Neue Forschungen zum Mittelpaläolithikum auf der Krim...

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Chabai, Victor P.; Richter, Jürgen; Uthmeier, Thorsten Neue Forschungen zum Mittelpaläolithikum auf der Krim. Vorbericht Germania 80, 441-473 2002 Universität zu Köln Institut für Ur- und Frühgeschichte Weyertal 125 50923 Köln www.ufg.uni-koeln.de

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Chabai, Victor P.; Richter, Jürgen; Uthmeier, Thorsten

Neue Forschungen zum Mittelpaläolithikum auf derKrim. Vorbericht

Germania 80, 441-473

2002

Universität zu KölnInstitut für Ur- und FrühgeschichteWeyertal 12550923 Kölnwww.ufg.uni-koeln.de

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a Kri

Von Victor P. Chabai, Jürgen Richter, Thorsten Uthmeier und Alexander I. Yevtuchenkol

Schlagwörter: Krim / Mitte~paläolithikum/Besiedlungsgeschichte /Steingeräte /Abschlagtecbniken Keywords: Crimea / Middle Palaeolithic/ History of settlement /Stone implements/ Flaking

techniqttes Mots-clk: Crimke/ Palkolithique moyen / Histoire d'occupation / Outils en pierre/ Techniques

dJkclatement

Das Auftreten des modernen Menschen in Europa vor rund 40 000 bis 35 000 Jahren und das Verschwinden des Neandertalers vor vielleicht 30000 Jahren gehören zu den zentralen Themen der prähistorischen Archäologie. Zugang zu dieser Thematik bieten die frühesten europäischen Nachweise des Homo sapiens sapiens einerseits sowie die spätesten Vorkommen des Neandertalers andererseits. Ausgesprochen spät datierte Fundstellen mit fossilen und kulturellen Uberresten des Neandertalers kennen wir zur Zeit aus Südfrankreich, Südspanien, Portugal und Kroatien, vor allem aber von der Krim. Im Gegensatz zu den übrigen Fundregionen zeichnet sich diese durch eine ungewöhnlich große Anzahl an Fundstellen und ausgezeichnete Erhaltungsbeding- ungen, besonders für Knochen, aus.

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert seit 1999 das Projekt ,Funktionale Variabilität im späten Mittelpaläolithikum auf der Halbinsel Krim, Ukrainecc, das vom Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität zu Köln gemeinsam mit der Krim- Abteilung der Ukrainischen Akademie der Wissenschaften in Simferopol und in Zu- sammenarbeit mit der Southern Methodist University in Dallas (Prof. A.E. Marks) durchgeführt wird.

Die radikal kulturelle Interpretation mittelpaläolithischer Variabilität (Jnventartypen sind kulturelle Einheiten in Raum und Zeitcc: BOSINSKI 1967, 84), wie sie die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts bestimmte, erzeugte in vielen Fällen Widersprüche. For- schungen der letzten zehn Jahre haben gezeigt, daß das formenkundliche Bild mittel- paläolithischer Inventare sehr variabel ist und wesentlich durch die Belegungsdauer, die Funktion und die Belegungssaison mitbestimmt wird. So stellt sich heute die Aufgabe, das Zustandekommen der einzelnen Inventarbilder nicht nur zu beschreiben und zu vergleichen, sondern möglichst detailliert zu erklären. Ziel des hier vorgestellten Pro- jektes ist es daher, über die Analyse der funktionalen Variabilität in der materiellen Kul- tur einen Beitrag zur Erforschung der Landnutzung der Zeit des späten Neandertalers

~berse tzung der in englischer Sprache abgefaßten Textpassagen und sprachliche Überarbeitung von Martin Kurbjuhn, Köln.

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zu leisten. Die Krim bietet hierzu weltweit optimale Voraussetzungen: Uber 100 Fund- stellen aus der Zeit des späten Neandertalers (127 000-30 000 B. P.) sind hier bekannt. In Anlehnung an Konzepte der Systemtheorie sollen möglichst viele der durch Um- welt und Kulturverhalten gegebenen Parameter in einen Zusammenhang gestellt wer- den. Das auf fünf Jahre angelegte Projekt dient damit nicht nur der Regionalforschung in einem Schlüsselgebiet für die genannten Fragestellungen, sondern es soll Perspek- tiven aufzeigen, die die Archäologie des Mittelpaläolithikums aus einer Forschungs- krise herausführen können.

Voraussetzungen auf der Krim

Die paläolithische Forschung auf der Krim kann auf eine lange Tradition zurückblik- ken. Sie ist mit den Namen von K. Merejkowsky, G.A. Bonch-Osmolowski, A. For- mozow und V. Gladilin verknüpft (zusammenfassend: CHABAI 1998 a). In der westlichen Welt wurden aus diesen Forschungen besonders die Neandertaler-Funde von Kiik- Koba, Zaskalnaya V1 und der umstrittene Menschenfund von Staroselje bekannt. Von 1969 an wirkten die Arbeiten von Prof. J. G. Kolosov und seinem Schüler- und Mitar- beiterkreis prägend auf die Erforschung des Mittelpaläolithikums auf der Krim. 1988 waren 28 stratifizierte Fundstellen (heute sind es etwa 35) und 76 weitere Fundstellen des letztglazialen Mittelpaläolithikums bekannt (Abb. I).

Auf der Krim finden sich in enger Nachbarschaft sehr unterschiedliche Landschafts- räume: Der steil zur Schwarzmeerküste abfallende Hauptzug des Krimgebirges im Sü- den, die nördlich vorgelagerte, kontinuierlich ansteigende Schichtstufenlandschaft so- wie die flache südukrainische Steppe im Norden. Die mittelpaläolithischen Fundstellen konzentrieren sich in einer Zone der Schichtstufenlandschaft nordwärts des Hauptzu- ges und bilden zwei umfangreiche Fundstellengruppen, die sich in auffälliger Art und Weise in der Zusammensetzung der Jagdbeutespektren unterscheiden: Wahrend in der östlichen Fundstellengruppe um Belogorsk Jagdfaunen von hoher Diversität innerhalb der Inventare überwiegen, wird die westliche Fundstellengruppe um Bakchisarai von einer auf den Steppenesel (Equus hydvuntinus) spezialisierten Jagdfauna dominiert.

Vier große kulturelle Einheiten wurden bisher unterschieden: Die Ak-Kaya-Kul- tur, die viel mit unserem Micoquien gemeinsam hat, die Staroselje-Industrie (bifazielle Formen, vor allem Spitzen), das Western Crimean Mousterian (Levallois-Inventare) und die Kiik-Koba-Industrie (Non-Levallois-Inventare mit bifaziellen Formen, ähnlich dem mitteleuropäischen Micoquien). Sowohl hinsichtlich der topographischen Parameter als auch hinsichtlich der Fundstellenfunktionen ist damit eine einmalige, modellhafte hi- storische Situation gegeben, die sich in optimaler Weise zur Bearbeitung der oben ge- nannten Fragen nutzen läßt.

Arbeitsweise

In das Projekt werden solche Fundstellen einbezogen, welche die verschiedenen kultu- rellen Einheiten, die verschiedenen Landschaftszonen und die sich abzeichnenden Ök~lo~iekreise (Ost- und Westgruppe: Abb. I ) auf der Krim repräsentieren.

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* im Projekt bearbeitete Fundstellen * andere wichtige Fundstellen

Abb. 1. Mittelpaläolithische Fundplätze auf der Krim. - M. 1 : 2 500 000.

An einem Teil der Fundstellen wurden und werden in begrenztem Umfang Ausgra- bungen - mit entsprechender primärer Materialvorlage - durchgeführt, die von V.P. Chabai und A. I. Yevtuchenko geleitet werden. In den ersten beiden Projektjahren wa- ren dies Ausgrabungen in Kabasi 11, Karabi Tamchin und Chokourcha I.

Die Ausgrabungen in Kabasi I1 (Westgruppe) gelten der mit 17 geologischen Schich- ten und 21 archäologischen Horizonten bislang aussagekräftigsten Stratigraphie und sind damit entscheidend für die Erarbeitung einer Chronologie des Mittelpaläolithikums auf der Krim. Die Grabungskampagne 2000 führte bis in die Schichten der frühen Würm-Kaltzeit hinab und erreichte schließlich in 9m Tiefe den Eem-Boden, der als Zeitmarker von entscheidender Bedeutung ist. Die Ausgrabungen in Kabasi I1 wurden bis zum Jahr 2002 fortgeführt und konzentrierten sich auf die Erfassung größerer Flä- chen innerhalb des letztinterglazialen Bodens. Die Abfolge endet in einer Tiefe von 14 m auf dem sterilen Hangschutt.

