Netskript 7 Ausbreitungsbiologie - geändert · 2009-11-14 · ∗ Geokarpie: Arachis hypogaea...

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Übung „Funktionelle Morphologie der Blüten, Früchte und Samen“ (Module B 5C, B 22C; PD Dr. C. Brückner) 7. Ausbreitungsbiologie • Untersuchung des Zusammenhangs zwischen der Konstruktion der pflanzlichen Ausbreitungseinheiten und ihrer Verfrachtung durch abiotische oder biotische Vektoren Ausbreitung: Prozess der Verfrachtung der Diasporen Verbreitung: Vorkommen der Sippe in einer geografischen Region (Areal) • Ausbreitungseinheiten: Diasporen (Pflanzenteile, die zur Ausbreitung dienen) [diaspeiro = griech. „ich werfe herum“] • Beispiele für vegetativ erzeugte Diasporen: Brutsprosse mit Nebenwurzeln Brutknöllchen (Bulbillen) Ranunculus ficaria (Scharbockskraut, Ranunculaceae): Seitenspross mit ver- dickter Nebenwurzel als Reservestoffspeicher Brutzwiebeln Allium paradoxum (Seltsamer Lauch, Alliaceae): im Blütenstand Bildung kleiner Zwiebeln, die sich später ablösen blattbürtige Brutknospen Bryophyllum daigremontianum (Brutblatt, Crassulaceae): am Blattrand entstehen sprossbürtig bewurzelte Jungpflänzchen, die leicht abfallen • generativ erzeugte Diasporen: - (Meio-)Sporen (Moose, Farne) - Samenteile - Samen - Teilfrüchte - Früchte - Fruchtstände - ganze Pflanzen • die meisten Diasporen sind polychor [griech. chorízein = absondern, ausbreiten] können auf verschiedene Weise (durch unterschiedliche Vektoren) verfrachtet werden - Fernausbreitung: ab 100 m Distanz (Vektoren: Wind, Wasser, Wirbeltiere) - Nahausbreitung: Diasporen verbleiben in der Umgebung der Mutterpflanze (insbesondere bei Standortspezialisten überlebensnotwendig) • Ausbreitungstypen : - Selbstausbreitung (Autochorie) - Bewegungen der Pflanze bzw. der Diasporen führen zur Ausbreitung in die direkte Umgebung der Mutterpflanze - Windausbreitung (Anemochorie, Meteorochorie) - Ausbreitung der Diasporen durch die Luft unter Windeinfluss - Wasserausbreitung (Hydrochorie) - alle Formen der Ausbreitung durch Wasser inkl. Regen - Tierausbreitung (Zoochorie) - Ausbreitung durch Wirbellose und besonders Wirbeltiere - Ausbreitung durch den Menschen (Hemerochorie, Anthropochorie) - überwiegend Fernausbreitung 1. Selbstausbreitung (Autochorie) 1.1. Selbstschleuderer (Ballochore) 1.1.1. Saftdruckstreuer: Turgormechanismen Impatiens parviflora (Klein- blütiges Springkraut, Balsa- minaceae): unterschiedlicher Turgordruck in äußeren und inneren Perikarpschichten bewirkt explosives Öffnen der Saftkapsel Diasporen: Samen Ecballium elaterium (Spritzgurke, Cucurbitaceae): fruchtmus- artiges Endokarp steht unter Druck (bis 15 bar!); Trennungsgewebe am Ansatz des gekrümmten Fruchtstiels ist die „Sollbruchstelle“ beim Abreißen spritzt saftiger Inhalt samt Samen 12 m weit heraus Diasporen: Samen

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Übung „Funktionelle Morphologie der Blüten, Früchte und Samen“ (Module B 5C, B 22C; PD Dr. C. Brückner)

7. Ausbreitungsbiologie • Untersuchung des Zusammenhangs zwischen der Konstruktion der pflanzlichen Ausbreitungseinheiten und ihrer

Verfrachtung durch abiotische oder biotische Vektoren • Ausbreitung: Prozess der Verfrachtung der Diasporen

