dem Nachbarn

2,10 2,08 2,21 2,03 1,84 1,82

Auf die Kinder von Nachbarn auf-gepasst

1,60 1,56 1,75 1,40 1,26 1,36

Gesamtfaktor„Nachbarschaftshilfe“c

36% 31% 41% 32% 26% 21%

a Skala 1 „nie“ bis 4 „häufig“b sortiert nach Mittelwert in Gesamtgruppec Faktor „Nachbarschaftshilfe“ (N = 2479): Mittelwertscore aus den 5, in der Tabelle stehenden Formen der Nachbarschaftshilfe; Angabe derSpaltenprozente der Personen, die mind. eine 2,5 auf der Scoreskala (1 „nie“ bis 4 „häufig“) hatten, d. h. Personen, die mind. manchmalNachbarschaftshilfen ausüben

Quartier als signifikante Prädiktoren herausgearbeitet wer-den. In dieser Altersgruppe geben besonders Frauen, Perso-nen, die nicht allein leben, und Personen, die in einer Nach-barschaft leben, in der sie Nachbarschaftshilfe und Verbun-denheit erleben, an, dass sie Nachbarschaftshilfen ausüben.Interessant ist daher, dass in den unterschiedlichen Alters-gruppen unterschiedliche Prädiktoren signifikant sind, je-doch Variablen wie Bildung, das Zusammenleben mit ande-ren Personen im Haushalt sowie die vorgefundene Nachbar-schaftshilfe und Verbundenheit im Quartier konstant sind(Tab. 7).

Interessant ist weiterhin, dass der Prädiktor „homoge-ne Nachbarschaft“ in keinem der Modelle signifikant ist(Tab. 7). Es scheint demnach keine Bedeutung für die Aus-übung von Nachbarschaftshilfe zu haben, ob die eigeneNachbarschaft als homogen (Nachbarschaft besteht vorwie-gend aus Personen mit ähnlichen Hintergründen und Le-bensvorstellungen) oder heterogen (Nachbarschaft bestehtaus Personen mit unterschiedlichen Hintergründen und Le-bensvorstellungen) subjektiv wahrgenommen wird. Auchscheint die Frage der Staatsbürgerschaft (Migration) kei-nen signifikanten Einfluss auf die Ausübung der Nachbar-schaftshilfen zu haben.

Diskussion

Die Ergebnisse konnten die Fragestellungen zum Teil beant-worten. Die erste Forschungsfrage bezog sich auf die akti-ve Beteiligung am Vereinsleben. Es konnte gezeigt werden,dass Personen im Alter zwischen 70 und 90 Jahren selte-

ner als Jüngere Mitglied eines Vereins sind, jedoch sind sieeher in kirchlichen oder sozialen Vereinen wie Senioren-und Frauenklubs aktiv [13, 20].

Mit der zweiten Forschungsfrage sollten die ehrenamtli-chen Aktivitäten außerhalb von Vereinen und des eigenenHaushalts analysiert werden. Hier geben etwa 30% der Per-sonen im Alter zwischen 60 und 79 Jahren an, dass sie un-bezahlte Arbeiten außerhalb von Vereinen oder Organisatio-nen leisten. Immerhin noch 21% der Personen ab 80 Jahrenleisten solche ehrenamtlichen Tätigkeiten. Das ehrenamtli-che Engagement steigt scheinbar mit der Pensionierung an,sinkt jedoch mit dem höheren Alter wieder, wie dies auchfür Deutschland [6, 7] und die gesamte Schweiz [5] gezeigtwerden kann. Für alle befragten Personen zeigte sich in dermultivariaten Analyse, dass Geschlecht (Frauen), Bildung(hohe), Zusammenleben mit einem Partner und die Schwei-zer Staatsangehörigkeit Prädiktoren für eine Ausübung vonehrenamtlichen Tätigkeiten sind. Diese Ergebnisse deckensich mit den größeren Freiwilligensurveys [5–7]. Werdennur Personen ab 60 Jahren betrachtet, zeigt sich, dass v. a.Frauen solche freiwilligen Arbeiten, hier insbesondere pfle-gerische Aufgaben, ausführen [11].

Die dritte Forschungsfrage beinhaltete die Frage, wel-che Unterschiede zwischen den Altersgruppen hinsichtlichder Ausübung von Nachbarschaftshilfen erkennbar sind.Am häufigsten gaben Personen im Alter zwischen 30 und59 Jahren an, Nachbarschaftshilfe zu leisten. Bei Perso-nen im Alter zwischen 80 und 90 Jahren sind es 21%, dieaktive Nachbarschaftshilfe leisten. Neben dem Alter zeigtedie multivariate Analyse, dass auch hier das Geschlecht, dieBildung, das Einkommen und das Nicht-allein-Leben signi-

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Zusatz •  Das Erbringen von Nachbarschaftshilfe bei Personen ab 60 Jahren in

Zürich ist durch folgende Faktoren beeinflusst: •  Jüngeres Alter (Gesundheitszustand)

•  Höherer Bildungsabschluss •  Zweipersonen-Haushalt

•  Empfundene Verbundenheit mit dem Quartier •  Empfundene Nachbarschaftlichkeit im Quartier

•  Es konnte zwar gezeigt werden, dass Personen ab 80 Jahren im Vergleich zu jüngeren Personen weniger aktiv Nachbarschaftshilfe ausüben, sich jedoch ein Teil ehrenamtlich engagiert.