Mit den Ausgrabungen in Karabi Tamchin (Ostgruppe) folgte in den Jahren 1999 bis 2002 die Untersuchung einer mehrfach genutzten Station in 740 m Höhe. Die Fund- stelle liegt auf einem Karstplateau, das wegen des schlechten Zugangs zum Wasser über alle Zeiten hinweg besonders siedlungsfeindlich war. Daher und aufgrund der unge- wöhnlichen Höhenlage sind von der Abristation besondere Aussagen zu spezialisier- ten Funktionen bei kurzer Belegungsdauer zu erwarten.

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Die in begrenztem Umfang im Verlaufe einer Kampagne im Jahr 2000 durchgeführ- ten Nachgrabungen an der altbekannten Fundstelle Chokourcha I (Ostgruppe) dienen der Überprüfung der Stratigraphie und zur Erlangung naturwissenschaftlicher Daten in dieser wohl größten Mammutjägerstation der Krim.

Zeitlich parallel zu den Ausgrabungen und den primären Materialvorlagen werden durch Th. Uthmeier, J. Richter und Mitarbeiter spezielle Auswertungen vorgenommen. Im Vordergrund dieser Arbeiten stehen zum einen die J7Transformationsanalyse", die der Rekonstruktion der Einzelereignisse dient, die in einem Steinartefakt-Inventar do- kumentiert sind, und zum anderen die „„ArbeitsschrittanalyseCc, die der Rekonstrukti- on spezieller Techniken gewidmet ist, die das kulturelle Repertoire einer Personengruppe prägen.

Hierzu werden die Inventare nach einem einheitlichen System aufgenommen, das a) auf einer möglichst weitgehenden Sortierung nach Rohmaterial basiert und dabei

auf verschiedenen Auflösungsniveaus endet (im weiteren: ,„RohmaterialeinheitenC' als übergeordneter Begriff für Einzelstücke, knollengleiche Werkstückteile eines „„Werk- stücks" sowie Artefakte einer Lagerstätte);

b) sich auf die Aufnahme von Gewicht, Kortexanteilen und Grundform- sowie Werkzeughäufigkeiten einer jeden Rohmaterialeinheit eines Inventars stützt;

C) den Transformationszustand der Rohmaterialeinheiten bestimmt; d) versucht, die Operationsketten für die Zerlegung einer Rohmaterialeinheit zu ver-

stehen, und sich um eine Rekonstruktion der Arbeitsabläufe zur Herstellung von form- überarbeiteten Geräten (,Arbeitsschrittanalyse") bemüht.

Im Detail wurde zur Aufnahme aller Steinartefakte eine einfache Merkmalsliste ver- wendet:

I. Rohmaterialeinheit insgesamt - Beschaffenheit des Rohmaterials (Kortex, Farbe, Einschlüsse etc.: 14 Ausprägungen) - Gesamtgewicht in g - Anzahl der Artefakte

11. Gruppenaufnahme von Steinartefakten einer Rohmaterialeinheit - Kortexanteil(3 Ausprägungen) - Grundform (1 7 Ausprägungen) - Werkzeuge, Erhaltung (6 Ausprägungen) - Werkzeuge, formenkundliche Ansprache (21 Ausprägungen)

111. Individualaufnahme von Steinartefakten einer Rohmaterialeinheit - längstes Maß (nach Kortexanteil unterschieden)

Für die Entschlüsselung der technischen Rezepturen zur Grundformherstellung wer- den Keine, Präparationsabfälle und Grundformen auf technologisch zusammenhängen- de Arbeitsschritte hin durchsucht und Operationsketten in Form von Flußdiagram- men formuliert. Die Arbeitsschrittanalyse der formüberarbeiteten Geräte erfolgt anhand des Aufnahmesystems von J. RICHTER (1997, 192-194). Beide Methoden - die Trans- formationsanalyse und die Arbeits~chrittanal~se - bedürfen einer kurzen Erläuterung, da sie erst kurze Zeit angewendet worden sind:

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Die Transformationsanalyse (vgl. WEISSM~LLER 1995) dient einer Aufgabenstellung, die sich aus den Forschungen der letzten zwei Jahrzehnte ergab. Es hatte sich nämlich bestätigt, daß ein Großteil der formenkundlichen und technologischen Variabilität in Inventaren des Neandertalers nicht auf unterschiedliche kulturelle Konzepte zurück- geht (y,Kulturencc), sondern auf andere Faktoren, deren wichtigster der sogenannte Transformationszustand ist: Es existieren Inventar-Biographien, deren Verlauf durch die zunehmende Verarbeitung, Verwertung und Wieder~erwertun~ von Werkstücken und ihren Teilen bestimmt ist. Mit Hilfe der Transformationsanalyse ist es möglich, zu bestimmen, wie stark ein Inventar transformiert wurde, ehe es zur Ablage kam. Sie dient zur Vermessung des Transformationsausschnittes, den das Inventar repräsentiert.

Hierzu wird eine Gruppierung der Artefakte eines Inventars nach ihren Rohmaterial- eigenschaften zu ursprünglich knollengleichen Stücken (,Werkstückencc) angestrebt. Auf der Ebene der knollengleichen Stücke kann beurteilt werden, in welchem Zustand ein Werkstück in die Fundstelle eingebracht wurde, welche Teile zur Ablage kamen und ob Artefakte die Fundstelle verlassen haben. Die zurückgelassenen Stücke ermöglichen darüber hinaus qualitative Aussagen über Zerlegungs- und Benutzungsprozesse. So- mit bildet jedes Werkstück einen Merkmalsträger. Manche Werkstücke bestehen etwa aus nur einem hochkomplexen Werkzeug mit wenigen zugehörigen Absplissen, die ein Recycling anzeigen. Andere mögen sich aus ganzen Abbausequenzen mit Dutzenden von Abschlägen, mit oder ohne Werkzeugen, Präparationsabf ällen oder Kernen, zu- sammensetzen. Wichtig ist, daß die Werkstücke Einzelereignisse indizieren, die sich zum Inventarbild akkumulieren.

Die ,,Arbeitsschrittanalysec' (RICHTER 1997,192-1 94) betrachtet nicht die Transfor- mation ganzer Inventare, sondern einzelner Objekte (Werkzeuge, Kernabbausequenzen). Ein Arbeitsschritt ist eine Modifikation oder eine Gruppe von Modifikationen, die zeit- lich unmittelbar zusammenhängen und für denselben Zweck angelegt wurden, zum

eispiel eine Reihe von Retuschen, die die Arbeitskante eines Schabers bestimmt. Die Arbeitsschrittanalyse kann aufzeigen, welche Merkmale eines Werkzeuges durch nach- trägliche Über- oder Umarbeitung entstanden sind und welche dagegen zum formalen Konzept des Werkzeuges gehören. Bifazielle Werkzeuge des Micoquien etwa sind bis zu 35 mal be- und überarbeitet worden. Die Arbeitsschritte überlagern sich gegenseitig, so daß ihre Abfolge bestimmt werden kann. Jeder Arbeitsschritt bildet einen Merkmals- träger. Herstellungsrezepte verschiedener Werkzeugformen können so rekonstruiert und miteinander verglichen werden. Der Arbeitsschrittanalyse werden in unserem Projekt zwei Zuständigkeitsbereiche zugeordnet: die Analyse der Produktion formüberarbei- teter Werkzeuge (,,bifazielle Gerätecc) und die Analyse der Grundformenproduktion (Abschlagherstellung zum Beispiel nach dem Levallois-Konzept oder dem diskoiden Konzept).

Im Projektjahr 2000 wurden acht Inventare der Fundstellen Staroselje und Kabasi I1 aufgenommen. Beide Fundstellen gehören innerhalb des Mittelpaläolithikums der Krim der Westgruppe (Abb. I) an. Die untersuchten Inventare aus Staroselje, Level 1 bis 4, und Kabasi 11, Unit I1 und 111, ermöglichen eine exemplarische Analyse der wich- tigsten Industrien des späten Mittelpaläolithikums der Krim-Halbinsel: der Staroselje- Fazies (Staroselje, Level 1-2 und 4), der Ak-Kaya-Kultur (Kabasi 11, Unit 111) sowie

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des Western Crimean Mousterian (Kabasi 11, Unit 11). Von besonderem Interesse sind die Untersuchungen an dem namengebenden Inventar der Level 3-Industrie aus Staro- selje, das bislang ohne vergleichbare Stationen ein Fremdkörper innerhalb des späten Mittelpaläolithikums der Krim geblieben ist und viele Fragen aufwirft.

Im folgenden werden erste Ergebnisse der Ausgrabungen und Auswertungen an den vier bislang bearbeiteten Fundstellen, Karabi Tamchin, Kabasi 11, Chokourcha und Staroselje, mitgeteilt.