Verbreitung: Vorkommen der Sippe in einer geografischen Region (Areal) • Ausbreitungseinheiten: Diasporen (Pflanzenteile, die zur Ausbreitung dienen) [diaspeiro = griech. „ich werfe herum“] • Beispiele für vegetativ erzeugte Diasporen: Brutsprosse mit Nebenwurzeln

Brutknöllchen (Bulbillen) Ranunculus ficaria (Scharbockskraut, Ranunculaceae): Seitenspross mit ver-dickter Nebenwurzel als Reservestoffspeicher

Brutzwiebeln Allium paradoxum (Seltsamer Lauch, Alliaceae): im Blütenstand Bildung kleiner Zwiebeln, die sich später ablösen

blattbürtige Brutknospen Bryophyllum daigremontianum (Brutblatt, Crassulaceae): am Blattrand entstehen sprossbürtig bewurzelte Jungpflänzchen, die leicht abfallen

• generativ erzeugte Diasporen:- (Meio-)Sporen (Moose, Farne) - Samenteile - Samen - Teilfrüchte

- Früchte - Fruchtstände - ganze Pflanzen

• die meisten Diasporen sind polychor [griech. chorízein = absondern, ausbreiten] → können auf verschiedene Weise (durch unterschiedliche Vektoren) verfrachtet werden - Fernausbreitung: ab 100 m Distanz (Vektoren: Wind, Wasser, Wirbeltiere) - Nahausbreitung: Diasporen verbleiben in der Umgebung der Mutterpflanze (insbesondere bei Standortspezialisten überlebensnotwendig)

• Ausbreitungstypen: - Selbstausbreitung (Autochorie) - Bewegungen der Pflanze bzw. der Diasporen führen zur Ausbreitung in die

direkte Umgebung der Mutterpflanze - Windausbreitung (Anemochorie, Meteorochorie) - Ausbreitung der Diasporen durch die Luft unter Windeinfluss - Wasserausbreitung (Hydrochorie) - alle Formen der Ausbreitung durch Wasser inkl. Regen - Tierausbreitung (Zoochorie) - Ausbreitung durch Wirbellose und besonders Wirbeltiere - Ausbreitung durch den Menschen (Hemerochorie, Anthropochorie) - überwiegend Fernausbreitung

1. Selbstausbreitung (Autochorie)

1.1. Selbstschleuderer (Ballochore) 1.1.1. Saftdruckstreuer: Turgormechanismen

Impatiens parviflora (Klein-blütiges Springkraut, Balsa-minaceae): unterschiedlicher Turgordruck in äußeren und inneren Perikarpschichten bewirkt explosives Öffnen der Saftkapsel

Diasporen: Samen

Ecballium elaterium (Spritzgurke, Cucurbitaceae): fruchtmus-artiges Endokarp steht unter Druck (bis 15 bar!); Trennungsgewebe am Ansatz des gekrümmten Fruchtstiels ist die „Sollbruchstelle“ → beim Abreißen spritzt saftiger Inhalt samt Samen 12 m weit heraus Diasporen: Samen

Oxalis-Arten (Sauerklee, Oxalidaceae): Quetschschleuder-Prinzip → subepidermales Schwellgewebe in der Samenschale übt Druck auf den inneren Teil des Samens aus, der aus der Kapsel herausgeschleudert wird Diasporen: Samenteile

Dorstenia-Arten (Dorstenie, Moraceae): Quetschschleuder-Prinzip → Schwellgewebe in der Fruchtstandsachse übt seitlichen Druck auf die Steinkerne der Früchte aus, die herausgeschleudert werden Diasporen: Fruchtteile (Endokarp mit Samen)

1.1.2. Austrocknungsstreuer: Spannungen im austrocknenden Perikarp durch unterschiedlich kontrahierbare Bereiche → explosive ÖffnungGeranium-Arten (Storchschnabel, Geraniaceae): Katapultkapseln - 5 einsamige Karpelle mit langausgezogener Spitze („Schnabel“); explosive Krümmung der äußeren Karpellteile nach außen/oben schleudert Samen ab Diasporen: Samen