•  Gerade Personen kurz vor und nach der Pensionierung engagieren sich in der Nachbarschaftshilfe

•  Es zeigt sich aber auch, dass die Zufriedenheit mit dem (sozialen) Quartier die eigenen Nachbarschaftlichkeit fördert

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7. Nutzung des Aussenraums (direkte Nachbarschaft)

25.04.2018 Seite 24

Seifert, 2017

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Zusatz: Ein attraktiver Aussenraum erhöht den Nachbarschaftskontakt

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8. Das Beispiel „Sehbehinderung im Alter“

0% 20% 40% 60% 80% 100%

Ich habe Kinder, die oft für mich da sind

Meine Freunde sind für mich da, wenn ich Hilfe benötige

Meine Nachbarn helfen mir viel im Alltag

Wenn ich nicht weiter weiss, suche ich mir Rat bei

Fachpersonen

Ich komme am besten ohne fremde Hilfe klar

Quelle: Seifert & Schelling 2017; N = 87

Soziale Unterstützung bei älteren sehbehinderten Personen

1 (stimme gar nicht zu)

2

3

4

5 (stimme voll und ganz zu)

25.04.2018 Seite 26

Studie Seifert & Schelling, 2017

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9. Das Beispiel „Hottingen“ (Vorläufige Ergebnisse) •  Die Ergebnisse können bald in der öffentlich zugänglichen Broschüre eingesehen

werden, weiteres unter: www.zfg.uzh.ch

• 

25.04.2018 Seite 27

2017 (N = 100) in Kooperation mit Stiftung Alter in Hottingen

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4. Ein aktuelles Studienprojekt beschäftigt sich mit dem Alltagserleben von Nachbarschaft

25.04.2018 Seite 28

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Das Projekt: Ist die Nachbarschaft eine Ressource im Alter?

25.04.2018 Seite 29

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20 Tage lang. 79 Teilnehmer/innen ab 60 Jahren aus den Stadtkreisen 3, 7 und 12

Ablauf •  Einführungstreffen (ca. 1 Stunde)

•  20 Tage lang wird ein zur Verfügung gestelltes Smartphone im Alltag getragen, 3 x pro Tag müssen kurze Fragebögen (2-5 Minuten) am Smartphone ausgefüllt werden

•  Abschlusssitzung (ca. 30 Minuten)

Probanden •  49 Frauen und 30 Männer •  22 Personen Kreis 12

•  31 Personen Kreis 7

•  26 Personen Kreis 3

25.04.2018 Seite 30

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Erste vorläufige Ergebnisse

•  Die Ergebnisse können bald in der öffentlich zugänglichen Broschüre eingesehen werden, weiteres unter: www.zfg.uzh.ch

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5. Was fördert eine gute Nachbarschaft?

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Erste Empfehlungen

-  Hilfe entsteht durch Kontakt – Kontakt entsteht durchs Ansprechen! -  Frühzeitig Kontakt aufnehmen -  Die „Hürde“ des Erstkontaktes ist meist hoch

-  Organisierte Nachbarschaftsvereine oder Angebote der Kirchengemeinden nutzen

-  Öffentliche Plätze nutzen

Für Städte/Gemeinden: Öffentliche Plätze attraktiv machen, Aussenraum aufwerten, Gemeinschaftsräume anbieten, Soziales Engagement durch Infrastruktur fördern (Räume, Personal!) Für die Forschung: Nachbarschaftshilfe im Längsschnitt und Bedeutung für die Lebensqualität im Alter. Hilft es wirklich beim Wunsch „So lange wie möglich zuhause zu bleiben?“

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Nachbarschaftshilfe Zürich

Nachbarschaftshilfe Zürich Riedenhaldenstrasse 1

8046 Zürich 043 960 14 48

[email protected]

www.nachbarschaftshilfe.ch

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Genossenschaften: Gegenseitige Unterstützung

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Ein Beispiel aus Luzern (Zeitgutschriften)

ZeitgutQuartierhilfe zählt

Art der Leistung Dauer

von/bis für

Datum Geberin/Geber Nehmerin/Nehmer

Genossenschaft Zeitgut · Rosenbergstrasse 3 · 6004 Luzern [email protected] · www.zeitgut.org

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Zentrum für Gerontologie

Exkurs: Digitale Vernetzung in der Nachbarschaft

25.04.2018 Seite 37

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6. Fazit

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Fazit •  Nachbarn sind neben den eigenen Partnern und Kindern wichtige Kontakt-

und Ressourcenpartner, gerade auch dann, wenn nahestehende Personen nicht im selben Quartier leben.

•  Der Nachbarschaftskontakt und die Hilfen tragen positiv zur Lebensqualität und Verbundenheit mit dem Wohnumfeld bei

•  Ein guter Kontakt zu den Nachbarn erhöht die Chance der Nachbarschaftshilfe. Die tagtäglichen Gespräche zwischen den Nachbarn stellen die Basis für eine Hilfeleistung. Daher: Hilfe braucht Kontakt.

•  Die Nachbarschaft kann auch dazu beitragen, das soziale Netz von Achtsamkeit und Wachsamkeit im positiven Sinne zu pflegen, gerade wenn Notsituationen frühzeitig erkannt werden.

•  Die Städte und Gemeinden können Nachbarschaft durch die Bereitstellung von Quartierbeauftragten und Räumlichkeiten aber auch anderen Infrastrukturen (öffentliche Plätze, Cafés, etc.) fördern.

•  Sprechen Sie doch heute einmal Ihre Nachbarin / Ihren Nachbar an!

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Offene Fragen / Diskussion

Ich danke Ihnen sehr für Ihre Aufmerksamkeit!

Alexander Seifert Zentrum für Gerontologie der Universität Zürich

[email protected] Tel.: 044 635 34 32

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