J. R., Th. U.

Die Ausgrabungen in Karabi Tamchin

Die auf eine Höhe von 740 m über dem Meeresspiegel eingemessene mittelpaläolithische Fundstelle Karabi Tamchin befindet sich 30 km östlich von Simferopol am nordöstli- chen Rand des Bergmassivs Karabi Yaila. Es handelt sich um ein verstürztes Abri (1 6 m X 4 m), welches sich zum tiefliegenden Adijiskli-Tal, in dem der Tamchin fließt, hin öffnet (Abb. 2). Entdeckt wurde Karabi Tamchin 1996 von V.P. Chabai und A. I. Yevtu- chenko. Im gleichen Jahr wurde eine 2m X 1 m große Sondagegrabung durchgeführt (Abb. J), welche erste mittelpaläolithische Artefakte zutage brachte. Die eigentliche Aus- grabung fand im Rahmen unseres Projektes 1999-2001 statt. Insgesamt wurde eine zu- sammenhängende Fläche von Ca. 13 m2 im Zentrum der Fundstelle ergraben, sowie eine I m X 1 m große Sondage im nordwestlichen Teil des Abris angelegt, um die Fundstreuung zu klären (Ab b. 3-4).

Die Stratigraphie der Fundstelle besteht aus acht geologischen Horizonten (Stratum 1 - Stratum 8), die teilweise noch unterteilt werden konnten (Abb. 5). In den geologi- schen Horizonten 3 bis 7 fanden sich insgesamt zehn teilweise gestörte archäologische Fundschichten.

Die Steinartefakte (Abb. 6) der ungestörten Fundschichten (Level 2-2, Level 3, Level 4, Level 5-1 und Level 5-2) wurden bereits aufgenommen (Tabelle I).

Alle fünf Inventare zeigen eine Reihe von Gemeinsamkeiten. Auffällig ist zunächst die geringe Größe der Grundformen und Kerne. In allen Schichten fanden sich so gut wie keine primären Kortexabschläge und nur wenige Grundformen mit teilweiser Kortexbedeckung. Wahrend die Anzahl der Nachschärfungsabschläge in allen Fund- horizonten ungewöhnlich hoch ist, sind die Kerne im Verhältnis zu den Grundformen und insbesondere zu den Werkzeugen unterrepräsentiert.

Das Vorhandensein der vielen Geräte und ihrer Nachschärfungsabschläge läßt den Schluß zu, daß ein Teil der Werkzeuge nicht vor Ort hergestellt, sondern durch Import zum ~ u h d o r t gelangte und hier nachgeschärft wurde. Die Gemeinsamkeiten der In- ventare untereinander sind sicherlich mit Rohmaterialknappheit zu erklären. Das in Karabi Tamchin benutzte Rohmaterial ist ein grauer und gelblich-grauer Feuerstein, dessen nächste bekannte Lagerstätte 20-25 km entfernt liegt.

Neben diesen Gemeinsamkeiten finden sich jedoch auch gravierende technologische und typologische Unterschiede zwischen den einzelnen Fundinventaren. Anhand die- ser Unterschiede lassen sich zwei Gruppen bilden:

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Mittelpaläolithikum auf der Krim

Abb. 2. Karabi Tamchin. Blick nach Nordwesten auf die unmittelbar vor der Schichtstufe gelegene Gra- bungsfläche.

Abb. 3. Karabi Tamchin. Grabunpfläche. 1 Felswand; 2 Trauflinie; 3 Sondage 1996; 4 Grabungsfläche und Sondage 1999.

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Abb. 4. Karabi Tarnchin. Blick auf die Grabungsfläche.

I Level 2-2 Level 3 Level 4 Level 5-1 Level 5-2 / Klingen 10 Lamellen 1 Abschläge 34 Absplisse 434 Nachschärfungsabschlag 1 Trümmer 2 Kerne 2 sonstige eingebrachte Stücke 42

Spitzen Schaber ,,Raclettea Kratzer gezähnte Stücke gekerbte Stücke Bohrer endretuschierte Stücke unbestimmte Wz.-fragmente GSM-Retusche bifazielle Geräte

Tabelle 1. Karabi Tarnchin. Artefaktinventare.

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Abb. 5. Karabi Tamchin. Stratigraphie der geologischen Schichten (1-8).

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Chabai 1 Richter / Uthmeier IYevtuchenko

Abb. 6. Karabi Tamchin. Steinartefakte. 1-6 aus Level 2-2; 7-9 aus Level 5-1. - M. 1 : 1.

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Mittelpaläolithikum auf der Krim 451

1. In den beiden jüngeren Fundschichten Level 2-2 und Level 3 ist das Levallois-Kon- zept nachgewiesen, und der Klingenanteil im Artefaktinventar ist hoch. Bifazielle Werkzeuge oder deren Her~tellun~sabfälle fehlen. Diese Kriterien ermöglichen die Zuweisung des Materials zur Levallois-Industrie des Western Crimean Mousterian.

2. Das Artefaktspektrum der drei liegenden Schichten (Level 4, 5, 5-1, 5-2) weist hin- gegen bifaziell gearbeitete Werkzeuge samt Herstellungsabfällen auf. Hinweise zum Grundformenabbau nach dem Levallois-Konzept kommen dagegen nicht vor. Das Material ähnelt damit den Industrien mit formüberarbeiteten Geräten der Krim. Hier- zu gehören die Ak-Kaya-Industrie, die Staroselje-Industrie sowie die Kiik-Koba-In- dustrie. Für eine eindeutige Zuweisung zu einer dieser Industrien ist jedoch die Menge des Fundmaterials noch zu gering.

A. I. Y.

Die Ausgrabungen in Kabasi I1

Kabasi I1 befindet sich am rechten Ufer des Flusses Alma, auf dem südlichen Berghang des Kabasi-Berges. Die Fundstelle liegt 90 m über Flußhöhe und 300 m über dem Mee- resspiegel (Abb. 7). Die Ablagerungen der Freilandfundstelle Kabasi I1 werden überwie- gend von kolluvialen Sedimenten gebildet, die sich zwischen dem Berghang und einem 12 m hohen, vertikal positionierten Sandsteinblock abgelagert haben. Die fast 14 m mäch- tige Stratigraphie der Fundstelle gliedert sich in 17 geologische Schichten (Abb. 8-9), die zu fünf Einheiten z~sammen~efaßt werden (Unit I - Unit V). Jede dieser Einheiten enthält mehrere archäologische Horizonte (Levels). Die archäologische und geologi- sche Abfolge von Kabasi I1 reicht vom Eem-Interglazial bis zum Hengelo-Interstadial und dem nachfolgenden Stadial (CHABAI 1996; CHABAI /MARKS / MONIGAL 1999; CHA- BA~DEMIDENKO /YEVTUSHENKO 2000; RINK U. A. 1998; MCKINNEY 1998; PETTITT 1998; GERASIMENKO 1999).

Unit I, Level I / 1 bis I / 3 (geologische Schichten 2-4) entstanden aus modernen kolluvialen Sedimenten und beinhalten einige wenige paläolithische Artefakte. Unit I1 (geologische Schichten 6 -7) beinhaltet 13 durch steriles Sediment getrennte archäolo- gische Horizonte mit Inventaren des Western Crimean Mousterian (WCM), die in das Hengelo-Interstadial und das nachfolgende Stadial datieren. Unit IIA (geologische Schichten 9-10) beinhaltet zehn archäologische Schichten. Die obersten archäologischen Horizonte von Unit IIA (Level IIA/ I und IIA/2) enthalten ebenfalls Inventare des Western Crimean Mousterian, während die Artefakte der unteren Horizonte (Level IIA / 2-3 bis Level IIA/4B) der Ak-Kaya-Kultur zugewiesen werden. Dieser Teil der Schich- tenfolge von Kabasi I1 gehört absolutchronologisch in die Zeit zwischen dem ersten Kältemaximum der letzten Kaltzeit und dem Hengelo-Interstadial. Archäologische Horizonte der Unit 111 wurden in Sedimenten der geologischen Schicht 11 angetrof- fen. Die Steinartefakte der insgesamt fünf archäologischen Horizonte (Level III/ 1A bis III/3) gehören in die Ak-Kaya-Kultur und decken den Zeitraum vom Frühwürm bis in die Zeit des ersten Kältemaximums ab (CHABAI 19% a; 1998 b; 1998 C; CHABAI / MARKS / MONIGAL 1999).

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Abb. 7. Blick nach Norden auf die Kabasi-Schichtstufe. Links im Bild die Ausgrabung Kabasi 11.

SW NO

Grundplan

Abb. 8. Kabasi 11. Stratigraphie und Meßsystem der Grabungsfläche. A archäologische Schichten; B Kalk- steinblöcke; C Fließrinne; D Nummern der geologischen Schichten; E Pollenproben; F und G ESR-Pro-

ben und Messungen. - M. 1 : 100.