Viola-Arten (Veilchen, Stiefmütterchen; Violaceae): dreikarpellige Kapseln öffnen sich längs der Mittelrippen, falten sich beim Austrocknen kahnförmig zusammen und pressen die Samen heraus Diasporen: Samen

Hura crepitans (Sandbüchsenbaum, Euphorbiaceae): mehrkarpellige Früchte explodieren mit lautem Knall, schleudern Einzel-karpelle bis 40 m weit Diasporen: Samen

1.2. Selbstableger (Blastochore): aktive Deponierung der Diasporen in der Nähe der Mutterpflanze ∗ Cymbalaria muralis (Zimbelkraut, Plantaginaceae):

Fruchtstiele verlängern sich negativ phototrop und schieben die Früchte in Felsspalten bzw. Mauerritzen (Pfeil), wo sie die Samen entlassen

∗ Geokarpie: Arachis hypogaea (Erdnuss, Fabaceae) → Fruchtstiele verlängern sich negativ phototrop und schieben die Früchte tief in den Boden, wo sie in 4-5 Monaten heranreifen ∗ Amphikarpie: Pflanze mit oberirdischen Blüten → Luftfrüchte

und mit basalen kleistogamen Blüten → Erdfrüchte Samen aus den beiden Fruchttypen unterscheiden sich in Zahl und Größe

amphikarpe Sippen z. B. in Fabaceae, Violaceae, Brassicaceae

2. Windausbreitung (Anemochorie)

2.1. Windstreuer (Boleochore, Semachore): Diasporen werden aus Behältern an steiffedernden Achsen ausgeschüttelt, Wirkung des Windes nur mittelbar (Samen werden nicht verblasen) Beispiel: Papaver-Arten (Mohn, Papaveraceae) - trockene Kapseln an langen Stielen

2.2. Flieger (Meteorochore): Diasporen mit dem Wind treibend bzw. selbstständig gleitend 2.2.1. Körnchenflieger (Granometeorochore): winzige, leichte

Diasporen („Staub-Diasporen“) Beispiel: Orchidaceae - Kapselfrüchte enthalten Tausende bis zu 4 Millionen winzige Samen (0,005 mg) - mit dem Wind über Hunderte km transportierbar

2.2.2. Ballonflieger (Cystometeorochore): luftgefüllte, „aufgeblasene“ Strukturen an den Diasporen

Trifolium fragiferum (Erdbeer-Klee, Fabaceae) - luftgefüllter Kelch persistiert an der Hülse

Staphylea-Arten (Pimpernuss, Staphyleaceae) - Früchte blasig, leicht

Schema einer amphikarpen Pflanze

Samen von Epipactis palustris (Sumpf-Sitter, Orchidaceae)

Papaver dubium (Saat-Mohn)

2.2.3. Haarflieger (Trichometeorochore): Diasporen mit Haaren unterschiedlicher Herkunft a) Samenhaare

Gossypium-Arten (Baumwolle, Malvaceae)

Asclepias-Arten (Seidenpflanze, Apocynaceae)

Populus-Arten (Pappel, Salicaceae)

b) Federschweifflieger

Sammelnussfrüchte, Nüsschen mit langem behaartem Griffel: Dryas octopetala (Silberwurz, Rosaceae)

Sammelnussfrüchte, Nüsschen mit langem behaartem Griffel: Clematis vitalba (Weiße Waldrebe, Ranunculaceae)

Stipa (Federgras, Poaceae): Karyopse (Bohrfrucht) umschlossen von Deck- spelze mit langer, behaarter Granne

S. stenophylla

c) Perigonhaare

Eriophorum (Wollgras, Cyperaceae): Perigonborsten wachsen zur Fruchtreife zu langen Haaren aus, persistieren an der Nussfrucht

