Nachruf für Elisabeth Rieping

2
NACHRUF VERLUST FÜR RUMÄNIENDEUTSCHE LITERATUR: ZUM TOD VON ELISABETH RIEPING (1950 – 2009) Nach dem Umbruch 1989 in Rumänien sah es nach dem Massenexodus der Rumäniendeutschen, als allein 1990/91 etwa 120 000 von ihnen aussiedelten, für die Zukunft der rumäniendeutschen Literatur äußerst bedenklich aus. Konnte die am Ende der 70er Jahre noch 380 000 Seelen zählende deutsche Minderheit, die auf 80 000 zurückgegangen war, sich überhaupt noch bemerkenswert zu Worte melden?! Der billige Pessimismus der Untätigen in Ost wie West wurde durch eine wahrhaft einmalige Leistung der zurückgebliebenen Tätigen Lügen gestraft. Die rumäniendeutsche Minderheit hat es in einer unglaublichen demokratischen Aufbauar- beit geschafft, fast die gesamte rumäniendeutsche kulturelle Infrastruktur – selbst in der finstersten Ceauşescu-Diktatur – zu erhalten. Das Rückgrat der rumäniendeutschen Kultur ist das deutschsprachige Schulwesen Rumäniens. Es gibt über zehn Gymnasialabteilungen mit Deutsch als Unterrichtssprache. An ihnen wird nicht nur deutsche Sprache und Literatur unterrichtet, sondern auch geschrieben – weltweit einmalig auf diesem beachtlichen literarischen Niveau. Den Beginn machte das Nikolaus-Lenau-Gymnasium in Temeswar, wo 1992 der Literaturkreis „Stafette“ gegründet wurde, um begabten Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit zu bieten, unter Anleitung von Deutschlehrern – auch aus Deutschland –, und anderer Sprach- und Literaturkundigen deutschsprachige literarische Texte zu verfassen. Die Förderung dieses Literaturkreises und seiner begabten Mitglieder und Besucher war im wahrsten Sinne des Wortes, des literarischen Wortes, die Geburtsstunde des Weiterlebens der rumäniendeutschen Literatur, die ohne Nachwuchs keine Zukunft hätte. Hier kommt die großzügige fürsorgliche Förderung von Elisabeth Rieping ins Spiel. 1993 hatte sie das erste Mal mit mir Rumänien besucht und in Konstanza, Mamaia und Mangalia über die Dobrudschadeutschen von gestern und heute in deren demokratischem Forum in Kon- stanza erfahren. Über die Dobrudschadeutschen – für die sie eine liebevolle, gut dokumentierte Homepage einrichtete – erfuhr sie auch von den Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben. Rumänien wurde zu ihrem Lieblingsreiseland, in dem sie sich über ein Dutzend Mal kundig machte über Land und Leute. Vor allem hatten es ihr die jungen Autoren der Literaturvereinigung „Stafette“ angetan. Diese rumänischen Muttersprachler, die beachtliche deutschsprachige Texte schrieben, erregten ihre Aufmerksamkeit und Bewunderung und veranlassten sie, deren Entwicklung zu begleiten. Elisabeth Rieping war zeitlebens der Auffassung, dass sich vor allem Selbsterlebtes am besten literarisch verarbeiten lässt, und sah sich bis zu ihrem Lebensende als ein Mitglied der undogmatischen 68er Aufbruchgeneration. Während ihres Studiums der Biologie und der Medizin – die Elisabeth Rieping beide erfolgreich abschloss – betätigte sie sich vor allem in der Frauenbewegung. Elisabeth Rieping wusste, dass es vor allem auf die praktische Hilfe ankommt. Es bleibt mir unvergesslich, mit welchem Einfühlungsvermögen sie die literarischen Zeugnisse dieser noch sehr jungen Menschen aus Rumänien aufnahm. 1994 trug sie mit Hilfe der

Transcript of Nachruf für Elisabeth Rieping

Page 1: Nachruf für Elisabeth Rieping

NACHRUF

VERLUST FÜR RUMÄNIENDEUTSCHE LITERATUR: ZUM TOD VON ELISABETH RIEPING (1950 – 2009)

