Neue Herausforderungen im Übergang...

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Kurzinformation 2014 zum Modellprogramm der AOK für Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Schleswig-Holstein Prof. Dr. Katharina Gröning Sonja Bergenthal Heike Friesel-Wark Alexandra Hansla Irmi Heitfeld Anja Klostermann Dorothee Lebeda Dr. Heinrich Lienker, IN CONSULT GmbH Brunhild Sander Stephan Seifen Anja Waterböhr Yvette Yardley Anna Zaczynska Neue Herausforderungen im Übergang vom Krankenhaus in die familiale Pflege Bielefeld, im Dezember 2013

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Kurzinformation 2014 zum Modellprogramm der AOK für Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Schleswig-Holstein

Prof. Dr. Katharina Gröning Sonja Bergenthal Heike Friesel-Wark Alexandra Hansla Irmi Heitfeld Anja Klostermann Dorothee Lebeda Dr. Heinrich Lienker, IN CONSULT GmbH Brunhild Sander Stephan Seifen Anja Waterböhr Yvette Yardley Anna Zaczynska

Neue Herausforderungen im Übergang vom Krankenhaus in die familiale Pflege

Bielefeld, im Dezember 2013

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Inhalt

0. Überblick 3

1. Implantation einer neuen ökonomische Logik

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2.

Grundlegende Veränderungen für hochaltrige Patienten

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3.

Demografischer Wandel im Krankenhaus 5

4.

Die Familie ist die zentrale Institution in der Pflege alter Menschen

5

5.

Familien im Wandel 5

6.

Gestaltung des Übergangs vom Krankenhaus in die fami-liale Situation

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7.

Unterstützungsleistungen für pflegende Familien

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8.

Förderprogramm „Familiale Pflege“

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0. Überblick Das Modellprogramm dient der Unterstützung und Kompe-tenzförderung von pflegenden Familien im Übergang vom Krankenhaus in die familiale Versorgung. 360 Allgemeinkrankenhäuser, Psychiatrien und Reha-Kliniken in Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Schleswig-Holstein nut-zen 2014 das Modellprogramm und begleiten Angehörige beim Übergang in die familiale Pflege bis sechs Wochen nach dem Krankenhausaufenthalt. Der Erreichungsgrad unter den Allge-meinkrankenhäusern (mit Vormerkungen) beträgt inzwischen 74 Prozent. 48.000 Pflegende sollen im neuen Jahr erreicht werden.

Jahr Krankenhäuser Angehörige1)

2006 25 172 2007 29 650 2008 52 1.438 2009 104 3.168

2010 150 7.521 2011 200 15.158

2012 253 27.151

2013 310 38.2002) 2014 3602) 48.0002)

1) Pflegetrainings im Krankenhaus und in der Familie, Initialpflegekurse und Gesprächskreise. 2) Projektion auf das Jahresende.

Die AOK Rheinland/ Hamburg und die AOK NORDWEST stellen jährlich die erforderlichen Mittel aus dem SGB XI bereit, und zwar unabhängig von der Kassenzugehörigkeit der Versicher-ten. Das Management des Modellprogramms und die Mittel-verwaltung obliegen der Universität Bielefeld. Sie kooperiert mit der IN CONSULT, Bochum. Nachfolgend thematisieren wir die Grundanliegen des Modell-programms „Familiale Pflege“ und skizzieren die Förderkondi-tionen.

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1. Implantation einer neuen ökonomischen Logik Die Fallpauschalen (G-DRG, PEPP) bewirken kürzere Ver-weildauern. Damit setzt sich eine Entwicklung beschleunigt fort, die bereits seit längerem zu beobachten ist.