Typha (Rohrkolben, Typhaceae): Haare an der Nussfrucht in mehreren Etagen

T. angustifolia

2.2.4. Flügelflieger (Pterometeorochore): Diasporen mit Flügeln unterschiedlicher Herkunft

a) geflügelte Samen

Alsomitra macrocarpa (früher Zanonia, Cucurbitaceae; Südostasien): symmetrisch geflügelter Same → Gleitflieger mit hervorragenden Flugeigenschaften (bis zu 10 km); Vorbild für die Eindecker-Flugzeuge „Etrich-Taube“ (1910, erstes österreichisches Militärflugzeug) und „Rumpler-Taube“ (Deutschland)

Die Samen der Pinaceae (Bsp.: Tsuga canadensis, Kanadische Hemlocktanne, rechts, und Pinus wallichiana, Tränen-Kiefer, unten) haben einseitige Flügel →Schraubenflieger

Nemesia fruticans (Elfenspiegel, Scrophulariaceae): Samen mit umlaufendem Flügel → Scheibenflieger

d) Pappushaare der Asteraceae

Kelch oft zu an der Achäne persistierendem Haarkranz umgestaltet

E. angusti-folium

b) geflügelte Früchtchen: Liriodendron tulipifera (Tulpenbaum, Magnoliaceae): Sammelnussfrucht → Flügelnüsschen einzeln ausgebreitet

c) geflügelte Teilfrüchte

d) Flügelnüsse

Flügel vom Perikarp gebildet: Fraxinus excelsior (Esche, Oleaceae), Ulmus-Arten (Ulme, Ulmaceae), Betula pendula (Hänge-Birke, Betulaceae), Ptelea trifoliata (Klee- ulme, Ruta- ceae; Abb.)

persistierendes Perigon als Flugapparat: Polygonaceae (Knöterichgewächse) Rheum palmatum (Medizinal-Rhabarber)

persistierender Kelch: Dipterocarpaceae: - mindestens 2 der 5 Sepalen werden zu bis 25cm langen Flügeln

Verwachsungsprodukt aus dem Tragblatt und den beiden Vorblättern der Blüte ergibt Flügel: Carpinus betulus (Hainbuche, Betulaceae)

e) Fruchtstände Tilia-Arten (Linden, Malvaceae): Stiel des Fruchtstands mit flügelartig vergrößertem Vorblatt verwachsen

2.3. Bodenläufer (Chamaechore):

∗ Teile von Pflanzen (Teilläufer): Bsp. Cotinus coggygria (Perückenstrauch, Anacardiaceae) → Fruchtstand zerfällt in dreidimensionale Einzelteile, behaarte Stiele steriler Blüten sind „windgriffig“

∗ ganze Pflanzen (Einzelläufer) - lösen sich im Herbst ab und

werden vom Wind übers offene Land getrieben; dabei fallen Früchte bzw. Samen ab

- vor allem Chenopodiaceae-Sippen (Gänsefußgewächse)

Salsola kali (Salzkraut, Chenopodiaceae;

heimisch)

∗ Zusammenballungen mehrerer Pflanzen (Massenläufer, „Steppenhexen“)

3. Wasserausbreitung (Hydrochorie)

3.1. Schwimmer (Nautochore): Transport schwimmfähiger Diasporen durch Oberflächenströmungen - Diasporen unbenetzbar, mit Luftsäcken oder Schwimmgeweben (verkorkte, lufthaltige Zellen) - Beispiele: ∗ Cocos nucifera (Kokospalme, Arecaceae, indo-pazifischer Ursprung): Steinfrucht mit faserigem,

lufthaltigem Mesokarp; bekannteste Driftfrucht, kann ca. 5000 km schwimmen und dabei keimfähig bleiben, bevorzugt gut drainierte Korallensandstrände tropischer Inseln und Atolle; seltener an kontinentalen Küsten zu finden

∗ Entada-Arten (Fabaceae-Mimosoideae): Lianen („Monkey Ladders“) der alt- und neuweltlichenTropen, Gliederhülsen bis 2 m lang, Samen werden in die Flüsse gespült und driften mit den Meeresströmungen; Entada gigas (Seeherz): tropisches Amerika, Samen gelangen mit dem Golfstrom bis Irland und Norwegen