Nach dem Umbruch 1989 in Rumänien sah es nach dem Massenexodus der Rumäniendeutschen, als allein 1990/91 etwa 120 000 von ihnen aussiedelten, für die Zukunft der rumäniendeutschen Literatur äußerst bedenklich aus. Konnte die am Ende der 70er Jahre noch 380 000 Seelen zählende deutsche Minderheit, die auf 80 000 zurückgegangen war, sich überhaupt noch bemerkenswert zu Worte melden?! Der billige Pessimismus der Untätigen in Ost wie West wurde durch eine wahrhaft einmalige Leistung der zurückgebliebenen Tätigen Lügen gestraft.Die rumäniendeutsche Minderheit hat es in einer unglaublichen demokratischen Aufbauarbeit geschafft, fast die gesamte rumäniendeutsche kulturelle Infrastruktur – selbst in der finstersten Ceauşescu-Diktatur – zu erhalten. Das Rückgrat der rumäniendeutschen Kultur ist das deutschsprachige Schulwesen Rumäniens. Es gibt über zehn Gymnasialabteilungen mit Deutsch als Unterrichtssprache. An ihnen wird nicht nur deutsche Sprache und Literatur unterrichtet, sondern auch geschrieben – weltweit einmalig auf diesem beachtlichen literarischen Niveau.Den Beginn machte das Nikolaus-Lenau-Gymnasium in Temeswar, wo 1992 der Literaturkreis „Stafette“ gegründet wurde, um begabten Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit zu bieten, unter Anleitung von Deutschlehrern – auch aus Deutschland –, und anderer Sprach- und Literaturkundigen deutschsprachige literarische Texte zu verfassen. Die Förderung dieses Literaturkreises und seiner begabten Mitglieder und Besucher war im wahrsten Sinne des Wortes, des literarischen Wortes, die Geburtsstunde des Wei-terlebens der rumäniendeutschen Literatur, die ohne Nachwuchs keine Zukunft hätte.Hier kommt die großzügige fürsorgliche Förderung von Elisabeth Rieping ins Spiel. 1993 hatte sie das erste Mal mit mir Rumänien besucht und in Konstanza, Mamaia und Mangalia über die Dobrudschadeutschen von gestern und heute in deren demokratischem Forum in Konstanza erfahren. Über die Dobrudschadeutschen – für die sie eine liebevolle, gut dokumentierte Homepage einrichtete – erfuhr sie auch von den Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben. Rumänien wurde zu ihrem Lieblingsreiseland, in dem sie sich über ein Dutzend Mal kundig machte über Land und Leute. Vor allem hatten es ihr die jungen Autoren der Literaturvereinigung „Stafette“ angetan. Diese rumänischen Muttersprachler, die beachtliche deutschsprachige Texte schrieben, erregten ihre Aufmerksamkeit und Bewunderung und veranlassten sie, deren Entwicklung zu begleiten.Elisabeth Rieping war zeitlebens der Auffassung, dass sich vor allem Selbsterlebtes am besten literarisch verarbeiten lässt, und sah sich bis zu ihrem Lebensende als ein Mitglied der undogmatischen 68er Aufbruchgeneration. Während ihres Studiums der Biologie und der Medizin – die Elisabeth Rieping beide erfolgreich abschloss – betätigte sie sich vor allem in der Frauenbewegung.Elisabeth Rieping wusste, dass es vor allem auf die praktische Hilfe ankommt. Es bleibt mir unvergesslich, mit welchem Einfühlungsvermögen sie die literarischen Zeugnisse dieser noch sehr jungen Menschen aus Rumänien aufnahm. 1994 trug sie mit Hilfe der Kölner Literaturbeauftragten Uta Biedermann dazu bei, Joachim Wittstock aus Hermannstadt und Aurel Mihaiu aus Klausenburg einzuladen. Im selben Jahr folgte die Einladung an Carmen Elisabeth Puchianu aus Kronstadt und Sinziana Pop aus Bukarest. Im Jahr 2007 trug Elisabeth Rieping wesentlich zum Gelingen der Lesereihe der „Stafette“-Literaturvereinigung bei, die Lesungen in Köln, Bonn und Düsseldorf hielt. Sie beherbergte Lorette Bradiceanu-Persem, Petra Curescu und Bianca Andrea Barbu.

Page 2: Nachruf für Elisabeth Rieping

Ihre großzügige Gastfreundschaft bot Elisabeth Rieping 2008 auch Klausenburger Autoren an. Diesmal war ihre Hilfe noch unerlässlicher, denn die olympischen Spiele in Peking standen an. Peking ist wie Klausenburg Partnerstadt von Köln und die Geldmittel wurden für Besuche in Peking verplant. So genannte Drittmittel mussten her. Elisabeth Rieping stellte sie zur Verfügung und sprang hilfsbereit wie immer ein. Sie beherbergte die Klausenburger Autorinnen Sinziana Mureşeanu und Constantina Buleu. Eginald Schlattner und Joachim Wittstock, als ehemalige Klausenburger Studenten ebenfalls Gäste in Köln, kamen bei ihren Verwandten unter. So konnte der Kölner Kulturreferent Johann Bunk die Klausenburger Gäste begrüßen. Deren Lesungen sollten die letzten von Elisabeth Rieping mitorganisierten sein.Die Größe des Verlustes kann an Elisabeth Riepings reichen Erfahrungen, die sie zum Teil in ihrem späten Debütband „Altgesellen“ hinterlässt, ausgemacht werden. Ihr Tod ist für die rumäniendeutsche und rumänische Literatur ein schmerzlicher Verlust, weil sie in einer Zeit wirtschaftlicher Krisen und Engpässe ein offenes Herz und eine freigiebige Hand für deren Autoren hatte. Nach ihrem Tod fördern in ihrem Sinne und im Gedenken an ihr Vermächtnis ihr Mann Ali Shafii und ihre Schwester Susanne Burkert den 15. „Stafette“-Anthologieband, damit alle von ihr betreuten „Stafette“-Autorinnen und -Autoren noch einmal die Gelegenheit erhalten, ihre Talente zu zeigen. Damit wollen sie auch dazu beitragen, dass nach dem Ende der Ceauşescu-Diktatur keine einseitige rumäniendeutsche Monokultur entsteht, sondern dass eine pluralistische Kultur und Literatur in der alten Heimat vor Ort gedeiht. Damit soll ein authentisches Weiterleben dieses einmaligen europäischen Phänomens, das der rumäniendeutschen Literatur als fünfte deutsche Literatur, ermöglicht werden.Elisabeth Rieping wird sicherlich eingehen in die Geschichte der rumäniendeutschen Literatur nach dem Umbruch als eine großzügige Brückenbauerin zwischen der alten Heimat im ehemaligen Ostblock und der neuen Heimat im Westen. Sie trägt mit dazu bei, dass die Wurzeln der rumäniendeutschen Literatur heute über ihre Verankerung in der rumänischen Literatur in die deutschsprachige und gesamteuropäische hinüberwachsen. Ingmar Brantsch

Quelle: Siebenbürgische Zeitung, Folge 18 vom 15. November 2009

Mit Dank für die freundliche Genehmigung des Autors Ingmar Brantsch und der Siebenbürgischen Zeitung für die Veröffentlichung an dieser Stelle.