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Mittelpaläolithikum auf der Krim

Abb.9. Kabasi 11. Blick Richtung Süden auf die Grabungsfläche. V. Chabai und Th. Uthmeier stehen auf dem gewaltigen Versturzblock, der das hangwärtige Abrutschen der Sedimente verhinderte und so

besondere Erhaltungsbedingungen für die Schichtenabfolge bot.

Der untere Teil der stratigraphischen Abfolge (geologische Schichten 13, 14 und 15) wurde bisher lediglich durch eine 2 m2 große Sondage ermittelt. Die hier angetroffenen archäologischen Horizonte wurden provisorisch nach der Tiefe ihrer Auffindung be- nannt: Horizonte -930; -980; - 1037; - 1050; - 1080; - 1100; - 1145; - 1150. Die Arte- fakt- und Knocheninventare dieser Horizonte waren zu klein, um sie näher zu definie- ren. Alle diese Horizonte stammen aus dem Eem-Interglazial (GERASIMENKO 1999). Die tiefsten Abschnitte der stratigraphischen Abfolge (von 1150 bis 1300 cm), die durch die 2 m2 große Sondage ergraben wurden, enthielten keine Artefakte oder Knochen.

Die Arbeiten von M. Patou-Mathis und A. Burke haben ergeben, daß es sich bei den bisher ergrabenen Besiedlungshorizonten um kurzfristige Aufenthalte zur Zerle- gung von Jagdbeute handelt. Das Hauptjagdwild war der Wildesel (Equm hydr~ntinm; PATOU-MATHIS 1999; A. Burke, pers. Mitt.).

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Chabai / Richter / Uthmeier /Yevtuchenko

Die Grabung des Projektes im Jahr 2000

Wahrend der früheren Ausgrabungen wurden Unit I, 11, IIA und Teile der Unit I11 ausgegraben. Die Ausgrabungen von Unit I11 endeten auf den Quadraten K-0 (Qua- dratmeterlinien 4-8) in einer Tiefe von 7m unter der Grabungsoberfläche und auf den Quadraten E-I (Quadratmeterlinien 4-8 ) in einer Tiefe von 8 m. Die Hauptaufgabe der Grabungskampagne des Jahres 2000 war die Untersuchung der unteren Partien der geologischen Schicht 11 (das erste Würm-Stadial) und der geologischen Schichten 13 und 14 (Eem-Interglazial) in den Quadraten K4-8; L4-8; M4-8; N4-6; 0 4-6. Diese 21 Quadratmeter wurden um weitere 2,3 m abgeteuft, also von 7m Tiefe bis zu einer Tiefe von 9,3 m unter der Grabungsoberfläche. Insgesamt wurden 48,3 m3 Sediment ausgegraben. Die Grabungstechnik beinhaltete das dreidimensionale Einmessen der Artefakte und Knochen auf den präparierten Begehungsoberflächen. Um auch die Mein- sten Silices zu bergen sowie Proben der Mollusken- und Mikrofauna zu erhalten, wur- de das Sediment mit Maschenweiten von 5 mm und 1 mm gesiebt und geschlämmt.

Die archäologischen Horizonte der Unit I11

Im Jahr 2000 wurden in der geologischen Schicht 11 unterhalb der bereits bekannten Fundschichten drei weitere archäologische Horizonte entdeckt: Level I11 / 4, I11 / 5,111 16. Die einzelnen Besiedlungshorizonte von Schicht I11 / 4 bis I11 / 6 bestehen jeweils aus einer dünnen Lage aus Faunenresten und Artefakten. Sie werden durch steriles Sedi- ment von den hangenden Schichten (I11 /2A-11113) sowie von den liegenden Schich- ten (IV/ 1) getrennt. Die Mächtigkeit der sterilen Sedimente zwischen den archäolo- gischen Horizonten I11 / 2A-1113, I11 / 4, I11 / 5 und I11 / 6 beträgt jeweils 10 cm. Die Mächtigkeit der sterilen Sedimente zwischen Level I11 / 6 und IV/ 1 beträgt 30 cm. An Faunenresten liegen überwiegend Knochen vom Wildesel (Equus hydvuntinus) vor. Daneben konnten einige Knochen der Spezies Bos identifiziert werden. Wahrschein- lich sind die Hinterlassenschaften dieser Schichten das Resultat von wiederholten, kurz- fristigen Aufenthalten zur Zerlegung der Jagdbeute (A. Burke, pers. Mitt.). Die Proben der Molluskenfauna sind mit mehr als 100 Schnecken für jede Schicht reichhaltig. Re- ste von Mikrofauna wurden nicht entdeckt.

Die Anzahl der Steingeräte in den einzelnen Schichten beträgt bisher nicht mehr als 100 Stück. Die Zusammensetzung der Artefaktkategorien ist für alle in diesem Jahr ergrabenen Horizonte der Unit I11 gleich. Absplisse, unter denen sich auch Nach- schärfungs- oder Überarbeit~n~sabfälle von bifaziellen Werkzeugen befinden, domi- nieren mit Anteilen von ungefähr 90 % alle anderen Artefaktkategorien. Abgesehen von wenigen retuschierten Stücken sind die anderen Artefaktkategorien entweder gar nicht vorhanden oder nur durch Einzelstücke vertreten (ein diskoider, unfertiger Kern im Inventar von Level 11114). Die Gruppe der Werkzeuge besteht aus bifaziellen Spitzen und Schabern, die plan-konvex hergestellt wurden, sowie unifaziellen Spitzschabern, die oft eine Verdünnung des Rückens oder der Basis aufweisen. Zugleich zeigt die Grup- pe der Werkzeuge Merkmale intensiver Ausnutzung (Nachschärfung, Uberarbeitung, Umformung etc.). Typologisch und technologisch zeigen die neu ausgegrabenen Inventare

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von Unit I11 Merkmale, die typisch für die Ak-Kaya-Kultur sind. Die Zusammenset- zung der Artefaktkategorien läßt darauf schließen, daß fertig eingebrachte Werkzeuge intensiv genutzt wurden, während Grundformenproduktion nicht stattfand. Dieses Muster der Rohmaterialausnutzung entspricht dem der übrigen Inventare aus Unit 111 von Kabasi I1 (CHABAI 1998 C).

Die archäologischen Horizonte der Unit IV

Im Jahr 2000 wurden in der geologischen Schicht 13 vier archäologische Einheiten der Unit IV ausgegraben: Level IV/ 1, IV/2, IV/3 und IV/4. Da die Steinartefakte und we- nigen Knochen keine einheitlichen Oberflächen bildeten und auch keine sterilen Sedi- mente zwischen ihnen festgestellt werden konnten, mußten die Schichten IV/ I-IV/3 in Abträgen von 5 cm ergraben werden. Besondere Konzentrationen von Artefakten oder von Faunenresten wurden innerhalb der ausgegrabenen Fläche nicht erkannt. Die Artefakte von Level IV/ 1 bis IV/3 wiesen überwiegend gerundete Oberflächen und beschädigte Kanten auf. Die Knochen sind ebenfalls schlecht erhalten und an den Ober- flächen extrem stark verwittert. Bei den wenigen Faunenresten handelt es sich über- wiegend um Equiden. Die Molluskenfauna dagegen ist mit über 100 Schnecken für jede Schicht gut vertreten; Reste von Mikrofauna wurden nicht gefunden.

Die Anzahl der Steinartefakte in den einzelnen Abträgen ist relativ gering (jeweils weniger als 150 Stück). Die Zusammensetzung der einzelnen Artefaktkategorien ist iden- tisch. Mit ungefähr 60 % aller Artefakte dominieren undefinierbare Feuersteinfragmente. Der andere Teil besteht aus Absplissen, Abschlägen und Werkzeugen.

Die Verteilung der Häufigkeiten der Artefaktkategorien, die Erhaltung der Arte- fakte und ihre zufällige Verteilung im Sediment lassen darauf schließen, daß sich die Inventare IV / 1, IV 12 und IV / 3 nicht in situ befinden. Wahrscheinlich wurden die Ar- tefakte durch Erosionsprozesse von einem höher gelegenen Areal am Berghang hier- hin transportiert.

Im Gegensatz hierzu ist der archäologische Horizont IV/4 zum Hangenden hin deutlich begrenzt. Die Verteilung der Knochen und Artefakte bildet eine zusammen- hängende Oberfläche, die von den hängenden und liegenden Schichten durch 10-15 cm mächtige, sterile Sedimentlinsen getrennt wird. Die Erhaltung der Knochen und der Steinartefakte ist so gut, daß in Quadrat 0 4 u.a. ein kompletter Pferdeschädel gefun- den werden konnte, an dessen Zähnen zur Zeit ESR-Messungen vorgenommen werden.

