Nachbemerkung und Ausblick

In diesen Studien tiber Geschichte und Gegenwart des deutschen Foderalismus und seine (potentielle europaische Dimension) ist es in erster Linie darum gegangen, den Foderalismus als Ausdruck eines bestimmten politischen BewuBtseins zu untersuchen, seinen konservativen und dynamischen Charakter zu bestimmen und ihn als pluralisierendes, aber auch integrierendes Element der politischen Kultur vorzustellen. Desgleichen konnte gezeigt werden, daB die fOderale Gestalt des Politischen und die ihr zugrundeliegende Verhaltnisbestimmung von Vielheit und Einheit seit dem 19. lahrhundert Gegenstand einer asthetischen Politikbeschreibung geworden ist. Sie hat im Foderalismus eine Moglichkeit gesehen, das Politische gleichsam 'pluralektisch' zu erfahren, das heiBt als etwas Gestaltbares, von Vielfalt Durchdrungenes, in dem jeder Aspekt des sozialen Daseins wirksam werden kann.

Diese 'Gestaltbarkeit' mittels des Foderalismus dient jedoch keinem Selbstzweck; sie huldigt keinem zweckfreien ins Politische iibersetzen I'art pour I'art. Vielmehr konzentriert sie sich auf das 'Projekt Mitte' dessen ideelle Substanz im Zentrum dieser Arbeit zumindest ansatzweise untersucht worden ist. Der auf Ausgleichung der politischen Traditionszusammenhang als diejenige Struktur erwiesen, die am ehesten geeignet ist, diese politische Mitte zu stabilisieren und zu verhindern, daB die geographische Mitte Europas in eine politisch-ideologische Extremlage gerat. Durch seine entschieden pluralistische Dimension fordert der Foderalismus die Vielfaltigkeit der Mitte und verhindert, daB sie ins EinWnig-MittelmaBige abgleitet. Es sind diese Aspekte, die den Foderalismus bleibend attraktiv machen - auch fUr Europa.

Es hat sich freilich auch gezeigt, daB sich alle politischen Lager seit 1815 des Foderalismus bedient haben: Sei es, weil man ihn restaurativ einsetzen wollte (in Gestalt einer KonfOderation des

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Deutschen Bundes), sei es, daB man durch ihn versuchte, die Politik zu "resozialisieren" und btirgernah zu machen.

In dieser Arbeit ging es nicht urn die Beschreibung von fOderalistischen Funktionsmodellen, nicht urn die erne ute Darstellung seiner Strukturen. Sie hat sich vielmehr darum bemtiht, dem intellektuellen Gehalt der fOderalistischen Politikkonzeption naher zu kommen und die in ihr angelegte integrierende Wirkung im Hinblick auf die deutsch-deutsche Vereinigung und ihre europaische Dimension zu beschreiben. Der idealistische Ansatz hinter einem so1chen Unternehmen braucht nicht verschwiegen zu werden. Mit dem Hinweis auf den politischen Sinn des Systemprogramms (im zweiten Kapitel) wurde versucht, dies auch ideengeschichtlich zu begrtinden.

Der Foderalismus ist kein starres System; seine Strukturen verpflichten ihn geradezu auf Veranderung und auf Kontinuitat. Sofern er yom Prinzip der Gleichberechtigung ausgeht, ist er synonym mit Integration. We1che Qualitat von Integration er jedoch bewirken kann, erweist sich von Fall zu Fall neu.

1m fOderalistischen System sieht sich ProzeBcharakter des Politischen betont. Man mag das als schwerfallig kritisieren oder als grtindlich bejahen - es ist in jedem Fall die Art, durch die Politik anschaulich wird. DaB freilich diese "Anschaulichkeit" durch die Verlagerung der foderalen Entscheidungsfindung aus den Landesparlamenten in Bundesratsgremien gefahrdet ist, gibt AnlaB zur Sorge. Die Selbstbesinnung des Foderalismus auf seine Btirgernahe und mit ihr die Aufwertung der Landesparlamente scheinen tiberfallig. Wohl nur dadurch kann der Foderalismus seine wichtigste innerstrukturelle Aufgabe erftillen, namlich als vierte (synthetische) Gewalt das MachtgefUge im Staat mit zu kontrollieren.

Das Bemerkenswerte am Foderalismus ist, daB er die Partikularismen achtet, die regionalen Eigenheiten und

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Bedingtheiten. seine integrative Bedeutung liegt freilich darin, daB er grenzUberschreitende Verflechtungen erleichtert. Wahrend er nach innen eine nicht immer unproblematische Politikverflechtung bewirkt, untersttitzt er jedoch auch die Pluralisierung der Gesellschaft. Zu einem besonderen Charakteristikum des bundesdeutschen Foderalismus ist es seit 1945 geworden, daB seine "Struktur" von historisch gewachsenen und "konstruierten" Landern bedingt wird, aus einer Mischung von Altern und Neuen, Tradition und Innovation. Dem widerspricht nicht der eigenttimliche Vorgang, daB sich die Regionen in den "konstruierten Landern" durchaus als eigenstandige "Partikularismen" erhalten konnten und fUr teilgeschichtliche Verankerung dieser politischen Neubildungen gesorgt haben.

Das in Deutschland nach 1945 in weiten Teilen der Bevolkerung und in den staatstragenden Parteien gewachsene MiBtrauen gegen zentralstaatliche Machtentfaltung hat sich insgesamt als das demokratische Selbstverstandnis fordernde Skepsis bewahrt. In der konsistenten Bejahung des Foderalismus hat diese Skepsis ihren positiven Ausdruck gefunden. DaB die deutsch-deutsche Vereinigung eben nicht nur im Zeichen der D-Mark erfolgte, sondern durch eine umfassende RefOderalisierung vollzogen worden ist, laBt fUr die inn ere VerfaBtheit der deutschen Bundesrepublik durchaus hoffen.

Schwierigkeiten besonderer Art bereitet die aus deutscher Sicht oft voreilig propagierte "Anwendung" des fOderalistischen Prinzips auf die europaische Gemeinschaft. Vielfach wird sie in den Ubrigen Mitgliedslandern der Gemeinschaft als verkappte oder strukturelle Hegemonie ausgelegt. Deutscherseits vergiBt man allzu leicht, daB kaum ein anderes Mitgliedsland ein ahnlich gebrochenes Verh\iltnis zur eigenen Nation hat wie Deutschland (allefalls Belgien ware zu nennen, wenn man nach einem Land suchte, das - wenn auch aus vollig anderen GrUnden - schwerwiegende Probleme mit seiner Identitat hat. Aus nicht­deutscher Perspektive muB es gelegentlich so scheinen, als

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verberge sich hinter der fOderalistischen Europa-Konzeption Deutschlands eine subtilere Art des GroBmacht-Denkens. Doch ist dies, wie eingangs gesehen, mehr die Folge eines unzuHinglichen VersUindnisses von Foderalismus.

Denn fUr Europa dtirfte sich eine andere Art des Foderalismus herausbilden, die wohl auch aus Komponenten des deutschen Foderalismus bestehen, aber doch eher eine Mischung aus konfOderalen und genuin foderalen Elementen darstellen wird. Es gentigte namlich durchaus, wenn Deutschlands komplexe Identitat langfristig am eigenen fOderalen Wesen genesen konnte, urn es glaubwtirdig in die europaische Pluralektik einzubringen.

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