Im Kern geht es um die Implantation einer neuen ökonomi-schen Logik, die auf mehr Versorgungseffizienz abzielt und die Ökonomie der Krankenhäuser grundlegend umwälzt, wobei die zweiten und dritten Folgen sowie die mit der Änderung des Finanzierungsmodus verbundenen zahlreichen neuen qualita-tiven und ethischen Fragestellungen gegenwärtig noch weitge-hend außer Betracht bleiben. 2. Grundlegende Veränderungen für hochaltrige Patienten In der Patientenperspektive bringen die Umstellung auf die Fallpauschalen grundlegende Veränderungen. Die Patientinnen und Patienten verlassen die stationäre Ver-sorgung früher und häufig auch weniger rekonvalesziert. Das gilt besonders für die zunehmende Anzahl der pflegebedürfti-gen alten Menschen. Dabei ist der Übergang in die poststatio-näre Versorgung seit jeher risikoreich und störanfällig.

Zugleich verschwindet die kompensatorische Funktion, die Krankenhäuser traditionell für pflegebedürftige, demenziell Er-krankte und alte Patienten innehatten. Haben diese vormals die Defizite in der ambulanten und häuslichen Versorgung re-parieren und Lücken in der Versorgung überbrücken können, so wird diese Funktion heutzutage als Fehlbelegung etikettiert und ist wirtschaftlich nicht mehr darstellbar. Unter den genannten Bedingungen mehren sich die Risiken von Rehospitalisierungen, wenn das Entlassungsmanagement einerseits und die Qualifizierung und Beratung der Patienten und Angehörigen nicht verbessert werden. Auch kann es nicht wünschenswert sein, wenn kürzere Verweildauern und subop-

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timale Unterstützungsleistungen mehr Heimaufnahmen indu-zieren als nötig wären.

3. Demografischer Wandel im Krankenhaus

Die Bevölkerung wird älter und hochaltriger, wobei die Wahr-scheinlichkeit der Krankenhauseinweisung mit dem Alter zu-nimmt. 2050 werden 45 Prozent der Patientinnen und Patien-ten in NRW 75 Jahre und älter sein. Bereits von 2010 nach 2020 steigt der Anteil rapide von 24 auf 30 Prozent, während die Krankenhausfälle in den Altersgruppen bis 55 Jahre sinken (it.nrw 2010).

4. Die Familie ist die zentrale Institution in der Pflege alter

Menschen

Künftig noch stärker in den Blick zu nehmen sind die Familien. Denn sie sind die zentrale Institution zur Versorgung und Pfle-ge der älteren, multimorbiden und der chronisch und demenzi-ell Kranken. Von den derzeit 2,5 Mio. pflegebedürftigen Men-schen im Sinne des SGB XI werden 70 Prozent in der häusli-chen Umgebung versorgt, 47 Prozent allein von den Familien, und zwar über alle Pflegestufen, weitere 23 Prozent mit Unter-stützung eines ambulanten Dienstes. 30 Prozent entfallen der-zeit auf Altenheime. Bis 2020 erhöht sich die Anzahl der pfle-gebedürftigen Menschen in der Spanne zwischen 13 und 21 Prozent auf dann 2,9 Mio. Menschen. Für 2050 werden 4,5 Mio. Pflegebedürftige erwartet, der stärkste Anstieg davon in den Kohorten 90 Jahre und mehr. Das ist eine Verdoppelung gegenüber 2007 (Pflegestatistik 2011).

5. Familien im Wandel Das hohe Engagement der Familien bei der Versorgung alter hilfsbedürftiger Angehöriger widerlegt solche Modernisierungs-theorien, die die traditionelle Familie erodieren und am Ende sehen. Desintegration ist lediglich eine Antwort auf die stärke-ren Gleichheitsanforderungen, denen sich Familien heute ge-genübersehen. Daneben entstehen empirisch Familienkulturen