An Steinartefakten wurden neben einigen Abschlägen überwiegend Absplisse ge- borgen (ca. 140 Stück). Kerne, Werkzeuge oder andere Artefaktklassen sind im Inven- tar nicht vertreten. Bei einigen Stücken handelt es sich um Formüberarbeitungsabschläge, die auf eine Umformung bifazieller Geräte vor Ort hinweisen.

Die archäologischen Horizonte der Unit V

n der geologischen Schicht 14 wurden vier archäologische Horizonte erstmals auch außerhalb der Sondage auf einer größeren Fläche ausgegraben: Level V/ 1, V/& V13 (frühere Benennung: -930) und V/4. Die archäologische Schicht V/ 1 wird durch eine

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Abb. 10. Kabasi 11. Steinartefakte aus Unit V. - M. 1 : 2.

5 cm dicke, sterile Sedimentschicht vom darüberliegenden Horizont IV/4 getrennt. Die Dicke der sterilen Lagen zwischen den Schichten V/ 1, V/2, V/3 und V/4 beträgt je- weils 5-1Ocm. In Schicht V/3 wurde in der Nähe einer Steinartefakt-Konzentration eine Feuerstelle (Quadrat N 6 ) ausgemacht. Der Befund ist oval, mit einem Durchmes- ser von 30 cm sowie einer Tiefe von 2,5 cm und besteht aus gebrannten Knochen, Kalk- - steinstücken und Asche. Eine vorläufige Bestimmung der Faunenreste ergab Equus sp., Bos sp. und Cervus sp. (A. Burke, pers. Mitt.). Die Proben der Mikro- und Mollusken- fauna sind mit mehr als 500 Schnecken und mehr als 700 Knochen und Zähnen in je- der Schicht sehr reichhaltig

In keinem der vier archäologischen Horizonte sind bisher mehr als 100 Steinartefakte geborgen worden, wobei in allen Schichten Absplisse mit über 90% aller Artefakte die dominierende Artefaktkategorie sind. Wiederum finden sich unter den Absplissen auch Nach~chärfun~s- und Formüberarbeitungsabschläge (Abb. 10) von bifaziellen Ge- räten. Dazu paßt, daß nahezu alle retuschierten Stücke bifaziell gearbeitet sind. Kerne etc. sind nicht vorhanden. oberhauPt sind Hinweise zur Grundform- und Werkzeug herstellung vor Ort sehr rar, vielmehr wurden überwiegend importierte Werkzeuge nachgeschärft und umgeformt (Abb. 10). Formenkundlich besteht das Werkzeuginventar aus bifaziellen plan-konvexen Schabern sowie unifaziellen Schabern (oft mit verdünn- tem Rücken). Um zu einer eindeutigen typologischen Ansprache der Werkzeuge der archäologischen Horizonte aus Unit V zu gelangen, bedarf es vorerst weiterer Unter- suchungen. Es kann jedoch schon jetzt bemerkt werden, daß in den Inventaren keine typologischen und technologischen Merkmale vorhanden sind, die einer Zuweisung zu einer der bifaziellen Industrien der Krim widersprechen würden.

V.P. C.

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Mittelpaläolithikum auf der Krim

Die Ausgrabungen in Chokourcha I

Die 1927 von S. I. Zabnin entdeckte mittelpaläolithische Fundstelle Chokourcha I liegt im nordöstlichen Stadtgebiet von Simferopol am Fuß einer 20 m hohen Felsklippe aus eozänem Kalkstein (Abb. 11). Der Eingang der nach Norden geöffneten Höhle befin- det sich 300 m über dem Meeresspiegel und 15 m über dem Talboden des Maliy Salgir.

Abb. 11. Chokourcha I. Lage des Fundortes am Stadtrand von Simferopol. Das Abri liegt unterhalb der Baumgruppe im Vordergrund. Blickrichtung Westen.

In den Jahren 1928-33 und 1936 wurden unter der Leitung von Prof. N.L. Ernst das Höhleninnere sowie der östliche und der zentrale Teil des Höhlenvorplatzes ergraben (insgesamt Ca. 200 m2; Abb. 12). Dabei wurden von Ernst vier Schichten unterschieden: Die oberste Schicht wurde im Holozän gebildet und enthielt Hinterlassenschaften der frühen Eisenzeit. Die drei liegenden pleistozänen Schichten erbrachten zusammen meh- rere tausend paläolithische Artefakte und Faunenreste. Das seit dem Zweiten Weltkrieg

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Abb. 12. Chokourcha I. Grabungsplan. 1 Ausgrabungen 1928-36; 2 Suchgraben und Sondage 1996; 3 Aus- grabung 2000; 4 Felswand; 5 Trauflinie. - M. 1 : 200.

zum größten Teil verschollene Material der Grabung Ernst wurde nur in einigen Vor- berichten und ohne Schichtzuweisung der Funde veröffentlicht. Heute befinden sich nur noch wenige Artefakte von Chokourcha I in den Museen von Moskau, Kiev, Simferopol und Odessa. Nachdem die Grabungsfläche nach dem Krieg einige Jahre offenlag, wurde sie gegen Ende der 50er Jahre zur Konservierung mit Industriemüll verfüllt.

Im Jahr 1996 versuchten V. P. Chabai, A. I. Yevtuchenko und S. Tatartsev, noch nicht ergabene Teile der Fundstelle zu lokalisieren und zogen im Verlauf dieser Arbeiten im westlichen Teil der Fundstelle einen Suchgraben (Abb. 12). Dabei wurden mehrere Fund- horizonte entdeckt, die mit der unteren Fundschicht der Grabungen von 1928-36 kor- reliert werden können. Eine kleine Sondagegrabung erbrachte erste Faunenreste sowie einige Artefakte, die teilweise bifaziell gearbeitet sind.

Neue Ausgrabungen in Chokourcha I wurden im Rahmen unseres Projektes im Som- mer 2000 von A. I. Yevtuchenko, V. P. Chabai und Y. E. Demidenko auf einem Areal von Ca. 10m2 durchgeführt (Abb. 13-14). Die Ausgrabungsfläche befand sich südlich und westlich der 1996 angelegten S~ndagegrabun~ (Abb. 14) und war in ihrem Südwest- teil von einem großen Kalksteinblock bedeckt, der im Zuge der Ausgrabung zerstört wurde, um an die darunter liegenden Fundschichten zu gelangen. Alle Artefakte wur- den dreidimensional eingemessen und das Sediment - getrennt nach Quadratmetern und archäologischen Horizonten - gesiebt.

Der pleistozäne Teil der stratigraphischen Sequenz (Abb. 15) von Chokourcha I, wie sie N. L. Ernst beobachtete, besteht aus drei geologischen Einheiten, die von I-IOcm mächtigen, lehmigen Ablagerungen getrennt wurden. Zwischen dem unteren und mitt- leren Abschnitt (,,Lower Unit" und ,,Middle Unitcc) befanden sich im westlichen Teil der Fundstelle große verstürzte Kalksteinplatten.

Im Bereich der Grabungsfläche des Jahres 2000 haben sich nur Sedimente der unte- ren Einheit („Lower Unitcc) von Ernst erhalten. Sie läßt sich - im Unterschied zu den

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Mittelpaläolithikum auf der Krim

Abb. 13. Chokourcha I. Blick nach Süden auf die Grabungsfläche. Im Vordergrund Profil der Grabung 2000 mit Versturzblöcken. Im Hintergrund die Chokourcha-Grotte.

Abb. 14. Chokourcha I. Grabungsplan (Grabung 2000). 1 Graben 1996; 2 Sondage 1996; 3 Deckenver- Sturz; 4-6 Grabungsfläche 2000. - M. 1 : 100.

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Abb. 15. Chokourcha I. Profil der Ausgrabungen 1928-36. 1 holozäne Schicht; 2 obere pleistozäne Schicht; 3 mittlere Schicht; 4 untere Schicht; 5 Deckenversturz zwischen unterer und mittlerer Schicht.

Abb. 16. Chokourcha I. Südprofil. Grabung 2000. - M. 1 : 50.

Beobachtungen von N. L. Ernst - in eine Vielzahl von Horizonten und Linsen unter- teilen, die sich in Farbe und/oder Sediment unterscheiden. Für das Südprofil ergab sich folgende Stratigraphie (Abb. 16-17':

A - dunkelgrauer, schluffiger Ton mit mittelgrobem Kalkschutt sowie Asche und organischen Resten. B -hellgrauer, schluffiger Ton mit kleinstückigem Kalkschutt, angereichert mit Asche und organi-

schen Resten. Überreste von Feuerstellen. C -gelbbrauner, schluffiger Ton mit kleinstückigem Kalkschutt. Steril. D -dunkler, gelbbrauner, schluffiger Ton mit kleinstückigem Kalkschutt. E -gelbbrauner, schluffiger Ton mit kleinstückigem Kalkschutt. Steril.

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Mittelpaläolithikum auf der Krim

Abb. 17. Chokourcha I. Blick auf das Südprofil. Detail. Schichten A-S.