∗ Calophyllum inophyllum (Clusiaceae): kleiner Baum an fast allen Küsten des Indischen und Pazifischen Ozeans, pingpongballgroße Früchte sind häufige Driftfrüchte im tropischen Pazifik

∗ Caesalpinia bonduc (Molukkenbohne, Fabaceae-Caesalpinioideae): bedornter, kletternder Küstenstrauch mit weiter tropischer Verbreitung, marmorartige Samen gehören zu den häufigsten Driftsamen (→ Wauri-Spiel auf den Kaimaninseln)

Entada phaseoloides

Frucht

Acer-Arten (Ahorn, Sapindaceae): oberständige zweikarpellige Spaltfrucht → geflügelte Teilfrüchte einzeln ausgebreitet (Schraubenflieger)

Ailanthus altissima (Götterbaum, Simaroubaceae): Gynoeceum ober-ständig, fünfkarpellig, anakrostyl → Spaltfrucht, über- höhter und ver- drehter Rücken der Teilfrüchte trägt zur Flügelbildung bei (Schraubenflieger)

Griffelansatz

∗ Barringtonia asiatica (Fischgiftbaum, Lecythidaceae): großer Küstenbaum des Indischen und westlichen Pazifischen Ozeans; Driftfrüchte zwei Jahre schwimmfähig, gehörten zu den Erstbesiedlern von Krakatau nach der Eruption von 1883

∗ Merremia discoidesperma (Marienbohne, Convolvulaceae): Kletterpflanze in den Regenwäldern Mexicos und Zentralamerikas mit gelben Trichterblüten und einsamigen Früchten; Samen mit verholzter Schale und internen Lufträumen können Monate bis Jahre driften, gelangen bis Norwegen (24 000 km) - längste dokumentierte Driftdistanz

∗ Mucuna sloanei (Hamburgerbohne, Fabaceae-Faboideae): pantropische Liane, fledermausblütig (Flagelliflorie), Samen oft an den Stränden der südöstlichen USA angespült, auch an niederländischen Küsten gefunden

3.2. Strömungsschwemmlinge (Bythisochore): Transport durch Strömungen am Gewässergrund (auch nicht schwimmfähige Diasporen)

3.3. Regentropfen-Wanderer (Ombrochore) 3.3.1. Regenschwemmlinge: Früchte öffnen sich bei Befeuchtung, kleine Samen werden ausgeschwemmt. Beispiele:

Sedum acre (Scharfer Mauerpfeffer, Crassulaceae): Sammelbalgfrucht

Eranthis hyemalis (Winterling, Ranunculaceae): Sammelbalgfrucht

3.3.2. Regenballisten: die Wucht der aufprallenden Wassertropfen löst einen Schleudermechanismus aus, der die Diasporen auswirft Beispiel: Prunella vulgaris (Gemeine Braunelle, Lamiaceae) - der zweilippige Fruchtkelch ist trocken geschlossen (links), bei Nässe öffnet er sich (rechts); auf die Oberlippe prallende Tropfen schleudern die Klausen aus

4. Tierausbreitung (Zoochorie)

4.1. Darmwanderer (Endozoochore): Ausbreitung nach Fraß und Verdauung - erforderliche Diasporenbeschaffenheit:

∗ Reizmittel (Farbe, Duftstoffe) ∗ Lockmittel (Nahrungsstoffe - Kohlenhydrate, Fett, Protein) ∗ Schutzeinrichtungen (harte Schichten gegen Zerstörung in Kauapparat oder Verdauungstrakt)

- Für die Keimung ist die Magen-Darm-Passage erforderlich! Verdauungssäfte machen die Hartschichten wasserdurchlässig und die Samen quellfähig

- verschiedene Möglichkeiten zur Verwirklichung des Prinzips „Außen fleischig, innen holzig“: fleischiger Anteil Hartschicht Beispiel äußere Samenschale (Sarkotesta)

ursprünglichstes Prinzip!

innere Samenschale (Sklerotesta: Abb. rechts)

Gymnospermen: Ginkgo (Abb.), Cycadopsida ursprüngliche Angiospermen: Magnolia (Magnoliaceae)

Arillus („Samenmantel“), z. B.: - Auswuchs aus der Achse unterhalb der Samenanlage

gesamte Samenschale

Taxus (Eibe, Taxaceae - Abb.)