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mit „moderner Solidarität“. Diese Familien verfügten sowohl hinsichtlich des Geschlechter- wie auch hinsichtlich des Gene-rationenverhältnisses über sehr wichtige neue Potenziale der Lebensbewältigung, wie innerfamiliale Gerechtigkeit, eine Kul-tur der Gegenseitigkeit, intergenerative Verbundenheit und eine gewisse Kunst in der alltäglichen Lebensführung, die es erleichtert, auch mit fremden und unvorhergesehen Situationen umzugehen. Diese Familien bestimmen die Grenzen der Pfle-ge selbst. Es wäre aber naiv, nicht die Grenzen familialer Belastungen und die Konflikte zu sehen, die mit der Übernahme der Versor-gung und Pflege alter, multimorbider und demenziell erkrankter Menschen einhergehen. Und es sind die Engpassfaktoren und Hindernisse in den Blick zu nehmen, die einer gelingenden familialen Pflege entgegenstehen. Zunächst: Die Familien der Moderne zerfallen nicht, sie wandeln sich. Im Verschwinden ist die Hausfrauenehe. Umgekehrt steigt die Frauenerwerbstätig-keit und die Menschen sind mobiler. Diese Veränderungen stellen vor allem an das Geschlechter- und Generationenver-hältnis neue Anforderungen. An die Stelle traditioneller Ge-schlechter- und Generationenmuster treten Anerkennungsbe-ziehungen. Familien müssen ihren Generationenvertrag kom-munikativ aushandeln. Dabei wird Pflege zunehmend in ver-schiedenen Haushalten realisiert. Die Rede ist von der multilo-kalen Mehrgenerationenfamilie. Umfragen belegen, dass auch diese modernen Familien zur Übernahme von Versorgung und Pflege der alten Eltern in ho-hem Maße bereit sind. Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite haben wir in unseren Untersuchungen gefunden, dass die Bildung und Beratung der pflegenden Familien in vielfacher Weise unzureichend ist. Und diese Defizite in den Unterstüt-zungsleistungen sind keinesfalls gering zu veranschlagen. Kaum eine Familie weiß wirklich, was mit der Übernahme der Versorgung und Pflege auf sie zukommt, wie sich die Famili-enbeziehungen und der Alltag entwickeln werden und vor al-lem wie lange die Pflegeverantwortung dauert. Dementspre-

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chend zeigen unsere Forschungsergebnisse, dass fast alle Familien ex post den Rahmen und die Arrangements für die Pflege anders gesetzt hätten, wenn sie gewusst hätten, was auf sie zukommt. Dies betrifft einmal die innerfamiliale Per-spektive, aber auch das Zusammenwirken mit den professio-nellen Diensten. Das heißt nicht, dass die Übernahme der Verantwortung vermieden worden wäre, es bedeutet aber sehr wohl, dass das Setting für die Versorgung und Pflege realitäts-näher, bewusster und geplanter gewählt worden wäre. Vor diesem Hintergrund ist es dringend nötig, den Familien die erforderlichen Unterstützungsleistungen zukommen zu lassen und Netzwerke bereitzustellen, damit diese die Versorgung, Pflege und Begleitung der kranken und unterstützungsbedürf-tigen Menschen unter humanen, d. h. für sie je konkret leistba-ren Bedingungen übernehmen und tragen können. 6. Gestaltung des Übergangs vom Krankenhaus in die

familiale Situation Die genannten krankenhausökonomischen, demografischen und familialen Veränderungen stellen das Überleitungsma-nagement in den Krankenhäusern vor neue Herausforderun-gen. Der zeitliche Korridor für die Gewährleistung einer be-darfsgerechten poststationären Versorgung verdichtet sich teils auf wenige Tage. Das mindert aber nicht im geringsten die Verantwortung der Krankenhäuser für die Patientinnen und Patienten. Vielmehr wächst komplementär die Verpflichtung, Brücken zur nachstationären Versorgung zu bauen. „Versi-cherte haben Anspruch auf ein Versorgungsmanagement ins-besondere zur Lösung von Problemen beim Übergang in die verschiedenen Versorgungsbereiche“ (§ 11 Abs. 4 SGB V; vgl. a. § 39 Abs. 1, ferner KTQ, Subkategorie 1.5 sowie den Exper-tenstandard des DNQP zum Entlassungsmanagement 2009). Die Krankenhäuser haben ein hohes Eigeninteresse, dass die Entlassung der Patienten mit poststationärem Unterstützungs-bedarf bedarfsgerecht und gut koordiniert erfolgt und ein naht-loser Übergang in die häusliche Umgebung gelingt. Denn der