F -hellgrauer, schluffiger Ton mit kleinstückigem Kalkschutt, angereichert mit Asche und organi- schen Resten.

G -gelber, sandiger Schluff mit klein- und mittelstückigem Kalkschutt. Einige dünne Aschelinsen. H -grauer, schluffiger Ton mit klein- und mittelstückigem Kalkschutt. Steril. 1 -dunkelgrauer, schluffiger Ton mit kleinstückigem Kalkschutt, angereichert mit Asche und or-

ganischen Resten. Überreste von Feuerstellen.

J -gelbweißer, grober Sand mit klein- und mittelstückigem Kalkschutt. Steril. K -hellgrauer, schluffiger Ton mit klein- und mittelstückigem Kalkschutt. L -grauer, schluffiger Ton mit kleinstückigem Kalkschutt, angereichert mit Asche und organischen

Resten. M -dunkelgrauer, schluffiger Ton mit kleinstückigem Kalkschutt, angereichert mit Asche und or-

ganischen Resten. Uberreste von Feuerstellen. N -hellgrauer, schluffiger Ton mit klein- und mittelstückigem Kalkschutt. O -dunkelgrauer, schluffiger Ton mit kleinstückigem Kalkschutt, angereichert mit Asche und or-

ganischen Resten. Uberreste von Feuerstellen.

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462 Chabai / Richter / Uthmeier /Yevtuchenko

P -Linsen mit hellgrauem, grobkörnigem Sand sowie Kalkschutt. Steril. Q -grauer, schluffiger Ton mit mittel- und grobstückigem Kalkschutt, angereichert mit Asche und

organischen Resten. R -Linsen mit grauem, grobkörnigem Sand sowie Kalkschutt. Steril. S -dunkelgrauer, schluffiger Ton mit kleinstückigem Kalkschutt, angereichert mit Asche und or-

ganischen Resten. T -grauer Sand mit Kalkschutt. U -dunkelgrauer, schluffiger Ton mit Kalkschutt, angereichert mit Asche und organischen Resten.

Überreste von Feuerstellen. V -hellgrauer Sand mit Kalkschutt. W - Kalksteinblöcke (Versturz). X -gelber Sand. Steril. Y -Schicht aus abgeplatztem Felsgestein. Z -Eozäner Kalkstein.

Die meisten der durchweg mittelpaläolithischen archäologischen Horizonte werden durch sterile Sedimente - dies sind die Schichten C, E, J, P und R - voneinander ge- trennt. Im Liegenden der Schicht V fanden sich keine Artefakte oder Faunenreste. Ei- nige der archäologischen Horizonte enthalten Reste von Feuerstellen. Zumindest bei ihnen kann davon ausgegangen werden, daß es sich um echte Begehungsoberflächen (,>Living Floors") handelt. Die aus den Schichten 0 und Q entnommenen AMS-Pro- ben an Tierknochen sowie Proben für die ESR-Datierung (Tierzähne) aus den Hori- zonten B, F, M und Q befinden sich zur Zeit in Arbeit.

Insgesamt wurden 7466 Steinartefakte geborgen, darunter 6817 Absplisse, 66 Trüm- mer, 330 Abschläge, 240 Werkzeuge und 9 Abschläge mit Retuschen. In der Gruppe der Werkzeuge finden sich neben unifaziellen Stücken auch formüberarbeitete Geräte, die sich als Spitzen, Schaber und Messer ansprechen lassen und sämtlich plan-konvex ge- arbeitet sind (Abb.18). Einige der bifaziellen Spitzen, wie 2.B. ein Stück aus Schicht A, weisen große Ähnlichkeit mit den ,,Faustkeilblätterncc des mitteleuropäischen Micoquien auf, während andere bifazielle Geräte in den ,Keilmesserna als weitere wichtige Geräte- form des Micoquien eine formenkundliche Entsprechung finden. An unifaziellen Stük- ken liegen Spitzen, Schaber sowie gebuchtete und gezähnte Stücke vor. Ganz allgemein weisen die Werkzeuginventare der ,,Lower Unit" von Chokourcha I typische Merk- male der bifaziellen Industrien des Mittelpaläolithikums der Krim auf. Hervorzuheben sind Knochenretuscheure, die in einigen Schichten in goßer Zahl gefunden wurden (F: 11 Stück, I: 15 Stück, M: 9 Stück). Zur Steinbearbeitung dienten wohl auch einige der Ca. 300 Flußgerölle. Neben den Artefakten wurde eine für die geringe Größe der Grabungsfläche enorme Anzahl von Faunenresten geborgen (über 16 000 Stück). Über- wiegend handelt es sich dabei um Knochen und Zähne von Equiden und Sazga tatanca. In den Horizonten A, B, F, I, M und 0 wurden darüber hinaus Reste vom Mammut gefunden.

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Abb. 18. Chokourcha I. Steinartefakte. - M. 1 : 2.

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Chabai / Richter / Uthrneier / Yevtuchenko

Staroselje, Level 3: Transfor,mations- und Arbeitsschrittanalyse

Das Abri von Staroselje liegt im Südwesten der Krim am Eingang des Kanly-Dere, ei- ner nur ca. 1 km langen Schlucht mit steil aufragenden Seitenwänden, die von dem grö- ßeren, West-Ost verlaufenden und nicht weniger steil eingeschnittenen Bakchisarais- kaya-Tal in südlicher Richtung abzweigt (Abb. 19). Berühmt geworden ist die Fundstelle durch Grabungen, die A. A. Formozov zwischen 1952 und 1956 hier durchgeführt hat (DEMIDENKO 1998). Mehr internationales Aufsehen als die insgesamt Ca. 12 000 Arte- fakte, 60 000 Faunenreste und 15 Feuerstellen erregte die Entdeckung einer Bestattung des anatomisch modernen Menschen in einem mittelpaläolithischen Kontext. Entschei- dend für das Verständnis der Fundstelle waren die Grabungen zwischen 1993 und 1995 durch ein ukrainisch-amerikanisches Team unter der Leitung von A. E. Marks (MARKS / MONIGAL 1998). Es zeigte sich, daß die stratigraphische Unterteilung des Profils durch A.A. Formozov zu grob war und vier (statt zwei) archäologische Horizonte vorliegen (Level 1 im Hangenden bis Level 4 im Liegenden). Zwei weitere Bestattungen des Homo sapiens sapiens wurden in Level 1 aufgedeckt und führten zu der Erkenntnis, daß sämtliche bisherigen Menschenfunde, also auch das ,,Kind von Staroseljecc, neu- zeitlichen Ursprungs sind.

Level 3-Industrie

Die insgesamt 2337 Steinartefakte, die während der Grabungen 1993-95 aus Level 3 geborgen wurden, stammen von einer 48m2 großen Fläche. Die Erhaltung der Fau- nenreste, das Vorliegen eines Feuerstellenbefundes sowie die Tatsache, daß sich bei der Kartierung der Steinartefakte Fundkonzentrationen mit überwiegend Kernen einerseits und Grundformen sowie retuschierten Stücken andererseits abzeichnen, führen zu der Überzeugung, daß sich das Material aus Level 3 in situ befindet (~L~ARKSIMONIGAL 1998). Zunächst wurde angenommen, daß als absolutes Alter das Hengelo-Interstadial am wahr- scheinlichsten sei (RINK U.A. 1998). Heute wird davon ausgegangen, daß Level 3 aus Staroselje in ein frühwürmzeitliches Stadial gehört (CHABAI /MARKS /MONIGAL 1999).

Die Faunenreste wurden von A. Burke bestimmt (BURKE 1999). Equiden (Equus hydruntinus, Equus caballus) überwiegen bei weitem, dazu kommen Saiga (Saiga tata- rica), Fuchs, Hyäne und Bär. Selten sind Hirsch (Cervus elaphus), Boviden (Bos sp.), Wildschwein (Sus sp.) und Ren (Rangifer tarandus). Der Einfluß von Carnivoren an der Sterbegemeinschaft wird als gering eingeschätzt, so daß die überdurchschnittliche Repräsentanz von markreichen Pferdelangknochen auf Aktivitäten des Menschen zu- rückgeht. Die Sterbealter von infantilen Individuen unter den Equiden von 100 bis 160 Tagen liefern Anhaltspunkte über die Dauer und die Saison des Aufenthalts, der im Spätsommer bis Herbst maximal drei Monate währte.

Arbeitsschrittanalyse der Grundformproduktion

Für mehrere der von uns betrachteten Inventare wurde die Art der Grundformpro- duktion schon ausführlich von den ukrainischen Kollegen analysiert. Hierbei handelte

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Mittelpaläolithikum auf der Krim 465

Abb. 19. Blick auf die Fundstelle Staroselje.