- Auswuchs aus der Mikropylarregion der Samenanlage

gesamte Samenschale

Myristica fragrans (Muskatnuss, Myristicaceae)

Perikarp → Beerenfrucht gesamte Samenschale

Solanum lycopersicum (Tomate, Solanaceae - links.), Vitis vinifera (Wein, Vitaceae - Mitte) Vaccinium myrtillus (Heidelbeere, Ericaceae), Ribes rubrum (Johannisbeere, Grossulariaceae - rechts)

Klausen

fleischiger Anteil Hartschicht Beispiel äußere Fruchtwand: Exo- + Mesokarp (Sarkokarp)

bei unterständigen Stein-früchten trägt die Blütenachse zum fleischigen Anteil bei (Bsp.: Crataegus [Weißdorn], Malus [Apfel], Cydonia [Quitte] - alle Rosaceae)

innere Fruchtwand: Endokarp (Sklerokarp) = Steinfrucht

Rubus (Himbeere - Abb., Brombeere; Rosaceae) - Sammelsteinfrucht, Prunus (Kirsche, Pflaume - Abb., Aprikose, Pfirsich; Rosaceae) - Einblattsteinfrucht, Olea europaea (Olive, Oleaceae), Mangifera indica (Mango, Anacardiaceae)

Blütenachse gesamte Fruchtwand

Fragaria (Erdbeere, Rosaceae: Abb.), Rosa (Rose, [Frucht = Hagebutte], Rosaceae; Abb.) - beides Sammelnussfrüchte

persistierende Blütenhülle (+ [dünne] äußere Fruchtwand)

innere Fruchtwand (Sklerokarp)

Morus (Maulbeere, Moraceae) - Diaspore ist ein vielfrüchtiger Steinfruchtstand

Fruchtstandsachse gesamte Fruchtwand

Ficus (Feige, Gummibaum, Moraceae) - Diaspore ist ein vielfrüchtiger Nussfruchtstand

- wichtige Ausbreiter: I. Vögel (Ornithochorie) → Anpassungen der Diasporen:

∗ entweder rot oder grell- bzw. kontrastfarbig ∗ weichschalig ∗ mäßig groß ∗Wintersteher: im Winter nicht abfallend

II. Säugetiere (Mammaliochorie -in den Tropen verbreiteter als in den gemäßigten Breiten) → Anpassungen der Diasporen: ∗ größer, abfallend (oft Aufnahme vom Boden) ∗ hartschaliger, Färbung weniger auffallend; duftend Beispiele: Citrus-Früchte (Rutaceae), Cucurbitaceae

III. Ameisen (Myrmekochorie) ∗ verbreitet bei Sippen der temperaten und tropischen Waldbereiche ∗ Diasporen klein, transportierbar (Mundwanderer = Stomatochore ) ∗ Ausbildung von charakteristischen Samen- und Fruchtanhängseln,

die fett- und proteinreich sind (Elaiosomen, Ölkörper) ∗ Ameisen transportieren die Diasporen in den Bau, nagen die

Ölkörper ab und entfernen den Rest wieder ∗ Ameisengärten der Neotropis: bestimmte Ameisenarten bauen

Nester in den Astgabeln tropischer Regenwaldbäume; die Diasporen verschiedener epiphytischer Sippen werden zu Futterzwecken ins Nest geholt und keimen dort aus → typische Artenzusammensetzung (Vertreter von Bromeliaceae, Araceae, Gesneriaceae, Piperaceae)

4.2. Dysochorie (Versteck-Ausbreitung): Transport von Diasporen zu Nahrungszwecken ohne Verdauung, Diasporen entgehen nur durch Zufall der Vernichtung - trockene Diasporen werden von Nagetieren und Vögeln als Vorrat gehortet oder vesteckt - nur ein bestimmter Prozentsatz wird wiedergefunden und verzehrt, der Rest dient der Ausbreitung - Beispiel: Symbiose von Tannenhäher (Nucifraga caryocatactes) und Zirbel-Kiefer (Pinus cembra): Der

Tannenhäher legt im Sommer zahlreiche Vorratsverstecke mit Samen der Zirbel-Kiefer an. 20 % findet er nicht wieder. Das reicht zur natürlichen Verjüngung der Kiefer aus.