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Drehtüreffekt infolge eines suboptimalen Entlassungsmana-gements ist ökonomisch kontraindiziert und schadet auf Dauer dem Ansehen eines Hauses. Umgekehrt minimiert professio-nelles Entlassungsmanagement die Risiken von Wiederein-weisungen, die besonders häufig in der ersten Woche nach dem Krankenhausaufenthalt erfolgen, weil etwa das häusliche Arrangement nicht stimmig ist oder noch nicht trägt. Insgesamt gesehen ist in den am Modellvorhaben beteiligten Krankenhäusern sehr viel in Bewegung, weit mehr jedenfalls als wir angenommen haben. Das verbindet sich mit einer aus-geprägten Bereitschaft, die neuen Herausforderungen im Übergang vom Krankenhaus in die häusliche Pflege anzuneh-men und darauf bezogen Innovationen voranzubringen. 7. Unterstützungsleistungen für pflegende Familien Neben der Optimierung des Übergangs vom Krankenhaus in die häusliche Pflege ist die Entwicklung und der Aufbau flä-chendeckender und kontinuierlicher Unterstützungsleistungen für pflegende Familien ein weiteres Grundanliegen des Mo-dellprogramms. Es geht darum zu erproben, wie ein flächen-deckendes und kontinuierliches Angebot entwickelt und aufge-baut werden kann, das den versorgenden, pflegenden und be-gleitenden Familien hilft, die ihnen gesellschaftlich zugeschrie-benen Aufgaben zu übernehmen und die schwierigen und be-lastenden familialen und persönlichen Entwicklungsaufgaben aktiv zu bewältigen. Im Sinne des § 45 SGB XI sollen Bildung und Beratung die Pflege und Betreuung erleichtern und ver-bessern sowie pflegebedingte körperliche und seelische Belas-tungen mindern.

Einen wichtigen Grund für die Defizite in der Bildung und Bera-tung von Familie und Angehörigen, die wir in unseren Untersu-chungen vielfach gefunden haben, sehen wir in der Diskontinu-ität und der unzureichenden Integration der Unterstützungsleis-tungen. Sie sind punktuell, kurzfristig, unübersichtlich und meist nur auf einzelne Problemabschnitte bezogen. Vor allem sind sie zumeist nicht mit dem Entlassungsmanagement der

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Krankenhäuser vernetzt. Ausgegangen wird zumeist noch von einem Bild der häuslichen Versorgung älterer Menschen, wel-ches die Familie zum einen traditionell, zum zweiten als Con-tainer und zum dritten als Assistenten der Professionellen denkt. Schließlich richtet sich das Unterstützungsangebot vier-tens an einem Bild der häuslichen Pflege aus, das längst obso-let ist. Eine traditionell lebende gutmütige Angehörige hilft ei-nem altersschwachen alten Menschen bei alltäglichen Verrich-tungen. Demenz und Pflegebedürftigkeit im heutigen Sinn aber brauchen eine kontinuierliche Bildung und Beratung häuslicher Pflegeverhältnisse. Die bisherigen Pflegekurse sind vor dem Hintergrund der vor-stehend skizzierten Entwicklungen auch unter methodischen Gesichtspunkten unzureichend. Sie sind vor allem dozierend und verrichtungsorientiert. Die Möglichkeiten geeigneter Unterstützungsangebote für pfle-gende Angehörige sind längst noch nicht ausgeschöpft. Die Enquete-Kommission des Landtags „Situation und Zukunft der Pflege in NRW“. stellt dazu In Punkt 11 ihrer Handlungsemp-fehlungen fest: „Die Kommission teilt die seit langem geäußer-te Kritik, dass die pflegenden Angehörigen gewährte Unter-stützung zu gering ist. Zwar ist in den vergangenen Jahren etliches unternommen worden, um pflegende Angehörige zu unterstützen, doch treffen viele der Angebote nicht den Bedarf und nicht die Bedürfnisse der Angehörigen oder erreichen sie erst gar nicht. Hier eine Veränderung herbeizuführen, ist aus Sicht der Kommission eine überfällige und vordringliche Auf-gabe. Es sind Maßnahmen zu ergreifen, um die Erreichbarkeit bestehender Unterstützungsanbote zu verbessern. Ebenso sind Maßnahmen nötig, die der Beratung, Anleitung, supervi-dierenden Begleitung und auch Kompetenzförderung pflegen-der Angehöriger dienen und ihnen die zur Wahrnehmung von Betreuungs- und Pflegearbeiten notwendigen Kompetenzen und Fertigkeiten vermitteln.“