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es sich vor allem um verschiedene Varianten des Levallois-Konzeptes innerhalb des ,,Western Crimean Mousterian". Die Grundformenproduktion des Inventars Staroselje, Level 3 konnte jedoch bislang nicht entschlüsselt werden. Es wurde bereits von A.E. MARKS und K. MONIGAL (1998) als schwer klassifizierbar eingestuft. Die Arbeitsschritt- analyse läßt nun vermuten, daß es sich hierbei um eine besondere Methode des diskoiden Konzeptes handelt. Diese Variante (Abb. 20) erhält ihre Besonderheit durch das gerin- ge Vorkommen von kugeligen Rohstücken, die genügend Volumen für eine problem- lose Anwendung des Konzeptes aufweisen. So konnten an einem Teil der Rohstücke die diskoiden Produktionssequenzen nur einseitig abgebaut werden, oder es wurden sogar Abschläge zum Ausgangspunkt einer sekundären Grundformen-Gewinnung. Beobachtungen und Bemerkungen A. Bonch-Osmolowskis lassen vermuten, daß ein ähnliches System auch der Grundformenproduktion in der unteren Schicht der Kiik- Koba zugrunde lag.

Transformationsanalyse

In Level 3 konnten unter 481 Steinartefakten - Absplisse blieben unberücksichtigt - 48 Rohmaterialeinheiten (im weiteren: „RMcc) erkannt werden. Für einen Teil des Roh- materials kann anhand der Literatur (MARKSIMONIGAL 1998) die Herkunft bestimmt werden, jedoch lediglich auf dem Niveau von Varietäten:

1. Die Felswände unterhalb des Abris enthalten kleine, zumeist faustgroße Knollen mit schwarzen, grobkörnigen Spaltflächen, die durch zahlreiche weiße Einschlüsse ge- sprenkelt sind. Charakteristisch ist eine zentimeterdicke, bräunlich-weiße, kreidige Kortex (Abb. 21: RM 5).

2. Etwa 500 m von der Einmündung der Kanly-Dere-Schlucht entfernt sind Knollen in den Felswänden des Tals von Bakchisarai eingeschlossen, die sich in der hellbraunen Farbe der Spaltflächen von dem schwarzen Silex, wie er unmittelbar an der Fund- stelle ansteht, unterscheiden.

3. Zirka 7 km westlich von Staroselje liegt ein sekundäres Rohmaterialvorkommen, an dem feinkörnige honigfarbene Silices mit Geröllrinde aus der Flußterrasse aufgesam- melt werden können (Abb. 21: RM 35 bis 42).

4. Dunkelgraue plattige Silices mit weigern Kortex ähneln dem Rohmaterial aus Kabasi I1 und dürften, je nach Plattendicke, aus dem Alma-Tal (Abb. 21: RM 4, 10, 14, 16, 22) oder dem Bodrak-Tal (Abb. 21: RM 6, 8) stammen. In beiden Fällen liegen die Lagerstätten über IO km entfernt.

5. In der Nähe des Ortes Partisanskoje, ungefähr 7 km östlich des Fundplatzes, kommt ein grau-blauer Silex vor, der unseren RM 12,26 und 29 entsprechen könnte.

Ein methodologisches Problem, das der Transformationsanalyse anhaftet, ist die For- derung nach kompletten Inventaren. In Staroselje stammt das der Transformations- analyse zugängliche Material aus den Grabungen 1993-95 (47m2), die nur einen Aus- schnitt der Siedlungsfläche erfaßt haben. Der größere Teil (250m2) wurde im Verlauf der Grabungen A.A. Formozovs in den 50er Jahren aufgedeckt (DEMIDENKO 1998).

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Mittelpaläolithikum auf der Krim

Staroselj e Problem

@ Rohstückauswahl

Rohstücke zu flach

I Staroselje Level 3 Grundforrnenabbau

Kleine Platten Kleine flache Fladen

Flache Form 2. Wahl

Abb.20. Staroselje, Level 3. Arbeitsschrittanalyse zur Grundformenproduktion. Ein diskoides Konzept traf hier offenbar auf das Problem zu flacher Rohstücke.

Dies ist bei der Interpretation der festgestellten Transformationsetappen zu berücksich- tigen. Die Artefakte und Faunenreste aus Level 3 der Grabung 1993-95 lagen allerdings um eine Feuerstelle und sind nach Auffassung der Bearbeiter (MARKS /MONIGAL 1998) das Ergebnis einer einzigen Begehung. Offensichtlich wurde trotz der ausschnitthaften Grabungsfläche in den Jahren 1993-95 eine Fundkonzentration erfaßt, wie sie nach al- lem, was über die Verteilung der Funde der Grabung A.A. Formozovs bekannt ge- worden ist, in der Fläche der Altgrabung in größerer Zahl vorgelegen haben müssen.

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468 Chabai / Richter / Uthrneier / Yevtuchenko

Um einen Eindruck über die Vollständigkeit der Werkstücke zu bekommen, wur- den kn~llen~leiche Artefakte kartiert. Liegen die Artefakte eines Werkstückes in einer Fundkonzentration innerhalb der (Teil-)Grabungsfläche 1993-95 und bilden die Arte- fakte eine komplette Operationskette oder einen zusammenhängenden Abschnitt der- selben, so wird davon ausgegangen, daß - auf der Ebene der Werkstücke - ein geschlos- senes Inventar vorliegt. Bezogen auf die 48 erkannten Werkstücke und Einzelstücke ergibt sich folgende Verteilung: 18 Werkstücke können als vollständig angesehen wer- den. Bei 15 Werkstücken mit nur wenigen Stücken (Abb. 21: RM 1,3,7,11,17-21,25, 27,30,44,58), die keinen technologisch sinnvollen Ausschnitt aus der Operationskette zur Grundformenerzeugung repräsentieren, besteht dagegen der Verdacht, daß sich wei- tere Werkstückteile in der altgegrabenen Fläche befunden haben. Dasselbe gilt für ei- nen Teil der Einzelstücke, bei denen ebenfalls nicht ausgeschlossen werden kann, daß sich unter dem Material der Grabung Formozov weitere zugehörige Artefakte finden lassen. Hiervon besonders betroffen sind neun unretuschierte Einzelstücke (Abb. 21: RM 55,57- 64), deren Mobilität als gering eingeschätzt wird. Unter den fünf retuschier- ten Einzelstücken (Abb. 21: RM 30,51-53,63) dürften sich dagegen eher Geräte befin- den, die von anderen Plätzen eingebracht wurden.

Unterschiede zwischen denjenigen Werkstücken, die als geschlossene Inventare an- gesehen werden, ergeben sich zunächst durch den Zustand, in dem Knollen in die Fund- stelle eingebracht wurden. Interessanterweise scheinen die Entfernung zur Rohmate- rial-Lagerstätte und die Spaltbarkeit hierbei nicht als alleinige Faktoren entscheidend gewesen zu sein, sondern eher eine Kombination aus beiden. Neben dem weniger qualitätvollen Werkstück RM 5, welches unmittelbar unterhalb der Fundstelle aufge- nommen werden konnte, wurden auch feinkörnige Werkstücke aus dem Kacha-Tal, 7 km weiter entfernt, als komplette Knollen nach Staroselje geschafft (Abb. 21: RM 35-42). Bei der Zerlegung der Knollen, die der weiter oben beschriebenen Variante der diskoiden Methode folgt, wurden in einem fortgeschrittenen Abbaustadium die lateralen und di- stalen Konvexitäten durch steile Abhübe eigens eingestellt, um allerletzte dicke Ab- schläge mit Kernkantenrest zu erzielen.

Eine solche Vorgehensweise fehlt bei Werkstücken, die entrindet (Abb. 21: RM 6, 8, 15, 23, 28, 31, 33) oder in einem bereits teilweise abgebauten Zustand (Abb. 21: RM 10, 14, 16, 22) an den Platz gelangten. Sie wurden nicht bis zum Letzten ausgenutzt, obwohl das Material aus heutiger Sicht qualitativ durchaus höher einzuschätzen ist als z.B. RM 5. Die meisten dürften aus weiter entfernten Lagerstätten stammen, was den stärkeren Reduktionsgrad zum Zeitpunkt des Eintrags in die Fundstelle erklären könnte. Schwieriger zu begründen ist die Beobachtung, daß sowohl die Kerne aus der lokalen, nicht einfach zu spaltenden Rohmaterialeinheit RM 5 als auch solche aus homogenem Material wie den Einheiten RM 6 und 8 aus der untersuchten Konzentration mitge- nommen wurden.