4.3. Anhafter (Epizoochore): Ausbreitung im Fell, am Federkleid oder an den Hufen - unspezialisiert: kleine Diasporen von Sumpf- und Wasserpflanzen schwimmen auf der Oberfläche oder befinden

sich im Schlamm → Anheftung an Wasservögel (Füße, Gefieder) ermöglicht Transport von Gewässer zu Gewässer → viele Kosmopoliten (z. B. Binsen[Juncus]- und Hahnenfuß[Ranunculus]-Sippen)

Viburnum lantana (Wolliger Schneeball, Adoxaceae): Farbkontrast

durch unterschiedlich reife Früchte

Corydalis cava (Hohler Lerchensporn,Papaveraceae), Moehringia trinervia

(Nabelmiere, Caryophyllaceae), Luzulapilosa (Wald-Haarsimse, Juncaceae)

Elaiosomen anTeilfrüchten: Lamium

purpureum (RoteTaubnessel, Lamiaceae)

Elaiosomen an Samen:

Daphne mezereum (Seidelbast,Thymelaeaceae)

- spezialisiert: Kletteinrichtungen - Haare, Emergenzen oder andere Hakenbildungen unterschiedlicher Herkunft

Hakenhaare / hakige Emergenzen auf Teilfrüchten und Früchten

Galium aparine (Kleb-Labkraut, Rubiaceae): unterständige zweikarpellige Spaltfrucht

Cynoglossum officinale (Hundszunge, Boraginaceae): mit Widerhaken besetzte Klausenfrüchte

Haken aus Griffeln

Geum urbanum (Echte Nelkenwurz, Rosaceae): Sammelnussfrucht; Griffel der Früchtchen zweiteilig: oberer gekrümmter Abschnitt mit Narbe fällt ab, dadurch endet unterer Abschnitt in einem spitzen Haken

hakige Kelchblätter bzw. Pappusborsten

Bidens frondosa (Schwarzfrüchtiger Zweizahn, Asteraceae): Achäne mit 2-3 widerhakigen Grannen (entsprechen dem persistierenden Pappus)

hakiger Außenkelch

Agrimonia-Arten (Odermennig, Rosaceae): Außenkelch (Epicalyx [EC] = mit Sepalen [K] alternierender Hochblattkreis, häufig bei Rosoideae-Sippen) in zahlreiche Haken umgebildet, persistiert an der Sammelnussfrucht

hakiges Involucrum

Arctium lappa (Klette, Asteraceae): Hochblatthülle um die Fruchtstände mit hakigen Spitzen → Schüttelklette: festgehakte Pflanze biegt sich elastisch, beim Zurück schnellen werden Achänen ausgeschleudert

Xanthium albinum (Elb-Spitzklette, Asteraceae): klettende Hochblatthülle um die Fruchtstände (2 Achänen enthaltend) verwachsen; Diasporen: abgelöste Fruchtstände

- Trampelkletten: robuste Diasporen mit langen Haken von Steppen- und Wüstenpflanzen, bohren sich in die Füße größerer Huftiere; Beispiele: ∗ Proboscidea louisianica (Gemshorn, Martyniaceae; tropisches und

subtropisches Amerika): reife Frucht mit langem Griffel spaltet sich in 2 Haken (Abb.)

∗ Harpagophytum procumbens (Teufelskralle, Pedaliaceae; südliches Afrika: Kalahari, Namib)

5. Ausbreitung durch den Menschen (Hemerochorie, Anthropochorie) [hemeros = griech. kultiviert, gezähmt, veredelt]

- hat große Bedeutung erlangt! - in manchen Regionen dominieren Menschenwanderer (Hemerochore) gegenüber der heimischen Flora (z. B.