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8. Förderprogramm „Familiale Pflege“ Pflegetrainings im Rahmen des Modellprogramms „Familiale Pflege“ qualifizieren Angehörige für die Ausübung der Pflege. Sie werden von Fachkräften am Krankenbett und in der Wohnung des Patienten bis sechs Wochen nach Kranken-hausaufenthalt durchgeführt. Voraussetzung ist eine (zu erwar-tende) Pflegestufe (auch Pflegestufe 0). Die Pflegetrainings sind auf die individuelle Situation abge-stimmt. Die Bedeutung der Pflegetrainings kann für den gelin-genden Übergang vom Krankenhaus in die familiale Pflege kaum hoch genug veranschlagt werden. Denn die Kompeten-zen für die Übernahme von Pflege sind in den Familien in der Regel nicht vorab vorhanden, sondern müssen zunächst er-worben werden. Wünschenswert sind verrichtungsspezifische Handouts. Die Pflegetrainings sind auch aufsuchend in den Familien ziel-führend. Denn am Krankenbett sind die Bedingungen häufig doch sehr anders als in der häuslichen Umgebung und zudem lassen die kurzen Verweildauern zuweilen nicht genügend Raum für die Pflegetrainings. Aufsuchende Pflegetrainings stellen eine Weiterentwicklung des Entlassungsmanagements dar: Kompetente Pflegefachkräfte begleiten Angehörige in der oft krisenhaften Anfangssituation und stabilisieren dadurch die familiale Pflege von Beginn an. Die Pflegeanleitung in der Fa-milie bietet die Chance, das häusliche Umfeld einzubeziehen und Pflegetechniken mit den verordneten Pflegehilfsmitteln zu üben. Im Falle kollabierender oder gefährlicher häuslicher Pflegen erfolgt eine Absprache mit der Pflegeberatung der zu-ständigen Kasse. Aus Gründen der Trägerneutralität kann die aufsuchende Beratung nur von den Krankenhäusern selbst und nicht von zugehörenden oder kooperierenden ambulanten Diensten durchgeführt werden. Die Pflegekassen fördern Pflegetrainings im Krankenhaus (eingeschlossen Erstgespräche) im Rahmen des Modellpro-gramms mit 40 EUR pro Trainingseinheit. Aufsuchende Pflege-

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trainings (auch Qualitätschecks) werden mit 52 EUR pro Se-quenz pauschal honoriert. Darüber hinaus sind Familienge-spräche zum Pflegesetting mit 80 EUR abrechenbar. Die Initialpflegekurse für pflegende Ehepartner und Angehö-rige haben sich bestens bewährt (3 bis 7 Angehörige á 12 Un-terrichtsstunden). Sie laufen in der Regel an drei Samstagen. Die Initialpflegekurse werden mit 600 EUR bezuschusst, und zwar ebenfalls unabhängig von der Kassenzugehörigkeit der Versicherten. Eine Pflegestufe ist hier nicht vorausgesetzt. Die Bewertung der Kursangebote ist durchweg positiv. Zwei Aspekte möchten wir bereits besonders hervorheben: • 96 Prozent der Befragten äußern, durch die Pflegetrainings

in der häuslichen Umgebung gut vorbereitet zu sein. • 94 Prozent der Teilnehmenden in Initialpflegekursen geben

an, dass die Gespräche über die Familiensituation ihnen geholfen haben. (Evaluationsbericht 2012, S. 32 u. 34)