Ganz allgemein gilt, daß nahezu alle größeren Abschläge aus der Grundformen- produktion retuschiert wurden. Der überwiegend hohe Werkzeuganteil (Abb. 21: ,,Wcc) selbst bei schlechteren Materialien (Abb. 21: RM 5) spricht für eine intensive Benut- zung des Inventars. Die deutlichen Unterschiede, die sich in der Behandlung des Rohma- terials gegenüber Fundstellen wie Kabasi 11, Unit I11 / I aus der Transformationsanalyse

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Werkstücke komplett

I

Abschlag

-1 Kombewa

Staroselj e Level 3

Abb.21. Staroselje, Level 3. Transformationsanalyse. Obere Zeile: Rohmaterial-Lagerstätten und (in den Pfeilen) Zustand der eingebrachten Rohmaterial- einheiten (Geröll, Knolle, Kern). Obere Tabelle: Operationsketten der Zerlegung von Rohmaterialeinheiten am Ort (RM =Rohmaterialeinheit): 1 Präparation der Kerne; 2Abbau der Kerne, dabei 2B Korrektur der Kerne und 2BYweiterer Abbau der Kerne; 3 Gebrauch (Retuschierung und, angegeben durch Pfeile, angenommene Größenreduktion). Untere Tabelle: Ablage in Staroselje. Untere Zeile: Schematischer Anteil (-niedrig, +hoch) von Artefakten mit Kortex (K) und von Werkzeugen (W) am Gesamtinventar einer Rohmaterialeinheit. Untere Pfeile: Zustand der fehlenden (mitgenommenen) Artefakte einer Rohmaterialeinheit.

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470 Chabai / Richter / Uthmeier / Yevtuchenko

ergeben, lassen sich im Moment am besten mit einem längeren Aufenthalt in Staroselje, Level 3 erklären. Unterschiedliche Importzustände können dabei als Indikatoren un- terschiedlich lange andauernder Aktivitäten in der näheren und weiteren Um- ge bung gelten:

1. Ungeschälte Knollen gelangen ohne Zwischenhalt von der Rohmaterial-Lagerstätte nach Staroselje.

2. Teilweise geschälte Knollen deuten auf einen Aufenthalt an der Lagerstätte. 3. Reduzierte Kerne und Einzelstücke stammen aus Außenlagern, in denen man sich

länger aufhielt, Grundformen erzeugte und benutzte.

Vom Standpunkt der Transformationsanalyse kann die Vermutung, daß es sich bei Staroselje, Level 3 um einen Platz handelt, der im Vergleich zu den bisher vorgelegten Fundstellen der Westgruppe länger aufgesucht wurde (CHABAI /MARKS 1998; CHABAI / MARKS/MONIGAL 1999; BURKE 1999), bestätigt werden. Bei der Kosten-Nutzen-Rech- nung für die Grundformenproduktion spielten auch andere Kriterien als die Qualität des Rohmaterials eine Rolle. Denkbar wäre etwa, daß die bloße Verfügbarkeit von Ab- schlägen zu einem gegebenen Zeitpunkt wichtiger war als günstige Schlageigenschaften.

Th.U., J.R.

Ergebnisse

Von entscheidender Bedeutung war für die Autoren die durch die DFG-Förderung ge- botene Möglichkeit, die Ausgrabungen in der chronologisch bedeutendsten Fundstelle der Krim, Kabasi 11, fortführen zu können. Hier wurde nun das über Jahre hinweg verfolgte Ziel erreicht, den Eem-Boden innerhalb der Abfolge nachzuweisen. Die Aus- grabungen wurden bis zum Jahr 2001 fortgesetzt und weitere naturwissenschaftliche Daten von den kanadischen Kollegen erarbeitet.

Die Ausgrabungen in Chokourcha I führten in nur einer Kampagne zum gewünsch- ten Ergebnis, nämlich einer detailgenauen Dokumentation der stratigraphischen Ver- hältnisse in der weltweit bekannten, durch N. L. Ernst erforschten Marnmutjägerstat- ion. Die Grabung wurde abgeschlossen, der Grabungsschnitt wurde bereits wieder verfüllt.

Die Ausgrabungen in Karabi Tamchin lieferten Inventare hochspezialisierter Jagd- lager in großer Höhe, wie sie das bisher verfügbare Fundstellen-Ensemble nicht bot. Es handelt sich um recht kleinräumige Fundkonzentrationen, die mit einer weiteren Grabungskampagne inzwischen vollständig erfaßt werden konnten.

Die Transformations- und Arbeits~chrittanal~sen (Kabasi 11, Staroselje, also beides Inventare der Westgruppe) begannen zunächst an Inventaren aus unlängst abgeschlos- senen Grabungskampagnen. Die Ergebnisse liefern eine ungeahnt hohe Auflösung der einzelnen Aktivitäten, die ein Inventar geprägt haben. Eine abschließende Bewertung wird erst dann möglich sein, wenn genügend Inventare der Ostgruppe entsprechend dokumentiert sind.

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Mittelpaläolithikum auf der Krim 471

Das vorgestellte Projekt, über dessen Startphase hier berichtet wurde, ist für einen Zeitraum von fünf Jahren konzipiert. Die Förderung durch die DFG leistet nebenbei einen wesentlichen Beitrag zur Kontinuität der Paläolithforschung der Krim unter den gegenwärtig schwierigen Bedingungen.

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GERMANIA 80,2002

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Zusammenfassung: eue Forschungen zum

Auf der Halbinsel Krim sind über 100 Fundstellen aus der Zeit der späten Neandertaler be- kannt. ~ b e r w i e ~ e n d werden sie in das Interpleniglazial der letzten Kaltzeit (60 000 bis 28 000 B.P.) datiert. Die Fundstellen gliedern sich in eine Westgruppe mit Inventaren, i n denen kantenbearbeitete Werkzeuge überwiegen, und in eine Ostgruppe, in der formüberarbeitete, häufig bifazielle Werkzeuge überwiegen. Die Fundstellen der Westgruppe enthalten speziali- sierte Jagdfaunen, unter denen der Wildesel die wichtigste Rolle spielt; an den Fundstellen der Ostgruppe herrschen diversitäre Jagdfaunen vor. Von dieser modellhaften Situation wer- den im Rahmen eines ukrainisch-deutsch-amerikanischen Forschungsprojektes Erkenntnis- se zu r funktionalen Variabilität im Mittelpaläolithikum erwartet. Während der ersten beiden Projektjahre standen hierbei Untersuchungen an den Fundstellen Karabi-Tamchin, Kabasi 11, Chokourcha und Staroselje im Vordergrund.

Abstract: New Research into t liminary Report

O n the Crimean Peninsula, over 100 sites are known from the period of the late Neanderthals. Mainly, they date t o the interpleniglacial of the last cold period (60000 t o 28 000 BP). The sites can be divided into a western group with inventories in which edge-retouched tools predominate, and an eastern group, in which surface shaped, primarily bi-facial tools are do- minant. The sites of the western group contain specialized hunting fauna, among which the Wild Donkey plays the most important role; in the sites of the eastern group, more diverse fauna prevail. It is expected that, within the framework of an Ukrainian-German-American research project, this exemplary situation will yield new information related t o functional variability in the Middle Palaeolithic. During the projectJs first two years, studies at the Karabi- Tamchin, Kabasi 11, Chokourcha and Staroselje sites have been in the foreground of the investigation.

C . M.-S.

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Mittelpaläolithikum auf der Krim 473

Resume: Nouvelles recherches sur le Paleolithique moyen en Crimee. Presentation limi- naire

Plus de 100 sites de la periode neandertalienne finale sont connus sur la presqu'ile de Crimee. 11s sont principalement datis de l'interglaciaire de la derniere glaciation (60 000 2 28 000 B. P.). Les sites se repartissent entre un groupe ouest et un groupe est. Les outils i aretes sont majoritaires a l'interieur des inventaires du groupe ouest, alors que le groupe est se caractirise plut6t par des outils aux formes retravaillees de type bifaces. Les sites du groupe ouest renferment des restes de faune provenant d'une chasse specialisee a l'interieur de laquelle l'ane sauvage joue le r6le principal. Dans le groupe est, par contre, les restes de faune temoignent d'une chasse diversifiee. A partir de cette situation modele, et dans le cadre d'un projet de recherche ukraino-germano-americain, des connaissances relatives i la variabilite fonctionnelle au cours du Paleolithique moyen pourront etre recoltees. Pendant les deux premieres annees du projet, les recherches se sont concentrees sur les sites de Karabi-Tamchin, Kabasi 11, Chokourcha et Staroselje.

S. B.

Anschriften der Verfasser:

Vic tor P. Chaba i , Alexander I . Yevtuchenko Crimean Branch of the Institute of Archaeology

Yaltinskaya Street 2 UKR-333640 Sirnferopol, Cr imea

Jü rgen Richter , Thor s t en 'LTthmeier Universität zu Köln

Institut für Ur- und Frühgeschichte Weyertal 125

D-50923 Köln

Ab bildungsnachweis: Alle Abbildungen von den Verfassern.

GERMANIA 80,2002