Neuseeland, Californien) - Hawaii: in den letzten 200 Jahren über 4 600 Arten eingeführt → davon über 600 Arten dauerhaft eingebürgert →

davon 86 Arten aggressiv, stellen eine Bedrohung einheimischer Ökosysteme dar

EC

K

- Agriophyten (Neuheimische): durch menschliche Tätigkeit in ein bestimmtes Gebiet gelangt → zu festen Bestandteilen der natürlichen Vegetation geworden → im Fortbestehen nicht mehr auf menschliche Aktivitäten angewiesen

- Mitteleuropa: 54% der Agriophyten stammen aus Europa und Westasien (z. B. Sisymbrium loeselii, Lösels Rauke, Brassicaceae, links), 30% stammen aus Nordamerika (z. B. Symphoricarpos albus, Schneebeere, Caprifoliaceae, rechts), 9% stammen aus Asien

- Kategorisierung der Hemerochoren chronologisch: a) Archäophyten: bereits in prähistorischer Zeit nach Mitteleuropa gelangt, Herkunft meist aus dem östlichen Mittelmeergebiet Agrostemma githago (Kornrade, Caryophyllaceae)

b) Neophyten: Pflanzen, die nach 1492 (Entdeckung Amerikas) eingeführt wurden

[nach Kowarik 2002] Artenzahl % Flora von Deutschland 3062 100 % einheimische Sippen 2375 77,6 % nichteinheimische Sippen 687 22,4 % davon Archäophyten 275 9,0 % davon Neophyten 412 13,4 % ausgestorbene Arten 47 1,5 %etablierte nichtheimische Arten 687 100 %in naturnaher Vegetation etabliert (Agriophyten)

177 40,3 %

spezifisch bekämpfte Arten ohne Ackerunkräuter ca. 30 ca. 4,4 % mit Ackerunkräutern ca. 50 ca. 7,3 %geschätzte Anzahl beabsichtigt oder unbeabsichtigt eingeführter Arten

> 12 000

II) Speirochorie - ungewollte Einführung durch verunreinigtes Saatgut, Aussaat auf vom Menschen vorbereiteten Boden viele Archäophyten

Centaurea cyanus (Kornblume, Asteraceae)

III) Agochorie - Einführung über ungewollten Transport, keine Ausaat auf vom Menschen vorbereiteten Boden Erstes Auftauchen oft - in Häfen - an Bahnhöfen - entlang von Bahnstrecken - entlang von Autobahnen

Besonders problematisch: Ablassen von Ballastwasser (in deutschen Häfen jährlich 10 Mio Tonnen, davon 2 Mio t aus Regionen außerhalb der EU) → Verschleppung kompletter Organismen-gemeinschaften rund um den Erdball

Papaver rhoeas (Klatsch-Mohn, Papaveraceae)

Galinsoga parviflora (Kleinblütiges Franzosenkraut, Asteraceae): andines Südamerika; um 1800 aus dem Botanischen Garten Paris verwildert, zeitgleich mit dem Heer Napoleons nach Osten gewandert, Unkraut

Robinia pseudoacacia (Robinie,Fabaceae): Nordamerika; 1601 von J. Robin nach Paris einge-führt, etablierter Waldbaum

Kategorisierung der Hemerochoren nach der Art der Einführung:

I) Ethelochorie - Kulturpflanzen (Nutz- und Zier-pflanzen) Bewusste Einführung über Saatgut oder von Jungpflanzen Beispiel: Angelica archangelica (Engelwurz, Apiaceae), Nordosteuropa, im 10. Jhdt. durch die Wikinger in Mittel-europa eingeführt, wichtige Heilpflanze der Klostergärten, Bestandteil von Kräuterlikören; verwildert längs der Flussläufe dank schwimmfähiger Früchte

Matricaria recutita (Echte Kamille, Asteraceae)

Beispiel: Senecio inaequidens (Schmalblättriges Greiskraut, Asteraceae): Südafrika; Woll-importbegleiter, seit 1977 starke Ausbreitung längs Bahnlinien und Autobahnen, erreichte Berlin anfangs der neunziger Jahre