Im Anschluss an die Initialpflegekurse gibt es zuweilen eine manifeste Nachfrage nach fortführenden Angeboten. Eine Rei-he von Krankenhäusern haben darauf mit Gesprächskreisen für Angehörige reagiert bzw. planen diese. Der Förderbetrag für die Gesprächskreise mit Angehörigen beträgt 120 EUR für drei Unterrichtsstunden. Die Wissenschaftliche Weiterbildung (WWB) ist der Nukleus für die Kompetenzförderung der Promotoren in den Kranken-häusern, ohne die es nicht geht. Sie läuft über zehn Präsenz-tage verteilt über zwei Jahre. Hinzu kommen Studienbriefe. Die Kursleitung liegt in den Händen von Prof. Dr. Katharina Grö-ning. Adressaten sind überleitungsleitungsverantwortliche Ex-perten und insbesondere engagierte und soziale kompetente Pflegefachkräfte, die die Pflegetrainings, Initialpflegekurse und Gesprächskreise praktisch umsetzen wollen. Studiengebühren

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fallen nicht an. Von den entsenden Einrichtungen zu tragen sind Reisekosten, Verpflegung sowie ggf. Übernachtung.. Von zentraler Bedeutung für die Implementation eines flächen-deckenden, kontinuierlichen und qualitativ hochwertigen Un-terstützungsangebots für pflegende Familien ist der Wissens-transfer. Das Modellprogramm vermittelt neues Wissen und fördert Innovationen. Fachliche Inputs erhalten die projektbe-teiligten Akteure nicht zuletzt auf dem Wege von Entwick-lungsgruppen zur Systementwicklung, gefördert mit 104 EUR, die ausgesprochen gut angenommen werden. Besonders gute Voraussetzungen für die Implementation des Projekts Familiale Pflege haben Krankenhäuser mit einem Ent-lassungs- und Überleitungsmanagement im Sinne des § 11 Abs. 4 und des neuen § 39 Abs. 1 Satz 4 SGB V, jedenfalls dann, wenn tatsächlich alle Patientinnen und Patienten mit (zu erwartender) Pflegestufe (eingeschlossen Pflegestufe 0) admi-nistrativ/ pflegerisch – möglichst via EDV – erfasst werden. In Nordrhein-Westfalen kommt dem Modellprogramm darüber hinaus zugute, dass der Krankenhausplan 2015 (S. 94) als Voraussetzung für die Aufnahme ein einfaches pflegerisches Screeningverfahren zur Identifikation von Patientinnen und Patienten mit geriatrischem Versorgungsbedarf ab 75 Jah-ren vorgibt (vgl. a. Essener Standard „Desorientierte und an Demenz erkrankte Patienten in Essener Krankenhäusern“). Kurzum: Im Krankenhaus der Zukunft übernehmen Sozial-dienst/ Entlassungsmanagement/ Casemanagement die sozia-le Überleitung, während der Pflege die Information, Beratung und Anleitung der Patientinnen und Patienten obliegt, wo im-mer die Fallpauschalen dies normieren. Das Modellprogramm fördert aus Mitteln des SGB XI flankierend die Beratung und Bildung von pflegenden Ehepartnern, Familien, Angehörigen, Freunden und Bekannten, die im Anschluss an den Kranken-hausaufenthalt die Pflege und Betreuung leisten. Es senkt die Systemkosten und dient der Qualität, wenn soziale und pfle-gerische Überleitung zur Gewährleistung der poststationären Versorgung gut zusammenwirken können.

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